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Auf einsamem Wege, wohin sich selten eines Fremden Fuß verirrt, wo noch kein Dampfroß mit seinem Brausen und Zischen die Luft durchschneidet, erhebt sich der stolze Bau einer Eisengießerei.

Um diese herum liegen im Viereck die Häuser der Arbeiter.

Die Vorderfront, nach der Chaussee zu, ergiebt das Wohnhaus des Fabrikherrn, an das sich ein mächtiger Park anschließt. Sonst befindet sich bis auf drei Meilen im Umkreis nur ein einsames Waldhaus.

Es war bisher unbewohnt, der Waldwächter war gestorben, man hatte vom fürstlichen Revier aus monatelang vergeblich die Stelle ausgeschrieben, da die Gegend gefürchtet und berüchtigt war.

Aber heute bezog ein neuer Wächter das Häuschen. Ein Wagen mit Möbeln beladen und Arbeiter aus dem nächstliegenden Dorfe, die ihrer Rohheit halber verrufen waren, fuhren an dem Fabrikgebäude vorüber. Hinterher folgte ein leichtes Gespann, in welchem ein älterer Herr, tief in Gedanken versunken, sowie ein jugendfrisches, ungemein sicher dreinblickendes Mädchen saßen.

Das Waldhaus war erreicht; Vater und Tochter entstiegen dem Gefährt und bald machte man sich daran, das geringe Möblement abzuladen.

Der alte Herr, welcher sich im Hause umgesehen hatte, erschien im kurzen Jaquet und einer seidenen Mütze auf dem Kopfe und schickte sich an mit Hand anzulegen, da die Arbeiter säumig waren, und gar zu lang bei einem Frühstück, wobei der Branntweinflasche stark zugesprochen wurde, rasteten.

Auch das junge Mädchen war wieder auf der Schwelle erschienen, sie überblickte mit gefalteter Stirn die Gegend.

Kahl, öde und fremd lag sie vor ihr. Nur abseits, wenn sie zurückblickte, lag der Wald, sonst gerade Chaussee.

Es ward Abend, die Dunkelheit senkte sich herab. Unter den Tagelöhnern hatte sich nach vollbrachter Arbeit ein Streit entsponnen, sie kamen mit dem Teilen der Löhnung nicht zu stande. Einer, der Brutalste, forderte mehr von dem alten Herrn, und dieser ein resoluter Greis verweigerte dieses aus Prinzip und zwar mit einer Schärfe, welche den Halbbetrunkenen reizte. Plötzlich ging der Wortwechsel in Thätlichkeiten über.

Jener große, unheimliche Rädelsführer, eine wahre Hünengestalt, packte den zwar kräftigen, aber im Ringen wenig geübten Herrn an der Brust und rüttelte ihn hin und her, indem er mit löwenartigem Gebrüll mehr Geld forderte.

»Vater, um des Himmels Willen, gieb ihnen, was sie verlangen,« rief jetzt das junge Mädchen, welches bisher in ängstlichem Schweigen verharrt hatte.

»Geben – erschossen muß die Bande werden!« kam es keuchend von den Lippen des alten Herrn, der sich jetzt gewaltsam von seinem Gegner befreite.

Wie er nun alle Kisten und Schränke öffnete und durchstöberte, wo war sein Gewehr, wo lagen Waffen? nichts fand sich!

Der Tumult steigerte sich und der Hausherr sah nicht aus, wie Jemand, der nachzugeben gewöhnt ist. Immer drohender wurden die Gebärden der Arbeiter.

Die junge Dame wußte, was vor ihr lag, wenn nicht Hilfe geschafft werden konnte. Mit Blitzesschnelle, wie ihr der Gedanke gekommen, schlägt sie den Weg ein, den sie heute zu Wagen zurückgelegt, um aus der nächstliegenden Fabrik Hilfe zu holen.

Dichter Nebel liegt über der Landschaft, feiner Sprühregen fällt auf ihr unbedecktes Haupt. Ihr Kleid hoch aufgeschürzt, mit halb aufgelöstem, nassem Haar, hatte sie endlich das Gehöft erreicht. Furcht und Sorge, daß während ihrer Abwesenheit ihrem Vater ein Leid geschehen könnte, gaben ihr Flügel. Jetzt durchschritt sie den weiten Hof des Gebäudes und stand nun einem Herrn gegenüber, der den Weg nach diesem nehmen wollte. Atemlos, mit flehentlichst erhobenen Händen stieß sie keuchend hervor, was sie herführe.

Sie sahen einander nicht, die beiden Menschen, die sich hier gegenüber standen, es war völlig dunkel geworden.

Im ganzen Gehöft warf nur eine Laterne ihr trübes Licht. Die Werkstätte ruhte.

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»Eine Keilerei – und ich soll helfen?« ward auf des Mädchens Rede geantwortet, »mein Kind, Du kennst mich wohl nicht, ich bin der Fabrikbesitzer.« Er wandte sich um und schickte sich zum Gehen an.

»Nichts weiter?«

Zischend, höhnisch, verächtlich kamen die Worte von des erschrockenen Mädchens Lippen. Er stutzte, wandte sich um, zögerte – und ging dann weiter dem Hause zu. – Das geängstigte Mädchen klopfte jetzt an das Fenster einer Arbeiterwohnung, aus welcher ein Lichtstrahl drang. Man kam heraus und war sofort bereit, ihr zu folgen.

*

Mit geschäftiger Hand wußte Hela, die Tochter des Waldhüters, die Räume des kleinen Häuschens wohnlich zu machen und bald fühlte sie sich hier heimisch.

Konnte sie sich doch im naheliegenden Walde durch süße Träumereien, denen sich ein junges Mädchen nur zu gern hingiebt, eine Ideenwelt schaffen, in welcher sie nicht allein war.

Ihr Verhältnis zum Vater, zu dem einzigen Menschen, mit welchem sie hier lebte, war kein alltägliches. Der Forsthüter hatte früh sein Weib verloren, Hela, sein einziges Kind, wuchs nicht unter seiner Obhut heran, sie ward im Pensionat erzogen, er kümmerte sich auch nicht um sie, als sie dieses schon lange verlassen und bei einer alten Tante lebte, besuchte sie sehr selten und zeigte sich in keiner Weise als zu ihr gehörend, nur als er, der pensionierte Offizier, sich unerklärlicher Weise entschloß, der Welt zu entsagen, und behufs dessen die Stellung, welche er jetzt inne hatte, als Waldwächter einnahm, machte er seine Vaterrechte geltend und forderte mit großer Energie seine Tochter auf, ihm in die Einöde zu folgen.

Sie ging mit ihm, für den sie doch das natürliche Gefühl der Tochter hatte. Sie klagte nicht, daß er sie aus allen Lebensfreuden herausgerissen, sie verstand sich auch dazu, den kleinen Haushalt ohne Hilfe zu führen, es war begreiflich, daß eine Fremde nicht ohne Weiteres bereit war, sich auf ein abgeschlossenes Stück Erde zu verbannen. Erst wollte es freilich dem an regen Verkehr gewöhnten jungen Mädchen erdrückend erscheinen, kein menschliches Wesen um sich zu sehen, doch auch hier übte die Gewohnheit ihre Macht – sie lebte sich ein.

Wald und See wurden ihre stillen Freunde, denen sie ihr Denken und Empfinden anvertraute.

Sie war auch heute auf dem See. Mit kräftiger Hand steuerte sie ein kleines Boot, das sie, ohne zu wissen, wessen Eigentum es sei, vom Ufer losgebunden hatte und mit dem sie nun weit hinausruderte.

In den Fluten spiegelte sich die Sonne goldig wieder, mit ihrer leuchtenden Schönheit die ganze Landschaft verklärend. Die junge Dame schaute traumverloren ins Weite.

Sie hatte – auf wen sollte sie hier Rücksicht nehmen, – ihr Obergewand abgelegt und sah mit einem gewissen Wohlgefallen ihre schlanke, klassische Gestalt sich in den Wellen widerspiegeln. Die prachtvollen Arme, die so sicher zu steuern wußten, der schöngeformte Hals, der im Viereck vom Mieder frei gegeben war, ihr vollständig gelöstes schwarzes Haar, das weit über die Taille hinabreichte, ihr scharfes aber dennoch fein geschnittenes Antlitz mit den herb geschlossenen Lippen, es blickte ihr anmutig entgegen.

Tiefer, immer tiefer beugte sie sich herab zu dem trügerischen Spiegel, der ihr Bildnis zeigte, sie hielt im Augenblick des Versunkenseins mit dem Rudern inne, der Kahn schaukelte allein weiter, bis er plötzlich im Schilf und Gesträuch festgefahren war. Alle Anstrengungen, das kleine Boot wieder flott zu machen, waren vergeblich, sie kam weder vor- noch rückwärts, Hilfe suchend blickte sie um sich, woher sollte ihr solche kommen?

Kein lebendes Wesen rings umher, nur das Aufkreischen eines Wasservogels, das Quaken der Frösche vernahm sie.

Doch plötzlich – rief ihr nicht eine menschliche Stimme etwa zu? – Unmöglich. – Sie blickte nach rechts und links und ja, da stand Jemand am Ufer und nun erschrak sie entsetzt zusammen und breitete ihr reiches Haar über ihren entblößten Hals und Nacken, ließ sich im kleinen Boot nieder, um vom Schilf umhüllt ihre Jacke anziehen zu können.

»Mädchen, noch eine so heftige Bewegung, wie Du sie eben gemacht, und Du bist rettungslos verloren,« tönte es an ihr Ohr. Herrisch, zürnend, befehlend. Und diese hochmütige Stimme – sie ließ sie erbeben, die Gefahr vergessen, in der sie sich befand, sie erkannte an dieser jenen, der sich ihr als »Fabrikherr« genannt.

Er hielt sie nun wieder für eine Bäuerin, die er gewohnt war, als sein Eigen zu betrachten, sie mit »Du« anzureden und ihr zu befehlen. Er kam augenscheinlich von der Jagd. Gewehr, Tasche und geschossenes Wild hatte er vor sich hingelegt, und indem er ihr einen Strick zuwarf, rief er:

»Binde ihn an, Dich werde ich so ans Ufer ziehen.«

Er warf das eine Ende mitten in das Boot hinein, sie rührte sich nicht.

»Bist Du taub?« tönte es erbost zu ihr hinüber, sie erhob sich, der Kahn wankte und setzt ergriff sie wirklich den Strick und band ihn an diesem fest.

»Setze Dich,« kommandierte er, sie folgte, und langsam zog er den Kahn ans Ufer.

Hastig entsprang sie demselben. »Ich danke.« Mit diesen Worten wollte sie an ihm vorüber, aber er vertrat ihr den Weg, sah sie voller Erstaunen an, und da er in ihren Zügen zu lesen schien, daß er sie unterschätzt habe, nahm er, wie einer plötzlichen Eingebung folgend, den Hut ab und fragte in höflicher Haltung:

»Mit wem habe ich das Vergnügen?«

»Das kann Ihnen ganz gleich sein; Sie waren mir gefällig, ich danke Ihnen, mehr haben wir mit einander nicht zu thun.«

»So?« kam es nun wieder etwas scharf von seinen Lippen, »vielleicht doch. Sie befinden sich auf meinem Grund und Boden, fahren auf meinem See, in meinem Kahn, da wird es mir wohl gestattet sein, zu fragen, wer sich die Freiheit herausnimmt.«

»Sie kennen mich wohl nicht?« Wie spöttisch und scharf betont es lachend die junge Dame sagte! Der Fabrikbesitzer sah sie bestürzt an, der Satz kam ihm bekannt vor, und wie sie ihn aussprach! Ein Citat? –

»Aus der neuen Litteratur?« Wie spöttisch und scherzend klingen.

»Aus der neuesten!« gab sie hämisch zurück und schritt weiter. Er folgte ihr.

»Die ist mir unbekannt, ich komme hier mit der Welt nicht mit –«

»Das merkt man!« antwortete sie jetzt hellauflachend, »Sie leben noch im strengen Mittelalter, wo der ›Herr‹ noch alles galt. Adieu, ›mein Herr,‹ Ihr Grund und Boden, Ihr See und Ihr Kahn werden nicht wieder die Ehre haben, mich zu tragen. Adieu!«

Sie machte ihm eine schelmische Verbeugung und schlug den Waldweg ein. Er einen Seitenweg, der direkt zur Fabrik führte.

*

Hela wollte ihr Erlebnis verschweigen, doch als ihr Vater heute bei Tisch erzählte, daß er da drüben in der Eisengießerei gewesen, um sich eine Information über einen Weg, den er nicht auffinden konnte, zu holen, hielt sie es für geraten, ihrem Vater das Intermezzo vom ersten Abend ihres Hierseins zu erzählen und ihn zu ersuchen, sich von dort keine Gefälligkeiten auszubitten.

»Nur da drüben nicht verpflichtet werden, Vater; nie könnte ich es fertig bringen, Menschen, die an Gesinnung unter mir stehen, um etwas zu ersuchen.«

Der Alte war fast verlegen, als er entgegnete: »Und doch, Hela, werden wir, und sei es auch nur mit dem Personal, da drüben verkehren müssen. Sieh' mal, so ganz allein – ich bin daran nicht gewöhnt. Und der Prokurist machte mir einen sehr angenehmen Eindruck. Die Ingenieure stehen unserem Bildungsgrade gleich und –«

»Und, Vater, Du vergißt, daß Du hier eben nur »Waldwärter« bist, sie werden sich hüten, zu einem solchen herabzusteigen, oder möchtest Du Dein Incognito aufgeben?«

»O, meine kluge Tochter, das vergaß ich, weiß Gott, nein, keineswegs! Sollte es der Zufall indessen fügen, daß ich meine Bekanntschaft, sei's die des Fabrikherrn oder –«

»Die Letztere, lieber Vater, vermeide ganz, ein Mann, der ein hilfloses Wesen zurückzustoßen vermag, ist unserer Gesellschaft nicht würdig.«

Eine flammende Röte überzog die hohe Stirn des alten Mannes, von welcher das ergraute Haar angenehm abstach, er antwortete nicht, auch dann nicht, als ihm seine Tochter Vorschläge machte, wie man am Besten die Zeit einteile, um diese richtig auszunützen. Er legte Messer und Gabel bei Seite, schob seinen Teller fort, stemmte die Arme auf den Tisch und hielt sein Antlitz lange mit den Händen bedeckt. Er fühlte sich hier einsam und ebensowenig glücklich wie ich, dachte Hela, als sie mitleidig ihren Vater betrachtete. Sie erhob sich, räumte geräuschlos den Tisch ab und begab sich nach der Küche.

Als sie wieder in das Zimmer trat, stand ihr Vater am Bücherschrank und nahm den »Faust« heraus. »Hast Du viel gelesen, mein Kind?« fragte er die Eintretende.

»Nicht so viel als man glaubt, ich bin so reich an Gedanken, daß ich keine fremden suche. Die Klassiker natürlich sind mir alle bis Shakespeare bekannt, von dem ich meine, daß man ein gewisses Alter haben muß, um ihn zu genießen. Einiges, darunter den Cäsar, kenne ich jedoch.«

»Ich lese nur das,« er hob den Faust in die Höhe. »Alle Weltweisheit, das ganze Leben, ich finde es darin. Faust – Mephisto – Gretchen –« zählte er träumerisch auf. »Gretchen – was hältst Du von Gretchen?«

»Wenn Faust nicht wäre, wäre sie kein Gretchen geworden«, antwortete das junge Mädchen fein lächelnd.

Der Alte hustete andauernd, wandte sich ab, setzte sich in einen Lehnstuhl, der am Fenster stand, nahm seine Pfeife und vertiefte sich in seine Lektüre.

Hela zeichnete, bis die alte Wanduhr die vierte Stunde verkündete, dann sprang sie auf, nahm ein kleines Tischchen und trug es vor das Haus, wo eine Bank stand, holte eine kleine Spiritusmaschine heraus, Kaffeetassen, strich Butterbrode und bat nun ihren Vater herauszukommen.

Er war jetzt heiterer und sehr gesprächig, erzählte ihr aus seiner Jugend, von ihrer schönen Großmama und aus seinem Elternhause. Es war ihr dies von seinen Lippen fremd, nur seine Schwester, bei der Hela nach der Pension gewesen, hatte ihr Einiges über ihre Familie mitgeteilt. Als sie ihre Mutter verloren und das Elternhaus verlassen hatte, war sie fünf Jahre gewesen.

»Ich kann es nur nicht begreifen, Vater,« nahm Hela das Wort, »warum Du Dich, nachdem Du so glänzende Gesellschaften mitgemacht, so wundervolle Länder durchstreift hast, hierher flüchtetest. Und vor wem? Vater steht es mir Deinem Kinde nicht zu zu fragen, warum gingst Du hierher?«

»Es steht Dir zu, mein Kind, ganz gewiß, um so mehr als Du meine Einsamkeit teilen mußt, aber – erlaß mir das, was ich darüber zu sagen habe, bis ich selbst einmal darauf zurückkomme, ich bitte, Hela, kein Wort mehr darüber. Morgen werde ich nach dem Dorfe gehen, um uns mit neuem Proviant zu versehen, ich habe heut gefunden, daß es damit zu Ende geht. Und Hela, ich denke, ich sehe mich einmal um, ob nicht doch eine Person als Dienerin aufzutreiben ist, ich kann es nicht mit ansehen, daß Du die gröbste Hausarbeit selbst verrichtest.«

»Vater, ich glaube kaum, daß sich unter diesem versumpften Volk ein Wesen finden wird, das ich um mich leiden möchte, allein – vielleicht ist wirklich ein ganz junges Mädchen zu finden, die sich dann gleichzeitig erziehen läßt. Innere Mission,« lachte sie.

»Ich werde also morgen früh aufbrechen, mein Kind, um 5 Uhr nachmittags muß ich zurück sein, es giebt im Forst allerhand zu thun. Wirst Du Dich ängstigen, so allein?«

»O, nein, es ist ja Niemand da, der mir etwas thun könnte. Das Gesindel, vor dem man uns gewarnt, – ich vermisse es fast! Könnte ich doch nach so langer Zeit endlich wieder mal einen Menschen sehen!

Der Alte nickte gedankenvoll. »Ja, ja, wir sind Einsiedler geworden, und ich muß Dich immer wieder auf den Wald verweisen, Kind. Suche Dir ein Plätzchen, wir wollen eine Bank zimmern, und es uns dort heimisch machen. Und für jetzt, lebe wohl, ich will hoffen, eine Dienerin für Dich zu finden.«

»Leb' wohl.«

*

An einem wundervollen Nachmittag, an welchem sich kein Lüftchen regte, wo der Himmel blau wie im südlichen Klima war und die Vögel jubelnd ihr Lied in die Welt hinausschmetterten, begleitete Hela ihren Vater in den Wald. Sie hatte ein Körbchen am Arm, worin eine Handarbeit lag, und ein Buch in der Hand; der Alte trug Handwerkzeug. Er wollte eine Bank zimmern, denn seine Tochter hatte ein gar lauschiges Plätzchen im tiefen Dickicht gefunden, durch welches sich ein klares Bächlein wand, das gar manches zu erzählen wußte, und dort gedachte sie zeitweise ihr Zelt aufzuschlagen.

Bald nun war eine Bank verfertigt und nachdem sich's Hela bequem gemacht, hing der Waldwärter sein Gewehr um, pfiff seinem Hunde und schickte sich an, die Runde zu machen.

Hela war allein, sie saß tief in Gedanken versunken und verfolgte mechanisch das Spiel der Mücken.

Dieses Rennen und Jagen, das Zufliegen, Kosen und Auseinandergehen, glich es nicht ganz dem Getriebe hier unten im Weltall? –

»In euch ist aber kein Bewußtsein, keine fühlende Seele,« dachte Hela, indem sie den unruhigen Schwarm betrachtete, »wenn ich nach euch schlage,« und sie that es jetzt wirklich mit ihrem Taschentuch, »so fliegt ihr auseinander, aber fühlt ihr die Demütigung?«

Nun lauschte sie dem Konzert der Frösche. Quak – quak – ertönte es einförmig dann mehrstimmig und immer schneller und schneller. Fast war es der Lauscherin als hörte sie Worte, laute heftige Worte, verworren in Wut ausgestoßen.

»Ist da unten auch kein Friede, nirgends? Worüber zankt ihr euch aber? Ueber Religion, über Politik, über Liebe?«

Sie nahm ihr Strickzeug zur Hand, legte es aber unmutig wieder fort. »Mechanische Arbeit!« seufzte sie, sprang auf, ging mit untergeschlagenen Armen im Moose umher und überdachte, wie wundervoll es hier wäre, wenn sich ein einziges menschliches Wesen fände, mit dem sie reden könnte. Sie empfand heute mehr als je das dringende Verlangen nach Menschen.

Endlich setzte sie sich wieder, nahm ihr Buch und las, aber sie war früher gewohnt, im Lesen zu sprechen, Sätze, mit denen sie nicht einverstanden war, zu widerlegen, Schönheit zu suchen und gefundene zu preisen. Was hier nun stand:

»Es ist nur zu sicher und mit Bestimmtheit anzunehmen, daß die Erziehung allein den Menschen macht!«

O, was hatte sie darauf alles zu erwidern, wie wollte sie dem Verfasser sagen, daß die Studien, die er gemacht, nicht so ernst seien wie seine Sprache sicher. In ihrer lebhaften Weise warf sie das Buch zur Erde und schritt hastig auf und ab, indem sie eine Abhandlung darüber sprach. Sie dachte sich jetzt im Geiste ein großes Auditorium, dem sie nun klar machte, daß dieser Satz ganz falsch sei.

Von dem Feuer ihrer Gedanken hingerissen, sprach sie ziemlich laut:

»Wieso denn nur die Erziehung? Bitte, mein Herr Verfasser, schauen Sie sich einmal in einer großen Familie um, in einer solchen, in der sich meinethalben zehn Kinder befinden, die alle eine gleiche Erziehung genossen haben. Sie werden alle verschieden sein, wenn sie nicht gerade schablonenhafte Dummköpfe sind! Denn alles, selbst Bewegungen, sind individuell. Und was im Kinde schlummert, wird im Erwachsenen zum Vorschein kommen, so oder so. Ich gebe indeß zu, daß durch Erziehung böse Keime erstickt, gute entfaltet werden können. Aber vorhanden sind doch von Natur diese oder jene. Aus der orthodoxesten Familie geht ein Freigeist hervor, aus prosaischem Boden haben wir poetische Blumen entsprießen sehen, der Geizhals hat sicher einen verschwenderischen Sohn und wer für den Galgen geboren, wird nie auf dem Thron sterben. Aber, das räume ich ein, veredelte Untugenden können oftmals für Tugenden durchgehen, wenn sie gut übertüncht sind, denn –«

Hela hielt erschreckt in ihrem Monolog inne. Vor ihr, aus einem Seitenweg einbiegend, stand der Fabrikherr. Er nahm seinen Hut ab.

»Verzeihen Sie,« stammelte er fast verlegen, »ich wußte nicht, ich glaubte nur –«

»Was glauben Sie? Daß ich verrückt sei, vor Insekten und stummen Bäumen zu predigen? Nun, mein Herr, Demosthenes hat seine Redegewandtheit von da her, und ich muß immer meinen Eifer in Worten ausströmen lassen, – sonst explodierte ich einmal am »Esprit«, zum Glück ist dieser ungefährlich.«

»Wer weiß – nicht immer; er ergießt sich auch manchmal über ein Zeitalter und gebärt ein neues.«

Sie sah ihn erstaunt an; daß er es vermochte, auf belebte Conversation einzugehen, hätte sie ihm nicht zugetraut und animiert sprach sie weiter: »Nun, daraufhin wage ich es einmal, ein solches thut not!«

»Erlauben Sie,« hub er verbindlich an, »daß ich mich Ihnen vorstelle. Mein Name ist Althof –«

»Ich bin der Fabrikbesitzer,« sprach sie fast verächtlich weiter, »ich hatte bereits die Ehre, Ihnen am ersten Abend unseres Hierseins gegenüber zu stehen. Ich bin des Waldwächters Tochter, Hela Lichthof, die einmal so kühn gewesen, Sie nicht zu kennen.«

Sie neigte ironisch das Haupt und weidete sich an seinem erschreckten Gesichtsausdruck.

»O daher, ich, – Sie müssen wissen –«

»Gewiß, ich weiß, Sie sind ein Kind unserer Zeit, das entschuldigt. – Sehen Sie doch dort den großen Geier, sprach sie ablenkend, mit der Hand, nach der Himmelsrichtung weisend, in der man einen mächtigen Vogel fliegen sah.

Althof war froh, einer peinlichen Auseinandersetzung zu entgehen und Beide verfolgten schweigend den Flug des Tieres. Dann, als dieses verschwunden war, ging sie, ohne von dem Fremden Notiz zu nehmen, zu ihrer Bank, setzte sich und begann zu sticken.

Er folgte ihr, nahm das am Boden liegende Buch auf, reichte es ihr, lehnte sich leicht an einen ihr gegenüberstehenden Baum und begann mit einem halb überlegenen, halb frivolen Lächeln: »Sie haben wohl eine recht schlechte Meinung von mir?«

»Ich habe gar keine von Ihnen, mein Herr.«

Er sah sie forschend an und fragte weiter: »Warum sind Sie denn hierhergekommen, Sie scheinen doch mehr zu sein, als eines Waldhüters Tochter, das merkte ich schon neulich am See.«

»Ich bin nicht mehr – wieder ein Zeichen der Zeit« – ein ironisches Lächeln begleitete diese Worte – »ein Waldwächter hat es sich herausgenommen, mein Vater zu sein. Warum wir hier sind? Wir sind fürstlicher Waldwächter von Gottes Gnaden. Haben Sie noch etwas zu fragen?«

»Ich hätte höchstens noch zu fragen, wo Sie gelernt haben, so schnippisch zu sein, adieu!«

»Adieu!« Sie schaute sich nicht um, als er an ihr vorüber seinen Weg nahm und nach langem Schweigen der Gedanken kam es halblaut von ihren Lippen:

»Die Welt war schön und der Himmel war blau,
Und es blühte das Veilchen im Moose.
Ich hatt' einen Falken, der war mir treu,
Und ein Roß so jung, so wild und so scheu,
Und ein Lieb so schön wie die Rose,
Wie die Rose im Morgentau.«

Sie brach mit einer anmutigen Geberde ab, nahm Buch und Körbchen und schritt langsam, hin und wieder Beeren suchend, dem Wege zu, auf welchem sie ihren Vater zu treffen hoffte.

Er kam und erzählte, daß er nun doch die Bekanntschaft des Fabrikbesitzers gemacht, da ihm dieser im Wald begegnet sei. »Er hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß Du, Hela, des sich herumtreibenden Gesindels wegen, unmöglich so allein umherschweifen darfst. Du solltest wenigstens einen unserer Hunde mitnehmen. Er bot mir, was doch wirklich sehr liebenswürdig ist, als ich ihm erzählte, daß unser Versuch, einen dienstbaren Geist zu gewinnen, gescheitert sei, eine Dienerin aus seinem Hause an, die Dir zur Seite stehen soll.«

»Und was antwortest Du darauf, Vater?« fragte das junge Mädchen und preßte die Lippen aufeinander.

»Nun ich dankte ihm und bezüglich der Dienerin wollte ich mit Dir sprechen.«

»Und ich danke ihm auch!«

Sie schritten schweigend neben einander her, bis der Alte wieder anhub:

»Sonntags gedenke ich dem Herrn einen Besuch zu machen, ich weiß nun nicht, ob er verheiratet ist, dann könntest Du mitkommen.« –

»Ich? Soll er wieder sagen, wenn Waldwächters kommen: »Sie kennen mich wohl nicht, ich bin der Fabrikherr,« und uns stolz den Rücken wenden? Nein, Vater, wenn ich auch mit Dir herabgestiegen, so vergesse ich auf der niedrigen Stufe doch nicht, was ich mir schuldig bin. Wenn Du hingehen willst, – ich darf dazu freilich nichts sagen, aber daß er selbst erstaunt sein wird, Dich zur Visite dort zu sehen, – mein Wort darauf.«

»Du bist gegen ihn eingenommen, mein Kind, freilich hat er Dich, weil er Dich eben nicht kannte beleidigt, aber offen gestanden, ich hätte gerade so gehandelt wie er. Was das Erstauntsein anbetrifft – er hat mich selbst um meinen Besuch gebeten.«

»So, das ist aber sonderbar, nachdem er sich eine halbe Stunde vorher gewundert, daß ich eines »Waldhüters« Tochter sei. Er unterhielt sich im Vorübergehen im Walde mit mir, das wird er Dir doch wohl gesagt haben, nicht?«

»Er sprach davon, auch daß er Dich am See von einer Gefahr errettet, Du erzähltest mir nichts davon.«

»Er verlangte wohl eine Rettungsmedaille von Dir?« kam es sarkastisch aus ihrem Munde.

»Du bist sehr verbittert mein Kind«, entgegnete der Alte und fuhr dann ernst fort: »Indem ich Dir sage, daß Dein Wesen mir fremd, mache ich mir selbst einen Vorwurf. Der Vater soll sein Kind kennen, aber die Verhältnisse geboten es, daß ich Dich fortgeben mußte, nun Du bei mir bist, und ich Dich doch wie eine Fremde erst näher kennen lernen muß, da, ich gestehe es Dir offen, erschreckt mich die Bitterkeit Deines Gemütes. Was ist es, meine Tochter, was Dir diese für Deine Jahre erstaunliche Schärfe beigebracht?«

Sie schwieg lange, ehe sie antwortete. »Vielleicht war es das, daß Du mich eben in der Fremde erziehen ließest. Vater, bezahlte Liebe – sie gräbt so tiefe Furchen, ich habe auch etwas zu scharfe Augen und ein thörichtes, sehnendes Herz. Ich wollte Freundschaft, wo andere Gesellschaft suchten, ich wollte Tiefe, wo das Oberflächliche an der Tagesordnung war. Und meine Erziehung! Selbst meinem Denken suchte man eine vorgezeichnete Richtung zu geben. Stand ich früh auf, ein Lied trällernd, das mein jugendliches Herz ausströmen lassen wollte – fand es Tante zu früh zum Singen. Wollte ich spielen, wenn es meine Stimmung absolut bedingte, hatte Tante Nerven. Lachte ich mit ganzer Seele – so sollte das unfein sein. Kurz, so bin ich geworden, wie ich bin. Man verändert sich nicht, aber man wird verändert. In der Stadt fühlte ich mich schließlich mir selber fremd, ich habe stets nur für andere gelebt, es schien so mein Schicksal zu sein. Von der Schule bis dahin, Vater, wo Du mich zu Dir riefest, kam jeder, der etwas wünschte, jeder, der zu bequem war, selbst zu denken, zu mir, um seine Angelegenheit zu der meinen zu machen. So ward ich ernst, vielleicht auch durch reichlichen Undank etwas verbittert, wie Du sagst. Und dann ich war nicht einmal ein kindliches Kind. Vater, – ich kann die Mutter nicht vergessen. So wie ich sie damals als Kind sah, immer noch steht sie so vor mir. Jetzt erst verstehe ich das wehmutsvolle holdselige Lächeln um ihren Mund, aber ich denke vergeblich darüber nach, warum ich, wenn ich im Abendschein zu ihren Füßen saß und sie mir liebkosend durch meine Locken fuhr, Thränen in ihren Augen sah. Warum hab ich sie, wenn ich vom Spiel mit den Puppen aufschaute, immer und immer wieder weinen gesehen und schluchzen gehört? Umgab sie nicht Reichtum und Glanz, besaß sie nicht Deine Liebe, Vater, Dein ganzes Herz, und mich, ihr Kleinod, wie sie mich nannte. Und warum weinte sie doch – Vater sage mir,« und das junge Mädchen vertrat ihrem Vater den Weg, ergriff seine Hand und ihm ins Auge schauend, fragte sie flehentlichst: »Sage mir, lieber Vater, war sie nicht glücklich, und worin bestand denn ihr Leid?«

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Ein Zucken durchlief sein gefurchtes Antlitz, als er sie an sich zog, ihren Kopf an seine Brust barg, und mit fast erstickender Stimme entgegnete:

»Mein Kind, Frauen sind sonderbar, und Deine Mutter hatte das heiße Blut ihres Vaters, ich weiß nicht, warum sie geweint, ich sah ihre Thränen nicht. Aber Du bist auch sentimental, ob Du die Einsamkeit nicht vertragen kannst? Doch komm jetzt heim, ein ander Mal sprechen wir von Deiner Mutter.«

*

Monate waren seitdem verstrichen, das Laub des Waldes begann sich bereits etwas zu färben, und der Spätsommer webte mit Silberfäden ein Netz über Wald und Flur.

Waldwächters brauchten Menschen, das sah selbst Hela ein und schon im Interesse ihres Vaters war es ihr nun nicht mehr unangenehm, daß er da drüben in der Fabrik enge Freundschaft geschlossen. Er verbrachte beim Schach- und Kartenspiel wohl manches Stündlein dort. Bei der Jagd waren ihm Herr Althof und dessen Ingenieure liebe Gefährten. Ersterer war auch kein seltener Gast im Waldhause und manchen Abend verbrachte man gemeinsam im trauten Gespräch, oder der Fabrikherr brachte wohl Zeitungen, die ihm zugingen, mit hinüber und man vernahm dadurch etwas von der Welt. Oder, was ihr noch lieber war, er brachte seine Violine und spielte Chopin, den sie ganz erfaßte.

An solchen Abenden fühlte sie sich gehoben und beglückt, auch ihres Vaters Antlitz sah sie wie verklärt an des Geigers Zügen hängen und oftmals glaubte sie in des Alten Augen Thränen schimmern zu sehen. Aber nie konnte sie es über sich gewinnen, ihm, dem Spieler, ein Wort der Anerkennung zukommen zu lassen, und wie oft er sie auch gebeten, noch nie hatte ihr Fuß seit jenem Abend, wo er sie schroff zurückgewiesen, seine Wohnstätte betreten. Ihr Vater hatte einmal gebieterisch von ihr gefordert, ihn hinüber zu begleiten, aber im bestimmtesten wenn auch bescheidenen Tone hatte sie ihm zu widersprechen gewußt.

Der Fabrikherr wollte sie Schach spielen lehren, das nahm sie an und zeigte sich, wie in allem, als eine gelehrige Schülerin. Er begegnete ihr auch wohl wieder einmal im Walde, sie unterhielten sich dann wohl auch, aber nie hatte sie die starre Kälte, mit welcher sie sich umgab, weichen lassen. Einmal, als sie es ausgeschlagen, mit ihm und ihrem Vater auf dem See zu fahren, weil sie, wie sie bemerkte, ihm ja bei Beginn ihres Hierseins gesagt, daß sie nie wieder darauf fahren wolle, hatte sie harte Worte von ihrem Vater zu hören. Er warf ihr vor, rachsüchtig zu sein, sie verletze den jungen Althof, wo es nur ginge, sie lasse es nicht aufkommen, daß er das wieder gut mache, was er nach ihrer Meinung verbrochen. »Das Blut des Fredos ist in Dir!« waren seine letzten heftigen Worte, als er die Thür dröhnend hinter sich zuschlug. Sie dachte lange über ihr Unrecht, wie es der Vater genannt, nach, lange, lange. Sie fühlte einen richtigen Schmerz im Herzen, es war ihr so weh', so namenlos wehe und öde dadrinnen. Sie stöhnte laut und warf sich, ihr Antlitz mit den Händen bedeckend, auf das Sopha.

Es überkam sie eine Sehnsucht, wie sie sie nie so heiß empfunden, nach einem Herzen, das sie verstände, das sie liebe und das sie wieder lieben dürfte. »Fremd, fremd, alles fremd um mich her,« seufzte sie, »selbst der Vater.« – –

Als dieser, nachdem es bereits längst zu dämmern begonnen hatte, nach Hause kam, fand er seine Tochter schlafend auf dem Sopha liegen. Er zündete Licht an, die Schlafende hörte ihn nicht. Er betrachtete sein Kind mit kaltem Gesichtsausdruck. »Ganz ihre Mutter,« sagte er vor sich hin.

Und doch, war das liebliche junge Geschöpf, das ihm, ohne nur ein einziges Mal zu klagen, hierher gefolgt war, nicht ein Engel? Warum mußte er sich das erst sagen, warum empfand er es nicht?

*

Ein Gewitter schien im Anzuge; Hela stand besorgt am Fenster, um ihren Vater, welcher zum Wald gegangen war, zu erwarten. Er kam nicht. Grollend von weither ertönte jetzt der erste Donner, grell und erhaben flammte es gleich darauf wieder auf. Wie durch die Seele des Menschen das Empfinden, so fuhr der Blitz durch die Wolken, ihre Gebilde zerreißend.

In Andacht versunken schaute die junge Dame dem erhabenen Schauspiel zu, bis sie Tritte vernahm. Nicht die des Vaters – seine Schritte waren es, die wieder einen so lähmenden Einfluß auf sie ausübten, er, der Erste, in dessen Gesellschaft ihre Redegewandtheit versagte, stand jetzt vor ihr, der ihren Hochmut brach, ihren Geist in sich zurückfliehen ließ. Wie schwer sie das empfand, wie sehr sie darunter litt!

»Ihr Vater ist bei mir, Fräulein Lichthof, er suchte Schutz vor dem Unwetter, ich wollte es Ihnen melden, damit Sie sich nicht ängstigen.«

»Ich danke Ihnen!« es sollte herzlich klingen, kam aber wiederum nur kalt von ihren Lippen.

»Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten, bis das Gewitter vorüber ist?« fragte er fast schüchtern und bittend.

»Ich fürchte mich nicht, aber wenn Sie bleiben wollen –«

»Aber lieber wäre es Ihnen wohl, wenn ich ginge, nicht?«

»Das sagte ich nicht.«

Näher und näher kam jetzt das Gewitter, grollend und krachend fuhr der Donner dahin, Blitz auf Blitz folgte. Keines sprach ein Wort. Hela fühlte sich beklommen, und der Fabrikherr, welcher im Zimmer auf und ab ging, bemühte sich vergebens, die Worte, welche ihm das Herz auf die Lippen drängte, zurückzuhalten.

»Sie fühlen sich wohl entsetzlich einsam hier?« begann er, vor Hela, welche sich in einer Sophaecke niedergelassen hatte stehen bleibend.

»O, fragen Sie gar nicht!«

Er drehte seinen blonden Schnurrbart und aus seinen braunen Augen traf sie ein zärtlicher Blick, als er entgegnete:

»Sie dürfen auch nicht hier bleiben; wenn es Winter wird, ist es hier schaurig.«

»Ich kann ja nicht fort, der Vater braucht mich, und es ist auch schließlich gleich, wo man ist,« kam es nun hastig und in ihrer aufgeregten Weise von ihren Lippen.

»Wollen Sie mir nicht etwas von Ihrem Leben erzählen?« fragte sie jetzt.

»Gewiß, nur zu gern, ich spreche so gern von meinen Kindertagen, aber wer hat wohl Interesse daran und mit wem könnte ich hier reden? Glauben Sie mir, die Bekanntschaft mit Ihnen und Ihrem Herrn Vater beglückt mich so, daß ich oftmals nachdenke, ob es nicht doch eine Vorsehung giebt.«

»Sie waren freilich sehr verlassen hier,« gab sie in weichem Tone zur Antwort und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, ihr gegenüber Platz zu nehmen. Er folgte der Einladung.

Der Donner hatte aufgehört, nur der Regen strömte noch in großen Tropfen hernieder und verfinsterte das kleine Zimmer, in dem sich die beiden jungen Leute gegenübersaßen.

Es war so lauschig, so ganz zum Erzählen geeignet.

»Weshalb kauften Sie sich aber hier an, wo sind Sie denn zu Hause, und haben Sie Geschwister?« fragte sie.

»Meinen Vater habe ich gar nicht gekannt, er war gestorben, ehe ich geboren wurde, und meine Mutter – o, Fräulein Hela, das Urbild aller Reinheit und Frauenwürde. Sehen Sie, ich bin 29 Jahre alt, und viel in der Welt gewesen, ich habe schöne Frauen kennen gelernt, bedeutende, interessante, und wie man sie sonst noch zu nennen pflegt, aber ich konnte für keine etwas fühlen, weil ich mir nach der Mutter mein Ideal gebildet habe, die ganz Herz, ganz Seele gewesen.

Ihre Schönheit war eine mehr geistige und verklärte ihr ohnedies ideales Antlitz mit dem Strahl der Milde, mit dem Schein des Seelenadels.«

Hela hatte Thränen im Auge, als es wie gehaucht von ihren Lippen kam: »So war auch meine Mutter! Wer sie gekannt, der liebte sie auch und bis jetzt fand ich kein Wesen, das ihr auch nur annähernd gleich gekommen wäre.«

Er erhob sich hastig, als überwältigte ihn das Gefühl und nahm wieder seine Zimmerpromenade auf.

»Sie hatten also keine Geschwister, oder –«

»Nein, ich war ihr einziges Kind. Mein Vater war Grundbesitzer gewesen, nach seinem Tode lebte meine Mutter bald hier, bald dort, viel Geduld hatte sie nirgends, ich weiß mich nur zu erinnern, daß wir ein Jahr an einem Orte gelebt, es war dies die längste Zeit die sie irgendwo verbrachte.«

Mama bereitete mich selbst bis zur Tertia vor, in die ich mit 12 Jahren eintrat. Dann kam ich zu einem Oberlehrer in Pension, der meiner anfänglichen Erziehung eine ganz andere Richtung gab.«

»Schade!«

Er machte, wie über ihren Einwurf nachdenkend, eine Pause und fuhr dann düster fort:

»Ja, schade, Mama begann zu kränkeln, sie ging nach dem Süden, ich sollte nicht mit, weil ich doch endlich beginnen mußte, regulär zu lernen, ich sah sie nicht wieder. – Soll ich Ihnen schildern –«

»Nein, nein, nicht weiter, ich will nichts weiter hören!« Thränen erstickten ihre Stimme. Und nun kam es so gepreßt und so verzweifelt von ihren Lippen, daß er sie mitleidig und doch gewissermaßen entsetzt über die Bitterkeit ihres Gemüts ansah.

»Wollen Sie mir erzählen, daß sich nun Tag und Nacht zwei dunkle Kinderaugen zum Himmel richteten, daß sich die Händchen falteten und von da oben erflehten, aus tiefstem Herzensgrund erflehten, doch nur ein einziges Mal der Mutter Antlitz herabschauen zu lassen, daß Sie in Thränen zerflossen, oder daß Sie Ihre Hände in die Erde gegraben, um ihr Ihr Teuerstes zu entreißen? Ersparen Sie sich und mir das, auch mir wurde das Beste vom Leben genommen – die Mutter.« Jetzt weinte sie heftig.

»Sie haben einen Vater,« sprach er tröstend ihr näher tretend.

»Ja, das ist wahr, ich bin undankbar,« sagte sie kleinlaut und trocknete die Thränen, »bitte erzählen Sie weiter.«

»Nun, Vermögen war genug da, meine Erziehung ließ nichts zu wünschen übrig, ich machte Reisen nach allen Himmelsgegenden und schließlich kaufte ich mich hier an, weil meiner Mutter Grab hier im Walde ist. Sie wünschte merkwürdiger Weise hier, in einer Gegend, von welcher sie mir nie sprach, begraben zu sein, es hieß in den Schriften, die sie für mich zurückließ, daß sich hier auch das Grab ihrer geliebten Schwester, von der sie immer wie von einer Verklärten sprach, befinde, es war aber im ganzen Revier kein solches zu finden, so suchte ich denn ein Plätzchen, das mir gefiel, aus. Nach ihrem Wunsche setzte ich ihr auch keinen Leichenstein, das einsame Kreuz, das Sie vielleicht schon einmal gesehen haben, bezeichnet die Ruhestätte.«

»Wie alt war ihre Frau Mutter, als sie starb? Besitzen sie ein Bild von ihr?«

»Ein kleines Medaillonbild, wollen Sie es sehen?«

Er reichte es ihr hin.

Inzwischen hatte sich der Himmel geklärt, es war wieder heller geworden, sie trat mit dem Bilde näher zum Fenster und betrachtete es lange und ernst.

Ein bezauberndes Antlitz leuchtete ihr entgegen. Sie reichte es ihm stumm zurück und fragte nach einer Pause.

»Wie lange ist es her, daß Sie die Eisengießerei hier erbauten?«

«Fünf Jahre, und seit dieser Zeit komme ich, weil ich eben ganz in meiner Thätigkeit aufgehe, nicht mehr heraus. Wer nicht vorwärts schreitet, der geht zurück. Sie hatten Recht, als Sie mir neulich sagten, daß ich noch im Mittelalter lebe.«

»O, bitte, das einsame Leben entschuldigt Sie nicht«, warf sie lächelnd ein. »Die Einsamkeit thut's nicht. Ich gebe zu, daß äußere Einflüsse viel bewirken, aber die finden Sie auch in Lektüre, die Sie hier haben können, in Bildern, o, ich gehe noch weiter, kommen Sie, bitte nur einmal ans Fenster, sehen Sie sich die Regenflächen an, sehen Sie, als Kind, wo ich ungeschickt dachte, wo ich verständnislos sah, da ärgerte ich mich darüber. Heute sehe ich den blauen Himmel darin, der sich abspiegelt! Oder, wenn sie nun jetzt den Heimweg antreten werden, passieren Sie den Wald, sehen sich die Regentropfen an, die am grünen Laub hängen, und dann frage ich Sie: Muß man hier, wenn überhaupt nur die Anlage dazu vorhanden, nicht edel, nicht brav, nicht zum Denken angeregt, nicht – poetisch werden?«

Althof lächelte und sie fuhr mit blitzenden Augen fort:

»Draußen in der Welt würden Sie den Cavalier spielen. Sie schlügen sich womöglich, wenn einer den Hund Ihrer Dame nicht so hübsch wie seinen eigenen fände, aber wenn heut ein armes Mädchen zu Ihnen kommt, um in irgend einer Weise Ihre Hülfe in Anspruch zu nehmen, sagen Sie: »Sie kennen mich wohl nicht.«

»Ich bin der Fabrikbesitzer,« ergänzte er jetzt lachend, »den verteufelten Satz kenne ich nun schon auswendig, so oft hörte ich ihn von Ihren schönen Lippen. Nun Fräulein Hela, bessern Sie mich. Sie können es!«

»Wieder höre ich von Jemand dies: »Bessern Sie mich, aber wer bessert mich?«

»O, Sie sind gut!«

»Nicht immer,« entgegnete sie träumerisch, »es ist etwas Unbändiges in mir. O, oftmals bereitet mir dies Schmerz. Sie wissen, es rast der See und will sein Opfer haben! Sehen Sie, in mir rast es auch immer und dann – ja, ich will's lieber sagen. Sie sollen nicht so gut von mir denken – dann wünschte ich mich mit Jemanden in einen Wortstreit hinein sprechen, mich darin erhitzen und den andern aufreizen zu können.«

»Wozu aufreizen?«

»Nun zum Kampf mit Worten, in welchem ich Siegerin bleiben möchte.«

»Sie sind sehr selbstbewußt.«

»Es kommt bei mir auf die Stimmung an.«

Er lachte hell auf, dann sagte er gut gelaunt: »Nun, mein Fräulein, wenn es einmal Ihre »Stimmung« bedingt, kämpfen zu wollen, so biete ich mich Ihnen zum Opferlamm an, ich ließe mich gerne von Ihnen besiegen.«

»Die »Wunden«, welche ich Ihnen beibrächte, Herr Althof, sie würden nicht tief gehen, es ist merkwürdig, selbst wenn es meine direkte Vornahme wäre, verletzen kann ich im entscheidenden Moment doch Keinen. Mir selber kann ich immer weh thun, aber nie Anderen.

Sehen Sie mal meine Hände an,« sie reichte sie ihm beide hin und zeigte die Handteller, »wissen Sie noch, damals, als Sie mir einen Strick in den Kahn warfen, da hab' ich mir die Hände daran blutig gerieben. Der Schmerz that mir so wohl, daß ich mir Handschuhe über die Wunden zog, um ihn länger zu erhalten, jetzt freilich ist es längst heil, aber ich habe lange einen wohlthuenden Schmerz daran gehabt. Und wenn es so tobt in mir, möchte ich mir immer von Neuem wehe thun.«

Er sah sie betroffen und lange prüfend an: »Seltsames Mädchen.«

»Da ist der Vater!« rief sie nun und ging dem Eintretenden entgegen.

»Der Weg ist ganz durchweicht,« Hub dieser an, »Sie werden gut thun, Herr Althof, noch bei uns zu verweilen, bis es ein wenig aufgetrocknet ist. Hela, besorge etwas zum Essen,« fuhr er zu dieser gewendet fort.

»Aber für mich nicht, ich danke Ihnen, Herr Lichthof, ich bleibe nie fort, wenn ich die Arbeiter noch nicht entlassen weiß, ich hatte dem Fräulein Gesellschaft geleistet, so lang sie allein war, nun Sie wieder zu Haus sind, gestatten Sie, daß ich mich empfehle. Fräulein Lichthof, darf ich wieder kommen? Sie wissen – in die Schule!«

»Die Schule, die Sie brauchen, kann Ihnen nur das Leben bieten und wenn Sie darin glücklich sein wollen, dann bedenken Sie, daß das Leben aus Tagen besteht.«

»Da haben Sie meine kleine Philosophin,« spottete der Alte und warf seiner Tochter einen etwas eitlen Blick zu, »wollen Sie Weltweisheit von ihr lernen?«

»Die werde ich nimmer erlangen, aber Ihr Fräulein Tochter versprach mir schon lange einen Vortrag über »Die Stellung des Einzelnen im Volke« und dergleichen mehr zu halten.«

»Was ich verspreche, weiß ich zu halten, und wenn Sie wieder kommen, dann werden Sie uns angenehm sein!«

*

»Ich freue mich,« sagte der Waldwächter zu seiner Tochter, als sie gemeinsam das einfache Abendessen einnahmen, »daß Du jetzt mit dem Fabrikbesitzer ausgesöhnt scheinst, sein Umgang ist ein Glück für uns und er ist doch unstreitig sehr nett.«

»Nett! welch' enger Begriff, – nett ist er, aber riesig unbedeutend, er kommt mir so – geistig unmündig vor, so ganz und gar nur – Fabrikbesitzer, d. h. als wollte er immer sagen: ich habe die Stellung, die ich einnehme, bezahlt. – Vielleicht, daß man etwas aus ihm machen kann, aber es ist langweilig, immer und ewig zu schmieden, ohne selbst einmal geändert zu werden.«

Der Alte sah sie strafend an, und dann kam es vorwurfsvoll von seinen Lippen: »Genau so würde Deine Mutter gesprochen haben!«

»Ja, ich bin ganz sie. – Habe ich auch ihre Natur, Vater? Ich glaube, sie war sanfter als ich,« – setzte sie weich und in traurigem Ton hinzu, »Du wolltest mir doch von ihr erzählen –«

»Sanfter ja, aber freilich war das wilde Blut auch in ihren Adern; ach Hela, wozu die Fragen! laß mich in Frieden, ich will nicht denken!« –

Er barg das Gesicht in den Händen. Seine Tochter trat zu ihm, umschlang seinen Hals und lehnte ihren Kopf an seine Schulter.

»Du hast sie sehr geliebt Vater, nicht, – so sehr wie sie es verdiente?« – Hastig löste der Alte die Arme seiner Tochter von seinem Hals, und erhob sich. »Gute Nacht,« sagte er dumpf und verließ das Gemach.

Die junge Dame biß sich in die Lippen »wie unzart von mir, weil ich von ihr reden will, reiße ich eine Narbe auf,« sagte sie sich.

Sie erhob sich, ging zum Bücherschrank und nahm einen Band heraus. Sie wollte lesen, – es ging nicht. Die Hunde schlugen an, erschrocken sprang sie in die Höhe, öffnete das Fenster, lauschte, nichts vernahm sie.

Sie setzte sich wieder an den großen, runden Tisch, der vor einem breiten Sopha stand und dachte nach. Aber sie vermochte ihre Gedanken nicht fest zu halten.

Was sie nicht gefühlt, war seit ihrer Bekanntschaft mit dem Fabrikbesitzer eingetreten. Mitten in irgend einer Thätigkeit, mitten im Empfinden, im Denken verlor sie den eigentlichen Faden und sein Bild stand plötzlich vor ihrem geistigen Auge.

Es quälte, es empörte sie, es brachte sie dies außer sich – aber es war so.

Mechanisch griff sie zum Bleistift und fuhr spielend damit über ein vor ihr liegendes weißes Blatt, sie bedurfte eines solchen stets beim Lesen, da sie ihre Ansichten und Meinungen über das Gelesene aufzuzeichnen pflegte. Bäume, Rosen zauberte sie hervor, ein kleines Häuschen, Katzen, Hasen und – da stand mitten darin sein Kopf; sie fuhr fast entsetzt in die Höhe, unbewußt hatte ihre Hand jene Conturen entworfen.

Mit einer hastigen Bewegung ballte sie den Papierbogen zusammen und warf ihn weit von sich in die entfernteste Ecke des Zimmers. »Pah, Phantasie!« sagte sie sich dann, »mein Herz hat doch damit nichts zu thun. Ob man nicht mit der Phantasie allein verliebt sein kann, – nur mit der Phantasie, ohne auch nur ein Atom vom Herzen zu geben?« – philosophierte sie weiter. »Mein Herz und mein Verstand haben gar nichts mit ihm zu thun. Wird eine Helene Lichthof einen Menschen lieben können, der sich zu groß fühlt, seinen Nebenmenschen zu helfen?«

An jenem Abend »ich bin der Fabrikbesitzer« das war ganz er. Man kann sich wohl zu klein fühlen, helfen zu können, aber zu groß – ha, ha! sie lachte, lachte, bis sie bitter zu weinen begann.

*

Und nun folgten Tage und Wochen, die ein Meer von Empfindungen in ihr wach riefen, an denen die Sonne erwärmend in ihr Herz drang, Lerchengesang ertönte, die Nachtigall sehnsuchtsvoll schlug, aber – an denen es auch tobte und raste bis zur hellsten Verzweiflung.

An solchen Tagen fühlte sie doppelt, was es heißt allein zu sein.

War sie auch kein Geschöpf, das sein Empfinden in Worte zu kleiden pflegte, so war doch Mädchenhaftes genug in ihr, anlehnend an ein Thema, das ihre Stimmung bedingte, sprechen zu müssen.

Ihn floh sie, sie mußte es, ihrem Vater war sie die hingebendste Tochter, daß aber etwas zwischen ihnen lag, fühlte sie instinktiv heraus, wenngleich sie keine Ahnung hatte, was es sein mochte, aber sich ihm fest anzuschließen, dazu war er von Natur zu kalt, das war ihr unmöglich. Und sonst war keine Menschenseele, kein Geschöpf, das geistig zu ihr gehörte, erreichbar. Und doch – hatte sie sich nicht selbst – bin ich nicht »ich« – sagte sie sich und ging zum Schreibtisch und richtete sich ein Tagebuch ein. Von da an hatte sie einen Freund gefunden, einen lieben Vertrauten. Sie wollte all ihre Gedanken, all ihr Empfinden ausströmen lassen, sie wollte sich durch befestigtes Denken erlösen.

Herr Hasso Althof saß in seinem Arbeitszimmer vor dem Schreibtisch, den Kopf in die Hand gestützt, und sah träumerisch in ein aufgeschlagenes Geschäftsbuch, ohne daß seine Gedanken dabei waren. Er dachte über Hela, die ihn ungemein interessierte, nach. Hela war nicht das von ihm ersehnte Ideal, sie war nicht liebenswürdig, nicht höflich, weil es modern, sie war keine Schönheit, aber sie war ein bedeutendes Weib, man mußte, das fühlte er, eine gewisse Größe besitzen, um ihre Individualität erfassen zu können.

Wie klein er sich ihr gegenüber vorkam! An Wissen war er ihr gewiß überlegen, aber kam es neben ihrem reichen Empfinden auf? Und nun überdachte er, wie schwer es eigentlich sei, mit einer solchen Frau zu verkehren. Bedeutende Frauen wollen behandelt sein, sie sind verdrossen, wenn sie sich nicht verstanden sehen, sich nicht genügend gewürdigt wissen, daß sie dies auch war, hörte er ja oft genug von ihren eigenen Lippen. Daß sie noch weit geistvoller und verständiger war, als sie ihm äußerte, und daß er lähmend auf sie wirkte, ahnte er nicht. Er empfand nur unangenehm, daß sie nirgends zufrieden, immer ruhelos, immer sehnsuchtsvoll war.

»Für die Ehe taugt die nicht,« meinte er zuletzt nach einer langen Konferenz mit sich selber und erhob sich. Er klingelte, worauf eine alte, sauber gekleidete Frau ein warmes Abendessen brachte.

»Frau Haberkorn, haben Sie schon einmal in Ihrem langen Leben gehört, daß junge Mädchen in steter Wut sind, selbst dann, wenn man sie nicht reizt?«

Die alte Frau lächelte geheimnisvoll und ward rot.

»Nun Frau Haberkorn?«

Die Alte nickte mit dem Kopfe und schritt zur Thür.

»Bleiben Sie, also das hörten Sie schon?«

»Ja, gnädiger Herr. So unbändige Weibsleute, deren Blut so heiß kreist, die sind immer verbost und immer gereizt, wenn sie verliebt sind. Drüben die Trine –«

»Schon gut, schon gut, gehen Sie!« herrschte er die Alte an, welche auch eiligst entschlüpfte.

»Wenn sie verliebt sind!« tönte es in ihm nach. »Wenn sie verliebt sind,« hallte es noch in seinen Ohren, als er sich unruhig auf seinem Lager hin und her warf und vergeblich den erlösenden Schlaf suchte.

Was ging es ihn denn an; wenn sie wirklich verliebt wäre? Er hatte doch mit ihr nichts gemeinsam. Aber er konnte sich der Vorstellung nicht erwehren, wie Jemand aussehen mußte, der diesem eigenartigen Mädchen gefiel. Was sie für Ansprüche an einen »seelenadligen Cavalier« machte, was sie zu fordern sich berechtigt fühlte und schließlich, wer war sie denn?

Ihres Vaters Existenz schien doch geheimnisvoll genug, seine und ihre Bildung ließen sich mit der niedrigen Stellung nicht vereinbaren, daß er also irgend etwas gethan, was die Oeffentlichkeit scheute, was seinen Rückzug aus der großen Welt bedingte, stand bei Hasso fest. Aber trotz seiner konservativen Ansichten fühlte er instinktiv, daß man Personen von Helas Wesen nicht mit dem Maßstab der Alltäglichkeit messen dürfe. Selbst dann, wenn sie das Kind eines Erbärmlichen wäre, wäre sie doch groß und stände rein vor ihm. Von einer solchen Frau geliebt zu werden – – das Blut drängte sich ihm heiß zum Herzen.

Und wenn sie gebunden wäre – – pah, was machte er sich daraus? er war gesund genug, nach einer Stunde den ersehnten Schlaf zu finden.

*

Wie verzaubert lag die stille Landschaft da, als Althof, was so selten vorkam, sein Pferd satteln ließ, um einen Spazierritt zu machen.

Er mußte den Stallknecht erst wecken, denn noch hatte die fünfte Stunde nicht geschlagen. So ritt er denn weit hinaus bis zum nächsten Dorf und als er auf dem Rückweg sein Pferd im Walde an einen Baum anband, um im Vorüberschweifen der Mutter Grab zu besuchen, war er nicht wenig erstaunt, Hela Lichthof an das Gitter desselben gelehnt und tief in Gedanken versunken stehen zu sehen. Sie hatte ihre Arme auf das Gitter aufgestützt, während die Hände das Antlitz bedeckten. Er war frappiert, gerührt, daß sie gegen die fremde Tote, von der er ihr gesprochen, so viel Pietät zeigte, deren Grab aufzusuchen.

Und woran dachte sie, nun sie so in sich versunken verharrte, – an ihre eigene Mutter? – –

Er wollte sich ihr erst nahen, ihr danken, danken – wofür?

Und nun beschloß er, sie allein zu lassen und sich so unbeachtet, wie er gekommen, wieder zu entfernen, er hatte sich überhaupt vorgenommen, ihr möglichst aus dem Wege zu gehen, was ging sie ihn denn im Grunde genommen an, – ihre anregende Unterhaltung, die ihm so viel Genuß gewährte, ihr logisches Denken, das ihm der Schärfe wegen, mit welcher sie Konsequenzen zog, so anziehend fremd bei einer Frau geschienen, nun – er glaubte es wieder entbehren zu können, lebte er doch vor ihr allein.

Und was wollte er denn schließlich von ihr? Sie erobern? – Das fiel ihm gar nicht ein, denn schließlich that alles nur das Seelische in ihr. Sie war hinreißend schön, um im nächsten Moment auch nicht eine Spur von Schönheit aufweisen zu können. Wenn sie ruhig und gleichgültig dreinblickte, hatte er ein ganz einfaches Mädchen vor sich, das zwar nicht alltäglich, aber mit gesenkten Augen durchaus unschön aussah.

Schlug sie diese aber auf, belebten sich die Züge, indem Begeisterung, Feuer der Leidenschaft aus ihnen sprach, – so war sie vollständig verändert, ein anderes hehres ideal schönes Weib sah er dann vor sich. Aber erst auf solche Momente warten – und schließlich, sie war ja verliebt, wie Frau Haberkorn konstatiert, verliebt in Einen, dem vielleicht all' das Feuer, das Glutvolle, Leidenschaftliche, wenn es aufflackert, galt.

Er war durch sein Selbstgespräch in gereizte Stimmung geraten, sein Pferd hatte er am Zügel, die kurze Strecke nach der Fabrik wollte er nicht wieder aufsitzen, die Gerte umspannte er krampfhaft, zu gern hätte er zuschlagen mögen, es zuckte ihm ordentlich in den Fingerspitzen.

Da, – was war denn das? – Von Weitem bewegte sich eine dunkle Masse im Gestrüpp des Waldes, es kam näher und nun sah er ein zerlumptes Weib mit zwei schmutzig aussehenden Mädchen, welche Beeren pflückten.

»Was habt ihr hier zu suchen?« fuhr er diese an. Keine Antwort erfolgte. Die Alte pflückte ruhig weiter, das eine Mädchen hielt sich scheu an ihrer Seite, wogegen die größere, vielleicht fünfzehnjährige, die Zähne in die Lippen biß und eine kampfgerüstete Stellung einnahm.

»Nun, werde ich Antwort erhalten?« fragte er jetzt lauter, noch strenger.

»Ich dächte, Ihr seht es!« gab die Alte mürrisch zurück, »wir pflücken Beeren, die tragen wir nach der Stadt zum Verkauf und mit dem Erlös füttern wir unsere Göhren. Wir müssen arbeiten bis aufs Blut fürs bloße bischen Essen und können nicht so wie Ihr, am frühen Morgen spazieren reiten.«

»Wißt Ihr aber nicht, daß es ausdrücklich verboten ist, hier Beeren zu suchen? Soll sich hier noch mehr Gesindel zusammenfinden, als ohnehin vorhanden ist? Macht, packt Euren Korb auf und marsch fort hier!«

Er zeigte mit der Hand nach der Richtung, die sie einzuschlagen hätten.

Jetzt trat das größere Mädchen vor und mit einer Geläufigkeit, die man diesem bleichsüchtigen, stupid aussehenden Geschöpf nicht zugetraut haben würde, sprach sie höhnisch:

»So, Sie haben uns gar nicht gehen zu heißen, der Wald gehört nicht Ihnen, sondern dem Fürsten, und wenn einer zu reden hätte, wäre es der Waldwächter; aber der wird sich hüten, der ist froh, wenn wir ihm nichts zu Leide thun. Wenn der Fürst aber nicht haben will, daß wir Beeren sammeln, so soll er weniger Paläste bauen und uns mitfüttern. Und wenn Ihr Reichen noch weiter so großmäulig zu uns sein werdet, dann zünden wir Euch eines Tages die Bude über'm Kopfe an.«

»Ihr verdammtes Gelichter!« kam es wütend über Althofs Lippen, als ihm noch dazu das freche Lachen der Alten empörte, und er schlug mit der Gerte über die Schultern des Mädchens, daß diese laut aufschrie. Auch die Alte, welche hinter diesem stand, war berührt und zwar so unglücklich, daß ihr die Spitze der Gerte direkt ins Auge ging. Als der Schlag fiel, stand Hela wie aus dem Boden gewachsen neben dem Weibe. Leichenblaß und mit verächtlichem Blick sprach sie mit fliegendem Atem:

»Eine solch' widerliche Szene sah ich noch nie!«

Er sagte nichts, schwang sich auf sein Pferd und den Leuten zurufend: »daß ich Euch nicht noch einmal treffe,« war er verschwunden.

Hela machte sich nun daran, das Auge der Alten, das diese stöhnend zuhielt, zu kühlen und befahl dem jungen Mädchen ihr Taschentuch, das sie ihr einhändigte, im nahen See einzutauchen und band es dann, als dies geschehen, der Alten um. Der Schlag, den das junge Mädchen erhalten, war nicht arg, desto mehr lamentierte diese und die Jüngste streckte ihre Zunge der Länge nach heraus, als der Fabrikherr längst außer Sicht war.

»Kommt mit mir,« hub jetzt Hela an, »wir wohnen nicht weit, dort im Waldhäuschen, ich werde Kompressen auf Euer Auge legen und Ihr könnt Euch auch ausruhen, hungrig werdet Ihr ja auch wohl sein.« – –

.

Wie gern sie arbeiten wollten und wie sich keine Arbeit fände, erzählte die Alte, und wie die Reichen schlecht seien und ganz ohne Mitleid, und wie der Fabrikbesitzer da drüben schon einmal mit einem Revolver einem gegenübergestanden, den er erschießen wollte, weil er gebettelt und dabei sein Reichtum! und der Hochmut!

Hela lief geschäftig hin und her, brachte einige Kleidungsstücke für die Mädchen, gab ihnen zu essen und zu trinken.

»Ihr werdet auch schmale Bissen haben,« meinte die Alte zu Hela, sich in der Küche umschauend, »darum wißt Ihr, was es heißt, darben zu müssen, so ein Waldwächter hat auch so gut wie nichts. Was?«

Die junge Dame antwortete nicht, meinte nur, sie würde sich entschließen, da doch das ältere Mädchen, wie sie sagte, gern arbeiten wolle, diese in Dienst zu nehmen. Man zeigte sich darüber sehr erfreut und beim Fortgehen wurde verabredet, daß das junge Mädchen in einigen Tagen antreten möge.

Sie kam nicht, aber als Dank für ihre Gastfreundschaft fehlten Hela zwei silberne Löffel und von dem Tage an wurde sie Bettler und Gesindel nicht mehr los.

Nach und nach sah sie auch ein, daß in dieser Gegend das Volk allerdings unersättlich und falsch war, und sie fand es jetzt verzeihlich, daß der Fabrikbesitzer sie, da er sie zu jenen gezählt, am ersten Abend ihres Hierseins, wo sie um seine Hilfe bat, zurückgewiesen.

Hier hatte man freilich auf sein Leben zu achten und durfte sich nicht mit Handschuhen in eine Löwengrube begeben. Alles erschien ihr jetzt in milderem Lichte und sie nahm sich vor, eingehender über die hier herrschenden Zustände zu sprechen.

Und als sie dies gethan, begann sie sich im Stillen immer mehr und mehr zu seinen Ansichten zu bekennen.

Jener, dem er in der That mit dem Terzerol gegenübergestanden, hatte ihn einfach auf offener Chaussee überfallen wollen, um ihn zu berauben und nur dem Umstand, daß er nie ohne Waffe ausging, verdanke er sein Leben. In der ersten Zeit seines Hierseins hatte er wohl hochherzige Ideen gehabt, wohl hätte er sich mit der ganzen Hingabe, deren er fähig war, der heiligen Aufgabe, das Volk zu erziehen, es zu bessern, zu belehren, unterzogen.

Nachdem er aber tausendfach eingesehen, wie neidisch, mißgünstig und falsch die Leute hier seien, habe er verzweifelt seine Thätigkeit eingestellt, die ihm nur den Haß der Menschen, die ihn nicht zu verstehen vermochten, eingebracht.

»Nun, da ich ihre Liebe nicht erringen konnte, so sollen sie wenigstens nach dem Hasse noch ein Gefühl für mich haben,« schloß er, »nämlich: Furcht. Und die müssen sie haben, sonst ist keiner seines Lebens sicher.«

*

»Und ich glaube doch, daß Sie die Einsamkeit nicht ertragen, das Alleinsein wirkt unvorteilhaft auf Sie. Nicht wahr, Sie wollten gern fort, wenn Sie nicht so pflichttreu wären?« sagte eines Nachmittags Althof zu Hela, als er sich zum Kaffee bei ihr einfand.

Sie sah ihn forschend an, daß er wie ein Mädchen errötete, preßte ihre schmalen Lippen aufeinander und ein ironisches Lächeln, das sich immer zeigte, wenn sie Gedanken erraten zu haben glaubte, umschwebte ihren Mund.

Er hoffte eine Antwort zu erhalten und wartete auf diese, vergeblich. »Sie sind gewiß immer an Gesellschaft gewöhnt gewesen,« hub er von Neuem wieder an, »vielleicht auch an die Gesellschaft – eines Einzelnen?« –

»Eines Einzelnen?« – Ihr Blick führte das, was sie sagen wollte, mehr aus, und fast verlegen sagte er:

»Nun ja, Großstädterinnen pflegen doch meist einen Chevalier zu haben, der bei ihnen »Dienst« hat, Rapport erstattet, Begleitungen übernimmt, nicht immer in Bezug auf Musik, kurz der – der –«

Wie ein Wetterleuchten ging es jetzt durch Helas Seele, guckte da nicht an allen Ecken und Enden in der gepreßten Stimme, in der ganzen Haltung ihres Gegenüber etwas wie Eifersucht – ist man eifersüchtig ohne Liebe?

Sah es nicht aus, als begann er zu sondieren?

Nun war es wieder um ihre Ruhe, die bereits eingekehrt schien, geschehen!

»O, ja, den hat man schon!« antwortete sie hastig, fast unbewußt.

Nur um etwas zu erwidern, sagte er traurig: »Und nun sind sie so allein.«

»Allein ist man immer, ob man da draußen oder hier ist,« warf sie in ihrer hastigen Weise ein.

»Sehen Sie das Zimmer, da bin ich nun immer das einzige Wesen. Wäre ich nun aber in einem Salon, der mit so und so viel lebenden Figuren geziert ist, die alle sprechen, alle lachen und mir Geist zufächeln, – bin ich da nicht allein, allein in der großen Welt unter Menschen, so wie ich hier allein bin in der kleinen unter toten Gegenständen.«

»Aber Sie haben dort Ableitung« –

»Die kann ich auch hier haben. Gott gab mir Phantasie und Geist. O, ich brauche nur zu zaubern und da sind alle die Männlein und Fräulein, alle Herrlichkeit und Sonnenschein der Erde.«

»Ja, eine Zauberin sind Sie!«

Sie hörte den Einwurf nicht und fuhr fort: »Nun, und glauben Sie mir, es hatte mich oft genug verdrossen, wenn ich da draußen gesucht und gesucht und nie Jemanden gefunden, mit einem großen Geist, so erbärmlich klein wie ich besonders die Herren in der Gesellschaft gefunden, o, so erbärmlich, und ich meine vor dem Weibe ist es der Mann, der ein Zeitalter bildet.«

»O bitte, mein Fräulein, das Weib erzieht, und aus der Erziehung geht der Mann hervor, wie sie säet wird sie ernten.«

»Meinen Sie? nun, wenn der Landmann aber auf dem Felde gesäet hat und der liebe Himmel schickt ihm ein schlimmes Wetter, und der Hagel schlägt alles entzwei? Der kranke Zug, der durch unsere Zeit geht, verdirbt alles. Sprechen Sie mir nicht vom Weibe, das hat noch alle Zeit seine Schuldigkeit gethan! Sehen Sie sich in der Geschichte um, – fehlte das Weib, so fehlte sie nach dem Manne. Ihre Sünde war seine That. So auch heut. »Wo ist die Frau?« sollte abgeschafft werden, »wo ist der Mensch?« sollte man jetzt fragen, wenn etwas passiert.«

Er lachte und sie sah zum ersten Mal wie unendlich reizvoll er lachen konnte, ja es kam ihr vor, als stände jetzt ein ganz anderer vor ihr. War er denn jener, der ihr so oft herrisch und gebietend gegenübergestanden hatte? Seine kraftvolle Schönheit, sein hellblondes Haar, zu dem seine dunkelbraunen, fast schwarzen Augen den denkbar schärfsten Kontrast bildeten, fielen ihr jetzt erst auf.

»Weshalb sind Sie auf die Herren so bös zu sprechen, mein Fräulein?« fragte er neckisch und kam auf den Gedanken, daß sie vielleicht böse Erfahrungen gemacht.

»O, ich spreche nicht persönlich, Herr Althof, es macht mir nur immer Vergnügen, mich einmal über unser unglückseliges Zeitalter aussprechen zu können.«

»Und Sie wälzen alle Schuld auf die Schultern des Mannes?«

»Die meiste, ja. Unsere Ehen, – Scheidung und wieder Scheidung, Aufhebung von Verlöbnissen, Anbahnung und Abbrechung von »Verhältnissen« und dergleichen mehr ist das modernste Programm. Und nun hören Sie wie das zugeht. Ich spreche jetzt nur von den Herren. – Man wird geheiratet, weil man Geld hat, Gut! Sie, welche das Entree bezahlt, wird für Geld und gute Worte in einen Palast gefahren, wo sie gut gefüttert und verpackt wird. »Er« zieht unbeirrt seinen Weg, den sie bezahlt. Wird sie sich daraufhin nicht nur zubald der Oede ihres Herzens bewußt, ist es nicht ganz natürlich, daß sie im Strudel der Gesellschaft Vergessenheit sucht? – Und kann ihr das »Leben« das ersetzen, was eine Menschenseele, die man ganz sein eigen nennt, gilt? Können Sie es ihr nun verdenken, daß sie immer und immer vor sich hinsummt: »Gieb mir, Gott, der alles sieht, eine Seele, die mich liebt.« Sie also sucht, andere wissen daß sie sucht und wie gut sie ihre Liebe zu bezahlen versteht, man weiß, daß der Palast, den sie bewohnt, von ihr stammt, man besucht die Gesellschaften, die ihr Geld kosten und man fängt dort an, ihr für das Geld den Hof zu machen. Nun, und sie läßt sich das gern gefallen, nur zu gern, sie nippt, wie der Schmetterling an dem Saft der Blumen, von den Herzen der Menschen, noch findet sie keinen nach ihrem Geschmack. Sie muß aber weiter, weiter, fieberhaft weiter. Zu der Ausfüllung ihres Herzens, welche sie sucht, erwacht weibliche Eitelkeit, denn sie bedenkt nicht, daß dieser oder jener Don Juan nur zu ihr kommt, weil er Chancen hat, weil ihm ihre Umgebung gefällt, nicht sie selbst. Sie wird – wenn auch früher nichts davon in ihr zu verspüren war, kokett. Kokett schon um ihrem Gatten zu zeigen, daß Andere mehr Sinn, mehr Verständnis für ihre Reize haben, als er, der Eigenschaften bei Andern sucht, die sie besitzt, die ihm aber, der keine Zeit für sie hat, entgehen. Nun überrascht er sie wirklich einmal bei einem Herzenserguß an einen Freund, und man scheidet sich. Da haben Sie einen Riß. Er ist dabei arm geworden, sie um ihren Ruf gekommen. Und nun geht es bei Beiden von Stufe zu Stufe.« –

»Und wer hat nun Schuld daran?« –

»Doch nur der Mann, warum heuchelt er solch einem Wesen Liebe, die er ihr nimmer geben kann, um ihr Vermögen zu ergattern? Hätte er ihr den wahren Beweggrund gesagt, ganz offen gesagt, ich heirate Dich des Geldes wegen, da hätten wir doch einmal sehen wollen, was sie geantwortet. Vielleicht hätte sie sich dazu verstanden, sie hätte ihr Leben aber dann von vornherein anders gestaltet, sie hätte sich keine glückliche Ehe erträumt, sondern wäre einen Pakt eingegangen, der vielleicht der Neuheit wegen Reiz gehabt hätte. Aber Scherz bei Seite, ich meine es wirklich, wir müssen eine Reaktion für unser Zeitalter herbeiführen, d. h. wir müssen in unseren Ansprüchen und unserer Lebensweise entschieden einfacher werden. Passen Sie einmal auf, sobald Hütten wieder ein gesuchter Artikel werden, Hütten, die nur Raum für zweie haben, werden wir glücklicher.«

Er lachte und sie fuhr darin einstimmend fort: »Nun ja, zwei Menschen sind fast immer glücklich, aber kommt nun erst Nr. 3 hinzu, weiblich oder männlich, ganz gleich, so macht sich ein leichtes Verstimmtsein fühlbar. Die dritte Person tröstet die erste oder zweite über ein eingebildetes Leid, das nur da sein soll, um die dritte Person zu unterhalten, resp. zu beschäftigen, und so sicher wie das Amen in der Kirche, muß entweder Einer sehr, oder alle Drei erträglich unglücklich werden. Und dieses Unglück ist ein modernes Emaille, das sich gewöhnlich über die angekränkelte Jugend ergießt. Wenn sie heut zu Tage nicht zu darben brauchen, wofür sie ihrem Schöpfer danken könnten, wollen sie doch wenigstens – schmachten, um dabei interessant blaß zu erscheinen.«

»Aber, mein Fräulein,« rief belustigt der Fabrikbesitzer aus, »wo in aller Welt haben Sie denn so tiefe »Studien« gemacht?«

»Da draußen!« Sie machte eine Bewegung mit der Hand.

»Sie haben immer nur in exklusiven Kreisen verkehrt?« fragte er, wie um – da sie in der Extase – eine vorschnelle Antwort zu erhalten.

Sie schüttelte hastig den Kopf. »Wenn es nach Tanten gegangen wäre. Aber sehe ich aus, als ob ich nur »Nichte« wäre? In der Volksklasse habe ich mich gerade so viel bewegt, wie in der sogenannten »guten Gesellschaft« und dort habe ich oftmals ein Lächeln nicht unterdrücken können, wenn ich von einer oder der anderen Vereinsdame aus der Gesellschaft Pläne gehört, wie man wohl »das Volk« bessern könnte. Wie oft war ich nahe daran zu antworten:

»Vielleicht könnte eine Frau aus dem Volke auch Dich bessern!« –

»O, das wäre aber doch ein wenig zu weit gegangen.« –

»Wieso? Fehlt ein Weib aus dem Volke, so ist das freilich traurig genug, aber weiß es immer, daß es gefehlt? Das ist stark die Frage, denn es war niemand da, der dem aufwachsenden Mädchen sagte, so und so hast Du zu leben. Anders in unserer Gesellschaftsklasse! – Wenn da ein Weib, wenn da ein Mann fehlt, es findet sich dafür kein mildernder Grund. In einer Zeit, wo die Bildung des Geistes eine Ausdehnung angenommen, die fast die höchste Stufe erreicht hat, muß die Moral vor allem am allerhöchsten, am allerheiligsten dastehen.«

»Sie haben vorhin von einem sozialistischen Pakt gesprochen, wenn Sie sich gar zu dieser Farbe bekennen, so würde ich jetzt die äußersten Konsequenzen ziehen und mit diesen den Umsturz jener Theorien vollständig herbeiführen.«

»O, bitte, erstens sprach ich von einem spekulativen Pakt, nicht von einem sozialistischen. Im übrigen gehöre ich keiner Verbindung an. Ich gehöre allem zu und nehme von allem das Beste, das Passendste für mich, braue mir meine eigene Politik.

»Das ist das Klügste, was man thun kann,« ertönte es jetzt durch das geöffnete Fenster, Helas Vater zeigte sich im Rahmen desselben. Auch sein großer Hund legte seine gewaltigen Tatzen auf den Sims des Fensters und schaute gelangweilt ins Zimmer hinein.

Die junge Dame wie Althof traten hinzu, Hela streichelte liebkosend des Tieres Kopf und der Alte erzählte von seinen Beschäftigungen im Forst.

Die laue Luft drang erfrischend in das Gemach hinein, die Sonnenstrahlen umspielten Helas Haupt und ließen ihren Teint heller erscheinen.

Sie war bei guter Laune und hatte sich augenblich gut unterhalten. Nun lockte der schöne Herbsttag hinaus ins Freie, Vater und Tochter begleiteten den Gast bis nahe zu seiner Wohnstätte, wobei ein Umweg durch den Wald gemacht wurde.

Am andern Tage blieb Lichthof zu Hause. Er schrieb und las abwechselnd, spielte mit den Hunden und verkürzte sich die Zeit durch Rauchen. Gegen Abend stellte sich der gewohnte Gast ein. Als ihn Hela vor dem Hause, wo der Vater saß, reden hörte, war es ihr, als müßte sie ihm jubelnd entgegen eilen. Der gestrige Tag hatte ihn ihr so viel näher gebracht, sie glaubte ja da seine Seele erkannt, seine kraftvolle Schönheit, zum ersten Mal gesehen zu haben, und dieses Aeußere als reizvolle Zugabe von der Natur zu betrachten, war Hela Weib genug. Sie hatte sich den ganzen Tag gesehnt, seine Stimme zu hören, und nun er da war, überkam sie plötzlich ein so scheues, beklommenes Gefühl, daß sie sich nicht vom Platze zu rühren vermochte. Ihr Herz klopfte. Ueber das »Warum?« wollte sie sich nicht fragen, sie schalt sich thöricht, und es stieg eine Verbitterung gegen ihn, der sie einschüchterte, auf.

»Ich ihm ein Gefühl verraten, ich ihm?« sprach sie trotzig, »o, da müßte ich nicht Hela Lichthof sein, weil ich liebe, soll ich schwach sein? – Nein, ich setze an Stelle der Liebe die Kraft. Was ist die Liebe des Weibes dem Manne, der nicht groß genug ist, sie zu erfassen? Bin ich denn nicht stark genug, ein Gefühl zu begraben? Wenn ich heute häusliche Arbeiten verrichte, die früher meine Dienerin gethan, bin ich deshalb Magd? Ich bin »ich«, und kein Gefühl kann mich herabziehen.«

So sprach Hela zu sich, immermehr wollte sie sich ummauern und immermehr sah sie ein, daß sie ihr Herz, daß sie ihre Seele an ihn verloren. »Das klügste Weib ist dem Manne gegenüber schwach«, grollte sie, und wenn er an Tagen, wo sie am schwersten ihre Liebe zu ihm empfand, kam, mußte er Launen von ihr ertragen, die ihr Vater als unerhört bezeichnete.

Mit letzterem sprach sie oftmals tagelang so gut wie nichts, sie begann ihm zu zürnen, daß er sie mit hierher genommen, und nach einer qualvollen Nacht, in welcher sie darüber nachgedacht, wie ihr Vater, dem sie doch so wenig galt, in ihr Leben eingegriffen, und als sie sich gestand, daß sie durchaus gezwungen war, Althof zu fliehen, kam ihr der Entschluß, ihrem Vater zu sagen, daß sie nicht länger bleiben könne.

Sie wollte Althof ersuchen, die Dienerin, die er so oft für sie angeboten, dem Vater zu überlassen.

Ruhig, in maßvoller Weise wollte sie ihr Vorhaben dem Vater vortragen, aber es kam anders. Am folgenden Tage war auch er verstimmt, es ward ihm gemeldet, daß der Fürst einen Revisor zu senden gedachte, im Forst waren Unregelmäßigkeiten vorgekommen und was nie vorher passierte, er war, weil mit sich selber, auch mit Hela unzufrieden.

Er sprach gereizt über ihre Unliebenswürdigkeit dem Fabrikbesitzer gegenüber, die sie einen Abend zuvor wieder bekundet hätte, und schließlich meinte er, daß ein so kluges Mädchen, wie sie es sei, nicht so schroff gegen Jemand, der so einsam dastände, handeln dürfe. Auch sei die Frau zuerst im Stande, Eigenschaften, die sie rüge, aus dem Charakter des Mannes zu entfernen. Eine gescheidte Frau leite den Mann, ohne daß er es merke. Und Althof, der zwar edel sei, wolle sich so gern von ihr bessern lassen. »Du bist doch sonst so mitleidig und gut,« schloß er seine Rede, »warum gerade zu ihm so kalt, so gefühllos?« Da sprang sie auf. Sie hatte gehofft, bei dem Vater Schutz gegen sich selbst zu finden, sie hätte zur Not gesagt, warum sie gehen wolle und nun vernahm sie, daß er gar ein Nähertreten erhoffe. Jetzt brach ihre leidenschaftliche Natur ganz durch, als sie ihrem Vater gegenüberstehend anhub: »Rede mir doch nicht tausend Mal von einer »klugen Frau,« ich soll ja das zur Genüge sein und sage mir doch nicht immer, was ich zu thun hätte. Hat jemals einer an mich gedacht, hat mir irgend Jemand verbessernd zur Seite gestanden? Mit mir hat noch kein Mensch Mitleid gezeigt.« Sie schwieg, fuhr dann aber leidenschaftlicher fort:

»Seht Euch doch ein verkrüppeltes Wesen an, ein Menschenkind mit einem Arm, mit halber Hand oder gar ohne Fuß. O, wie das Mitleid erregt, wie Eure Seele blutet bei dem Anblick eines leidenden Wesens! Aber ein Mensch, der seelisch verkrüppelt, ein Mensch, in dem man alle Gefühle erstickt mit dem Betäubungs- und Beruhigungsmittel »Vernunft«, der flößt Euch Bewunderung ein. Ich bin ein solcher Krüppel. Zu mir kam alles, um Kraft zu sammeln, die ich in Fülle besaß, zu mir flüchtete sich Jeder, wenn er sich selbst, sein Bestes im Leben verloren, zu mir kam man mit erstorbenem Herzen, mit krankem Sinn, mit gebrochenem Mut. Ich bekam nur den Rest des Menschen. »Denke für mich, handle für mich,« hörte ich von der zartesten Jugend an. Ich war ja die starke Seele, die so viel zu ertragen vermochte! Ich that alles aus Edelmut, ich konnte nicht anders, es wohnte von der Mutter her in mir, aus Stolz, über einer Anzahl Menschen zu stehen, vielleicht auch aus Eitelkeit, zu zeigen, was ich vermag. Ich that alles – weil ich mich nicht fühlte. Aber heute – umgebt mich wieder mit den Mauern der Vernunft, legt mir wieder die Ketten der Konvenienz an, und ich zersprenge sie mit einem einzigen Rucke! Draußen, in der Welt, habe ich meine seelische Kraft geübt, hier in der Einsamkeit meine physische. O, wie ich sie wachsen fühlte, die Kraft, Tag für Tag, wie ich stark dabei werde in dem Bewußtsein, daß ich Großes zu vollbringen vermag in einer Welt, di« mir genügt und die ich mir schaffen werde.

Vater, ich flehe Dich an, laß mich fort. Heute, morgen, wann Du willst, aber bald! bald! Hier ersticke ich, die Luft – die Einöde – die Gegend – sie erdrückt mich. Giebt uns die Natur Stimmung, oder bringen wir diese in die Natur hinein – das fragte ich mich oftmals. Jetzt weiß ich es: Nur die Natur wirkt auf uns. Das Tote hier um mich her, es läßt mich mein Leben spüren –«

»Und der Wald?« fiel der Alte, der ganz erstarrt über den Ausbruch seines Kindes zugehört hatte, jetzt ein, »der Wald? O, der – der – im Walde – –«

Ein Klopfen an der Thür unterbrach das Gespräch, der Fabrikbesitzer trat ein. Betroffen wollte er sich wieder zurückziehen, als er Vater und Tochter sich einander gegenüberstehen sah. Der Alte hatte noch fast entsetzt seinen Blick auf ihr ruhen. Hela selbst stand mit geröteten Wangen und blitzenden Augen da.

Althof machte Anstalten das Zimmer zu verlassen, – da ermannte sich der Alte, indem er auf ihn zuging und seine Hand auf des jungen Mannes Schulter legend, anhub: »Sie sehen uns in einer eigenartigen Stellung, in eigentümlicher Situation. Hela ist krank, die Einsamkeit hier macht sie fiebernd, wenn Sie die Güte hätten, uns Gespann zur Verfügung zu stellen, fahre ich sie morgen zur Bahnstation, sie geht zurück nach B.« –

Das junge Mädchen hatte das Gemach verlassen, sie saß im Nebenzimmer in sich zusammengesunken und hörte, wie der Vater dem Gast erzählte, daß er erschrocken über ihr unstätes Wesen sei, und daß das spanische Blut fast noch heißer in ihr rolle, als in den Adern seines Weibes, von der er zum Entsetzen Helas ohne jedes Zeichen von Rührung sprach.

Und dann, sie mußte ja weiter hören, sie fühlte sich zu matt, um sich erheben zu können, sprach auch Althof wie er Hela zuerst auf den See bewundert, wo sie ihm so schön erschienen, wie er aber dann gesehen, daß ihre Schönheit nur von der Stimmung abhänge, wo sich das Seelische auf ihrem Antlitz abspiegele. Oftmals hätte er sie im Stillen direkt häßlich genannt, aber eine Frau ihres Schlages sei auf schön oder unschön nicht zu taxieren, er habe einen Blick in ihre Seele gethan, das Wetterleuchten schrecke ihn nicht.

»Stark kann man an ihr werden!« sagte er begeistert und nach einer Pause hörte sie ihn feierlich in einem Ton, der so bittend, so ängstlich, so warm zum Herzen dringend war, sagen:

»Herr Lichthof, ich liebe Ihre Tochter. Wie sehr ich mich anfangs gegen das Gefühl gesträubt, wie ich gelitten, ehe ich mich meiner Liebe freuen durfte –«

Ein Stuhl fiel krachend zur Erde, sie hörte Schritte, als ob einer dem andern näher treten wollte und dann vernahm sie nichts mehr. – »Ich liebe Ihre Tochter«, tönte und rauschte und klang es in ihren Ohren und dann – ein seliges Aufgelöstsein.

*

Lange nach dieser Szene saß Hela noch, ihren Kopf in die Hände gepreßt, ohne zu denken, ohne etwas zu empfinden, eine unheimliche starre Ruhe hatte sich ihrer bemächtigt. Die Thür öffnete sich und mit der Lampe in der Hand trat ihr Vater ein. Fast entstellt war sein bleiches Antlitz, die Augen schienen tief eingefallen, und heiser kam es von seinen Lippen:

»Du sollst morgen fort, Hela, und ehe Du gehst – ich bin Dir so viel Rechenschaft schuldig, – will ich Dir erzählen, warum ich hier bin. Du weißt nichts von Deinen Eltern« – – – er vermochte nicht weiter zu sprechen, die Stimme versagte ihm, er sank auf einen Stuhl. Hela richtete sich müde aussehend aus, sie meinte, daß nun Althofs Geständnis zur Sprache kommen würde.

»Ich habe Dir viel zu beichten, mein Kind, und ich weiß es, bei Dir kann ich Verständnis erhoffen, Deine seelische Kraft ist Dein Erbteil von mir, Du wirst mich eher verstehen, als die Menge da draußen.«

»Vorher aber muß ich eine Frage an Dich stellen«, fuhr Helas Vater fort.

»Nach der Unterredung, die wir Nachmittag hatten, und die einen Charakter angenommen, den ich, ach nur zur genüge, von Deiner Mutter her kenne, muß ich fast das Schmerzliche annehmen, denn die Leidenschaft, mit welcher Du sprachst, sie bekundet sich bei den Fredos immer mit dem, was sie Liebe nennen. Liebst Du Althof?«

»Erlaß mir die Antwort!«

Eine lange Pause trat ein, der Alte erhob sich, nahm die Lampe vom Tisch und stellte sie auf einen fernstehenden Schrank, als wollte er möglichst wenig Licht.

Als er wieder Platz nahm, begann er mit tonloser Stimme:

»Hela ich habe Dich deshalb hierher mitgenommen – ich ging deshalb hierher, – um ihm nahe zu sein – meinem Sohne.«

Wie von einem elektrischen Schlage berührt, sprang das junge Mädchen auf, mit entsetzten Zügen starrte sie den Vater an, den sie irre redend glaubte. »Wem wolltest Du nahe sein?« fragte sie zitternd, beklommen.

»Meinem Sohn, Hela, – Althof ist mein Kind.«

Ein Schrei so jäh und gräßlich erfüllte den kleinen Raum, wie ihn der Alte nie zu hören geglaubt.

Hela war ihrem Vater zu Füßen gesunken. »Vater das kann nicht sein, Vater, erbarme Dich meiner, sage, daß Du irre redest, Vater, es ist entsetzlich, o, mein Gott!«

Er hob das zitternde Mädchen auf und zog sie an sich, sie rührte sich nicht.

»Hela, komm zu Dir, komm zu Dir, stirb nicht – Deine Mutter –«

Als ob sie das Wort erweckt hätte, sie hörte wieder. »Meine Mutter?« Mit starrem Auge blickte sie ihren Vater an.

»Wenn Du nicht ruhig bleiben kannst, – soll ich Dir morgen, ehe Du abreisest, weiter erzählen?« Er zitterte merklich und seine Zähne schlugen aufeinander.

»Sprich weiter,« kam es matt von ihren Lippen. Sie setzte sich wieder auf das Sopha, den Kopf hatte sie auf den Arm gestützt und hörte nun ruhig verharrend zu.

»Ein Jahr, ehe ich Deine Mutter kennen gelernt, die, wie Du weißt, eine entfernte Verwandte von mir war, war ich verheiratet in unserem Sinne, an ein Weib das all mein Empfinden, mein ganzes Dasein ausfüllte. Von ihrer Schönheit, von der Reinheit ihres Wesens, von dem Adel ihrer Seele, die ich trunken einsog, davon könnte kein Dichter singen. Ein verkörperter Sonnenstrahl war dieses engelhafte Geschöpf, das ich noch heute über das Grab hinaus, mit der Liebe eines Jünglings verehre und liebe. Wir lebten so glücklich, wie kaum noch zwei Menschen auf Erden.

Aber wir waren – die Verhältnisse erforderten es so – nicht getraut, und als ich nach langer Urlaubszeit wieder in meine Garnison zurückkehren mußte, sah es meine Gattin selbst ein, daß ich sie unter den obwaltenden Umständen unmöglich mitnehmen konnte. So kamen wir denn überein, daß wir zwar nicht mehr beisammen, doch nahe bei einander wohnen wollten. In der Garnisonstadt residierte Deine Großmutter, ich kam als Verwandter in ihr Haus, widerstrebend, denn es existierte kein Weib außer meiner Alice für mich auf Erden, und Deine Mutter, – sie zeigte mir nur zu bald, daß ich ihr gefiel. Was weiter vorgefallen, Hela, ich verschweige es Dir, um Dich zu schonen. Ich heiratete Deine Mutter, bot Alles auf, sie glücklich zu machen, aber sie wollte Liebe, und mein Herz gehörte einer andern wie Du weißt.«

»Wußte meine Mutter vor ihrer Hochzeit davon?« unterbrach ihn Hela mühsam sprechend.

»Nein, auch ahnte sie während der sechs Jahre unserer Ehe, die für mich eine Marter ohne Ende war, nichts, ich habe sie nur geheiratet, um gewissermaßen eine Ehrenschuld zu tilgen. Eines Tages aber, als ich zur Jagd gefahren war, gelüstete es sie, die mich eifersüchtig genug bewachte, meinen Schreibtisch zu erbrechen, sie fand darin einen Brief, den ich wie ein Kleinod noch heute bewahre, er war von meinem Lieb, von der Mutter Hassos. Dieser gab Aufschluß über mein verschlossenes Wesen ihr gegenüber, er sagte ihr bis in die kleinsten Details alles das, was ich ihr zu verbergen gesucht. Als ich heimkam, fand ich sie tot am Boden liegen, ihre Hand umspannte den zusammengeballten Brief meiner Geliebten, sie hatte ihn gelesen und war vor Entsetzen darüber am Herzschlag gestorben.

Hier hast Du das Schicksal Deiner Eltern, wir waren beide nicht glücklich. Mein Engel hatte bald nach meiner Heirat, wie ich gehört die Augen geschlossen, ihr gehörte mein Leben, ihr meine Trauer. Und nun findest Du es doch begreiflich, daß ich nach ihrem, nach meinem Kinde mit verzweifelter Anstrengung suchte, daß ich mein ganzes Leben daran gesetzt, es zu finden. Begreifst Du, wie es mich geschmerzt, wenn Du ihn so fremd, so kalt behandeltest, kannst Du ermessen meine Qual, gleichgültig neben ihm herzugehen, ohne ihn, das Kind meiner Alice, an mein Herz zu ziehen. Seine Augen – es sind die ihren. Seine Bewegungen – es sind die seiner Mutter. Ich vergöttere diesen Menschen, nicht allein als mein Kind, als ein Teil ihres Selbst. Wie dankte ich dem Schöpfer, daß ich ihn gefunden und da kommt das Schwerste – Ihr liebt Euch und nicht mit der heiligen Liebe der Geschwister, mit der Liebe – o, es ist entsetzlich. – – Was ich Dir heute gesagt, das sage ich ihm morgen, wenn Du fort bist und dann – –. Ermesse die ganze Schwere meines Unglücks, so liebeleer und einsam mein Leben sich gestaltete, nachdem ich dessen Süßigkeit gekostet, muß ich als Vater das schwere Schicksal meiner Kinder mitansehen, die erst zu leben beginnen.«

Der Alte schwieg und wartete vergeblich auf ein Wort seiner Tochter, sie bewegte sich nicht. Einer Statue gleich saß sie noch immer in derselben Stellung verharrend.

Er trat ihr näher; da wandte sie sich entsetzt ab und nun sprach er so weich und bittend, wie sie es vorher nie von ihm vernommen.

»Und dabei bin ich es doch selbst nicht gewesen, der gefehlt, vielleicht nur darin, daß ich wirklich das Vermögen Deiner Mutter nicht zu halten gewußt. Aber, mein Himmel, mußte ich mich nicht mit alle dem umgeben, was mir einigermaßen half, die Tage, die endlos und bleiern dahingingen, zu verkürzen, mußte ich nicht im Wein, im Spiel, im Sport jeder Art zu vergessen suchen? – Vergessenheit auf Stunden. Und habe ich darin gefehlt – giebt es eine schwerere Buße für mich als die Situation ist, der ich jetzt gegenüber zu stehen habe? – –

Verbirg Dein Antlitz nicht, mein Kind, o nicht dies starre Schweigen, rede ein einziges Wort, das mir den Frieden, nach dem ich jahrelang geschmachtet, wiedergeben soll.

Du bist nun schon monatelang mein treuer Gefährte, und nur Dir konnte ich es sagen, warum ich mich selbst verbannt, Dir nur, was mich an jenen da drüben fesselte.

Und nun ich gebeichtet, – weiß der Himmel, was es mich gekostet, – nun flehe ich Dich an, sage, ob Du mich verachtest oder – ob Du mich verstehst.

Erlöse mich durch ein Wort und ich bin befreit, denn ich selbst kann mich nicht schuldig sprechen, finde es, Du bist ja klug, so gut, so –«

Ein Lachen, grausig und erschreckend, ließ den Alten zusammenzucken.

Seine Tochter, welche dies ausgestoßen, stand vor ihm.

Größer erschien ihre Gestalt, bleich wie der Tod ihr Antlitz, und wie ein Feuerstrom kam es von ihren Lippen:

»Ich soll das erlösende Wort sprechen, das Dich befreit – ich? O, Vater, wie grausam bist Du in Deinem Egoismus? Ich soll Dich erlösen und mit Deiner Erlösung mordest Du mich!

Ich soll das erlösende Wort sprechen! – appelliere doch an meine Klugheit, an mein gutes Herz, das ich seiner Güte wegen tausendfach verwünsche, nimm doch mein Blut und wasche Dich damit rein! Weiß Gott, jetzt erst versteh ich: »die Sünden der Väter rächen sich an den Kindern.« Auf mir ruht jetzt die entsetzliche Last.

Kann ich noch neben Dir hergehen, kann ich Dich Vater nennen, wenn Du so tyrannisch gewesen, um Dein Herz zu erleichtern, mir zu gestehen, daß Du meine Mutter, den guten Genius meines Lebens, gemordet? – –

Ja, jetzt fühle ich es, das natürliche Gefühl der Kindesliebe, es wird nur zu oft aus Schwäche gesteigert und Schwachheit kenne ich nicht. Nichts Erbärmliches wohnt in mir, der Tochter meiner Mutter. Ich kenne sie so, wie ich sie gesehen, nicht so wie Du sie geschildert. Und nun sage ich Dir: ich will Dich nicht mehr lieben, ich will Dich nicht befreien.« –

»Halt ein, Unsinnige!« rief ihr der Vater zu und erfaßte ihren Arm, den er rüttelte.

»Nein, höre! Du darfst mir nicht Schweigen gebieten!« entgegnete das vor Schmerz sinnlose Mädchen, indem sie sich energisch losriß und leidenschaftlich weiter sprach. »Als ich ein Kind war, da war »der Vater kommt« ein Ausruf des Schreckens für mich, ich verbarg mich in den Falten des Kleides meiner Mutter, deren Du nimmer wert gewesen. Dann, als sich die Augensterne geschlossen, die meine Seligkeit bargen, gabst Du mich fort in eine Pension. Ob es für mein Temperament paßte, eingesperrt zu sein, war gleichgiltig, ich sollte nur fort, aus dem Wege sein. Und dann – ich ward mit so und so viel Talenten gesegnet, hast Du diesen, wie es Deine Pflicht gewesen, Beachtung geschenkt?

Wenn ich Dich bat meine Stimme, um die mich alle Welt beneidete, ausbilden zu lassen, hörtest Du darauf? Und meine Zeichnungen – bat ich Dich nicht tausendfach mich Malerin werden zu lassen? – Meine Phantasie entwirft die schönsten Bilder – aber meine Hände sind gebunden – das danke ich Dir! »Es ist kein Geld da,« waren Deine Antworten auf meine Bitten. Wo aber war es geblieben?« Ein stöhnender Laut kam von des Alten Munde, aber unbeirrt fuhr sie außer sich fort:

.

»Du, nur immer Du warst es, der alles verbrauchte, nur an Dich dachtest Du, niemals an Dein Kind. Und dann zog es Dich, nachdem Du alle Süßigkeiten der Erde durchkostet, hierher in eine Einöde – da nahmst Du mich mit! Da gehörte ich Dir, aber vorher? Existierte ich vorher für Dich, ehe ich dienen sollte?

Und zum Schluß raubst Du mir noch das letzte Gefühl ohne das ich mit keiner Seele zusammen sein möchte: die Achtung vor Dir!

Und darauf hin frage ich Dich: »Muß ich Dich lieben, muß ich Dir danken, weil ich Dein Kind bin? – Danken, wofür? Weil Du mir das Leben gegeben? Eher eine Anklage für Dich, der Du meine arme Mutter betrogen und mich zum Leben verurteilt!«

»Schweige!«

»Nein, ich kann nicht schweigen! Warum hältst Du mich hier? Aus Gewohnheit mit einem Menschen zusammen zu sein, aus Egoismus, aus –« hier trat sie ihm näher und mit dem Aufbieten ihrer letzten Kraft brachte sie fast keuchend hervor:

»Meinst Du, Du hättest das Recht in mein Leben einzugreifen? Draußen ist mehr Raum zu Kampfplatz! Ich gehe noch heute.

Von heute ab bin ich ganz ich, nur mir gehöre ich, niemanden weiter und nie wird meine Hand einem Manne angehören, nachdem ich vernommen, daß ein solcher es fertig gebracht, einen Engel wie meine Mutter war, zu hintergehen. Wie viel hast Du jene mehr geliebt!

Um ihm, dem Sohn Deiner – Geliebten, nahe zu sein, um ihn zu sehen, schlepptest Du das Kind meiner Mutter, mich, ans Ende der Welt.

Mit welchem Rechte, sage? –

Du brauchst ein Opferlamm, eine moderne Iphigenie –«

»Willst Du mich wahnsinnig machen?« rief nun der Alte und stand seiner Tochter drohend gegenüber.

Sie schwieg, sah ihn mit einem langen tiefen Blick an und schritt zur Thüre. An der Schwelle blieb sie noch einmal stehen und sagte rauh:

»Dafür, daß ich Dir wie eine Magd gedient, darf ich wohl verlangen, daß Du mir noch eine Bitte erfüllst: Wenn ich einmal meinen Verstand verliere, so sei so mitleidig wie mit einem Hunde zu mir: erschieße mich, aber sperre mich nicht ein. Adieu!«

Sie stürmte hinaus; ein Windsturm empfing sie, der eisig und feucht über ihr Haar fortging; ihre Kleider flattern ließ, und unheimlich heulend über die kahle Ebene dahinsauste.

Ein Frösteln durchlief ihre Glieder, als sie die finstere Landstraße, die sie zu gehen hatte, vor sich liegen sah.

Und gehen, wohin? Hatte sie Geld, hatte sie Kleidung, um einen Weg zurückzulegen, der sie in die Stadt führen sollte?

»Nur sterben, nur sterben!« stöhnte sie auf.

Sie ging weiter, weiter, bis sie ihre Füße nicht mehr trugen, auf einem Haufen Steine, der an einem Chausseegraben lag, setzte sie sich nieder.

Und nun hatten sich ihre Gedanken etwas mehr zusammengefunden, sie überdachte was sie gehört. Und morgen sollte auch er alles erfahren, hatte ihr Vater gesagt. Morgen! wie viel Stunden gehörten noch dazu, es mußte spät in der Nacht sein. Und wenn sie nun ging, ohne zu verhüten, daß auch er so namenlos unglücklich wurde, dann hörte er morgen, was sie heute vernommen, sah das Ideal, das er sich in der Mutter erbaut, im Staube liegen und fand in dem Vater einen Betrüger, der die Geliebte verlassen, die Gattin getötet, ohne es zu beklagen!

Wieder schlug sie die Hände vor ihr Antlitz, endlich ein erlösender Thränenstrom.

Als der Morgen dämmerte, hatte sie einen Entschluß gefaßt, sein Leben mußte gerettet werden, er durfte nie wissen, wer der Waldwächter sei.

Sie kehrte um und wankte ihrem Hause zu.

Sie wollte dem Vater, ehe sie ging, das Versprechen abnehmen, zu schweigen, er solle auf seine Werbung erklären, sein Kind könne diese nicht annehmen, weil es ihn nicht liebe, aber um keinen Preis dürfe er die Wahrheit erfahren.

Leise öffnete sie wieder die Hausthür, leiser noch die des Wohnzimmers, noch brannte die Lampe. Unaufhörlich ertönten ihres Vaters rastlose Schritte vom Nebenzimmer her.

Auf dem Tisch stand ein Kistchen, Briefe lagen umher, ein geschriebenes Buch war aufgeschlagen. Hela glaubte sich berechtigt zum Lesen und nahm aus dem geöffneten Kästchen, das ihr zunächst stand, ein vergilbtes Blatt.

Es trug die Handschrift ihrer Großmutter, die sie kannte. Das aufgeschlagene Tagebuch gehörte ihrer Mutter, hastig griff sie darnach und begann zu lesen.

Klagen über die Lieblosigkeit ihres Gatten, Jubeltöne über das Dasein ihres Kindes, Trauer über den Verlust der Mutter, das alles las sie, zusammengewürfelt, stillos hingeworfen.

Wie ein verzogenes Kind schmollend etwas wiedergiebt, so standen dort Buchstaben.

Sie klappte das Buch hastig zu und erhob sich.

Nach rastlosem umhergehen griff sie dann wieder nach einem ihr nächstliegenden Schriftstück.

Die Buchstaben tanzten und flimmerten vor ihren Augen, es war ihr unmöglich zu lesen, aber nach einigen Sätzen, die sie sich gewaltsam zur Ruhe zwingend las, ging es vorwärts, sie fühlte sich nicht mehr, sie schien körperlos, mit den Augen verschlang sie was da stand, es war ein Brief jener Frau, die sie mit der Geliebten ihres Vaters bezeichnet hatte und er lautete:

 

Du mein Gatte!

»Nie hätte ich doch gedacht, daß ich es sein müßte, die Dir Schmerz bereitet, und doch bringt es die Notwendigkeit mit sich, daß es so sein muß.

Erlaß mir die lange Einleitung: mit einem Worte wir müssen scheiden, mein Geliebter!

Wir haben uns über das Getriebe des Weltalls erhoben, wir meinten im Weltgewirr allein zu sein. Allein? Nein, das meinten wir nicht, aber wir sind unserem Zeitalter voraus, wir sagten uns: wenn das bezahlte Wort eines Predigers bindet, wie viel mehr muß es das Wort eines Wesens, das uns liebt, das an Jahren der Vernunft noch älter ist als wir.

Nun ein solches traute uns.

Die Hände jenes alten Mannes, den wir beide so schätzten, haben segnend auf unserem Haupte geruht, der Schwester Hände waren es, die mir den Kranz auf die bräutliche Stirn drückten, und von Freundes Hand geführt, erhieltest Du die Braut.

Nennt man das noch nicht getraut? Trauten wir uns doch selbst bis auf den Grund unserer Seele!

So ward ich Dein Weib; glücklich selbst bin ich gewesen neben Dir, wie kaum eine Sterbliche und beglücken konnte ich Dich, o wie sehr, ich fühlte es bei jedem Deiner Atemzüge.

Wir sind glücklich gewesen, denn wir waren eins, o so sehr glücklich. Was man uns von Weitem nicht gönnen wollte, das fanden wir in dem abgeschiedenen Winkel der Erde.

Traut, allein mit Menschen, die uns verstanden, die gleichgesinnt mit uns waren, haben wir gelebt.

Laß mich nur den letzten Abend unseres Beisammenseins in Dein, in mein Gedächtnis zurückrufen, ach nur den letzten, es glich ja einer fast dem andern. – Es war herrlicher Mondschein, der ganz märchenhaft den Wald erfüllte und jeder Busch, das Moos, alle Wege waren von unzähligen Leuchtkäfern übersäet.

In majestätisch berauschender Schönheit lag die Landschaft vor uns, als wir den altgewohnten Weg nach dem Walde nahmen.

Schwester Margo und die alte Trude blieben heute daheim, unser Häuschen bewachend, sie wollten uns den Abend selbst überlassen. Und wie weh' war auch ihnen zu Mute, – Du wolltest ja fort ...

Im Walde! – hatte die Natur sich nicht geschmückt, glich sie nicht einem Tempel, der für Liebe und Reinheit erstanden?

Meinte ich nicht, es müßte alles, alles so bleiben, war doch mein Wunsch, wir, die ganze Szenerie, alles sollte so wie es war, versteinern, daß es so bliebe. Es war mir, als müßte ich das große Weltrad aufhalten, daß es nicht weiter rolle. ›Weile, weile!‹

Und dann waren wir an unserem Plätzchen angekommen. Du nahmst Deinen Soldatenmantel ab, breitetest ihn mir als Teppich zur Erde und da saßen wir Hand in Hand, mein Kopf ruhte an Deiner Schulter und mein Blick versenkte sich in den Deinen, ach Eines trank ja des andern Seele!

Daß wir nicht sprachen, wunderte es Dich? – brauchten wir die heilige Stille zu brechen, ahnte, fühlte nicht einer, was der andere dachte, was er empfand? Gewiß, wir sind ja eins!

Und dann den andern Morgen als Du fort warst. – Und die Ewigkeit ehe der Tag herum war.

Und dann sagte ich mir: so öde und dunkel wie der Tag war, werden auch die andern sein, an denen er nicht bei mir ist.

Dann, Du weißt es, brachen auch wir auf, konnten wir hier bleiben, ohne Schutz in einem Winkel, wo nicht einmal Deine Briefe gleich Sonnenstrahlen mich zu erreichen vermochten?

Wir gingen nach G. Dir nahe, ich sah Dich wieder, Du warst wieder mein, ich Dein.

Meine gute Schwester, die alte Trude, alle schienen verjüngt, mein Glück war ja auch das ihre.

Und nun – wir haben uns selbst getraut, wir können uns selbst scheiden.

Scheiden, wohlverstanden nur in der Person! sonst aber werden wir uns stets gehören, jeder Pulsschlag, jeder Blutstropfen in mir – er ist Dein, alle meine Gedanken, all' mein Empfinden – alles gehört Dir – aber laß Dir erzählen, was sich zwischen uns gedrängt ...

Ich habe einen Traum gehabt ...

Ich muß ihn niederschreiben, so sehr ich mich anfangs sträubte, Du mußt ihn hören, ihn begreifen, damit Du mich verstehst.

Einen Traum? – war es ein Traum? ein böser, schwerer? – Nein, o Gott, es ist die Wahrheit, die grausige, mich zerschmetternde Wirklichkeit. Wie soll ich Worte finden, sie zu schildern? – Ich muß sie finden! Höre:

Ich saß in meinem trauten Boudoir, das Du kennst – nur Du, meine Seligkeit! und als ich träumend Deiner dort gedachte, bewegten sich leise die Portieren und zwischen dem dunklen Sammet erschien die hohe, königliche Gestalt einer idealschönen Frau. Sie näherte sich mir und dann hörte ich unter stöhnenden, weinenden Lauten folgende Geschichte von ihr:

Sie habe eine Tochter, ein einziges Kind, das zu denen gehört, die da ›sterben, wenn sie lieben.‹

Diese Tochter liebe mit der wahnsinnigen Glut, die in ihr wohnt. Und den sie liebe – der gehöre mir! –

Und dann streckten sich mir ihre Hände entgegen und dann – Hugo, begreife mein Empfinden, kniete die hohe Gestalt vor mir, und ein Strom von Worten sprudelte mir entgegen von Morden, von Sterben am gebrochenen Herzen und von Freigeben! ›Eine Mutter kniet vor Ihnen und bittet um das Leben ihres Kindes,‹ waren ihre letzten Worte.

Eine Mutter! Bin ich das nicht auch, würde ich nicht gerade so für mein, für Dein Kind mich im Staube winden, und muß dieser nicht geholfen werden? Hugo, – ich habe mein Ehrenwort gegeben, Du weißt es, was es heißt sein Ehrenwort verpfänden, und wirst es respektieren.

Erbarme Dich ihrer, erbarme Dich meiner: Heirate das unselige Kind und zeige ihr nicht, daß sie die Zerstörerin unseres Glückes ist.

Weigerst Du Dich, so hast Du nie die Größe besessen, die ich in Dir wähnte, und dann wirst Du so wie so für mich verloren sein.

Du hast jetzt mein Ehrenwort aufrecht zu erhalten, vergiß das keine Sekunde! Du weißt jetzt, wem Du anzugehören hast.

Im Geiste bin ich bei Dir, stündlich, immer, aber daß wir uns nie wiedersehen dürfen, das wirst Du bei der Achtung, die Du für mich hast, haben mußt, ermessen. Jetzt war ich Dein Weib, würden wir aber weiter leben ohne von den Sitten, von den Gesetzen, die die Welt regieren, Notiz zu nehmen, würde ich ferner neben dem Dir angetrauten Weibe einherschreiten, so wäre ich Deine Geliebte, – und daß ich mich je erniedrige, kann auch Dein Wille nimmer sein! –

Hugo, bei unserer, bei unseres Kindes Seligkeit, Du darfst nicht forschen, wohin ich gegangen. Auch mußt Du versuchen, das arme Mädchen, dessen Natur so ist, daß Du mehr Rücksicht auf sie, als auf mich zu nehmen hast, so glücklich als möglich zu machen.

Zwei sollen um Dich nicht leiden, ich nehme alle Schmerzen auf mich. Und Du bist ein Ehrenmann, auch Du wirst Deine Aufgabe richtig erfassen.

– Daß Du Nachricht von der Geburt unseres Kindes erhalten wirst – ich werde dafür sorgen, und daß es Dich lieben lernt, und daß es Dich von selbst einmal aufsuchen wird – mein Wort darauf.

Die Gräfin sagte mir, daß ihre Tochter nicht ahnen darf, daß Du mich liebst, sie will Dein Herz ganz, ganz allein, Du betrügst sie nicht, wenn Du schweigst, Naturen wie die ihrige können keine Wahrheit ertragen – Hugo versuche sie zu lieben, das arme Wesen, sie bekommt ja nicht Dein Herz – ein Fragment dessen harrt ihrer! Sei mitleidig!

Ich bleibe Dir fern, aber ewig treu. Nie soll eines andern Blick auf mir ruhen, ich habe Dir bei unserer Trauung Treue gelobt, ich wiederhole sie bei unserer Scheidung.

Ewig bis zum letzten Atemzuge Dein, nur Dein!

Alice Gutrun.«

 

Das also war die Anklageschrift gegen ihren Vater und das Todesurteil der Mutter und zugleich die Sprache derer, die ihr Althof als das Ideal eines Weibes bezeichnete. Ja, das war sie! Wie groß stand sie vor ihr. Wie nahm sie alle die wilden Flüche, die sie im sinnlosen Schmerz selbst der Toten in das Grab nachgeschleudert, zurück.

War ihre Mutter, die sich zwischen das liebende Paar gestellt, im Bewußtsein, daß sie ihm, den sie liebte, das Leben zerstört, gestorben, oder aus Eifersucht? – Oder hatte sie im blinden Wahn von der Macht des Momentes hingerissen, sich verraten gewähnt?

Wie ein Chaos gingen die Fragen durch Helas Hirn.

Wieder erleichterte ein Thränenstrom ihr Herz, Thränen des Mitleids um die unglückliche Mutter, deren Schicksal es bei so heißem Herzen gewesen, liebeleer auszugehen und unbewußt die Liebe anderer zu zerstören.

Und nun – ein verzweifeltes Spiel – begann sich nun in ihrer Seele zu regen.

War der Mann, den sie soeben mit Füßen getreten, dem sie ihre Verachtung entgegen geschleudert, dessen Verzweiflung sie noch gesteigert, und der ihr Vater war, nicht noch mitleidswürdiger als ihre Mutter, die erst am Ende des Lebens das erfuhr, was er jahrelang im heißen Sehnen entbehrte?

Und mit welcher Seelengröße hatte er den Wunsch der Geliebten, die einer Heiligen glich, respektiert? Wie war hier Einer des Anderen würdig!

Wo Manneswort und Frauenwürde so aufrecht erhalten wurde, da durfte man vielleicht ein Bündnis, dem ihren gleich, schließen.

Wer sich selbst traut, braucht nicht getraut zu werden, hatten diese beiden idealen Menschen gedacht und sie hielt jetzt ihres Vaters erste Ehe für heiliger, als die zweite, die er ihr selbst mit »Ehrenschuld« bezeichnet hatte. Nun dachte sie nur an ihn, an sein verfehltes Leben, an ihre Schuld ihm gegenüber.

Und dann öffnete sie die Thür des nächsten Zimmers; die monotonen Schritte, die von dort her hallten, waren längst verklungen, unheimliche Stille herrschte überall.

Ein grauer unsicherer Schimmer erfüllte das Gemach, fröstelnd auf den Fußspitzen trat das erregte Mädchen ein, ihr Vater ruhte im Lehnstuhl, wohl schlafend, er bewegte sich nicht.

Näher kam sie, näher, und dann ließ sie sich auf den Knieen neben ihm nieder, wenn er erwachte, sollte er sie als Büßerin finden, wie er als Büßender vor ihr gestanden.

Ein Vater verstößt dann wohl sein Kind nicht so bald, wenn es reuig zurückgekehrt, er würde in seinem Edelmut nicht so schroff sein können wie sie es gewesen.

Sie küßte seine herabhängende Hand, die Hand war warm, aber – warum hörte sie nicht atmen?

Entsetzt sprang sie auf.

»Vater!«

Warum antwortete er nicht?

In wahnsinniger Verzweiflung umschloß sie mit beiden Händen des Greises Schultern.

»Vater, erbarme Dich, sprich ein Wort!«

Keine Antwort.

Und nun – ehe sie Licht machen konnte, ehe sie mit zitternder Hand sein fahles Antlitz beleuchtete! – und dann – ein verzweifelter Aufschrei, ein dumpfer Fall.

*

Neben ihr haben sie ihn gebettet, nun ruhen sie doch im Tode zusammen, grausamer Trost.

Ich habe ihm alles überlassen, ich war nicht bei dem Begräbnis zugegen, warum auch, ich half ja morden, das Begraben ist eines andern Sache.

Ob ich wirklich noch bei Verstand bin, oder ob das Wahnsinn ist, was so bleiern mein Denken hemmt, mein Gefühl erstickt. Ist es mir doch oftmals, als ob man mir Herz und Gehirn herausgenommen hätte. Wenn ich doch oft könnte, aber meine Glieder sind gelähmt, mein Puls geht so langsam, als wollte er mir Hoffnung machen, daß er bald sein Gehen einstellen will.

Und doch schleicht er immer weiter, so wie jetzt die Tage kommen und gehen, so wird es bis in die schwere dunkle Ewigkeit hinein nun sein. Und gleichmäßig erschallen die Schläge aus der Fabrik zu mir herauf, sie schmieden Ketten, sagt Hasso, Ketten, wozu? Als Fesseln? – mich schauderts! denn nur zu schwer fühle ich die meinen, die mich ans Leben binden.

Nun soll ich fort, hinaus in die Welt, nach der ich mich gesehnt, aber – wird nicht jeder auf meiner Stirne lesen, daß ich es gewesen, die den eigenen Vater in den Tod getrieben, und allein draußen, ist es nicht ärger als allein hier?

Und Hasso, muß ich ihm nun nicht doch von dem Manne erzählen, der sein Vater gewesen, muß ich ihm nicht sagen, daß ich sein einziges Erbe von diesem?

Und mit dem erzählen meine eigene Mutter anklagen? – –

Wochen nun bin ich unter seinem Dache, und noch habe ich es nicht vermocht, ihn zu sehen.

Allein hab' ich geweint, allein gejammert und doch gehören wir in der Trauer zusammen.

Sein Vater war mein Vater! O! wie wird er es ertragen!

Muß ich es ihm sagen? – Ja, jetzt, nachdem mir bewußt, daß seine Eltern rein, daß nur meine Mutter durch ihr Leben gesündigt, jetzt muß er es wissen, daß das Grab da drüben seinen Vater birgt.

Aber, wenn sie sich dennoch wiedergesehen hätten. – Könnten wir unsern Eltern dann verzeihen? – –

*

So hatte Hela in ihr Tagebuch geschrieben, als Frau Haberkorn, die ihr zur direkten Bedienung von Althof beigegeben, ein Billet von diesem brachte.

Er bat sie, seinen Besuch doch nun endlich einmal annehmen zu wollen, da er sich vor Sehnsucht nach ihr verzehre, er wollte selbst sehen, wie sie den schweren Schlag, der sie betroffen, ertrüge u. s. w.

Hela überdachte lange, wie sie zu antworten habe und dann schrieb sie nur einige Zeilen, aber formell vermochte sie dem Bruder gegenüber nicht zu schreiben, sie meinte durch das gemeinsame Leid fast noch mehr an ihn gekettet zu sein, als durch die Bande des Blutes, die sie noch immer nicht zu fühlen vermochte. Sie schrieb:

»Laß mir nur noch kurze Zeit, Hasso, ich komme dann selbst zu Dir, noch aber kann ich Niemand sehen.«

Und der Unglückliche da unten empfing diese Zeilen mit Jubeltönen, meinte er doch das »Du« habe ihr die Liebe eingegeben, meinte er doch, sie sei von ihrem Vater unterrichtet gewesen, daß er um sie angehalten. Und sprachen nicht auch die wenigen Worte, die für ihn auf des Alten Schreibtisch gelegen, dafür? – hieß es darin nicht wörtlich:

»Als einziges Vermächtnis, mein Sohn, lege ich Dir Helas Fortkommen an Dein Herz, schütze sie und sei nachsichtig mit ihr; das unglückselige Blut ihrer Mutter kreist in ihren Adern.

Ich segne Dich, mein teures Kind, was Du mir warst, und was zu sagen ist, wird Dir meine Tochter mitteilen.«

Was sie ihm jetzt zu sagen hätte, das malte er sich in den glühendsten Farben aus, sein Zimmer ward ihm zu eng. –

Sollte es nicht nur mädchenhafte Schüchternheit von Hela sein, ihn bei sich zu sehen – oder war es Pietät von ihr, sich jetzt nicht in der Trauer einem glücklichen Gefühl überlassen zu wollen?

Es waren nun Wochen über den Tod ihres Vaters dahingegangen, ruhig mußte sie ja schon geworden sein, nachdem sie sich freilich wie eine Verzweifelte der Trauer hingegeben hatte.

Er hatte sie damals fast gewaltsam von der Leiche fort in sein Haus geführt, Frau Haberkorn hatte ihm täglich so umständlich wie möglich, ja mit Illustrationen wiedergegeben, wie gewaltsam sich ihr Schmerz äußerte. Und dann auch, wie sie allmählig zur Ruhe gekommen, wie sie vom Fenster aus stundenlang den Schiffern zusah, die die großen Fähren mit Eisen beladen, über den See fuhren. Und wie sie sich allmälig daran machte die Papiere ihres Vaters durchzusehen.

Althof hatte ihr alles, was im Häuschen war, hinaufgesandt, nur das Möblement barg es noch, alles, was Schrank und Schublade füllte, hatte er der Sicherheit wegen mit hinübergenommen. – –

In seiner grenzenlosen Liebe zu ihr litt er sehr darunter sie trauererfüllt zu sehen, und vergeblich dachte er über den rätselhaften Tod ihres Vaters nach, und über die Szene zwischen Vater und Tochter, die er, als er zum letzten Mal dort gewesen, unterbrochen, dann auch über das Erschrecken des Alten, als er um Hela anhielt, und dann an ihre verzweifelten Worte, die immer und immer sie selbst anklagten, als habe sie den Tod ihres Vaters verschuldet – – – und doch, er glaubte an sie, die wahre Liebe vertraut und liebt noch da, wo sie zu verstehen aufhört, ja, wo selbst der Schein tausendfach gegen die Geliebte ist.

Nun, und mußte er denn ihren Wunsch, noch vielleicht so und so viel Wochen zuwarten, bis sie sich ihm verloben wollte, erfüllen? – wie, wenn er nun zu ihr hinaufging, und ihr das Wort, das ungesprochen dort ruhte, von den Lippen küßte? Und wirklich, jetzt war er in Helas Zimmer, aber nicht, wie er es gewünscht, als Liebender, stand er vor ihr.

Er erschrak über ihr Aussehen, ihr Blick so zu Tode erschrocken, so bittend und drohend zugleich – er meinte nie etwas von Nerven in sich verspürt zu haben, aber jetzt zittert er vor dem Blick dieses Mädchens, es war ihm, als verlöre er den Boden unter den Füßen.

Sie fanden beide keine Worte, die Hände, die er ihr entgegengestreckt, schien sie nicht zu sehen.

Sie schritt an ihm vorüber bis in die entfernteste Ecke des Zimmers, wo ein kleines Tischchen mit zwei Fauteuils stand, setzte sie sich und sprach nun ruhig und ohne jede Schärfe: »Sie haben sicherlich meine Zeilen nicht erhalten, sonst wären Sie nicht zu mir gekommen.«

»Doch Hela, ich habe sie erhalten und gerade darum kam ich zu Dir.«

Und nun brach all die lang verhaltene Leidenschaft, deren er fähig war, bei ihm durch und mit einer Modulation in der Stimme, die sie erbeben ließ, sprach er ihr näher kommend hastig:

»Weißt Du denn nicht, daß Deines Vaters Vermächtnis mich berechtigt, Dich zu schützen, über Dich zu wachen, Dein Leben zu hüten, wie ein Kleinod? – Hela, Dein Vater hat mich in den Zeilen, die er mir hinterlassen – ich fand sie an mich adressiert in jener Schreckensnacht, als Du mich holen kamst, auf dem Tische liegen – Sohn genannt.

Weißt Du, daß man der Tochter Gatten ebenso nennt? Fühlst Du denn nicht, daß es sein Wille gewesen, daß wir beide Eins werden, und weißt Du denn nicht, wie grenzenlos ich Dich liebe? –«

Er war zu ihr niedergesunken, und blickte sie so liebeglühend, so wahnsinnig berückend an – daß sie sich schaudernd abwandte und ihr Gesicht mit den Händen verhüllte, es war als habe sie die Sprache verloren, ein nervöses Zittern durchlief ihren Körper und ihr durchsichtiger Teint erschien fast leblos, als sie nun endlich flehentlich anhub:

»Hasso, bei allem was Dir heilig, bei unserer Seligkeit flehe ich Dich an – laß mich nie wieder solche Worte hören – und noch ein solcher Blick von Dir – und ich habe zu leben aufgehört.«

Sie hielt ihre Hände an den Schläfen, als schmerzten sie ihr.

Er war kein gewandter Mensch, und wußte nun nicht mehr, was er zu sagen, was er aus ihrem Wesen zu machen habe.

Endlich nach langer, qualvoller Pause hub er mit erstickender Stimme an:

»Ich werde Sie nicht mehr mit einem Blick der Liebe beleidigen, mein Gefühl soll für Sie erstorben sein. Sie sind majorenn, einen Vormund haben Sie nicht nötig, bestimmen Sie, was nun werden soll, schreiben Sie mir, wenn Ihnen mein Anblick zuwider ist, bestimmen Sie, ob ich, so lang Sie hier weilen, im Hause bleiben, oder ob ich mir im Gehöft eine andere Wohnung errichten soll, oder wenn Sie zu reisen belieben – alles was mein ist steht Ihnen zur Verfügung, lassen Sie mir – darum bitte ich Sie innig – doch wenigstens das Recht, das mir Ihr sterbender Vater eingeräumt – nämlich: für Sie sorgen zu dürfen.«

Während er sprach, hatte sie still vor sich hingeweint, nun hub sie mit thränenerstickter Stimme an: »Hasso, Du meinst, ich sei Dir nicht gut, weil ich Dir wehe gethan – o, so gut wie ich Dir bin, und nur Dich habe ich auf Erden – aber – nein, komme mir nicht so nahe – setze Dich dort drüben ans Fenster – ich will Dir weiter sagen – ach! wir sind so elend, ach so entsetzlich elend – es giebt nicht noch zwei Menschen, deren Unglück an das unserige heranreicht – Hasso, ich habe Dir so vieles zu beichten – es liegt so vieles zwischen uns – aber Du mußt mir Zeit lassen – ich will nicht wieder voreilig sein, ich überlasse mich nicht wieder ganz meinen Gefühlen, einmal sagte ich, was ich empfand, was ich dachte, dem unglücklichen Vater – er nahm sich das Leben und nun soll ich wieder –«

»Hela! Allmächtiger Gott, Du – Du – Du – hast etwas gethan, worüber der Vater sterben mußte – Du?

Darum kommt Ihr hierher, um von allen Menschen vergessen zu werden. Dir zur Liebe ging Dein braver Vater hierher ans Ende der Welt, um der Schande zu entgehen, die Du vielleicht auf seinen Namen gebracht – – o, entsetzlich, ich verstehe, Du – die ich für das Urbild aller Reinheit gehalten – hast eine Vergangenheit? – Wie Schuppen fällt es mir jetzt von den Augen, jetzt verstehe ich – jetzt – o das war es – o, ich Unglückseliger!«

Wie versteinert hatte sie ihm zugehört, ein irrer Glanz flimmerte in ihren Augen und dann ging, als hätte er ihr eine Idee gegeben, ein Aufleuchten über ihre Züge, und als er ihr näher kam, und lauter als vorher zurief:

»Sage, was hast Du gethan?!« ergriff sie seine Hände, die er erhoben hatte, und entgegnete fest:

»Was ich gethan habe? – ich habe meinen Vater –«

Er ließ sie nicht aussprechen, hastig stieß er sie von sich, entsetzt kam es von seinen Lippen:

»Das ist nicht wahr! Das ist nicht wahr, Hela, Du lügst, Du bist wahnsinnig, sage, daß es nicht wahr ist, es kann ja nicht sein, so kann doch Dein Antlitz nicht lügen, Du eine gemeine Seele! eine Verbrecherin?!«

Sie schwieg, mit niedergeschlagenen Augen stand sie vor ihm, er umfaßte ihre feinen Pulse und umpreßte sie so krampfhaft, daß sie vor Schmerz hätte aufschreien mögen.

»Antworte, antworte,« drängte er, und nun sprach sie unsicher:

»Nicht gerade getötet, aber ich sagte etwas, was er nicht überleben konnte, ich sagte – nun Hasso, ich bin nicht wert, daß ein braver Mann mich liebt – und wenn ein Funken Ehrgefühl in Dir ist – so mußt Du die Liebe zu mir töten, ich bin nicht wert geliebt zu werden!«

»Und doch war Deines Vaters Liebe zu Dir so groß, daß er Dich hierher begleitete, daß er sich für Dich zum Diener herabwürdigt? –

Dein Vater hat mir geschrieben, daß Du mir etwas zu sagen hast, er will, daß Du sprichst, also rede!«

»Habe doch Mitleid mit mir, laß mich nicht weiter erzählen,« kam es erschöpft, mit erlöschender Stimme zurück, »gehe und wenn Du einmal wieder kommen kannst und mir auf Ehr' und Gewissen versicherst, daß Du brav genug bist, keinem Gefühl nachzuhängen, das Dich an eine Unwürdige zwingt, dann sollst Du hören, was ich dadurch verbrochen: daß ich lebe.

Jetzt geh', ich kann nicht weiter.«

Er ging.

*

Acht Wochen war Hela nun nach der Unterredung mit ihm unter einem Dache gewesen, sie hatten von einander nichts gehört, nicht nach einander gefragt.

Der Winter war tiefer ins Land gezogen, weiße Flocken tanzten heute lustig am Fenster vorüber, sie setzten sich auf kahle Aeste, bedeckten die schwarzgeräucherten Dächer der Arbeiterwohnungen und gaben der Erde ein weißes Gewand.

Auf dem See stießen einige dünne Eisschollen hin und her und in Helas Zimmer brannte ein behagliches Kaminfeuer.

Vor ihr, auf einem zierlichen Schreibtisch, den Hasso für sie hatte kommen lassen, lagen allerhand Schriften und Bücher, sie las mit sichtlichem Interesse, hin und wieder verglich sie Stellen und als sie jetzt nach Frau Haberkorn klingelte, gab sie dieser einen Brief, den sie ins Komptoir zu bringen habe, damit er mit zur Bahnstation befördert würde. Einen gleichen für Althof, in welchem sie ihm ihre nahe Abreise mitteilte. Wenn er sich jetzt für geheilt von seiner Liebe zu ihr erkläre, möge er nach Entlassung der Arbeiter zu ihr kommen, wo nicht, es so einzurichten suchen, daß ihr für den Tag der Abreise ein Gespann zur Verfügung stände, auch möge er ihr die nächste Reisetour, die sie zu ihrer Tante nach B. führen sollte, vorschreiben.

Am Abend kam er, sie saß am Kamin, die Trauerkleider ließen sie noch schlanker erscheinen, als sie ohnedies, durch das viele Leid geworden. Sie war so eingefallen und blaß, daß keine Spur von Schönheit mehr vorhanden.

Mit ruhiger Freundlichkeit kam sie ihm entgegen und fragte, sich zum Lächeln zwingend, ob er auch gesund sei.

»Vollständig,« gab er zurück. Er meinte es augenblicklich selbst. Bei den meisten Männern gilt ja jetzt das Aeußere als Hauptsache und Hela stand sehr reizlos vor ihm.

»Wir werden uns immer verstehen, mein Freund, und uns einander stets würdig zeigen, nicht?« begann sie.

»Gewiß!« Er sah sie befremdet an, sie schien ihm so ganz anders geworden, so entsetzlich – schwesterlich kam sie ihm vor.

»Nimm Platz!«

Sie wies auf den ihr gegenüberstehenden Sessel, der von ihr durch einen Tisch getrennt, auf welchem nun alle Skripturen von ihrem Schreibtisch lagen.

»Ich habe gestern und heute nochmals alle unsere Familienpapiere durchgesehen, Hasso, und will sie Dir nun vorlesen, Du hast ja eben solches Anrecht daran, wie ich selbst.«

»O, Sie räumen mir viel zu viel Rechte ein –«

»Beurteile das später,« jetzt traf ihn wieder einer ihrer kühlen Blicke.

»Ich werde bei der Vorlesung meiner Großmutter Tagebuch beginnen, sie nahm wenigstens das Leben so leicht, als ich es möchte, es wirkt das, was sie geschrieben, erfrischend, und soll uns vorerst bei guter Laune erhalten.

Was später kommt, mein Freund, es sind Wahrheiten, die mit dem Herzen erfaßt, sich leichter tragen lassen, aber freilich, wir Kulturmenschen nehmen alles erst mit dem Verstande auf, es wird dort zumeist erst zerbröckelt, ehe es ins Herz übergeht. Nun, ich denke, Du wirst Dich so stark zeigen, wie es Dein Vater gewesen?«

»Mein Vater? Kannten Sie denn meinen Vater?«

»Nun, wir kommen ab, wenn wir vorgreifen, erst will ich lesen, später läßt sich debattieren, ich habe hier alles nach Zahlen geordnet, und lese eins nach dem andern vor –«

»Aber bitte, so beginnen Sie doch, die Rätsel, in welchen Sie sprechen und die auf meinen Vater, von dem ich so wenig gehört, hinweisen, meinen Sie denn, Sie spannen mich nicht auf die Folter? –«

Sie biß die Lippen aufeinander, seufzte und begann zu lesen.

Der Schein des Kaminfeuers verlieh ihr eine leichte Röte, und diese, neu an ihr, begann ihn wiederum an ihre Person zu fesseln, sie hatte heute überhaupt, selbst in ihren Bewegungen, etwas Sanftes, und ihr krankhaftes Aussehen begann ihn, der doch nun einmal zu ihr gehörte, zu rühren.

»Sie sehen aber abgespannt aus, Hela, wird Sie das Lesen nicht angreifen?« unterbrach er. »Dann will ich es doch lieber thun.«

»Ich danke die Handschrift liest sich nicht leicht, außerdem dürfen Sie sich an meinem Aussehen nicht stoßen, ich bin eben alt geworden, die Jahre thun da nichts, oftmals habe ich schon im Stillen bewundert, daß mein Haar nicht ergraut ist. Sehen Sie, es ist noch ganz schwarz.«

Sie nahm einen herabhängenden Zopf über die Schulter und zeigte ihn wehmütig lächelnd und er meinte für sich ein ganz klein wenig Koketterie darin zu erblicken.

Dann warf sie den Kopf in den Nacken und preßte die Hände auf die Brust. »Aber jetzt lese ich,« sagte sie aufseufzend, und nun hörte er anfangs zerstreut zu, da er immer daran denken mußte, daß doch das Eigentliche, für ihn Interessante, ihre Lebensgeschichte, die gewiß, wie er meinte, mit einer Liebestragödie abschloß, für ihn sei. – –

*

Wie das heute stürmt und tobt da draußen! Es sieht wirklich aus, als wollte es mir der Himmel wehren, in die große Welt einzutreten.

»Aber wir lassen uns nicht abhalten, nicht wahr, liebe Tante, wir fahren doch hinüber zum Gutsnachbar, zum ersten Ball in meinem Leben,« fragte ich schmeichelnd, denn die Baronesse, meine liebe Tante, machte ein gar bedenkliches Gesicht, öffnete wohl unzählige Male die hohen Fensterläden und schaute hinaus, wo der Schnee in großen Flocken herabtändelte und sich schon in Masse angesammelt hatte.

»Es ist gefahrvoll, mein Kind,« hatte sie zu entgegnen, »bedenke den Weg, der Schlitten ist leicht, ein Windsturm und wir liegen. –«

»Und stehen wieder auf! O Tante, Du siehst süperb aus und ich, sieh doch meinen wunderbaren Anzug, den Papa mir gesandt!«

Sie nickte und wir waren entschlossen zu fahren.

Ist es nicht eitel, über unseren Anzug zu schreiben? Gewiß ja, und Schwester Anna, die Oberin unseres Stiftes, sie würde sicher auch schelten.

Aber Schwester Anna, Ihr Zögling bin ich nicht mehr, eine festlich gekleidete, 18jährige Dame steht vor Ihnen resp. sitzt am Schreibtisch, denn sie muß, muß, muß Jemandem sagen, wie glücklich sie ist, so auszusehen, wie sie aussieht. Ich habe eben vor'm Spiegel gestanden und da sah ich ein Geschöpfchen von – ja, ich sage es – von ganz gewiß stattlicher Figur, mit einem ovalen Gesichtchen, blauen Augen und langem hellblonden Haar.

.

Tante war der Meinung, ich möge die Zöpfe bei der feierlichen Einführung in die Gesellschaft lang herunterhängen lassen, das that ich gern, sie reichen bis weit über den Rücken. Zu der Bernsteinfarbe derselben nehmen sich die schwarzen Sammetschleifen sehr gut aus.

Ebenso mein weißes Mieder, das sich von dem hellblauen Atlas meines Kleides so gut abhebt, und die Schleppe, die erste im Leben. –

Tante hat mir auch eine Chatelain von der seligen Mama gegeben. Es ist kostbar mit Brillanten und Perlen verziert.

Und einen großen, ganz großen Fächer aus Federn habe ich. Wenn mich doch die Mitschwestern aus dem Institut sehen könnten! Die dachten immer, weil ich so einfach gekleidet war, ich sei nicht schön. Und ich bin es doch.

Ei, und ich vergaß. Einen Kranz aus Maiglöckchen und Veilchen habe ich auf dem Kopf.

Und Tante hat ein schweres granatrotes Sammetkleid, das den Hals etwas weit freigiebt. Darauf glitzern und blitzen die Diamanten und Brillanten, daß es eine Freude ist.

Und die Schleppe! herrlich! Und wie graziös sie diese zu bewegen weiß!

Sie ist so groß und sieht so stolz aus. Und ihr schwarzes, mit Goldstaub gepudertes Haar, in dem hochaufgebaut so schöne Perlenschnüre prangen!

Tantens Augen sind groß und glänzend – ich glaube – ja, ich glaube, Tante hat etwas nachgeholfen.

Auch ihre Wangen bekennen heute deutlicher Farbe.

Aber was thut denn das? Ist es nicht gleichgültig, wodurch man hübsch ist, wenn man es eben nur überhaupt ist.

Wenn ich älter bin – – –

Da ist die Tante im Shawl und Mantel. Der Wagen wartet, ja wir fahren, der erste Ball, o ich Glückliche!

*

Es war gar nicht schön, aber gar nicht! Es hat sich Keiner mit mir gefreut, nur Don Fredor, o, er gefiel mir ausnehmend, und wie er sich vor mir verbeugt hat, wie vor einer Königin!

Und dann hat er mit mir getanzt und mir viel Schönes gesagt, aber dann – Tante gefiel ihm viel besser, er unterhielt sich doch mehr mit ihr.

Freilich, sie weiß auch so geistvoll zu plaudern und ihre Augen – ich kann sie nicht so bewegen, und wie sie den Fächer handhabt, ach, ich bin ja doch nur ein Gänschen, ich hätte auch zu Hause bleiben sollen. Mein schönes Kleid wurde noch nicht einmal bewundert, aber gewiß nur, weil ich es trug. Ich habe schon so viel geweint und weine noch immer.

*

Don Fredor war heute hier, ich mußte, so sehr ich mich auch dagegen sträubte, in den Salon, Tante war wieder so schön und machte gerade wieder solche Augen, wie den Abend auf dem Balle.

Ich sprach gar nichts.

Don Fredor blieb zum Souper bei uns, er erzählte, daß er noch drei Monate in Deutschland zu bleiben gedenke, er studiere hier Land und Leute.

Er ist, so glaube ich, wohl auf Anordnung seiner Regierung hier. Tante meinte das auch, aber er sprach nicht darüber. Nur von seiner altadligen Familie sprach er, und von seinem schönen Heimatslande, nach welchem er Sehnsucht habe.

Er that uns so leid und Tante erlaubte ihm recht oft zu uns zu kommen, da er nur zwei Stunden von uns auf Y. wohnt.

Er war ganz beglückt und küßte meiner lieben Tante die Hand, mich sah er garnicht!

Ob Schwester Oberin böse war, daß ich ihn so oft ansehen mußte?

Gewiß nicht, denn wozu ist Schönheit da? Doch nur um gesehen zu werden, zu erfreuen. Er ist mehr als einen Kopf größer als ich und hat ein edel schönes Gesicht. Blaß ist er, hat schwarze, tiefe unergründlich tiefe Augen, einen schwarzen Schnurrbart, so keck, so – so – so schön, so – nun meine Mitschwester wüßte schon wie! Und blauschwarzes dichtes Haar.

Wie die weiße Feder vom Barett davon absticht! Und das blausammetne Wamms mit Gold und Silber gestickt. Das Spitzenjabot, der kleine Degen mit Brillanten. – Ich liebe Brillanten sehr, wirklich nicht, weil sie kostbar sind, ganz gewiß nicht, nur weil sie mich nicht so dumm ansehen, wie die andern Steine in denen alles tot ist. Im Diamant, mehr noch im Brillant, da ist Leben. Die Glut, die Leidenschaft, das Feuer darin, ganz gewiß, darin finde ich mein eigenes Herz. – –

Ich glaube der Vergleich ist gut. Ich muß einmal Tante fragen, ob das nicht geistreich ist.

Don Fredor meint, nur geistvolle Frauen besitzen Reiz für ihn.

Tante lächelte geschmeichelt – und ich möchte doch auch so gern geistreich sein.

*

Nun sind sie alle zur Jagd eingekehrt, unser ganzes Schloß ist besetzt.

Wie mich das freut! Das Alleinsein mit Tante, die jetzt immer verstimmt ist, habe ich satt.

Mein lieber Pappa ist auch hier und was er mir für ein prachtvolles Reitkleid aus Paris mitgebracht hat. Und das reizende Hütchen, mit der wallenden Feder – was wohl Don Fredor zu mir sagen wird, wenn er mich so sieht?

Freilich er wird wieder Tantens Kavallier sein, neben ihr reiten, und bei ihr Geist in sich aufnehmen.

Aber ganz gewiß, das thue ich, ich frage ihre Jungfer, wo Tante die schönen Augen her hat.

Ganz gewiß, wenn ich solche Augen bekäme, ich hätte mehr Mut geistreich zu sein. Wenn nur Papa nicht – – – – – – – –

*

Hei, das war ein Vergnügen! Papa ritt mit Tanten voraus, ich mit Don Fredor, und hinter uns her ein ganzer Troß.

Er hatte heute nur Augen und Worte für mich, Tante schien garnicht für ihn vorhanden; und die Damen aus der Nachbarschaft existierten ebenfalls nicht.

O, das Glück, und wie er sprach, und wie ich antwortete! Ganz gewiß, das hat das Augenrezept mit sich gebracht.

Die gute Liesbeth, sie soll auch was haben. Ich schenke ihr mein schönes, goldnes Kreuz, weil sie mir Tantens Geheimnis verraten.

»Darf ich Sie heute allein sprechen, gnädiges Fräulein« fragte er so süß, so bestrickend, als er mir an der Freitreppe vom Pferde half, »ich habe Ihnen etwas zu sagen, Sie wissen doch, daß ich es gut mit Ihnen meine?«

Und dabei schaute er mir so tief in die Augen, so tief bis in die Seele. Ich sagte natürlich zu, nach dem Souper wird es sich schon machen, daß wir uns sprechen.

Ach, ich bin so glücklich, so glücklich, wenn er es doch schon gleich gesagt hätte! – –

Aber, ob ich Tante mit meinem Glück wehe thue. Ob auch sie ihn liebt? – Und wenn? –

Sie war ja verheiratet, sie hatte doch schon einmal geliebt. Kann man denn wirklich zwei Mal lieben? Ach nein, doch wohl nicht.

Was er mir wohl zu sagen hat? – – –

Wenn man so weint wie ich, kann man doch eigentlich garnicht schreiben, die dummen Thränen löschen Einem alle Worte wieder fort.

Aber Schwester Oberin meinte, es wäre doch gut, wenn man alles niederschreibe, es erleichtert Einem das Herz und so thue ich es denn auch.

Es war nach dem Souper, man zerstreute sich in verschiedene Zimmer, Tante nahm Don Fredors Arm und ließ sich in das Musikzimmer führen, sie spielte Beethoven und dann forderte sie ihn auf zu singen. Er griff zur Laute und sang ein spanisches Lied.

Ich hatte mich in eine Fensternische geflüchtet und horchte halb von der Portiere verborgen.

Wir waren die einzigen Damen und allein mit ihm. Die Herren spielten Whist und Schach.

Er sang, ach, so habe ich noch nie singen gehört, und alles gehörte doch mir, er hatte mir ja »etwas zu sagen.« –

Und wie das Spanische klingt, viel hübscher als unser plumpes Deutsch, ich lerne auch noch Spanisch, dachte ich mir.

– – Durch den Gesang angelockt, kamen die Herren herein, er wurde umringt, gefeiert und schließlich – wir waren allein, allein in der Gesellschaft.

»Mein gnädiges Fräulein,« hob er an, »können Sie sich denken, daß sich zwei Menschen sehen und lieben können in einem Augenblick?«

Ich nickte mit dem Kopfe.

»Das ist mir lieb, – Sie wissen, es giebt Verhältnisse, die unausgesprochen existieren, zwei Wesen fühlen, daß sie zu einander gehören, daß sie nur im Besitz des Andern glücklich werden können. Nicht?«

Ich nickte wieder mit dem Kopfe, und er sprach, meine Hand erfassend, weiter.

»Sie wissen also, Hildegard, daß ich Ihnen gut bin, darf ich Ihnen nun etwas sagen?«

»Gewiß,« kam es tonlos von meinem Munde.

»Eine so rosige Mädchenknospe wie Sie, mein Kind, glänzt schon von Natur aus, sie braucht ihre Reize nicht zu erhöhen suchen durch falsche Spekulation, sie kann dadurch nur – verlieren.

Thun Sie sich und mir den Gefallen und lassen Sie ihre schönen Augen fernerhin wie sie sind, entstellen Sie sich nicht durch eine Kunst, die eigentlich keine Kunst ist.«

Das hat er mir zu sagen! Das!! O, ich unglückliches Geschöpf!

Ich bin heute gerade nicht zum Diner gegangen. Gerade nicht, ich bin krank und verlasse mein Zimmer nicht.

Tante und Papa waren bei mir. Papa reist in nächster Woche ab und Erstere war sehr wortkarg.

Warum nur, sie hat ja keine Ursache dazu, ihr wird er doch nicht auch »etwas zu sagen« gehabt haben?

Ach wo, sie ist ja geistvoll, da darf man alles, aber ich, o die Blamage, Papa sollte es nur wissen, er würde totgeschossen, begraben, o, dieser, dieser böse geliebte Mensch! –

Geliebt habe ich geschrieben? nein, ganz gewiß nicht, wie käme ich denn dazu? Die Liebe zu einem fremden Spanier käme mir denn doch etwas zu spanisch vor. (Ob das geistreich ist?)

Wenn das Schwester Oberin wüßte, ich bin seine Braut. Und wie das gekommen ist – ich weiß es selbst kaum. Und gekniet hat er garnicht vor mir, auch so wenig gesagt und das Wenige habe ich nicht einmal verstanden.

Aber geküßt hat er mich und ich ihn auch. Ach so sehr! und so süß ich brauchte garnicht geistreich zu sein, hat er gesagt.

Morgen wird meine Verlobung gefeiert und dann reist Don Fredor mit Papa ab, er kommt erst zur Hochzeit wieder, die bald sein soll.

Ach, ich eine Frau, es ist zu schön. Was nur meine Mitschwestern aus dem Stifte sagen werden?!

*

Und wenn man unter den Palmen wandelt, und wenn Pracht und Sonne uns umgiebt im fernen Lande – wir bleiben doch fremd.

»Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide.« Ich bin doch zu farblos für die Sonne hier und in einem Land sein, das meine Sprache nicht versteht, wo alles fremd und gefühllos für mich. – –

Bin ich denn glücklich?

Don Fredors, meines Gemahls Familie, bekundet viel Liebe für mich, aber, was sie mir sagen verstehe ich nicht, Don Fredor übersetzt es mir, aber – –

Und ihre Sitten sind mir so fremd, und so verlassen, so verloren, so entsetzlich vergessen komme ich mir hier vor.

Vergessen? Nein, nein, gewiß nicht! Luciano liebt mich, ich ihn. Ich bin nicht allein, ich bin nicht unglücklich.

Was kümmerts mich, wo ich bin, wenn ich bei ihm weile? Und er ist gut, ach so herzig gut und er geht auch wieder mit mir in meine deutsche Heimat, er versprach es mir und auch dem Papa.

Ich begrüße Dich mein süßer Papa und auch Dich meine liebe Tante und mein teures Heimatland.

*

Es sind nun Jahre vergangen, seit ich Euch nicht angesehen, meine trauten Blätter, ich meinte es wäre besser so. Was man Euch eingesteht, gesteht man sich selbst ein und es ist oftmals besser, Gedanken im Keim zu ersticken, ehe man ihnen Leben giebt.

Schwester Oberin ist gestorben, wie man mir meldet, ihr Tod erinnert mich an ihren Wunsch, das Erlebte aufzuzeichnen.

In Spanien hatte ich zuletzt geschrieben!

Wie ewig die Zeit hinter mir liegt! Ich bin wieder auf heimatlichem Boden, aber dieser neidische Boden, er hat mir das Teuerste abgefordert – mein Gatte ist nicht mehr. Er ist nicht mehr und ich lebe – für sein Kind!

Meine Tochter Linzy gleicht ihrem Vater Zug um Zug, und hat auch ganz sein übersprudelndes Naturell, das liebeglühende Herz.

Es ist so schwer ein Kind von ihrer Natur zu erziehen.

Im Guten geht alles bei ihr. Wenn es aber einmal an der Zeit ist, daß ich ihr Strenge zeigen muß, dann bricht das Dämonische, Leidenschaftliche bei ihr durch. –

Sie kennt dann mit ihrer Umgebung kein Erbarmen, ja, sie steht hochaufgerichtet mir, ihrer Mutter, gegenüber, um mir dann aber gleich zu Füßen zu liegen und unter Thränen und überschwenglicher Zärtlichkeit alles wieder abzubitten.

Mein armes Kind, welch ein Fluch für Dich ist Deine Natur, die ich zwar zu veredeln, aber nicht zu verändern vermag. Möge Deine Schutzpatronin Dir beistehen, wie fürchte ich für Dich, wenn die Liebe erwacht.

*

»Bis hierher reichen die Aufzeichnungen meiner Großmama und hier sehen Sie auch die Bilder, die sich im Kästchen befanden, es sind zwei Silhouetten, sie geben die anmutige Schreiberin als Braut und das ihres Bräutigams. Nicht wahr, so bezaubernd leichtsinnig und leichtlebig kann nur ein so süßes Schelmengesichtchen, das sich seiner eigenen Schönheit freut, schreiben.«

Hasso betrachtete es ungemein interessiert.

»Und sehen Sie meinen Großvater, ganz ein Südländer, Feuer und Geist leuchtet aus den dunklen Augen und um den Mund das siegesbewußte, übermütige Lächeln. –«

»Sie sehen ihm etwas ähnlich.«

»Ich glaube es selbst und – auch das unselig heiße Blut rollt in mir.

Wie ein Feuerstrom durchlief es meiner armen Mutter Adern und bei mir –« sie schwiegen beide lange, dann hub sie animierter an: »ich bin eigentlich so sehr für Mischehen, überhaupt für Cosmopolitik und doch finden wir nur zu oft in den Kindern solcher Ehen ein Manko oder ein Uebel.

Es gährt alles und sprudelt in ihnen, es ist als ob die Elemente miteinander ringen.

Ich glaube erst die dritte Generation wird vollkommen oder – aber wie ich abschweife! – Nun, Sie wissen, wer einen unangenehmen Weg vor sich hat, der übereilt sich nicht. –«

Er sah sie forschend, fast ängstlich an.

»Haben Sie Ihre Großmama gekannt?« fragte er.

»Nein, sie starb als ich 3 Jahre alt war, aber ich habe so viel Liebes von ihr gehört, man sprach so viel von ihrer Schönheit, die besonderen Eindruck auf eine Kinderseele macht.

Ich habe sie abgöttisch geliebt neben der Mutter, bis ich – vor des Vaters Tod erfuhr, was auch Sie erfahren werden, daß sie in ihrer verblendeten Liebe zu ihrem Kinde gefehlt, wie kaum eine. Sie hat ein Unglück damit über Menschen gebracht – das bis zu uns reicht, Hasso.«

»Bis zu Ihnen und Ihrem verstorbenen Vater?«

»Noch weiter, bis zu mir und Dir.«

»Doch nur in sofern zu mir, als ich den innigsten Anteil an Ihrem Geschick nehme, Hela. Aber bitte, lesen Sie weiter. Sie sehen mich zitternd vor Ungeduld.«

Und nun las sie die Episteln ihrer Mutter, sie zeigten, wie unglücklich sie in ihrer 6jährigen Ehe gewesen. Und nun kam die Liebesgeschichte ihres Vaters.

Sie machte eine lange Einleitung, ehe sie damit begann, sie sagte ihm, bevor sie selbst ihres Vaters Leben und dessen Natur gekannt, meinte sie, die Seelenstärke in ihr rühre von der Mutter her, von der ihre Phantasie und ihre grenzenlose Liebe zu ihr ein gar farbenreiches Bild entworfen. Jetzt aber wisse sie, daß sie sich auch des Vaters würdig zu zeigen habe, der durch seine eigenartige Lebensauffassung sein Unglück zwar selbst verschuldet, die Folgen aber zu tragen gewußt habe.

Und dann machte sie immer vergebliche Anstrengungen, mit dem Vorlesen zu beginnen, und immer wenn sein Blick auf ihr ruhte – sie fühlte ihn – übermannte sie das Mitleid mit ihm, die Furcht, wie er das, was er hören sollte, ertragen würde, und es stockte ihr Atem sie wandte sich immer wieder einem aus der Luft gegriffenen Thema zu, schon um sich selbst für den Augenblick zu vergessen. –

Unter einer silbernen Theemaschine brannte der Spiritus, das Wasser siedete und summte eine schwermütige Melodie, im Kamin knisterte das Feuer, wenn ein Windsturm hindurch fuhr, flammte es hell auf.

Hela erhob sich, bereitete den Thee, goß ihn in Tassen und präsentierte ihm eine.

Er sah ihr wie im Traume zu. Es war ihm so beklommen zu Mute, als ahnte er, was wohl kommen könnte.

Hela fühlte sich mit jeder Minute unsicherer, sie zog ihre Uhr heraus, es war bereits zehn Uhr.

»Ich denke, Hasso, ich lese morgen weiter, heute – es ist schon spät – ich bin auch gar nicht so wohl, und –«

»Besser wäre es auch wohl, Sie geben mir das Manuskript mit auf mein Zimmer, wenn Sie mich doch des Vertrauens würdigen, den Inhalt kennen zulernen, so kann ich es ja ebenso gut selbst lesen –«

Sie atmete erleichtert auf.

»Ja, das ist richtig, hier nehmen Sie es mit, lesen Sie es, alles andere was noch vorhanden, müssen wir aber gemeinsam durchsehen. Sie werden dies später selbst für notwendig halten, und nun, lieber Hasso, gute Nacht!«

Er reichte ihr die Hand, sie hielt sie fest und ihm traurig in die Augen schauend, sagte sie ernst:

»Hasso, wenn etwas Schweres über Dich hereinbricht, wenn Leid über Dich kommt – vergiß keinen Augenblick, daß ich hier bin, daß ich zu Dir gehöre, daß wir gemeinsam zu trauern haben.

Du siehst, ich nehme nun schon seit Monaten Deine Gastfreundschaft wie selbstverständlich in Anspruch, thäte ich das, wenn ich nicht fühlte, daß hier zwischen mein und Dein kein Unterschied mehr sei?

Wir gehören zusammen, Hasso, morgen wirst Du das deutlicher fühlen.

Ich lebe, Du wirst auch weiter leben können.

Schau mich nicht so an, als spräche ich Worte, die ohne Sinn, geh', mein Freund, Gott schütze Dich!«

Er machte sich fast unmutig los und stürmte hinaus.

Drunten in seinem Zimmer ließ er sich Licht bringen, riß ein Fenster auf, lehnte seinen Kopf an den geöffneten Flügel und ließ die eisige Luft über seine fieberhaft heiße Stirn gehen.

Er befand sich in einer Stimmung, von der er sich selbst keine Rechenschaft zu geben wußte.

Er wollte sie, die sich selbst als Schuldige genannt, verachten und konnte es nicht.

Er ersehnte ihr Fortgehen, und nun es nahe bevorstand, entsetzte ihn der Gedanke. Er hatte geglaubt mit seinem Gefühl für sie abgeschlossen zu haben, – und wenn er ihr in die Augen sah, meinte er vor Liebe zu vergehen.

Und nun kamen ihre rätselhaften Anspielungen, ihr geheimnisvolles Wesen, das auch ihn umfassen sollte, hinzu. Vom Zuge, der hineindrang, war die Lampe ausgegangen, der Raum kalt und dadurch ungemütlich geworden, er dachte, wie es so anders bei ihr da oben war, wie sie den Raum selbst in der Trauer zu beleben verstand. Wenn sie hier bliebe, wenn er sie zum Bleiben zwingen könnte! Alles wollte er ihr vergeben, alles, was es auch sei, was er zu erfahren habe, – und wenn sie mehr als eine Mörderin wäre, – er liebte sie, er schmachtete nach ihrem Besitz und konnte an die Möglichkeit ihres Fortgehens nicht denken.

»In der Trauer gehören wir zusammen,« hatte sie gesagt. Gut, so wollte er sein Lebtag mit ihr trauern, o, darben, hungern, arbeiten wie ein Knecht wollte er – aber mit ihr!

Er machte Licht, ließ sich Feuer anbrennen, streckte sich der Länge nach auf das Sopha nieder und nahm das Manuskript, das sie ihm anvertraut, zur Hand. Erst blätterte er zerstreut darin herum, las diese und jene Stelle, die nicht zusammen gehörten und plötzlich – was war das? stand da nicht Alice Gutrun? Es war eine Täuschung, es mußte eine solche sein, seine erhitzte, überreizte Phantasie ließ ihn etwas lesen, was nicht dastand. – Dieser Name, wie käme er hier herein?! – Er buchstabierte zitternd jeden Buchstaben laut vor sich hin. Alice Gutrun stand unwiderruflich dort!

Hastig klappte er das durch ein Seidenband zusammengehaltene Heft zu, sprang auf, setzte sich wieder und begann nun, den Kopf in die Hände gestützt, von Anfang an zu lesen.

– – Meine Hela ist heute ein Jahr geworden, und dieser Festtag wurde nach Bestimmung des »Regierungsrates,« meiner Schwiegermama, feierlichst begangen.

Ein Schwarm buntgeputzter Gäste zog in mein Haus ein und ich mußte neben ihr, neben des Kindes Mutter, den galanten und gewandten Hauswirt spielen.

Früher habe ich gemeint, nur Frauenseelen müssen absolut von ihrem Empfinden reden, der starke Mann brauche nur sich.

Aber ich bin nach und nach darauf gekommen, was es heißt, einen Menschen zu besitzen, der mit einem fühlt und denkt.

Hätte ich nur ein Wesen, das mit mir spricht, das mit mir schweigt. – Aber seit man mich gefangen, nahm man mir alles.

In der Komödie des Lebens bin ich nicht mehr, als eine Koulisse, die man dahin schiebt, wo man sie braucht.

Auch Erich scheint verändert, er kann nicht von ihr hören, und von anderen mag ich nicht sprechen.

Am frühen Morgen hatte mir meine Frau unser Kind in mein Zimmer gebracht, es lächelte mir entgegen und streckte sein Aermchen nach mir aus, ich zog es an mich und küßte es, vielleicht fühlte ich zum ersten Mal ausgeprägter, daß es mein war – aber da legte auch des Kindes Mutter die schwellenden Arme um meinen Hals und »bist Du glücklich?« hörte ich ach, nur zum tausendsten Male von deren Lippen, »ich gab Dir das Kind,« setzte sie mit feuchtem Auge hinzu.

»Was aber raubst Du mir?« fragte grollend mein Herz, aber mein Mund fand Worte, die sie hören wollte.

Gäste kamen und gingen, Jubelklang, Musik, Gesang erschallte, – aber in meinem Herzen fand nichts Widerhall, alles ist öde, alles leer.

»Du kleiner Wurm«, sprach es in mir, als ich an dessen Wiege vorüberging, »wohl Dir, daß Du lebend tot bist, daß Du nicht erfassen kannst, wie Du dem eigenen Vater durch Dein Dasein ein Fluch geworden.

Ich – werde ich Dir je Deine Mutter vergessen können! – Und doch – bist Du mein, mein Blut ist in Dir so gut, wie es in den Adern meines Herzenskindes ist. Ja, kleine Hela, gut, daß Du da bist, so oft ich Dich in der Nacht weinen höre, so regelmäßig ertönt es wie Engelgesang in meinen Ohren. Ich höre in Dir ein süßes Kinderstimmchen, das Kind meines Engels schreit, es sehnt sich nach mir, nach dem Vater, und mit ihrer Stimme ertönt dann so sanft und leis wie ich sie immer gehört, ein Wiegenlied, das vom Vater redet.

Alice, Alice, warum finde ich Dich nicht, warum giebst Du mich der Verzweiflung preis?

Ist das Liebe, ist das Großmut von Dir? Warum verbirgst Du Dich, daß keine Spur von Dir zu finden? Und warum enthältst Du mir das Teuerste, das uns verbindet? – – Meiner Tochter Lächeln kann ich nicht sehen, aber ihr Weinen erfreut mich! Vaterliebe! – – Ist Verstand verlieren oder behalten schrecklicher bei meiner Seelenqual?

Damals, als ich einige Monate getraut war, als ich vor Schmerz um den Verlust meines Engels dem Wahnsinn nahe, als ich sie vergeblich mit Verzweiflung gesucht, ward mir die falsche Kunde, sie sei nach Rom gegangen.

Nach Rom – ich packte meine Sachen, ich wollte und mußte sie sehen. Und dann wieder das Bleigewicht!

»Reisen willst Du, reisen ohne mich – o ich sterbe vor Sehnsucht,« mit gerungenen Händen stand sie vor mir, die mir angetraut, und meine schöne Schwiegermama erklärte, daß es sich für einen Neuvermählten wenig schicke, allein zu reisen.

Sie kam mit mir nach Italien. Tage, Wochen, Monate, durchstreifte ich vergeblich das sonnige Land.

Alles Erhabene, alles Schöne und Hehre – farblos und düster starrte es mich an.

»Wo weilst Du Geliebte, wo mein Kind?« so rief das urewige Meer mit mir, so zwitscherten die Vögel, so nur, so ertönte es um mich her.

Ich war kein galanter Gatte, meine Frau wollte heim, ich folgte ihr willenlos, ich war wieder ihr Sklave, den sie gekauft.

*

Das ist doch ein Glück, daß einem Gott Phantasie geschenkt, die einen über die Schwere des Lebens auf Schwingen hinwegträgt.

Alice, wachend träumte ich den ganzen Tag von Dir, meine Seele flog zu Dir, ich grüße Dich tausend, tausend Mal.

Im Waldhäuschen bin ich gewesen, und habe Dich, Du mein Abgott, als liebliche Fee, wie ich Dich gekannt, darin walten gesehen.

Und dann war es mir doch, als trüge mich mein braves Roß zu Dir, Geliebte, es kannte ja den Weg, den teuren, so genau, ich durfte mich meinen süßen Träumereien getrost überlassen, Cäsar wußte, wohin er mich zu tragen hatte.

Und, wenn der Hufschlag zu der gewohnten Stunde an Dein Ohr drang – die Seligkeit! öffnete sich das Gartenpförtchen und eine hellgekleidete Libellgestalt flog mir mit ausgebreiteten Armen entgegen. Die Wonne! – dann, Alice, durfte ich Dich küssen, küssen, daß ich vor Glückseligkeit zu vergehen glaubte.

Himmel und Erde, alles, bist Du mir gewesen – – – und heute – heute – »längst ist vorüber der selige Traum.«

– – – Und denke ich noch weiter zurück, zurück wo Du noch nicht gewesen. Nein! Das kann ich nicht. Ehe Du noch warst? – lebte ich denn da? Von da ab will ich denken, wo ich Dich, mein Sonnenstrahl, zuerst erblickte.

Casinoball in einer kleinen Stadt. »Brrr!« sagte ich bei der gemeinsamen Tafel zu den Kameraden, die ich, aus der Residenz kommend, wieder einmal aufgesucht, »führt mich überall hin, meinetwegen zum Teufel, aber verlangt nicht, daß ich, der bekannte Lebemann, mit Euch einen Klatsch-Ball in Eurem Nest besuche.

»Wir gehören zur Kavallerie, Ihr zur Infanterie, und könnt vielleicht mehr vertragen als wir leichtes Völkchen.«

»Tanzen, mit aufgewärmten Jungfrauen, die aus dem vorigen Jahrhundert übrig geblieben, alten, tauben Majorswitwen, Hauptmannsfrauen den Hof zu machen, weil ein bittender Blick uns dazu auffordert – der Ritter muß zum blutigen Kampf – aber nicht in den Ballsaal.«

So also sprach ich – und Abends mein Czako unter dem Arm, mit der kleidsamen Uniform unserer prächtigen Husarnmontur betrat ich mit den Kameraden den Saal.

Armseliges Möblement! Wie ich gesagt. Aufgeblühte Päonien, einige Rosenknöspchen mit herabhängenden Zöpfen und niedergeschlagenen Augen und – wie überall Ballmütter, Ballmütter, Ballmütter.

Sie halfen redlich füllen!

Mein Gott, mir war es, als kämen auf je ein junges Mädchen zwei Mütter. Und dabei! wie riesig beschützt die jungen Dämchen alle dreinblicken!

Vor lauter Anstand wagten sie kaum zu atmen. Mein Freund Erich und ich fanden reichlichen Stoff zum spötteln, waren wir doch im stolzen B. an Ballköniginnen von vollendeter Tournüre, von Koketterie in allen Farbentönen gewöhnt.

Die armen Kleinstädterinnen, wie wurden sie zerpflückt.

Und die Toiletten – eine Dame in Feuerrot – wie unbewußt sie diese verfängliche Farbe trug – meiner Treu, Erich meinte, die Emanzipierteste bei uns hätte dies kaum gewagt.

Aber dies Stadtgänschen – unbewußt und ungeschickt trug sie die Robe, dies Symbol der – rohen Freiheit.

Und plötzlich öffneten sich wieder die schmalen Flügelthüren, denen wir gegenüberstanden, zwei junge Damen in Begleitung eines alten Herrn von imposanter Haltung und edlem Gesicht, das von einem schneeweißen Bart umgeben war, betraten den Saal.

Beide Damen waren gleich gekleidet und so verschieden an Gestalt und Ansehen, erkannte man doch die Schwestern.

»Major Gutrun mit seinen Nichten,« flüsterte mir ein Kamerad zu, indem er bemüht war, das Antlitz der kleineren Dame, die sich etwas befangen hinter der Anderen hielt, zu erblicken.

Ich folgte seinem Blick und – wenn je mein Auge etwas Liebliches gesehen, wenn je mein verwöhnter Geschmack etwas Entzückendes gefunden, es übertraf sich hier.

Kein Maler kann den Zauber des Liebreizes bannen, kein Dichter vermag dieses Wesen zu schildern.

Ein weißes duftiges Gewand umschloß züchtig die zierliche Elfengestalt, eine mattrote Rose war im Gürtel des Kleides befestigt, das war ihr einziger Schmuck.

Sie tanzte und sprach mit ihren Kavalieren in der anmutigsten Weise, sanft und lieblich ertönte ihre Stimme bis zu mir, der ich mich möglichst in ihrer Nähe aufhielt, herüber.

Warum überkam es mich hier, in einem Ballsaal, mich, den Spötter, der nie etwas Sentimentales in sich gefühlt, wie Andacht, warum dachte ich hier, wie doch so selten in der Kirche, an den großen, allmächtigen Gott da droben? Warum sprach ich wie unbewußt, als sie schwebend in dem Arm ihres Tänzers an mir vorüberglitt, »die heilige Jungfrau« für mich hin? –

Ich ließ mich dem Major vorstellen, der jovialste Herr, der mir je vorgekommen.

Ich ward mit den Damen bekannt – und dann folgten zwei Jahre der unerschöpflichsten Glückseligkeit.

Alice ward meine Braut. Wir verlobten uns.

Der Onkel, der die zwei Waisen nach seines Bruders Tod, der ebenfalls Offizier gewesen, zu sich genommen, Alices Schwester Margot, das vollkommenste Wesen das man sich denken kann, ja wir selbst wußten nicht, wie wir vereint werden konnten, da wir beide vermögenslos, und dennoch, allem Irdischen entrückt, gedachten wir nur unserer Liebe zu leben. Und darauf hin, ohne an die Zukunft zu denken, verlobten wir uns mit der Zustimmung derer, die Alice liebten. Und sie war ja der Abgott aller!

Nie ist mir auch ein gleiches Verhältnis zwischen Schwestern wieder begegnet wie das bei Gutruns war.

Margot war 5 Jahre älter als meine Braut und liebte sie mit der selbstlosesten und hingebendsten Liebe einer Mutter.

Der Onkel, ein alter Junggeselle, nannte sie den Stern seines Lebens. Die alte Trude, ihre Amme, die als Dienerin im Hause blieb, »unser Prinzeßchen mit dem Goldhaar.«

Und dieses von aller Welt geliebte Kleinod, gehörte mir, mir ganz allein.

War noch ein Geschöpf auf der ganzen großen Welt, das sich an Glückseligkeit mit mir messen konnte?

Aber darin hatten wir uns zu finden, daß ich vorerst nur meine Urlaubzeit bei ihr zubringen konnte.

Allein meine Rose war zu zart um lange Trennungen ertragen zu können, die Sehnsucht nach mir bleichte ihre Wangen mehr und mehr, und eine Weihnachten, als ich zu ihr, nicht wie ich es früher gewohnt, zu meinen Eltern, den Weg nahm, – überraschte uns der Onkel mit dem Geschenk eines Waldhäuschens weit weit von uns, in einer wilden öden Gegend nach der polnischen Grenze zu.

»Ich habe es für Euch herrichten lassen, Ihr sollt dort, fern von der neidischen Welt, die die Heiligkeit eines solchen Verhältnisses nicht zu fassen vermag, Euer eigenes Heim gründen.

Ich werde Euch trauen, meine Kinder, ich bin zwar kein Priester, kein Heiliger in engerem Sinne, aber ich habe mein Lebtag nie etwas begangen, das ich nicht für ehrenhaft gehalten, und somit bin ich in meinem Sinne fromm gewesen.

Darum: ich will Euch trauen, die Hände, die ich segnend auf Euer Haupt lege, sie sind rein wie die eines Priesters.

Ihr sehnt Euch krank nacheinander und doch ist es unmöglich, daß Ihr Euch angehört im Sinne der Welt, denn selbst dann, wenn Du mein Sohn, wie es Dein Wille gewesen, dem Militärstand Valet sagtest, um Alice nach dem Gesetze heiraten zu können, wüßte ich doch nicht, worin Du Deine Existenz finden könntest. – Was Du gelernt hast, kommt Dir im praktischen Leben wenig zu statten. Würde sich aber eine Stellung finden, die vielleicht Deiner Neigung wenig entspricht, so würdest Du Dich ebenso unglücklich fühlen, als sie Alice bedrücken könnte. Bleibe nur Militär! Ich traue Euch; und nach einem Avancement, das ja doch erfolgen muß, könnt Ihr Euch später auch gesetzlich verbinden lassen.«

Erich machte einen Einwand, doch der alte Herr erwiderte:

»Sie werden mir zustimmen müssen, daß alles Profane durch die Weihe, die wir der Handlung geben, verschwindet.«

Wir umgehen ja nur einen formellen Aktus und auch nur in der Weise, als wir selbst können, wo sonst andere dazu berufen werden. Hätten wir aber die nötige Summe, die der Offizier zum Ehekonsens aufzuweisen haben muß – wir wären die letzten, die dem Gesetz dann entgegen getreten wären. Wir wichen rein der Unabänderlichkeit!

Daß ich selbst auf eine willkürliche Handlung hinweise, wundert Sie? Nun, ich motiviere diese damit: ich fühle mich krank und schwach, bedenke, daß ich vielleicht nahe dem Grabe bin, sind meine Augen geschlossen, so dürfte Hugo nicht mehr hier verkehren, meine Kinder sind dann allein. Alice voller Sehnsucht nach Einem, der der Vernunft nach zu ihr gehört.«

Wie groß erschien mir das! Und wie war es nach meinem Herzen! Meine Braut und ihre Schwester, unsere Freunde, alle stimmten dem, was der Onkel gesagt, nur bei. Aber in meinem Hause – hätten meine Eltern, meine Geschwister, die alles von einem so begrenzten Gesichtskreis betrachteten, wohl Verständnis für unsere Ehe gehabt?

Sie hätten sie nimmer für giltig gehalten. Darum kamen wir überein auch meiner Stellung wegen, unsere Vereinigung geheim zu halten, nur unsere Freunde wohnten unserer Hochzeit bei.

Ich hatte mich versetzen lassen, nach einem kleinen polnischen Nest, um meiner Gattin nahe zu sein. Es begriffen nur meine Freunde, kein anderer.

Aber auch da der Neid der Götter! Sehr bald ward ich nach G. beordert.

Und – schon um meine Sehnsucht, in welche ich mich verzehrte, zu bannen, stürzte ich mich, der an flottes Leben gewöhnt, in den Strudel alles Wohlbehagens, alles erwachte wieder in mir – Spiel, Sport jeder Art, ich betrieb ihn wie ehedem, nur Frauen war ein überwundener Standpunkt.

Ich wäre auch der erbärmlichste Mensch gewesen, hätte ich nach ihr in schöne Augen geschaut.

Glück in der Liebe, Unglück im Spiel!

An einem Abend im Kasino, wo ich sinnlos spielte, wo ich sie wieder so rührend schön und sonnig wie ich sie nur gekannt, in meiner Phantasie vor mir sah, wo ihr mildlachendes Antlitz vor mir hertanzte – verlor ich, der alles das, was er verlor, wieder einholen wollte, – die runde Summe von 40 000 Mark – die ich auf Ehrenwort zu zahlen mich verpflichtete.

Der Wein und der Trubel um mich her hatte noch das seinige gethan, um mich vollends zu verwirren, ich wußte nicht, was ich wagte, als ich mein Wort verpfändete, ich wußte nicht, was ich beging, als ich weiter spielte.

– – – 40 000 Mark – Schulden auf Ehrenwort in 3 Monaten zahlbar, keinen Pfennig im Vermögen, und nirgends einen Hoffnungsstrahl zur Realisierung. Erich, der sich ebenfalls nach hier versetzen ließ, nun er wußte, was auf meiner Seele lastete.

Meine Alice durfte nicht in Kummer versetzt werden, Margo aber teilte ich mit, was vorgefallen war.

Sollte sie doch in ihrer Klugheit einen Ausweg finden – und sie fand ihn. Gräßlicher Ausweg!

»Suche Deine Verwandte, Donna Fredo, auf Schloß Derenborg auf, sie ist nahe genug von Eurer Garnisonstadt, sage ihr, der reichen Dame, was Dich drückt, vielleicht hilft sie Dir.

Erzähle ihr auch von uns, sage, daß Du nicht Dir gehörst, daß Dir geholfen werden muß – daß Du verheiratet seist.«

Den Mut fand ich nicht, daß ich Alice liebe, sagte ich meiner Großtante – aber nichts weiter.

Was nun folgte – – – und als Alice fort war, sich mir doch entzogen hatte und der Verfalltag meines Ehrenwortes immer mehr und mehr heranrückte – und als ich das zweite Ehrenwort – das ihrige – auch noch einzulösen hatte – da machte mich die Verzweiflung zu einem Erbärmlichen – ich heiratete Helas Mutter.

– – – Als ich von der italienischen Reise zurückgekehrt, brachte mir Erich die Nachricht, daß mir ein Sohn geboren sei, Margot hatte ihm die Geburt des Kindes gemeldet, mit dem Ersuchen, mir dies zu berichten; man befürchtete wohl, in das Schloß direkte Nachricht gelangen zu lassen.

Das Billet trug den Poststempel der nächsten Poststation von unserm Waldhäuschen aus.

Es war so kühl geschrieben, daß es mich erschreckte.

»Teilen Sie Ihrem Freunde, Herrn Lichthof, gefälligst mit, daß ihm ein Sohn geboren,« stand nur darauf.

Mich fröstelte, als ich es tief bewegt aus der Hand legte. Mein erster Gedanke war zu ihr zu eilen, sie hatte also unser idyllisches Nestchen wieder aufgesucht, dort, wo wir die glücklichsten Tage, die einem Sterblichen zuteil werden konnten, verlebt, hatte auch unser Kind seine Augen aufgeschlagen.

Ich jauchzte, meine Alice, jetzt mir noch teurer, wiederzusehen, sie wieder in meine Arme schließen zu können und vereint mit ihr das Elternglück zu genießen.

– Zwei Monate war das Billet bereits in Erichs Besitz, er fürchtete es mir zuzusenden, er kannte die scharfe Kontrolle meiner Frau.

Ich fuhr nach meiner Behausung, ließ meine Sachen packen, und sagte meiner Gattin, daß ich einige Wochen fortzubleiben gedenke.

Es gab ein gehöriges Rencontre, meine Schwiegermama sekundierte wie immer – aber diesmal behauptete ich meine Autorität, in einigen Stunden saß ich auf der Bahn, fuhr Tag und Nacht und endlich war das bekannte Städtchen erreicht – der wohlbekannte Weg lag vor mir.

Mit Extrapost sauste ich die Chaussee entlang und jetzt – das Häuschen – mein Herz klopfte zum Zerspringen. Mit Hast fertigte ich den Kutscher ab, er wollte gerade sein Horn ansetzen, um ein lustiges Liedchen in die Welt hineinzuschmettern – und nun noch einige Sätze, dann war das »Nestchen« erreicht – dann sah ich sie, – blaß und zart, wie ich sie mir immer nur denken konnte und mein, ihr Kind. –

Das Gartenpförtchen war angegittert, kahl und leer, mit Schnee bedeckt alles rings umher.

Ich stieß es gewaltsam auf und erreichte die Hausthür, sie war verschlossen. Hastig rüttelte ich daran, mit dem Aufwand aller Kräfte – vergeblich! – sie blieb geschlossen.

Ich rief – man hörte mich nicht. Mir war es, als müßte mich die Erde verschlingen, alles Blut war in mir zu Eis erstarrt, so arm, so elend, so verlassen wie ich dastand, der ich so hoffnungsvoll, so vor Sehnsucht lechzend nach Gattin und Kind hergekommen.

Ich zerschlug ein Fenster und rief ihren holden, geliebten Namen, von kahlen Wänden hallte er so grausig wider, daß ich erschrak.

Leer – ausgeflogen – verlassen.

»Wie der Stein auf der Gassen
So verlassen bin ich«

ertönte es in mir. – Es war ihr Lied, das mir in den Sinn kam.

Und – »verlassen, verlassen, verlassen bin ich« – so tönte es nun mein ganzes, langes Leben hindurch, das nur ihr geweiht war, das immer nur sie suchend, sich wieder belebte. – – – – – –

Welch schwerer Tag auch heute war, mein bester Freund, auch Du bist nicht mehr.

Es war ein stürmischer Abend, ich spielte mit meiner Gattin und Schwiegermama Whist, als Erichs Diener bestürzt hereinstürmte.

»Gnädiger Herr, der Herr Leutnant – er ist – er wird – ach kommen Sie doch, er verlangt nach Ihnen.«

»Was ist geschehen, Friedrich?« fragte ich entsetzt.

»Der Herr Leutnant haben sich heute früh um 8 Uhr duelliert, und haben eine tötliche Wunde in der Brust erhalten« hörte ich und dem braven Burschen rannen die Thränen über die Wangen.

Im Nu war mein Pferd gesattelt und nun saß ich auf dem Rand seines Bettes und hörte sein letztes Vermächtnis.

Hörte auch, daß ich, daß meine Alice, Ursache zum Zweikampf gewesen.

Es hatte sich einer der Kameraden unterfangen, von einem »Verhältnis«, das ich gehabt haben sollte, mit einer »Person«, die ich dann sitzen gelassen hätte, zu sprechen.

Erich erbat sich, das zurückzunehmen von der Dame, die ich geliebt, mit der Ehrerbietung die ihr gebührte, zu reden. Man lachte ihm ins Gesicht – er verteidigte meinen Abgott, meine Alice, wie es einem Kavalier geziemt – bis in den Tod.

Und sterbend beichtete er mir dann ferner, daß auch er Alice mit der wahnsinnigsten Glut geliebt, und daß ich denken kann, wie schwer ihr Unglück auf ihm gelastet.

»War sie so unglücklich, Erich?« fragte ich entsetzt.

Und nun erfuhr ich das Schwerste, das je ein Mensch ertragen.

Alice hatte durch Erichs Unvorsichtigkeit erfahren, daß ich Spielschulden habe, sie war vor Gram der Verzweiflung nahe, und endlich äußerte sie ihm, dem Freunde, daß sie mich lieber freigeben, als mich sterben sehen möchte. Sie meinte ferner, man solle sorgen, daß ich den »gewöhnlichen« Ausgang nehme, – reich heirate.

Darum nur gab sie mich frei! – Ich sollte nie erfahren, daß meine Schulden den größten Anteil an dieser »Freigabe« hatten.

So übermenschlich wie ich litt durch die Trennung, durch meine Fesseln, durch meine Schuld – so hatte nun auch sie gelitten! – –

Sie, meine zarte, sonnige Rose!

Wie erbärmlich klein kam ich mir nun vor, wie verdient erschien mir jetzt mein Unglück! – und wie betete ich ihre Großmut, ihren Edelsinn an!

Aus grenzenloser Liebe, für mich sorgend, gab sie mich, ihr Alles, einer andern hin, wollte sie ihr Leben für mein Leben einsetzen.

Das Schicksal wollte, daß ihr auch Donna Fredor noch in den Weg kam, die sie zum schnellen Abschluß bestimmte. –

Alice, Du große, herrliche Seele, warum mußte ich Dein Herz brechen, ich, der Dich nimmer verdiente?

Lange, lange sah Erich mich weinen, dann rief er mich wieder an sein Bett, er drückte mir die Hände und bat mich mit weicher Stimme, das, was ich hören würde, mit männlicher Kraft entgegen zu nehmen.

Doch ich vermochte es nicht, ich brach zusammen, als es ersterbend von seinen Lippen kam:

»Lichthof, Alice ist bei der Geburt des Kindes gestorben.«

Nicht ich war es, der dem Freunde die Augen zudrückte, lange blieb ich besinnungslos.

Als ich wieder zu mir kam, war ich in meiner Behausung.

Und nun folgten Wochen und Monate, wo mein Geist ganz umnachtet schien.

Alice tot – wozu brauchte ich noch zu leben?

Mein Sohn, wenn Du mich einstens aufsuchen wirst, Margot, Deine Tante, sie wird nach dem heiligen Willen ihrer engelhaften Schwester, Deiner Mutter, dafür sorgen und ich nicht mehr sein sollte, so werden die Papiere Dir annähernd von dem Leid Deiner Eltern erzählen, sagen, wie sie gelitten und gerungen, sie werden Dir zeigen wie der Leichtsinn einer Minute im Stande ist, das ganze Leben zu vernichten.

Ich büßte redlich für meine Schuld, büßte schon dadurch, daß ich gezwungen war, mit Menschen unter einem Dache zu wohnen, denen ich die meiste Schuld beimessen konnte, die ich hassen mochte, die die Zerstörer meines Glückes gewesen.

Diese alte Frau, wie stolz sie das greise Haupt trug, hatte sie gedacht, als sie so bethörend meinem Engel mit Theaterpathos entgegenrief:

»Eine Mutter kniet vor Ihnen,« daß auch um Alicens Glück Menschen gebeten, daß auch ich eine Mutter gehabt, die mich gern glücklich gesehen – bedachte sie das?

Dieser infame Egoismus, mit ihrem Gelde gedachte sie das Leben ihres Kindes, das ja doch ein verfehltes gewesen, erkaufen zu können?

Und mit dem Glück, das sie für ihr Kind erhoffte, griff sie mit rauher Hand in das Schicksal Anderer.

In Italien also hast Du, mein teures Kind, mit Deiner Tante die ersten Jahre verbracht und nun, wo weilst Du jetzt –?

Ist es recht von Margot, mich ohne Nachricht zu lassen? Deine Mutter hat der Himmel Dir genommen, armes Kind, und Deinen Vater, der sich mit liebendem Herzen nach Dir sehnt, enthalten die Menschen Dir vor.

Wie eine ansteckende Krankheit, so greift das Unglück von Glied zu Glied um sich.

*

Daß mich mein Herr und Gott dochnoch so gesegnet hat, ehe ich die Augen schließe, mein teures Kind, meinen Sohn finden zu lassen.

Wie sich ein Mönch nach der stillen Klause sehnt, so war es mein Herzenswunsch, hier an der Stätte, die die Würdige geweiht, die durch meiner Alice Nähe geheiligt, mein Haupt nieder zu legen.

So erfuhr ich einst durch ein Wunder Gottes, wo mein Sohn weilt, daß auch meine Schwägerin ihre Augen geschlossen und daß mein Sohn nun allein auf der Welt stände.

Nicht in den Dienst der Kirche bin ich getreten, in den Dienst der Arbeit habe ich mich gestellt.

Der verwöhnte Offizier ist ein gewöhnlicher Arbeiter geworden.

Hela, das arme Kind, erst jetzt gedachte ich ihrer, über das rastlose Suchen nach Dir, mein Sohn, vergaß ich ihr Dasein. Jetzt nehme ich sie mit mir, Ihr sollt Euch als Geschwister lieben lernen, sollt, ehe ich sterbe von mir vereint, gesegnet werden.

Ich werde ihr von meiner Schuld, von meinem Unglück erzählen, sie wird mich verstehen, denn sie ist eine große starke Seele.

Aber wie zerreiße ich damit den Glorienschein, den sie um ihre Mutter gewoben! – armes Kind, auch Dich habe ich unglücklich gemacht. Du hast mir mehr zu verzeihen, als mein Sohn, den ich immer in Liebe umfaßt.

Als ich Dich zuerst sah, Hasso, und Dich doch nicht an mein Herz drücken konnte –

Als Du mich anschautest mit den geliebten, dunklen Augen, die die Augen Deiner Mutter sind – – –«

Mit einer verzweifelten Gebärde warf Hasso Althof die Blätter weit von sich, daß sie nach allen Seiten hin auseinander stoben.

»Hela, meine arme, süße Hela, ist es möglich, daß man so entsetzlich tiefes Leid auf Deine jugendlichen Schultern wälzen konnte?

Warum hat dieser Mann alles dies Dir gesagt, armes Mädchen, warum warst Du es, die zuerst in diesen entsetzlichen Irrtum gestürzt wurde?«

Jetzt verstand er ihre Aeußerungen, jetzt wußte er, warum sie ihn gebeten, stark zu sein, jetzt wußte er auch, daß ihr seine Liebe grauenhaft erscheinen mußte, wußte, warum sie sich als seiner unwürdig hingestellt:

Sie wollte seine Liebe für sie töten.

Er schüttelte sich wie im Fieber. Die Wanduhr verkündete die zwölfte Stunde, im Hause ruhte alles.

Mit Riesenschritten durchwanderte er das große Gemach, rang die Hände, durchwühlte wie ein Verzweifelter sein Haar, biß sich die Lippen wund und bemühte sich vergeblich, seine Gedanken zur Ruhe zu zwingen.

Wie ein Chaos ging alles in seinem Kopfe herum, es drehte sich fühlbar sein Gehirn.

Er zwang sich vergeblich im Zimmer zu bleiben, er wollte hinausstürmen in die kalte Nacht. –

Hastig öffnete er jetzt die Zimmerthür, da stand Hela im Nachtgewande vor ihm.

Er schrak entsetzt zusammen und trat zurück, ihr Raum gebend, um eintreten zu können.

»Hasso, ich habe Deine Verzweiflung gefühlt, ich vermochte nicht oben zu bleiben, ich mußte zu Dir.«

Sie war leichenblaß, und kaum daß sie die Worte über ihre Lippen brachte.

Er ergriff ihre Hand und zog sie mehr in das Zimmer hinein! Nun hing sie ihm schluchzend am Halse.

»Hasso, mein Bruder, mein Bruder!« so stammelte sie immer und immer wieder.

Er löste sanft ihre Hände von seinem Hals und führte sie zum Divan, noch sprach er kein Wort, dann aber stürzte er ihr zu Füßen und seinen Kopf in ihren Schoß bergend, brach er in ein so krampfhaftes, schmerzliches Weinen aus, wie sie es nimmer vernommen. Es giebt keinen herzzerreißenderen Anblick, als einen Mann weinen zu sehen, von dem das Weib Stärke erhofft, an dem sie stets solche gewinnen möchte.

Die Thräne des Weibes erweicht, die Thräne des Mannes erschüttert bis in den Grund der Seele.

Liebkosend legte sie ihre Hände auf sein Haupt, fuhr liebkosend über seine Wangen und herzlich sprach sie:

»Beim barmherzigen Gott, Hasso, Du darfst nicht weinen. Du darfst nicht unglücklich sein, Du weißt es nur noch nicht. Dein Leid ist nicht so groß, Deine Mutter ist so rein, so überirdisch groß, Du sollst ihren Brief lesen, den ich besitze, und unser Vater, wir dürfen ihn nicht richten, er war so unglücklich.

Du hast nicht zu weinen, Du warst ein ersehntes Kind, nur auf mir lastets, nur mir flucht es, ich, nur ich bin es, die mit ihrem Dasein gesündigt. Nur meine Mutter, die sich zwischen das Glück eines liebenden Paares gedrängt.

Komm' doch zu Dir, Hasso, ich kann Dich nicht weinen sehen. Siehst Du, morgen, wenn Du mehr wissen wirst, wirst Du ruhiger sein können. Ich bin es ja nun auch, wir müssen uns darein finden.«

Er nahm ihre Hände in die seinen und sprach noch immer weinend:

»Armes Kind, wie lang wußtest Du es?« – –

»Weißt Du, an dem Tag, als Du zu uns kamst, als ich so erbärmlich schroff zum Vater gewesen – da sagte er mir des Abends alles, weil – nun weil – – und ich zum Unglück geboren, ich raste; mit den wildesten, herzlosesten Vorwürfen hatte ich Unsinnige ihn überschüttet – er wollte von mir Absolution, die ich ihm in thörichtem Wahn, ihm, der nach Heilung durstete, verweigerte.

Alles vermochte er zu überleben, aber die Verachtung seines Kindes, wenn es ihm auch nur wenig gewesen, nicht. – Du weißt wie er starb. Starb – durch mich!«

Nun weinte auch sie, er umschlang sie und drückte ihren Kopf an sein Herz.

Sie fühlte das ungestüme Klopfen desselben und raffte sich empor.

»Was Du gelitten haben mußt, Du armes Kind, Du meine süße Hela,« kam es von seinen Lippen, »und so allein alles getragen, warum sagtest Du mir nicht gleich davon? –«

»Konnte ich es? Der Vater wollte Dir das, was er mir sagte, einen Tag später mitteilen, der Tod trat dazwischen, was ich verhüten wollte, hielt er auf.

Ich wollte Dich wenigstens schonen, Hasso, es war ja genug, daß einer unglücklich ward, warum zwei?

Ich hatte erst vor, Dir gar nichts zu sagen, aber dann – Du entsinnst Dich jenes Nachmittags unter Deinem Dache – und dann mein Herz verlangte schließlich doch nach einem Menschen, an dessen Brust mein mühselig beladenes und schuldbewußtes Haupt ausruhen durfte.

Jetzt danke ich doch dem Himmel, daß er mir einen Bruder, wie Du einer bist, gegeben.«

»Nicht so nenne mich, Geliebte, nicht Dein Bruder bin ich, Dein Vater war von einem grausamen Irrtum befallen. Alice Gutrun war meine Tante.«

Wie geistesabwesend starrte Hela ihn an, er trat ihr näher, sie wankte und nun ward die schlanke Gestalt Helas, die er stützen wollte, immer schwerer und schwerer, leblos lag sie in seinen Armen.

*

»Wenn Du Dir doch die Dämmerstunden abgewöhnen wolltest, mein Kind, sie sind entsetzlich für mich. Früher pflegtest Du in ihnen Klavier zu spielen, aber jetzt – so stille vor sich hinbrüten, wohin soll es führen?«

.

Eine alte Dame mit ungemein strengen Gesichtszügen sprach also und als ihr keine Antwort ward, drückte sie auf die vor ihr auf dem Tisch befindlichen Klingel. »Zünde die Lampe an, Lene, und mache im Salon jetzt Feuer, wir bekommen Besuch,« sagte sie der eintretenden Magd.

»Es ist geradezu albern von Dir, Hela, daß Du Dich noch immer weigerst, Dich zu zeigen. Es ist längst bekannt, daß Du nun schon acht Wochen wieder bei mir bist, alle Versuche, die man gemacht, Deiner habhaft zu werden, scheiterten an Deinem, mir leider von früher her bekannten Eigensinn.«

»Du bist ungerecht, Tante, Du weißt, daß ich erst vor Kurzem eine Krankheit zu überstehen hatte, die sobald keiner durchmacht.

Daß ich mich jetzt zu angegriffen und zu abgespannt fühle, Besuch zu empfangen – was ist natürlicher als das? –

Ich bin nicht eigensinnig, aber abgesehen davon, daß ich zu schwach bin, Gäste um mich zu sehen, vergißt Du ganz und gar – ich sage das mit wundem Herzen – denn Du solltest es doch als einzige Schwester fühlen – daß wir Trauer haben.

Es zeugt von wenig Pietät für den Entschlummerten, wenn man unbeirrt seinen Weg zieht, wenn man glänzende Gesellschaften, Lustbarkeiten jeder Art, vor sich sieht, die Trauer hintansetzt und lacht, wo man doch weinen möchte.

Und mich mit vertrauerten Zügen zeigen? Wozu? Um das Mitleid anderer wach zu rufen, um zu zeigen, wie ich trauernd aussehe? Tante, ich bin weder kokett noch herzlos.«

Die Lampe wurde gebracht, der Schein fiel auf das fahle Gesicht der alten, in schwarze Seide gekleideten Dame.

Sie hatte ihren Strickstrumpf, an welchem sie auch im Dunkeln gearbeitet, im Schoß ruhen, ihre großen grauen Augen richteten sich strahlend auf das ihr gegenübersitzende Mädchen, das in den Trauerkleidern durchsichtig bleich erschien.

»Du machst mir den Vorwurf der Lieblosigkeit gegen meinen Bruder, Hela?

Glaube aber ja nicht, daß Du mich triffst. Jeder hat eine andere Auffassung vom Leben, vom Lieben, – vom Trauern –«

Die junge Dame erhob sich jäh.

»Tante!« kam es lebhaft von ihren Lippen, »seit wann höre ich von Dir tolerante Ansichten?

Indem Du zugiebst, daß jeder eine andere Auffassung vom Leben haben kann, sagst Du, daß solche durchgehen dürfen?

In der That, ich mache Dir mein Kompliment, Du hast entschieden Fortschritte gemacht, seit ich Dir fern gewesen.«

»Mir scheint, Du willst mich alte Frau verwirren, was soll dieses direkte Fangen bedeuten?

Ueberhaupt mein Fräulein, verbitte ich mir den überlegenen Ton. Frau Generalin von Zel ist nicht gewöhnt, sich von irgend Jemanden hofmeistern zu lassen!

Wenn ich sage, daß ich eine andere Auffassung habe von etwas, das mit Trauer bezeichnet, so meine ich damit, daß es den Toten nicht lebendig macht, wenn ich mich in Sack und Asche hülle, daß er schließlich nichts davon hat, wenn ich wie Du, mit ausgeweinten Augen umhergehe. Ich büße dabei meine Gesundheit ein, junge Leute aber auch noch ihre Schönheit – wie ich bei Dir leider konstatieren muß. Und was hat der Tote davon?«

Die junge Dame wollte einen Einwurf machen, indessen wehrte ihr die Alte mit einer ungeduldigen Gebärde der Hand und fuhr gereizt fort.

»Daß Du aber zärtlich geworden, Hela, und Liebe für Deinen Vater bekundest, setzt mich offen gestanden in Erstaunen, so lang Du in meinem Hause gewesen, schwärmtest Du nur von Deiner Mutter, mein Bruder ward nie genannt und als er Dich mit – ins »Exil« nahm, nun ich weiß, was in Deinem stillen Zimmer vorgegangen, ich weiß, wer auf dem Teppich gelegen und die Finger in die Wolle desselben gegraben, ich habe gehört wie geseufzt und geschluchzt wurde – und nun Deine übertriebene Trauer, die sich bis zur Exaltation steigert!

Und wenn Du dazu noch ein Auditorium hättest, aber so –«

»Tante, so kannst Du mit dem Seelenschmerz eines Menschen spielen?! – wüßtest Du wie wund, wie zerrissen mein Herz, mein Sinn, mein Leben durch den Tod des Vaters, o Tante, Du bist ja das einzigste, noch lebende Wesen, das mir verwandt, Du solltest die Größe meines Schmerzes ermessen. Du solltest barmherziger zu mir sein, als Du es bist.«

Das junge Mädchen war auf eine Fußbank, die vor der alten Dame stand, niedergesunken und wie eine Verzweifelte, die sich an die letzte Stütze klammert, umspannte sie der Tante Hände.

Im Nu war die Stimmung der Generalin umgeschlagen.

»Bin ich doch so unbarmherzig zu Dir, mein Kind, liebe ich Dich denn nicht und beklage ich nicht mit Dir den Tod meines zu früh in die Erde gesunkenen Bruders?

Ich habe Dir tausendmal gesagt, daß ich Dein Fortgehen bedauert – daß mich Dein Wiederkommen erfreut.

Freilich, nun Du mit Schmerz in mein Haus wiederkehrtest, hätte ich nachsichtiger, zärtlicher zu Dir sein können, aber Du, mit Deiner starken Seele, ich meinte, Du würdest schon allein mit Dir fertig werden, als Trösterin oder Klagefrau bin ich auch nicht geschaffen – wirklich ich – ach thue mir den Gefallen Kind und weine nun nicht mehr, meine Gäste müssen bald hier sein – und wirklich ich möchte nicht verstimmt werden.«

»Gewiß, ich weine nicht mehr, zeige Dich Deinen Gästen fröhlich, Tante, ich werde mich Dir nie mehr traurig zeigen.«

Trotzig sagte das die junge Dame, sich jäh erhebend und mit festen eiligen Schritten verließ sie das Gemach.

Nach einigen Stunden kam mit vielem Geräusch eine junge, elegant gekleidete Dame zu Hela, ins Zimmer gestürmt.

»Es ist zu schön, Hela, daß Du wieder da bist, zu schön!

Ach, wie ich Dich vermißt habe! Du kannst es Dir gar nicht denken. Wirklich, ich habe mich ordentlich gesehnt, Dich wieder einmal so recht abküssen zu können.«

Und nun schien sie alles Versäumte einholen zu wollen, denn sie küßte Hela so stürmisch und anhaltend, daß diese zu ersticken meinte.

»Aber Du siehst schlecht aus, Hela,« fuhr sie fort, indem sie die Freundin betrachtete, »freilich – Dein Vater – o, es that uns allen so leid –

Wo seid ihr denn eigentlich gewesen? Es hieß auf Reisen, in den Karpathen, in den Pyrenäen und weiß Gott wie die dummen Gebirge alle heißen. Du weißt ja, – Geographie und Dr. Weber, der sie uns gab – immer meine schwache Seite! –

Aber weil ich von Dr. Weber spreche, ob der weiß, daß ich verlobt bin? –

»Wenn Du es ihm angezeigt, sicher.«

»Nein, das that ich nicht, aber in allen Zeitungen hat es gestanden, ach Georg war so glücklich, als ich ihm mein Jawort gab, der hätte es am liebsten in alle Welt hinausposaunen lassen, daß ich sein bin.«

»Du stehst ja noch immer, nimm doch Platz Gerti,« bat Hela müde.

»Nein, ich danke, stille sitzen, ach bewahre, das kann ich immer noch nicht, ich muß immer so herumtrippeln. – Du hast da schöne Bilder, hast Du Dir nichts Neues von Deiner Weltreise mitgebracht!

– Nein? – nun das wundert mich aber.

Weißt Du, Hela, wenn Du klug bist, verlobst Du Dich auch recht bald. Ich sage Dir, es ist reizend! Alle Tage bekomme ich Bouquets, Konfekt, Noten, Bücher und sieh mal den Hut, den ich auf habe, ich habe ihn unten direkt noch nicht abgelegt um ihn Dir zu zeigen.

Mama wollte ihn mir nicht kaufen, weil er so teuer war, da hat ihn Georg mir gekauft.

Du mußt das natürlich nicht weiter sagen, Fremden erzählt man so etwas am Ende nicht, aber Dir – ach, Hela, ich habe Dich zu lieb.«

Nach einer stürmischen Umarmung kam des Pudels Kern.

»Wirklich, es ist ein Glück für mich, daß Du wieder da bist – ich habe auch eine Bitte an Dich – nämlich weißt Du – nun Handarbeit – es war auch eine schwache Seite von mir.«

»Du hattest derer viele,« warf Hela lächelnd ein.

»O ja damit gings, nun ja, – was ich sagen wollte – ach ja, jetzt weiß ich's! Ich wollte Dich bitten mein herzensgutes, liebes, süßes Helachen, sticke mir doch einen Teppich für meines Bräutigams Schreibtisch, er wünscht sich einen von mir.«

»Von Dir, und ich soll ihn sticken?«

»Das braucht er ja nicht zu wissen, süße Hela, sticke ihn. Du bist doch so unendlich geschickt ich – ich – ich lade Dich ja auch zu meiner Hochzeit ein.«

»Das ist freilich ein hoher Preis. Nun Gerti, wenn ich Dir damit eine Last abnehme, sende mir morgen Material, ich will den Teppich für Dich sticken.«

»Das sagte ich der Mama gleich, Hela Lichthof, die thut alles, sagte ich. So nun laß Dich noch einmal küssen, und nun adieu meine Liebe! Ich muß wieder hinab zu der Gesellschaft, aus der ich mich fortgestohlen um Dich zu sehen. –

Adieu, adieu! Ich komme auch bald wieder einmal zu Dir, aber dann muß ich Dich fröhlicher finden, sonst steckst Du mich mit Deiner Leichenbitter-Miene an, und Georg liebt nur heitere Gesichter.

Adio, meine Liebe, adio!«

»Und dieses hohle, herzlose Geschöpf war meine beste Freundin!?« fragte sich Hela, als sich die Thür hinter dem jungen Mädchen geschlossen.

»Mit einem solchen Wesen konnte ich verkehren? – Und an dessen Herzen gedachte ich mich ausweinen zu können?«

Lange stand Hela am Fenster, dessen Vorhänge sie auseinander gezogen hatte, und schaute in den öde daliegenden Garten ihrer Tante.

Wieviel Gedanken und Wünsche ihr Hirn kreuzten!

Fort sobald als möglich wünschte sie sich von hier, und doch – wo sollte sie einen Zufluchtsort finden?

Wo? Hatte sie Recht gethan, als sie Hasso das Versprechen abnahm, nicht vor Jahresfrist nach ihr zu forschen, sie erst als Büßende durch die Welt ziehen zu lassen?

Sie hielt ihre Hände vor ihr thränenloses Antlitz und atmete schwer. »Hasso, Hasso!« hauchte sie andachtsvoll, als spräche sie ein Gebet und nun jauchzte es in ihr auf, als sie sich in dem Gedanken an ihn beschützt fühlte, als sie sich dessen bewußt wurde, was jedes Menschenherz erhebt, bessert und stählt – der Liebe zu ihm, seiner Liebe zu ihr.

*

Die Vesperglocken läuten und andachtsvoll falten die im Arbeitssaal sich befindlichen Diakonissinnen ihre Hände, leise öffneten sich ihre Lippen um ein Gebet nach oben zu senden.

Eine nicht eingekleidete junge Dame nimmt keinen Anteil am Gebet, ihr Auge geleitet prüfend von einer Betenden zur andern.

Der wechselnde Gesichtsausdruck ihrer Nachbarin, einer hohen knochigen Gestalt zieht ihre Aufmerksamkeit auf sich.

Diese Schwester Agathe, war erst kurze Zeit im Stift, kürzer als die sie betrachtende, und erweckte wenig Sympathie bei den Schwestern. Von ihr schweifte ihr Blick zur Oberin, deren friedvolles Antlitz tröstend für alle die es je zu sehen bekamen, war. Wie verstand sie es auf aller Gemüt zu wirken, der Friedensengel nannte man sie.

Das Gebet war beendet.

»Sie haben nicht gebetet, mein Fräulein,« sprach die letztangekommene Diakonissin zu der Novize.

»Wenn Sie das merkten, Schwester Agathe, so wäre ihr Gebet auch besser ungesprochen geblieben.«

Ein giftiger Blick traf sie, die Oberin schnitt das Wort, das auf der Schwester Lippe schwebte, ab, indem sie sich der jungen Dame zuwandte und im freundlichen Ton ernst sagte:

»Wir sind berechtigt, mein Kind, von Dir zu fordern, daß Du Dich in keiner Weise von uns ausschließt, warum nahmst Du nicht Teil, an unserem Gebet?«

Die junge Dame, welche an einem Wäschestück, für Arme bestimmt, nähte, erhob sich. Eine flammende Röte bedeckte ihr Antlitz, als sie mit niedergeschlagenen Augen erwiderte:

»Ehrwürdige Schwester Oberin, es ist mir unmöglich jeden Tag zu einer gewissen Stunde ein hergebrachtes Gebet, das Jemand verfaßt, herzusagen, ich kann nur beten, wenn ich das Bedürfnis dazu fühle und dann thut es weder der Ort noch die Zeit die mich bindet.

Auf Kommando aber fromm sein, d. h. angelernt nachsagen, was man mir vorschrieb – ohne dabei zu fühlen, ohne dabei Gott im Herzen zu haben – widerstrebt mir.«

Eine peinliche Stille trat ein.

»Wir sprechen ein ander Mal darüber, meine Tochter«, entgegnete die Oberin mit Würde, und »wer nicht beten kann, dem fehlt Herz und Gemüt,« warf Schwester Agathe hin.

»Wer aber mit den Lippen betet, dessen Herz wo anders ist, und dessen Auge anstatt den Himmel zu suchen, umherirrt, um etwas zu finden, das zu denunzieren sei, – der heuchelt!« entgegnete die Novize mit Festigkeit. Geräuschvoll erhob sich die Oberin, ein Zeichen, daß sie das Gespräch nicht fortgeführt zu haben wünsche.

»Schwester Hanna,« begann sie, nach einer nun eingetretenen peinlichen Pause, »wie geht es Deiner Patientin?«

Sie nahm die Antwort entgegen und fuhr fort.

»Schwester Mara, gutherzige Menschen haben mir Himbeersaft zugesandt, Du kannst ihn der armen Wöchnerin mitnehmen, und Du Schwester Elise, wann denkst Du, daß Dein Pflegebefohlener Deiner nicht mehr bedürfen wird? Eine andere bat um Deinen Beistand.

Es ist sehr verdrießlich, daß unser Stift nicht mehr bieten kann, der Hilfebedürftigen giebt es viel, der Hilfeleistenden wenig.«

Die große Hausglocke erscholl, man begehrte Einlaß.

Die Novize erhob sich um zu öffnen und kehrte mit einem Brief, den der Postbote für die Oberin gebracht, zurück.

»Geht nur aus, liebe Schwestern und bringt Eure Hilfe denen, die Euer harren, die Nähstunde ist beendet,« sprach sich erhebend die Oberin.

Sofort erhoben sich auch die Schwestern, um ihrem Beruf nachzugehen, während dem sich die Novize daran machte, alles Nähzeug an einen bestimmten Ort zu thun.

Die Oberin las ihren Brief in einem Nebenraum.

»Wenn Du da drinnen fertig bist, meine Tochter, so komme zu mir herein,« rief sie der jungen Dame zu, während sie ein anderes Gemach betrat, dessen Fenster dicht mit weißen Mullgardinchen bezogen waren.

Ein Rohrsopha, worauf die Oberin Platz genommen hatte, davor ein viereckiger Tisch, ein kleines Tischchen vor dem Pfeiler zwischen den Fenstern, worauf ein Strickkörbchen stand, einige Stühle und ein zweites Rohrsopha bildeten das ganze Möblement.

Ueber der einen Thür prangte ein Haussegen, auf dem mit großen Buchstaben aus Perlen gestickt stand:

Wo Glaube, da Liebe,
Wo Liebe, da Friede,
Wo Friede, da Gott.

– Hier pflegte die Oberin, Schwester Johanna all' diejenigen zu empfangen, die sie aufsuchten.

Hier hielt sie auch ihr Dämmerstündchen, und manch beladenes Herz aus der Stadt nahm gegen Abend seinen Weg hierher, und wenn es der Schwester Johanna gebeichtet, kehrte es gestärkt und beruhigt heim.

Für jeden wußte sie einen Trost, jedermann ward beruhigt durch ihr Wort und erhoben durch das, was sie von unserem Herrn und Gott zu erzählen wußte.

Die Novize trat ein und die Oberin winkte ihr näher zu kommen. Sie wies ihr gegenüber einen Platz an und auf den Brief, der vor ihr auf dem Tisch lag, weisend, begann sie:

»Man ersucht mich hier, eine Schwester der Anstalt zu einer alten, schwer erkrankten Dame zu schicken, ich bin in Verlegenheit, alle Schwestern sind besetzt, – wie wäre es mein Kind, wenn Du –«

»O, Schwester Oberin!« rief entzückt die junge Dame aus und knieend küßte sie der Schwester die Hand.

»Ich will meinen Platz redlich ausfüllen, ehrwürdige Schwester, schickt mich hin, ich lechze danach Jemanden dienen zu können,« kam es leidenschaftlich von ihren Lippen.

»Du bist aber doch nicht eingekleidet.« –

Die Novize sah verwirrt zur Erde, sie suchte nach Worten, noch kniete sie vor der Oberin, die jetzt ihre Hände ergriff und ihr durchdringend ins Auge sehend, sprach:

»Willst Du denn wirklich bei uns bleiben, mein Kind? Ich habe Dich, als Du vor acht Wochen zu uns kamst, aufgenommen, da ich gesehen, wie verzweifelt Du gewesen. Ob es Dir aber Ernst ist mit dem Hierbleiben? – Ob ich es wagen kann, Dich als Vertreterin dieser, unserer heiligen Mission zu entsenden – das ist eine Frage, die sich mir aufdringen muß.

Ich habe wiederholt auf Widerstand bei Dir gestoßen, in Bezug auf unsere Sitten – so auch heute, beim Vespergebet.

Ich weiß das, was Du gesagt, aufzufassen, nicht so unsere Schwestern, Du bringst neue Ideen hier herein, wie wenn Du auch solche einer kranken Seele, die glauben will, um jeden Preis glauben will, bringst? – Du sollst dort trösten, würdest aber Tod bringen!«

»Ehrwürdige Schwester, ich werde auf alles, was die Kranke wünscht, eingehen – mein Wort darauf – Ihr dürft mich als Abgesandte Eures Stiftes schicken!«

Mit imponierendem Stolz und großer Festigkeit sagte es die Novize, indem sie sich erhob.

»Woher ich kam, was ich hier suchte, ob ich bei Euch bleiben will? – Ihr habt ein Recht darnach zu fragen, hört es: –«

Und nun vernahm Schwester Oberin, Hela Lichthofs traurige Lebensgeschichte, die der Leser selbst schon kennt.

Am andern Morgen reiste die junge Dame ab. Ein einfaches schwarzes Kleid und ein weißes Häubchen als Kopfbedeckung, ließ die Diakonissin erkennen.

*

Es sind Monate vergangen, in denen Hela sich mit der aufopferungsvollsten Liebe ihrer Pflegebefohlenen hingab.

Ruhig und besonnen waltet sie in den stillen, vornehmen Wohnräumen der alten Regierungsrätin Hartwig, die ihrem Ende mit sanfter Demut entgegensieht.

Die alte Dame, eine kinderlose Witwe, die ohne Verwandte auf der Welt gelebt, ist einzig und allein auf Fremde angewiesen gewesen.

Schwester Hela hatte es verstanden, sich schnell Herz und Vertrauen der alten Frau zu gewinnen.

Nicht wie die andern, denen jeder Liebesdienst mit Gold aufzuwiegen war, hatte sie sich gezeigt, mit der wohlthuenden Gleichheit, die der Mensch dem Menschen zu zeigen hat, wußte sie sich an die Seite der Kranken zu stellen.

Ich bin hier zu dienen, weil ich Mensch bin, weil ich aus Pflicht und Menschenliebe hier sein muß und will,« stand in ihren Zügen zu lesen als sie kam, und bald war sie der Frau, deren Lebensabend sich lieblos gestaltet, eine teure Freundin geworden.

Sie sprach mit ihr über die Vergangenheit und knüpfte Bestimmungen für die Zukunft.

Auch heute erzählte sie aus ihrem Leben und daß sie den Wunsch habe, bevor sie sterbe, einen Menschen zu sehen, der einzig und allein noch Anspruch auf ihr Herz habe, und den sie mit Eifer vergeblich gesucht.

»Es ist das Kind meiner Freundin, Schwester. Sie war jung gestorben und ihr Sohn, den sie zurückließ, ist es, den ich kennen lernen möchte. Wie aber wäre es möglich, ihn in der großen, großen Welt zu suchen und zur rechten Zeit zu finden?«

Die alte Dame schwieg und sah ernst ins Leere.

Schwester Hela, die im trauten Schlafgemach vor ihrem Bett saß, blickte sie wehmütig an.

Wohl eine Stunde ward kein Wort gewechselt.

Einförmig tickte die Uhr, vom nächsten Zimmer aus, dessen Thür offen stand, hörte man den Vogel im Käfig hin und her hüpfen. Die letzten Strahlen der scheidenden Sonne fielen in das Gemach.

»Wenn es mit einem zu Ende geht, so fühlt man das Verlangen, noch einmal einen Rückblick auf sein zertrümmertes Dasein zu werfen, ich gehe eben in Gedanken meine Lebensgeschichte durch.

Lassen Sie mich Ihnen von ihr erzählen, Schwester, das war ein sonderbares Wesen, sie, sowie ihre Schwester, die nie Jemand vergißt, der ihnen je begegnete ...

Wieder eine Pause. Dann hub die alte Dame wie für sich selbst sprechend, träumerisch an.

»Unsere Väter dienten in derselben Kompagnie, unsere Häuser standen nebeneinander, und ihre Familie und die meine, sie waren eins.

So wuchsen wir auf, Margot und ich im gleichen Alter, Alice, einige Jahre jünger als wir.

Mein Vater fiel im Kriege, auch ihre Eltern wurden dahingerafft, still ward es um uns her.

Ich heiratete und kam nach einem andern Ort.

Hier erst empfand ich, was mir meine Freundinnen gewesen, hier erst begann sich meine Liebe zu ihnen fühlbar zu machen.

Oft waren die Freundinnen bei mir. Ueberall ernteten sie Beifall, überall säeten sie Liebe.

Ich war ein Nichts gegen sie.

An Heiratsanträgen hatte es ihnen nicht gefehlt, aber alles ward ausgeschlagen. Beide waren der Ansicht, daß eine Ehe ohne Liebe unmoralisch, und Keiner verstand ihr Herz zu gewinnen.

Dann – Alice heiratete d. h. – sie – Sie müssen wissen – Sie werden das nicht verstehen, Sie wissen nichts von der Welt, Schwester Hela – auch nicht billigen, es ist ein Zuwiderhandeln gegen die Religion – und Sie sind fromm – aber – nun genug – Alice gründete ein Heim mit Billigung ihrer Familie ohne getraut zu sein! –

Sie schweigen, Schwester, frappiert sie das nicht?«

»Es ist freilich gegen die Sitte, aber es steht mir nicht zu, darüber zu polemisieren. Warum gab es die Familie zu?« tonlos war die Entgegnung Helas, sie bemühte sich ein Zittern, das ihren Körper durchlief, zu verbergen.

»Sie hatten geglaubt, jener Mann, ein Offizier von Gutruns Bekanntschaft – so hieß meine befreundete Familie – würde Alices würdig sein.

Man dachte, daß, wenn sich beide Treue geloben, sie von beiden Teilen gehalten werden müsse, gerade so gut, als wenn es nach Gesetzen ginge, und die Verhältnisse ließen keine formelle Verbindung zu.

Aber, er – o dieser Mensch, – was der für Begriff von Ehre hatte, dieser –«

»O, Frau Regierungsrat!« ächzend rang sich der Ausruf von des Mädchens Munde, ihre Hände streckten sich wie abwehrend gegen die Sprecherin aus.

»Schwester Hela?!« rief tief erschrocken die Regierungsrätin und richtete sich entsetzt in ihrem Bette auf.

»Ich – ich o, verzeihen Sie, gnädige Frau, ich habe Sie erschreckt, ich – Sie müssen nämlich wissen, die Geschichte ist mir nicht neu, ich habe davon gehört.«

»Gehört? – und sie alteriert Sie so? Stehen Sie vielleicht selbst in irgend einer Verbindung mit dem Hause Gutrun, oder sind Sie mit jenem Offizier? –

»Erlassen Sie mir die Antwort, sie regt Sie und mich auf. Ich kann nicht erzählen, Ihnen würde das Zuhören schaden.«

»Nein, mein Kind, im Gegenteil, jetzt regt mich Ihr rätselhaftes Benehmen, Ihr Verschweigen mehr auf, als es das Schrecklichste, das sie zu erzählen hätten, thun würde. Also reden Sie, reden Sie!«

»Ich habe nichts weiter zu erzählen, als daß ich den Sohn Ihrer verstorbenen Freundin Margot kenne, er hat mir von seiner Familie erzählt.«

»Den kennen Sie, Sie wissen wo er lebt, Sie vermögen ihn mir zuzuführen? O, der Himmel sandte Sie mir! Gesegnet sei die Stunde in der Sie mir das sagen.

Ich muß ihn sehen, ich muß ihn hier haben, er soll bei mir bleiben bis ich sterbe.

Er ist Margots Kind, o, es ist ja, als sei er das meine selbst.«

Die alte Dame war außer sich, ihre Glieder zitterten, ein Tränenstrom entquoll ihren Augen.

Hela sandte zum Arzt und als er kam, klagte sie sich selbst an, unvorsichtig mit Erzählungen gewesen zu sein.

»Du sollst trösten, würdest aber Tod bringen,« hatte Schwester Johanna gesagt.

Wie glaubte sie jetzt die Worte vorwurfsvoll zu hören!

Der Arzt blieb heute auf Helas Bitten die halbe Nacht bei der Kranken, die endlich in einen wohlthuenden Schlummer verfiel.

Der Morgen war hereingebrochen. Schmetternd ließ der Kanarienvogel im nahen Wohnzimmer sein Liedchen ertönen.

Schwester Hela ging hinein und verhängte den Käfig mit einem Tuch, um den Ruhestörer zu beschwichtigen.

Die Sonne drang friedlich ins Zimmer hinein, die Blumen schien der Gedemütigten zuzulächeln.

Das Dienstmädchen kam geräuschlos hinein, auf einem Tablett hatte sie das Frühstück für die Schwester und erkundigte sich, wie die Gnädige geruht.

Sie schliefe noch, war die Antwort und auch der Arzt fand seine Patientin noch schlafend.

Es war Mittag.

Die Diakonissin saß am Bette der Kranken, die sie ängstlich betrachtete. Jetzt schlug sie die Augen auf und streckte dem jungen Mädchen mit einem sanften Lächeln die Hände, entgegen.

Hela verbiß Thränen, die sich ihr aufdrängten. Sie machte sich schreckliche Gewissensbisse über ihre Unvorsichtigkeit.

»Kommt er? Haben Sie hingeschrieben?«

»Nein, ich wußte nicht –«

.

»O Kind, so telegraphieren Sie, ehe es zu spät ist. Ach, Schwester, wie segne ich Sie, daß Sie mein Ende so verschönern.«

»O, sprechen Sie davon nicht. Sie werden leben. Sie müssen es, o, ich könnte nie wieder froh werden, wenn ich dächte, daß ich durch die Aufregung, welche ich Ihnen verursachte, geschadet habe.«

»Sie, mein Kind? im Gegenteil! Sie haben mir die glücklichste Nachricht gebracht und Glück tötet nicht; was ich fühle, war in mir.

Aber sagen Sie, wo weilt er, wann kann er hier sein? Schnell, nur schnell.«

»Er ist weit fort, seine Reise wird einige Tage in Anspruch nehmen.«

»Nun, so thun Sie wenigstens das Ihrige, setzen Sie ein Telegramm auf, das sogleich besorgt werden soll. Wird er auch kommen?« –

»Ja, er kommt, wenn ich ihn rufe,« entgegnete Hela mit glückseliger Zuversicht, ihr Antlitz strahlte.

»Kind, Schwester Hela,« meinte die Kranke, sie prüfend betrachtend. »Ihr – verzeihen Sie – Ihr Kleid – aber ich bin eine alte Frau, die einen geübten Blick hat – liebt Ihr Euch?« –

Hela barg ihr hocherrötendes Antlitz in den Kissen des Lagers der alten Dame, die sie still gewähren ließ.

Als sie jetzt aufblickte, sagte sie mit erhobener feierlicher Stimme: »Wir lieben uns.«

Zwei Tage waren nach dieser Unterredung dahingegangen, der nächste sollte den Erwarteten bringen.

Hela hatte telegraphisch »Kannst Du zu mir kommen?« angefragt und wenige Stunden darauf erhielt sie seine Antwort! »Komme sofort.«

Mehr als ein halbes Jahr war über ihren Abschied von Hasso vergangen, es war des Himmels Wille, daß sie sich früher wiedersehen sollte, als es verabredet war und morgen nun sollte er kommen.

Sie war glücklich ihn wieder zu haben, und doch überkam sie eine eigenartig, mädchenhafte Scheu, der sie sich nicht erwehren konnte.

Frau Regierungsrat Hartwig hatte ihren Willen durchgesetzt, sie hatte ihr Bett verlassen und saß zum ersten Mal nach langer Zeit in ihrem Salon. Ihre blassen eingefallenen Wangen bedeckte eine leichte Röte, ihr Gesichtsausdruck war feierlich, friedvoll. Sie hielt Helas Hände in den ihrigen und fuhr ihr kosend über die Wangen, als sie ihr immer wieder versicherte, wie glücklich sie durch sie geworden. Immer und immer wieder mußte Hela von ihm erzählen, und dabei ward sie sich immer mehr bewußt, daß sie ihn nicht allein liebe, sondern auch verliebt in ihn sei.

Auch über sein Exterieur mußte sie berichten, und wie schilderte sie ihn in den glänzendsten Farben!

»Und denken Sie, Frau Regierungsrat, in der ersten Zeit unserer Bekanntschaft, da war ich so eitel, so zum Ueberheben geneigt, daß ich meinte, er stände an Gesinnung, an geistiger Höhe unter mir.

Aber jetzt ich bin gar nichts mehr, ich fühle und denke durch ihn, mit ihm und wie gerne erkenne ich, daß ich gar nichts bin, und daß nur er ferner bestimmen wird, daß ich nicht mehr von ihm denken, sondern sein Denken überdenken werde, denn er hat mich von allen seinen Ansichten so überzeugt, daß ich mich ganz zu diesen bekenne.«

Die alte Dame küßte ihre Stirn, Hela sah vor sich nieder, jetzt betrachtete sie ihr Gewand und errötete bis in die Schläfen.

»Irdische Liebe und ein geistliches Gewand?« sagte sie und ein Schatten huschte über ihr Antlitz.

Sie wandte sich zu ihrer Pflegebefohlenen. »Frau Regierungsrätin, Sie wissen, warum ich mich einkleiden ließ, ich erzählte es Ihnen, man wollte mich in »Reih und Glied« sehen, ehe man mich aussandte als Vertreterin des Stiftes, das ich aufgesucht, um für meine Mitmenschen wirken zu können. Also ich bitte Sie, lasten Sie es nicht unangenehm auf Sie wirken, daß ich in so ernstem Gewand von dem schwärme, dem meine Seele gehört.

Ich bin eben keine Himmelstochter, sondern ein Kind der Erde, das die Urgewalt, die Liebe, für das Heiligste darauf erklärt.«

Die alte Dame nickte freundlich mit dem Kopfe und entgegnete mild lächelnd in animierter Weise:

»Kind, sie sind zwar hübsch, aber ich glaube in Toilette sähen Sie noch besser aus. Wenn »er« kommt, sollten Sie das ernste Kleid mit einem modernen vertauschen, wenn er Sie nie als Diakonissin gesehen, auch nicht weiß, daß Sie eine solche sind, wird er erschrecken.«

»Ich dachte an Letzteres wohl, aber ich habe nicht das Recht, ein Kleid beiseite zu legen, das mich ehren soll, das mir zu tragen geboten.

»Ich will Ihnen davon ja auch nicht abraten, aber ich dächte, so viel Rücksicht sind Sie ihm schuldig und – ich bitte Sie als Kranke darum, kleiden Sie sich nach der Stimmung, Ihr Anzug macht mich nervös, ich möchte Sie hell gekleidet sehen.«

»Sie machen es wie ein Richter, der ein Gesetz umgeht?«

»Ei, meine Liebe, denken Sie nicht nach, thun Sie worum ich Sie bitte, Sie kommen mir jetzt, mein Kind, wie eine Schwiegertochter vor, und besäße ich eine solche in Wirklichkeit, ich hätte mir schon aus Liebe zu dieser eine gewisse Autorität über sie angemaßt.

Lassen Sie sich nun als Hassos Braut ein wenig von diesem egoistischen Material gefallen.«

Hela küßte lächelnd der alten Dame Hand.

Sie hatte die Handarbeit, an welcher sie genäht, lässig im Schooß ruhen und blickte dankbar und sichtlich gerührt zu der Sprecherin auf.

»Ich habe keine andere Robe hier, als die Diakonissentracht,« sagte sie halblaut.

»Dann müssen wir schnell für andere Kleidung sorgen, Hela, Hasso soll seine Braut auch äußerlich froh finden, Du mußt entschieden – erlaube, daß ich Dich Du nenne, das ernste Kleid ablegen.«

Nun ward großer Toilettenrat gehalten, bei dem sich Hela ganz als Mädchen mit aller Eitelkeit und Schwäche, die sich selbst im stärksten Weibe bekundet, zeigte.

– Daß ihn Hela bei seinem Eintreffen erst allein sprechen sollte, ward überlegt, daß sie ihn vorzubereiten habe, wie er eine alte Dame, deren Herz ihm mütterlich entgegenschlägt, durch seine Ankunft beglücke, auch daß diese ihn durch sie gerufen, sollte sie ihm erst Mitteilen, damit die Patientin nur weniger Einleitung zu machen habe.

Heute sollte er kommen!

Hela stand vor einem hohen Trümeau und probierte die Robe, welche ihr soeben von einem Magazin gesandt wurde.

Ein lichtes Gewand mit schwarzen Schleifen, das einfach und doch in eleganter Weise ausgeführt war, umschloß ihre schlanke Gestalt.

Ihr Haar hatte sie in Zöpfen um den Kopf gelegt. Sie gefiel sich und fühlte, daß sie auch ihm gefallen würde, denn wieder stand das »Seelische,« wie er es bezeichnet hatte, aus ihren Zügen.

Ihre Augen blitzten, das Antlitz war belebt, und mit jener leichten Röte übergossen, welche ein geistisches Erregtsein bekundet.

Frau Regierungsrat war sehr zufrieden mit ihrer »Schwiegertochter,« als sie sich zeigte, und im Gemach war schon alles zum Empfang des Gastes vorbereitet, was die freudige Stimmung noch hob.

Da stand der gedeckte Tisch, dort die frischen Blumen in Vasen und Jardinieren, durch die geöffneten Fenster drang laue Juniluft ins Gemach. Die Jalousien dämpften das Sonnenlicht.

Frau Regierungsrat war in graue Seide gekleidet, ein Spitzenhäubchen, mit lila Band verziert, bedeckte ihr ergrautes Haar.

Sie spielte mit zitternder Hand, nervös mit ihrer langen altmodischen Uhrkette und sah fortwährend zur Pendüle hinüber, die auf der Konsole eines Trumeaus stand, und unablässig ihren Pendel bewegte.

»Es ist erst drei Uhr, Hela, wann sagtest Du, daß Dein Bräutigam eintreffen würde?«

»Sein letztes Telegramm meldete seine Ankunft auf 6 Uhr,« antwortete Hela, unruhig im Zimmer umhergehend wobei sie Früchte auf Schalen that und dieses und jenes anders rückte, das schließlich ganz gut stand.

Endlich hub sie schüchtern bittend an:

»Wenn Ihr Stubenmädchen auf ein Weilchen bei Ihnen bliebe, Frau Regierungsrat, dürfte ich wohl auf mein Zimmer gehen?

Ich kann heute nicht ruhig bleiben, und ich rege Sie durch mein unruhiges Wesen nur auf, auch möchte ich so gern allein sein.«

»Du bist ganz Herr Deiner selbst, mein Kind,« war die Entgegnung, »auf mich hast Du heute keine Rücksicht zu nehmen, auch fühle ich mich verhältnismäßig sehr wohl.« –

Es schlug 5 Uhr, Hela horchte auf jeden Wagen, der daherrollte, es ging ihr immer wie ein Stich durchs Herz, wenn sie einen solchen hörte.

Sie freute sich seines Kommens und doch – werden wir je unser Herz, das rätselhafte in der Natur, ergründen? – –

Aber jetzt hielt ein Wagen vor ihrer Thür.

Sie hörte klingeln, Jemanden die Treppen ersteigen, an ihrer Zimmerthür wurde geklopft – sie stand wie versteinert. Das Stubenmädchen steckte den Kopf durch die Thür »Schwester Hela, es wünscht Sie Jemand zu sprechen.«

Verwundert blieb das Mädchen stehen, da sie die »Schwester« als »Fräulein« verwandelt sah.

»Bitte«, brachte Hela mühsam hervor. Die Dienerin verschwand – jetzt stand Hasso vor ihr.

Schön, stattlich, mit leuchtenden Augen.

»Meine Hela!« rief er.

Ueber die Begrüßungsszenen gehen wir hinweg und finden die Verlobten erst einige Tage später in dem Salon der Rätin, deren Genesung gute Fortschritte gemacht.

»Nun sage mir, beste Tante Regierungsrat, hast Du ihn Dir so schön gedacht?« fragte schelmisch Hela die alte Dame, als sie hinter Hassos Stuhl stehend, dessen Kopf innig an ihr Herz drückte und ihm mit ihrer Hand kosend über sein hellblondes Haar fuhr.

»Schmeichelkatze!« sagte Hasso nach seiner Braut Hand haschend, und die Regierungsrätin meinte, daß ihr Neffe – denn als solcher mußte er sich zu ihr bekennen, da sie von Beiden mit »Tante« angeredet sein wollte – seiner wirklichen Tante Alice ähnele.

»Uebrigens meine Kinder,« fuhr die alte Dame lächelnd fort, »nehmt mir das nicht übel, aber Ihr seid nun schon 8 Tage beisammen, und noch hörte ich von Euch kein vernünftiges Wort und wir haben doch genug zu beraten.«

»Ja siehst Du, Tante, das ist solche Sache mit dem Vernünftigsein, Hela, die Vernunft selber, und ich, auch nicht der Dümmste aller Dummen, wir haben früher so viel Klugheiten zusammen geredet, und sind doch dabei nicht die Hälfte so klug gewesen, als jetzt in der Vernunft.«

»Ganz gewiß. Du hast Recht, Tantchen, wir alten Leute – er ist bald 29 und ich bald 27 Jahre – sollten uns schämen, uns so kindisch zu benehmen. Und das Aergste, jeder sieht uns unsere Unvernunft an.

Als ich gestern mit meinem Bräutigam ausging, blieben Leute vor uns stehen, und sahen uns ganz erstaunt an, denn Hassos Antlitz strahlte so vor Glückseligkeit.

»Bitte sehr, mein Fräulein,« fiel dieser launig ein. »Helas Augen strahlten so, und sahen so weltvergessen zu mir auf –«

»Gewiß Tante, das that ich. Ich erklärte meinen formellen Austritt aus dem segenbringenden Institut und berichtete auch von Deiner Genesung.«

»Die ich dem Himmel und Dir verdanke.«

»O bitte, mir – Tante, es war ja nur mein Glück, daß ich zu Dir kam.«

»Ich denke Hasso,« wandte sich die alte Dame zu dem jungen Manne, »wir halten die Idee fest, Du fährst nun bald zurück, suchst die Fabrik zu verkaufen, und dann, wenn Du wiederkommst, ist Hochzeit.

Ich kann dies lange Bangen und Sehnen so verliebter Leute wie Ihr seid, nicht mit ansehen.

Mein einzigster Wunsch, Kinder, ist der, daß Ihr mich alte Frau, die Euch nun gefunden, nicht mehr allein laßt.

Wohnt doch so lange ich noch lebe hier im Hause oder wenigstens dicht in der Stadt bei mir.«

»Natürlich werden wir Dich nicht verlassen, wir, die wir so jung der mütterlichen Fürsorge entbehrten, finden dankbaren Herzens so unendlich viel in Dir,« entgegnete Hasso und Hela fügte hinzu:

»Du sollst den Mittelpunkt unseres Hauses bilden, herzige Tante, wir werden gewiß Dein Alter zu verschönern suchen.«

Nun feierte man Reminiszenzen.

Hela erzählte, wie der Herr Althof sie einmal gefragt:

»Sie kennen mich wohl nicht?«

Und er erzählte wie ihr leidenschaftliches Gebahren zuerst durch Frau Haberkorn mit Verliebtsein bezeichnet wurde. Man lachte und umging absichtlich alles Traurige.

Hasso war glücklich, daß die schwermütige Stimmung von seiner Braut so ganz gewichen schien. Ja, gewissermaßen war er frappiert, daß die Liebe das Weib so in allem verändere.

Würde er sie so kennen gelernt haben, wie sie sich ihm jetzt zeigte, er hätte sie sicher für eine weniger tiefe Natur gehalten.

So vergingen noch zwei Wochen, welche die Verlobten gemeinsam verbrachten, dann rüstete Hasso zur Abreise.

»Es ist also auch Dein Wille, meine Hela, daß ich die Fabrik verkaufe,« fragte heute ihr Bräutigam.

»Könntest Du Dich nicht entschließen wieder Einkehr zu halten, wo wir uns kennen und lieben gelernt? Tante könnte ja mit uns kommen.«

»Hasso,« entgegnete Hela erbleichend, »Du meinst wirklich, ich hätte alles Gräßliche, das ich dort erlebt, vergessen? Meinst Du denn, daß da drinnen in meiner Brust alle die Wunden ausgeheilt sind?

Was ich scheine, bin ich Dir zu Liebe, bin ich, weil ich es sein will. Aber können wir gegen die Stimme der Natur? Meinst Du, daß ich nicht selbst im glückseligsten Rausch zum Vater zurückkehre?

Muß mir der Ort dann nicht als entsetzlicher Schauplatz vorkommen? Und hat nicht gerade auf diesem Fleck Erde meine und Deine Familientragödie gespielt?

Nein, wir lassen den Vorhang fallen, wir beginnen ein neues Spiel und brauchen andern Hintergrund.

Laß uns hier wohnen. Bester, aber verkaufe das Waldhäuschen nicht. Das soll unser Besitz oder keines Besitz werden. Laß es stehen den Namen derer geweiht, die darin hausten.«

Gedankenvoll war Hasso im Zimmer umhergegangen.

»Wie Du willst,« sagte er jetzt ernst zu seiner Braut. »Hast Du denn Deiner Tante, der Generalin, unsere Verlobung gemeldet?«

»Gewiß, ich habe auch alle formelle Anzeigen versandt. Du weißt gerade wir, mein Teurer, dürfen keine Form umgehen, Du hast gesehen, wie es sich in unserer Familie gerächt.«

Er ließ lange, fast prüfend sein dunkles, glänzendes Auge auf ihr ruhen. Es war heute der erste Tag, an welchem er mit nüchternem Auge schaute.

Das ernste Jahr, das Hela verlebt – man sah es ihr sehr an, wenngleich sie viel frischer und erholter erschien, als bei ihrer Abreise aus seinem Hause.

Wer aber legt bei geist- oder charaktervollen Frauen auf Aeußerlichkeiten Wert? Und wenn Sie jetzt nicht schön war – in einem anderen Moment konnte sie es sein.

Er war in Gedanken versunken, und hörte sichtlich zerstreut auf Helas Plaudern, so daß diese erstaunt inne hielt.

Sie trat ihm näher, legte liebkosend ihren Kopf an seine Schulter und in seine Augen schauend, fragte sie mild:

»Quälen Dich Erinnerungen, Geliebter?«

Er blickte in ihre seelenvollen Augen in welchen mild ein eigentümlich reizvoller Schein erglänzte, und sie leidenschaftlich umschlingend antwortete er:

»Erinnerungen Hela, aber sie sind nicht quälender Art, ich sah Dich jetzt im Geiste wie damals am See.«

Hela errötete und neckisch fuhr er fort:

»Thun Dir manchmal noch Deine Hände weh?«

»Nein, aber mein Herz, wenn ich z. B. an den Abschied denke.«

»Unsinn, Kind, wir sind beide vernünftige Menschen.«

»Ja, vernünftige Menschen, wie es schon Tante gefunden, geh' mir mit Deiner Vernunft. – Es wird doch wohl eine geraume Zeit vergehen, ehe Du wiederkommst?« –

»Ich werde sie soweit es in meiner Macht steht abzukürzen suchen.«

Nun stritten sich die großen Kinder, wessen Sehnsucht wohl größer sein würde, bis Tante Regierungsrätin zum Abendessen bitten ließ.

Es war der letzte Abend, den Hasso hier zubrachte.

Ehe man von einander schied, sagte würdevoll die alte Dame:

»Meine Kinder, an Eurem Hochzeitstage übergebe ich Euch einen Schatz, der mit Euch in Euer Haus einziehen soll.

Es sind Briefe Deiner Mutter, Hasso.

Sie werden Euch sagen, wie sich das kleinste Abweichen vom ebenen Wege rächt, wie wir ganz in den Banden der Convenienz liegen, wie wir ganz unter den Gesetzen der Sitte zu stehen haben, wenn wir Glück für uns, für unsere Familien beanspruchen.

Hebt Euch die goldnen Worte auf, Kinder, die Deine Mutter, mein Sohn, geschrieben und lebt darnach. Gebt sie auch weiter, damit niemals wieder eine Generation durch Sünde ihrer Väter ins Unglück gerät.«

Hela erhob sich und stellte sich in eine Fensternische um nicht ihr thränenfeuchtes Antlitz zu zeigen.

Hasso sah tief ergriffen vor sich nieder.

Jetzt der Abschied; und der Wagen, der Althof zur Bahnstation brachte, rollte von dannen.

*

Wieder ist es Winter, aber dieses Mal bringen ihn Hasso und Hela nicht wie im vergangenen, auf einer Einöde zu.

Sie haben nach Wunsch der Tante ihren Wohnsitz nach ihrer Vermählung im großen B. genommen.

Hasso hat das Nachbarhaus angekauft und es so ausbauen lassen, daß aus den zwei Häusern eins geworden. Wenn Tante Regierungsrat ihre »Kinder« sehen will, hat sie nur eine Zimmerflucht zu durchschreiten.

Sie war auch heute hinübergegangen, da sie sich bei den jungen Leuten, in den mit modernem Comfort eingerichteten Räumen behaglicher, als in ihren eigenen fühlte.

Die junge Frau Althof schien auf sie gewartet zu haben, denn sie kam ihr durch einige Räume entgegen.

»Komm Tantchen«, sprach sie und legte den Arm der alten Dame in den ihren, »wir sind für einige Stunden allein, Hasso meinte, wir sollen den Thee heute ohne ihn nehmen, er studiert.«

»Du hast es hier behaglich warm,« mit diesen Worten ließ sich Frau Regierungsrat im Wohnzimmer in einem Fauteuil nieder. Hela stellte ihr eine Fußbank davor, holte ihre Handarbeit und begann zu plaudern.

»Wie seid Ihr denn der Gesellschaft wegen einig geworden, Hela?« begann die alte Dame.

Hela errötete, als sie lächelnd entgegnete, »ich habe schon wieder Recht erhalten, so sehr ich mich gerade in dieser Angelegenheit hierüber freue, aber im Ganzen verwöhnt mich doch Hasso zu sehr.«

»Und wer hat mir einmal gesagt, daß immer nur das geschehen wird, was er wünscht?« meinte neckisch die Regierungsrätin.

»Ja, einzigste Tante, das ist gewiß recht, daß Du mich daran erinnerst, aber siehst Du, hierin habe ich doch, so hoffe ich wenigstens, eine ganz richtige Ansicht.

Hasso meint, es sei schon deshalb gut Gesellschaften zu geben, weil wir mit unserem Hause Künstlern und Gelehrten Veranlassung geben, bekannt zu werden und weil wir ihnen Anregung verschaffen.

Ich meine hingegen, daß man diesen viel mehr Gefallen erweist, oder ihnen besser weiter hilft, wenn man lieber alljährlich anstatt große Summen für Gesellschaften zu verschwenden, die man Keinem recht macht, ein Gemälde von meinetwegen auch mittelmäßiger Hand ankauft, oder ein sonstiges Kunstwerk, womit dem Künstler weit mehr geholfen ist, als alle Lobeserhebungen der Gesellschaft, von denen er nicht leben kann.

Und – Du kannst Dich darauf verlassen, mit unserem Gelde werden alle mehr anzufangen wissen, als mit unseren Speisen, mit unserem Wein für einige Stunden. Und weiter: Gebe ich wirklich, nach Hasso, Gelegenheit meinen Salon als eine Stufe der Ruhmesleiter zu betrachten, so können sich anderseits wieder Herzensverirrungen hier entwickeln oder gar erst entspinnen, denen ich keinen Vorschub leisten will. Ich habe kürzlich über die moderne Gesellschaft gelesen und mir graut vor ihr. Tante, verirrte sich ein Lämmlein in meiner Behausung – ich hätte keine Ruhe mehr auf Erden.«

»Ich höre aus Deinen Reden, mein Kind, daß Ihr, obgleich ich Euch bat es nicht zu thun, schon ohne mich meiner Freundin Briefe gelesen.«

»Nein Tante, das haben wir nicht, wie kommt eins zum andern?«

»Du hast aber dieselbe Auffassung jetzt geäußert, die sie gezeigt.«

»Dann sympathisiere ich mit meiner verstorbenen Schwiegermama.

Uebrigens Tantchen, wenn Hasso herüberkommt, soll er uns die Briefe lesen, jetzt bin ich gerade in der Stimmung sie hören zu wollen. Du auch?«

Die alte Dame nickte mit dem Kopfe. Und die junge Frau rief fröhlich durchs Zimmer eilend: »ich hole ihn, er darf nicht so lange als er gewünscht bei Lassalle säumen.«

»Bei Lassalle?« Frau Regierungsrat fuhr entsetzt von ihrem Sitze in die Höhe, »Gott im Himmel, wohin hat sich der Mensch verirrt, Hela, komm einmal zurück meine Tochter, leide das nicht, hörst Du, so etwas führt zu nichts Gutem.«

Lachend antwortete Hela: »ich denke, ich soll keine Autorität über ihn haben? Er soll nach seiner Auffassung handeln.«

»Mein Kind, mit ernsten Dingen scherzt man nicht, sowie Hasso kommt, werde ich ihm die Lektüre verbieten.«

»Aber Tante, denke doch nicht gleich an eine rote Cocarde, es schadet keinem vernünftigen Menschen, wenn er sich umsieht; wenn er Lassalle studiert, braucht er noch dessen Ansichten nicht zu unterschreiben.

Mit derselben Furcht – Furcht vor der Geistesrichtung – könnte ich ihm ja Schopenhauer, oder sonst was verbieten. –

Uebrigens sage ihm selbst, was Dich drückt, komm, wir überrumpeln ihn Beide!« – –

Hasso war so in der Lektüre von Schriftstücken vertieft, daß er beide Damen nicht kommen hörte.

Hela blieb lächelnd zwischen einer dunklen Portiere stehen, Frau Regierungsrat war ins Zimmer getreten.

»Sieh doch,« wandte sie sich zu Hela, nachdem sie über seine Schultern hinweg in Hassos Schriften gesehen, »nicht Lasalle, die Briefe seiner Mutter beschäftigen ihn.«

»O, das ist Verrat, das darf er nicht!«

Im Nu hatten sich ihre schlanken Hände über seine Augen gelegt.

»Wer hat sich eines Wortbruches schuldig gemacht,« rief sie in drolliger Weise, »und wird dennoch seiner Bestrafung entgegengehen?«

Er fuhr hastig von seinem Sitz empor, eine flammende Röte, überzog für einen Moment seine Stirn, aber er faßte sich schnell und erwiderte in gleichem Tone:

»Wer hat sich hier in mein Zimmer eingeschlichen und wer hat das Recht, mich so zu erschrecken?«

Dabei drückte er ihre Hände an sein Herz und sah nun ihren Blicken folgend die alte Dame.

»Ach, guten Abend, Tantchen, »Brutus auch Du? –« lachte er hellauf.

»Auch ich, mein Sohn, Hela hat Recht, Du mußt entschieden für Deine direkte Untreue, uns gegenüber, bestraft werden und ich bin froh, daß ich Dich ertappen half.«

»Richtet mich edle Frauen,« sagte er, sich tief verbeugend.

»Tante, sage Du, welche Strafe er erleiden soll.«

»Nein, mein Kind, Du bist die Gattin, Du hast zu bestimmen.«

»Aber ich bitte Dich, die Aeltere, darum, als unsere Mutter! Diktiere Du, und wäre es die größte Strafe, ich unterschreibe das Urteil.«

»Ja Kinder – erlaubt, daß ich aber vor allem Platz nehme, ich bin eine alte Frau, die sich nicht so lange auf den Füßen halten kann.«

Hasso schob der alten Dame einen Sessel hin und diese nahm nun etwas verwirrt das Wort: »ich weiß wirklich nicht – ich meine nämlich – weißt Du Hela!« –

»Ja, ich weiß,« nickte diese verständnisvoll lächelnd.

Hasso stand an seinem Schreibtisch gelehnt und lachte, daß ihm Thränen in die Augen traten.

»Nun wirst Du mich verurteilen müssen, arme Hela,« wandte er sich zu dieser.

»Und ich werde einen ausgedehnten Gebrauch davon machen«, antwortete sie, »aber ich bitte erst, wende Deinen Blick etwas abwärts, wenn Du mich so direkt ansiehst mit den bewußten Augen.« –

»Aha, Du kannst mir nichts thun!«

»O, bitte sehr: hör also Angeklagter: Erstens darfst Du mir 8 Tage lang nicht die Hand küssen –«

»Aber die Augen?«

Ein Lächeln huschte über ihr Antlitz, aber als habe sie den Einwand nicht gehört, fuhr sie fort, »und dann wirst Du jetzt die Briefe in Tantens Hände legen und nicht Du wirst sie vorlesen, sondern ich.«

Jetzt wurde der junge Gatte ernst.

»Das wirst Du nicht, mein Kind, gegen die zweite Strafe protestiere ich,« antwortete er durchaus nicht mehr so gut gelaunt, als zuerst.

»Komm, mein Kind,« fuhr er, nach ihrer Hand greifend, fort: »nimm Platz und laß uns einmal wieder vernünftig sprechen.«

»Ich sagte Dir einige Abende hintereinander, ich lese Lasalle.« –

»Deshalb gerade kamen wir daher, mein Sohn,« fiel die alte Tante ein, »Lassalle, wie kommt ein –«

»Bitte Tante, dies später, laß mich jetzt fortfahren, ich las aber die Briefe meiner Mutter, gegen unsere Verabredung, allein. Sagtest Du nicht selbst an unserem Hochzeitstage, wir wollen ein anderes Leben beginnen und die Vergangenheit tot sein lassen?

Nun Hela, die Briefe, die uns Tante geschenkt, sie frischen alles Durchlebte und alles was wir aus denen Deines Vaters kennen, wieder auf.

Ich dachte mir das vorerst, und habe sie deshalb um Dich zu schonen, allein gelesen.

Hier hast Du meine Rechtfertigung, erhalte ich Absolution?«

Die junge Frau schmiegte sich zärtlich an ihn. Sie sprach kein Wort.

»Tante«, wandte er sich zu der alten Dame, »Du hast uns die Briefe geschenkt, sie sind unser Besitz, wir können ganz in unserem Sinne damit handeln, nicht?«

»Gewiß!«

»Nun wohlan!« er wandte sich um, nahm den ganzen Stoß Briefe und mit einer hastigen Bewegung warf er sie in das lodernde Kaminfeuer.

»Hasso!« schrie entsetzt Hela auf, flog zum Kamin und streckte ihre Hand nach den sich bereits in Glut zusammenrollenden Blättern aus.

Einige Streifen nur konnte sie retten, alles andere zerfiel in Asche.

Geisterhaft blaß aussehend wandte sie sich um, die alte Dame saß bewegungslos in ihrem Fauteuil.

Hasso starrte ruhig verharrend vor sich hin.

»Wie pietätlos!« sagte jetzt Frau Regierungsrat fast verächtlich.

Niemand antwortete bis Hasso nun anhub:

»Hela, die erste Bitte in unserer Ehe wirst Du wir gewiß nicht versagen, thue mir die Liebe und laß mich mit Tanten allein.«

Die junge Frau entfernte sich und Althof begann:

»Tante, Dein »pietätlos« hat mich bis in die Seele getroffen. Du meinst jetzt wirklich, ich werfe alles über Bord weil mir die Vergangenheit lästig, aber vernimm: ich habe deshalb jene Briefe verbrannt – weil sie geradezu Dolchstiche für meine Frau sind.

.

Du siehst nur die Briefe meiner Mutter, die ich verbrannt, ich verbrannte aber darin die Anklagen gegen meinen Schwiegervater, die Hela ja niemals zur Ruhe kommen ließen.

Mein Gott, was hat das arme, geliebte Geschöpf nicht schon darunter gelitten, und nun soll alles wieder aufgefrischt werden?

Nein, ich habe meine Hela so lieb, daß ich mich von dem Teuersten, von der Mutter Aufzeichnungen, lieber trenne, als daß ich ihr immer und immer wieder Schmerz bereite.«

Die alte Dame schwieg und wischte verstohlen eine Thräne aus dem Auge. Er griff nach jenen Papiermassen, die Hela gerettet und auf seinen Schreibtisch gelegt hatte.

»Vielleicht, liebe Tante, sind Dir die Einzelheiten nicht mehr so im Gedächtnis, die Dir meine selige Mama schrieb, der Briefteil, den Hela den Flammen entrissen – er sagt wahrhaftig genug, mehr hätte Mama nicht zu schreiben brauchen. Soll ich ihn Dir nochmals lesen?«

»Bitte,« kam es matt von den Lippen der Dame und Hasso las:

 

»Meine teure Elise!

Du hast mir zu meiner Hochzeit gratuliert, ich danke Dir dafür und da ich Dir schon lange einen Brief schulde, soll mein heutiges Schreiben ein um so ausführlicheres werden. – Ich bin nun getraut; daß ich meinen Gatten auf der Reise kennen gelernt, welche ich nach Alicens Tod gemacht, um mich gewaltsam aus der entsetzlichen Apathie, die sich meiner bemächtigt hatte, zu reißen, weißt Du.

Bis zu unserer Verbindung bin ich im Hause seiner Eltern gewesen, die mir sehr lieb geworden.

Die Hochzeit fand in Anbetracht meiner Trauer nur im engsten Familienkreise statt, die Trauung selbst in der Kirche. –

Jetzt ist es mir als hörte ich Dich fragen: »Liebst Du Deinen Mann?«

Ja! Aber nicht mit der Glut, welche ich in meinen jungen Jahren in mir wähnte. Ich sagte Dir einst, daß wir, meine Schwester und ich, eine Ehe ohne grenzenlose Liebe für unmoralisch halten.

Viel gesagt!

Was ist grenzenlos?

War, oder sollte Hugo Lichthofs Liebe zu meiner unglücklichen Schwester nicht ohne Grenzen sein?

Und doch! – Bis ans Ende der Welt geflüchtet, in einem Heim, wo alles von Liebe und Heiligkeit sprach, vergaß er doch nicht, daß da draußen das Weltenrad knarrt, daß das Knarren für ihn so viel wie Alicens Stimme, die nur Abwechselung war.

Was ist unsere Liebe, wenn sie nicht gleich stark bei Mann und Weib?

Küsse ich mit der Seele, und werde nur mit dem Munde geküßt, kann ich da von weihevoller Liebe sprechen? Es giebt keine solche, darum habe ich mit Vernunft geheiratet. Mit Vernunft, die meine arme Schwester getötet. Sie handelte auch mit Vernunft, als sie ihn freigab.

Frei mit dem Munde!

... Du wirst eigentlich heute von mir hören wollen und ich gedachte auch erst von mir zu erzählen, aber Du siehst – ich komme eben über Alicens Tod nicht hinweg.

Grade jetzt, wo ich selbst zufrieden, ja glücklich verheiratet bin, bin ich zu Reflexionen über ihre Ehe geneigt, ich denke täglich darüber nach. –

Eine ideale Ehe scheitert nicht allein an der Unbeständigkeit und Genußsucht des Mannes, es sind die Weltgesetze selbst, die eine solche zerschellen.

Ersieh es schon daraus: Erst haben sie sich die Beiden, Alice und Hugo, so doch gestellt, daß sie die Achtung der Welt ignorierten.

Später hat Hugo nicht den Mut, die Kraft gezeigt, die Achtung für seine Gattin dadurch zu bekunden, daß er sie seinen Verwandten – also zuerst der Donna Fredo – als solche bezeichnete.

Das starke Geschlecht!

Hier hast Du nun, was ich erst jetzt begreife, nachdem sie geopfert. Nicht allein Fernstehenden muß man sich vereinigt dem Gesetze nach zeigen, der Mann, das Weib selbst, muß sich auch nach außen hin befestigt fühlen.

Der Erstere nun erst recht!

Liebt das Weib, so hört die Welt, die äußere Welt für sie auf, sie lebt nur ihrer Liebe.

Aber der Mann? – er liebt das Weib und die Welt. Die Welt ist aber stärker als das Weib – er teilt sich ein, oder – der Weg steht offen.

Wäre meine arme Schwester nicht glücklicher mit Erich geworden, der sie so innig geliebt? Er hätte sie geheiratet nach den Gesetzen der Welt.

Aber in diesen allein vermochte sie keine Heiligung zu finden und wir? – – müssen wir, die wir es geduldet, daß sie auf eine ideale Ehe einging uns nicht selbst am ihrem Unglück schuldig sprechen? Siehst Du, so zieht sich das Verderben fort und fort und frißt am Herzen, am Leben. – – –

Heut in meinem Glücke fühle ich mich durch ein Unglück, das ich selbst mit herbeirufen half, zermalmt.

Hätte Alicens Kind gelebt, ich hätte mich nicht verheiratet, sondern mich mir selbst überlassen. Aber das arme Würmchen, zart wie seine Mutter, es ward, wie ich Dir damals mitteilte, kaum 8 Wochen alt.

Vielleicht wäre es meine Pflicht gewesen, dies seinem Vater zu melden.

Vielleicht!

Ich habe an seine Liebe zu meiner Schwester später nicht mehr geglaubt, wie viel weniger also an die zu seinem Kinde!

Freilich, Alice gegenüber äußerte ich keinen Zweifel.

Aber, Elise sage, liebt man, wenn man auch nur eine Sekunde die Geliebte verleugnet?

Liebt man, wenn man nur an sich denkend Schulden macht und dadurch die heiligste Pflicht der Gattin gegenüber vergißt?

So muß ich auch immer und immer wieder über meine gute Schwester nachdenken. Muß sie nicht, wenn auch ihr letztes Wort noch von der tiefsten, allgewaltigsten Liebe zu ihm sprach, nicht doch herausgefühlt haben, daß seine Liebe nie so groß zu ihr gewesen, als ihr Opfer ihm gegenüber? –

Wenn ich sie so auf ihrem Lieblingsplätzchen sah, immer und immer wieder seine Briefe lesend, die er ihr vor und nach der Verheiratung bis zur Trennung geschrieben – dann war es mir, als müßte ich sagen: Unglückliches Kind, erfaßt Du es denn nicht, daß die leeren Worte nur so lang sie geschrieben werden, empfunden sind?

Zwischen reden und handeln ist ein gewaltiger Unterschied!

Was war nun meine Schwester anders als – als – – nein! das ist nicht wahr!

Sie war vielleicht gerechtfertigter das Weib Ihres Mannes, als wir, die wir dem unseren gesetzlich angetraut.

Aber sage das aller Welt, setze es ihr auseinander. Zehn hören Dir zu, Tausende wenden Dir lachend den Rücken und denken für sich, frivol wie die Welt nun einmal ist, hätte ›er‹ sie nicht ›sitzen lassen‹, hätte es ein anderer gethan.

Niemand darf gegen den Strom schwimmen, nur mit demselben kann man ein sicheres ruhiges Ziel erreichen. –

Und was kommt nun noch? – Menschen, die zu niedriger Natur sind, um ein ideales Verhältnis – wenn es auch beiderseits aufrecht erhalten wird – verstehen zu können, fühlen sich berechtigt, sich darüber zu stellen, sie urteilen von oben herab.

Und wo wagt sich alles Gemeine am ehesten heran? Doch an Schutz- und Wehrlose. Was habe ich, wenn ich mich einmal wieder hinaus ins Weltgetümmel wagte, über Alice direkt oder indirekt nicht zu hören bekommen! Eine Frau, von der es ein öffentliches Geheimnis war, daß sie vor ihrer Verheiratung die ganze Garnison geküßt, glaubte sich durch den Trauschein reingewaschen. Sieh', wozu dieser alles dient!

Sie, die sich an Seelenadel mit meiner Schwester nie messen konnte, saß zu Gericht über mein Kleinod!

Aber noch weiter, sie stand uns ja fern, doch von allen denen, die Alicens Hochzeit beiwohnten, die des Onkels Rede gehört, zogen sich alle bis auf Freund Erich von uns zurück. So rächt sich ein einziger Schritt vom rechten Wege!

Meinst Du nicht auch, gute Elise, daß das meine Schwester gefühlt haben muß, daß, sie das töten half?

Sollte ich einmal Kinder zu erziehen haben, nicht einen Schritt ließe ich sie weiter gehen, als es die Konvenienz, als es das Gesetz gestattet. Ich werde auch dafür Sorge tragen, daß sie nicht in der ersten Jugend jenes Leid zu kosten bekommen, das die Welt mit Liebe bezeichnet. Erst dann soll das Herz erwachen, wenn es der Kopf versteht, nicht wenn Frühlingsbrausen es höher schlagen läßt, und wir mit dem unbewußten Etwas zu ringen haben und dann meinen, nur in Besitz eines Wesens zur Ruhe zu gelangen, das wir in unserer Phantasie erstehen lassen.

Wenn ganz besonders Mädchen jung heiraten, so täuschen sie sich immer. Sie heiraten nicht den, der ihnen angetraut wird, sie sehen in ihrem Erwählten nur fälschlich das erträumte Ideal und dichten ihm Eigenschaften an, die in keinem Manne wohnen, Eigenschaften, die man erhofft, die aber nimmer vorhanden.

Das geht alles recht gut und recht glatt, bis wir bei einer kritischen Situation anlangen – hier zeigt sich der wahre Charakter, und dann das Erwachen!

Jetzt erst sieht dann solch bethörtes Kind, daß es Schein und Sein verwechselt.

Wenn ich meine Alice mit gerungenen Händen ›O Vater, rufe Dein Kind zurück‹ flehen gehört – dann hätte ich vor Verzweiflung laut aufschreien mögen. Armes Kind, Dir war nicht zu helfen. Du mußtest allein vorwärts schreiten, dem Verderben entgegen. Und sie, immer noch in dem Wahne, nicht verlassen von ihm zu sein. Immer noch sein scheinbares Leid, das ihm die Trennung von ihr auferlegt, mitbetrauernd – sie wähnte sich von ihm nicht verraten.

Laß Dir weiter erzählen, im Todeskampfe, als sie kaum noch Worte hervorbringen konnte, zeigte sie auf das arme Würmchen, das neben ihr lag, mit einem Blicke, als wollte sie es mir anvertrauen fürs Leben.

›Sein Kind.‹ Das waren ihre letzten Worte.

Fühlst Du, was in diesen zwei Worten liegt?! –

Sein Kind! So ist die Liebe eines edlen Weibes, und die des Mannes? – –

Zur selben Stunde, als der sterbende Mund jene Worte herausbrachte, mag er frohen Mutes sie vergessend im lichtstrahlenden Saal gesessen, in angenehmes Träumen versunken, oder scherzend und tändelnd eine Konversation geführt haben.

Ich hasse diesen Mann, Elise, daß ich selbst davor erschrecke.

Als man Alice bestattet, bestattet, wie eine Verbrecherin – wie anders konnte es dort, auf einem vergessenen Erdenfleck sein – da erfaßte mich ein Grauen vor mir selber, wenn ich ihr Kind im Bettchen liegen sah und dann immer und immer wiederholen mußte was sie gesagt.

›Sein Kind.‹ – Sie sagte es in Liebe ohne Ende.

Ich – Sein Kind! – – ich preßte oft meine Hände zusammen in wahnsinniger Wut, in Todesangst vor mir selber, wenn ich das sagen mußte. ›Sein Kind!‹ Alles Blut ward in mir zu Eis.

Aber wenn ich mich dann wieder an des Knaben Bettchen setzte, und ihm tief in die Augen schaute, die sich so klug im Zimmer umsahen, dann jubelte es doch in mir auf. War es mir doch als lebe Alice im Kinde weiter.

Wir zogen fort, Trude packte die Sachen, die gute Seele, sie war nicht minder gebeugt, als ich.

In der Post fuhren wir mit einem Herrn zusammen.

›Gehört das Baby Ihnen, Madame?‹ fragte er mich, auf das Kind, das ich im Kissen auf meinem Schoß hatte, zeigend.

›Es gehört mir, sagte ich.‹

Elise, dabei war es mir, als ich einen Schwur geleistet, es sollte mein sein.

›Daß Sie aber mit einem so kleinen Kinde reisen, Madame,‹ sprach er weiter.

›Ich muß, mein Herr, in meiner Gegend ist es so öde, daß ich nicht einmal genügend Nahrung für das Kind erhalte.‹

›Und wo ist des Kindes Vater?‹ fuhr er fragend fort.

›Tot,‹ sagte ich dumpf.

Daß jener Herr, der die Fragen gestellt, mein Mann geworden, und daß er erfahren, wer jenes Kind gewesen – schrieb ich Dir zur Zeit.« – – –

 

Hasso hielt im Lesen inne. »Tante,« begann er nun, »das Weitere hat, wie Du siehst – das Feuer verzehrt. Wer das, was ich Dir jetzt gelesen, genügt wohl schon, um zu beweisen, daß mich die Liebe, nicht wie Du annahmst, die Pietätlosigkeit, die Blätter verbrennen ließ.«

»Was liegt dort noch vor dem Kamin?« fragte die Rätin und zeigte nach der Richtung, wo ein Blatt Papier lag.

Hasso hob es auf.

»Ein Gedicht, Tante, Mama hat es wohl abgeschrieben, denn sie selbst war, so viel ich weiß, keine Dichterin.«

Er steckte es ungelesen zu sich.

Die alte Frau erhob sich, nahm Althofs Arm und ging mit ihm zu Hela.

– Diese saß wartend am gedeckten Tisch, man nahm das Abendessen schweigend ein, dann wünschte Tante in ihre Gemächer begleitet zu sein.

Als Hela mit ihrem Gemahl allein war, ging er auf sie zu, umschlang sie liebevoll und sagte mild: »Hela, es kam Dir vielleicht sonderbar vor, daß ich dort drüben jene Szene vollführt, was dachtest Du Dir?«

»Die wahre Liebe vertraut auch da, wo sie nicht mehr versteht, Geliebter, aber ich – glaube, nun ich nachgedacht, Dich verstanden zu haben. Mein armer Vater! – Aber hättest Du mir nur einen einzigen Brief gegeben, Hasso, nur ein einziges Schriftstück als Andenken an Deine Mutter.«

»Hier ist eins, mein Liebling,« er reichte ihr das Gedicht.

Hela nahm neben ihrem Gatten auf dem Sopha Platz und las halblaut das Poem, das beide tief, doch mit verschiedenen Gefühlen bewegte:

Alles, Welt, was Du mir schuldest,
Jedes Glück, das mir geraubt,
Schütte aus auf meines Kindes
Reines, unschuldvolles Haupt.

Meinem Knaben lasse leuchten
Heller Sterne ew'ge Pracht,
Edle Perlen laß ihn finden
In des Lebens dunklem Schacht.

Gieb Erfüllung seinem Sehnen,
Seinem Wunsch ein edles Ziel,
Nur das Glück erpreß ihm Thränen,
Seufzer nur das Mitgefühl.

Und im Kampf mit dunklen Mächten,
– Kämpfen ist der Menschheit Loos –
Laß ihn sieg- und ruhmreich fechten,
Mach ihn frei und gut und groß.

Laß sein Herz begeistert schlagen,
Und für Licht und Wahrheit glüh'n,
Zu den Sternen mög's ihn tragen,
Ihn kein Irrlicht niederzieh'n.

Alles, Welt, was Du mir schuldest,
Jedes Glück, das mir geraubt,
Schütte aus auf meines Kindes
Reines unschuldsvolles Haupt.

*

Als Hela nach Stunden ihr Schlafgemach aufsuchte, kniete sie nieder und den sternenbesäeten Himmel suchend, sprach sie mit erhobenen Händen:

»Himmlischer Vater da droben, gieb, o gieb mir die Kraft, ihn fortdauernd beglücken zu können.

Laß alles Gute in mir zur Entfaltung gelangen, laß mich demütig werden, wie es dem Weibe geziemt, und segne mich mit Verstand und Schönheit für ihn, nur für ihn! Für meinen Gatten und – für das Kind seiner Mutter.«

Lange noch hing sie den Gedanken, die ihr Hirn kreuzten, nach, lange noch sagte sie die Strophen vor sich hin, die ihr jenes Gebet auf die Lippen gegeben.

Alles, Welt, was Du mir schuldest,
Jedes Glück, das mir geraubt,
Schütte aus auf meines Kindes
Reines, unschuldvolles Haupt.

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