Johanna Schopenhauer
Reise durch England und Schottland
Johanna Schopenhauer

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ENGLAND

VORLÄUFIGE BEMERKUNGEN ÜBER ENGLAND

Es ist eigentlich recht erfreulich, in diesem Lande zu reisen. Die schönsten Landschaftsgemälden ähnlichen Parks, die Gärten, die zweckmäßige Einrichtung der Häuser, der raffinierte Luxus, die Nettigkeit der Ordnung überall, die selbst in dem unbedeutendsten Hausgeräte sich zeigende Eleganz und Bequemlichkeit, machen einen frohen Eindruck auf den Besuchenden. Man wünscht sich alle diese Dinge nicht, weil man ihrer nicht gewohnt ist, oft nicht einmal ihren Gebrauch kennt; aber man bekommt ein Gefühl von heiterem Lebensgenusse. Nur den Wunsch, sich der Kunstwerke recht zu erfreuen, sie zu studieren, vielleicht etwas zu kopieren, muß man nicht aufkommen lassen; denn seine Erfüllung ist in diesem Lande mit so vielen Schwierigkeiten umgeben, dass sie fast undenkbar wird.

Von den Schönheiten des Landes und der Wege, von den bequemen Gasthöfen, die man auch in den abgelegensten Gegenden findet und in welchen man nur einen wohlgefüllten Beutel braucht, um gleich so gut und vielleicht besser als zu Hause zu sein, von der trefflichen Einrichtung des Postwesens ist überall viel gesagt und geschrieben, und dennoch nicht zu viel, um dieses in seiner Art vollkommenste Ganze gehörig zu loben.

Für jetzt wollen wir uns aber darauf beschränken, eine allgemeine Idee eines englischen großen Landhauses mit seinen Umgebungen aufzustellen und alsdann versuchen zu beschreiben, was wir auf einer Reise von London durch das nördliche England nach Schottland zu sehen Gelegenheit hatten.

Ein englischer Park ist von dem, was man sich in Deutschland unter diesem Namen denkt, merklich verschieden. Er umfaßt die das Wohnhaus oder Schloß zunächst umgebenden, eigentlich zu demselben gehörigen Ländereien und ist gewöhnlich von ziemlichen Umfange. Äcker und Wiesen, mit lebendigen Hecken zierlich eingefasst, durchschnitten von wohlgehaltenen Kieswegen zum Gehen und Fahren, liegen in seinem Bezirk, sowie auch einzelne Wirtschaftsgebäude von gefälliger, aber doch ihre Bestimmung andeutender Form. Überall hat man nach malerischen Effekten gestrebt, und die sanften Anhöhen und Vertiefungen dieses Landes erleichtern dieses Streben; aber immer ist das Nützliche mit dem Schönen vereint.

Der höchste Schmuck dieses Parks sind die üppige Vegetation der wohlbestellten Äcker, die unvergleichlich schönen grünen Wiesen und die prächtigen Bäume, größtenteils Eichen und Buchen, welche überall in Gruppen verteilt stehen. In England haben die Bäume das Eigne, daß sie mehr als in anderen Ländern gleich von der Wurzel an ausschlagen und kleinere Zweige treiben. Enge, durch dichte Schatten und Gebüsche sich hinschlängelnde Gänge findet man in keinem Parke; auch Gehölze sind, wie überall in England, selten. Man könnte sagen, es fehle Schatten, wenn nicht gerade in diesem Lande, wo bei sehr milder Luft dennoch die Sonne selten recht heiß und hell scheint, der Schatten entbehrlicher wäre als anderswo. Die Kioske, Tempel, Einsiedeleien unserer Parks fehlen dort ebenfalls; alle diese zur Zierde dienenden Gebäude sind in die vom Park ganz verschiedenen, das Haus näher umgebenden Anlagen, in die sogenannten Pleasure-Grounds verwiesen. Nur in sehr großen Parks, wie die von Blenheim oder Stowe, steht hier und da ein Obelisk, eine Pyramide oder ein Turm, um vom Schloß aus eine Ansicht zu gewähren.

An Wasser darf es nie fehlen. Künstliche Wasserfälle kennt man nicht und noch weniger Springbrunnen. Fließt aber ein kleiner Fluß oder nur ein beträchtlicher Bach in der Nähe einer solchen Besitzung, so muß er, wenn auch mit großen Kosten herbeigeführt, sich in mannigfaltigen Krümmungen hindurchschlängeln. Fehlt es an lebendigem Wasser, so sucht man wenigstens einem stehenden Kanale den Schein davon zu leihen. Man gibt ihm eine leichte, natürliche Krümmung, verdeckt Anfang und Ende mit überhängendem Gebüsche, wirft schöne Brücken darüber und täuscht so das Auge, oder man verwandelt die Ufer eines Teichs in die unregelmäßigen Umgebungen eines kleinen Sees. Überall strebt man nach dem Schönen und flieht das Gesuchte, Steife, Pretiöse.

Die Staffage vollendet diese lebendige Landschaft. Hunderte von halbzahmen Hirschen und Rehen weiden beinahe ganz furchtlos auf den grünsten Wiesen der Welt; mit ihnen die schönsten Pferde, Kühe und Ziegen, besonders in der Nähe des Hauses, wo sich die Wiesen rings umher wie ein Teppich auf das herrlichste ausbreiten. Die schönen Gestalten dieser Tiere, ihre leichten freien Bewegungen, ihr Wohlsein geben dem Ganzen einen unbeschreiblichen Reiz.

Immer liegt das Wohnhaus auf einer sanften Anhöhe, alle Bäume sind aus seiner nächsten Nähe verbannt, damit Licht, Luft und Sonne kein Hindernis finden. Dennoch ist es nicht heiß in den Zimmern, teils weil es überhaupt in England nicht heiß ist, teils wegen der wenigen Fenster, die aber so verständig angebracht sind, daß jeder Teil des Gebäudes sein hinlängliches Licht hat.

Die äußere Ansicht der englischen Landhäuser ist aus unzähligen Kupferstichen bekannt genug. Selten herrscht ein ganz reiner Geschmack darin, oft sind sie mit Verzierungen überladen. Die Hauptfassade ist gewöhnlich mit Säulen geziert. Sind gleich die Verhältnisse derselben nicht immer die richtigsten, scheinen sie oft müßig dazustehen, so gewähren sie doch immer ein angenehmes, schattiges Plätzchen vor dem Hause, von welchem man recht behaglich ins Freie über den grünen Wiesenplan hinaussieht. Unter und vor diesen Säulen stehen unzählbare fremde Gesträuche und Blumen in Vasen, teils auf schönen Gestellen übereinander getürmt, teils auf den Stufen des Eingangs und den Geländern zierlich geordnet. Der Luxus, den man mit diesen Pflanzen treibt, ist unglaublich. Täglich müssen die verblühten hinweggeschafft und andere an ihre Stelle gesetzt werden.

Höchst reizend ist der Anblick dieser Shrubberies. Florens Schätze werden aus allen Ländern der Welt hierher gezaubert. Doch auch über diese schönsten Kinder der Natur herrscht in England das eiserne Zepter der Mode. In der Zeit, aus welcher diese Beschreibung stammt, hatte sie gerade die Eriken oder Heidekräuter ihrer besonderen Huld gewürdigt. Man gab wohl fünfzig und mehr Guineen für so ein geruch-, oft farbenloses Kraut hin, wenn es nur aus einem recht entfernten Winkel der Erde herstammte. Große Orangerien sind in England, außer in den königlichen Gärten, selten anzutreffen.

Die innere Einrichtung der Häuser richtet sich hier, wie überall, nach dem Reichtum und Geschmacke des Erbauers, des Bewohners und des Zeitalters, in welchem sie entstand. Die meisten haben große, vollkommen erleuchtete und hohe Souterrains, in welchen sich die Küche, die Gewölbe zur Bewahrung der Vorräte nebst den Bedientenzimmern befinden. Letztere sind durchaus gut möbliert, ja die der Haushälterin und des Haushofmeisters (in England Butler genannt) sogar elegant, hübsch tapeziert, mit Mahagonimöbeln und guten Fußteppichen. Auch bei den Bedienten wird die englische Sitte beobachtet, daß sie außer ihren Schlafzimmern noch Wohnzimmer und Speisezimmer haben.

Aus dem Garten tritt man gewöhnlich zuerst in eine große, hohe, öfters von oben beleuchtete Halle, die mit Gemälden oder Statuen, Basreliefs oder Vasen geziert ist. Zu beiden Seiten liegen die verschiedenen Putz- und Wohnzimmer; ein langes Zimmer enthält die Bibliothek, deren schöne Schränke und zierliche Einbände sie zu einem der elegantesten Zimmer des Schlosses machen. In vielen Häusern ist es Sitte, daß die Familie sich zum Frühstück darin versammelt. Sonst gibt es noch Frühstückszimmer, Arbeitszimmer, Musikzimmer, Gesellschaftszimmer, (Drawingrooms), Wohnzimmer (Parlours), Speisezimmer, Spielzimmer in Menge, doch selten von ausgezeichneter Größe. Überall einfache Pracht, Fußböden, Treppen und Vorplätze mit schönen Teppichen belegt.

In vielen Häusern wechselt man im Sommer die warmen Winterteppiche mit kühlen, von gemalter Wachsleinwand, welche von beträchtlicher Dicke eigens dazu fabriziert wird. Mahagoniholz sieht man meistens nur an Treppengeländern, großen Eßtischen, Bettstellen; die Möbel in den herrschaftlichen Zimmern sind von fremden köstlicheren oder kunstreich lackierten Hölzern.

Man findet es bürgerlich, unmodisch, lächerlich, die Möbel an den Wänden hinzustellen, wie es in Deutschland gebräuchlich ist; in den Wohn- und Gesellschaftszimmern stehen alle in einem großen Kreis umher, so daß noch ein beträchtlicher Raum zum Spazieren zwischen den Stühlen, Sofas, Tischen und den Wänden übrig bleibt. Die Schreibtische sowohl als die Pianofortes sind immer mitten im Zimmer, wo eben das Licht am günstigsten fällt und man nicht von der Hitze nahe am Kamin oder vom Zug nahe am Fenster leidet. Noch müssen wir der Kamine gedenken, die, künstlich in Marmor gearbeitet oder mit brillantiertem Stahl geschmückt, eine der größten Zierden der Zimmer ausmachen. Schöne Vasen und prächtige Kandelaber prangen auf ihren Gesimsen. Der zweite Stock enthält die Schlafzimmer, welche indessen den Fremden nur selten gezeigt werden. Diese, besonders die der Damen, sind ein Heiligtum, in welches kein sterbliches Auge dringen darf. Oft hörten wir Engländerinnen mit wahrem Grausen von der Sitte der Französinnen sprechen, welche gerade ihre Schlafzimmer zum Besuchszimmer vorzugsweise erwählen.

So viel von der inneren Einrichtung der englischen Villen im allgemeinen. Kehren wir jetzt zurück zu den nächsten äußeren Umgebungen derselben.

Die Obst- und Gemüsegärten, die Treibhäuser liegen mit allen zur inneren Ökonomie gehörigen Gebäuden ganz nahe am herrschaftlichen Hause, werden aber durch mancherlei Vorkehrungen dem Auge entzogen. Diese Bezirke sind es, was der Engländer eigentlich Gärten (Gardens) nennt. Der zur Fußpromenade bestimmte Teil der Besitzung heißt Pleasure-Ground und liegt ganz nahe am Hause. Hier trifft man Ähnlichkeit mit den deutschen Parks: Gänge, die sich bald durch dichte Schatten, bald mehr im Freien hinschlängeln, Tempel, Säulen, Denkmäler, Ruheplätze und den ganzen architektonischen Reichtum der neueren Gartenkunst. Alle Gebäude sind von Stein, alle Geländer und Türen von schönem eisernen Gitterwerk. Hier blühen und grünen die vielen einheimischen Gesträuche, Bäume und Blumen neben den aus fremden Ländern herübergebrachten, die stark genug sind, den Winter im Freien zu ertragen.

Viele Pflanzen, die wir in Deutschland sorgfältig vor der Kälte schützen müssen, halten den durch Seeluft gemilderten englischen Winter aus, zum Beispiel der Laurus Tinus, das Heliotropium und der Jasmin (Jasminum officinale). Die beiden letzteren haben wir oft in einer Höhe von sechs bis acht Fuß sich an den Mauern hinziehen sehen.

Obstbäume aller Art werden aus diesen Anlagen verbannt. Die verständige Weise, mit welcher alle Bäume mit Hinsicht auf Höhe, Wuchs und die dunklere oder hellere Farbe ihres Laubes geordnet sind, gibt dem Ganzen einen Zauber, den man fühlt, ohne sich ihn gleich erklären zu können. Alles ist zur schönsten befriedigenden Einheit gebracht. Das Auge wird sogar in Hinsicht der Entfernung eines Gegenstandes oft getäuscht. Die englischen Gärtner sind wahre Landschaftsmaler im Großen, ja wir möchten sie fast für die einzigen eigentlichen Künstler der Nation erklären. Jeden Vorteil, den Optik und die Regeln der Perspektive ihnen darbieten, wissen sie gar gut zu benutzen, ohne doch ins Kleinliche zu fallen. Mit den Nadelhölzern aller Art, den verschiedenen, uns zum Teil in Deutschland unbekannten, immergrünen Stauden und Sträuchern, deren einige sogar bisweilen im Dezember blühen, werden sehr schöne Effekte hervorgebracht. Gewöhnlich sieht man davon in der Nähe des Hauses eine Art Wintergarten an einem sonnigen Platz angelegt, in welchem man sich bei winterlichem Sonnenschein ergehen und, von allen Seiten durch das Grün getäuscht, in den Frühling hineinträumen kann. Solche Anstalten sind auf jener Insel notwendiger als bei uns: denn derselbe wunderliche Geist, der die Einwohner dieses Landes die Nacht zum Tage umzuschaffen bewog, verwirrte auch den Lauf der Jahreszeiten. Der Winter herrscht in Hinsicht auf Kleidung und Vergnügen bis über die Mitte des Junius hinaus. Dann fängt der Frühling erst an, und so muß der Sommer und mit ihm der Aufenthalt auf dem Lande, welcher in der Regel erst im August und noch später beginnt, bis nach Weihnachten verlängert werden, damit jedem neben dem Unrecht auch sein Recht geschehe.

Der Haupteingang zum Park, ein oft sehr prächtiges Tor, hat zu beiden Seiten zwei kleine Gebäude, die Wohnung des Türhüters und seiner Familie, bei welchem sich jeder Einlaßbegehrende vermittelst einer Glocke meldet. Dieses Tor mit seinen Gebäuden, the Lodge genannt, ist eine Hauptzierde des Parks. Die beiden Pavillons sind bald im gotischen Geschmacke, bald im ägyptischen; sie stellen Türme, griechische Tempel oder auch nur artige, moderne Gartenhäuschen vor, je nachdem der Geschmack des Erbauers war. Immer hat der Türhüter eine freundliche, artige Wohnung darin, mit Küche und Keller und allem, wessen er bedarf, wohl versehen, und manche angesehene Familie in Deutschland würde zufrieden sein, einen solchen Sommeraufenthalt zu besitzen.

Woburn-AbbeyJohanna trat die Reise nach längerem Aufenthalt in London mit ihrem Gatten am 30. Juni oder 31. Juli 1803 an

Dieser Landsitz, der erste, welchen wir besuchten, ist das Eigentum des Herzogs von Bedford, des reichsten Particuliers und zugleich des größten Ökonomen in England. Sein Bruder, der Ökonomie mit noch größerem Eifer ergeben, starb vor wenigen Jahren, sechsunddreißig Jahre alt, und hinterließ dem jetzigen Besitzer, welcher sich dem geistlichen Stande gewidmet hatte, das große Vermögen.

Woburn liegt eine Tagesreise von London entfernt. Das erste, was man uns hier zeigt, waren natürlicherweise die Wirtschaftsgebäude, vor allem die Viehställe: denn der Herzog, wie seine Vorgänger, beschäftigt sich hauptsächlich mit diesem Zweige der Landwirtschaft. Auch machen die vierbeinigen Eleven aller Art ihrem Erzieher Freude und Ehre. Sie tragen bei den in England gewöhnlichen Preisbewerbungen in Hinsicht der Größe, Schönheit und des Gedeihens gewöhnlich über alle anderen Mitbewerber den Preis davon. Dafür wird auch alles getan, um ihr Andenken nach ihrem leider fast immer gewaltsamen Tode zu verewigen. Im Schloß wimmelt es von gemalten oder in Stein gehauenen ähnlichen Bildnissen der wohlgeratensten unter ihnen. Viele davon sind sogar in Kupfer gestochen, und ihr Porträt prangt in den Londoner Kupferstichläden neben anderen berühmten Porträts von großen Gelehrten oder Ministern.

So wenig wir auch vom Landbau verstehen mochten, so war es uns doch unmöglich, die Ordnung überall und die zweckmäßigen Einrichtungen ohne Vergnügen und Bewunderung zu sehen. Man zeigte uns viele in diesem Lande der Industrie erfundenen Maschinen, um die ländliche Arbeit zu vereinfachen, zu erleichtern und einträglicher zu machen. Zum Beispiel eine Dreschmaschine; eine andere um das Getreide abzuschälen, damit kein Mehl in den Kleien verlorengehe; noch eine, womit man in der Mühle vier Sorten Mehl mit einem Mal durchbeutelt, und noch manches andere von dieser Art.

In den Viehställen herrscht eine unglaubliche Reinlichkeit, besonders da, wo wir sie am wenigstens vermuten konnten, im Schweinestalle. Die Bewohner dieses Orts hatten aber auch ein so gesegnetes Gedeihen, waren so groß und von der Last ihres Fettes so niedergedrückt, daß sie uns völlig lebensmüde erschienen. Noch zeigte man uns verschiedene ihrer Schönheit wegen berühmte Stiere und einige indianische Kühe. Letztere haben einen geraderen Rücken und einen kleineren Kopf, übrigens sehen sie wie andere Kühe aus.

Der Park mit seinen herrlichen Wiesen und den ehrwürdigen Bäumen ist von pittoresker Schönheit. Herden zahmer Hirsche und Rehe grasten darin umher, zu achtzig Stück und mehrere zusammen, mitten unter ihnen die schönsten, größten Schafe, einige asiatische mit dicken Fettschwänzen. Die furchtlose Ruhe dieser Tiere von so verschiedenen Gattungen erfreute uns jedes Mal, so oft wir den lieblichen Anblick auch sahen; sie führte ein Bild der schönen goldenen Zeit vor die Seele.

Das an sich große Schloß zeichnet sich vor andren weder durch besondere Pracht noch große Schönheit aus. Es ist zu neu, um ehrwürdig, zu alt, um elegant zu erscheinen. Nur montags steht es Fremden offen; für uns traf es sich diesmal sehr glücklich. Wir durchliefen eine Menge Zimmer voll Gemälden, größtenteils Porträts. Sechs große wunderschöne van Dycks, ganze Gestalten in Lebensgröße, fielen uns besonders auf. Dann auch das Porträt des unglücklichen Grafen Essex, ebenfalls in Lebensgröße. Er hatte eine schlaue, höchst bedeutende Physiognomie und einen ganz roten Bart. Ihm gegenüber hängt das Porträt der Königin Elisabeth, im geschmacklosesten, übertriebensten Putz, ohne allen weiblichen Reiz. Der historischen Gemälde und Landschaften, größtenteils aus der niederländischen Schule, sind eine große Anzahl, und darunter gewiß Stücke von hohem Werte. Auch eine sehr elegante Bibliothek befindet sich im Schlosse.

Das Orangeriehaus ist einfach prächtig. Acht große Marmorsäulen tragen in der Mitte desselben eine von oben erleuchtete Kuppel und umgeben eine große, mit Basreliefs geschmückte antike Marmorvase, über die man ein ganzes Buch schreiben könnte und an der wir flüchtig vorübereilen mußten.

Zu beiden Seiten der Orangerie ist eine oben bedeckte Promenade angebracht: sie bildet einen halben Kreis und dient zum Spazierengehen bei schlechtem Wetter und im Winter. Geißblatt, Rosen, echter Jasmin, Heliotrop und viele andere ähnliche Gewächse umranken die Pfeiler und die auf ihnen ruhenden Bogen, welche die Bedachung tragen; unzählige seltene und schöne Blumen und Gewächse stehen in Vasen, der Promenade entlang.

Ganz in der Nähe ist das Reithaus, ein anderes Haus zum Ballschlagen und eine Art von Pracht-Milchkammer, mit Fenstern von gemaltem Glase. Alle zur Milcherei gehörigen Gefäße sind darin von seltenem japanischen und chinesischen Porzellan. – Die eigentlichen Spaziergänge fanden wir, im Vergleich mit den übrigen, weder groß noch prächtig, aber geschmackvoll angelegt.

Stowe's Garden
Landsitz des Marquis von Buckingham

Diese Gärten werden mit Recht für die schönsten und prächtigsten in England gehalten und liegen in nicht gar großer Entfernung von Woburn. Wir erreichten sie noch denselben Abend, nachdem wir nachmittags Woburn verlassen hatten, und fanden in dem dicht daneben liegenden Gasthofe sehr gute Bedienung.

Stowe's Garden enthält einen Reichtum von Tempeln, Obelisken, Säulen, Pavillons aller Art. In jedem beschränkteren Platze ist freilich weise Sparsamkeit mit solchen Verzierungen nicht genug zu empfehlen; aber hier in diesem großen Raume fällt die Anzahl der Gebäude nur auf, weil man jedesmal die glückliche Wahl bewundern muß, mit der sie angebracht sind, und zugleich den Reichtum, der die Mittel darbot, auf eine so kostbare Weise eines der natürlich schönsten Plätzchen der Erde noch zu verschönern. Unmöglich ist's, diese Gärten durch bloße Worte darzustellen, man muß sie gesehen haben, um sie sich denken zu können. Sie bilden die schönste, lieblichste Landschaft, die nur eine Dichter-Phantasie erfinden konnte. Auch wandelt man hier auf klassischem Boden. Lord Cobham, dem sie hauptsächlich ihre Verschönerung verdanken, lebte hier in der glänzendsten Zeit der englischen Literatur. Die besten Köpfe Britanniens waren seine Freunde und teilten in diesem reizenden Aufenthalte frohe Tage mit ihm.

Auch ist alles getan worden, um hier das Andenken jenes seltenen Vereins zu erhalten. In einem der Freundschaft gewidmeten Tempel stehen Cobhams und seiner Freunde Büsten in Marmor, eine Art halboffener Rotunde enthält die Büsten merkwürdiger Menschen, die zu verschiedenen Zeiten sich um das Vaterland verdient gemacht haben. König Alfred, Königin Elisabeth, Pope, Newton, Franz Drake und mehrere andere, durch Jahrhunderte voneinander getrennt, sieht man hier, wo nur das allen gemeinsame Streben gilt, in geschwisterlichem Vereine.

Eine hohe Säule, welche Lord Cobham zu erbauen anfing, ist von seinem Nachfolger Lord Temple vollendet und seinem Andenken gewidmet. Sie ist inwendig hohl und enthält eine hundertsiebzig Stufen hohe Wendeltreppe. Man genießt oben einer vortrefflichen Aussicht nach Oxford zu. Eine andere Säule steht hier zum Andenken des General Wolf; eine kleinere, mit einem Globus verziert, zu Ehren des Weltumseglers Kapitän Cook.

Noch müssen wir eines gotischen Tempels gedenken, mit Fenstern von gefärbtem Glase, durch welche die Gegend umher sich wunderbar ausnimmt. Diese Anlagen sind reich an schönen alten Bäumen, besonders Eichen und Zypressen; ein ungeheuer großer Taxusbaum zeichnet sich besonders aus. Schattige Gänge ziehen sich um einen kleinen See. Einige natürliche Wasserfälle, schöne malerische Brücken, alles ist hier vereint, was einen solchen Platz nur zu verschönern vermag.

Das Haus besteht aus einem zwei Stock hohen Hauptgebäude und zwei Flügeln von einem Stock. Unter einer von Marmorsäulen getragenen, weit vorspringenden Attika blühen die seltensten Pflanzen in Blumentöpfen. Von hier tritt man in die prächtige, durch eine Kuppel von oben erleuchtete Halle. Am Friese ist ein römischer Triumphzug in Marmor abgebildet. Marmorsäulen zieren ringsumher diese Halle; zwischen ihnen stehen marmorne Statuen.

Aus der Halle tritt man in einen kleineren, mit antiken Büsten verzierten Saal, in dessen Mitte ein schöner Apoll aufgestellt ist. Diese Statue sowohl als der größte Teil der in der Halle befindlichen, sind Antiken.

Die nicht ganz modern dekorierten Zimmer enthalten einen Reichtum an Gemälden, meist Niederländern, namentlich Rembrandts, unter anderem das eigene Porträt dieses Meisters, dessen Arbeiten in England besonders hochgeschätzt werden. Ein Kabinett voller Porträts, größtenteils aus dem merkwürdigen Kreise, den Lord Cobham hier um sich versammelte, ist sehr sehenswert. Hier findet man Pope, Swift, Steele, Addison, der ein höchst gutmütiges Gesicht hat, und viele andere; auch ein Originalporträt der unglücklichen Maria Stuart. Sie ist in wunderlicher Kleidung mit einem sehr hohen Halskragen dargestellt und erscheint weit weniger schön, als man sie sich zu denken gewohnt ist; doch mag auch wohl die nicht außerordentliche Kunst des Malers daran schuld sein.

Lady Buckingham und ihre Tochter beschäftigen sich auch mit der Malerei. Die Mutter malt in Öl, die Tochter Pastell; sie haben ein ganzes Zimmer mit ihren Arbeiten dekoriert, von denen sich übrigens nichts weiter sagen läßt, als daß es von solchen Damen doch lobenswert ist, wenn sie ihre Zeit auf diese Weise hinzubringen suchen.

Wir fuhren denselben Abend, an welchem wir uns in Stowe umgesehen hatten, nach Woodstock, einem Städtchen, das auf vielfache Weise bekannt ist. Das prächtige Schloß Blenheim, welches die Königin Anna ihrem Lieblinge, dem Herzog von MarlboroughJohn Churchill (1650-1722), Staatsmann und Feldherr, gewann vor allem durch den Einfluß seiner Frau Sarah auf die Königin Anna, die letzte Herrscherin aus dem Hause Stuart (1702-14), höchste politische Macht., zum Dank für seine erfochtenen Siege schenkte und nach einem der glänzendsten benannte, liegt ganz nahe daran. Auch werden hier die vorzüglichsten, in ganz England beliebten Stahlarbeiten nicht fabrikmäßig, sondern von einzelnen Arbeitern in ihren Häusern verfertigt. Wir besuchten einen der geschicktesten, um einiges von ihm zu kaufen. Wie ein Maler, der sein Lieblingsbild mit Gold weggeben muß, so betrachtete der gute Alte seine besten Scheren und Messer mit wahrem Künstlerschmerz, ehe er sie uns übergab und ermahnte uns noch beim Schneiden, sie ja gut zu bewahren und zweimal des Tages mit Wolle abzureiben: denn ihm schienen sie das Wichtigste, was uns beschäftigen könnte.

In historischer Hinsicht ist Woodstock besonders merkwürdig. Auf einer Wiese, die jetzt zum Park von Blenheim gezogen ist, stand einst ein Landhaus, in welchem die Königin Elisabeth in ihrer Jugend erzogen, ja gleichsam gefangen gehalten ward. Sie konnte damals nicht hoffen, daß ihre Ansprüche an die Krone von England einst geltend werden würden; und eben diese Ansprüche, die sie gewiß oft in jenen Zeiten bitter beweinte, waren es, die ihr Freiheit, Umgang mit Menschen und jede Jugendfreude raubten. Hier erwarb sie sich alle die Kenntnisse, die Festigkeit, Klugheit, welche sie späterhin zur weisen, glücklichen Regentin machten. Wie war es aber möglich, daß diese frühere Erfahrung des Unglücks, diese Einsamkeit, diese Bekanntschaft mit allen Guten und Großen, was weise Männer vor ihrer Zeit dachten und schrieben, sie nur klug, nicht auch gut machten? Sie, die einst auch gefangen war, wie konnte sie ihre unglückliche Schwester Leiden fühlen lassen, welche sie selbst nur zu gut aus Erfahrung kannte und sie zuletzt dem fürchterlichen Tode auf dem Blutgerüst weihen! Die Nachwelt ist gerecht. Jeder Engländer spricht noch jetzt von Elisabeth, dem Weibe, und der Name der unglücklichen Maria wird noch überall mit Liebe und Mitleid genannt. Die Fehler der Stuart sind vergessen, aber ihr Unglück und ihre Liebenswürdigkeit lebt noch in allen Herzen.

Blenheim

Als wir uns in Woodstock morgens früh anschickten, nach unserer Gewohnheit vor's erste den Park zu durchwandern, sahen wir mit Erstaunen, daß ein himmelhoher Phaeton, mit zweien ziemlich unbändig scheinenden Schimmeln bespannt, unser vor der Tür des Gasthofes harrte. Die Wirtin versicherte uns mit der in solchen Fällen gebräuchlichen Eloquenz, es wäre geradezu unmöglich den Park zu Fuße zu sehen. Wir fügten uns also ihrer Einrichtung, bestiegen das so gefährlich aussehende Fuhrwerk und hatten alle Ursache, mit diesem Entschlusse zufrieden zu sein. Der Park ist so groß, daß kaum anderthalb Stunden zu der Fahrt hinreichten. Die Schimmel waren weniger unbändig, als sie zuerst schienen, und die große Höhe des jetzt aus der Mode gekommenen ganz unbedeckten Fuhrwerks erleichterte gar sehr das Umsehen nach allen Seiten und den Genuß der verschiedenen sich darbietenden Aussichten.

Übrigens wird Blenheim auf eine noch umständlichere und dadurch auch kostspieligere Weise gezeigt, als es bei anderen Landsitzen gebräuchlich ist. Der Geist der stolzen Frau ihrer Zeit, der Lady Sarah, Marlboroughs Gemahlin, scheint noch jetzt auf die in ihrem ehemaligen Wohnsitze übliche Etikette Einfluß zu haben.

Ein großes, prächtiges Tor mit zwei Nebengebäuden, die Wohnung des Türwärters, dient dem Park zum Haupteingange; eine Inschrift auf einer darüber angebrachten Marmorplatte belehrte uns, daß Lady Sarah diese Art von Triumphbogen ihrem verstorbenen Gemahl zu Ehren erbaute. Der Türhüter empfing uns mit einer wahrscheinlich für diesen Zweck ein für allemal auswendig gelernten Anrede, ging ganz ernsthaft etwa fünfzig Schritte neben dem Wagen her, dann ließ er ihn halten. »Dies ist die erste Aussicht«, rief er uns zu; »da drüben sehen Sie ein Wasser mit einer schönen geraden Brücke; daneben rechts steht ein hoher Obelisk, des Herzogs Taten, die Schlachten, die er schlug und gewann, sind daran zu lesen; seine Statue steht auf der Spitze des Obelisks und ist zehn Fuß hoch, so klein sie auch von hier aus erscheint.« So ging es eine feine Weile; uns ward langweilig zu Mute: denn alles, was wir später in der Nähe sehen sollten, ward hier von weitem gezeigt, ohne daß man uns Zeit gelassen hätte, der wirklich mannigfaltigen und lieblichen Aussicht uns zu erfreuen. Dennoch war es unmöglich, dem Strome dieser eingeübten Rede Einhalt zu tun.

Endlich waren wir an dem Orte, wo der lästige Redner, nach der hergebrachten Regel dieses Hauses, von uns scheiden mußte. Er übergab uns einem Förster, der uns zu Pferde begleitet, legte uns noch zum Beschluß, trotz der herzoglichen Livree, die er trug, den endlichen Zweck aller seiner Redekunst, besonders an's Herz und schied, nachdem er ihn erreicht hatte. Sein Nachfolger war zum Glück weniger beredt; bescheidentlich ritt er neben uns her und sprach nur, wo es notwendig war.

Der Park ist einer der schönsten in England. Sanfte Anhöhen, liebliche Täler in freundlicher Abwechslung, bedeckt mit dem schönsten Grase, werden von vielen hundert Rehen und Damhirschen belebt. Mehrere schöne steinerne Brücken führen über einen Kanal, welchem man sehr täuschend das Ansehen eines sanft sich hinwindenden Stroms zu geben wußte. Einige zerstreut liegende Tempel und andere Gebäude, der Obelisk mit der Statue des großen Marlborough und unzählige alte herrliche Bäume gaben ihm einen unbeschreiblichen Reiz. Überall sind mannigfaltige Aussichten auf das Schloß, das Wasser, die Brücken, die Gebäude mit Auswahl und bescheiden sich verhüllter Kunst veranlaßt. Nachdem wir alles gehörig bewundert und uns auch mit dem Förster abgefunden hatten, übergab uns dieser dem Gärtner, welcher uns in den das Schloß in der Nähe umgebenden, zum Spazierengehen bestimmten Anlagen herumführte. Auch diese sind sehr reizend und lieblich, aber bei weitem nicht so prächtig als die von Stowe. Ihre zierliche Einfachheit muß zwar gefallen, doch dünkte uns, sie würde sich besser zu jenem kleineren, in prunkloserem Stil erbauten Schlosse schicken, und dagegen die mit so viel Reichtum ausgestatteten Gärten von Stowe zum Prachtpalaste von Blenheim. Eine wasserreiche, immer laufende Kaskade, ein lieblicher Weg um einen kleinen See herum und viele vorzüglich große, schöne Bäume bilden hier die schönsten Partien.

Als wir des nachmittags hingingen, das Schloß zu sehen, wurden wir am Eingange des zweiten Hofes von einer alten Frau empfangen, die wir anfangs für die Haushälterin hielten, welche uns, wie das in England gebräuchlich ist, die Zimmer zeigen sollte. Sie machte, wie alle Engländerinnen der unteren Klasse, einen kleinen wunderlichen Knicks bei jedem Worte, das wir zu ihr sprachen, und führte uns mit großer Redseligkeit bis an das Schloß. Hier nahm sie wieder mit unzähligen Knicksen Abschied und belehrte uns, ihr Amt wäre, die hohen Herrschaften (the Quality nannte sie es) mit gebührendem Respekt zu empfangen und dahin zu sehen, daß sie, wie es sich gehöre, über den Hof begleitet würden. Wir gaben ihr lachen ein paar Schilling und das Zeugnis, daß sie ihrem Amte trefflich vorstehe, und so schieden wir mit wechselseitiger Zufriedenheit voneinander.

Das Schloß ist ein durch seine Größe imponierendes Gebäude; übrigens schwer, bunt, kraus, mit einer Unzahl von Säulen, Vasen, Treppen, Geländern und Türmen verziert oder verunziert.

Die große Halle, in welche man zuerst im Schlosse tritt, ist sehr hoch, sehr groß und, wie die in Stowe, ebenfalls von oben erleuchtet. Sie hat einen schön gemalten Plafond, den marmorne Säulen unterstützen, schöne, zum Teil antike Statuen stehen ringsumher. Die übrigen Zimmer sind von altmodischer Pracht, alles solid und köstlich, wie man es an diesem Orte erwarten muß. Französische Hautelisse-Tapeten schmücken mehrere Säle, alle stellen des großen Herzogs Siege vor, sind aber leider sehr verblichen.

Die Gemäldesammlung ist sehr groß; eine Magdalena von Tizian und eine heilige Familie von Leonardo da Vinci, zwei Marattis, Bettelbuben vorstellend, einige Porträts von van Dyck sind uns bei dem schnellen Durchfliegen noch einigermaßen im Gedächtnisse geblieben; Raffaele zeigte man uns wenigstens ein halb Dutzend, von denen dieser große Meister selbst wahrscheinlich nie einen sah. Treffliche Niederländer sind hier, verschiedene Gemälde von Rubens, Bauernstuben voll Leben und Wahrheit von Ostade, Steen und anderen. Gewaltsam mußten wir uns von diesen, in engen Banden gehaltenen Schätzen wegwenden. Ein großes Gemälde von Sir Joshua Reynolds, den jetzigen Herzog und seine Familie vorstellend, hängt auch hier; aber die Nachbarschaft sowohl als das Kostüm tut ihm Schaden.

Noch ein großer, hoher, von oben erleuchteter Saal, von la Guerre mit vieler Wahrheit gemalt, dünkt uns des Erwähnens wert. Der Plafond stellt den Herzog vor, wie Zeit und Friede ihn in seinem Triumphwagen aufhalten. Die Wände sind wie eine offene Halle gemalt; rundum läuft ein Geländer, hinter welchem alle europäischen Nationen mit charakteristischer Physiognomie und Kleidung in verschiedenen Stellungen stehen. Die Figuren, etwas über Lebensgröße, übrigens von täuschender Wahrheit, ragen halb über das Geländer vor.

Die Bibliothek, ein sehr langes schmales Zimmer, soll an siebzigtausend Bände enthalten. Am Ende derselben steht die marmorne Statue der Königin Anna in völliger Staatstracht; mit dem Königsmantel, dem langen, über einen oben schmalen, unten breiten Reifrock gespannten Kleide, dem hohen Halskragen und der Krone auf dem Haupte, sieht sie wie eine große Weihnachtspuppe aus; Spitzen und Stickereien aber sind mit bewundernswürdigem Fleiße in den harten Stein gearbeitet. Auch in der Bibliothek hängen viele Porträts; der große Herzog und seine Sarah sind hier abgebildet; sie hält die herzogliche Krone recht fest und schaut keck und übermütig in die Welt hinein.

In der Schloßkapelle zeigte man uns das große Grabmal, welches Lady Sarah sich, ihrem Gemahl und ihren zwei Kindern noch bei Lebzeiten setzen ließ. Die Familie ist in Lebensgröße darauf zu sehen, nebst einem ansehnlichen Gefolge von Tugenden und Genien. Es ward in London gefertigt und sehr teuer bezahlt; das ist alles, was wir davon zu sagen wissen; weder der Gedanke noch die Ausführung zog uns an.

Des flüchtigen Sehens überdrüssig, ermüdet von dem Stehen und Gehen in den vielen großen Zimmern, eilten wir in unseren Gasthof zurück und entsagten einer Sammlung von altem echten japanischen und chinesischen Porzellan, die man uns als etwas sehr Merkwürdiges zu zeigen sich erbot.

Birmingham und Soho

Wir reisten jetzt auf Birminghamheute einer der größten Industriestädte der Welt mit über 1 Million Einwohnern, hatte zur Zeit Johannas etwa 75 000 zu. Die Gegend verschönte sich mit jeder Meile, Berge wechselten mit lachenden Tälern. Wir mußten zuweilen die Räder einhemmen, weil der Weg zu steil bergab führte. Die Aussichten von der Höhe sind sehr reizend. In Birmingham selbst erklommen wir noch einen steilen Berg, der uns lebhaft an den Hradschin in Prag erinnerte, ehe wir zu dem großen eleganten Gasthofe gelangten. Dieser heißt noch immer »Zur Henne mit den Küchlein«, obgleich der Wirt in unseren, immer vornehmer werdenden Zeiten sich alle Mühe gibt, ihn zu Lloyd's Hotel umzustempeln.

Birmingham ist durch seine Fabriken weit und breit berühmt, ja man könnte fast behaupten, es gäbe kein Dorf im kultivierten Europa, vielleicht kein Haus, in welchem nicht irgendein Produkt der Industrie dieser Stadt zu finden wäre, sei es auch nur ein Knopf, eine Nadel oder ein Bleistift. Die Stadt selbst ist schon durch ihre bergige Lage nicht schön; der Rauch der vielen Fabriken und Werkstätten, die hier ihr Wesen treiben, gibt ihr ein düsteres, schmutziges Ansehen. Überall hört man hämmern und pochen, alles läuft am Tage geschäftig hin und wider, niemand hat Zeit, solange die Sonne leuchtet. Dafür hallen des abends die Straßen vom Geschrei und von Gesängen derer wider, die sich den Tag über unter der schweren Last des Lebens abarbeiteten. In den wenigen Stunden, die sie dem alle Sinne lähmenden Schlafe des ermüdeten Arbeiters abstehlen können, suchen sie in Tavernen und Spielhäusern die Freude zu haschen, an die sie den Tag über nicht denken konnten.

Den Tag nach unserer Ankunft eilten wir, den merkwürdigsten Punkt dieser Gegend, Soho, das zwei Meilen von Birmingham gelegene Etablissement des Herrn BoultonMatthew (1728-1809) gründete mit James Watt die erst Dampfmaschinenfabrik der Welt; die Fabrikanlagen in Soho gründete er 1762 zu besuchen.

Wir finden in ganz England, vielleicht in ganz Europa keinen glänzenderen Beweis von dem, was Industrie, Fleiß und anhaltendes Streben nach einem Ziele vermögen, als diesen kleinen freundlichen Fleck. Herzlich freuten wir uns, seinen Schöpfer, den achtzigjährigen Boulton, noch in völliger Geisteslebendigkeit kennen zu lernen, obgleich sein Körper der Krankheit, dem Alter und der unermüdeten Arbeit längst unterlag. Wir fanden ihn durch Steinschmerzen völlig gelähmt; im Hause ließ er sich durch zwei rüstige Bediente herumtragen; im Freien fuhr er sich selbst in einem der kleinen bequemen Fuhrwerke, die in England zum Troste der dort so häufigen Lahmen und Gebrechlichen erfunden wurden. Alles dies hinderte ihn nicht, uns, die wir ihm durch einen seiner Freunde empfohlen waren, überall selbst hinzubegleiten. Sein dunkles Auge blitzte von Jugendfeuer, als er uns erzählte, wie er alle die vielen sich ihm entgegenstellenden Schwierigkeiten mutig bekämpfte und glücklich überwand. Freundlich erklärte und zeigte er uns alles. Und als wir in die dortigen Anlagen traten, die er mit Hilfe einer Dampfmaschine dem unfruchtbaren Sumpfe abgewann, sprangen uns seine blühenden Enkel entgegen, spannten sich vor sein Wägelchen und fuhren den glücklichen Greis wie im Triumph davon.

Achthundert Menschen finden in Soho täglich Arbeit und Brot. Hier werden englische Kupfermünzen und ausländische, für die ostindische Compagnie, für Amerika und manche fremde Höfe geprägt. In Deutschland sagt das Gerücht: Boulton lasse auch die vielen falschen Münzen fabrizieren, die von England aus Deutschland überschwemmen. Dem ist aber nicht so, er hat an dem gesetzlichen Wege mehr Arbeit, als er bestreiten kann, und ist zu rechtlich, zu reich, um sich einem so gefährlichen Handwerke zu unterziehen. Vor diesem war das Nachprägen fremder Münzen, wenn nicht erlaubt, doch in England toleriert; sie wurden wie Rechenpfennige angesehen und in großer Menge, meistens auf Bestellung spekulativer Köpfe in Deutschland und anderen Ländern, ziemlich öffentlich fabriziert. Seitdem aber der Galgen so gut auf diesen Zweig der Industrie gesetzt ist wie auf das Nachmachen englischer Banknoten und Münzen, wird dieses Geschäft nur ganz heimlich betrieben. Es soll indessen in Birmingham an dergleichen Fabriken, welchen oft eine Knopffabrik zum Aushängeschild dient, nicht fehlen.

Außer der Münze enthält Soho noch eine große Fabrik von plattierten Waren aller Art, eine Glasfabrik und eine von Dampfmaschinen.

Die erstaunenswürdigste Erfindung der letzteren, bei dem Reichtum an Steinkohlen für England von unermeßlichem Wert, hat Boulton erst auf den Gipfel von Vollkommenheit gebracht, auf welchem sie jetzt steht. Er verfertigt Dampfmaschinen für ganz Europa und Amerika, läßt aber diese Fabrik niemanden sehen, weil sich oft Leute bei ihm einschlichen, die seine Gastfreundschaft mißbrauchten und mühsam errungenen Vorteile ihm abzusehen strebten, während er sie freundlich bei sich aufnahm. Er sagte uns, wir würden es unartig gefunden haben, daß er in allen Gasthöfen, viele Meilen um Birmingham her, ein Avertissement anschlagen ließ, in welchem er bekanntmachte: daß ohne besondere Empfehlung an ihn keinem Fremden sein Etablissement gezeigt werden. Durch den ewigen Zulauf von Fremden, der ihm oder doch einem seiner Associés alle Zeit raubte und unter seinen Arbeitern ewige Störungen veranlaßte, wurde er zu diesem Schritte gezwungen, den er höchst ungern tat. »Nichts ist unerträglicher«, sagte er, »als ein Haus zu besitzen, das eine Sehenswürdigkeit ist (a rare show) oder gar selbst eine zu sein; beides war mein Fall, denn jeder, der Soho gesehen hatte, glaubte schon aus Höflichkeit dessen Stifter in Augenschein nehmen zu müssen, und so wußte ich mir am Ende nicht anders zu helfen, als auf diese unfreundliche Weise.«

Das Wohnhaus in Soho ist ein hübsches, bequemes und großes Gebäude, überall Sauberkeit und Eleganz, nirgends Pracht, nirgends ein Streben, mit den prächtigen Villen der Großen des Landes zu wetteifern. Es liegt sehr angenehm: aus den vorderen Zimmern übersieht man eine sehr schöne, reiche Gegend, im Vordergrunde die Stadt; fruchtbare angebaute Hügel steigen über ihr empor. Dicht vor dem Hause liegt ein hübscher Garten voll Blumen und fremder Pflanzen und hinter dem Hause eine reizende Promenade, längs den Ufern eines kleinen Sees, welchen Boulton schuf, indem er vermittelst der Dampfmaschine die alten Sümpfe austrocknete und das Wasser hier sammelte. In einer Ecke desselben ergießt sich ein Wasserfall von einem mit schönen Blumen und Bäumen gezierten Hügel. Alles dieses war vor ungefähr zwanzig Jahren eine öde, sumpfige Heide.

Die Fabrik von plattierten Sachen erschien uns besonders interessant. Es ist unmöglich, schönere Formen und bessere Politur zu sehen, als dem Silber hier gegeben wird. Man kann das Plattierte von dem ganz Silbernen durch's Auge allein nicht unterscheiden, und es gibt auch, auf die Weise wie hier gearbeitet, dem Silber an Dauer wenig nach.

Auf ein Stück Kupfer, etwa eine halbe Elle lang und eine Achtelelle im Durchmesser, werden Längen aus zwei Platten von ganz reinem Silber, etwa den zehnten Teil so dick als Kupfer ist, oben und unten aufgeschmolzen. Dann wird es durch Walzen, von einer Dampfmaschine getrieben, zu Blech ausgedehnt, so dünne man es bedarf. Das Silber bleibt dabei immer mit dem Kupfer im nämlichen Verhältnisse. Dieses Blech braucht man zur Verfertigung der Leuchter, Kannen und allen Silbergerätes, welches eine Fläche bietet; zu den Henkeln, Füßen und dergleichen nimmt man eine runde, mit Silber belegte Stange Kupfer, die auf die nämliche Weise, wie wir oben beschrieben, behandelt wird. Die äußeren Ecken werden den Gefäßen von massivem Silber angesetzt; auch sind die meisten Verzierungen daran ganz Silber.

Die Glasschleiferei ist ebenfalls merkwürdig. In einem sehr langen Zimmer sieht man eine Menge Schleifsteine unaufhörlich schnell sich drehen. Eine lange hölzerne, am Boden horizontal liegende Walze, welche durch eine unter dem Zimmer sich befindende Dampfmaschine getrieben wird, setzt sie alle in Bewegung. Mit der größten anscheinenden Leichtigkeit schleifen die Arbeiter die schönsten Muster auf die Gläser mit einer bewundernswürdigen Genauigkeit, ohne alle Vorzeichnung, indem sie dieselben an die wie von Zauberei getriebenen Scheiben halten. Von hier aus kommen größtenteils die schönen Girandolen, Lüster, Trinkgläser und Prachtvasen, die glänzendste Zierde großer Tafeln, welche wir oft in den, bei nächtlicher Beleuchtung einem Feenschloß ähnlichen, flimmernden Glasläden Londons nicht genug bewundern konnten. Die letzte Politur wird dem Glase vermittelst einer hölzernen Scheibe, statt des Schleifsteins, gegeben.

Die Münze arbeitete gerade diesen Tag nicht. Herr Boulton ließ aber einige kleine Geldstücke prägen, um uns den Mechanismus zu zeigen. Acht Prägstöcke werden hier ebenfalls von einer Dampfmaschine getrieben; jeder derselben prägt in einer Minute dreißig bis einhundertzwanzig Stücke aus, je nachdem sie größer oder kleiner sind, und zwar auf beiden Seiten zugleich. Bei jedem Stempel ist eine höchst sinnreich erfundene Maschine angebracht, die mit Blitzesschnelle das eben geprägte Stück fort und ein noch ungeprägtes an dessen Stelle einschiebt. Alles dieses scheint wie von unsichtbaren Geistern getrieben. Das Gepräge der Münzen ist durchgängig schön. Sie sind alle vollkommen rund, von gleicher Größe und möglichst gleichem Werte.

In einem anderen Zimmer werden die Münzen geschnitten, ehe sie geprägt werden; noch in einem anderen nach dem Prägen gereinigt, indem sie in langen leinenen Säcken hin und her geschwungen werden. Auch diese Operation wird durch die Dampfmaschine bewerkstelligt.

Zum Abschiede statteten wir noch der Dampfmaschine selbst einen Besuch ab. Wir sahen in einem unterirdischen Gewölbe eine Pumpe durch den Dampf des darunter in einem verschlossenen, eingemauerten Kessel kochenden Wassers unaufhörlich in Bewegung gesetzt. Diese Pumpe trieb einige große Räder, diese Räder kommunizierten mit den vielen, in den oberen Zimmern befindlichen mannigfaltigen Maschinen und brachten alle die Wunder hervor, die uns oben in Erstaunen gesetzt hatten. Das ist alles, was wir durch's bloße Anschauen von dieser bewundernswerten Erfindung begriffen. Das Wasser muß das ganze Jahr im Kochen erhalten werden, damit die Maschine nie stocke. Herr Boulton versicherte uns, es gehöre weit weniger Feuerung dazu, als man auf den ersten Augenblick glauben möchte.

Burton und Derby

Von Birmingham reisten wir über BurtonBurton-upon-Trent, berühmte Brauereistadt, die ihre Entstehung den braukundigen Mönchen der Burton Abbey im 11. Jahrhundert verdankt. Die Güte dieses Bieres wird auf die Qualität des Wasser zurückgeführt nach Derby. Burton ist ein freundliches Städtchen, weltberühmt durch das Ale, welches nirgends so gut gebraut wird als hier. In Friedenszeiten gehen jährlich große Sendungen davon nach ganz Europa, besonders nach Rußland. Auch nach Amerika ward viel davon verschifft. In England trinkt man es, wenn es einige Jahre gelegen hat, in bürgerlichen Häusern zum Dessert. Auch ist es dann durch die Zeit so stark, daß es sich mit jedem Wein an Geist messen kann und den Biergeschmack ganz verliert.

Derby ist eine ziemlich große, aber nicht schöne Stadt. Sie enthält viele Fabriken, unter anderen eine Seidenspinnerei; am ausgezeichnetsten ist die Porzellanfabrik. An Feinheit des Tons mag das hiesige Porzellan wohl dem Meißner und Sèvres nachstehen; aber in Hinsicht auf Farben, Vergoldung und Schönheit der Form in den verschiedenen Vasen und Geschirren läßt es nichts zu wünschen übrig. Die Figuren von Biskuit bleiben weit hinter den sächsischen zurück, sowohl in der Erfindung als der Ausführung. Auch hier sieht man deutlich, wie der englische Kunstsinn nur das gerade Nützliche und Bequeme hervorzubringen vermag; doch dieses auch in der höchsten Vollkommenheit.

Zum erstenmal in England mußten wir bei unserer Abreise auf Pferde warten, und endlich erschienen um sechs Uhr abends zwei, die des Tages Last reichlich getragen hatten. Wir wollten nach Matlock, einem siebzehn Meilen von Derby im gebirgigen Derbyshire gelegenen Badeorte. Siebzehn Meilen sind in England gewöhnlich in zwei bis drei Stunden abgefahren; daher achteten wir den heftigen Regen nicht, der uns ohnehin in unsere Zimmer eingekerkert hätte, und reisten ab. Die Pferde waren sehr müde: der Postillon konnte sie ungeachtet allen Treibens kaum von der Stelle bringen; langsam schlichen sie fort, Schritt vor Schritt. Uns war, als wären wir auf irgendeiner Poststraße in der Mark. Wir fürchteten, die armen Tiere würden zuletzt aus Ermüdung ganz stille stehen. Der Regen strömte heftiger, und die Nacht brach sehr finster herein, obgleich wir uns in der ersten Hälfte des Junius-Monats befanden. Der Weg war sehr bergig, hohe Felsen türmten sich vor uns auf; wir sahen ihre kolossalen Konturen nur schwach durch die dunkle Nacht. Nah und fern flammten Feuer aus den Ziegelbrennereien ringsumher, feurigen Gespenstern gleich, was uns die Finsternis nur auffallender machte, ohne sie zu erleuchten. Die Pferde scheuten sich einigemal davor. Wir fuhren steile Abhänge hinab und hinauf, tief unten brausende Waldströme ließen uns Abgründe neben dem Wege ahnen. Das Geklapper der vielen Mühlen, das Brausen der vom Wasser getriebenen Räder aller Art in dieser fabrikreichen Gegend, das Sausen der Gewässer ringsumher, der Wind, der Regen, die flammenden Limekilns (Kalköfen), alles vereinte sich, diese Nacht zu einer der schauerlichsten zu machen.

Die Situation war romantisch, das ist nicht zu leugnen; wir freuten uns indessen doch sehr, nach elf Uhr ihr Ende und das Ziel unserer Reise erreicht zu haben. Im alten Bade in Matlock fanden wir allen Komfort, den man nur in einem englischen Gasthofe erwarten kann, und die abenteuerliche, ermüdende Reise machte ihn uns doppelt angenehm.

Badeorte

Es wimmelte in England von Badeorten aller Art. Jeder am Ufer des Meeres gelegene Ort, dessen Strand und andere Umgebungen es erlauben, ist zum Bade eingerichtet. In allen findet man mehr oder weniger, vornehmere oder geringere Gesellschaft, je nachdem die Mode es gewollt hat. Zu diesen Badeplätzen sowohl als zu den im Lande gelegenen mineralischen Quellen flüchtet jeder, der keine eigene Villa besitzt, oder auf keiner eingeladen ist, und doch der Schande entgehen will, im Sommer in London gesehen zu werden.

Bekanntlich ist dann die Stadt (so heißt London vorzugsweise in ganz England) leer, obgleich die Straßen von Menschen wimmeln und der Fremde diese angebliche Öde gar nicht bemerkt. Alle Leute, welche man vom Anfang Julius bis gegen Weihnachten in London sieht, sind sogenannte Niemands (Nobodies) und werden gar nicht gerechnet. Die feinere Welt, die Müßigen, die Reichen, die Glücksritter, alles flüchtet aufs Land oder ins Bad. Die Seebäder sind im ganzen die besuchtesten und luxuriösesten. Die mineralischen Quellen werden öfter von der mittleren Klasse besucht, welche dort mehr ländliche Freuden als rauschende Ergötzlichkeiten sucht. Bath macht hiervon eine Ausnahme: im Sommer besuchen es die wahrhaft Kranken, die Lahmen und Gichtbrüchigen der warmen Quellen wegen. Die eigentliche Saison aber fängt dort erst im Dezember an und währt bis zum Frühjahr. Alle Londoner Freuden sind alsdann wohlfeiler und nach verjüngtem Maßstabe auch in Bath zu finden. Deshalb eilen die dorthin, welche gern groß und vornehm leben möchten und doch nicht reich genug sind, um dieses in London zu können. Viele große Familien bringen einige Winter in Bath zu, um durch diese Ökonomie ihren zerrütteten Finanzen wieder aufzuhelfen.

Nach Bristol hingegen treibt selten die Freude, öfter die Not, so ausgezeichnet schön auch die dortige Gegend ist. Man weiß, wie viele Opfer die Schwindsucht jährlich in England hinwegrafft. Bristols Quelle wird gewöhnlich als der letzte Versuch der Rettung von den englischen Ärzten angeraten. Daß es wirklich oft der letzte sei, bezeigen die vielen Denkmäler auf dem dortigen Gottesacker.

An allen diesen Plätzen ist die Lebensweise sehr verschieden: in den kleinen Bädern, wie in Matlock, lebt man still und ruhig, geselliger zwar, wie es sonst in England unter Unbekannten gebräuchlich ist, aber dennoch weit weniger so als in Deutschland in ähnlichen Verhältnissen.

In den großen, von den Vornehmen besuchtesten Bädern herrscht eine strenge, wunderliche Etikette. Wir werden weiterhin Gelegenheit finden, hiervon ausführlicher zu sprechen. Vorjetzt kommen wir zu Matlock und seinen Umgebungen.

Matlock

Freundlich und dennoch erhaben, einsam und dennoch voll regen Lebens, ist dieses liebliche Tal eines der schönsten Plätzchen Britanniens.

Sei es immer, daß seine Heilquelle wenig wirksam ist, es braucht ihrer nicht, um in dieser himmlischen Gegend neue Lebenskraft zu finden. Auch sahen die fünfzig oder sechzig Badegäste, die wir hier fanden, gar nicht aus, als ob Äskulap sie mit seinem Schlangenstabe hierher gebannt hätte. Sie schienen sich vor dem wilden, unsteten Treiben des Lebens hergeflüchtet zu haben, um einmal ruhig Atem zu schöpfen und dann mit frischem Mute wieder an ihr Werk zu gehen.

Der eigentliche Badeort besteht nur aus drei schönen großen Gasthöfen und zwei Logierhäusern. Das Dorf Matlock liegt etwa anderthalb Meilen davon. Es ist unmöglich, dies reizende Tal durch bloße Beschreibung anschaulich darzustellen: so still, so heimlich liegt es da, durchrauscht von der Derwent, umgeben von hohen, kühnen Felsen, die bald schroff und nackt gen Himmel starren, öfter noch ihre mit den schönsten Bäumen gekrönten Gipfel freundlich erheben.

Wir schifften in einem Nachen auf der Derwent umher, so weit sie befahrbar ist; freilich nur eine kleine Strecke; denn es ist ein wildes Bergwasser, voll Fällen und Strudeln. Die Felswände zogen sich enger zusammen, als wollten sie uns den Weg versperren; die Sträucher am Ufer bildeten Lauben über den Nachen, und drohend schauten die Felsspitzen von oben hinein. Dann traten sie wieder zurück, und wir sahen freundliche Hütten, mit Gärtchen und Wiesenplätzchen untermischt, an ihrer Seite hangen; stattliche Häuser, große Fabrikgebäude, zu ihren Füßen liegen. Kunstlose, wie von der Hand der Natur geschaffene Spaziergänge ziehen sich an beiden Ufern zwischen Wald und Fels dahin, bis zurück zu unserem Gasthofe.

Ihm gegenüber erhebt sich der höchste Fels dieser Gegend. Die Landleute nennen ihn High Tor. Auf einem größtenteils schattigen, nicht sehr beschwerlichen Wege stiegen wir hinauf. Wir erblickten oben von einer Seite das enge Tal in der ganzen Pracht seiner üppigen Vegetation. Mitten hindurch gaukelt der Strom; an dem gegenüberstehenden, waldbewachsenen Fels lehnen die netten Gebäude des Bades und geben ein freundliches Bild des bequemen, geselligen Lebens in dieser Abgeschiedenheit. Von der entgegengesetzten Seite blickten wir in ein zweites Tal. Als ob noch nie ein menschlicher Fuß bis hierher gedrungen wäre, so heimlich in verborgener Stille liegt es da, rings umgeben von grünen Bergen. Schöne Herden weideten ohne Hirten im hohen Grase. Nirgends sahen wir die wilde, einfache Schönheit der Natur glücklicher mit hoher Kultur vereint als hier am Ufer der Derwent. Die Freuden der Badegäste beschränken sich größtenteils auf den Genuß dieser herrlichen Natur; denn ein Bowling green und einige Billard-Tafeln sind alles, was die Kunst zu ihrem Ergötzen ihnen hier darzubieten wagt. Getanzt wird selten und nur auf Veranlassung der Badegäste selbst: denn der Spekulationsgeist der hiesigen Wirte reicht nicht so weit. Dem Wasser erzeigt man die Ehre, es warm zu nennen, wir fanden es kaum lau; es schmeckt recht gut und ist sehr klar. Die Bäder sind so bequem und reinlich eingerichtet, wie man es nur in diesem Lande erwarten kann.

Für den Geologen ist Matlock höchst interessant, die verschiedenen Steinarten, Flußspate, Stalaktiten usw., welche Derbyshire hervorbringt, sind allbekannt. In Matlock findet man sie in zwei eleganten Läden in aller ihrer Mannigfaltigkeit zum Verkaufe und zum Anschauen ausgestellt, zum Teil roh in sehr schönen Exemplaren für den Liebhaber und Sammler, der auch zu Kaminen, Urnen, Vasen, Schreibzeugen und unzähligen anderen Dingen verarbeitet wird. Alle diese Sachen werden zu niedrigen Preisen hier verkauft, sie sind vortrefflich poliert, von schöner Form und sehen ungemein glänzend und elegant aus. Leider ist es wegen ihrer Zerbrechlichkeit schwer, sie weit zu verführen.

Noch ist eine versteinernde Quelle hier merkwürdig. Alles, was man hineinlegt, wird in kurzer Zeit inkrustiert, und wenn es länger liegt, ganz in Stein verwandelt. Der Wächter dieser Quelle zeigte uns eine auf diese Weise verewigte Perücke und einen Haarbesen, die beide in dieser Gestalt gar wunderlich aussahen.

Jenseits der Derwent, dem Dorfe schräg gegenüber, liegt Cromford Mill, die Baumwollspinnerei des Sir Richard Arkwright, die erste, welche er, der eigentliche Erfinder der in ihren Wirkungen ans Wunderbare grenzenden Spinnmaschinen, erbaute. Dieser durch seine mechanische Geschicklichkeit und seinen ausdauernden Mut so merkwürdige Mann war ursprünglich ein Barbier; er hatte bei seinen Unternehmungen Schwierigkeiten zu bekämpfen, denen ein gewöhnlicher Mann unterlegen wäre. Er verdiente, mächtige Freunde zu finden, die ihm hilfreich beistünden, und er fand sie; sein großes Unternehmen gelang, und er selbst lebte lange genug, um im hohen Wohlstande sich dessen zu erfreuen. Noch heute ist diese Fabrik, welche jetzt aus drei Spinnmaschinen besteht, im Besitz der Familie Arkwright, welche die ganz nahe dabei gelegene schöne Villa Wellersley bewohnt. Das von weißen Steinen massiv erbaute Wohnhaus sowohl als die großen Fabrikgebäude am Ufer des Stromes, beschirmt von mächtigen Felsen, erhöhen die Schönheit der Gegend. Noch erfreulicher aber ist der Anblick des Wohlstands, der durch sie ringsumher unter den Einwohnern des Tals verbreitet wird. Wir sahen mit wahrer Freude an einem Sonntagabend die wohlgekleideten Arbeiter mit ihren geputzten Weibern und Mädchen spazieren gehen, umspielt von schönen reinlichen Kindern.

Die englischen Bauernmädchen und jungen Weiber sind durchgängig schöne Gestalten, älter werden sie oft zu dick. In ihrem Putze sehen sie gewissermaßen vornehm und damenhaft aus. Ein feiner Strohhut, mit farbigem Bande geschmückt, auf einem kleinen schneeweißen Häubchen, steht den artigen bescheidenen Gesichtern sehr gut. Dazu große, weiße musselinene Halstücher, ein Rock von durchgestepptem Zeug von eine hellen Farbe, himmelblau oder rosenrot bei den Eleganten, und ein vorn offenen kattunenes langes Kleid, hinten künstlich mit Nadeln aufgesteckt, alles blendend rein bis auf die feinen weißen gewebten Strümpfe. Dies ist ihr Sonntagskostüm, von welchem das der Wochentage nur durch dunklere Farben und schlechteren Stoff abweicht.

Hinter dem Wohnhause von Wellersley strecken sich die dazu gehörigen großen, wohlangelegten Promenaden hoch den Berg hinan. Die mannigfaltigen Ansichten des Tales von oben herab sind wunderschön. Die Gärten enthalten Treibhäuser und eine hübsche Orangerie. Überall sieht man die segensreichen Früchte des Fleißes und der Industrie.

An einem frühen Morgen verließen wir endlich ungern das freundliche Matlock. Lange noch zog sich der Weg durch das Tal am Ufer der bald ruhig hinfließenden, bald über Felsstücke wild daherbrausenden Derwent. Dann wand sich der hohe Berge hinan, deren Gipfel uns eine weite Aussicht auf das fruchtbare, durch unzählige Fabriken und Häuser belebte Land eröffneten. Jetzt führte der Weg abwärts; im Morgenlicht schimmerte uns ein prächtiges Gebäude entgegen. Es war Chatsworthdas Schloß wurde 1687-1706 vom Herzog von Devonshire in italienischem Spätrenaissancestil erbaut, anstelle eines älteren Schlosses, in dem Maria Stuart gefangen gehalten worden war; 1820 wurde der Nordflügel angebaut. Das Zimmer, das Johanna hier beschreibt, ist also nicht das ursprüngliche Zimmer Marias gewesen., seit zweihundert Jahren der Landsitz der edlen Familie von Cavendish, jetzt ihrer Abkömmlinge, der Herzöge von Devonshire.

Das Schloß liegt romantisch in einem weiten tiefen Tale. Hinter demselben erhebt ein hoher Fels den stolzen, waldgekrönten Scheitel. Vor dem Schlosse windet sich silbern die Derwent durch das lachende Grün, eine sehr schöne steinerne Brücke führt hinüber. Wir fuhren durch den Park; neugierig guckten seine Bewohner, die Hirsche und Rehe, von beiden Seiten des Wegs in unsere Postchaise.

Chatsworth
Landsitz des Herzogs von Devonshire

Das in einem edlen Stil erbaute Haus ist von außen eines der größten und prächtigsten in England und seine Front einhundertzweiundachtzig Fuß lang. Die auswärts stark vergoldeten Fensterrahmen, welche wir sonst nirgends in England sahen, flimmerten im Sonnenstrahle und gaben ihm ein wunderbares feenartiges Ansehen. Diese äußere Pracht sticht auffallend ab gegen die große Stille und Einsamkeit der wilden Gegend umher; es ist, als ob ein Zauberer dieses Schloß hier zu eigenen Zwecken entstehen ließ. Auch hatte es einst eine traurige Bestimmung. Maria Stuart beweinte hier sechzehn Jahre lang ihre Freiheit, jedes Glück des Lebens entbehrend. Ihre grausame Feindin sandte sie zuerst nach Chatsworth in enge Gefangenschaft; nach sechzehn Jahren brachte man sie dann nach Fotheringhay in Northumberland, wo sie hingerichtet ward.

Die innere Einrichtung des Schlosses von Chatsworth enthält wenig Merkwürdiges. Seit Jahren von den Eigentümern nicht besucht, zeigt es überall nur Spuren alter, allmählich hinsinkender Pracht; dennoch wird es im ganzen wohl unterhalten, nur nichts Neues hinzugefügt, und so fehlt ihm die Frischheit, die sonst die englischen Landhäuser so angenehm macht. Für uns hatte es dennoch ein hohes Interesse. Im zweiten Stock des ältesten Teils des Schlosses findet man das Zimmer der unglücklichen Maria Stuart, ganz so eingerichtet und möbliert, wie sie es bewohnte. Es ist sehr groß und hoch; alte gewirkte Tapeten, die ihm ein finsteres, schauerliches Ansehen geben, hängen an den Wänden. Ein hoher Betstuhl steht in der Nähe eines Fensters, die Aussicht aus demselben ist nicht erheiternd: man sieht in eine zwar schöne, aber höchst einsame, von Bergen eingeschlossene Gegend. Alle Möbel im Zimmer, die hohen schweren Stühle mit kleinen Treppen davor, die eichenen und nußbaumenen unbeweglichen Tische versetzten uns in jene trüben Tage, welche die schönste und unglücklichste Frau ihrer Zeit hier verlebte. Ihr Bette mit schweren rotsamtenen Gardinen, die mit breiten silbernen Tressen besetzt sind, stand noch da; uns war, als sähen wir noch die Spuren der einsamen Tränen, die sie hier verweinte.

Der Garten von Chatsworth ist sehr alt und in einem der jetzigen Zeit fremden Geschmack angelegt. Man könnte ihn altfranzösisch nennen, wenn er regelmäßiger wäre, doch mag er dies wohl eher gewesen sein; denn es ist sichtbar, daß viele Anlagen, Alleen, Parterres, Berceaus und dergleichen eingegangen sind. Was ihn im ganzen Lande berühmt macht, sind die Wasserkünste, die aber mit denen von St.-Cloud, von Herrenhausen und der Wilhelmshöhe bei Kassel keinen Vergleich aushalten. Nur daß sie die einzigen im Lande sind, macht ihren Ruhm aus. Eine künstliche, zwei- bis dreihundert Fuß hohe Kaskade mit Stufen, der es aber, wie den meisten dieser Art, an hinlänglichem Wasser fehlt, wird zuerst gezeigt. In einem anderen Bassin muß das Wasser die Gestalt einer gläsernen Glocke annehmen. Neben dieser Glocke steht noch ein dem Ansehen nach verdorrter Baum; er ist aus Kupfer künstlich gebildet, das Wasser spritzt schäumend aus seinen Zweigen, er sieht dann ganz artig aus, als ob er mit großen Eiszapfen und Schnee bedeckt wäre, kleine Wasserstrahlen steigen ringsumher aus der Erde empor. Zwei andere Springbrunnen werfen den Wasserstrahl neunzig Fuß hoch gen Himmel und machen eine recht hübsche Wirkung. Die Engländer, welche in den ringsumher liegenden Bädern hausen, wallfahrten fleißig her, staunen das nie zuvor Gesehene an und erheben Chatsworth zu einem Wunder der Welt.

Castleton

Voll von Mariens Schicksale und stolz, daß unser Schiller den Briten den Rang abgewann und ihrem Andenken das schönste Denkmal schuf, verließen wir das traurig schöne Chatsworth. Nur kurze Zeit noch und die zwar einsame, aber dennoch reiche Gegend verschwand.

Ein enges, schauerliches Tal empfing uns: kein Baum, keine Spur von Vegetation, nur nackte und steile Felsen, zwischen denen wir uns ängstlich hindurchwinden mußten, die jeden Augenblick den Weg zu versperren schienen. Zu Anfange sahen wir noch zwischendurch ansehnliche Fabrikgebäude von großem Umfange; auch diese ödeste, schauerlichste Gegend in England, die Bleiminen von Derbyshire. Es waren deren unzählige von allen Seiten zu sehen, zwischendurch die ärmlichsten, aus Feldsteinen aufgetürmten Hütten, vor ihnen langsam wandelnde bleiche Gestalten, Bewohner dieser Öde, von der schrecklichen Arbeit in den Bleiminen entkräftet.

Zu Mittage langten wir in Castleton an, einem so armen, kleinen Städtchen, wie wir noch keines in England sahen. Wir bestellten in dem ärmlich aussehenden Gasthofe unser Mittagessen und eilten nach der Peakshöhle mit einem Führer, der sich gleich beim Aussteigen aus dem Wagen unserer bemächtigt hatte.

Die Peaks Höhle

Diese sehr berühmte Höhle liegt nahe vor der Stadt, der Eingang derselben ist wahrhaft groß und imposant. Eine Reihe meist senkrecht steiler Felsen von wunderbar zackiger Form erhebt die mit Bäumen gekrönten Scheitel. In einem derselben hat die Natur ein schauerliches, zweiundvierzig Fuß hohes und einhundertzwanzig Fuß breites Tor gewölbt, durch welches man in undurchdringliches Dunkel zu blicken wähnt. Langsam fließt ein schwarzes, ziemlich breites Wasser aus der Unterwelt an's Tageslicht hervor. Vor der Wölbung hängen ungeheure, bizarr geformte Tropfsteine; wildes Gesträuch rankt dazwischen, Efeu umwindet sie und flattert in leichten Kränzen darum her. Felsenstücke hängen herab, Untergang drohend dem Haupte dessen, der vorwitzig in die Geheimnisse der Unterwelt dringen will.

Wir traten in die Höhle, die dunkle Nacht war dem allmählich sich daran gewöhnenden Auge zur Dämmerung. Bald unterschieden wir darin eine Menge Weiber und Kinder, emsig spinnend, die ärmlichsten Gestalten, welche die Phantasie nur erdenken kann. Gnomen gleich hocken sie in dieser kalten feuchten Dunkelheit und fristen kümmerlich ihr armes Leben; des nachts schlafen sie in kleinen bretternen Hütten, die sie sich in der Höhle erbauten und deren wir eine ziemliche Anzahl umherstehen sahen. Ungestüm bettelnd umgaben sie uns, sowie sie uns gewahrten; wir waren froh, nach dem Rate der Wirtin in Castleton, eine Menge Kupfergeld eingesteckt zu haben, um uns loszukaufen. Dies ist die unterirdische Stadt, von der mancher Reisende gefabelt hat. Die Wärme der Höhle im Winter, die ein eigentliches Haus entbehrlich macht, der kleine Gewinn, den die neugierigen Fremden ihnen gewähren, besonders aber die Freiheit von Abgaben, welche nur auf der Oberwelt, im Sonnenlichte gefordert werden, bewegen diese Armen, eine so unfreundliche Wohnung zu wählen.

Wie wir uns selbst erst von ihrem Ungestüm losgekauft hatten, kauften wir Lichter. Jeder von uns mußte eins tragen, der Führer trug deren zwei voraus, und so ging es denn weiter in den ganz finsteren Hintergrund der Höhle. Der Führer machte uns auf einige ungeheuer große Tropfsteine aufmerksam, welchen er allerhand Namen gab, ohne daß wir die Ähnlichkeit mit den dadurch bezeichneten Dingen finden konnten. Dann öffnete er eine schmale niedrige Tür, und wir standen in einem großen Gewölbe, von dessen Decke große Felsenstücke, drohender als je, über unsere Häupter herabhingen. Der Schimmer der flackernden Lichter machte sie noch grausenvoller, sie schienen sich zu bewegen.

Jetzt ward das Gewölbe ganz niedrig. Gebückt, mit unsicherem Tritte auf dem schlüpfrigen unebenen Boden, mußten wir uns lange durch eine enge Felsenspalte winden; bald ging es steil in die Höhe, bald ebenso hinunter. Wir stießen von allen Seiten an die vorragenden Felsen; ein einsames Licht brannte hin und wieder und diente nur, das Grabesdunkel noch sichtbarer zu machen; die Luft war schwer, wir möchten sagen zähe, denn ihr Widerstand schien uns fühlbar.

Endlich konnten wir unsere Häupter erheben, wir befanden uns in einem kleinen Gewölbe und bald am Ufer des unterirdischen Stroms, der hier, wie der Styx, kalt und stumm in ewiger Nacht die schwarzen Wellen langsam dahinwälzt. Wir fanden einen mit Stroh angefüllten Kahn, in welchem zwei Personen ausgestreckt nebeneinander liegen konnten. Der Führer stieg ins Wasser, welches ihm fast bis an die Hüfte ging, so schob er den Kahn vor sich hin, in welchem wir auf dem Stroh lagen und kaum zu atmen wagten. Es ging unter Felsen weg, die nur eine Hand breit von unserem Haupte entfernt, alle Augenblicke einzustürzen schien; von beiden Seiten war kein Zoll breit Ufer, um darauf fußen zu können. Nie war uns die Idee eines lebendig Begrabenen anschaulicher als hier in dem sargähnlichen Kahne mit der schwarzen, schweren Felsendecke über uns. Der Führer mußte ganz gebückt waten, ein Stoß an einen der Felsen, der ihn besinnungslos gemacht hätte, und wir waren verloren auf die entsetzlichste Weise. Mit diesen erbaulichen Gedanken beschäftigt, schwammen wir eine ziemliche Zeit, bis wir landen konnten, immer das Licht in der Hand. Endlich stiegen wir aus unserem Sarge. Schwindlig von der Fahrt, mußten wir uns erst eine Weile erholen, ehe wir um uns blicken konnten, und fast wären wir es beim ersten Umherschauen von neuem geworden. In einem ungeheuren Dom, der nach der Aussage des Führers einhundertzwanzig Fuß hoch, zweihundertsiebzig lang und zweihundertzehn breit war, funkelten eine Menge hin und wider zerstreuter Lichter wie Sterne, die nicht leuchten. Hier ist der Tempel des ewigen Schweigens, zu dem noch nie ein Strahl der sonnigen Oberwelt, ein Laut der Freude drang. In dieser unabsehbaren Höhle war uns noch bänglicher als in den engen kleinen; die Entfernung von allem Leben war hier fühlbarer durch den Raum, der uns sichtbar davon trennte.

Mühsam kletterten wir über abgerissene, rauhe Felsstücke und kamen wieder an das Wasser; wir standen still, es war als ob Töne einer sehr fernen Musik zu uns herüberschlüpften. Der Führer stieg abermals ins Wasser und trug einen nach dem anderen eine ziemliche Strecke auf den Schultern hindurch. In einer kleinen runden Höhle, in welcher das Wasser tropfenweise von allen Seiten unaufhörlich niedersinkt, und die deshalb Rogers Regenhaus heißt, fanden wir eben in diesem ewigen Tröpfeln die Ursache jener Töne, die uns zuvor wie Musik aus der Ferne schienen. Der Fußboden war mit tausend wunderlichen Schnörkeln aus Tropfstein bedeckt, und das Gehen darauf höchst beschwerlich, besonders da die ewige Nässe ihn schlüpfrig macht. Die Luft war hier noch unangenehmer kalt und feucht als zuvor.

So gut als es anging, eilten wir weiter, und in einer höheren, gewölbten Abteilung der Höhle harrte unser eine sonderbare Überraschung. Ein Chor von Männern empfing uns mit einem langsamen, eintönigen Gesang. Lichter in den Händen haltend, die sie hin und her schwenkten, standen sie fünfzig Fuß hoch über uns in einer Art von Nische, welche die Natur in einer der Seitenwände geschaffen hatte. Ihr Gesang war rauh, aus wenig Tönen zusammengesetzt, wild und klagend, aber dennoch nicht unangenehm.

Nach diesem wunderlichen Empfange ging es weiter. Ängstlich gebückt schlichen wir unter und über Felsenmassen bis zu einem kleinen Gewölbe, noch grausender und schauerlicher als alle übrigen, und ein schwarzer Abgrund, zu welchem wir schaudernd hinableuchteten, gähnte dicht vor unseren Füßen. Der Führer zeigte uns den steilen, furchtbaren Fußsteig, welcher über schlüpfrige Tropfsteine hinabführt. »Dies ist der Teufelskeller«, sagte er, und indem er plötzlich einen von uns beim Arm ergriff: »Hier bin ich Herr«, sprach er widerlich lachend, »hier kann ich tun, was ich will; ich wollte, ich hätte Napoleon hier!« – Wir können's nicht leugnen, wir erschraken, denn er war nur zu sichtbar Herr, und wir hatten es längst gemerkt, daß er uns für Franzosen hielt. Indessen faßten wir uns bald und antworteten ihm, daß wir ihm die Erfüllung dieses Wunsches gern gönnen wollten, wenn nur Napoleon nicht die Gewohnheit hätte, immer mit starker Begleitung zu kommen; schon unsere Begleiter, die, wie er wohl wisse, draußen geblieben wären, würden ernstlich nachforschen, wenn uns hier ein Unglück widerführe. Dies Argument schien ihm deutlich und machte ihn etwas höflicher. Unser Erschrecken über das wunderliche Benehmen des Führers wäre indessen weit heftiger gewesen, wenn wir damals schon gewußt hätten, was wir später erfuhren, daß vor mehreren Jahren ein Herr und eine Dame in einem einspännigen Whisky ohne andere Begleitung ankamen, gerade vor die Höhle fuhren, das Pferd anbanden, hineingingen und nie wieder gesehen wurden.

Der Führer leuchtete jetzt in den Abgrund vor uns hinab. Die wenigsten Wanderer wagen sich den steilen Pfad hinunter, der einhundertfünfzig Fuß tiefer führt; sie lassen bloß den Führer mit einigen Lichtern hinabgehen und begnügen sich mit dem schauerlichen Anblicke von oben. Wir taten dies auch. Kühne, bogenähnliche Vertiefungen, emporstrebende Säulen, geformt von der Hand der Natur, sahen wir im flimmernden Lichte, das Wasser plätscherte lebendiger im tiefsten Grunde. Der Führer sagte uns, es wäre dort von kristallener Helle. Endlich stieg er wieder herauf, wir traten den Rückweg an, ein ferner Schimmer des Tages, den unser, an die Dunkelheit gewöhntes Auge jetzt in der zweiten Höhle vom Eingang entdeckte, erfreute uns unbeschreiblich.

Zwei Stunden waren wir in der Wohnung der Nacht und des ewigen Schweigens geblieben. Wie wir nun wieder hinaustraten an's erfreuliche Sonnenlicht, wie uns wieder die milde, schmeichelnde Sommerluft warm und lebendig empfing, da war uns, als erwachten wir von einem beängstigenden Traume; alles umher, die ganze Gegend in ihrer wilden Pracht erschien uns in himmlischem Glanze. Es freue sich, riefen wir mit Schiller:

Es freue sich, was da lebet im rosigen Licht!
Dort unten aber ist's fürchterlich
Und der Mensch versuche die Götter nicht.

Wir fuhren weiter nach Buxton, einem Badeorte, wo wir übernachten wollten. Die Aussicht vom Gipfel eines hohen steilen Berges, dicht hinter Castleton, über welchen der Weg führt, ist des Verweilens wert. Man erblickt das fruchtbare, bebaute Tal und von beiden Seiten die wunderbar gestalteten Felsen, die es umschließen.

Einer dieser Berge heißt Win Hill, der andere Lose Hill, von einer Schlacht, die hier in uralten Zeiten gefochten worden sein soll. Der merkwürdigste unter ihnen ist der Mam Tor, auch der Shivering Hill, der schaudernde Berg genannt. Die Sage geht, daß seine Oberfläche sich immer auflöse und wie Sand herabkrümle, ohne daß er dadurch abnehme. Der schaudernde heißt er, weil das Herabrieseln des Sandes von weitem aussieht, als ob er zusammenschaudre. Die Wahrheit ist, daß Regen und Wetter jährlich größere und kleinere Fragmente von Mam Tor ablösen, indem er ungewöhnlich schroff und steil ist, aber auch, daß er, genauen Beobachtungen zufolge, allerdings kleiner dadurch wird. Die Landleute bleiben indes bei ihrem alten Glauben und rechnen ihn zu einem der sieben Wunder des Peaks Gebirge. Über unfruchtbare Felsen, öde Heiden ging es fort bis Buxton, welches wir noch zu guter Tageszeit erreicht.

Buxton

Ebenfalls ein Badeort, aber wie himmelweit verschieden vom zauberisch schönen Matlock! Rund umgeben von kahlen Felsen, liegt es wie in einem Kessel. Wild und traurig ist die ganze Gegend umher, große Schätze verbarg die Natur hier tief im Schoße der Erde, aber dem Wanderer lächelt sie nicht freundlich entgegen.

Eine Meile von Buxton liegt die ebenfalls berühmte Pools Höhle; man versicherte uns, sie wäre nach der von Castleton kaum sehenswert und überdies noch beschwerlicher zu besuchen. So viel bedurfte es nicht einmal, um uns von dem Unternehmen, sie zu sehen, abzuschrecken. Buxton, sonst ein unbedeutendes Dorf, ist durch seine warme Heilquelle, welche die Römer schon gekannt haben sollen, ein ziemlich ansehnlicher Ort geworden. Das Wasser ist lauwarm, schmeckt nicht übel, und wird sowohl zum Trinken als zum Baden gegen Gicht, Skorbut und viele andere Übel gebraucht.

Man lebt hier ziemlich einfach und langweilig. Der Morgen wird mit Promenieren im Crescent, einer im Halbzirkel gebauten Reihe zierlicher Häuser, hingebracht. Letztere enthalten viele hübsche Wohnungen für die Brunnengäste und ein paar elegante Gasthöfe, in welchen sich die zu Bällen und Assembleen bestimmten Säle befinden. Dessen ungeachtet haben sie das Ansehen eines einzigen großen Prachtgebäudes von mehr als dreihundert Fenstern in der Front. Elegante Läden, ein paar Leihbibliotheken, in welchen man nach englischem Badegebrauch von der Promenade ausruht, und einige Kaffeezimmer erfüllten das Erdgeschoß, ringsumher läuft ein oben bedeckter Säulengang für die Spaziergänger, zum Schutze bei dem hier sehr gewöhnlichen Regenwetter. Das Brunnengebäude und die Bäder liegen ganz in der Nähe. Nach der Morgenpromenade wird die übrige Zeit des Tages mit Spazierenfahren und Reiten zugebracht, obgleich die Gegend eben nicht einladend ist.

Die Jagd macht hier für die Herren eine Hauptergötzlichkeit aus. Liebhaber davon können auf eine Koppel Jagdhunde, die dazu gehalten wird, subskribieren. In England fehlt es überhaupt am Wilde, hier aber in dieser öden Wüstenei gibt es noch bisweilen Hasen und Füchse, auch wilde Enten und andere Wasservögel in Menge auf den nahegelegenen Sümpfen des Strömchens Wye. Des Abends ist Ball oder Spiel-Assemblee, und dreimal die Woche Schauspiel in einer zu diesem Behufe ganz artig aufgeputzten Scheune.

Die größte Merkwürdigkeit sind hier die prächtigen, vom Herzog von Devonshire erbaute Pferdeställe; man hält sie für die schönsten und in ihrer Art vollkommensten in Europa, und unseres Wissens mögen sie diesen Ruhm wohl verdienen. Im Zirkel gebaut, umgeben von einer Kolonnade, unter welcher die Pferde, geschützt vor Wind und Regen, den ganzen Tag nach englischer Weise gepflegt, geputzt und gestriegelt werden, umschließen sie eine sehr schöne, bequeme Reitbahn. Ein Teil des Gebäudes enthält Wagen-Remisen, und das Ganze ist von beträchtlicher Größe, so daß es aussieht, als ob die vierbeinigen Brunnengäste hier die Hauptpersonen wären. Ein daran hinfließender Bach dient dazu, diese Prachtställe reinlich zu halten und fast allen üblen Geruch zu verbannen.

Das Interessanteste für uns war eine Fensterscheibe in der Halle, dem ältesten Absteigequartier in Buxton, in welchem Maria Stuart auf ihrer unglücklichen Reise von Schottland verweilte. Sie schrieb mit prophetischem Sinn folgende Zeiten darauf:

»Buxton! whose fame thy baths shall ever tell; which I perhaps shall see no more, farewell!«

Manchester

Frühmorgens verließen wir Buxton und erreichten gegen Mittag diese berühmte, große Fabrikstadt. Dunkel und vom Kohlendampfe eingeräuchert, sieht sie einer ungeheuren Schmiede oder sonst einer Werkstatt ähnlich. Arbeit, Erwerb, Geldbegier scheinen hier die einzige Idee zu sein, überall hört man das Geklapper der Baumwollspinnereien und der Webstühle, auf allen Gesichtern stehen Zahlen, nichts als Zahlen.

An Freude und Vergnügen zu denken, hat das arbeitsame Völkchen hier eben nicht viel Zeit, doch sind einige Anstalten dazu getroffen. Es gibt hier ein Theater, einen Konzert- und einen Assembleesaal, in welchem sich winters die Subskribenten zum Spiel, mitunter zum Tanze versammeln; und damit der liebe Gott doch auch sein Teil bekomme, hat man ihm ganz kürzlich eine neumodische tempelartige Kirche erbaut, die aber ziemlich schwerfällig geraten ist.

Im Ganzen blieb der feine Geist der Geselligkeit Manchester, wie anderen bloß von Fabriken lebenden Städten, ziemlich fremd. Die Männer erholen sich in Tavernen bei der Bouteille von der ermüdenden Arbeit, die Frauen haben ihre Zirkel unter sich. Wie amüsant aber solch eine Gesellschaft von lauter Engländerinnen sein mag, wünschten wir lieber zu erraten, als zu erfahren.

Die Gegend rings um Manchester hat wenig Einladendes. Die öffentliche Promenade in der Stadt, eine Art von botanischem Garten, wäre nicht übel, führte sie nur nicht immer dicht am Kranken- und Irrenhause auf und ab; so aber hört man unaufhörlich das Geschrei und Geplapper der armen Verrückten, sieht sie auch mitunter, wie sie gewaltsam in dem am Irrenhause dahinfließenden Wasser zu ihrer Heilung gebadet werden. Dies ist, wie man wohl denken kann, eben nicht ergötzlich; doch die Einwohner von Manchester scheinen sich daran gewöhnt zu haben und lassen sich durch solche Kleinigkeiten nicht in ihrer Promenade stören.

Wir besuchten eine der größten Baumwollspinnereien. Eine im Souterrain angebrachte Dampfmaschine setzte alle die fast unzähligen, in vielen übereinander getürmten Stockwerken angebrachten Räder und Spindeln in Bewegung. Uns schwindelte in diesen großen Sälen bei dem Anblicke des mechanischen Lebens ohne Ende. In jedem derselben sahen wir einige Weiber beschäftigt, die nur selten reißenden Fäden der unaufhörlich sich drehenden Spindeln wieder anzuknüpfen; Kinder wickelten und haspelten das gesponnene Garn. In einem großen Saale reinigte man die noch ungesponnene Baumwolle; in großen viereckigen, watteähnlichen Stücken lag sie ausgebreitet auf großen Tischen; eine Menge Weiber und Mädchen, in jeder Hand mit einem dünnen Stecken bewaffnet, prügelten lustig darauf los; in einem anderen Saale ward sie durch eine einem ungeheuren Kamme ähnliche Maschine getrieben und glich nun einem äußerst dünnen, aber doch zusammenhängenden Gewebe; noch in einem anderen ward sie zu einem lockeren, fast zwei Finger dicken Faden gesponnen, und so durch viele Säle hindurch, immer feiner, bis zu der Feinheit eines Haares.

Alles wird hier auf die leichteste Weise durch Maschinen bewirkt, deren jede uns ein Wunder der Industrie erschien. So sahen wir zum Zusammendrehen und Einpacken der fertigen Stücke Garn ganz eigene Vorrichtungen. Eine andere, einer Schnellwaage ähnliche Maschine zeigte vermittelst eines Zeigers die Nummer und zugleich den Grad der Feinheit der daran gehängten Garnspule. Alles in der Fabrik, auch das Geringste, geschieht mit bewundernswerter Genauigkeit und Zierlichkeit, dabei mit Blitzesschnelle. Am Ende schien es uns, als wären alle diese Räder hier das eigentlich Lebendige und die darum beschäftigten Menschen die Maschinen.

Betäubt von den gesehenen Wundern verließen wir das Haus und bestiegen den Wagen, der uns zu einem anderen Wunder, dem vom Herzog von Bridgewater angelegten Aquädukt, bringen sollte. Dieser Herzog hat sich um sein Vaterland, besonders um Manchester, unsterblichen Verdienst erworben, sowohl durch Anlegung der Kanäle, die hier den Warentransport so sehr erleichtern, als durch die Verbesserung und Bearbeitung der benachbarten Kohlenminen, die denn doch die Seele des hier waltenden mechanischen Lebens sind. Der Aquädukt, zu welchem wir jetzt fuhren, ist des Herzogs höchster Triumph und erschien uns ein Werk, würdig der Zeiten der alten Römer.

Der Anblick war in der Tat feenhaft. Wie in der Luft sahen wir ein Kohleschiff mit vollen Segeln hinschweben, während ein anderes in entgegengesetzter Richtung darunter hinfuhr. Dies seltene Schauspiel traf durch den glücklichsten Zufall von der Welt grade mit dem Moment unserer Ankunft bei dem Kanale zusammen. Nachdem die Wirkung des ersten Erstaunens vorüber war, besahen wir uns die Sache näher. Ein schiffbarer Fluß strömt zwischen hohen Ufern dahin; ein Kanal führt auf dem höheren Lande in einer ihn gerade durchkreuzenden Richtung. Über den Fluß ist eine auf drei ungeheuren Bogen ruhende schnurgerade Brücke (anders wissen wir es nicht zu nennen) gebaut. Diese, Gott weiß wie? wasserdicht gemacht, empfängt den Kanal in einem Bette, welches tief genug ist, um nicht bloß Kähne, sondern auch Schiffe von ziemlicher Größe zu tragen. Zu beiden Seiten des Kanals ist noch ein breiter Fußsteig gelassen. Wenn man oben wandelt und nicht gerade hinunter blickt, so ahnt man nicht das Dasein der Brücke, sondern glaubt noch immer auf festem Lande zu sein.

Jetzt ging es zu den nicht gar weit entfernten, sehr beträchtlichen Kohlenminen. Die wilden, in den Bergwerken sich ansammelnden Wasser, die sonst dem Bergmann soviel Not machen, wurden auf Angabe des Herzogs in einem, Meilen weit in das Innere der Erde sich erstreckenden, für ziemlich große Kähne schiffbaren Kanal gesammelt. Tief und weit unter der Oberfläche führt er in verschiedenen Richtungen hin, an einigen Stellen breit genug für zwei einander begegnende Kanäle. Über ihm wölbt sich die nicht gar hohe, teils gemauerte, teils in den Felsen gehauene Decke. So wie er an's Licht des Tags kommt, ist er mit anderen das Land durchkreuzenden Kanälen in Verbindung.

Der Eingang zu diesem Reiche der Unterwelt ist imposant: ein großes Tor, in einen senkrecht steilen, majestätisch hohen Felsen eingehauen. Wir bestiegen einen langen schmalen Kahn, der sonst zum Kohlentransporte dient; mit Brettern und Kissen waren ziemlich bequeme Sitze für uns darin bereitet, am Rande und im Boote selbst kleine Leuchter mit brennenden Lichtern angebracht; so schifften wir hinab auf der schwarzen, stillen Flut. Unser Führer war über die Maßen redselig und wir merkten bald, daß er sich ein wenig zu sehr gegen die kalte unterirdische Luft versehen hatte; doch war hier an keine Gefahr zu denken. Immerfort perorierend bugsierte er uns langsam weiter, indem er sich von Zeit zu Zeit gegen die Wände des Gewölbes stemmte. Nach einer Viertelstunde verschwand jeder Schein des goldenen Tageslichts, kalt, düster, unheimlich war es um uns her.

An der ersten Mine kletterten wir aus dem Kahne. Eine Menge gewölbter Gänge in verschiedenen Richtungen durchkreuzten sich hier, alle so niedrig, daß man nur mit Mühe ganz gebückt durchkriechen kann. Die Kohlen liegen ganz frei da und wurden von halbnackten, bald knienden, bald auf dem Rücken liegenden Männern mit einer Bergmannshaue losgebrochen. Die Arbeit schien uns höchst mühsam und beschwerlich, auch ist sie nicht ohne Gefahr, und viele Menschen verlieren hier ihr Leben. Giftige Dämpfe entstehen plötzlich und ersticken den Arbeiter, oder entzünden sich an seinem Grubenlichte und verbrennen ihn, wenn er sich nicht mit dem Gesichte platt auf die Erde wirft, sobald er gewahr wird, daß die Flamme seines Lichts blau brennt. Der nächste Augenblick ist gewöhnlich schon zu spät.

Nachdem jedes von uns ein Stück Kohle heruntergeschlagen hatte, was wir zum Wahrzeichen mitnehmen mußten, waren wir nicht ferner begierig, tiefer ins Innere der Erde zu dringen. Wir eilten zurück in unser illuminiertes Boot, zu unserem noch besser illuminierten Führer und erblickten bald darauf wieder das schöne Licht der Sonne.

Auf dem Rückwege nach Manchester hielten wir uns noch in einer ganz allein liegenden Bleistiftfabrik auf. Den Eignern schien unser Besuch nicht viel Freude zu machen; doch ließ man uns, auf die Fürsprache unseres Begleiters von Manchester, die ganze Verfahrensweise dabei sehen. Ein Mann hobelte die kleinen, etwa eine halbe Elle langen und breiten Brettchen von Zedernholz ganz glatt; ein anderer schnitt sie in Streifen zu viereckigen Bleistiften und machte mit einem Instrument die Spalte, welche das Blei aufnehmen sollte; ein dritter setzte das Blei hinein. Es waren etwa vier Zoll lange und halb so breite Stücke, gerade so dick, daß sie in die Spalte paßten. Vorher wurden sie in eine schwärzliche Flüssigkeit getaucht und, wenn sie in die Spalte gefügt waren, mit einem sehr scharfen Messer dicht am Holze glatt abgeschnitten. Ein vierter Arbeiter leimte kleine, dazu abgepaßte Späne hinein, die das Blei bedeckten. Zuletzt ward der bis jetzt viereckige Bleistift auf einer Maschine rund gemacht. Das Ganze ging blitzschnell und war gar leicht und artig anzusehen.

Leeds

Den folgenden Morgen setzten wir unsere Reise fort nach Leeds in Yorkshire. Traurig war die erste Hälfte des Weges, wieder mußten wir steile, himmelhohe Felsen erklimmen. Wie sehr irrt der Bewohner des festen Landes, der sich gewöhnlich ganz England als ein schönes, fruchtbares, einem Garten ähnliches Land denkt. Öde, unangebaut, ohne Spur freudiger Vegetation war die Gegend umher; hier müssen, wie auf den westfälischen Steppen, durch die wir früher gekommen, die Jahreszeiten ebenso unmerkbar für die Bewohner hinschwinden: denn keine bringt ihnen Gaben, womit sie glücklichere Erdstriche erfreuen. Kein Baum, kein Kornfeld, keine ländlichen Gärten, aber überall Blei- und Kohlenminen, Steinbrüche, Schmelzöfen, Ziegelfabriken, unterbrochen von großen, einzeln liegenden Baumwollspinnereien und anderen Manufakturgebäuden.

Die Luft war schwarz und dick vom Kohlendampfe; überall sahen wir den Armen arbeiten, um den Reichen noch reicher zu machen, während jener selbst nur kümmerlich sein armes Leben dabei fristet. Ein Gemälde menschlichen Fleißes, doch nicht von der erfreulichen Seite. Wie erheiternd ist doch der Anblick des rüstigen Landmanns, der im Schweiße seines Angesichts der Erde sein Brot abgewinnt, indem er sie schmückt! Wie traurig sieht dagegen der bleiche, schmutzige Bewohner der Minen aus, der wie ein Maulwurf in ihr Inneres sich hinein wühlen muß, um nur wenige Jahre elend zu leben! Ein beängstigendes Gefühl des Mitleids drängte sich uns unwillkürlich auf bei diesem Schauspiele, das wir bis jetzt nur zu oft und zu lange gehabt hatten.

Bei Wakefield war die Gegend freundlicher und ländlicher; wir dachten des guten Vikars, der uns allen aus Goldsmiths gemütlicher Dichtung bekannt ist, aber vergebens suchten wir hier sein Dörfchen, sein wirtliches Dach. Wakefield ist ein Städtchen voll Fabriken.

Gegen Abend erreichten wir Leeds, eine ziemlich große Stadt, welche hauptsächlich aus Tuchmanufakturen besteht. Unser Eintritt war von einer höchst traurigen, herzzerreißenden Szene begleitet. Wir bemerkten mit Erstaunen, daß der Wegegeldeinnehmer am Schlagbaum, dicht vor der Stadt, heftig weinte; neben ihm stand seine Frau mit der Gebärde trostloser Verzweiflung; zwei ganz kleine Mädchen blickten stumm und verwundert auf Vater und Mutter. »Gute Leute, was fehlt euch?« fragten wir mitleidig. »Unser einziger Sohn ist eben ertrunken«, antwortete der Mann mit halb erstickter Stimme. Nun machte das verzweifelnde Mutterherz sich Luft, mit Händeringen rief sie: »Ach, er war der schönste Knabe im Ort, vierzehn Jahre alt, immer gehorsam und fleißig; heute um vier Uhr kam er mit gutem Zeugnis fröhlich aus der Schule, und nun –.« Wir fuhren mit schwerem Herzen und nassen Augen weiter; denn wer von uns konnte es wagen, hier trösten zu wollen?

Wunderbar ist's, daß in England nicht unendlich viel Kinder verunglücken; nirgends scheint der alte fromme Glaube, daß jedes seinen eigenen Engel habe, der es beschützt, einheimischer als hier; denn nirgends werden sie mehr ohne sichtbare Aufsicht sich selbst überlassen. In den Städten und Dörfern, auf den volkreichsten Straßen kriechen kleine, kaum zweijährige Säuglinge in den Fahrwegen umher, größere Kinder laufen ohne Furcht im Gewühle zwischen Rädern und Pferden durch, und der Reisende sitzt ängstlich im pfeilschnell rollenden Wagen und zürnt über die unachtsamen Mütter.

Die Tuchfabrikanten machen den größten Teil der Einwohner von Leeds aus; sie haben hier eine eigene Halle, in welcher jedem sein bestimmter, mit seinem Namen bezeichnete Platz angewiesen ist, auf welchem er an Markttagen seine Waren zur Schau legt und feil hält. Diese Halle, ein großes, ganz bedecktes Gebäude, schließt einen geräumigen Hof von allen vier Seiten ein und ist einer Börse nicht unähnlich.

Man macht sehr hübsche Teppiche in Leeds, sie werden auf gewöhnlichen Webstühlen gearbeitet. Es war lustig zu sehen, wie schnell die schönen Blumen und Muster in reicher Farbenpracht vor unseren Augen entstanden. Bei den breiten Fußdecken für die Zimmer arbeiten immer zwei Personen an einem Webstuhle; bei den schmalen zu Treppen und Vorplätzen nur einer.

Studley Park. Fountain's Abbey. Hackfall

Ripon, ein freundliches, reinliches Landstädtchen, liegt in einer zwar bergigen, aber angenehmen fruchtbaren Gegend. Es ist ein Borough und hat also das Recht, bei jeder Parlamentswahl ein Mitglied zu wählen und nach London zu schicken. Nun gehören alle Häuser in Ripon einer alten achtzigjährigen Dame, die unermeßlich reich, auch die Besitzerin von Studley Park, Hackfall und mehrerer Güter im fruchtbaren Yorkshire ist. Sie allein, als die einzige Grundbesitzerin in Ripon, wählt also dies Mitglied, und das Gewicht, welches sie hierdurch in der Nachbarschaft, ja im ganzen Königreich erhält, ist fast nicht zu berechnen. Nach ihrem, wahrscheinlich jetzt schon erfolgten Tode erbt eine Miß Lawrence alle ihre Reichtümer und Rechte. Diese Dame, obgleich auch schon längst über die Jugendjahre hinaus, wird, wie man leicht denken kann, von Anbetern und Freiern umlagert, wie weiland Penelope, sie aber widersteht allen und erklärt laut: sie würde jetzt keinen heiraten, weil niemand sich um sie bewarb, ehe sie die reiche Erbin war, welche sie erst kürzlich durch den unerwarteten Tod ihres Bruders wurde. Miß Lawrence ward uns übrigens als sehr gut und auch im Äußern nicht unliebenswürdig geschildert.

Wir fuhren nach dem nicht weit entlegenen Studley Park: das Haus enthält nichts besonders Sehenswertes, auch die Außenseite desselben zeichnet sich auf keine Weise aus. Die sehr weitläufigen Spaziergänge gehören aber zu den schönsten in England.

Der Park hat einen, ihn von den gewöhnlichen Parks unterscheidenden ernsteren Charakter. Freie sonnige Partien, grüne Rasenplätze trifft man weniger, aber herrliche Schattengänge, unter dem Schutze himmelhoher Buchen und Eichen, am Abhange der bewachsenen Felsen, auf lachenden Höhen und in duftigen Tälern. Mit unbeschreiblichem Vergnügen wandelten wir hier und ahnten nicht, daß die Krone des Ganzen uns noch erst wunderbar überraschen sollte. Unser Führer, ein alter vernünftiger, eisgrauer Gärtner, seit mehr als vierzig Jahren hier in Dienst, öffnete plötzlich eine kleine, unscheinbare Gartentür, und wir erblickten in einem lieblichen grünen Tale die schönsten gotischen Ruinen, die wir je sahen.

Vom Morgenstrahl gerötet lagen sie da in stiller, feierlicher Pracht. Es waren die Überbleibsel von Fountains Abbey, einem im zwölften Jahrhundert erbauten Kloster, nun schon seit zweihundertfünfzig Jahren in Trümmern. Diese zeugen vom ehemaligen ungeheuren Umfange. Das Dach fehlt gänzlich, die Seitenwände größtenteils auch; aber noch stehen, wie trauernde Geister auf dem Grabe der Vergangenheit, viele, reich mit Skulptur gezierte Säulen, die weiland das Schiff der Kirche ausmachten; feste Gewölbe, hohe Bogenfenster trotzen noch der Zerstörung, alles bezeichnet ehemalige hohe geistliche Pracht. Einige alte steinerne Särge stehen umher, gewaltsam ans Licht der Sonne gezogen. Deutlich zu unterscheiden ist noch die Stelle, wo sonst der Hochaltar war, so auch die Kreuzgänge, das Refektorium, der Versammlungssaal. Viele unterirdische Gänge und Gewölbe sind fast noch unversehrt; auch erkennt man eine Küche, und an dem die Wand schwärzenden Rauche die Stelle, wo sonst der Herd stand.

Fountains Abbey ist ein großes Grab vergangener Zeiten, dennoch drängt sich überall das frische Leben der ewig jungen Natur üppig hervor. Efeu umschlingt die verwitternden Pfeiler und kleidet sie in die Farbe der Hoffnung, junge Blumen und Sträuche nicken aus den hohen Bogenfenstern und von den Kapitellen der Säulen. In der Kirche wandelt man unter dem Schatten bejahrter Bäume. Überall neues Entstehen mitten unter den Trümmern der Zerstörung, überall die Lehre, Menschenwerk ist vergänglich, wie Menschenleben, aber der Geist der schaffenden Natur waltet fort, kennt weder Vernichtung noch Grenzen.

Welche Verzierungen für einen Park sind diese Ruinen, wie sinkt alles so kleinlich dagegen zusammen, was selbst große Fürsten auf ihren Landsitzen unternehmen, um nur etwas ähnliches zu erkünsteln! Der vorige Besitzer von Studley Park erkaufte sie freilich für eine große Summe, aber er gab seinem Besitztum dadurch einen hohen, einzigen Wert und sicherte zugleich diese heiligen Überreste zwar nicht gegen den langsam zerstörenden Zahn der Zeit, aber doch gegen vernichtenden Mutwillen, der leider überall dem Schönen droht.

Von Studley Park ging es nach Hackfall. Alle Parks, die wir bis jetzt sahen, erschienen uns als freundliche Punkte unserer Reise, an die wir noch nach Jahren gern zurückdenken werden; hier aber fühlten wir das Trostlose des Geschicks des Reisenden, nur flüchtig am Schönen vorüberstreifen zu können und es nur im Bilde davonzutragen. Hier wünschten wir Hütten zu bauen. Wie schön muß sich's in diesem heimlich verborgenen Tale wohnen! Grünend, blühend liegt es zwischen malerisch geformten und bewachsenen Felsen. Wege schlängeln sich bald in schwindelnder Höhe, bald tiefer in lieblichen Schatten an den Bergen hin; ganz unten braust und blinkt und wogt ein spiegelheller Fluß, von allen Felsen rauschen und gaukeln Bäche zu ihm hinab, bald sprudelnd und schäumend, bald wie im leichten Tanz. Endlich gelangt man hinauf zur höchsten Höhe. Ein Pavillon ziert sie. Von dort aus blickt man weit ins offene fruchtbare Land. Da liegt die Welt vor uns und ihr unruhiges Treiben, und zu unseren Füßen das Tal mit seinem stillen Frieden. Zögernd, wider Willen, verließen wir abends diesen lieblichen Ort, über Berg und Tal rollten wir hin durch den schönen, fruchtbaren Teil von Yorkshire, bis Catterick Bridge, einem großen, ganz isoliert liegenden Gasthofe.

Englische Gasthöfe

Die Annehmlichkeiten eines solchen Gasthofes in England kennt man auf dem festen Lande nicht; darum erlauben wir uns hier einiges darüber zu sagen. Durchgängig, auch in den Städten, sind die englischen Gasthöfe sehr lobenswert: Zimmer, Betten, Bedienung, Reinlichkeit übertreffen alles, was man in anderen Ländern in dieser Art antrifft, aber wir möchten fast behaupten, daß die guten Gasthöfe auf dem Lande wieder die in Städten in dem Maße übertreffen wie jene die deutschen.

Die Teuerung ist auch nicht so groß, als man denken möchte, wenn man nur erst die Sitte kennt. Der Umstand, daß man durchaus nicht portionsweise speist, ist freilich unangenehm. Alle Vorräte des Hauses an Fleisch, Fischen, Gemüsen und dergleichen sind mit der höchsten Sauberkeit und mit einer Art Eleganz in einem auf dem Flur befindlichen, mit Glasfenstern versehenden Kabinett zur Schau gestellt. Hier trifft man gewöhnlich die Wirtin oder ihre Stellvertreterin an. Außer einigem Backwerk findet man nichts fertig zubereitet; die Häuser, in welchen die öffentlichen Fuhrwerke zu bestimmten Stunden einkehren, machen jedoch hiervon eine Ausnahme. In diesen ist mittags oder abends der Tisch gedeckt, an welchem die ankommenden Reisenden um einen festgesetzten Preis in Gesellschaft speisen können. Außer diesem aber muß der einzelne Fremde in jenem Vorratsmagazine seine Mahlzeit und die Art der Zubereitung selbst wählen und geduldig warten, bis sie fertig ist. Wählt man nun einen Hammel- oder Rinderbraten oder sonst ein großes Stück, so bekommt man es ganz auf den Tisch und muß es auch ganz bezahlen, wenn es gleich kaum angeschnitten wieder abgetragen würde. Dies ist freilich nicht angenehm, aber der Landeskundige weiß sich einzurichten und bestellt kleinere, leichter zu bereitende Gerichte. Das Logis ist nicht teuer. Für das Zimmer, in welchem man speist und den Tag zubringt, wird, auch bei längerem Aufenthalt, gewöhnlich nichts gerechnet, es sei denn, daß man nur im Hause wohne und immer auswärts speise. Im Schlafzimmer bezahlt man nur das Bette, und dieses kostet selten mehr als einen Schilling die Nacht. Und welch ein Bett! Die schönsten Matratzen, die feinsten Bettücher und Decken. Schöne Vorhänge umgeben das Bett, ein hübscher kleiner Teppich liegt davor, eine feine weiße Nachtmütze und ein Paar Pantoffeln fehlen auch nie dabei, deren sich reisende Engländer, die immer wenig Gepäck mit sich führen, ohne alle Scheu bedienen.

Es ist uns immer aufgefallen, wie dieses Volk, bei aller Reinlichkeit, tausend kleine Rücksichten nicht kennt, die dem Deutschen, noch mehr dem Franzosen, zur Natur geworden sind. Kein Engländer, zum Beispiel, der nicht zu den vornehmsten Klassen gehört, wird sich weigern, mit andern aus einem Glase oder Porterkruge zu trinken, oder mit Bekannten, auch wohl Fremden, in einem Bette zu schlafen, wenn es im Hause an Raum fehlt.

Auch in den Städten erscheint der Wirt gleich, um den Fremden beim Austritte aus dem Wagen zu empfangen, aber auf dem Lande ist's, als käme man zu einem längst erwarteten Besuch. Der Wirt öffnet selbst den Schlag und hilft dem Reisenden heraus; in der Tür steht die Wirtin; mit dem freundlichsten Gesichte von der Welt knickst sie ein halbes Dutzend Mal kurz hintereinander, bemächtigt sich der reisenden Damen sogleich, führt sie in ein besonderes Zimmer und sorgt auf alle Weise für ihre Bequemlichkeit, während ihr Mann bei den Herren die Honneurs macht. Wenn man auch nur die Pferde wechselt, ohne das geringste zu verzehren, so bleibt diese Höflichkeit sich dennoch gleich: Wirt und Wirtin begleiten die Reisenden an den Wagen, danken für die erzeigte Ehre und bitten, bald wieder zu kommen. Freilich haben die Wirte auf jeden Fall einigen Nutzen von den Reisenden, da sie die Post für eigene Rechnung bedienen.

Je weiter man in's nördliche England dringt und sich Schottland nähert, je mehr nimmt diese Aufmerksamkeit der Wirte zu, verbunden mit einer Art Kordialität, die unangenehm auffällt. Der Wirt bringt immer die erste Schüssel auf den Tisch, sei sein Gasthof noch so groß und ansehnlich; ihm folgt seine Frau, selbst alle Kinder des Hauses, die nur einigermaßen sich dazu schicken, folgen dem Alter nach in Prozession, alle bringen etwas; oft sahen wir zuletzt so einen kleinen goldlockigen Cherub von drei, vier Jahren geschäftig mit einem Pfefferbüchsen dahergetrippelt kommen. Die Aufwärter, Waiters, scheinen Flügel zu haben, so schnell kommen sie auf jeden Klingelzug, und in allen Zimmern hängen gute, gangbare Klingeln, welche der reisende Engländer nach Herzenslust handhabt.

So wie es keine aufmerksameren Wirte gibt, so gibt es auch keine viel verlangenderen Gäste als in England. Das Wirtschaftswesen wird aber gewissermaßen fabrikmäßig betrieben: jeder hat sein Departement, und so geht alles in schneller Ordnung. Die Pferde besorgt der Stallknecht, Hostler genannt, hat aber wohl im Stalle seine Untergebenen zum eigentlichen Dienste, denn er selbst sieht zu elegant dazu aus; er nimmt nur die Befehle der Fremden an und führt die Pferde vor. Dann ist noch der Stiefelwichser; dieser, gewöhnlich der pfiffigste und gescheiteste vom ganzen dienenden Personal, wird schlechtweg Boots, Stiefel, gerufen, und ist eine sehr wichtige Person im Hause. Er besorgt gewissermaßen die auswärtigen Angelegenheiten, bestellt Kommissionen, führt die Fremden im Orte herum und gibt von allem Rede und Antwort. Unaufhörlich hört man in einem ganz eigenen, hellklingenden Fistelton durchs ganze Haus »Boots!« rufen, und immer ist er zur Hand.

Abends beim Zubettegehen wird jedesmal das Kammermädchen, Chambermaid, gerufen, sie erscheint im feinen kattunenen Kleide, mit einer schneeweißen Musselinschürze, einem artigen Spitzenhäubchen, kurz, so nett und damenhaft gekleidet als möglich. Ihr Amt ist, den Fremden, ohne Unterschied der Person und des Geschlechts, einen Nachttischleuchter mit einem Wachslicht anzuzünden, ihn in's Schlafzimmer zu führen und zuzusehen, daß es ihm an keiner Bequemlichkeit mangle. Dies geschieht jeden Abend, und wenn man Monate lang im Haus verweilte.

Beim Abschiede erscheinen dann Waiter und Hostler und Boots, ganz zuletzt noch bittet die Chambermaid mit einem artigen Knicks, ihrer nicht zu vergessen, don't forget the Chambermaid. Man gibt diesen Leuten nicht viel, wenn man die Teuerung des Landes bedenkt, und man gibt gern, denn man wurde gut bedient. Nach dieser Digression kehren wir zurück nach Catterick Bridge.

Krankheitshalber mußten wir einige Tage dort verweilen und wurden gewartet und gepflegt, als wären wir unter Bekannten und Freunden. Die Wirtin, Mistreß Ferguson, wich nur aus dem Krankenzimmer, wenn ihre Geschäfte es notwendig machten; ihr Mann ritt selbst nach dem vier Meilen entlegenen Städtchen Richmond, um den Apotheker des Orts zu holen, und der Sohn des Hauses, ein Landgeistlicher aus der Nachbarschaft, schleppte seine halbe Bibliothek herbei, um Kranken und Gesunden Unterhaltung zu verschaffen. Der Apotheker war ein vernünftiger, guter Arzt, und das Übel wich seinen Heilmitteln bald.

In ganz England sind die Apotheker die am meisten gesuchten Ärzte; man nennt sie auch Doktor. Besuche der eigentlichen Ärzte werden, außer bei reichen vornehmen Kranken, nur bei sehr großer Gefahr gefordert. Sie sind zu kostbar: weniger als eine Guinee darf man keinem für jede einzelne Visite bieten. Diese wird ihnen gewöhnlich jedes Mal beim Abschiednehmen in die Hand gedrückt. Eine Konsultation des Arztes in seinem eigenen Hause kostet die Hälfte. Die Apotheker werden ungefähr wie die Ärzte in großen deutschen Städten bezahlt. Übrigens wimmelt's nirgends so von Quacksalbern wie in England; dies bezeugen die öffentlichen Blätter, deren größte Hälfte aus Ankündigungen von Arkanen besteht.

Richmond

Gänzlich hergestellt kamen wir nach Richmond, einer kleinen Landstadt, am Abhange eines Felsens erbaut. Die Ruinen des uralten Schlosses Richmond, von welchem die jetzigen Herzöge von Richmond zwar den Namen führen, aber keine fünfzig Pfund Einnahme haben, stolzieren hoch auf dem Gipfel desselben über die Stadt. Letztere liegt höchst malerisch, und die Ruinen der sie umgebenden alten ehemaligen Wälle gewähren eine weite herrliche Aussicht. Wald, Wiese, hübsche Landhäuser, Gärten, Dörfer, kleine fruchtbare Anhöhen wechseln auf eine unbeschreibliche anmutige Weise ringsumher, und ein Strom, über den eine steinerne Brücke führt, belebt das Ganze. Jeder Schritt entdeckt neue Schönheiten; der wilde Fels, auf dem Schloß und Stadt erbaut sind, bildet einen wunderbaren Kontrast mit den lieblichen Umgebungen. Die Ruinen, zwar in einem ganz anderen Geschmack und weniger prächtig als die von Fountains Abbey, zeugen dennoch von ehemaliger Größe und gesunkener Herrlichkeit. Sie werden gar nicht unterhalten und drohen stündlichen Einsturz, zur großen Gefahr für die an ihrem Fuße liegenden Wohnhäuser. Ein einziger Turm steht erhalten da, alles übrige sind nur hohe, üppig mit Efeu bewachsene Mauern. Die Abteilungen der Gemächer sieht man noch deutlich und die hohen Bogenfenster, aber das Dach fehlt gänzlich; Regen und Wind haben überall freien Zugang.

Aukland, Durham, Sunderland und Newcastle

Von Richmond nach Aukland kamen wir in wenigen Stunden; es ist der Sitz des Bischofs von Durham. Sein Wohnhaus, ein großes gotisches Gebäude, zwar recht nett, aber doch ganz bürgerlich und einfach möbliert, zeigt keine Spur geistlicher Pracht, alles ist, so wie es sich eigentlich für einen solchen Oberhirten schickt. Der zu dem Hause gehörige Garten ist in Hinsicht der darauf verwendeten Kunst kaum nennenswert, aber von Natur eines der schönsten, lieblichsten Fleckchen der Erde. Er vereinigt Fels und Wald; ein rauschender Fluß stürzt bald gaukelnd, bald unwillig über wildes Gestein, das sich ihm vergeblich in den Weg wirft. Unendlich viel Schönes könnte hier mit Geld und Geschmack hervorgebracht werden, und doch, wenn man diese ungeschminkte Natur sieht, muß man unwillkürlich wünschen, daß alles so bleibe, wie es ist.

Wir fuhren durch den großen, sehr angenehmen Park nach der Stadt Durham. Sie ist eine der ältesten, wenngleich nicht der größten in England und liegt sehr malerisch in einem reizenden, von fruchtbar angebauten Bergen umgebenen Tale. Den folgenden Morgen gingen wir über Sunderland nach Newcastle.

Sunderland ist wegen einer eisernen Brücke, der größten in England, sehr merkwürdig. Ein einziger ungeheurer Bogen wölbt sich hundert Fuß hoch über die Fläche des Wassers, so daß ein Schiff, ohne die Masten umzulegen, darunter hinsegeln kann. Nie sahen wir Zierlichkeit und Stärke so vereint. Wie ein Zauberwerk scheint die Brücke in der Luft zu schweben. Nur der Bogen, auf welchem sie ruht, und die Geländer, die sie an beiden Seiten einfassen, sind von Eisen, sie selbst ist von Stein.

Auf einem bequemen Platze unter der Brücke konnten wir den Mechanismus derselben recht betrachten. Sechs nebeneinander parallel hinlaufende Bogen vereinigen sich zu einem Ganzen. Jeder dieser Bogen besteht aus einer dicken eisernen Stange, die auf einer Menge nebeneinander aufrecht gestellter, ebenfalls eiserner Ringe ruht, von welchen jeder fünfzehn Fuß im Diameter hält. Diese Ringe ruhen unten wieder auf einer der oberen ähnlichen Stange; verschiedene Eisen sind symmetrisch angebracht, um die sechs Bogen nebeneinander zu verbinden. Das Ganze liegt an beiden Enden auf zwei mehr als armdicken eisernen Querstangen, die aber inwendig hohl sind.

Der zierliche Anblick dieses Kunstwerks ist unbeschreiblich; augenscheinlich sieht man, wie viel mehrere schwache Kräfte vereinigt tragen können. Wenn auch etwas an diesen Bogen durch Zeit oder Gewalt zerstört würde, so bleibt doch immer genug übrig, das Ganze zu erhalten, und man möchte fast behaupten, es könne nie sehr baufällig werden, weil man mit leichter Mühe jedem kleinen Schaden bald abhelfen kann. Es wohnt hier ein eigener Wächter neben der Brücke, der darauf zu sehen hat, daß sie immer im Stande erhalten werde. Man hat einen auch in Deutschland bekannten großen Kupferstich, welcher den Kunstbau dieser wahren Wunderbrücke sehr gut und deutlich darstellt.

In Newcastle, wohin uns jetzt unser Weg führte, fanden wir nichts zu tun als auszuschlafen. Die Stadt ist ziemlich groß, hat neben vielen engen und winkligen auch einige hübsche Straßen und ist, besonders wegen des Steinkohlenhandels, für Großbritannien sehr wichtig. Aber alles hat auch das Ansehen und den Geruch dieses Geschäfts und also für den bloß zum Vergnügen Reisenden wenig Einladendes.

Alnwick Castle und Berwick

Alnwick, diesen alten Sitz der Herzöge von Northumberland, erreichten wir einige Stunden, nachdem wir Newcastle verlassen hatten. Der Anblick dieses Schlosses aus der Ferne versetzte uns zurück in längst vergangene Tage, wir glaubten eine Burg aus jenen Zeiten vor uns zu sehen, in welchen das Faustrecht noch galt, und jeder gegen feindliche Nachbarn mit eigener Kraft sich zu schützen suchen mußte. Die wunderbare Erhaltung dieses großen altertümlichen Gebäudes, an welchem durchaus nichts Verfallenes oder Ruinenartiges zu erblicken war, fiel uns vor allem auf. Die durchaus altertümliche Burg mit ihren runden Ecktürmen, ihren mit Schießscharten versehenen Ringmauern, ihren Brustwehren, ihren Toren, ihren über dem Schloßgraben führenden Zugbrücken, schien wie durch ein Wunder der Gewalt der Elemente wie der gegen sie anstürmenden Feinde Jahrhunderte lang auf unbegreifliche Weise getrotzt zu haben.

Es war eine Täuschung, aber die gelungenste, die uns in dieser Art jemals vorgekommen ist.

Alnwick Castle ist ganz modernen Ursprungs und verdankt seine altertümliche Gestalt nur der seltsamen Laune des Herzogs von Northumberland. Auf den Zinnen der Mauer und der Türme stehen alte Krieger in drohender Stellung, von Stein gehauen, in Lebensgröße. So viel wir von unten davon urteilen konnten, sind diese Figuren recht gut gearbeitet. Über jedem Tor steht einer davon in gebückter Stellung, mit beiden Händen einen großen Stein haltend, als wäre er im Begriff, den Eintretenden damit zu zerschmettern. Die Idee kann man eben nicht gastfreundlich nennen; aber diese ganze Verzierung, so wunderlich und einzig in ihrer Art sie ist, macht einen großen Effekt. Von weitem glaubt man fast, die Geister der alten Krieger, die einst hier hausten, wären zurückgekehrt und wollten der Neugier den Eintritt in ihr Heiligtum wehren: in so drohender mannigfaltiger Bewegung und Gebärde stehen sie da. Auch sind sie nicht so harmlos, als man denken möchte. Mancher dieser Helden kam schon ungerufen herunter, wenn es ihm oben zu windig ward, und richtete auf der Erde Schaden und Unfug an.

Das Innere der Burg ist ebenfalls im Geist der Vorzeit gehalten: hohe gewölbte Zimmer mit Bogenfenstern voll künstlicher gotischer Verzierungen und Schnörkeln, ungeheure Pfeiler und Mauern, lange sich durchkreuzende Galerien, dunkle, krumme Gänge würden ein sehr schauerliches Ganzes machen, wären die Zimmer nicht mit hellen Farben heiter und lustig ausgemalt. Indessen glauben wir doch, daß einer der englischen Schauerromane, einsam um Mitternacht hier gelesen, seine Wirkung nicht verfehlen würde.

Wir eilten fort, hinaus in den freundlichen Sonnenschein, in den artigen, die Burg umgebenden, ganz modernen Garten, zu den wohl angelegten Treibhäusern, in welchen wir uns zu unserer Freude, da der Herzog nicht da war, mit Weintrauben und Melonen für die Reise versorgen konnten. Den Park, der sich eben durch nichts von anderen Parks auszeichnet, sahen wir nur von weitem aus den Fenstern der Burg. Man wollte uns nicht erlauben hindurchzufahren, was doch bei anderen Parks selten Schwierigkeit findet.

Jetzt führte der Weg längs der Küste des Meeres, das wir fast nie aus dem Gesichte verloren, nach der uralten Stadt Berwick, an der äußersten Spitze Northumberlands.

In Northumberland, besonders in Berwick, der letzten englischen Stadt, fiel uns die Sprache der Einwohner auf. Das wunderliche allgemeine Schnarren, womit sie den Buchstaben R aussprechen, und die vielen ganz unbekannten Provinzialausdrücke, welche sie einmischen, machten, daß wir Mühe hatten, sie zu verstehen. Schon nach Newcastle spricht man das Englische sehr fehlerhaft, fast wie plattdeutsch aus.


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