Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Reise nach Flandern.

Nun Fräulein? In Gedanken verloren, das Köpfchen seitwärts gesenkt, gleich einer schmachtenden Schäferinn?! Seht Ihr denn nicht, daß die Königinn sich erhebt, um den Pavillon zu verlassen? sprach eilend und leise die Oberhofmeisterinn der Königinn Margarethe von Valois, indem sie an ihrer Tochter, dem Fräulein von Tournon, vorüberging, und dem Gefolge ihrer Herrinn sich anschloß.

Erschrocken fuhr die arme Eglantine aus ihrem wachen Träumen auf, während die Königinn, gestützt auf den Arm ihrer Freundinn, der Prinzessinn von la Roche sur Yon, sich langsam nahte. Ein Strahl aus Margarethens schönen dunkeln Augen fiel im Vorübergehen auf die bleiche Eglantine, sie sah eine große helle Thräne an den langen tief gesenkten Augenwimpern des armen Kindes zittern, und Heinrich des Vierten Gemahlinn war in diesem Augenblicke selbst zu wenig glücklich, um nicht auch für die Schmerzen Anderer empfänglich zu seyn.

Was fehlt der Kleinen? Gewiß hat die strenge Mutter sie wieder gescholten, fragte die Königinn, indem sie still stand und gegen Frau von Tournon sich wendete. Das zornglühende Gesicht der alten Dame, das doppelte Unterkinn, welches ihr steif zurückgezogener Nacken in diesem Augenblicke bildete, machten jede Antwort auf diese Frage überflüssig, auch wartete die Königinn eine solche nicht ab. Habt Nachsicht mit der Kleinen, ich bitte, fuhr sie mit anmuthiger Freundlichkeit fort, sie ist noch so jung, so ganz neu in der Welt; zu große Strenge thut bey frommen Kindern selten gut, und Eglantine ist in der That ein liebes frommes Kind.

Auch die frömmsten Kinder lassen zuweilen Unarten blicken, die eine Mutter, welche ihre Pflichten kennt, nicht übersehen darf, erwiederte Frau von Tournon mit einiger Härte. Aber ich sehe, setzte sie etwas gemäßigter hinzu, ich sehe meine hohe Gebietherinn gleicht auch darin der Sonne, daß sie es nicht verschmäht, selbst auf das niedrige Wiesenblümchen einen Strahl ihrer Huld fallen zu lassen; ich kann nur wünschen und hoffen, Fräulein von Tournon werde dieses stets in Demuth zu erkennen wissen.

Die Thräne, welche bis jetzt in den unschuldigen blauen Augen Eglantinens geglänzt hatte, rollte nun unaufhaltsam über ihre erröthenden Wangen herab. Furchtsam wagte sie nur einen halben bittenden Blick zu der zürnenden Mutter hinauf, und beugte sich dann tief, um den mit Gold und Perlen gestickten Saum des Gewandes der Königinn an die schmerzlich zuckenden Lippen zu drücken. Margarethe aber streckte die schöne Hand ihr entgegen, und hielt auf halbem Wege sie auf. Nehmt mir die beschwerliche Maske ab, Fräulein von Tournon, die Sonne brennt nicht mehr und die Abendluft ist so mild, sprach sie freundlich, und beugte den schönen Nacken ein wenig, damit die viel kleinere Eglantine ihren Befehl bequemer erfüllen könne.

Noch nie hatte ein so junges Hoffräulein einer solchen Auszeichnung sich zu erfreuen gehabt, denn am Französischen Hofe fühlten sogar Prinzessinnen vom königlichen Geblüte sich geehrt, wenn sie der Königinn solche kleine persönliche Dienste öffentlich leisten durften. Auch ward die arme Eglantine durch diese unerwartete Huld der Königinn so verwirrt, daß sie in der Angst ihres Herzens die Bänder, welche sie lösen sollte, verknüpfte, und es währte ziemlich lange, ehe es ihr gelang, die Schleife aufzuziehen, welche die schwarzsammtne Maske befestigte, die alle vornehmen Frauen der damahligen Zeit, sobald sie der freyen Luft sich aussetzten, statt unserer Hüte zu tragen pflegten. Die Königinn verharrte indessen sehr geduldig in ihrer unbequemen gebückten Stellung, und hielt zugleich, vermittelst eines sehr ernsten Blickes, Frau von Tournon an ihrem Platze fest gebannt; denn diese brannte vor Ungeduld, ihrer Tochter zu helfen und die Ungeschicklichkeit derselben zu rügen.

Endlich war das große Werk vollbracht, und Margarethe erhob sich wieder in gewohnter Majestät; mit einer höchst anmuthigen Bewegung des Kopfes ließ sie die reiche Fülle der glänzendschwarzen Locken wieder über Nacken und Schultern zurückfallen, und Alle standen geblendet vor der seltenen Schönheit der hohen Frau, als hätten sie nie zuvor sie gesehen. Der natürliche Glanz ihrer Farben war durch die unbequeme Stellung, in der sie so lange verweilte, noch erhöht, die schönsten Lippen umspielte ein holdseliges Lächeln, und unter den feingezogenen dunkeln Augenbrauen blickten die liebestrahlenden Augen freundlich auf das von ihrer Huld entzückte junge Mädchen herab. Liebkosend berührte sie die erglühenden Wangen des schüchternen Kindes. Seyd getrosten Muthes! Kleine, ich will mit eurer Mutter sprechen, ich kann ein so liebes Gesichtchen nicht immer in Thränen sehen, flüsterte sie ihr zu, ehe sie sich von ihr wendete, um am Arme der Prinzessinn von la Roche den Weg nach dem Pallaste fortzusetzen.

Frau von Tournon nahm sogleich den Platz dickt hinter ihrer Gebietherinn wieder ein, den die Hofetikette ihr anwies, auch die Uebrigen ordneten sich nach Rang und Würden, und Eglantine, als das jüngste Hoffräulein, schloß ganz zuletzt dem Zuge der Damen sich an.

Der junge la Boessiere, seit wenigen Tagen einer der zum Hofe der Königinn gehörenden Edelleute, benutzte diese Gelegenheit, sich Eglantinen zu nähern. Schon früher hatte er in Arras sie gekannt, wo sie bey ihrer Schwester, der Frau von Balanzon, erzogen wurde, deren Gemahl als Spanischer Gouverneur von Burgund in fast fürstlichem Glanze dort lebte. Ich habe Briefe aus Arras, flüsterte la Boessiere Eglantinen im Gehen zu, vielleicht ist es dem Fräulein von Tournon angenehm, von dort etwas zu vernehmen.

Eglantine erschrak auf das freudigste beym Tone der bekannten Stimme, die ihr so unerwartet ihr schönes Frühlingsleben zurückrief. O gewiß, gewiß! antwortete sie erröthend vor innerem Entzücken, ich Arme erhalte keine Briefe, ich bin von Allem, was mir lieb war, auf das unbarmherzigste geschieden. Sagt mir, guter la Boessiere! wie befindet sich meine Schwester? wie geht es – wie geht es in dem Hause meiner geliebten Yolande? setzte sie mit gesenktem Blicke in sichtbarer Verlegenheit hinzu.

Frau von Balanzon ist so wohl, als sie es seyn kann, während sie mit immer neuer Sehnsucht und tiefem Schmerze die Gegenwart des Fräuleins von Tournon entbehren muß, erwiederte la Boessiere.

Und weiter wißt ihr nichts mir zu sagen? die Königinn ist schon ganz nahe den Stufen, die zum Louvre hinaufführen, sprecht, o sprecht! ehe sie den Pallast erreicht, rief Eglantine in ungeduldiger Eile.

Ein tiefer, nur halb erstickter Seufzer hob des Jünglings Brust, während sein umdüstertes Auge mit dem Ausdrucke unnennbaren innern Wehes auf Eglantinens holder Gestalt ruhte. Der Bruder des Gouverneurs, der Marquis von Varambon hat Arras verlassen, erwiederte er ihr nach einigem Zögern. Heftige Auftritte zwischen ihm und dem Gouverneur haben diese Trennung herbeygeführt. Varambon hat gesiegt, er hat das Gelübde, welches ihn, nach dem Willen seiner Familie, dem geistlichen Stande widmen sollte, nicht abgelegt, und ist, völlig entzweyt mit ihnen Allen, endlich von seinen Verwandten geschieden.

La Boessiere verstummte; innere Bewegung erlaubte ihm nicht, weiter zu sprechen. Eglantine war indessen zu freudig befangen, um dieses zu bemerken; doch auch sie hatte in diesem Augenblicke für Worte keinen Athem, nicht ihre Lippe vermochte mehr zu fragen, nur ihr Auge, es hing mit unendlich beredtem Ausdrucke an la Boessiere, und dieser verstand nur zu wohl dessen wortlose Bitte.

Varambon ist zu Don Juan von Oesterreich, dem Spanischen Statthalter von Flandern geflohen; man versichert: er habe an dessen Hofe eine sehr bedeutende Anstellung erhalten, und stehe hoch in der Gunst dieses Fürsten, setzte er kaum hörbar mit großer Anstrengung noch hinzu, und zog dann mit einer tiefen Verbeugung gegen das Fräulein, sich wieder zurück.

Eglantine konnte von allem, was in dem Jünglinge vorgehen mochte, nichts gewahr werden. Himmel und Erde waren vor ihren Blicken verschwunden; die Gewißheit: der Heißgeliebte habe eines der Haupthindernisse ihrer Vereinigung mit ihm siegreich überwunden, erfüllte sie mit nahmenlosem Entzücken; sie hielt mit den beyden kleinen Händen ihr Herz fest, als drohten dessen ungestüme Schläge die junge Brust zu zersprengen, und bemerkte in süßer Betäubung es kaum, daß die Königinn bey der Ankunft im Schlosse alle ihre Damen entließ, um sich mit der Prinzessinn von la Roche sur Yon in ihr Cabinet zurück zu ziehen. Erst als sie mit ihrer Mutter sich allein befand, diese in ihrem hohen, reichvergoldeten Armstuhle sich niedergelassen und mit hartem Tone sie angeredet hatte, kam sie wieder einiger Maßen zu sich selbst.

Nun Fräulein, tretet näher, sprach die schonungslose Frau; ihr, die Favorite der Königinn, fühlt euch in diesem Augenblicke wohl ziemlich allmächtig. Ihr seyd fest überzeugt: die Mutter werde von hoher Hand schon so geleitet werden, daß sie Euren Wünschen sich wird fügen müssen, und die Balanzons werden sich auch auf die nähmliche Weise bewegen lassen, Euch, die so beleidigend Verschmähte, endlich zu Gnaden anzunehmen.

Die arme Eglantine ward durch diese Anrede auf sehr schmerzliche Weise aus allen ihren Himmeln gerissen. O meine Mutter! seufzte sie, indem sie flehend beyde Hände erhob und auf dem reichgestickten Taburett niederkniete, das der Frau von Tournon zum Fußschämel diente. Sie vermochte kein Wort weiter aufzubringen; unter einem Strome von Thränen verbarg sie das anmuthige Gesicht im Schooße der Mutter, deren Knie sie, hörbar schluchzend, umfaßte.

Sey kein Kind, sprach Frau von Tournon, kein trotziges Kind, das ungestüm weint, weil es seinen unverständigen Willen nicht haben soll. Steht auf, Fräulein, ihr thätet weit besser, auf den Rath der welterfahrnen Frau, die euch der gnädige Himmel zur Mutter gab, folgsam zu hören, als sie durch solche Thränen zu beleidigen.

Eglantine erhob sich; sie gab sich Mühe, nicht zu weinen, doch ihre Thränen flossen unaufhaltsam, während ihre Mutter in etwas gemäßigterem Tone fortsprach.

Die Königinn zeichnete auf fast unerhörte Weise dich heute aus, das läßt sich nicht läugnen, und ein Wunder wäre es nicht, wenn ein so junges Köpfchen durch diese eben so unverdiente als unerwartete Gnade etwas schwindelnd geworden wäre. Die Königinn war heute selbst sehr trübe gestimmt, wozu sie leider auch gültige Gründe hat; darum geruhte sie, die rothen Augen in Gnaden zu bemerken, die du ganz umsonst dir so roth weinst. Morgen kann es leicht sich treffen, daß unsere Gebietherinn in einem rosenfarbenen Humor sich befindet, und trittst du ihr dann mit diesem Magdalenen-Gesichte entgegen, so wird sie wahrscheinlich sich eben so ungnädig von dir abwenden, als sie heute sich gnädig dir zuwandte.

Mutter, liebe verehrte Mutter! ich will nichts, ich hoffe nichts von der Königinn; ich weiß, daß nur von Euch das Schicksal Eures Kindes abhängig ist, rief Eglantine, indem sie die widerstrebende Hand der Frau von Tournon an ihre Lippen drückte. Doch lieben, innig lieben und verehren muß ich die milde, schöne Fürstinn, die, ohne von mir dazu aufgefordert zu seyn, mir heute verhieß, bey Euch für mich zu sprechen. – –

Das Kind bedarf im Herzen der Mutter keiner Fürsprecherinn, fiel Frau von Tournon, von neuem beleidigt, ein. Sobald die Königinn sich herabläßt, deiner gegen mich zu erwähnen, so soll sie auch von mir erfahren, welch' einer thörichten Leidenschaft du dich hingibst; nimmermehr wird sie verlangen, daß ich dem Uebermuthe jener Balanzon's schmeichle, die dich verwarfen. Eglantine, fließt denn nicht das edle Blut der Tournon auch in deinen Adern? Kannst du wirklich den Wunsch hegen, dich eindrängen zu wollen, wo man dich verschmäht?

Varambon verschmäht mich nicht, er wird lieber den Tod wählen, als den Absichten seiner Verwandten sich fügen, rief Eglantine sehr lebhaft.

Der Marquis von Varambon thue, was ihm beliebt, ich habe nur zu thun, was die Ehre unseres Hauses und meine Mutterpflicht mir gebiethen, erwiederte Frau von Tournon. Eglantine! lerne doch endlich glauben, was ich schon tausendmahl dir wiederhohlte: Die schönen Gefühle, mit denen du jetzt dich brüstest, verfliegen vor der stillen Gewalt der Zeit, wie Spreu vor dem Winde, und nur zu späte Reue bleibt zurück. Mädchen deines Standes thun immer am klügsten, wenn sie die Sorge für ihr künftiges Etablissement ihren erfahrneren Müttern überlassen. Mit dir brauche ich mich noch nicht zu übereilen, dir bleibt noch Zeit genug, um eine vortheilhafte und anständige Parthie abzuwarten.

Mutter! Mutter! in welchem erniedrigenden Lichte muß ich vor Euren Augen stehen! rief Eglantine beynahe zürnend. Doch beurtheilt mich so hart Ihr immer wollt; nichts soll mich dennoch abhalten, hier frey und offen zu bekennen, daß mein Herz an dem Marquis von Varambon hängt; brechen kann es, doch von ihm lassen in Ewigkeit nicht.

Das wollen wir abwarten, erwiederte Frau von Tournon. Ein Kind wie du, mit deinen sechszehn Jahren, hat von der Ewigkeit eben keinen sonderlichen Begriff. Uebrigens bitte ich, Fräulein! den Kopf morgen ein wenig höher zu tragen und dem Hofe nicht wieder eine sentimentale Scene zum Besten zu geben. Ich habe bey diesem Rathe nur Euer wahres Wohl vor Augen, und bin keineswegs gesonnen, Euch damit aus Eigensinn den Weg zur Gunst der Königinn zu verschließen. Es wäre leicht möglich, daß Margarethe noch eine Zeitlang an Eurem trüben Wesen Gefallen fände, denn wer kann die Launen der Fürsten im Voraus berechnen? Doch glaube mir, meine Tochter, daß dies dich schwerlich zum dauernden Glücke führen würde. Während der acht und zwanzig Jahre, die ich in den blendenden Kreisen des Hofes verlebte, habe ich Gelegenheit gehabt, ihn kennen zu lernen.

Versunken in sich selbst, hörte Eglantine kaum halb, was Frau von Tournon aus dem reichen Schatze ihrer Lebenserfahrung ihr noch spenden mochte, bis endlich die ihr sehr willkommene Weisung erfolgte, sich in ihr Zimmer zu begeben, weil es spät sey.

Leider fand Eglantine in ihrem Gemüthe keine Spur jenes unbedingten kindlichen Vertrauens, jener herzlichen Liebe, die sie sich doch bewußt war der Mutter schuldig zu seyn. Frau von Tournon gehörte unglücklicherweise zu den Frauen, welche ganz aus Grundsätzen zusammengesetzt sind, aus diesen sich ein System erbauten, und sich viel damit wissen, daß sie nie von ihrem Herzen sich verleiten ließen, auch nur um die Breite eines Haares davon abzuweichen. Einer der traurigsten ihrer Grundsätze war wohl der, daß eine Mutter ihren Kindern die Liebe nie durch äußere Zeichen zu erkennen geben dürfe, welche sie im Grunde ihres Herzens für dieselben hegt.

Die aus diesem entstehende Härte, das strenge Bestehen auf unbedingtem Gehorsame, scheuchten sehr bald die an Liebe gewöhnte, von der Natur schüchterne Eglantine von der Mutter zurück. Nur zitternd wagte sie, ihr zu nahen, und fühlte ewig unter ihren Augen sich gedrückt und beklommen. Auch kannte sie die Mutter kaum, zu der sie nach vieljähriger Abwesenheit erst seit wenigen Wochen zurückgekehrt war.

Mehr als acht Jahre waren vergangen, seit Frau von Tournon ihre älteste Tochter Yolande in sehr früher Jugend dem Herrn von Balanzon zur Gemahlinn gab, und zum Lohne des Gehorsams, mit dem diese ihrem Befehle sich fügte, hatte sie deren heißes Flehen erhört, und ihr erlaubt, die damahls noch nicht achtjährige Eglantine mit sich nach Arras zu führen. Die junge Gemahlinn des Spanischen Gouverneurs ward gleich nach ihrer Ankunft in Arras an die Spitze eines großen, glänzenden Hauses gestellt, das, dem prachtliebenden Geschmacke jener Zeit gemäß, beynahe ein fürstlicher Hofhalt zu nennen war. Glanz und Reichthum umgaben die Neuvermählte von allen Seiten, aber auch jene Spanische Etikette, die ihr, hemmend und störend, überall entgegen trat. Yolande vermißte sehr schmerzlich jene anmuthige Freyheit der Geselligkeit, an die sie in Paris von Jugend auf gewöhnt worden war; nur Eglantine allein war zum Troste ihr geblieben, als sie einem ihr durchaus fremden Gemahl in ein anderes Gebieth folgen mußte, nur sie rief das geliebte Vaterland und jede Lust der Jugendzeit ihr zurück. Und als das Kind im Laufe der Jahre zur Jungfrau heranblühte, da ward die geliebte Schwester Yolandens einzige Freundinn, die einzige Vertraute, der sie alles das zu klagen vermochte, was heimlich ihr Leben oft und schwer bedrückte.

Eglantinens kindlicher Reiz entwickelte sich nicht zur blendenden Schönheit, aber eine, nur ihr eigene, unwiderstehliche Anmuth, umstrahlte ihr ganzes Wesen. Der klare Abglanz des innern Himmels in ihrer Brust leuchtete hell aus ihren seelenvollen blauen Augen, und der süße, rührende Ton ihrer melodischen Stimme wußte stets den geraden Weg zum Herzen zu finden.

Der Marquis von Varambon, des Herrn von Balanzon jüngerer Bruder, lebte mit ihr in dem Hause ihrer Schwester, in jener Vertraulichkeit des Familienlebens, die selbst die Spanische Etikette nicht ganz zu verbannen vermochte. Er war mehrere Jahre älter als Eglantine, und sollte sich in Arras für den geistlichen Stand in wissenschaftlicher Hinsicht ausbilden. Der junge Marquis sah Eglantinen täglich, er war ihr Gefährte bey allen Vergnügungen, er lehrte sie die reizenden Seguidillas zur Spanischen Guitarre singen, die wie Liebesklagen tönen, und so war es wohl sehr natürlich, daß er bald dahin kam, die Bestimmung mit Widerwillen zu betrachten, die man ihm aufdringen wollte, und zu der er ohnehin nie einen inneren Beruf gefühlt hatte.

Als einer der ausgezeichnetsten Jünglinge seines Landes und seiner Zeit, konnte auch er den Weg zu dem weichen, zur Liebe geschaffenen Herzen Eglantinens nicht verfehlen. Schon seine, von der Natur reich ausgestattete Persönlichkeit, mußte auf den ersten Anblick für ihn einnehmen; und unerachtet des Standes, zu dem er bestimmt war, that keiner seiner jungen Zeitgenossen in allen ritterlichen Uebungen es ihm zuvor. Doch er wußte auch überdem noch durch sein Betragen die Herzen zu gewinnen, er war Meister in dem damahls vorherrschenden Tone der Galanterie gegen Damen, und besaß jene Geistesgewandtheit, die man so leicht versucht wird, für etwas weit Höheres zu halten.

Frau von Balanzon überraschte einst den Bruder ihres Gemahls zu den Füßen ihrer Schwester, und hold erröthend warf Eglantine sich ihr in die Arme. Von diesem Augenblicke an war Yolande die theilnehmende Vertraute dieser jungen Liebe, und all ihr Sinnen und Trachten ging einzig darauf hin, eine Verbindung herbeyzuführen, die ihr den einzigen Trost ihres Lebens versprach, die Hoffnung, sich nie von der geliebten Schwester trennen zu müssen. Im ersten Taumel der Freude theilte Frau von Balanzon ihrer Mutter die Entdeckung mit, die sie gemacht hatte, und zwar auf eine Weise, welche Frau von Tournon verleitete, in diesem Briefe eine ausdrückliche Werbung um Eglantinens Hand für den Marquis von Varambon zu lesen; denn die Idee, eines nur auf Liebe sich gründenden Verhältnisses, konnte der strengen, kalten Frau nie in den Sinn kommen. Sie berief sogleich alle ihre nächsten Verwandten zusammen, um bey dieser wichtigen Angelegenheit deren Rath zu vernehmen; alle erklärten einstimmig die vorgeschlagene Verbindung für vortheilhaft, und so stand die Mutter Eglantinens keinen Augenblick an, ihre förmliche Einwilligung zu dieser Heirath schriftlich einzusenden.

Leider aber waren Varambons Verwandte, vor allem Herr von Balanzon, ganz anderer Meinung. Auch der junge Marquis hatte während der Zeit seinem ältern Bruder erklärt, daß er Eglantinen liebe, und, um ihr seine Hand biethen zu können, entschlossen sey, das geistliche Gelübde nicht abzulegen, zu dem jetzt die Zeit herangekommen war. Herr von Balanzon fühlte sich darüber höchst beleidigt und entrüstet; des jüngern Bruders Erklärung schien ihm eine, wenigstens indirekte Aufforderung, demselben seinen Antheil an der väterlichen Erbschaft herauszugeben, den der Aeltere sich längst gewöhnt hatte, als sein nie zu bestreitendes Eigenthum zu betrachten. Daß aber Varambon um einer Liebschaft willen sich erkühnen könne, einem in Spanien so mächtigen Stande zu entsagen, sah er sogar fast wie ein Verbrechen gegen die Natur an. Denn welche nicht zu berechnende große Vortheile mußten nicht dereinst für das ganze Haus der Balanzons daraus entstehen, wenn einer aus dessen Mitte die höchsten geistlichen Würden bekleidete, vielleicht den Cardinalshut errang! Varambons Persönlichkeit, die Verbindungen, in denen er stand, öffneten ihm in dieser Hinsicht die glänzendsten Aussichten, und alle diese, an Gewißheit gränzenden Hoffnungen, sollten nun zertrümmert werden!

Auf das tiefste empört, schalt er den Marquis einen thöricht verliebten Knaben, den man mit Gewalt zwingen müsse, den rechten Weg zu seinem eigenen Glücke einzuschlagen, und vermaß sich hoch und theuer, nie zu dessen Verbindung mit Eglantinen seine Einwilligung zu geben. Eglantinens Thränen, Yolandens bittende Vorstellungen vermochten eben so wenig, seinen harten Sinn zu beugen, als des Marquis zürnendes Behaupten seiner Rechte. Das feste Bestehen des letztern auf die ihm angeborne Freyheit, seinen Stand im Leben selbst zu wählen, ward verlacht, alle übrigen Verwandte des Hauses traten auf des ältern Bruders Seite, und so herrschte von nun an Unfrieden im Schlosse, und vertilgte vollends aus dem Leben der, mitten in ihrer Pracht höchst bedauernswerthen Yolande, jeden kleinen Ueberrest häuslichen Glückes.

Yolande sah sich endlich gezwungen, der Frau von Tournon von der traurigen Wendung Nachricht zu geben, welche das Schicksal ihrer Eglantine nehmen zu wollen schien; sie that es unter heißen Thränen, denn sie konnte im voraus berechnen, welchen furchtbaren Zorn diese Nachricht in der Brust der, auf den Glanz und die Rechte ihres Hauses eifersüchtigen Frau aufregen mußte. Was sie erwartete, geschah; ein schonungsloser Brief, in welchem jedes Wort gleich einem Dolchstiche verwundete, war die Antwort auf Yolandens Schreiben. Zuletzt war noch die Erklärung beygefügt, daß Frau von Tournon Eglantinen von nun an unter ihre eigene Aufsicht nehmen wolle, und bald darauf langte auch, begleitet von einem ansehnlichen Gefolge, eine vertraute Kammerfrau in Arras an, um Eglantinen den Armen ihrer Schwester zu entreißen und sie nach Paris zu ihrer Mutter zu führen.

Der Frau von Tournon Befehle waren zu gemessen, als daß den Schwestern einiger Aufschub ihrer Trennung hätte gewährt werden können; auch wurde dieser Eglantinen nur wenig Trost gegeben haben, denn Varambon wurde von seinem unerbittlichen Bruder zu gut bewacht, als daß es möglich gewesen wäre, ihn, ehe sie scheiden mußte, noch einmahl zu sehen. Sage ihm, daß ich sterben, doch nicht vergessen kann, sprach Eglantine, indem sie am Arme ihrer untröstlichen Schwester die breite Schloßtreppe hinunter wankte, sage ihm – doch wozu? in seinem eigenen Herzen findet er alles, was ich denke und fühle. Unser beyder Leben ist Liebe, und so lange ich athme, bin ich sein.

Neben dem stattlich geschmückten Zelter, der Eglantinen davon tragen sollte, stand la Boessiere unten im Schloßhofe. Er gehörte damahls noch nicht zum Hofe der Königinn von Navarra, sondern zu der, nicht ganz unbeträchtlichen Zahl junger Edelleute, die im Hause des Spanischen Gouverneurs sich für den Dienst eines größern Herrn zu bilden suchten. Diese seine Stellung hatte ihm zu einer Art Annäherung an Eglantinen verholfen, seine anspruchslose Bescheidenheit erwarb zuerst ihm das Glück von den beyden Schwestern bemerkt zu werden, sie gewöhnten sich nach und nach, ihm mit so vieler Auszeichnung zu begegnen, als sie dieses durften, ohne die strenge Etikette zu verletzen, der sie in allem sich fügen mußten, und der Marquis von Varambon folgte hierin ihrem Beyspiele. La Boessiere war in den letzten stürmischen Tagen gewissermaßen ein stummer Vertrauter der Liebenden geworden, und fühlte sich glücklich, Eglantinen manchen Dienst leisten zu können, den sie um so inniger ihm dankte, da er in seinem Benehmen dieses nie geltend zu machen suchte.

Erlaubt mir unserer jungen Herrinn zum letzten Mahle zu dienen, sprach la Boessiere mit sehr bewegter Stimme zu dem Stallmeister der Frau von Tournon, der, als er die Damen erblickte, heran trat, um Eglantinen in den Sattel zu helfen; der Stallmeister zog sich höflich zurück, und Eglantine schwang mit la Boessieres Hülfe sich auf das mit reichen Decken belegte Reitkissen; er ward bleich und zitterte merklich, als ihr kleiner Fuß zufälligerweise seine Hand berührte, und auch ihr thränenschweres Auge blickte den Treuen wehmüthig an. Sie versuchte zu lächeln, sie gab sich Mühe, ihm nur ein paar freundliche Abschiedsworte zu sagen, doch die Stimme versagte ihr und der kleine Mund verzog sich schmerzlich zum Weinen. La Boessiere verstummte ebenfalls, er reichte ihr die Zügel, und ließ, indem er diese zu ordnen schien, ein kleines Päckchen in ihre Hand fallen, das sie sogleich und unbemerkt verbarg. Gleich der Sonne, wenn sie im Untergehen noch einmahl durch schwere Regenwolken bricht, leuchtete jetzt beym Scheiden noch ein Strahl von Freude in Eglantinens trüben Augen auf; la Boessiere sah es wohl, aber ihm war es unmöglich, sich mit ihr zu freuen. Mit wankendem Schritte zog er sich von ihr zurück, und ward bleich wie ein zum Tode Verwundeter, als endlich auch die letzte Spur des Zuges, der das Fräulein fortführte, seinem Auge entschwand.

Eglantinens Herz schlug indessen unter dem leisen Drucke des eben erhaltenen Geschenks in höheren, fast freudigen Schlägen. Sie benutzte die erste unbelauschte Minute, um es zu öffnen, und fand darin mit unsäglichem Entzücken, was sie heimlich gehofft hatte, den in höchster Liebesgluth niedergeschriebenen Abschiedsgruß des Geliebten, und sein täuschend ähnliches Miniaturbild. Letzteres ruhete von nun an immer ihrem Herzen am nächsten; so oft sie allein war, zog sie es hervor, und sprach zu ihm in süßen Liebesworten, als wäre es der Geliebte selbst. Immer wußte sie ihm etwas zu sagen, alle ihre Freuden und Schmerzen wurden dem lieben Bilde vertraut, und auch am Abende des Tages, an welchem die Königinn ihr so freundlich erschienen war, trieb sie in der Einsamkeit ihres Zimmers dieses süße Spiel, bis tief in die Nacht hinein.

Sie hatte dem geliebten Bilde heute unendlich viel zu sagen, sie mußte für den Muth ihm danken, mit dem Varambon sich dem Gelübde entzogen hatte, das eine ewige Scheidewand zwischen ihm und ihr aufthürmen sollte; sie mußte von der Gnade der Königinn dem Bilde erzählen, und es befragen, ob sie ihrem Herzen folgen und diese mächtige Beschützerinn für ihre Liebe zu gewinnen suchen solle? Nie war Eglantine reicher an Hoffnungen gewesen, als jetzt; die Königinn hatte ihr befohlen, guten Muthes zu seyn, und in ihrem Alter war es wohl ganz natürlich, daß sie darüber die Ermahnungen und das strengere Geboth ihrer Mutter leicht und gern vergaß. War der Geliebte doch frey, unter dem Schutze eines mächtigen Fürsten, mit dem Balanzon selbst es schwerlich würde aufnehmen können

Während Eglantine den unschuldigen Träumen ihres liebeerfüllten Herzens sich hingab, hielten ganz andere Plane, ganz andere Sorgen, die Königinn und deren Freundinn bis weit nach Mitternacht wach. Margarethe von Navarra, die schönste der damahls lebenden Frauen, ausgestattet von der Natur mit allem Reichthume des Geistes, wie des Körpers, gehörte dennoch, ohnerachtet ihres hohen Standes, zu den unglückseligsten ihres Geschlechts; denn jener stille Frieden in der eigenen Brust, jenes ruhige Glück im Kreise liebender Freunde und Verwandte, deren die Königinn wie die Bäuerinn bedarf, um des Lebens froh zu werden, blieben ewig ihr fern.

Vergebens fühlte Margarethe das Unschickliche ihres Aufenthalts, mitten unter den Todfeinden ihres Gemahls, vergebens forderte dieser, von nicht verhehltem Argwohne gegen sie getrieben, zu wiederhohlten Mahlen sie auf, sich zu ihm zu begeben; Mutter und Bruder versagten mit unerbittlicher Härte ihr die Erlaubniß dazu. Alles dieses klagte jetzt die Königinn ihrer vertrauten Freundinn, und ihre Thränen, die sie am Tage mühsam zurückdrängte, stoßen jetzt unaufhaltsam im Dunkel der schweigsamen Nacht.

Die Königinn sowohl als ihre Freundinn, sahen beyde ein, daß für jetzt nur ein durchaus neutraler Aufenthalt für Margarethen wünschenswerth seyn könne, wo sie von keiner Seite beargwohnt werden dürfe, eine der feindlichen Partheyen, die beyde gleich gerechte Ansprüche an ihr Pflichtgefühl hatten, auf Kosten der andern zu begünstigen. Die Frage war nur noch: wohin sie in dieser Hinsicht sich wenden könne. Bey allem, was in Vorschlag gebracht ward, stellten unüberwindliche Schwierigkeiten sich entgegen. Endlich aber fand dennoch die Prinzessinn den lange vergeblich gesuchten Ausweg aus dieser Verlegenheit, indem sie der Königinn eine Reise nach Spaa vorschlug, wohin sie selbst sich zu begeben eben im Begriffe stand. Glücklicherweise litt die Königinn zuweilen am Arme von dem Uebel, das man die Rose nennt, und es ward beschlossen, dieser Zufall solle den Vorwand zu der gewünschten Badereise herleihen.

Am nächsten Morgen fand Margarethe weit weniger Schwierigkeiten, die Erlaubniß zu dieser Reise von der Königinn Mutter zu erhalten, als sie erwartet hatte, und auch Carl der neunte willigte in Alles, sobald nur seine Schwester sich nicht mit dem Gemahle vereinen wollte, den er als seinen Todfeind betrachtete. Er gab sogleich Befehl, alles zu der jungen Königinn Reise vorzubereiten, schickte einen Courier an den Spanischen Statthalter von Flandern, um für sie die nöthigen Pässe zur Durchreise durch einen Theil dieses Landes zu erhalten, und suchte selbst den Tag ihrer Abreise auf das Möglichste zu beschleunigen.

Neues Leben, neuer Muth, strahlten während der wenigen Tage, die sie noch in Paris zu verweilen hatte, aus Margarethens schönen Augen; denn nicht nur die Entfernung von dieser Stadt, wo sie ein so trauriges Leben führte, erfreute sie, auch andere politische Gründe, die nicht in diese einfache Erzählung gehören, machten ihr einen, wenn gleich kurzen Aufenthalt in Flandern, höchst wünschenswerth. Indessen vergaß sie dabey doch ihres jungen Lieblings nicht. Ich habe mit Eurer Mutter gesprochen, Kleine, flüsterte sie Eglantinen bey der ersten Gelegenheit zu; ich weiß alles, was dieses junge Herzchen drückt. Wenigstens sollt Ihr die Zeit unserer Abwesenheit nicht einsam in einem Kloster vertrauern, ich habe Euch zu einem der Hoffräulein erwählt, die nach Flandern und Spaa mich begleiten werden, und hoffe damit Euren Dank mir verdient zu haben.

Außer sich vor Entzücken, bedeckte Eglantine die ihr freundlich dargebothene Hand der Königinn mit Küssen und Thränen; selbst das milde Zureden der hohen Gebietherinn vermochte nicht, sie wieder zu einiger Fassung zu bringen, denn die Königinn hatte mit dem Worte: »Flandern« ihr einen Himmel voll Hoffnungen aufgethan, von dem Margarethe selbst nichts wußte, da des Marquis von Varambon jetziger Aufenthalt in diesem Lande, ihr wie der Frau von Tournon, unbekannt geblieben war.

Eglantine wandelte von nun an gleich einer Träumenden umher; die mitunter sehr hart ausgesprochenen Ermahnungen ihrer Mutter, gingen unvernommen an ihr vorüber; wohl hundert Mahl des Tages zog sie heimlich das liebe Bildchen hervor, um ihm von ihren frohen Hoffnungen zu erzählen; sie lebte nur einzig in diesen, und alles hätte um sie her zu Trümmern gehen können, sie hätte es kaum bemerkt, wenn nur der Weg nach Flandern ihr offen blieb.

Die von so vielen Seiten ersehnte Stunde der Abreise kam endlich heran, und das Reisegefolge der Königinn Margarethe ordnete sich im Hofe des Louvre, mit einer Pracht, welche alles überstrahlte, was heut zu Tage bey solchen Gelegenheiten üblich ist, und der nichts abging, als die Bequemlichkeit und Schnelligkeit, an welche unsere Großen jetzt auf Reisen gewohnt sind. Denn wohl schwerlich mochte eine Fürstinn unserer Zeit sich entschließen, dem Ziele in einer von Maulthieren getragenen Sänfte einsam zuzuschleichen, wie ihre Aeltermütter thaten, und wäre diese Sänfte auch ein solches Wunder von Pracht und Kunst, als die der Königinn Margarethe von Navarra es war.

Mit den goldenen Säulen, den großen, herrlich gemahlten Fensterscheiben, dem purpurrothen, mit schweren goldenen Franzen und Stickereyen geschmückten Sammet, mit dem sie von innen ausgeschlagen war, glich diese Sänfte einer kleinen köstlichen Capelle, in der die Königinn gleich einem schönen Heiligenbilde thronte. Eine Menge im galanten Geschmacke jener Zeit ersonnener Devisen, waren inwendig zwischen den goldenen Verzierungen in Seide gestickt, und die Glasmahlerey der Fenster enthielt vierzig sinnbildliche Darstellungen, die sämmtlich auf die Sonne und die Wirkung ihrer wohlthätigen Strahlen Bezug hatten. Jeder von diesen Mahlereyen war noch zum Ueberflusse eine auf die Königinn anspielende Erklärung in Spanischen oder Italienischen Versen beygefügt.

Der Sänfte der Königinn folgte die etwas minder prächtige der Prinzessinn von la Roche sur Yon, und an diese reihte sich die der Frau von Tournon, welcher als Oberhofmeisterinn der Königinn eine solche Auszeichnung gebührte. Zehn Hoffräulein zu Pferde, unter denen auch Eglantine war, folgten letzterer im schönsten Schmuck fröhlicher Jugendzeit. Das Wehen der Federn auf ihren schön geschmückten Barets, die vielfarbigen Mäntel von Sammt und Seide, die reichen Stickereyen, der glänzende Schmuck ihrer weißen Zelter, gewährte einen eben so prächtigen, als reizenden Anblick. Sie glichen dem jugendlichen Gefolge der heiligen Prinzessinn Ursula, wie Meister Wilhelms kunstreiche Hand auf dem Altarblatte im Dome zu Köln es uns darstellt. In sechs, diesen folgenden Wagen, waren den übrigen, zum Gefolge der Königinn gehörenden Damen, ihre Plätze angewiesen; ein Cardinal, ein Bischof, mehrere Herren vom ersten Range, eine Menge junger Edelleute, die sämmtlich zu ihrem Hofhalte gehörten, begleiteten die hohe Reisende ebenfalls. Und nun noch die zahlreiche Menge der Bedienten, der Maulthiere und Lastwagen, beladen mit Gepäcke aller Art. Alles dieses vereint, gab ein Schauspiel von Schönheit, Pracht und heilerem, regungsvollem Leben, das die Bewunderung Aller auf sich ziehen mußte, die auf dem Wege ihm begegneten.

Das Gedränge der im Hofe zahlreich versammelten Zuschauer erlaubte anfangs der Sänfte der Königinn kein schnelles Vorschreiten, der Zug kam nur langsam in Bewegung, und Eglantine mußte ziemlich lange an der Seite ihrer jungen Reisegefährtinnen auf ihrem Zelter halten. Ihr Herz klopfte in wonnevoller Ungeduld; vergebens sah sie nach einem ihr gleich fühlenden Gemüthe sich um, in ihrer Nähe, in ganz Paris kannte sie kein ihr befreundetes Wesen, außer die Königinn, in der sie ihren Schutzgeist verehrte.

Des armen la Boessiere gedachte sie in diesem Augenblicke nicht, und doch war er ihr nahe; sie erschrak freudig, als er an sie heran ritt, und sie entdeckte, daß auch er im Gefolge ihrer gemeinschaftlichen Herrinn die Reise mitmachen werde. Wir gehen nach Flandern! flüsterte sie ihm zu. Ein Himmel von Entzücken lag dabey in ihren Augen und in dem weichen, bebenden Wohllaute ihrer Stimme. Ihr seyd glücklich mein Fräulein! und ich auch! erwiederte la Boessiere und zog sich schnell hinter Eglantinen zurück, indem der Zug jetzt wirklich in Bewegung gerieth.

Es währte einige Tage, ehe die Königinn bey ihrer langsamen Art zu reisen, den Französischen Boden verließ. In jeder Stadt, die sie auf dem Wege berührte, ward sie von ihrem Volke mit Ehrfurcht empfangen, jeder Tag der Reise war vom Morgen bis zum Abende ein allgemeines Fest, denn Jung und Alt lief jubelnd auf ihrem Wege zusammen; wer so glücklich war, sie von Angesicht zu erblicken, wer vollends glauben konnte, sie habe ihn nur eine Secunde lang anzusehen gewürdigt, der pries sich selig für alle kommenden Zeiten. Ihre wundervolle Schönheit erfüllte alle mit Entzücken, man verehrte sie in ihrer Pracht wie ein höheres Wesen, aber auch die schönen Reiterinnen, welche nicht selten ihre unbequemen Masken lüfteten, hörten oft unterwegs das Lob ihrer Reize und Anmuth, das immer erfreulich klingt, kommt es auch aus niederem Munde. Alle befanden sich in einem wahren Freudentaumel, nur Eglantine nicht, denn der Zug ging ihr viel zu langsam. Gleich der Lerche, die hoch über ihrem Haupte vom blauen Himmel herabjubelte, hätte sie dahin fliegen mögen, über Berg und Thal, und fast stündlich winkte sie den jungen la Boessiere zu sich, der sich immer, so viel er konnte, in ihrer Nähe hielt, nur um zu fragen: ist es noch weit bis an die Gränze von Flandern?

Endlich war dieses erste Ziel ihrer Sehnsucht erreicht. Im vollen Glanze der schönsten Sommerzeit breitete sich unabsehbar die reich angebaute Ebne von Flandern vor den Reisenden aus. Sie durchzogen wohlgebaute, reinliche Dörfer, wie sie in Frankreich sie nicht zu sehen gewohnt waren, sie kamen täglich durch mehrere heitere Städte, deren prächtige Kirchen und andere öffentliche Gebäude ihre Bewunderung erregten, und wenn ihnen von den hohen, mit allem Schmucke Gothischer Baukunst prangenden Thürmen, schon von ferne in anmuthigen Weisen das harmonische Glockenspiel entgegen tönte, das damahls eine ziemlich neue, in Frankreich noch unbekannte Erfindung der Niederländer war, so glaubten sie oft von Engelsstimmen sich aus der Höhe begrüßt. Die unübersehbar weiten, mit schönen Springbrunnen geschmückten Marktplätze, welche man in jenem Lande selbst in dem kleinsten Städtchen trifft, wimmelten stets von stattlich gekleideten Männern und Frauen, welche mit gutmüthiger Neubegier sich herbey drängten. Der hohe, starke Wuchs dieses Volkes, und die damahls von der Französischen durchaus abweichende Kleidung desselben, verfehlte dagegen nicht, auch auf die Reisenden einen angenehmen Eindruck zu machen; manch' rosiges, von blonden Locken umwalltes Mädchengesicht, das ihnen verschämt entgegen lächelte, ward von den Herren in Margarethens Gefolge mit Wohlgefallen bemerkt, und Aller Augen ruhten gern auf dem Ausdrucke von Treuherzigkeit, der im Ganzen die Flamänder bezeichnet.

In allen Flandrischen Städten, durch welche der Weg führte, ward die Königinn nicht wie eine fremde Fürstinn, sondern wie eine dem Lande angeborne, festlich und freudig empfangen. Margarethe, zu deren heimlichen Planen es gehörte, sich und den Ihrigen dieses Volk immer mehr zu gewinnen, nahm dagegen die Huldigungen, die man ihr darbrachte, mit wahrhaft bezaubernder Freundlichkeit auf. Kein einziges der für sie bereiteten Feste wurde von ihr ausgeschlagen, in allen Städten, wo man sie dazu einlud, verweilte sie gern, und so dehnte ihre Reise durch dieses Land sich beynahe auf so viele Tage aus, als man jetzt Stunden brauchen würde, um von Paris nach Spaa zu gelangen.

Niemand von dem Gefolge der Königinn war mit diesem Zögern unzufrieden, am wenigsten der jüngere Theil desselben, der sich wenig darnach sehnte, in Spaa anzulangen. Dieser Ort war in jenen Tagen nur noch ein kleines, aus wenigen Hütten bestehendes, schmutziges Dorf, das mit dem Tummelplatze aller Vergnügungen der großen Welt, so wie er es jetzt ist, durchaus keine Aehnlichkeit hatte. Nur Eglantine fand an diesen Festen wenig Freude, und so oft sie in die Nähe einer Stadt kamen, richtete sie sich so hoch in ihrem Sattel auf, als sie es konnte, um dem Zuge entgegen zu sehen, der überall im festlichen Prunke aus dem Thore zog, um die nahende Königinn zu begrüßen. Ihr scharfer Blick durchlief die Reihen köstlich geschmückter Herren und Frauen, sie suchte unter ihnen die erwartete, einzig geliebte Gestalt, sank immer mißmuthig wieder zurück, und mochte das getrübte Auge kaum mehr vom Boden erheben, denn der, den sie suchte, war nie unter ihnen zu finden. La Boessiere allein bemerkte dieses, sein Auge umwölkte sich täglich mehr und schwere Seufzer hoben seine Brust. Endlich hatten sie die Thore der Stadt Valenciennes erreicht, und ein neuer Zug kam ihnen zahlreicher, glänzender als alle vorhergehenden entgegen: Strahlend von erneuter Hoffnung, blickte Eglantinens Auge so sehnsuchtsvoll nach ihm hin, daß es la Boessiere nicht ertragen konnte, sie, abermahls getäuscht, sich abwenden zu sehen. Er nahete sich ihr ehrerbiethig: der Statthalter Don Juan wird erst kurz vor Namur uns mit seinem Hofe entgegen ziehen, sprach er leise. Er hat schon heute den Tag erforschen lassen, an dem die Königinn in jener Stadt einzutreffen gedenkt, denn er ist Willens, sie auf das allerglänzendste zu empfangen, setzte er im gleichgültigsten Tone hinzu, den er anzunehmen vermochte.

Und wenn – wie weit ist es noch bis Namur? fragte erröthend Eglantine. Wir könnten es schon morgen erreichen, wenn die Königinn hier und in Mons nicht zu lange verweilen will, erwiederte la Boessiere sehr beklommen, und zog sich dann wieder zurück. Leider aber theilte die Königinn Margarethe Eglantinens Ungeduld nicht. Sie verweilte nicht nur den ganzen Tag und die darauf folgende Nacht in Valenciennes, und ging erst am folgenden Tage nach dem nahen Mons, sie ließ auch sogar vom Gouverneur dieser letzten Stadt sich bereden, den Aufenthalt in derselben auf volle acht Tage auszudehnen. Dieser Gouverneur stand in Flandern im höchsten Ansehen, und es lag der Königinn unendlich viel daran, ihn zu gewinnen.

Wie schon oft geschah, so mußte auch hier das Vergnügen der Politik zum Schleyer dienen. In ununterbrochener Reihe nahmen Bankette, Musik und Tanz die Tage und mehr als die Hälfte der Nächte ein. Niemand kam zu sich selbst, viel weniger zum Beobachten Anderer. Eglantine litt Todesqualen bey diesem Zögern so nahe am Ziele ihrer Wünsche; ihr einziger Trost war, daß sie während der Reise, weniger als zu Hause, dem strengen Tadel und der Aufsicht ihrer Mutter ausgesetzt war. Oft glaubte sie vor ungeduldiger Sehnsucht vergehen zu müssen, wenn ein Tag nach dem andern verstrich, ohne daß der Abreise gedacht wurde. Der einzige la Boessiere schien gleich ihr zu empfinden, denn auch er ward mit jedem Tage ernster und in sich gekehrter, während alle Andere, außer diesen Beyden, nur Lust und Fröhlichkeit athmeten.

Wie denn die Zeit allem, was uns bedrückt oder erfreut, ein Ende zu machen weiß, so führte sie zuletzt auch den Abend des achten dieser, Eglantinen endlos erscheinenden Tage, herbey. Kaum graute der Morgen, der sie endlich der lange ersehnten Stunde des Wiedersehens entgegen führen sollte, als sie sich schon reisefertig machte, und nun anfing, die Minuten zu zählen. Doch die Arme hatte sich gewaltig verrechnet, sie mußte noch viele Stunden lang in verzehrender Ungeduld harren, denn des Abschiednehmens schien von allen Seiten kein Ende werden zu wollen. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, ehe die Königinn in ihrer Sänfte Platz nahm, und nun drängten sich noch die Flamändischen Damen scharenweise herbey, um die verschwenderische Pracht derselben zu bewundern; Margarethe brachte mit beyspielloser Gefälligkeit noch eine gute halbe Stunde damit zu, diesen Damen die inwendig auf den Sammet gestickten Devisen vorzulesen und die gemahlten Sinnbilder auf den Glasfenstern zu erklären. Eglantine konnte sich nicht enthalten, unter ihrer Maske, die sie, wie alle reisenden Damen, tragen mußte, bittere Thränen zu vergießen. Die Ungeduld preßte sie ihr aus, und letztere erstieg den höchsten Grad, als der Zug der Reisenden sich schneckenartiger als je fortbewegte, denn die Flamändischen Edelleute ließen es sich nicht nehmen, die Königinn noch eine gute Strecke bis an die Gränze des Gebieths der Stadt Mons zu begleiten, und Margarethe erwiederte diese Höflichkeit dadurch, daß sie während dem ganzen Wege aus ihrer Sänfte heraus ein lebhaftes Gespräch mit ihnen fortwährend unterhielt.

So ging es weiter, bis man schon in der Ferne den Staub erblickte, den der zum Empfange der Königinn mit einem starken Gefolge herannahende Statthalter erregte. Die Flamändischen Edlen nahmen jetzt eilends Abschied, um nicht mit diesem zusammen zu treffen, und Eglantine gerieth in der hierdurch im Zuge entstehenden Unordnung, ganz in die Nähe ihrer Gebietherinn. Diese ward ihres jungen Lieblings gleich gewahr. Reitet neben meiner Sänfte, Fräulein, sprach sie freundlich, auch Eure Gefährtinnen sollen mich umgeben, während wir jenem stolzen Spanier entgegen ziehen. Ich habe erfahren, wer dort in Don Juans Gefolge sich wahrscheinlich naht, und möchte Augenzeuge eines gewissen Wiedersehens seyn, setzte sie mit feinem Lächeln hinzu. Eglantine konnte im Entzücken über diesen Befehl nur dankbar sich verneigen, ihre Seele war in ihren Augen, um in weitester Ferne die geliebte Gestalt zu entdecken.

Der Zug kam näher und näher, ein günstiger Windstoß zertheilte die Staubwolke, die ihn verhüllte. Welcher ist es? flüsterte die Königinn Eglantinen zu, ist es nicht der schöne junge Mann, dicht hinter dem Prinzen, dessen hoher blau und weißer Federbusch alle andere überragt? Eglantine schwieg, denn in der heftigen innern Bewegung, in der sie sich befand, hatte sie die Frage der Königinn überhört, und doch sah Margarethe es deutlich aus ihrem ganzen Wesen hervorgehen, daß sie nicht falsch gerathen habe.

Don Juan und Alle, die ihm folgten, schwangen sich vom Pferde, so wie sie der hohen Reisenden näher kamen. Der Marquis von Varambon stand wenige Schritte von Eglantinen, während der Statthalter und die Königinn einige höfliche Worte mit einander wechselten, doch leider schien er ihrer nicht gewahr zu werden. Seine Blicke schweiften von Margarethen zu ihren Damen, doch an Eglantinen gingen sie achtlos vorüber. Die Arme glaubte vor Schmerz und Entzücken zu vergehen, Nacht umdunkelte ihr Auge, sie schwankte und vermochte es kaum, sich im Sattel zu erhalten.

Er kennt mich nicht! er kennt mich nicht! klagte sie innerlich, als der Zug sich wieder in Bewegung setzte, und eine bange Ahnung, die ihr selbst nicht klar wurde, preßte, wie mit Tiegerklauen, ihr das Herz zusammen. Freylich konnte er mich hier nicht erwarten, und die häßliche, schwarze Sammtmaske, die ich nicht abnehmen darf, verbirgt mich ihm auch, sprach sie sich selbst zum Troste; ich freylich, ich hätte in der unerkenntlichsten Verhüllung ihn gleich wieder erkannt, ich glaube, ich hätte selbst in der schwärzesten Mitternacht seine Gegenwart wenigstens ahnend empfunden.

Es war spät geworden, eine mondlose Nacht überraschte die Reisenden, ehe sie in Namur einzogen, doch auf Don Juans Veranstaltung leuchtete die Stadt im Schimmer vieler tausend Lampen, wie im hellsten Mittagsglanze ihnen entgegen. Alles Hoffen Eglantinens beruhte für diesen Abend nur auf dem Feste, das sie wie gewöhnlich, in der Wohnung der Königinn bereitet zu finden, erwartete. Wie wird er freudig erstaunen, wenn er im glänzenden Saale so ganz unvermuthet mich antrifft! jubelte sie innerlich, so oft in den hell erleuchteten Straßen der blau und weiße Federbusch ganz nah' an ihr vorüberstreifte, was ziemlich oft geschah. Doch auch diese Erwartung wurde nicht erfüllt. Don Juan beurlaubte sich bey der Königinn, sobald er sie in die mit mehr als fürstlicher Pracht für sie eingerichteten Zimmer geführt hatte, denn er glaubte mit Recht voraussetzen zu dürfen, daß nach einem so ermüdenden Tage, ihr für diesen Abend nur Ruhe wünschenswerth seyn könnte.

Zum ersten Mahle betrübte sich Eglantine über den Aufschub von Festlichkeiten, deren sie früher so vielen mit großem Ueberdrusse beygewohnt hatte. Alles ging frühzeitig auseinander, um der Ruhe zu pflegen, und auch Eglantinen blieb nichts weiter übrig. In der Einsamkeit des ihr angewiesenen Zimmers zog sie sogleich ihr liebes kleines Bild hervor, um es anstatt des Geliebten, mit Vorwürfen zu überhäufen, daß er sie nicht gleich erkannt habe; doch diese gingen bald in süße Träumereyen und ernste Plane für den morgenden Tag über, den sie sich nicht anders, als für ihr ganzes Leben entscheidend denken konnte. Sie hoffte, Varambon solle in seinem Fürsten einen nicht minder mächtigen Fürsprecher bey ihrer Mutter sich erwerben, als sie in ihrer Königinn schon gefunden zu haben gewiß war; sie dachte mit banger Sorge daran, wie die strenge Obhuth ihrer Mutter die Wonnen des kommenden Tages ihr verkümmern werde, und empfahl zuletzt sich und ihre Liebe dem Schutze der heiligen Jungfrau, deren schönes, mild lächelndes Bild einen kleinen Bethaltar in ihrem Zimmer schmückte. Fromm und schuldlos wie ein Kind, an dessen Lager Engel Wache halten, entschlummerte sie endlich über dem Bethen, und kein banger Schreckenstraum nahte ihr im Dunkel der Nacht, um mit vorahnendem Grauen sie zu erfüllen.

Eglantine erwachte früh. Zuerst begrüßte sie das Morgenroth mit jenem wonnigen Zagen einer jungen Braut, die den Tag heraufsteigen sieht, welcher sie dem längst geliebten Manne auf ewig vereinigen soll; dann eilte sie mit mehr als gewohnter Sorgfalt, sich festlich zu kleiden, um die Königinn die Kirche zu begleiten, wo Don Juan für sie ein feyerliches Hochamt veranstaltet hatte.

Dort also, an heiliger Stätte, soll er zuerst mich begrüßen, dachte erröthend die fromme Eglantine und sank in Demuth vor dem Muttergottesbilde am Altare hin. Ave Maria! bethete sie, du bist die Mutter aller Huld und Liebe, vergib, o du Gnadenvolle, wenn irdische Freude dort unsere Herzen zu mächtig ergreift, und unsere Gedanken, die nur dem Himmel geweiht seyn sollten, herab zur Erde zieht. Maria, ich grüße dich tief gebeugt, in kindlicher Demuth, ich flehe zu dir, nimm den Geliebten und mich in deinen mächtigen Schutz, laß unsere Liebe uns nicht zur Sünde angerechnet werden, weil wir selbst im Tempel des Allerhöchsten uns nicht des Gedankens an sie werden entschlagen können, ora, ora pro nobis flehte sie innigst mit zum Himmel gerichteten Augen, den Rosenkranz in der Hand.

So finde ich dich endlich, wie ich dich finden sollte, sprach Frau von Tournon, die in diesem Augenblicke hereintrat, um ihre Tochter zur Königinn abzuhohlen. Rufe die Heiligen immer an, daß sie vor Irrwegen dich bewahren mögen, denn ich vernahm so eben, daß der Marquis von Varambon sich hier im Gefolge Don Juans befindet. Ich komme hauptsächlich, um dich zu warnen; laß dieses wunderliche Zusammentreffen dich zu keinen thörichten Hoffnungen verleiten, es kann in deiner Stellung gegen ihn nichts verändern, das glaube fest; es kann nichts als für den Augenblick sie beschwerlicher machen. Denke stets daran, daß ich deine Schritte bewache, und jedes Vergessen von deiner Seite nach Verdienst zu bestrafen wissen werde. Sey auf deiner Huth, ich warne dich zum letzten Mahle, und nun folge mir zur Königinn.

Sobald die Königinn in der Kirche erschien, tönte eine rauschende Musik von Geigen und Hörnern durch das weite hohe Gewölbe und selbst in diesem, dem Herrn der Welten geweihten Tempel, leuchtete überall das Prunken irdischer Große und Herrlichkeit hervor, das jene Zeit so charakteristisch bezeichnet. Die Königinn strahlte mit der Sonne um die Wette; ein Firmament von Sternen, aus Perlen und Diamanten zusammengesetzt, umgab, gleich einem Heiligenschein, ihr wunderschönes Gesicht; ein reiches Gewand, gewebt aus Silber und orangefarbner Seide mit lang herabhängenden Aermeln, mit unzähligen Füttern, Bändern und Quästchen besetzt, zeichnete auf das vortheilhafteste ihren hohen üppigen Wuchs. Die blendend weißen Schultern waren allen Blicken Preis gegeben. Die Fürstinn war die erste, welche, im stolzen Bewußtseyn ihrer Schönheit, diese freye Art sich zu kleiden in Frankreich eingeführt hatte. Alle Damen, die auf Eleganz und Geschmack Ansprüche machten, beeiferten sich, ihrem Beyspiele zu folgen, nur Eglantine konnte sich nicht entschließen, eine Tracht anzunehmen, welche sie für unbescheiden hielt. Im Hause ihrer Schwester war sie an die damahls weit strengere Spanische Sitte von Jugend auf gewöhnt worden, und ging daher auch in Paris stets so sittsam verhüllt, als sie es bedurfte, ohne zu auffallend von dem allgemeinen Gebrauch abzuweichen. Auch dieses Mahl war sie ihrer gewohnten Art sich zu kleiden treu geblieben, in ihrem Gewande von blendend weißer Seide, einen Perlenkranz im lichtbraunen Haar, glich sie in der Mitte dieser prunkenden stattlichen Damen dem verspäteten Schneeglöckchen, das in ein Tulpenbeet sich verirrt hat, und dessen bescheidenen Reiz niemand bemerkt. Ihr ganzes holdes Wesen hatte ohnehin so wenig Blendendes, daß man in einiger Entfernung sie leicht übersehen konnte, und nur in der Nähe wußte ihre unbeschreibliche Lieblichkeit die Herzen zu gewinnen. Auch Varambon schien dieses heute zu finden, er saß in der Kirche ihr gerade gegenüber, seine Blicke schweiften zuweilen nach ihrer Seite hin, doch obgleich keine neidische Maske ihm dies Mahl ihre Züge verbarg, so war es dennoch, als ob er sie eben so wenig erkenne als am gestrigen Abend.

Immer noch, immer noch bemerkt er mich nicht, seufzte das liebende Mädchen, ach! was hilft es mir, ihm nahe zu seyn, wenn er nicht meine Freude darüber theilen kann. Mit kindlicher Unbefangenheit wagte sie es sogar, die heilige Jungfrau in dieser Herzensnoth anzurufen, und sie zu bitten, das Auge des Geliebten ihr zuzuwenden, dann schalt sie sich wieder, eben um dieses Gebethes willen, eine Sünderinn, die es wage, an heiliger Stätte irdische Wünsche zu hegen, und suchte das Nichtachten des Geliebten als einen Beweis seines frommen Sinnes sich auszulegen. So quälte sie sich hin, bis der Gottesdienst beendet war. Doch auch beym Herausgehen aus der Kirche bemerkte Varambon sie eben so wenig als vorher, obgleich sie dicht an ihm vorüberstreifte; und auch als sie bald darauf im Gefolge der Königinn den Speisesaal betrat, den Don Juan mit königlicher Pracht hatte ausschmücken lassen, fiel keiner seiner Blicke auf sie.

Bey der Mittagstafel speiste die Königinn mit Don Juan an einem besondern Tische, an welchem König Philipps stolzer Bruder sich von Spanischen Granden auf den Knien bedienen ließ. Für die übrigen Herren und Damen war in ehrerbiethiger Entfernung eine große Tafel bereitet, an welcher nach Spanischer Sitte die Damen an der einen, die Männer an der andern Seite saßen. Varambon hatte Eglantinen schräge gegenüber seinen Platz gefunden, zu weit von ihr entfernt, um mit ihr sprechen zu können, doch immer nahe genug, um sie deutlich zu sehen. Doch vergebens both sie auch jetzt alles auf, um seine Blicke sich zuzuwenden. Zwar suchte sie sich noch immer zu überreden, er habe wirklich sie bis jetzt noch nicht gesehen, aber es betrübte sie doch, und es ward ihr schwer, in dieser peinlichen Lage sich äußerlich ruhig zu verhalten, bis die Tafel aufgehoben ward.

Ein Ball, der bis zum Einbruche der Nacht sich verlängerte, folgte gleich nach der Mittagstafel. Die Königinn eröffnete ihn an der Seite ihres vornehmen Gastfreundes, mit einem jener ernsten Spanischen Tänze, die damahls überall Mode waren. Doch man hätte denken können, dieser Tanz sey von ihr deshalb erfunden worden, um die hohe Majestät ihrer Gestalt, die ihr eigenthümliche Grazie der Bewegung im hellsten Lichte zu zeigen. Lächelnd, wie die Göttinn der Liebe, ging sie anfangs an der Hand ihres Führers einige Schritte, der anmuthigste Ausdruck inniger Freude leuchtete auf ihrem wunderholden Gesichte, dann wandte sie plötzlich kalt und spröde sich wieder von ihm ab, und tanzte eine Weile allein, eine Juno an Gestalt und Ausdruck, bis die mannigfachen Verschlingungen des Tanzes sie ihrem Tänzer wieder zuführten, der jung, schön, und in der reichen Spanischen Kleidung, der Ehre wohl werth schien, neben dieser seltenen Frau sich zu zeigen.

Immer enger und enger drängte der Kreis der Zuschauenden sich zusammen, aller Augen hingen mit unverstelltem Entzücken an dem schönen Paare, als la Boessiere diese Zeit benutzte, um unbemerkt Eglantinen sich zu nähern, die er zu vermeiden geschienen hatte, seit Don Juan ihnen vor Namur entgegen kam. Habt Ihr keine Befehle für mich? mein Fräulein! habt Ihr Eurem treuesten Diener nichts aufzutragen? fragte er so leise, mit so weicher Stimme, als stände er am Todesbette eines sterbenden Freundes.

Eglantine sah mit einem Blicke voll unnennbarem Weh' lange zu ihm auf. Q ja – nein, nein, – und doch – erwiederte sie endlich in ängstlicher Verwirrung. Habt Ihr den Marquis gesehen, gesprochen? fragte sie zuletzt kaum vernehmlich.

Ich habe ihn gesprochen, er erkundigte sich nach Eurem Befinden, mein Fräulein, erwiederte la Boessiere mit gesenktem Blicke.

Wenn war das? Er hat mich also gesehen, erkannt? fragte Eglantine mit ängstlicher Hast.

Schon gestern, war die Antwort; er fragte nach Euch, noch ehe wir Namur erreichten, doch hat er mit keinem Auftrage an Euch mich beehrt.

Eglantine schwankte. Wieder fühlte sie jene Tiegerkralle, ihr das Herz zusammendrückend, Luft und Athem ihr raubend. La Boessiere sah ihr Erbleichen, er bath sie, ihm zu erlauben, sie außer dem Kreise zu einem Bogenfenster zu führen, wo sie unbemerkt einen Augenblick sich erhohlen könne. Das Stehen in der drückend schwülen Luft, von dieser Menge zusammengepreßt, greift sichtbar Euch an, mein Fräulein, sprach er bittend, ihr werdet immer bleicher, laßt, o laßt Euch zu jenem entfernten Sessel geleiten.

Ja, führt mich, führt mich, wo ich vor Allem, vor mir selbst mich verbergen kann, erwiederte leise die einer Ohnmacht sich nahe fühlende Eglantine. Doch nein, nein, rief sie plötzlich, und nahm gewaltsam sich zusammen, meine Mutter sieht nach uns herüber, ich darf nicht fort, ich bleibe, auch ist es vorbey! der Schwindel, meyne ich, der mich vorhin ergriff. Ich danke Euch für Eure Sorgfalt, guter la Boessiere, setzte sie gleichsam ihn verabschiedend hinzu, und so blieb ihm nichts weiter übrig, als stets zu ihrem Dienste bereit, sich in ihrer Nähe zu halten.

Mit einer Anstrengung von Kraft, die man einem so jungen Kinde kaum hätte zutrauen können, blieb Eglantine von nun an bey der Gesellschaft. Zwar weigerte sie sich, zu tanzen, aber sie hörte Alle, die sie anredeten, freundlich an, sie antwortete auch und zwang sich dabey zu lächeln. Viele in der Gesellschaft, welche sie früher in Arras gekannt hatten, und die das Verlangen, die Königinn zu sehen, nach Namur gezogen hatte, begrüßten sie als eine alte Bekannte und drückten ihre Freude darüber aus, sie hier wieder zu finden. Ihr ward bey dem warmen Antheile, den diese fremden Leute ihr bewiesen, als sterbe sie und freue sich zu sterben, besonders als Varambon einmahl mit einer kalten fremden Verbeugung sie aus der Ferne begrüßte, ohne den mindesten Versuch, sich ihr gleich den Andern zu nähern. Doch sie blieb auch hier standhaft, nur ein einziger ihn anklagender Blick ihres thränenschweren Auges, das sie schnell wieder von ihm abwandte, beantwortete seinen Gruß.

Endlich war der Ball beendet und die Gesellschaft im Begriff, auseinander zu gehen.

Frau von Tournon ergriff diesen Augenblick, um ihrer Tochter noch ein paar flüchtige Worte zu sagen. Ich bin im Ganzen mit deiner Aufführung zufrieden, sprach sie, obgleich ich wohl eigentlich dem Marquis von Varambon sie zu verdanken habe, der dir das Spiel ungemein erleichtert hat. Ist das der feurige Liebhaber, der bereit seyn sollte, für euch in den Tod zu gehen? Werdet ihr endlich jetzt anfangen mir zu glauben, wenn ich euch versichere, daß alle diese großen Leidenschaften, von denen ihr so viel Wesens macht, am Ende auf ein leeres Possenspiel hinauslaufen?

Mutter! Mutter! rief Eglantine mit dem Ausdrucke der tiefsten Verzweiflung.

Stille, stille, keine Scene, wenn ich bitten darf, fiel Frau von Tournon ein, glaubt nur nicht, mich treuherzig zu machen, glaubt nur nicht, daß ich nicht recht wohl begreife, wie diese berechnete Zurückhaltung von seiner Seite vielleicht nichts weiter als eine Maske seyn kann, um die scharfsehende Mutter irre zu führen. Unter meinen Augen spielt man den Kalten, um mich einzuschläfern, doch ich bin so leicht nicht zu täuschen, das soll der schlaue Herr Marquis zeitlich genug erfahren; ich vermag noch immer, die untere Seite der Karten zu unterscheiden, spielt euer Spiel so fein als ihr wollt.

Jugend, Liebe, arglose Unschuld, was wären die nicht alles zu glauben bereit! Die Worte der Frau von Tournon, so hart sie auch klingen mochten, gaben Eglantinen dennoch den einzigen Trost, für den sie in diesem Augenblicke empfänglich war, und gern hätte sie dafür ihre Knie dankbar umfaßt, wenn sie dieses gedurft hätte. Ja es mußte so seyn, die Mutter hatte Recht! Eglantine machte in ihrer Arglosigkeit sich sogar Vorwürfe darüber, diese einzig mögliche Entschuldigung des Geliebten nicht gleich in ihrem eigenen Gemüth gefunden zu haben. Sie durchlebte in Gedanken noch einmahl alle Stunden des eben beendeten Tages, es ließ sich nicht abläugnen, keine einzige derselben hatte den Liebenden nur eine unbelauschte Minute zum vertrauten Gespräche gebothen, überall und immer waren sie von fremden, kalten Augen umgeben geblieben.

In der Einsamkeit ihres Zimmers zog Eglantine wieder ihr liebes Bildchen hervor. Nein! diese edlen Züge konnten keinem treulosen Herzen zur Maske dienen; unter heißen Thränen bath sie es ihnen ab, daß sie so unnützer Weise sich selbst den Tag über gequält habe. Je länger sie, fern vom beängstenden Gewühle der Gesellschaft, Varambons Bild betrachtete, je deutlicher ward es ihr, daß sie eigentlich sein Bestreben, sich immer in gemessener Entfernung von ihr zu halten, ihm innig verdanken müsse. Denn wie wäre es ihm und ihr möglich gewesen, nach so langer Trennung sich in der Gesellschaft zu sprechen, und doch ihr Gefühl dabey genugsam zu bemeistern, um sich nicht zu verrathen? Sie hatte ja doch selbst bemerkt, wie die Blicke des Geliebten sie heut oft genug trafen; freylich wandte er sie sogleich wieder ab, sobald sie den ihrigen begegneten, doch das war ebenfalls eine sehr lobenswerthe Vorsicht von seiner Seite. Und daß er durch la Boessiere keine Bothschaft an sie gesandt hatte, war es auch, denn wie konnte er wissen, ob dieser Jüngling in den jetzigen Verhältnissen die alte Neigung und Ergebenheit ihm bewahrt habe?

Treue und Glauben hatten zu feste Wurzel in Eglantinens Gemüthe geschlagen, Wankelmuth und Verrath kannte die Unerfahrne nur dem Nahmen nach, wie die Gespenster, von denen in ihrer Kindheit die Amme ihr erzählt hatte. Sie hatte nie an diese glauben können, wenn gleich im Dunkel der Nacht oft ein Grauen davor sie ergriff, und dieses Grauen verschwand jedesmahl, sobald die Sonne wieder am Himmel stand.

Jetzt war es dasselbe; Varambon und seine Liebe waren die Sonnen ihres innern Lebens; Frau von Tournon hatte, ohne es zu wissen oder zu wollen, die nächtlichen Schatten zerstreut, die ihr jene einen Augenblick lang verdunkelten; klar und erwärmend gingen sie in ihrem Gemüthe wieder auf, und das fromme Kind sank vor dem kleinen Altare in dankbarem Gebethe hin, unter heißen Thränen, die fast Freudenthränen glichen, obgleich der alte Schmerz noch immer in ihrem Innern nachbebte. Ihr war wie Einem, der von großen Gefahren auf ganz unerwartete Weise gerettet ward; der aufgeregte Sinn vermag dann nicht gleich die Wahrheit dessen, was geschah, zu begreifen, und es wird ihm schwer zu glauben, daß alles überstanden und in der That nichts weiter zu fürchten sey.

Die Königinn hatte es dem dringenden Bitten des Don Juan nicht abschlagen können, noch einen Tag in Namur zu verweilen. Wie der vergangene, so begann auch dieser mit einem feyerlichen Gottesdienst, nach welchem aber den hohen Gast ein Fest erwartete, welches sich von denen der vorigen Tage unterschied, und dem Alle auf das fröhlichste zueilten. Eine prächtige Jacht lag am Ufer der Maas, um die Königinn und ihre Gesellschaft nach einer Insel zu führen, welche in einiger Entfernung mitten im Strome lag. Eine Menge hübscher Gondeln, geschmückt mit grünen Lauben, hochflatternden Bändern und Blumenkränzen umschwärmten das größere Schiff; aus einigen derselben ertönten Blasinstrumente in fröhlichen Weisen, in andern nahm der Theil der Gesellschaft Platz, der im Fahrzeuge der Königinn nicht Raum fand; zahllose Zuschauer jubelten längs dem Ufer, alles athmete Freude und Lebenslust. Mit den bunten Wimpeln, den schneeweißen Segeln spielten schmeichelnde Lüftchen; der Strom gab das Bild des über ihm sich wölbenden, tiefblauen Himmels treulich wieder, und die kleinen Wellen hüpften mit ihren vom Sonnenscheine vergoldeten Häuptern um die Schiffenden her, als wären sie neugierig, die zu sehen, welche sie auf ihrem Rücken im fröhlichsten Tanze den Strom hinabtrugen.

Die Mittagstafel war auf der Insel in einem großen, aus grünem Epheu erbauten Saale bereitet, den ringsum kleinere Lauben umschlossen, in welchen sich die Tafelmusik befand. Frische Blumenkränze prangten hier neben reichen Teppichen und allem Luxus jener verschwenderischen Zeit; überall sah man das Streben, königliche Pracht mit einer Art verfeinerter Ländlichkeit zu vereinen. Nach der Tafel vereinzelte sich die Gesellschaft in die Laubgänge und Boskets des Lustgartens, welcher über die ganze Insel sich erstreckte, und die geschäftige Dienerschaft bemühte sich indessen, den Speisesaal in einen Ballsaal zu verwandeln.

Jetzt, jetzt, dachte Eglantine mit klopfendem Herzen, jetzt ist der Augenblick da; in diesen dichten Laubgewölben, wo kaum die Strahlen der Sonne hindurch dringen können, wird er mich suchen, mich finden. Diese einzige, wahrscheinlich nie so wiederkehrende Gelegenheit, kann er ungenutzt nicht entfliehen lassen, wenn – wenn er mich noch liebt.

Varambons Benehmen war auch heute den ganzen Tag sich gleich geblieben, und obgleich Eglantine mit aller ihr nur möglichen Anstrengung sich bemühte, die Ansicht festzuhalten, welche sie gestern sich errungen hatte, so ward ihr dieses doch durch seine Gegenwart unendlich erschwert. Es schien ihr nur zu oft, als spiele er die angenommene Rolle der Gleichgültigkeit doch gar zu natürlich, und bange Zweifel stiegen von neuem in ihr auf, die sie kaum zu unterdrücken vermochte.

Aengstlich und freudig, hoffend und zagend, durchstreifte Eglantine jetzt ganz allein die abgelegensten Gänge und Lauben der Insel, nur la Boessiere, von ihr unbemerkt, folgte ernst und in sich gekehrt ihren Schritten, und suchte sie aus der Ferne immer im Auge zu halten.

Eglantine strebte soviel als möglich von der Gesellschaft ferne zu bleiben, um dem Geliebten das Zusammentreffen mit ihr zu erleichtern; bey jedem leichten Geräusch fuhr sie mit freudigem Erschrecken zusammen, doch immer umsonst. So ging sie lange umher und immer schwerer ward ihr Herz, immer trüber ihr Auge. Da schimmerte plötzlich Varambons Gestalt dicht neben ihr durch die Laubwand, er war ganz allein, nur eine dünne durchsichtige Hecke trennte sie von ihm, ein freudiger Schrey entschlüpfte ihren Lippen, sie rief ihn bey Nahmen – er aber wandte plötzlich sich ab, und ging mit eilenden Schritten den Gang hinunter. Sie konnte es sich nicht verbergen, er hatte sie gesehen, sie erkannt, und ihr Herz erstarrte in eiskalter Hoffnungslosigkeit.

Die Sonne sank dem Strome zu, Himmel und Wasser schienen in einem Feuermeer zu entbrennen, und die Gesellschaft suchte ihre Fahrzeuge wieder auf, um langsam stromauf der Stadt zuzugleiten. Alle waren heiterer und fröhlicher, nach dem Genusse dieses Tages; Eglantine allein saß still wie ein Marmorbild und nur der Abglanz des Abendrothes, lieh ihren todtenbleichen Zügen einen trügenden Anschein von Leben; kein Ton aus dem frohen, regen Treiben um sie her, schien ihr Ohr zu berühren. Erstarrt im Gefühle ihres tiefen Schmerzes, war ihrem Geiste jetzt sogar das Bewußtsein der Ursache ihres Leidens entschwunden, nur ein nahmenloses Weh war ihr geblieben, das, von ihrem Herzen ausgehend, in eiskalten Schauern durch ihr ganzes Wesen sich verbreitete. Das Schiff landete, mechanisch trat sie aus demselben, mechanisch folgte sie der Königinn und begab sich endlich in ihr Zimmer.

Alle, die am folgenden, zur Abreise von Namur bestimmten Morgen, Eglantinen erblickten, glaubten deren Schatten zu sehen, und fuhren erschrocken zurück; so todtenbleich waren die regungslosen Züge ihres Gesichtes, so schwankend ihr Schritt, so geisterartig ihre Haltung. Die sonst so rührende Gestalt hatte etwas unnennbar Grauenhaftes und Fremdartiges angenommen, selbst Frau von Tournon erschrak über ihren Anblick, und fühlte von Besorgniß um die Tochter sich ergriffen, doch ihre Grundsätze hielten sie ab, dieses zu äußern, und sich liebevoll nach Eglantinens Befinden zu erkundigen.

Während ihres Aufenthalts in Namur war Königinn Margarethe zu umringt gewesen, zu sehr mit Repräsentiren beschäftigt, um sich viel um Eglantinen bekümmern zu können. Sie gedachte ihrer wohl zuweilen, aber sie meynte, sie sey glücklich im Vereine mit dem Geliebten, und glaubte genug für sie zu thun, indem sie absichtlich Frau von Tournon so beschäftigte, daß diese fast keinen Augenblick übrig behielt, den sie hätte anwenden können, die Liebenden zu bewachen oder zu stören. Im großen Saale, wo Alle kurz vor der Abreise sich versammelt hatten, fiel Eglantinens verändertes Aussehen zwar auch der Königinn auf, doch sie schrieb es nur dem Schmerze über die Trennung von dem Geliebten zu, und es machte ihr weiter keine Sorge. Sie winkte Eglantinen freundlich, sich zu nahen, und diese, die heut immer schweigend ging und kam, wie man es wollte, folgte augenblicklich dem Winke. Seyd doch nicht so ganz ein Kind, Kleine! flüsterte freundlich die Königinn, und streichelte mit liebkosender Hand die eiskalte bleiche Wange des jungen Fräuleins, wir bleiben ja fürs erste hier in der Nähe. Euer Freund hat freylich bis jetzt nicht von euren Herzensangelegenheiten mit mir sprechen können, weil kein günstiger Augenblick sich dazu finden wollte, doch seyd darum gutes Muthes, und verlaßt Euch auf mein königliches Wort, Euer Glück soll dauerhaft begründet seyn, noch ehe wir nach Frankreich zurückkehren. Nun aber laßt auch das Köpfchen nicht mehr so sinken, und lächelt wieder wie sonst.

Eglantine wollte dem Befehle Gehorsam leisten, doch aus ihrem Bestreben zu lächeln ward die Geberde schmerzlichen Weinens, obgleich keine Thräne ihr starres, trockenes Auge mehr netzte.

In diesem Augenblicke flogen die Thüren auf, und Don Juan trat mit den Ersten seines Hofes herein, um die Königinn zu dem nähmlichen Fahrzeuge zu geleiten, auf welchem sie Tages zuvor die Luftfahrt nach der Insel gemacht hatte; denn es war von ihr beschlossen worden, auf der Maas bis nach Lüttich zu schiffen, das nur wenige Stunden von Spaa entfernt liegt. Don Juan verließ die Königinn nicht eher, bis Alle eingeschifft waren, dann ließ er sich wieder ans Land fahren. Die Königinn blieb indessen mit ihren Damen auf dem Verdecke stehen, Don Juan mit seinem Gefolge am Ufer. Abschiedsgrüße flogen hinüber und herüber, weiße Tücher flatterten in allen Händen, während das schön geputzte Schiffsvolk das Fahrzeug vom Lande abstieß.

Varambon stand mit mehreren Herren am Ufer, und betrachtete mit einem ganz eigenen ernsten Blicke das eben absegelnde Schiff. Was war das? sprach er gerade im Momente der Abfahrt, sichtbar erschrocken, zu dem neben ihm stehenden Don Ludwig von Gonzago. Hörtet ihr auch diesen furchtbaren langgezogenen Schrey, wie nur der entsetzlichste Schmerz ihn auspressen kann?

Don Ludwig lachte; Ihr hört immer sonderbare Dinge! erwiederte er, was wird es denn Großes gewesen seyn, irgend eine Dame, die sich einbildet, bey einer so gefährlichen Wasserfahrt sich ein wenig zieren zu müssen, oder eine Zofe, die das Schaukeln des Fahrzeuges aus dem Gleichgewichte brachte. Schreyen müssen die Frauen ein Mahl bey jeder Gelegenheit, das dächte ich, wüßtet ihr.

Varambon sah noch immer dem Schiffe nach, das jetzt pfeilschnell stromabwärts segelte, er schien Don Ludwigs Rede gar nicht beachtet zu haben. Der Schrey war furchtbar, sprach er halb für sich hin, es war ein entsetzlicher Ton, wie ich nie ihn gehört habe, und die Stimme – doch nein, das kann nicht seyn – diese süße rührende Stimme – es ist ganz unmöglich. Doch seht, Don Ludwig seht, wie alles auf dem Verdecke in Bewegung geräth, irgend etwas, ein Unglück muß geschehen seyn, alles sammelt auf einem Puncte sich zusammen, die Damen, seht, auch die Königinn, ich erkenne sie an ihrem feuerfarbenen Barett mit den hohen Federn. Seht, o seht, um Gotteswillen seht das Gedränge wird immer größer.

Ich sehe nur, daß die Königinn sich in die untern Regionen des Fahrzeugs begeben will, da sie doch nicht die ganze Reise über auf dem Verdecke stehen bleiben kann. Die Kajütentreppe ist ein gutes Theil schmäler, als die Haupttreppe im Pallaste, daher geht es dabey ein wenig enge her, und der Zug sieht von fern' etwas tumultuarisch aus, das ist das ganze Unglück, erwiederte Gonzago.

Ihr mögt Recht haben, ich sehe es jetzt selbst, die Damen steigen hinab, das Verdeck wird allmählig leer – seltsam war es aber doch und schauerlich. Gonzago schalt lachend seinen Freund einen Träumer und ritt mit den Uebrigen davon; Varambon aber blieb allein am Ufer, den Blick fest auf das Fahrzeug geheftet, das jetzt sehr schnell sich entfernte, bis es der Lauf des Stromes seinen Augen völlig entzog.


Noch ist es Keinem gelungen, alle die Tiefen zu ergründen, welche die menschliche Brust verbirgt; oder zu erforschen, wie es zugehe, daß ohne einander zu zerstören, die widersprechendsten Gefühle zu gleicher Zeit in einem und demselben Herzen Raum finden können. Viele behaupten: Liebe gränze an Haß, an Grausamkeit sogar. Dem weichfühlenden Gemüthe wird es schwer, dieses zu glauben, doch der Anblick dessen, was um uns hervorgeht, zwingt uns zuweilen die Ueberzeugung davon auf, und leider gehört auch die Geschichte des Fräuleins von Tournon zu denen, welche jene Behauptung bestätigen.

Varambon hatte Eglantinen wirklich geliebt, und liebte sie selbst dann noch, als er mit erfinderischer Grausamkeit sie zu quälen suchte; denn nicht seine Gleichgültigkeit gegen sie war der Feind, der ihr Leben vergiftete, sondern ungemessene Eitelkeit, die einen Grundzug seines Charakters ausmachte. Diese hatte schon zu dem ersten Entstehen seiner Liebe weit kräftiger mitgewirkt, als weder Varambon im Bewußtseyn eigener Vorzüge, noch die anspruchslose Bescheidenheit seiner Geliebten es anerkennen mochten. Denn Eglantinens Stellung in Arras, wo ihre Schwester gleich einer Fürstinn verehrt wurde, war sehr glänzend, und erhob sie damahls weit über ihres Gleichen. Wo sie erschien, ward sie als die Erste anerkannt, alles bestrebte sich, ihr zu gefallen und die Ueberzeugung: die Liebe eines so von allen Seiten ausgezeichneten Wesens sich erworben zu haben, mußte allerdings das stolze Gemüth des jungen Marquis entzücken und Eglantinen seine Treue sichern. Der Widerspruch seiner Verwandten entflammte vollends zur glühenden Leidenschaft, was vielleicht Anfangs nur das erste Erwachen eines, von der Natur feurigen, bis jetzt in mönchischer Beschränktheit vegetirenden Herzens gewesen war, um so mehr, da die Art, mit welcher jener Widerspruch ausgesprochen wurde, zugleich auch Varambons Stolz beleidigen mußte.

Der Wunsch, zum Besitze der Geliebten zu gelangen, vereinte sich in seinem Gemüthe mit dem, sich von den Fesseln eines Standes zu befreyen, der ihm verhaßt war. Das Betragen seines Bruders machte ihm dessen Vormundschaft unerträglich, die dieser weit über die natürlichen Gränzen derselben ausdehnen zu wollen schien, und so kam es, daß Varambon für seine Liebe und für seine Freyheit zugleich streiten mußte, und wahrscheinlich wußte er selbst nicht, für welche von beyden er damahls am eifrigsten kämpfte.

In Namur, am Hofe eines stolzen, geistreichen, Pracht und Vergnügen liebenden Fürsten, mußten Varambons Ansichten vom Leben und seine Ansprüche an dasselbe sich freylich unendlich erweitern, hier erst lernte er ganz erkennen, mit welcher Gewalt über die Herzen die Natur ihn beschenkt habe. Schönheit ist an sich schon ein offener Empfehlungsbrief an die Welt, der vom Throne bis zum Hüttendache anerkannt wird, und wer noch, wie Varambon, geistige Vorzüge mit ihr verbindet, der kann leicht verleitet werden, kein Ziel für zu hoch anzusehen. Ueberall öffneten dem glücklichen Varambon sich Thüren und Herzen, Don Juan überhäufte ihn mit Beweisen seines Wohlwollens, und von den Spanischen Damen, die der Glanz von Don Juans Hofe herbeygezogen hatte, breiteten die Schönsten unter den Schönen ihre Netze nach ihm aus. Alle kamen ihm entgegen, und ersparten ihm die Mühe, die ersten Schritte zu wagen, viele gewannen äußere Zeichen der Bewunderung ihm ab, aber keine gewann sein Herz, das immer noch Eglantinens gedachte. Wenn indessen gleich ihr Bild noch nicht völlig aus diesem verdrängt war, so fing Varambon doch wenigstens an, ihre ungemessene Liebe zu ihm ganz natürlich zu finden, und jene stille, an Dankbarkeit gränzende Verehrung der ersten Geliebten, verschwand allmählig vor dem Stolze auf eigene Vorzüge, deren er in Arras sich minder klar bewußt gewesen war, und die er jetzt, von außen so mächtig angeregt, geneigt wurde, gar sehr zu überschätzen.

Varambon hatte erfahren, daß er Eglantinen im Gefolge der Königinn Margarethe antreffen würde, und eilte mit fröhlich klopfendem Herzen vor dem Thore von Namur ihr entgegen. Er erkannte sie sogleich unerachtet der Maske, die ihr Gesicht ihm verhüllte, und wollte nur einen günstigen Augenblick abwarten, um sie anzureden; doch während er zögernd dastand, nahm die Königinn ihre Maske ab, um die Begrüßung Don Juans auf das Huldvollste zu erwiedern, vielleicht auch, um sich wieder einmahl des Eindruckes zu erfreuen, den ihr Anblick bey Jedem hervorbrachte, der sie zum ersten Mahle sah.

Varambon gehörte zu diesen, und vielleicht feyerte die oft gepriesene, wundervolle Schönheit Margarethens von Valois noch nie einen glänzenderen Triumph, als in jenem Augenblicke. Erstarrt, geblendet, kaum seiner selbst sich bewußt, stand Varambon vor einer Erscheinung, wie sie noch nie seiner reichen Phantasie vorgeschwebt hatte. Alles, was er früher liebte, bewunderte, erbleichte vor dieser strahlenden Sonne. Sein Herz blieb kalt dabey, denn er war kein so ganz eitler Thor geworden, um hier nicht die Schranken zu fühlen, die ihm gesetzt waren; es hielt ihn nur die reinste Bewunderung befangen, wie sie auch ein höchst vollendetes Kunstwerk erregen kann, aber dennoch war es in diesem Momente ihm unmöglich, in seinem Gemüthe noch andern Gefühlen Raum zu geben. Eglantinens bescheidene Anmuth ward tief in den Hintergrund zurückgedrängt, sie schien ihm neben ihrer Herrinn zu völliger Unbedeutendheit zurück zu sinken, und sein eitler, stolzer Sinn sträubte sich wirklich dagegen, sie in diesem Augenblicke als das anzuerkennen, was sie dennoch eigentlich ihm war.

Eglantinens Anblick in der Kirche eignete sich am folgenden Tage wenig dazu, seine Eitelkeit mit ihrer äußern Erscheinung zu versöhnen. Der milde Glanz ihres seelenvollen Auges, die rührende Anmuth ihrer zarten Gestalt gingen in dieser Entfernung an ihm verloren, und die zum Theil erkünstelten Reize, der, im reichsten buntesten Putze prangenden Damen, in deren Reihe er sie sah, überbothen das junge, einfach gekleidete Fräulein auf jede Weise.

Am Hofe, während der Mittagstafel ward Eglantine Varambons Auge wie seinem Herzen näher gebracht, der kurze Rausch war verflogen, in welchen der Anblick der Königinn ihn versetzt hatte, und von neuem begann die frühere Liebe in seiner Seele sich mächtig zu regen, als er Eglantinens liebevolle Unruhe über sein Benehmen in ihren Augen, in jeder ihrer Bewegungen las. Doch nun kam einer jener Teufelsaugenblicke über ihn, von denen es heißt, daß auch der Edelste nicht sicher sey, einmahl in seinem Leben von einem solchen ergriffen zu werden. Varambon fing an, einen stillen Genuß in der Qual des liebenden, und auch geliebten Wesens zu finden, und leider war der Dämon Eitelkeit in ihm mächtig genug, um diesen Teufelsaugenblick zu Stunden und Tagen auszudehnen. Die innige, heiße Liebe Eglantinens, welche ihr ganzes Wesen nur zu deutlich ihm offenbarte, zog mächtig ihn zu ihr hin, aber die Gewißheit, ihren gränzenlosen Schmerz, sobald er es wolle, in noch gränzenlosere Freude auflösen zu können, hielt ihn immer wieder von ihr entfernt. Oft stand er im Laufe dieses und des folgenden Tages im Begriffe, das grausame Spiel zu enden, welches mit seltsamer schmerzlicher Wonne ihn erfüllte, doch immer flüsterte der Dämon, dessen Gewalt er hingegeben war, ihm zu: daß dazu noch immer Zeit übrig seyn würde. Je größer, je länger der Schmerz, dachte Varambon, je entzückender die Freude.

Als Eglantine die Schattengänge jener Insel in sehnsuchtsvoller Unruhe durchstreifte, als sie seiner ansichtig ward, und bey Nahmen ihn rief, da siegte Varambons besseres Selbst über das Phantom, das so lange ihn verblendet hatte; er war im Begriffe, durch das Gebüsch, welches ihn von ihr trennte, hindurch zu dringen, doch indem ward er la Boessiere gewahr, der, von Eglantinen ungesehen, ihren Schritten folgte. Nur vor wenigen Stunden noch hatte Varambon gegen diesen, seinen ehemahligen Vertrauten, das vollkommenste Vergessen der früheren Liebe zur Schau getragen, und es war ihm unmöglich, sich zu entschließen, gerade diesen zum Zeugen seiner reuevollen Wiederkehr zu machen. Varambon wendete sich und entfloh, um sich von seinem Herzen nicht hinreißen zu lassen, und mit ihm entfloh der nie wiederkehrende Augenblick, mit dem wir alle besser haushalten würden, wenn wir immer bedächten, wie leicht von der Anwendung desselben das künftige Wohl eines ganzen Lebens, ja dieses Leben selbst, abhängen kann. Denn nie wird das Unglück langsam zur Welt geboren, schnell, wie der Blitz die Wolken theilt, trifft es das ihm geweihte Haupt, der nächste Augenblick vor dem Schlage gehört diesem noch nicht an, und wohl benutzt, vermag er es vielleicht, ihn noch abzuwenden.

Als Varambon Eglantinen das Schiff besteigen sah, das sie von ihm aufs neue entfernen sollte, fühlte er sich zu spät von schmerzlicher Reue ergriffen. Zwar suchte er sein aufgeregtes Gemüth mit der Überzeugung zu beschwichtigen, daß es noch immer in seiner Macht stehen würde, sie sobald er es wolle, in Lüttich aufzusuchen, aber er vermochte es dennoch nicht, die Unruhe, welche ihn heimlich quälte, zu besiegen. Der Gedanke, daß Eglantine, über sein letztes Betragen empört, ihn unerbittlich abweisen könne, fand indessen in seiner Seele keinen Raum, obgleich er sich es eingestehen mußte, sie schwer beleidiget zu haben. Er war trotz seines reuigen Gefühls zu sehr von der Stärke des Eindruckes überzeugt, den er auf ihr weiches Herz gemacht hatte, um so etwas befürchten zu können. Nein! sprach er triumphirend zu sich selbst, eine Liebe wie die ihrige überwindet Alles, sie rechtet nicht, sie richtet nicht, sie sieht nur den Geliebten, nicht seine schuld. Forza d'amore non risguarda al delitto.

Doch nun verlor er das Schiff völlig aus den Augen; pfeilschnell fuhr es dahin vom Strome getragen, und plötzlich dehnte die zwischen ihm und der Geliebten immer wachsende Kluft sich vor ihm bis ins Unendliche aus. Ihm wurde zu Muthe, als werde er nie sie wieder sehen; ergriffen von einer ihm unerklärlichen Angst, glaubte er überall von Eglantinens schwankender, bleichen Gestalt sich verfolgt, so wie er sie gesehen hatte, als sie das Fahrzeug bestieg: immer hörte er, wie sie das letzte Mahl auf der Insel ihn bey Nahmen rief, und auch jener herzzerreißende, wilde Schrey, der im Moment der Abfahrt ihn erschreckt hatte, vermischte sich auf schauderhaft seltsame Weise mit dem süßen Klange ihrer sanften, rührenden Stimme, obgleich keine Aehnlichkeit zwischen beyden Statt finden konnte. Seine aufgeregte Phantasie ließ nicht ab, mit grausenhaften Bildern ihn zu verfolgen, die um so mehr ihn ängstigten, je unendlicher sie vor seinem innern Sinne standen; er fand keine Ruhe, weder am Tage noch bey Nacht, und immer peinlicher ward die Sehnsucht, Eglantinen nur zu sehen, die gleich einem bösen Gewissen ihn verfolgte.

Mühsam ertrug er zwey Tage lang diese Qualen, am dritten vermochte er es nicht länger; auf sein dringendes Bitten gewährte Don Juan ihm die Erlaubniß, nach Lüttich zu reisen, und beehrte ihn zugleich mit einigen Aufträgen an die Königinn Margaretha, die bey dieser als eine Art von Motiv seines Besuchs gelten konnten. In der nächsten Stunde darauf saß Varambon schon zu Pferde, und eilte rastlos zum Ziele, zu welchem Sorge, Liebe und Reue ihn trieben. Immer deutlicher wurde ihm die Unmöglichkeit, fortan ohne Eglantinen zu leben, und all' sein Denken und Trachten ging so lange er unterwegs war, einen Plan zu ersinnen, wie er den alten Groll aus Frau von Tournon Gemüthe verdrängen, und sie geneigt machen könne, die Hand ihrer Tochter seinem Bitten zu gewähren.

In duftiger Ferne stiegen endlich Lüttichs zahlreiche alte Thürme vor ihm auf. Es war ein heiterer heller Nachmittag, die Sonne stand noch hoch am Himmel, und die Menge der vergoldeten Kreuze und Fähnchen au den Zinnen der Kirchen und Klöster, blitzten im Sonnenscheine, gleich so vielen Sternen, ihm ahnungsvoll entgegen. Die laut ihn umwehende Luft trug das langsam feyerliche Geläute vieler Glocken von der Stadt bis zu ihm hin; alles verkündete ihm die Nähe des ersehnten Zieles, und seine feurige Ungeduld stieg unaufhaltsam während ein seltsam ängstliches Grauen ihn beschlich. Er spornte sein edles Roß zum wildesten Fluge über die Ebne, die noch zwischen ihm und dem Thore von Lüttich lag; seine minder gut berittene Dienerschaft vermochte nicht, ihm zu folgen, er kam allein an demselben an, und schlug sogleich die ihm wohlbekannte Straße ein, welche zu dem bischöflichen Pallaste führte, den die Königinn während ihrer Anwesenheit in Lüttich bewohnte.

Sein Weg führte ihn nahe an der Domkirche vorüber, doch indem er dieser sich nahete, hemmte ein ungewöhnliches Gedränge vieler Menschen ihn im schnellen Vorwärtskommen. Aus allen Häusern, allen Nebenstraßen eilten immer mehr Leute herbey, dabey dröhnten die großen Glocken noch immer von den hohen Thürmen mit feyerlichem Klange herab, die Luft weit umher war in dieser Nähe in eine ganz eigene zitternde Bewegung dadurch gerathen; Chorgesang aus der Ferne mischte sich in das Glockengeläute. Varambon fühlte von dem allen sich sonderbar betäubt und beklommen, er vermuthete in irgend eine Prozession hinein gerathen zu seyn, deren diese fromme Stadt alljährlich unzählige feyert, und suchte vergeblich einen Ausweg aus dem immer sich vergrößernden Gedränge.

Endlich sah er die hoch über viel tausend Köpfe emporragenden, mit Heiligenbildern geschmückten Fähnlein langsam auf sich zukommen, und war nun gewiß, in seiner Vermuthung sich nicht geirrt zu haben. Eine große Blumenkrone, die wahrscheinlich den Baldachin schmückte, der über dem Bilde des Heiligen des Tages schwebte, bewegte sich zwischen den Fahnen, und immer deutlicher ertönte der Gesang der Priester und Chorknaben, die Glocken läuteten in immer feyerlichern Pausen.

Ergriffen von einem ganz eigenen Angstgefühle suchte Varambon lange vergeblich einen Ausweg; das Gedränge um ihn her ward dichter, er sah sich sogar genöthigt, nahe am Portale der Kirche, einige Augenblicke zu halten. Wer ist denn der Heilige, dessen Fest heute hier gefeyert wird? fragte er, halb unmuthig, einen neben ihm stehenden Bürger. Es ist kein heiliges Fest, Herr! erwiederte dieser, es ist ein Begräbniß.

Varambon fühlte bey diesen Worten sich von unbeschreiblicher Angst ergriffen. Er sah und hörte nichts weiter, er stieß seinem Pferde die Spornen tief in die Seite; schreyend flohen die, so am nächsten ihm standen, vor dem wilden Springen des gereizten Thieres auf die Stufen, die zur Kirche hinaufführten; in einem Augenblicke hatte Varambon Raum gewonnen, im nächsten hielt er mitten in den langen Reihen der Priester, der Chorknaben, der in Crepp gehüllten Leidtragenden, dicht vor einem Sarge. Vier Jünglinge von edlem, vornehmen Ansehen trugen die Todtenbahre, auf welchem er ruhte, ein schneeweißes Leichentuch war über den Sarg hingebreitet, ein ganzer Frühling duftender Blumenkränze schmückte ihn von allen Seiten, und oben auf dem Deckel ruhte die bräutliche Krone aus weißen Rosen und Lilien geflochten.

Wer ists? wer ists? rief Varambon mit verwildertem Tone und Blicke.

Wir begraben das Fräulein von Tournon, antwortete langsam feyerlich der vorderste der Träger, und ihr gebrochenes Herz, setzte er mit einem durchbohrenden Blick hinzu, indem er Varambon erkannte.

Der Träger war la Boessiere. Wie vom Blitze getroffen, stürzte Varambon vom Pferde herunter. Einige der Umstehenden nahmen ihn auf, und trugen ihn für todt in ein nahes Haus.


Die Schuldlose, Reine, hatte vollendet. Die liebliche, kaum der Knospe entwachsene Blume, war dem schonungslosen Spiel eines Uebermüthigen gefallen, und weder Reue noch Thränen vermochten es, sie wieder ins Leben zu rufen. Eglantine trug schon den Tod im hoffnungslos verarmten Herzen, als sie das Schiff bestieg, noch einmahl wandte sie das, von seiner kalten Hand umdüsterte Auge nach dem Ufer hin, wo Varambon, anscheinend ohne Theilnahme, ihrer Abreise zusah, und erlag endlich der Last, die sie so lange getragen.

Alle Martern ihrer Brust, alles Weh' ihres kurzen schuldlosen Lebens rief sie in einem einzigen langsam verhallenden Jammerton, zum ersten und letzten Mahle dem Himmel, der Erde laut zu, und sank dann regungslos zu Boden. Ihre Hand lag krampfhaft fest auf dem brechenden Herzen; den ganzen Tag hindurch bemühten die Leibärzte der Königinn sich umsonst, sie wieder ins Leben zu rufen. Als endlich jede Hoffnung aufgegeben werden mußte, übernahm es der treue la Boessiere, die schöne Hülle ihres entfesselten Geistes nach Lüttich zu begleiten, wohin die Königinn ihr bald folgte. Keine Feste, die ernsten Veranstaltungen zur feyerlichen Bestattung des liebenswürdigsten Wesens, waren dort der Fürstinn erstes Geschäft. Mit eigener Hand wand Margarethe den jungfräulichen Myrtenkranz um das Haupt der Todten.

Schöne bleiche Lilie, liebes freundliches Kind, fahre wohl, sprach sie weinend, die Welt mit ihrer Schuld und ihrer Qual liegt nun weit hinter dir. Ach! wer auch wie Du, rein von allem Fehl, schon hinüber geschlummert wäre! Frey von jedem Makel, dem es auf der fernern Lebensbahn so schwer ist auszuweichen! setzte die Königinn, aus tiefster Brust erseufzend, leise hinzu, und wandte unter einem Strome heißer Thränen sich ab, um sich einsam in ihrem Cabinete zu verschließen.


Varambon lag in todtenähnlicher Betäubung mehrere Tage lang. Endlich erwachte er wie aus tiefem Schlummer, und sah anfangs mit Verwunderung in den kleinen, schmucklosen Zimmer eines geringen Bürgerhauses sich um, in welchem er Obdach gefunden hatte, ohne es zu wissen; doch bald kehrten Erinnerung und Bewußtseyn ihm wieder. Mit Entsetzen erblickte er an seinem Bette eine Gestalt, die mit furchtbar ernstem Blicke ihn bewachte. Die röthlichen Strahlen der untergehenden Sonne fielen eben durch die kleinen, buntbemahlten Fensterscheiben und beleuchteten seltsam das dunkle Haar, die bleichen, regungslosen Züge des vor ihm Stehenden; die schräge Richtung der farbigen Lichtreflexe gaben ihm das Ansehen übernatürlicher Größe und Hoheit. Varambon erbebte, er glaubte den Engel des Gerichts zu sehen, der gekommen sey, ihn abzurufen; ächzend verbarg er sein Gesicht, innere Angst trieb ihn, die Schreckenserscheinung noch einmahl zu betrachten, und er athmete erleichtert auf, da er jetzt sie erkannte.

Ihr seyd es, la Boessiere, sprach er mit matter Stimme und streckte mühsam die Hand nach ihm aus, Ihr, von dem ich am wenigsten dies erwarten durfte; Ihr allein habt in meinem tiefen Jammer mich nicht verlassen!

Mit dem Ausdrucke des Abscheus wies la Boessiere die ihm dargebothene Hand von sich ab, lange konnte er vor innerer Bewegung keine Worte finden. Endlich rief er; ja ich bin bey dir geblieben, ich allein habe dich gerettet, als dich alle für todt hielten und mit dir zum Grabe eilen wollten. So wohlfeilen Kaufs durftest du mir nicht davon kommen. Ich habe bey dir gewacht. Tag und Nacht habe ich deiner gepflegt, mit Gott habe ich gerungen im Gebeth für deine Erhaltung, damit ich Rechenschaft über deine That von dir fordern könne, Rechenschaft von dem Leben jener Verklärten, die dein frecher Uebermuth gemordet hat.

Varambon erbleichte, von neuem schien er das Bewußtseyn verlieren zu wollen, doch la Boessiere faßte ihn mit starker Hand, als wolle er aus seiner Betäubung ihn gewaltsam aufrütteln.

Stirb nicht! rief der Furchtbare ihm zu; sein Gesicht glühte, seine Augen sprühten Flammen. Stirb nicht, du darfst noch nicht sterben! meine Mühe, dich vom Tode des Lebendigbegrabenwerdens zu retten soll mir nicht unbelohnt verloren gehen. Gerechter Gott, laß diesen Sünder noch nicht sterben! rief er halb wahnsinnig vor Zorn, als Varambon dieser entsetzlichen Erschütterung beynahe unterlag, laß mir Zeit zur Rache, zur wohlverdienten Rache an ihm!

Kaltes Entsetzen rieselte dem schuldbewußten Varambon durch Mark und Gebein, aber es war, als ob diese neuen Schrecken seinen Nerven die verlorne Spannkraft wiedergeben wollten, statt sie zu lähmen. Errichtete ohne fremde Hülfe auf seinem Lager sich auf, mit weit stärkerer Stimme, mit viel festerem Blicke, als man in seinem gegenwärtigen Zustande es ihm hätte zutrauen können, rief er: vollende! ich bin müde zu leben; nimm meinen eigenen Dolch, der dort neben dir liegt, ende meine Qual, ich wünsche mir den Tod, mit sterbender Lippe will in meinem letzten Augenblick als meinen Wohlthäter dich segnen.

Elender! erwiederte la Boessiere! mit unaussprechlicher Verachtung in Blick und Ton, deine Seele hat keine Ahnung von dem Umfang deines Verbrechens, keinen Begriff jener heiligen, unendlichen Liebe, die du im frechen Uebermuthe gemordet hast; wie könntest du sonst ohne Verzweiflung den Gedanken ertragen, vor den ewigen Richter schon in der nächsten Stunde zu treten? Du weißt nicht, du ahnest nicht, welch ein Herz unten deinen Mißhandlungen gebrochen ist. Ich aber weiß es, ich kann ermessen, was Eglantine litt, denn ich habe gelitten wie sie. Sie habe ich geliebt, wie diese Heilige dich, Ungeheuer, liebte, und darum bin ich allein von allen Lebenden auf Erden berufen, ihr Rächer zu seyn. Varambon, fuhr er nach kurzem Innehalten fort, in deine Hände legte ich das höchste Kleinod der Welt, das Glück dieses heiß geliebten Wesens! wo ist Eglantine, was ist aus ihr geworden? ich fordere sie von dir. Ich sah, was du ihr warst, ich entsagte für mich jeder Hoffnung, ich wollte nur sie glücklich sehen, und dann still unbeachtet in meinem Schmerze vergehen. Nie ist eine Ahnung von dem, was ich für sie fühlte, in ihre Seele gekommen; unter Todesqualen habe ich ihr gegenüber, über meine Blicke, meine Worte, gewacht. Ich ernannte mich selbst zum Schutzgeist eurer Liebe, ich bewahrte, ohne daß sie es ahnen durfte, eure seligsten Stunden vor jeder äußern Störung, ich brachte ihr Nachricht von dir, als sie von dir getrennt war, und achtete der Qualen nicht, die ich dabey litt. Freuen konnte ich mich nicht mit ihr, aber ihre Leiden trafen auch meine Brust. Alle Martern, mit welchen du das weiche edelste Herz zerrissen, gebrochen hast, habe ich tausendfach mir ihr gefühlt. Endlich sah ich sie sterben, meine Arme trugen sie der letzten Ruhestätte zu, ich überlebte es nur, um dieser Stunde der Rache willen, die nun gekommen ist.

La Boessieres Zorn entflammte sich immer gewaltiger, je länger er sprach; seine Züge veränderten sich, sein Auge flammte, und fast mechanisch ergriff seine Rechte den Dolch Varambons, der neben ihm lag, und schwang ihn hoch über dem Schuldigen.

Stoß zu, vollende dein Werk, rief Varambon, laß irdisches Fehlen auf Erden mich büßen, sende der Verklärten mich nach, die dort, mir vergebend meiner harrt, vollende ihre Seligkeit, indem du für alle Ewigkeiten uns mit einander vereinst.

La Boessiere erbleichte, sein Haar sträubte sich vor innerm Grausen: die Hand, in der er den Dolch hielt, sank zitternd an ihm herab, und voll Entsetzen haftete er den starren Blick auf seinen wehrlosen Feind.

Dort oben sind Haß und Rache unbekannt, sprach Varambon, wie begeistert zum Himmel blickend. Dort werden unsere Vergehungen nicht nach den Folgen gerichtet, die wir menschlich irrend und absichtslos durch sie herbeyführten, das weiß ich seit jener Stunde, in der mein Geist, die irdischen Bande verlassend, zu ihr sich hinauf schwang. Ihr glaubtet mich todt, warum ließest du mich nicht begraben, meine Seele war bey ihr, wer erlaubte Euch mit grausamer Kunst sie wieder in ihren Kerker zurück zu rufen? Ich sah Eglantinen, von lichten Silberwölkchen getragen, hoch über mir schweben, ich wand mich tief unten im Staube, ihr himmlisches Auge lächelte mir Versöhnung zu, ihre Hand winkte mir, so schwebte sie hinauf zu den Pforten des ewigen Lichts, hellglänzende Sterne bezeichneten ihre Bahn; Wiedersehen, Wiedersehen tönte es um mich her; ob sie es sprach, ob Engel es sangen, ich weiß es nicht!

La Boessiere stand regungslos, noch immer das starre Auge auf seinen Feind gerichtet. Ich darf nicht Hand an mich legen, und doch kann ich nicht leben, o sende, sende ihr mich nach, bath Varambon.

La Boessiere regte sich nicht, Todtenstille herrschte rings umher. Endlich athmete er hoch auf, wie ein aus tiefen Träumen Erwachender. Ob du, feige vor dem Tode zitternd, diese List ersannst, um dich zu retten, sprach er sehr ernst, ob du von deinem erwachenden Gewissen zum Wahnsinn getrieben, diese Erscheinung dir träumest, oder ob – – er verstummte plötzlich und hob, wie bethend, das glänzende Auge zum Himmel.

So mag Gott denn richten zwischen dir und mir, sprach er endlich, ich wenigstens will den Weg zum Throne seiner Barmherzigkeit dir nicht eröffnen; lebe und siehe selbst zu, wie du es anfangen willst, nach allem Geschehenen das Leben zu tragen.

La Boessiere legte den Dolch nieder und ging, ohne den laut verzweifelnden Varambon noch eines Blickes zu würdigen. Er verließ von Stunde an den Hof der Königinn, und suchte und fand bald darauf unter den Fahnen Heinrichs von Navarra einen ehrenvollen Tod in der Schlacht.

Varambon genas; man sagt, er habe noch lange gelebt, doch ihm sey ferner weder im Leben noch im Tode nachgefragt.

 

Ende.

 


 << zurück