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Frühlingsliebe.

Mein Vater war ein Landprediger. O wie schön, wie unbeschreiblich lieblich lag unser Dörfchen, in einem weiten, von romantischer Gebirgswelt umgebenen Thale, am Ufer eines klaren Sees, zu welchem die Bächlein von den Bergen lustig hinabtanzten, und dessen blaue Fläche mehrere grüne Inseln belebten! Unsere Wohnung war hell, geräumig und freundlich. Sie lag mitten in einem großen Garten, voll Blumen und prächtiger Bäume, deren Gipfel mir bis in den Himmel zu ragen schienen; dunkle, schattige Laubengänge mit Reben, Aprikosen und duftendem Jelängerjelieber umgaben ihn von allen Seiten. Hyacinthen, Aurikeln, Anemonen, ein ganzes Heer bunter strahlender Tulpen schmückten im Frühlinge die Beete, nahe an dem von Säulen getragenen ländlichen Vordach unseres Hauses, um das der Epheu und die Waldrebe mit zarten Ranken sich anklammerten. Hohe Rosenstöcke mit blühenden Orangenbäumen in bunter Reihe gepaart, ließen im Sommer, wenn jene zarten Bothen des Frühlings verblüht waren, uns sie nicht vermissen.

Wir waren sehr wohlhabend und wohnten im eigenen, von meinem Vater selbst neu eingerichteten Hause, das zu einem ziemlich bedeutenden Gute gehörte, dessen Eigenthümer er ebenfalls war. Das Pfarrgebäude hatte er gleich beym Antritt der Predigerstelle, der alten kinderlosen Witwe seines Vorfahren und dem Schullehrer eingeräumt. Ein wunderbar verflochtenes Geschick, aus welchem zuletzt eine unwiderstehliche Neigung zu einem stillen, aber dennoch der Welt nützlichem Daseyn, in unbemerkter ländlicher Abgeschiedenheit sich entwickelte, hatte im Sommer des Lebens ihn bewogen, fern von dem Lande, wo er geboren, den Stand eines Landpfarrers sich zu erwählen, und um die Stelle sich zu bewerben, die er jetzt bekleidete.

Meine fromme schöne Mutter mochte wahrscheinlich an diesem wichtigen Schritt ihres Gatten großen Antheil gehabt haben. Meine liebe, liebe Mutter! sie hieß Angelica; ich habe leider sie, und auch meinen Vater schon in meinem fünfzehnten Jahre verloren, aber ihr freundliches Bild kann keine Zeit in meinem Innern verlöschen. Nie hatte sie unser stilles Dörfchen verlassen, in welchem sie geboren war; alles, was sie je von der Außenwelt gesehen hatte, umfaßte ein Umkreis von zwey Stunden rings um dasselbe her; was sie von höherer geistiger Bildung besaß, verdankte sie einzig und allein ihrem frühesten Freunde, meinem Vater, der mit ihrer Hand den Entschluß, auf dem Lande zu leben, auf immer ergriff.

Mein Vater war ein großer, sehr ernster, stattlicher Mann, von edlem gebiethenden Ansehen. Bedeutend älter als meine Mutter, lebte er dennoch nur in ihr und für sie, und konnte aus liebender Sorge für die angebethete Frau sich nie dazu entschließen, das schöne Gleichgewicht ihres milden Wesens auch nur durch die kleinste Veränderung in ihrer äußern Lage zu erschüttern.

Die innige Liebe meiner Aeltern, das ungewöhnlich zarte Zuvorkommende in ihrem Benehmen gegen einander, ließen mich die Art ihres Verhältnisses, und auch wohl überhaupt das ganze Menschenleben auf Erden in einem erfreulicheren höheren Lichte sehen, als mir wahrscheinlich für meine Zukunft gut gewesen seyn mag. Ich wuchs auf in einem vollkommen ideal gehaltenen Daseyn, ohne das Mindeste von der übrigen Welt und ihren beengenden kleinlichen Rücksichten und Convenienzen gewahr zu werden. Meine Aeltern hatten durchaus keinen Umgang, weder mit den Pfarrern noch den Gutbesitzern in der Nachbarschaft. Die isolirte Lage unseres Dörfchens trennte uns ohnehin um mehrere Meilen von Allen. Zu uns kam Niemand, außer Unglückliche, die bey meinem Vater Hülfe suchten und erhielten, und dann die Bewohner unseres Dorfes und der ländlichen Hütten, längs dem reich angebauten Ufer unseres Sees, deren Knaben meine Spielcameraden waren.

Wer wäre so arm, daß er nicht gern der Tage seiner Jugend gedächte, und bey der Erinnerung an sie mit gerührtem Gemüthe verweilte? Die meinige aber war ein reiner Abglanz des Himmels, viel zu reich, um der Vorhof eines beschränkten Menschenlebens zu seyn. Sie steht von meinen übrigen, ihr folgenden Jahren ganz abgesondert und in sich vollendet da, ein leuchtender herrlicher Stern, zu dem ich noch immer voll Sehnsucht zurückblicke. Soll ich, mein Freund, einen der lieblichsten seiner Strahlen dir näher zu leiten versuchen?

Mein vierzehnter Geburtstag war angebrochen, und um ihn nach meiner Art recht fröhlich zu begehen, suchte und erhielt ich die Erlaubniß schon am frühen Morgen, ganz allein mit mir selbst auf eine Entdeckungsreise auszuziehen. So nannte ich die Spaziergänge, auf denen ich, seit ich ein wenig herangewachsen war, mich ganz planlos, ohne Führer und bestimmten Zweck, in dem nahen Gebirge vertiefen durfte, zuweilen fünf bis sechs Stunden weit von meinem väterlichen Dache. Mein Vater erlaubte gern und ohne Sorge um mich, mir diese Freude, weil es, wie er sagte, dem Knaben gut sey, wenn er früh lerne, die eigene, von Gott ihm verliehene Kraft zu üben, und sich selbst in mißlichen Lagen zu helfen. Meine gute Mutter blickte freylich mir anfangs ein wenig ängstlich nach, wenn ich so allein auszog, meinen kleinen Tornister auf dem Rücken. Nachdem sie mich aber mehrere Mahle und immer gesund und froh wiederkehren gesehen hatte, ergab sie sich endlich darein; gewöhnte sich daran, mich ohne Aufsicht und Schutz auswandern zu lassen, versäumte aber nie, mir viel Warnungen vor möglicher Gefahr mit auf den Weg zu geben, die ich mit kindlichen herzlichen Liebkosungen erwiederte, mir aber gewöhnlich aus dem Sinn schlug, ehe ich noch von unserm Hofe herunter war.

Bey diesen kleinen Fußreisen, war ich von jeher immer gerne allein gewesen, und selbst meine liebsten Spielcameraden drangen vergebens in mich, sie mitzunehmen. Denn eine geheime Wunderahnung, die innere schönste Poesie eines jugendlichen Herzens, regte, mir selbst unbewußt, die lichten Strahlenflügel in meiner Brust, und trieb mich fort, weit über Berg und Thal. Ach! und an jenem Morgen, den ich mir jetzt mit Entzücken wieder herauf rufe, wie war alles so über die Maßen herrlich und freundlich, wie war die Sonne so hell, und das Leben in mir und um mich her so klar und froh! Der unbeschreibliche, nur zu schnell schwindende Zauber des neuen frischen Jugendblickes, zeigte mir, wohin ich mich wandte, ein blühendes, an Freuden überschwenglich reiches Paradies.

Was ich längst mir vorgenommen, wollte ich dieses Mahl, meinem Geburtstage zu Ehren, ausführen, darum hatte ich früher als gewöhnlich mich auf den Weg gemacht. Ein seltsam gestalteter Fels auf der fernsten Seite des, unser Thal und unsern See umziehenden Gebirges, dem ich noch nie genaht, hatte schon längst den Wunsch in mir rege gemacht, ihn zu ersteigen, um zu schauen, wiewohl die hinter ihm liegende Welt aussehen möge. Um mir den Weg abzukürzen, ruderte ich in meinem kleinen Nachen den stillen See entlang, der im Abglanze der Morgenröthe gleich einem Meere geschmolzener Rubinen schimmerte. Ich band jenseits den Kahn am Ufer fest, und begann jetzt auf ziemlich ungebahntem Pfade aufwärts zu steigen.

Bald war der Gipfel der Felsen erreicht, den ich zum Ziele meiner Wanderung mir ersehen; er both mir eine entzückende Aussicht über den See und dessen reich bebaute, in Frühlingspracht blühende Ufer, die ich aber von andern Puncten aus, schon oft gesehen hatte. Was ich eigentlich hier suchte, einen Blick in das auf der andern Seite, jenseits der Berge liegende Thal, gewährte er mir nicht. Um diesen doch endlich zu entdecken, kletterte ich von einer Felsenspitze zur andern, durch enge Schluchten hinab, dann wieder steile Felsenspitzen hinauf, und verlief mich, ohne darauf zu achten, immer weiter und weiter. Ehe ich es gewahr geworden, hatte sein immer breiter und bequemer werdender Pfad mich aufgenommen und endlich abwärts geführt; ich drängte durch eine Hecke mich durch, die mir im Wege stand, und sah mich plötzlich auf der durch Kunst planirten Fläche eines nicht sehr hohen Felsens, neben mir einen kolossalen Blumenkorb voll hoch aufgeschossenen Blumen, dicht an diesem einen bequemen Gartensitz, von duftenden fremd blühenden Rankengewächsen umkränzt, die in den Spalten des Felsens von selbst und ungepflanzt zu wurzeln schienen. Ein sehr bequemer Pfad führte von diesem noch tiefer zu einem wunderlieblichen Plätzchen hinab, wie ich noch keines gesehen. Ein von kunstreicher Hand zwischen den Felsengruppen in mannigfaltigen Schattirungen geordneter Kreis; herrliche Bäume umschatteten ein Marmorbecken, aus dessen Mitte ein krystallheller Strahl des reinsten Wassers, von Regenbogenfarben umschillert, dem blauen Aether zustieg. Tausende von goldenen und silbernen Fischchen tanzten in den kleinen hellen Wellen, zur Melodie des Geplätschers der fallenden Tropfen, in welches die hohen, sich wie im Gespräche gegen einander neigenden Bäume ihr leises Geflüster mischten. Der Duft der Orangenbäume und Rosen, die hier früher als in unserem Garten blühten, stieg berauschend zu mir auf; überall standen sie, um das Marmorbecken und zwischen den Felsen, in großen Maßen vertheilt, und dazwischen unzählige mir zum Theil ganz unbekannte Blumen und Blüthensträuche, so üppig, so duftend, in solch einer überschwänglichen Fülle, als wären sie hier, wie in ihrer eigentlichen Heimath, vollkommen zu Hause.

Mir schwindelte beym Anblick dieser niegesehenen Herrlichkeit, die hier, wo ich nimmer sie vermuthen konnte, so überraschend glanzvoll mir entgegen trat. Und gerade heute, an meinem vierzehnten Geburtstage, mußte das mich erwartende neue Leben, von dem mein Vater am gestrigen Abend sehr ernsthaft mit mir gesprochen, mit so freundlichem Gruße mir entgegen treten!

Laut jubelnd schwang ich mich von der Höhe, wo ich stand, hinab, pflückte ohne Bedenken Rosen und Orangenblüthen, und warf mich trunken vor Wonne in das hohe Gras, um einen vollen prächtigen Kranz zu flechten. Der Kranz war fertig, ich drückte ihn in meine dichten krausen Locken, indem ich rasch empor sprang. Da stand ich nun, und blickte um mich her, keck wie ein Held und zugleich schüchtern wie ein Mädchen. In heimlicher nie gefühlter Seligkeit wußte ich nicht, wohin mit mir selbst. Mir war, als müßte jetzt gleich etwas ganz Unerhörtes, nie zuvor von mir Erlebtes geschehen, das die Richtung meines mir neu aufgehenden Lebens völlig umgestalte. Ich weinte, ich wußte nicht worüber, und war doch dabey so unaussprechlich selig! Meine Phantasie, mein ganzes Wesen schien in immer wachsender Wehmuth und Sehnsucht sich auflösen zu wollen.

Ein Ton ganz aus der Nähe rief mich in die Wirklichkeit zurück. Ein Mädchen, schön und jung wie die Blüthen, aus denen sie hervor trat, stieg eilends vom Felsen hinab, und sah eben so glücklich aus, als ich in meinem Herzen mich fühlte.

Das liebliche Kind war vielleicht noch etwas jünger, als ich; es hatte den bequemen Pfad verschmäht, der zu dem Wasserbecken hinabführte, und dafür eine rauhe, schmale, aus unbequemen rohen Steinen zusammengefügte Art von Treppe sich erwählt. Als es beynahe unten war, brachte ein unvorsichtiger Schritt es in Gefahr; es stieß einen kleinen silberhellen Schrey aus. Ich sah die Liebliche ängstlich balanzirend, kaum fähig, sich stehend zu erhalten; mit ausgebreiteten Armen sprang ich ihr entgegen, und rettete sie vom Fallen; in der Angst hatte sie die Augen fest zugedrückt, jetzt, als sie von meinem Arme sich gehalten fühlte, schlug sie solche wieder auf, kaum eine Spanne weit war ihr liebes Gesichtchen von dem meinigen entfernt, und als sie die dunkeln lachenden Augen öffnete, war mir, als öffne sich ein ganzer Himmel voll Engel. Sie redete mich an; nie hatte ähnlicher Wohllaut mein Ohr berührt, aber von dem, was sie mir sagte, verstand ich keine Sylbe. Die mir ganz unbekannten melodischen Laute ihrer mir fremden Sprache gingen völlig bedeutungslos an mir vorüber. Sie betrachtete, anscheinend mit Verwunderung, den Kranz in meinen Locken, und streckte ein wenig scheu das zarte Händchen nach ihm aus, als wünsche sie und wage es doch nicht, ihn zu berühren. Ein innerer Instinct regte sich in mir, und mit einer echt ritterlichen Galanterie, die ich wahrlich selbst nie zuvor in mir gesucht, nahm ich den Kranz von meinem Haupte herunter, und legte ihn in das Gras zu ihren Füßen hin.

Mein holdes Wunderkind lächelte mir immer freundlicher und freundlicher zu, und nickte dabey mit dem allerliebsten Köpfchen. Ich kniete endlich selbst zu meinem Kranze in das Gras hin, mir war, als müßte das so seyn, sie aber streckte die kleinen blüthenweißen Hände wie abwehrend vor sich hin, und blieb so zögernd und erröthend, in vorgebeugter Stellung, über mir stehen.

Mais Angeline, mais chère Princesse, ou êtes vous donc! quickte eine schneidend gellende Stimme zwischen den Felsen, und wenige Augenblicke später trat eine sehr geputzte ältliche dicke Dame, mit hochrothen Wangen, oben zwischen den Felsen hervor und fing an mit ängstlicher Behuthsamkeit den bequemeren Pfad herunter zu trippeln. Auch mir ward plötzlich sehr bänglich zu Muthe, und selbst mein liebliches Engelsbild wurde meiner Meinung nach blaß, und schien erschrocken.

Aus allen meinen Himmeln gerissen, von allen poetischen Entzückungen verlassen, blieb ich plötzlich nicht weiter, als was ich eigentlich noch war, ein verlegener, schüchterner, unbeholfener Junge, und sprang auch als ein solcher, auf einer andern Seite, als der, von welcher ich gekommen, die Felsen hinauf; in wenigen Augenblicken war ich zwischen diesen verschwunden.

Wie ein Träumender langte ich Abends zu Hause an, und ward dafür als Einer, mit dem aus übergroßer Ermüdung nichts anzufangen sey, früh zu Bette geschickt. Ich war still, aber unbeschreiblich selig. Angelina, sprach ich leise, Angelina, und wiederhohlte den süßen Nahmen, bis ich einschlief. Angelina, Angelina! so heißt ja auch die Mutter – o wie ich dich lieben will, Angelina! nun soll alles anders werden, und wie schön!

So wie ich aufgestanden war, suchten meine Augen am andern Morgen zu allererst den Felsen auf, hinter welchem mein neu gefundenes Paradies lag. Ich selbst durfte freylich sobald nicht wieder hin, aber mir kam es auch gar nicht in den Sinn, dieses zu wollen. Ich überlegte gar nicht, daß Angelina dort wahrscheinlich immer wohne, ich verband mit der Erinnerung an sie gar keine andere Idee, ich freute mich nur, daß ich sie gesehen, daß sie wirklich auf der Welt und kein Traumbild sey, wie ich mir deren sonst wohl zuweilen geschaffen. Für einen Engel hielt ich sie gerade nicht, aber daß sie ein Mädchen und obendrein ein sehr vornehmes sey, daran dachte ich vollends garnicht, obgleich ich die Französischen Worte recht gut verstanden, die man ihr zugerufen, und auch in unserem Hause von einer kleinen Prinzessinn die Rede gewesen war, die, wie es hieß, seit einigen Wochen das Schloß Belrepôs im Gebirge bewohne. Was ein Schloß sey? wußte ich nicht recht; ich hatte noch keins gesehen, und überhaupt fast nie darüber gedacht, und wann dieses einmahl geschah, so waren auch immer Wälle, Zugbrücken, feste Thürme und aller Apparat einer Belagerung dabey. Angelina aber war mir nur sie, der Inbegriff alles Lieblichen und Schönen, was sie weiter noch seyn mochte, ging mich nichts an, und ich bekümmerte mich gar nicht darum.

Meiner Meinung nach gingen viele Tage, seit ich Angelina gesehen, in stiller aber gränzenloser Seligkeit an mir vorüber. Denn in meinem damahligen Alter, hat man noch keinen Maßstab für die Zeit, und eine ganze Woche scheint ein unübersehbar langer Zusammenfluß von Tagen und Stunden zu seyn.

Auch in unserm Garten begannen jetzt Rosen und Orangen zu blühen, der Anblick dieser meiner Lieblingsblumen, ihr süßer berauschender Duft, weckten in mir Erinnerungen und endlich eine unwiderstehliche Sehnsucht, Angelina wieder zu sehen.

Indessen kostete es mir doch manchen innerlichen Kampf, und es währte ziemlich lange, ehe ich den Muth gewann, auf die Erfüllung dieses köstlichen Wunsches auszugehen.

Endlich, am Sonntage in aller Frühe machte ich mich auf, pflückte und band einen großen Strauß, von den schönsten Blüthen und Rosen in unserem Garten, und machte mit diesem mich auf den Weg zu ihr.

Ich durchschiffte den See, kletterte durch die Felsengewinde, bald in stürmender Eile, bald bange verzagend. Als ich endlich am Ziele ankam, wäre ich beynahe, und ach wie gerne! wieder umgekehrt, wenn ich mich nur nicht dann vor mir selbst hätte schämen müssen. Ich faßte mir endlich ein Herz, und guckte durch eine Spalte im Felsen nach dem Springbrunnen – sie war nicht da. Ich schlich mich hinab; alles war still und leer. Ich wagte es endlich, den ganzen, nicht übermäßig großen Garten zu durchspähen, nirgends war eine menschliche Seele zu finden. Auch der Schloßhof, in den ich zuletzt gerieth, und das Schloß selbst, schien wie ausgestorben. Ich ging quer über den Hof, durch ein großes Thor an der andern Seite desselben, dem Schlosse gegenüber, und gelangte in ein Dorf, in welchem ich nie zuvor gewesen war.

Mitten in diesem stand eine heitere, wenngleich etwas bunt und überladen verzierte Kirche; sie war offen, es ward eben Gottesdienst darin gehalten. Ohne Bedenken trat ich hinein, und endlich auf einer schon geschmückten Emporkirche, dem Altare gegenüber, entdeckte ich mein holdes Wunderkind, andächtig im Gebethbuch lesend. Zum ersten Mahl in meinem Leben war ich in eine katholische Kirche gerathen, denn mein Vater war ein eifriger Protestant; doch hier hätte ich mit der Gemeine hinknien und in nie so glühend gefühlter Andacht mein Gebeth zum Himmel hinauf schicken müssen, und wäre es eine Türkische Moschee oder eine indische Pagode gewesen. Ein feyerliches Hochamt ward von einem vornehmen Geistlichen, einem fremdem Bischofe, glaube ich, gehalten. Die vielen brennenden Kerzen beym hellsten Sonnenscheine draußen, die bunten Gemählde über den Altären, das wie Gold und Silber glänzende Kirchengeräthe auf denselben, der Weihrauchsdampf, und nun vollends die rauschende Musik, die an sich schlecht genug gewesen seyn mag, mir aber, der ich nie so etwas gehört, ganz überirdisch vorkam, alles dieses zusammen bemächtigte sich unwiderstehlich meiner jungen Phantasie, und riß mich hoch über mich selbst empor.

Fromm, wie ich in unserer schmucklosen kleinen Kirche, an der Seite meiner geliebten, engelgleichen Mutter es zu seyn pflegte, war ich hier nicht, wohl aber begeistert, außer nur, wie sonst noch nie. Mein Herz war voll bis zum Ueberfließen, ich mußte es erleichtern, und so kniete ich dann dicht an den Stufen des Hochaltares, mitten unter die andächtige Menge hin, und sprach innerlich aber feyerlich das Gelübde aus, mit aller Kraft meines Geistes und Gemüthes dem Großen, dem Edlen, jeder hohen Tugend nachzustreben und alles Niedrige, Gemeine ewig zu hassen, um Angelina's willen. Sie war es eigentlich, der ich durch dieses Gelübde mich zu weihen meynte, sie war meine Göttinn, deren hoch über mir thronende Gegenwart ich in diesem Augenblicke mir deutlich bewußt war, ohne jedoch den Muth zu besitzen, das wonnetrunkene Auge bis zu ihr zu erheben.

Die Messe war beendet, das rauschende Gloria in excelsis war verklungen. Betäubt, mir selbst ganz entfremdet, ließ ich vom Gedränge der Menge mich forttreiben, der Kirchenthüre zu. Ein glänzender, mit sechs Pferden bespannter Wagen hielt vor derselben; die nähmliche roth gemahlte, kugelrunde Dame, die ich damahls am Springbrunnen den Felsenweg hatte hinunter trippeln gesehen, wurde eben von einem Paar über und über mit Gold besetzter Bedienten in die Kutsche geschoben, meine Angelina aber stand oben auf den zur Kirche führenden Stufen, im Begriff ihr zu folgen. Sie wandte sich um, die Landleute zu grüßen, die noch vor der Kirche versammelt standen, und der nähmliche kleine silberhelle Schrey, den ich schon einmahl von ihr gehört, verrieth mir, daß sie meiner gewahr worden war. Ohne weiter noch etwas zu hören oder zu sehen, nahm ich mir das Herz zu einem gewaltigen Wagestück, eilte auf sie zu, und überreichte ihr hinter dem Rücken, der noch immer mit dem in den Wagensteigen nicht fertig gewordenen Dame, meinen Strauß. Zu meiner unsäglichen Freude nahm sie ihn ohne Weigern, nickte ein paar Mahl kurz hintereinander mit der allerholdseligsten Freundlichkeit, und hüpfte in die Kutsche. Danken, danken, rief sie aus derselben mir noch zu, den Strauß in die Höhe haltend, um mir ihn zu zeigen, während die Pferde mit ihr davon jagten.

Freudetrunken, wie von Himmelsflügeln getragen, und kaum die Erde berührend, langte ich wieder zu Hause an. Ich suchte am folgenden Tage alle meine Spielsachen zusammen, die noch nicht gänzlich verabschiedet waren; meine Bälle, mein kleines Kegelspiel, meine Säbel, Lanzen, Rüstungen, Fahnen und Schilde. Ich trug das alles zu unserem Nachbar, um es unter dessen Kinder zu vertheilen, weil ich doch jetzt beynah erwachsen und kein Kind mehr sey. Ich lernte und arbeitete heute das Doppelte von dem, was mir zu vollbringen aufgegeben worden war. Den ganzen Tag umschwärmte ich mit mehr als gewöhnlicher Zärtlichkeit meine Mutter; bey jedem Begegnen küßte ich ihre lieben, schönen Hände, liebkosete sie und nannte sie immer Angelica, wie mein Vater sie zu nennen pflegte. Die liebe Frau sah lächelnd mich an, und wußte nicht, was sie heute aus mir machen solle; ich wußte es wohl, was ich bey dem Allen mir dachte. Angelica klang beynahe eben so schön als Angelina, am Ende waren vielleicht beyde nur ein und derselbe Nahme.

Sonntags durfte ich nur selten bey dem Gottesdienste in unserer Kirche fehlen, aber ich fing an, eifrig den Kalender zu studiren, um mir alle die vielen Festtage zu merken, welche wir Protestanten aus der Reihe der unserigen ausgelöscht, die Bekenner der katholischen Kirche aber noch beybehalten haben. Mit welchem stillen Entzücken lauschte ich oft an ruhigen Abenden dem Schalle der den morgenden Feyertag einläutenden Glocken, den ein günstiger Wind zu weilen über See her mir zutrug und der vielleicht bey der großen Entfernung jenes Dorfes wenig andern Ohren hörbar wurde, außer den meinen. In früher Dämmerung stahl ich an solchen Tagen mich dann aus dem Hause heraus, um nur am Morgen in ihrer Kirche ihr gegenüber zu stehen. Sie grüßte mich jedes Mahl mit süßer Freundlichkeit, das war aber auch mein ganzer Gewinn dabey, denn die, Gott mag wissen wodurch, rege gewordene Aufmerksamkeit ihrer Hofmeisterinn vergönnte mir nicht mehr, mich ihr zu nähern.

Endlich einmahl traf ich am Springbrunnen im Park sie allein; wie oft hatte ich einen solchen Glücksfall mit feuriger Sehnsucht herbey gewünscht! wie oft ihn mir als wirklich geträumt! Jetzt war er da, und ich verlegener Knabe stand ihr stumm gegenüber, ohne den Muth sie anzureden, obgleich ich die Französische Sprache, die sie, wie ich wußte, neben ihrer eigenen, mir unbekannten, redete, nicht nur verstand, sondern mich auch leidlich genug darin auszudrücken vermochte. Auch Angelina sprach keine Sylbe; sie lächelte, nickte mir zu, immer freundlicher und freundlicher, und pflückte zuletzt mit einer sehr raschen Bewegung von einem neben ihr stehenden Bäumchen einen blühenden Myrtenzweig, den sie mir zuwarf.

Angelina war vielleicht einige Monathe, vielleicht beynahe ein Jahr jünger als ich, aber sie war ein Mädchen und mir also in gewisser Hinsicht weit vorausgeeilt. Der Instinkt ihres Geschlechtes gab ihr eine Einsicht, die mir noch fehlte; er lehrte sie unser eigentliches Verhältniß zu einander erkennen, und über das Erröthen, was sie halb aus kindischem Muthwillen, halb von ihrem Gefühle für mich hingerissen, in diesem Augenblicke gethan. So wie sie den Zweig in meinen Händen sah, den sie mir zugeworfen, barg sie das mit Purpur übergossene Gesichtchen und die lachenden schwarzen Feueraugen mit beyden Händen; dann zog sie die eine derselben herab, und blinzelte ein wenig mit einem Auge nach mir hin, aber sie winkte mir zugleich fortzugehen. Dieses war mir indessen für den Augenblick unmöglich; reden konnte ich noch immer nicht, aber ich kreuzte ganz andächtig meine Hände über meine Brust, und streckte sie ihr dann mit bittender Geberde entgegen.

Angelina mußte recht herzlich über diese Pantomime lachen, in ihrem jugendlichen Frohsinne besann sie sich nicht lange, sondern sprang auf mich zu, schlug ein, und so hielten wir uns eine ziemliche Weile bey den Händen, und sahen im frohen Gefühl des kindlich-reinsten Glückes uns an, immer noch ohne ein Wort zu reden.

Lautes, schallendes Gelächter schreckte uns auf; ein Kreis herrlich geputzter Damen nebst einigen Herren, die sich alle von uns unbemerkt herbey geschlichen hatten, umgab uns. Meine Angelina wurde, unter überlauten Französischen Exclamationen, von ihrer erzürnten Aufseherinn mir von der Seite gerissen, und ich? – ich wußte vor der Hand gar nicht, wie mir geschehen.

Erst, als ich jenseits der Felsen, am Ufer meines See's athemlos stand, fand ich meine Sinne wieder. Wonne, unsägliche Freude durchschauerten mich, und doch war ich mir dessen, was mich eigentlich entzückte, durchaus nicht deutlich bewußt. Nur Angelina schwebte mir vor, und wie sie ihre weichen, weißen Händchen in meine Hand gelegt, und wie sie gewiß, nun ganz gewiß mich ebenfalls lieb habe, wenn gleich nicht so, wie ich sie. Heute konnte ich nicht nach Hause, mir war, als habe ich vor allem Bedenken dessen, was vorgegangen, nicht Zeit dazu, und so brachte ich denn die laueste, kürzeste Frühlingsnacht zum ersten Mahl in meinem Leben unter freyem Himmel zu.

Meine Mutter war schon aufgestanden, als ich am Morgen, den ich denn doch zuletzt halb verschlafen hatte, zu Hause anlangte. Vielleicht war die gütige, liebe Frau, aus mütterlicher Besorgnis um mich, gar nicht zu Bette gegangen gewesen. Sie empfing mich mit einem Gesichte, auf welchem das Bestreben, sich erzürnt zu zeigen, mit der innigsten Freude, mich gesund wieder zu sehen, kämpften; meine kindlichen Liebkosungen erstickten ihren Zorn, ihre Sorge um mich und ihre Fragen.

Anders war es bey meinem Vater; ich fand ihn wie gewöhnlich am Morgen, in einer Laube auf einer Anhöhe nahe an der Gartenmauer, von der er den Theil unsers Thales übersehen konnte, durch welchen die Landstraße ging. Ruhig, aber ernsthaft forderte er mich auf, ihm Rechenschaft zu geben, wo ich die Nacht zugebracht, und was mich abgehalten habe, Abends wie gewöhnlich nach Hause zu kommen.

Ich nannte und beschrieb ihm die Stelle am Ufer des See's, wo ich wirklich im Schatten einiger Bäume geblieben war, große Ermüdung und die außerordentliche Milde und Schönheit der mondhellen Sommernacht hatten, wie ich vorgab, zum Ausbleiben mich verleitet.

Ach zum ersten Mahl in meinem Leben umging ich meinen Aeltern gegenüber, wissentlich die Wahrheit und kann doch nicht sagen, daß ich es mit Vorbedacht that. Es kam, ich wußte selbst nicht, wie; gewiß, ich wollte es nicht! Wie gerne hätte ich ihnen alles gesagt, wenn mich nicht eine Art innerer Verlegenheit, eine heimliche, peinliche Furcht, welche ohne eigentlichen Gegenstand war, davon zurück gehalten hätte, ihnen Angelinas Nahmen zu nennen. Mit der größten Anstrengung suchte ich mein liebes Geheimniß zu verbergen, und litt dabey Todesangst; das Herz in der Brust that mir wehe, während mein Vater so gütig mich befragte, und die Wahrheit dessen, was ich ihm antwortete, nicht im mindesten zu bezweifeln schien. Ich hätte mich vor mir selbst verbergen mögen, indem ich nicht so wahr und offen, als ich es von Kindheit auf gewohnt war, mich gegen ihn bezeigte, und doch konnte ich nicht anders, und hätte es mein Leben gegolten.

Das erst von ferne, dann immer näher kommende Rasseln mehrerer Wagen, eine Seltenheit in unserer Gegend, riß aus dem dumpfen Hinbrüten, in welches ich eben versinken wollte, mich empor. Tief unten, am Fuße der Anhöhe, längs welcher unsere Gartenhecke sich hinzog, sah ich eine Reihe hochbepackter Reiseequipagen einem kleinen Gasthofe am See zufahren, der etwa eine Viertelstunde von unserem Hause lag. Nur in seltenen Fällen wurde er von den wenigen Fremden besucht, die von der Schönheit unseres Gebirges, das damahls noch nicht, wie einige Jahre später, Mode geworden war, sich bestimmen ließen, es zu bereisen.

Hingerissen von der meinem Alter angemessenen kindischen Lebhaftigkeit eines halberwachsenen Knaben, ließ ich den guten Vater mitten in einer Rede sitzen, sprang über die Gartenhecke, den steilen Hügel hinunter, den Wagen nach. Mein Vater sah dem, ihm sehr verzeihlich dünkenden wilden Jugendstreich lächelnd zu, und hatte weiter kein Arges daraus. Ach! er hatte nicht, wie ich, Angelina's Köpfchen aus einer der Kutschen sich beugen gesehen, und nicht ihr schmerzliches Gesichtchen, nicht die trüben Augen, denen es so deutlich anzusehen war, daß sie geweint hatten.

Ich langte auf einem näher führenden Fußsteige, beynahe mit den Wagen zugleich, im Gasthofe an. Die Reisenden waren ausgestiegen, während die dort sie erwartenden Relais-Pferde angespannt wurden; eine schöne große Dame, von einigen Herren umgeben, stand im Hofe, und sah durch ein Fernglas nach dem See hinaus. Angelina's Hofmeisterinn war nicht mit ausgestiegen, sie lag mit geschlossenen Augen, in eine Wagenecke gedrückt, und schien sich nicht wohl zu befinden. Bedienten und Kammerfrauen waren theils um die Wagen her beschäftigt, theils standen sie in ehrerbiethiger Ferne, zur Bedienung ihrer Gebiether bereit; Angelina war nirgends zu sehen.

Vergebens durchspähte ich, um sie zu finden, das ganze Haus, in welchem ich sehr wohl bekannt war; endlich ging ich hinab in den Garten. Behuthsam drängte ich meinen Kopf durch die Seitenwand einer dicht umgrünten Rebenlaube, um zuzusehen, ob in dieser nicht vielleicht die sey, welche ich suchte; da faßten mich von hinten zwey weiche, kleine Hände um die Brust, und drehten mich herum. Angelina's liebe, süße Augen begegneten den meinen, sie weinte bitterlich, ich weinte mit ihr, und das währte eine gute Weile. Addio, addio, Carissimo, schluchzte sie endlich, und bog sich näher zu mir hin, und legte in unendlicher Betrübniß beyde Arme mir um den Nacken, ihr Köpfchen senkte sich an meine Brust, gleich einer Nelke ohne Stab. Ich riß sie fester an mich, da entwand sie sich meiner Umarmung, und floh, ohne sich umzusehen, leicht wie ein Schmetterling zur Gartenthüre hinaus.

Kaum zwey Minuten später, hörte ich die Wagen vom Hofe hinunterrasseln, und fühlte zum ersten Mahl in aller seiner Schwere das herbe Loos des Sterblichen, den Leidenschaft und eigene Thorheit aus dem Paradiese verbannten, wo keine Trennung seinem Daseyn drohete; der erste heftige, keinen Trost ahnende Schmerz ergriff mich, und zu Boden gedrückt von seiner Last, warf ich mich, da, wo ich stand, in das hohe Gras, und weinte, als wolle ich mein Leben in einem Strome von Thränen ausströmen lassen.

Ferdinand, Ferdinand, wachen Sie doch auf, der Papa wartet dort oben auf Sie, rief nach einer ziemlichen Weile eine mir nicht unbekannte freundliche Stimme, und eine Hand versuchte es, mich aufzurichten. Ich fuhr in die Höhe; vor mir erblickte ich Nanni, die mir wohl bekannte Tochter der Gastwirthinn; sie machte mich auf meinen Vater aufmerksam, der auf einem nahen Hügel stand, von welchem aus er den ganzen kleinen Garten übersehen konnte. Er rief mich durch Zeichen zu sich hinauf, und ich nahm mich zusammen, so gut ich es konnte, um seinem Winke zu folgen; aber ich war noch zu beklommen, zu seelenbetrübt, um nur daran denken zu können, ihm meine rothen geschwollenen Augen, meine noch immer die Wangen herabschleichenden Thränen verbergen zu wollen; er aber schien beydes nicht zu bemerken.

Ich bin jetzt fest überzeugt, daß mein Vater von jener Anhöhe meinem Abschiede von Angelina zugesehen haben muß, und daß weder die Quelle meiner Thränen, noch die Ursache meiner späterhin noch viele Tage anhaltenden Betrübniß ihm ein Räthsel geblieben waren; doch er überließ mich meiner scheinbar von ihm unbemerkt bleibenden Trauer, ohne weder durch Fragen noch auf andere Weise mich ihr entreißen, oder mich zwingen zu wollen, ihm den Grund derselben, in Worte gefaßt, zu gestehen. Er verließ sich auf die glückliche Eigenheit der ersten, nah an die Kindheit gränzenden Jugend, sich leicht über den Schmerz hinweg, zu einer neuen Freude erheben zu können, wenn man sie nur abhält, durch Klagen den erlittenen Verlust sich stets wieder zu erneuern. Deshalb behandelte er mich, ohne es mir jedoch merken zu lassen, wie ein Kind, das man, mitten in seinen Thränen, durch ein neues, glänzendes Spielwerk weit leichter als durch alle ersinnlichen Trostgründe zum Lächeln bringen kann, indem man dadurch seine Gedanken von dem abwendet, was es verloren hat.

Tausend ganz unmerklich herbeygeführte Zerstreuungen, kleine Fußreisen an seiner Seite, eine noch freundlichere Behandlung als die gewohnte, mußten von dem Brüten über meinen Schmerz mich gleichsam von ungefähr abziehen, ohne daß ich den dabey vorwaltenden Zweck im mindesten gewahr werden konnte. Nähere Bekanntschaft mit Kunst und Poesie älterer und neuerer Zeit, vermehrte Beschäftigungen ernsterer Art, füllten immer mehr meine ehemahligen Spielstunden aus, so daß ich zum Grübeln über Vergangenes wenig Zeit behielt. Am wohlthätigsten aber wirkte auf mein junges, verletztes Gemüth die nähere Bekanntschaft mit der Natur, in deren Wunderwelt mich einzuführen, mein edler Vater jede Gelegenheit ergriff, bald unter dem in mitternächtlicher Pracht sich hoch über uns wölbenden Sternhimmel, oder auch gelagert am Fuße des Felsens, verloren im Betrachten des kleinen unscheinbaren Mooses, das ihn kümmerlich kleidet.

Niemahls wohl hat ein Mann es besser verstanden, alles, was um ihn athmete, zu beglücken, als mein Vater; nie wußte ein Gemüth das Glück reiner und ungetrübter in sich aufzunehmen, als das meiner Mutter! ach! und ich, gefangen im ersten beseligenden Freudentraum der Jugend, ich stand zwischen beyden, fühlte mit beyden, war der Hauptgegenstand ihrer unablässig über mich wachenden, stets wachsenden Liebe, und zugleich die höchste Freude ihres Lebens.

So von allen Seiten von Liebe und einem schönen heiteren friedlichen Leben umgeben, konnte ich nicht lange in dumpfem Trübsinn verharren. Der Schmerz wich von mir, doch Angelinas liebliches Bild blieb mein Begleiter; in all' seiner himmlischen Klarheit und Freundlichkeit leuchtete es auf meinen Spaziergängen aus jeder Blume, im Walde vom hohen Felsen mir entgegen. Es glitt über die kleinen, blauen Wellen meines See's neben meinem Kahne dahin, und wenn Abends die Glocken über dem Wasser her mir für den morgenden Tag ein Fest verkündeten, das meinem Glauben fremd, meinem Herzen aber durch Erinnerung unendlich theuer und heilig war, dann glaubte ich oft, in dem fernen Silberlaut ihre Stimme, zu hören ihr addio, addio, Carissimo! und unbestimmte Sehnsucht engte mir die Brust ein, und schmerzlich süße Thränen drängten aus ihr sich hinauf in meine Augen.

Wenn ich erst groß seyn werde, dachte ich oft, dann – aber was dann? – ich wußte es nicht. Tausend Luftschlösser bauete ich, eines über dem andern, in allen thronte Angelina bald als Fee, bald als Königinn. Ihr liebes Bild hat bis auf den heutigen Tag durch alle Ereignisse meines Lebens mich begleitet, und wird nicht erlöschen, so lange ein Herz in meinem Busen schlägt.

So hatte denn nach einigen Wochen der erste wahre Schmerz meines Lebens erst in stille Wehmuth, dann in beseligende Erinnerung sich aufgelöset. Ach nur zu bald, nach wenigen Monathen schon, sollte ein zweyter, aber tieferer, ernsterer Art ihm folgen, ein Unglück mich treffen, das ich nie ganz verschmerzen werde, dessen Folgen den schonen, stillen, bis dahin so einfachen Gang meines Lebens abänderten, und aus dem Paradiese meiner unendlich glücklichen Kindheit mich vertrieben.

Mein Vater war Prediger im edelsten, erhabensten Sinne des Wortes. Gleich fern von Fanatismus, Bigotterie und vernünftelndem Unglauben, verwaltete er mit wahrhaft göttlichem Eifer sein Amt, und war, wie ich späterhin eingesehen habe, mehr ein echter Bothe des Herrn, als ein Wächter auf der Zinne seiner Kirche. Die seinem Geiste, wie seinem Gemüthe inne wohnende Kraft drängte ihn von allen Seiten zum thätigen Wirken und Walten. Allen, die Hülfe bedürfend ihm nahten, erschien er wohlthätig; auch er pflegte eben so wenig, als die Alles belebende Sonne, die ihre Strahlen auf Gute und Böse fallen läßt, darnach zu fragen, weß Landes und Glaubens der sey, der Beweise seiner Milde erfuhr. So stand er da, mitten in den Erbärmlichkeiten der Welt; fest auf sich selbst beruhend, immer gebend und niemahls empfangend.

Die immer sich mehrenden Schrecken des langen Krieges, der erst damahls die Welt in ihren Grundfesten zu erschüttern begann, hatten unser stilles Thal, in welches sogar die Zeitungen nur selten und spärlich ihren Weg fanden, bis dahin verschont. Nur von Zeit zu Zeit stiegen hinter unseren Bergen, gleich schreckenden Gespenstern, Gerüchte von begangenen Gräueln, von angezündeten und geplünderten Städten und Dörfern, von blutigen Schlachten hervor. Doch wie jene grausenerregenden Gebilde der Nacht vor dem Tagelicht, so löseten auch diese beängstenden Nachrichten aus der Ferne, schnell wieder in Nichts sich auf, von dem rings uns umgebenden stillen Frieden, der in der Wirklichkeit uns beseligte; sie dienten nur dazu, die Bewohner unsers Thales, gleich Kindern, durch ein angenehmes Schaudern zu erschüttern, das die Ruhe ihres glücklichen Daseyns sie nur um so lebhafter empfinden ließ.

Allmählig aber trat das allgemeine Unheil uns dennoch näher. Die Hirten sahen schon zuweilen von den Gipfeln unserer Berge, wie drohende Feuerzeichen den nächtlichen Himmel in der Ferne rötheten, und mancher einzelne Unglückliche, den der Krieg vom eigenen Herde vertrieben, fand Hülfe suchend den Weg zu unseren bis jetzt, noch von beneidenswerther Vergessenheit umfriedeten Hütten. In banger Ahnung, mit hochschlagenden Herzen, horchten die mitleidigen Bewohner derselben den herzzerreißenden Berichten von ihnen noch unbekannten Gräueln zu, und die Zeit rückte darüber immer näher heran, die bestimmt war, uns Allen, besonders aber mir, einen traurigen Wechsel unserer Lage zu bringen.

Mehrere Männer, die im Spätherbst, um Holz zu fällen, in den Wald gegangen waren, kehrten eines Morgens mit allen Zeichen heftigen Schreckens zurück, und verkündeten, wie ein nie zuvor gehörtes, dumpfes, wild brüllendes Getöse Wald und Gebirge durchtobte, so daß die Felsen in ihrer mächtigtiefen Grundfeste davor zu erbeben schienen. Mein Vater ließ sich von den Männern sogleich an den Platz führen, wo dieser Lärmen sie erschreckt hatte, doch ehe er ihn noch erreichte, erkannte er schon das laute Toben der wahrscheinlich nicht sehr entfernten Schlacht, das Brüllen der Batterien, das knallende Getöse des kleinen Gewehrfeuers, das, vom Echo von Felsen zu Felsen getragen, durch das Gebirge hindonnerte, und alles, sogar die Vögel und Thiere des Waldes, mit Schrecken erfüllte.

Den ganzen Tag, die Hälfte der folgenden Nacht, saß ich mit ahnungsvoller Seele auf der Anhöhe hinter unserem Garten, und horchte, halb schaudernd, halb gehoben und begeistert, dem fernen Donnern mit so nie gefühltem sehnsüchtigem Herzklopfen zu. Wundersame ungeheuere Bilder, vor denen mir graute, und die doch durch einen ganz eigenen Zauber mich anzogen, erfüllten dabey meine junge Phantasie, und ich vermochte es nicht, mich von ihnen abzuwenden bis endlich alles still geworden war.

Am nächsten Tage störte nicht einmahl ein über die Berge zu uns eindringendes Gerücht von einer Schlacht die gewohnte Ruhe und Stille um uns her. Auch am zweyten und dritten Tage blieb es so, und die, welche nicht das furchtbare Toben des Wiederhalles im Gebirge mit uns gehört hatten, fingen bereits an, es für ein Spiel unserer Einbildungskraft zu erklären, bis der Anblick eines Transports Kriegsgefangener, der erste, der jemahls unser Thal betreten, sie am vierten Tage eines Andern belehrte.

O, mein Freund! wie soll ich den unaussprechlichen Jammer, das haaremporsträubende Grausen das herzzerreißende Mitleid dir schildern, alle die Gefühle, die bey dem Anblicke eines von mir nie als möglich gedachten Elendes meine junge Seele ergriffen, und sie mit nie empfundenem Entsetzen durchschauerten! Ich sah eine Schar halbnackter Elenden, zum Theile mit schwarzem, geronnenem Blute bedeckt, das aus nicht verbundenen Wunden gequollen war, mit blutenden, von Dornen und spitzigen Steinen zerrissenen unbedeckten Füßen. Nagender Hunger, verzehrender Durst, brennende Fiebergluth grinsten aus den verzehrten Gesichtszügen der Unseligen mich an, die unter dem Hohngelächter der Bewohner unseres Dorfes, ihrem Kerker mit einer Grausamkeit zugetrieben wurden, welche selbst der Verruchteste gegen Thiere kaum übt, die er zur Schlachtbank führt. Ich warf mich vor meiner weinenden Mutter auf die Knie, ich verbarg mein Gesicht in ihre Kleider, um nur nichts mehr zu sehen und zu hören, bis der entsetzliche Zug vorüber war. Die noch mit Thüren und Fallgitter versehenen, halb unterirdischen Gewölbe eines alten längst verfallenen Schlosses am andern Ende unseres Dorfes, sollten die Unglücklichen aufnehmen, und Tage lang, vielleicht Wochen lang ihnen zur Wohnung dienen.

Während ich und meine Mutter vor Schmerz, Grauen und Mitleid zu vergehen glaubten, trat mein Vater vor die Thüre unseres Hauses heraus; mit Mühe erhielt er die Erlaubniß, die unglücklichen Gefangenen mit den Labungen erquicken zu dürfen, die meine Mutter schon seit jenem Tage, an welchem wir zwischen unseren Bergen den Kanonendonner gehört hatten, auf mögliche Fälle, sorgfältig hatte vorbereiten lassen. Uebrigens aber ging alles, was er sagen mochte, um seine, ihm sonst so folgsam und von Herzen ihn ehrende Gemeinde zu bewegen, ein Gleiches zu thun, für dieses Mahl an ihr verloren; sogar seine Ermahnungen dem überwundenen, dem Elende verfallenen Feinde, wenigstens durch milde Schonung, Mitleid zu beweisen, fanden wenig Gehör. Es war nicht nur jener Widerwille, der fast überall Gränznachbarn von verschiedener Sprache und Sitte gegen einander aufbringt, was hier die Gemüther der sonst gutgearteten Landleute gegen die Armen verhärtete und erbitterte; ein noch schonungsloseres Gefühl, das des Religionshaften, hatte sich ihrer bemächtigt. Der kleinere Theil der in unserm Gebirge gelegenen Ortschaften, zu dem auch unser Dorf gehörte, bekennt sich zum protestantischen Glauben, der größere ist der katholischen Kirche zugethan, und mein edler Vater, mit aller seiner, tief in die Herzen eindringenden Beredsamkeit, vermochte kaum dem fanatischen Eifer seiner Gemeine Schranken zu setzen, selbst wenn keine äußeren Veranlassungen obwalteten, die diesen heftiger anzuregen sich eigneten. Hier aber erkannte man in den Gefangenen geborne Katholiken, zum Theil aus dem benachbarten Lande, und ohne meinen Vater wären vielleicht mehrere von ihnen zu Märtyrern ihres Glaubens geworden.

Schonungslos, ohne Pflege, ohne mehr Nahrung als sie zur nothdürftigsten Erhaltung ihres jammervollen Lebens bedurften, wurden sie endlich, Gesunde und Kranke durcheinander, in ihrer dunkeln Haft allen Qualen ihres gräßlichen Geschicks überlassen. Ich und meine Mutter litten fast nicht minder als sie, wenn wir ihrer gedachten, doch meines Vaters edle große Seele ließ durch unthätiges, fruchtloses Mitleid sich nicht zufrieden stellen. Er ruhte und rastete nicht, bis er den Gefangenen, mit Erlaubniß der obersten Behörden, in einem leer stehenden geräumigen alten Jagdschlosse, das ziemlich entfernt von unserem Dorfe lag, einen gesunderen Aufenthalt ausgemittelt hatte. Er selbst stellte sich freywillig an die Spitze derer, welchen die Besorgung der leider jetzt nöthig werdenden, in der Eile getroffenen Anstalten, zur Errichtung eines Lazarethes übertragen worden war. Nicht Mühe, nicht Geld wurde von seiner Seite gespart, um den Kranken Hülfe und Erquickung, den Genesenden bessere stärkende Nahrungsmittel zu verschaffen, und meine gute, fromme Mutter ging mit rührender Freudigkeit ihm bey den Anstalten dazu an die Hand.

Viele Monathe lang wandelte mein Vater, gleich einem echten Apostel seines Herrn, zwischen den Leidenden umher. Der ganze Winter ging darüber hin; den Sterbenden brachte er Hoffnung, den Verzweiflenden Trost, ohne nach der Kirche, zu welcher sie sich bekannten, zu fragen, bis mit dem wiederkehrenden Frühlinge seine von unablässiger langer Anstrengung geschwächten Kräfte endlich erlagen, und er, von einem verzehrendwüthenden Fieber ergriffen, auf das Krankenbett hinsank.

Nie vergesse ich der letzten Nacht, die ich an seinem Lager wachte! Völlige geistige und körperliche Erschöpfung hatte meine Mutter in halb wachen Schlummer sinken lassen. Mit schmeichelndem Strahle umspielte der Mondschein das stolze edle Antlitz meines Vaters; die furchtbare Fiebergluth lieh ihm einen täuschenden Schimmer der längst ihm verblüheten Jugend, und verklärte die schönen, Gleichsam neubelebten regelmäßigen Zuge seines Gesichts. In unsäglicher Pracht war abermahls der Frühling vom Himmel auf die Erde gesunken, die Fenster des Krankenzimmers waren geöffnet, der Arzt hatte es so gewollt, und das Lied einer fernen Nachtigall drang leise und schmeichelnd, von einem Meere von Blumendüften getragen, zu uns hinein; kaum hörbare Glockentöne aus meinem jetzt verödeten Paradiese begleiteten es. Und mitten in dieser unbeschreiblichen himmlischen Ruhe, in dieser überall in der Natur herrschenden Seligkeit, in diesem unendlichen Blüthenzauber, der Alles verklärte, lag allein das arme Menschenherz den furchtbarsten Schlägen des Geschicks, den wilden Schmerzen der Trennung von dem innigst Geliebten, und allen Schauern des Todes wehrlos hingegeben da. Draußen athmete Alles harmlose entzückende Freude, und uns umgaben heiße, verwirrende Qualen, unnennbare, an Verzweiflung gränzende Angst um das Theuerste, was die Welt für uns hatte, um das Leben des Vaters. Die junge Brust wollte vor Schmerz mir zerspringen, indem ich dieses bedachte, ich konnte die Herrlichkeit, die Ruhe der Nacht nicht begreifen, während wir dem Drucke des Daseyns beynahe erlagen, und zum ersten Mahle ergriff mich eine Art Ingrimm, indem ich der vielen Tausende gedachte, die in dieser nähmlichen Stunde die mir so dunkel, so drohend erschien, nur Freude und Entzücken athmeten während meines Vaters gequälte Brust jeden Athemzug mit stechendem Schmerze erkaufte.

Im Momente, da ich von meiner Trostlosigkeit am heftigsten ergriffen mich fühlte, drehte sich leise und langsam die Thüre des Zimmers in ihren Angeln, und eine hohe, dunkle Gestalt trat unhörbaren Schrittes herein. Meine Mutter fuhr empor aus ihrem leichten Schlummer, regungslos starrte sie den Eintretenden mit verwildertem Blicke an, als wähne sie in ihm den Engel des Todes zu erblicken, auf leisen, dunkeln Flügeln hereinschwebend, vom Herrn der Himmel gesandt, um das Leben von der Erde abzufordern, an dem ihr eigenes Leben hing.

Die unerwartet seltsame Erscheinung trat jetzt näher, und wir konnten sie deutlicher unterscheiden. Ein Mann war es, ungefähr von gleichem Alter mit meinem Vater, auch wie dieser von hoher Gestalt, vornehm in Gang und Bewegung. Mit festem, gemeßnem, eilendem Tritte, wenn gleich unhörbar leise, schritt er auf das Krankenlager zu. Tiefen Schmerz in den edlen scharf bezeichneten Zügen seines Gesichtes, blieb er neben meinem Vater stehen, der schon seit vielen Stunden völlig bewußtlos und ohne sich zu regen, dagelegen hatte; der Athem des Leidenden ging schwer, wie bey einem in tiefen unerquicklichen Schlaf Versunkenen; übrigens gab er kein Zeichen des Lebens.

Lange, lange stand der Fremde da, die fest in einander gefalteten Hände dem Boden zugewendet, das dunkle Auge ruhte, ohne sich abzuwenden, auf den in Gottes Gewalt Daliegenden, die Lippen des stolzen feingeformten Mundes zitterten vor innerer Bewegung, und einzelne Thränen, die unter tödlichen Schmerzen sich aus der festen männlichen Brust loszureißen schienen, rollten von Zeit zu Zeit, langsam und schwer, ihm die Wangen herab. Meine Mutter und ich, wir regten uns nicht, wir athmeten kaum, wir ehrten und liebten den Schmerz, der dem unserigen glich und ihm so nahe verwandt war.

Plötzlich, als habe mitten in seiner, ihn schon umdüsternden Todesnacht, die Gegenwart des Freundes ihm entgegen gestrahlt, richtete mein Vater sich in seinem Bette langsam auf, und betrachtete mit leuchtenden, schon in Himmelsfreude schimmernden Blicken den, dessen bloße Annäherung ihn allein von der Schwelle der Grabespforte zurückgerufen zu haben schien. Meine Mutter und mich ergriffen ehrfurchtsvolle Schauder, ein gewaltiger Ruf schien an den Sterbenden ergangen zu seyn, der Leben, Athem, Sprache und Bewußtseyn ihm wieder gab, und uns kam es vor, als erneue eines jener hohen göttlichen Wunder früherer Zeit sich unter unsern Augen.

Herrmann! Herrmann! rief mein Vater, fast wie sonst, mit kräftiger, volltönender Stimme dem Fremden entgegen; dieser sank ihm in die geöffneten Arme, und beyde hielten sich lange und innig verschlungen, umfaßt. Mein Vater fiel nach diesem wieder in seine Kissen zurück, doch erhohlte er bald sich wieder. Sein Auge suchte meine Mutter; ergriffen von neuer seliger Hoffnung, war sie dicht neben seinem Bette in zitternder Freude niedergesunken, ich in seltsamer Befangenheit, kniete neben ihr. Der Vater faßte ihrs Hand und auch die meine: sieh' Herrmann, sieh diese beyden, sprach er: sieh' genau sie an, sie sind die Meinigen. Sie waren meine Welt, meine Liebe, meine Sorge und meine Freude. Glaubst du jetzt an mein stilles verborgenes Glück? Fürchtest du noch, daß ich bey Diesen vermissen konnte, was mir schon vor langer langer Zeit wie Staub unter dem Fuße gewesen war?

Auf meines Vaters, mehr in Blicken als Worten angedeuteten Wunsch, entfernete sich meine Mutter bald darauf mit mir, um ihn, wie er es zu verlangen schien, mit seinem Freunde im ungestörten Gespräche beysammen zu lassen. Auch ich und meine Mutter waren jetzt mit einander allein, aber wir sprachen beyde kein Wort, getrauten uns kaum einander anzusehen. Jedes von uns fürchtete dem Andern die Hoffnungen zu verrathen, die in unsern Herzen von neuem sich zu regen begannen, und gegen die dennoch in dem nähmlichen Herzen, eine mächtige, unerbittliche, Alles niederschlagende Stimme sich furchtbar erhob.

Ach wohl hatte sie Recht, diese Stimme! Ungefähr nach Verlauf einer Stunde ließ der Vater uns wieder zu sich rufen, wir fanden ihn höchst ermattet, und von neuem begannen die Schatten des Todes über die geliebte Gestalt sich zu verbreiten.

Ich habe glücklich gelebt, und ein sanfter schöner Tod bringt mir Ruhe nach der Arbeit, indem er, Alles vollendend, an das Ende der langen Reihe meiner in Liebe und Hoffnung verlebten Tage tritt, sprach mein Vater, mit matter aber deutlicher Stimme. Dann legte er meiner Mutter und meine Hand mit sanftem Druck in die seines Freundes; Gott erhörte meinen letzten Wunsch, sprach er weiter, ich habe dich wieder gesehen, Freund meiner Jugend, ich kann selbst deiner Vorsorge meine Geliebten übergeben, und scheide mit Bewußtseyn, mit dankbarem Abschiedsgruße von dieser schönen, wunderschönen Welt! setzte er hinzu, indem er das Auge dem Fenster zuwandte, und mit einem seligen Lächeln in die draußen herrschende Frühlingspracht hineinblickte.

Weine nicht so, lieber Ferdinand, sprach er jetzt nach einer Pause noch zu mir. Ich sterbe, mein Sohn, aber ich leide nicht. Noch einmahl beseelten die geliebten edlen Züge des Sterbenden sich zu höherem, in Himmelswonne verklärtem Leben, doch nun schwanden seine Kräfte; mit einer sie beruhigen wollenden Geberde faßte er noch einmahl die Hand meiner Mutter, und behielt sie in der seinen, er schien noch einmahl ihr die Thränen von den Wangen abtrocknen zu wollen, dann aber sank er in seine früheren Fieberträume zurück. Himmlische Gestalten, paradiesische Klänge schienen sein Sterbelager zu umschweben, während wir zagend und in Schmerz vergehend, an seinem Bette knieten. Der Engel des Todes überhob ihn der peinigenden Qual, unsern Jammer zu sehen, und ließ aus seinen schönen lichten Träumen ihn erst jenseits der dunkeln Schwelle erwachen, über die er dahinschritt, ohne ihrer gewahr zu werden.

An der Hand meiner stilltraurenden Mutter begleitete ich ihn nach wenigen Tagen zur letzten Ruhestätte, und acht Tage später stand ich zum zweyten Mahle, und jetzt völlig verwaiset, auch an dem Sarge der mir einzig noch Gebliebenen. Der Mutter Tod war schnell und schön gewesen; holdselig und freundlich lag sie da, ein schlummernder Engel; wie das Lächeln auf dem Gesichte eines an dem Herzen der Mutter entschlummernden Kindes, so war ihr Leben fast unmerklich erloschen. Man darf nicht sagen, der Schmerz habe ihr das Herz gebrochen, dazu war es zu sanft, zu still, dieses Herz. Sie ging zur langen, tiefen Ruhe, als ihre Sonne untergegangen war, sie hörte auf zu leben, weil das Leben ihres Lebens dahin war, und wie die Vögel von uns scheiden, weil der Frühling uns verläßt, so schied auch sie aus der Welt, aus der ihre Liebe geschieden.

Hermann, der Freund meines Vaters, den ich damahls noch bey keinem andern Nahmen zu nennen wußte, war bey uns geblieben; meine theure Mutter hatte die wenigen übrigen Tage ihres Lebens ihn, wie einst den Vater, über Alles frey walten lassen, ohne ihn je über etwas zu befragen. Im Vorgefühle des ganz nahen Scheidens hatte sie mit sprechender Geberde, wenn gleich wortlos, mich ihm an das Herz gelegt, und war dann sorglos und fröhlich entschlummert, wie ein müdes Kind. Warum sollte sie sorgen? Hermann war es ja, dem der Vater unbedingtes Vertrauen geschenkt, dessen Schützer selbst die geliebte Gattinn nebst dem einzigen Sohne freudig übergeben hatte.

Fast besinnungslos, ohne Klage, ohne Thräne, ohne allen Widerstand ließ ich, so wie wir von dem Begräbniß meiner Mutter heimgekehrt waren, mich von Hermann in einen schon bereit stehenden Wagen heben, und fuhr mit ihm ab, ohne daß es mir nur eingefallen wäre, ihn zu fragen: wohin führst du mich, vom Grabe meiner Aeltern? von dem einzigen mir bekannten und lieben Platze auf der weiten, großen Welt? Jeder Aufenthalt, Tag und Nacht, ja Leben und Tod galten in diesem meinem wortlosen, unendlich tiefem Jammer mir gleich. Mit liebender Weisheit, mit wahrhaft väterlicher Sorgfalt brachte Hermann unterwegs das Gespräch auf meine Todten, auf meine Verlassenheit. Durch Fragen nach tausend kleinen Zügen aus unserm ehemahls so glücklichen häuslichen Leben, durch Hindeutungen auf das unaussprechliche Glück, das ich besessen und verloren, durch Erkundigungen nach der früheren Geschichte meiner Jugend, an der Seite so hochgeliebter Aeltern, wußte er mir endlich die Thränen vom Herzen zu lösen, die mich zu ersticken drohten; sie stoßen unaufhaltsam in Strömen dahin. Die Brust ward mir dadurch leichter, doch mein großer Jammer ward es nicht, ich vermochte nur, ihm kräftiger zu tragen.

Wie Angelina's süßes, holdes, nie vergessenes Bild in jenen, der tiefsten Trauer geweihten Tagen sich mit dem meiner Verlornen, besonders der geliebten, sanften Mutter, auf das innigste verflocht, das weißt du wohl, das fühlst du wohl, ohne daß ich versuche, es dir zu beschreiben. Du bist ja keine Ausnahme bey dem allgemeinen Loose der Sterblichen, und auch in dein Leben ist gewiß einmahl der Schmerz, mitten in der höchsten Blüthe desselben, verheerend getreten. Ja gewiß, du kennst die Sehnsucht, die uns in die Vergangenheit zurückreißt, bis wir Leid und Freude derselben mit einander verwechseln, und es ganz vergessen, daß die Sonne auch damahls uns nicht immer schien.

Lange noch überstrahlte Erinnerung verlornen Glückes mir die, auch jetzt wahrlich nicht freudenarme Gegenwart; lange noch tönten die Melodien meiner Kindheit in allen meinen Träumen mir wieder. Doch der Mensch ist nicht geboren zu nie endender Trauer, und wie jedes reine unverstellte und unverkünstelte Gemüth, erfuhr ich auch dieses weit früher, als ich es geglaubt hätte. Des Augenblicks Gewalt, dem wir alle fröhnen müssen, übte auch an mir seine Herrscherkraft aus, und nahm mein Wesen gefangen. Alles um mich her hatte sich indessen neu umgestaltet; was ich geliebt hatte, an was ich, seit ich geboren, gewöhnt gewesen war, bis auf meinen Nahmen sogar, war spurlos verschwunden, und auf ganz verschiedene Weise ersetzt.

Viel Neues, viel Schönes sogar, war an die Stelle des Alten getreten, das ich Anfangs mit Bewunderung, sogar mit Freude betrachtete. Neubegierig, wie Kinder es sind, nahm ich alles, was sich mir both, willig auf, und ließ es auch, wie ein Kind, bald wieder fallen; denn es war ja doch nicht das Liebe, das Gewohnte, nicht das, was ich immer wieder aufs neue, überall und in Allem schmerzlich vermißte, und zu dem ich, mit meinen Gedanken wie mit meinen Wünschen, immer wieder zurückkehrte.

Lieber Freund, hat man, als du noch ein Kind warst, nicht auch dir ein altes Ammen-Mährchen erzählt, das ich unzählige Mahl, ohne dessen müde zu werden, von meiner Mutter mir erzählen ließ? Ein Mährchen von einem köstlichen Garten, noch schöner als der unsere, voll wunderbar leuchtender Blumen und Früchte, zwischen denen prächtige bunte Vögel herumflatterten, deren schimmernde Flügel wie Silberglöckchen erklangen, wenn sie sich regten. Und ein großer singender Springbrunnen war im Garten, und ein ganz durchsichtig helles Schloß von Bergkrystall. Ach ich sah das alles so deutlich vor mir, wenn meine Mutter erzählte! In dem Schlosse gingen die zierlichsten, reizendsten, kleinen Gestalten, wahre Engelsbilder, aus und ein, und feyerten bey Gesang und Tanz und allerliebsten Spielen die anmuthigsten herrlichsten Feste. In ihrer Mitte lebte ein verzaubertes Kind, ein Knabe, den alle unbeschreiblich lieb hatten, und ihm an Blumen, Früchten und Spielwerk alles schenkten, was ihm gefiel; er wußte nichts anderes, als daß er in das Schloß und zu seinen freundlich-schönen Beschützern gehöre, und immer mit ihnen bleiben werde.

Nun aber war mit einem Mahle die Zeit seiner Verzauberung um, und er mußte zurück, in das Schloß seines Vaters, den er nicht kannte, und der ein König war; dort erwachte er eines Morgens plötzlich, in einer fremden, ihm ganz unbekannten Welt. Nichts ist von seinem früheren seligen Aufenthalt ihm geblieben, als die Erinnerung an denselben, die Sehnsucht nach seinen lieblichen, holden Gespielen, um die der arme Knabe lange, lange weint, und die glänzenden Geschenke der Elfen, deren Pracht alles um ihn her in das höchste Erstaunen versetzt, und die er allein nicht mehr zu schätzen weiß, indem er sie jetzt, da sie dem Boden entnommen, dem sie entsprossen, nicht mehr erkennt. Seitdem auf Erden das Licht des Tages sie beschien, hatten sie in kalte, schimmernde, leblose Zweige und Blumen von glänzenden Metallen, und in Früchte von farbigen blitzenden Edelsteinen sich verwandelt.

Ach meine Mutter hat, indem sie dieses mein Lieblings-Mährchen mir erzählte, wohl nie gedacht, daß sie mit prophetischem Sinne meine Zukunft mir entdecke! Ich war jetzt der arme Knabe, dem alles, alles verloren, das fühlte ich, besonders Anfangs, unaufhörlich; ich war unendlich einsam, mitten in dem geselligen Gewühle, das mich umgab. Von allen früheren Hoffnungen, von allen süßen Träumen meiner unbeschreiblich seligen Kindheit war ich unabwendbar geschieden. Neue Freuden fanden sich wohl, aber, wie dort im Mährchen, harte, kalte, glänzende Steinfrüchte, nicht mehr das weiche, warme, liebe Leben, an das ich gewöhnt! Denn ich war mit einem Mahle, ich begriff nicht wie, ein reiches, vornehmes Kind geworden, und man nannte mich den jungen Grafen Ferdinand von Hochburg. Ich hatte eine Reihe schöner Zimmer in einem großen pallastartigen Hause zu meiner Wohnung, und einen eigenen Bedienten, Reitpferde und Gewehre, und Jagdhunde, und was ich immer nur verlangen mochte. Wo ich im Hause, und sogar auch auf der Straße mich blicken ließ, grüßten die Leute mich ehrfurchtsvoll. Greise standen vor mir auf und entblößten ihre grauen Locken. Mein Vater und mehr noch meine Mutter, hatten immer darauf gehalten, daß ich das Alter ehren, es gern bedienen und ihm hülfreich mich beweisen mußte, und dieses zu unterlassen, ward in der That mir schwer, und ich gewöhnte erst spät, und mit großem Widerwillen mich daran.

Herrmann war eigentlich nur der Taufnahme des General von S… der jetzt mit wahrhaft väterlicher Liebe sich meiner Verlassenheit annahm. Er war nicht vermählt; sein Verhältniß gegen seinen Fürsten, der vor vielen Andern ihn ehrenvoll auszeichnete, die Pflichten der hohen militärischen Stelle, die er bekleidete, alles dieses zwang ihn oft zu bald längeren, bald kürzeren Abwesenheiten vom Hause, und erlaubte ihm nicht, sich so ganz der Aufsicht über die Vollendung meiner Erziehung widmen zu können, wie er es gerne wollte. Er übergab mich daher seiner von ihm sehr hochgehaltenen und geliebten Schwester, der verwitweten Gräfinn von Lichtwerth, in deren Hause ich fortan leben mußte, einer hohen, stolzen, sehr gebildeten Frau, von fast männlichem Geiste, und doch mit einem Herzen voll mütterlicher Liebe, das aber erst sich erwärmen mußte, ehe es sich öffnete.

Die höchste Wohlthat aber, die der General mir erwies, bestand wohl darin, daß er einem Hofmeister die Leitung meiner Erziehung übertrug, der sein vieljähriger Freund war, und bis zu dieser Stunde der meinige geblieben ist. Du erräthst wohl, daß ich von meinem hochgeliebten und verehrten Werner spreche. Wenn je ein Mensch auf Erden lebte, den ich in jeder trefflichen Eigenschaft des Geistes und Gemüthes meinem Vater zur Seite stellen möchte, so ist er es.

Alle diese drey ausgezeichnet edle Menschen, vereinten sich, um mir armen Knaben zu ersetzen, was ich auf immer verloren. Sie liebten mich, und ich lernte sie wieder lieben; ich sollte glücklich seyn, und ich ward es am Ende auch, nur anders wie ich es mir gedacht; doch zog mein Herz mich noch lange Zeit nach der ersten seligen Heimath meiner Kindheit zurück, und nie traten meine Blumen, mein See mit dem kleinen Nachen darauf, meine Felsen, meine Bäume, ach und Angelina! mir lebendiger vor den innern Sinn, als wenn es gerade um mich her am schönsten war. Wenn alle, die mir wohl wollten, voll froher Erwartung um mich her standen, und vor Begierde brannten, zu sehen, wie ich nun gleich vor Lust über etwas mir ganz unerwartet zugekommen Erfreuliches außer mir gerathen würde, dann trieb oft die gewaltige Sehnsucht nach Ehemahls mir Thränen in die Augen, und ich schien undankbar, weil mein umdunkelter Blick mir nicht erlaubte, das viele Gute zu erkennen, das mir gewährt war.



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