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Einleitung.

Der Inhalt nachstehender Abhandlung ist eine neue Theorie der Farbe, die schon am Ausgangspunkte von allen bisherigen sich gänzlich entfernt. Sie ist hauptsächlich für Diejenigen geschrieben, welche mit Goethes Farbenlehre bekannt und vertraut sind. Doch wird sie auch außerdem, der Hauptsache nach, allgemein verständlich seyn, immer aber um so mehr, als man einige Kenntniß der Farbenphänomene mitbringt, namentlich der physiologischen, d. i. dem Auge allein angehörigen Farbenerscheinungen, von denen zwar die vollkommenste Darstellung sich in Goethes Farbenlehre findet, die jedoch auch früher, hauptsächlich von Büffon Hist. de l'acad. d. sc. 1743., Waring Darwin Erasmus Darwins Zoonomia, auch in den philos. transact. Vol. 76. und Himly Ophthalmologische Bibliothek, Bd. 1, St. 2. mehr oder minder richtig beschrieben sind.

Büffon hat das Verdienst, der Entdecker dieser merkwürdigen Thatsache zu seyn, deren Wichtigkeit, ja, Unentbehrlichkeit zum wahren Verständniß des Wesens der Farbe aus meiner Theorie derselben erhellt. Zur Auffindung dieser selbst aber hat Goethe mir den Weg eröffnet, durch ein zwiefaches Verdienst. Erstlich, sofern er den alten Wahn der Neutonischen Irrlehre brach und dadurch die Freiheit des Denkens über diesen Gegenstand wiederherstellte: denn, wie Jean Paul richtig bemerkt, »jede Revolution äußert sich früher, leichter, stärker polemisch, als thetisch« (Aesth. Bd. 3. S. 861). Jenes Verdienst aber wird dann zur Anerkennung gelangen, wann Katheder und Schreibtische von einer ganz neuen Generation besetzt seyn werden, die nicht, und wäre es auch nur in ihren Greisen, ihre eigene Ehre gefährdet zu halten hat, durch den Umsturz einer Lehre, welche sie ihr ganzes Leben hindurch, nicht als Glaubens-, sondern als Ueberzeugungs-Sache vortrug. – Das zweite Verdienst Goethes ist, daß er in seinem vortrefflichen Werke in vollem Maaße Das lieferte, was der Titel verspricht: Data zur Farbenlehre. Es sind wichtige, vollständige, bedeutsame Data, reiche Materialien zu einer künftigen Theorie der Farbe. Diese Theorie selbst zu liefern, hat er indessen nicht 10 unternommen: daher er sogar, wie er p. XXXIX der Einleitung selbst bemerkt und eingesteht, keine eigentliche Erklärung vom Wesen der Farbe aufstellt, sondern sie als Erscheinung wirklich postulirt und nur lehrt, wie sie entstehe, nicht was sie sei. Die physiologischen Farben, welche mein Ausgangspunkt sind, legt er als ein abgeschlossenes, für sich bestehendes Phänomen dar, ohne auch nur zu versuchen, sie mit den physischen, seinem Hauptthema, in Verbindung zu bringen.

Wohl ist Theorie, wenn nicht durchgängig auf Fakta gestützt und gegründet, ein eitles leeres Hirngespinnst, und selbst jede einzelne, 20 abgerissene, aber wahre Erfahrung hat viel mehr Werth. Andererseits aber bilden alle einzeln stehende Fakta, aus einem bestimmten Umkreise des Gebiets der Erfahrung, wenn sie auch vollständig beisammen sind, doch nicht eher eine Wissenschaft, als bis die Erkenntniß ihres innersten Wesens sie unter einen gemeinsamen Begriff vereinigt hat, der alles umfaßt und enthält, was nur in jenen sich vorfinden kann, dem ferner wieder andere Begriffe untergeordnet sind, durch deren Vermittelung man zur Erkenntniß und Bestimmung jeder einzelnen Thatsache sogleich gelangen kann. Die so vollendete Wissenschaft ist einem wohlorganisirten 30 Staate zu vergleichen, dessen Beherrscher das Ganze, jeden größeren und auch den kleinsten Theil jeden Augenblick in Bewegung setzen kann. Daher steht Derjenige, welcher im Besitz der Wissenschaft, der wahren Theorie, einer Sache ist, gegen Den, welcher nur eine empirische, ungeordnete, wenn gleich sehr ausgebreitete 35 Kenntniß derselben sich erworben hat, wie ein polizirtes, zu einem Reich organisirtes Volk gegen ein wildes. Diese Wichtigkeit der Theorie hat ihren glänzendesten Beleg an der neueren Chemie, dem Stolze unsers Jahrhunderts. Nämlich die faktische Grundlage derselben war schon lange vor Lavoisier vorhanden, in den Thatsachen, welche vereinzelt, von Joh. Rey (1630), Rob. Boyle, Mayow, Hales, Black, Cavendish, und endlich Priestley, aufgefunden waren: aber sie halfen der Wissenschaft wenig, bis sie in Lavoisier's großem Kopfe sich zu einer Theorie organisirten, welche gleichsam die Seele der gesammten neuern Naturwissenschaft ist, durch die unsere Zeit über alle früheren emporragt.

Wenn wir (ich meine hier sehr Wenige) ferner die Neutonische Irrlehre, von Goethe, theils durch den polemischen Theil seiner Schrift, theils durch die richtige Darstellung der Farbenphänomene jeder Art, welche Neuton's Lehre verfälscht hatte, auch völlig widerlegt sehn; so wird doch dieser Sieg erst vollständig, wenn eine neue Theorie an die Stelle der alten tritt. Denn das Positive wirkt überall mächtiger auf unsere Ueberzeugung als das Negative. Daher ist so wahr wie schön, was Spinoza sagt: Sicut lux se ipsa et tenebras manifestat; sic veritas norma sui et falsi est. Eth. P. II. prop. 43. Schol.

Es sei ferne von mir, Goethes sehr durchdachtes und in jeder Hinsicht überaus verdienstliches Werk für ein bloßes Aggregat von Erfahrungen ausgeben zu wollen. Vielmehr ist es wirklich eine systematische Darstellung der Thatsachen: es bleibt jedoch bei diesen stehn. Daß er Dies selbst, und nicht ohne einige Beunruhigung, gefühlt hat, bezeugen folgende Sätze aus seinen »Einzelnen Betrachtungen und Aphorismen über Naturwissenschaft im Allgemeinen« (Nachlaß Bd. 10. S. 150, 152): »Es giebt eine zarte Empirie, die sich mit dem Gegenstand innigst identisch macht und dadurch zur eigentlichen Theorie wird.« – »Das Höchste wäre, zu begreifen, daß alles Faktische schon Theorie ist. Die Bläue des Himmels offenbart uns das Grundgesetz der Chromatik. Man suche nur nichts hinter den Phänomenen: sie selbst sind die Lehre.« – »Wenn ich mich beim Urphänomen zuletzt beruhige, so ist es doch nur aus Resignation: aber es bleibt ein großer Unterschied, ob ich mich an den Gränzen der Menschheit resignire, oder innerhalb der Beschränktheit meines bornirten Individuums.« – Ich hoffe, meine hier zu liefernde Theorie wird darthun, daß es nicht die Gränzen der Menschheit gewesen sind. Wie aber jene Beschränkung auf das rein Faktische in Goethes Geiste begründet war, ja, gerade mit seinen höchsten Fähigkeiten zusammenhieng, habe ich dargelegt in meinen Parergis, Bd. 2. S. 146; unserm Gegenstande aber ist es nicht so wesentlich, daß ich es hier wiederholen müßte. Eine eigentliche Theorie also ist nicht in Goethes Farbenlehre enthalten; wohl aber ist sie dadurch vorbereitet, und ein Streben nach ihr spricht so deutlich aus dem Ganzen, daß man sagen kann, sie werde, wie ein Septimen-Ackord den harmonischen, der ihn auflöst, gewaltsam fordert, eben so vom Totaleindruck des Werks gefordert. Wirklich gegeben ist indessen in diesem nicht der eigentliche Bindungspunkt des Ganzen, der Punkt auf den Alles hinweist, von dem Alles immer abhängig bleiben muß, und auf den man von jedem Einzelnen immer zurückzusehn hat. In dieser Hinsicht nun das Goethische Werk zu ergänzen, dasjenige oberste Princip, auf welchem alle dort gegebenen Data beruhen, in abstracto aufzustellen, und so die Theorie der Farbe, im engsten Sinne des Worts, zu liefern, – dies ist es was gegenwärtige Abhandlung versuchen wird; zwar zunächst nur in Hinsicht auf die Farbe als physiologische Erscheinung betrachtet: allein eben diese Betrachtung wird sich, in Folge der jetzt zu gebenden Darstellung, als die erste, ja durchaus die wesentlichste Hälfte der gesammten Farbenlehre herausstellen, zu welcher die zweite, die physischen und chemischen Farben betrachtende, wenn sie gleich reicher an Thatsachen ist, in theoretischer Hinsicht immer in einem abhängigen und untergeordneten Verhältnisse stehn wird.

Die hier aufzustellende Theorie wird aber, wie jede wahre Theorie, den Datis, denen sie ihre Entstehung verdankt, diese Schuld dadurch abtragen, daß, indem sie vor allen Dingen zu erklären sucht, was die Farbe ihrem Wesen nach sei, alle jene Data jetzt erst in ihrer eigentlichen Bedeutung, durch den Zusammenhang, in den sie gesetzt sind, hervortreten und eben dadurch wieder sehr bewährt werden. Von ihr ausgehend wird man sogar in den Stand gesetzt, über die Richtigkeit der Neutonischen und der Goethe'schen Erklärung der physischen Farben a priori zu urtheilen. Ja, sie wird aus sich selbst, in einzelnen Fällen, jene Data berichtigen können: so z. B. werden wir besonders auf einen Punkt treffen, wo Goethe, der im Ganzen vollkommen Recht hat, doch irrte, und Neuton, der im Ganzen völlig Unrecht hat, die Wahrheit gewissermaaßen aussagte, wiewohl eigentlich mehr den Worten als dem Sinne nach, und selbst so nicht ganz. Dennoch ist meine Abweichung von Goethen in diesem Punkte der Grund, weshalb er in seinem, 1853 von Düntzer herausgegebenen Briefwechsel mit dem Staatsrath Schultz, S. 149, mich als einen Gegner seiner Farbenlehre bezeichnet, eben auf Anlaß gegenwärtiger Abhandlung, in der ich doch als ihr entschiedenster Verfechter auftrete, und Dies, wie ich es damals, in meinem 28sten Jahre, schon war, beharrlich geblieben bin, bis ins späte Alter, wovon ein besonders ausdrückliches Zeugniß ablegt mein, in dem von seiner Vaterstadt, an seiner hundertjährigen Geburtsfeier, ihm zu Ehren eröffneten Album, vollgeschriebenes großes Pergament-Blatt, auf welchem man mich, noch immer ganz allein die Fahne seiner Farbenlehre hoch emporhaltend, erblickt, im furchtlosen Widerspruch mit der gesammten gelehrten Welt. Abgedruckt in Parerga, Bd. 2. S. 165.]Er jedoch verlangte die unbedingteste Beistimmung, und nichts darüber, noch darunter. Daher er, als ich durch meine Theorie einen wesentlichen Schritt über ihn hinausgethan hatte, seinem Unmuth in Epigrammen Luft machte, wie:

»Trüge gern noch länger der Lehrers Bürden,
Wenn Schüler nur nicht gleich Lehrer würden.«

Darauf zielt auch schon das Vorhergehende:

»Dein Gutgedachtes, in fremden Adern,
Wird sogleich mit dir selber hadern.«

Ich war nämlich in der Farbenlehre persönlich sein Schüler gewesen; wie er Dies auch in dem oben angeführten Briefe erwähnt.

Ehe ich jedoch zu dem eigentlichen Gegenstande dieser Abhandlung, den Farben, komme, ist es nothwendig etwas über das Sehn überhaupt voranzuschicken: und zwar ist die Seite dieses Problems, deren Erörterung mein Zweck hier erfordert, nicht etwan die optisch-physiologische, sondern vielmehr diejenige, welche ihrem Wesen nach, in die Theorie des Erkenntnißvermögens und sonach ganz in die allgemeine Philosophie einschlägt. Eine solche konnte hier, wo sie nur als Nebenwerk auftritt, nicht anders als fragmentarisch und unvollständig behandelt werden. Denn sie steht eigentlich bloß deswegen hier, damit, wo möglich, jeder Leser zu dem folgenden Hauptkapitel die wirkliche Ueberzeugung mitbringe, daß die Farben, mit welchen ihm die Gegenstände bekleidet erscheinen, durchaus nur in seinem Auge sind. Dieses hat zwar schon Cartesius ( Dioptr. c. 1) gelehrt, und Viele nach ihm; am gründlichsten Locke; lange vor Beiden jedoch schon Sextus Empirikus ( Hypot. Pyrrh. L. II. c. 7. § 72–75), als welcher bereits es ausführlich und deutlich dargethan hat, ja, dabei so weit geht, zu beweisen, daß wir die Dinge nicht erkennen nach Dem, was sie an sich seyn mögen, sondern nur ihre Erscheinungen; welches er sehr artig erläutert durch das Gleichniß, daß wer das Bildniß des Sokrates sieht, ohne diesen selbst zu kennen, nicht sagen kann, ob es ähnlich sei. Bei allen Dem glaubte ich nicht, eine richtige, recht deutliche und unbezweifelte Erkenntniß von der durchaus subjektiven Natur der Farbe ohne Weiteres voraussetzen zu dürfen. Ohne eine solche aber würden, bei der folgenden Betrachtung der Farben, noch immer einige Skrupel sich regen und die Ueberzeugung von dem Vorgetragenen stören und schwächen.

Was ich demnach hier, jedoch nur soweit es unser Zweck erfordert, also aphoristisch und in einem leichten Umrisse darstelle, nämlich die Theorie der äußern, empirischen Anschauung der Gegenstände im Raum, wie sie, auf Anregung der Empfindung in den Sinnesorganen, durch den Verstand und die ihm beigegebenen übrigen Formen des Intellekts zu Stande kommt, das habe ich in spätern Jahren vollendet und auf das Faßlichste, ausführlich und vollständig dargelegt in der zweiten Auflage meiner Abhandlung über die vierfache Wurzel des Satzes vom Grunde, § 21. Dahin also verweise ich, hinsichtlich dieses wichtigen Gegenstandes, meinen Leser, der das hier Gegebene nur als einen früheren Prodromus dazu anzusehn hat.


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