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Der überaus vornehme Friseur

Er hatte einen wohlgepflegten Vollbart und sah aus wie Herr Sudermann.

Er trug immer einen schwarzen Gehrock mit großem Seidenrevers und lange, schmale Lackstiefel.

Er war der erste Friseur der Stadt. Vor seiner Tür hatte er mehrere goldene Wappenschilder mit Keulenmännern, die ein Zeichen dafür waren, daß er schon erlauchte Bartstoppeln beseitigen durfte. Auch besaß er eine Brillantbusennadel: die Initialen des regierenden Fürsten mit der Krone darüber. Mancher höhere Staatsbeamte beneidete ihn um dieses Zeichen allerhöchsten Wohlwollens.

Es gehörte zum guten Ton, sich bei ihm behandeln zu lassen.

In jeder Stadt gibt es sogenannte » First-Class-Geschäfte,« die ihren Ruf meist ohne eigenes Verdienst, durch die Suggestion der Tradition zu wahren wissen.

Da haben wir das Herrenmodengeschäft, sprich: »lätest fäschen,« den Schneider, sprich: »täler,« den Schuster, sprich: »buuts,« bei welchem sich der Kavalier, der etwas auf sich hält, zu bedienen hat.

Die exklusive, zurückhaltende Tendenz derartiger Standard-Läden künden schon die Schaufenster.

Liegt in einer großen Auslage aus poliertem Mahagoni lediglich ein zusammengeknülltes Seidentuch, ein Hosenträger, ein seidener Strumpf und eine Glasflasche mit englischen Drops, so befindest du dich vor dem einzigen Ort, wo du als Mann von Geschmack und Distinktion dir deine Krawatten, Unterwäsche und so zu kaufen hast.

Ein einsamer Lackschuh, ein schwarzer Leisten und ein Paar seidene Schuhbänder – nicht zu vergessen, eine Flasche englischer Drops – wahllos in einer Vitrine aus Zitronenholz verstreut, zeigen dir an, daß hier der maßgebende Schuster wohnt.

Bei dem alleinseligmachenden Schneider – ich warne dich indessen inständigst, den Mann niemals so zu nennen – wirst du außer der Flasche Drops nur ein buntes Stück Flanell für eine Weste im Schaufenster finden.

Für die Geschäfte in erstklassiger Damengarderobe gelten die gleichen Grundsätze. So wacht auf mich stets das Schaufenster des sogenannten feinsten Damenmodemagazins der Stadt einen großen Eindruck. Auf einem Ständer langweilt sich ein einsamer, uninteressanter Hut, der so angebracht ist, daß man noch gerade ein wenig darunter schauen kann, um das Wort »Paris« zu lesen. Weit und breit sonst nichts in der Auslage oder höchstens nur wieder eine Flasche mit englischen Drops, die in allen Fällen auf harmlose Gemüter unbedingt wirkt. –

Er war also der erste Friseur der Stadt.

Er hielt sich meistens in dem Raum vor dem Rasiersalon auf und machte lediglich in einer herablassenden Form, vorsichtig abwägend, die Honneurs. Vom einfachen Ausgucken von der Zeitung an bis zum eigenhändigen Helfen in den Paletot und Geleiten bis zur Tür zog er in entsprechender Weise, auf jeden Fall individuell zugeschnitten, die Register seiner Höflichkeit.

Letzterwähnte Nuance stellte den Superlativ seiner Herablassung dar und wurde von ihm nur äußerst selten in Anwendung gebracht.

Hatte jemand keinen klangvollen Namen oder Titel, so kümmerte er sich persönlich gar nicht um ihn. Höchstens, daß er mal flüchtig von der Zeitung aufschaute oder, wenn er besonders gut gelaunt war, die Zigarette einen Moment aus dem Mund nahm. Weiteren Ovationen wurden diese Armen, die von seinen Gehilfen kurzerhand mit Herr »Direktor« angeredet wurden, seinerseits nicht gewürdigt. Das war er seinem Geschäft und seinen anständigen Kunden gegenüber schuldig.

Selbst Leute, die sonst wirklich etwas bedeuten, wie Assessoren, Rechtsanwälte, Amtsrichter, Bankdirektoren grüßte er nur mit einer leichten Verbeugung, indem er mit müder, diskreter Stimme ihren Titel nannte, den, wie ein Echo, seine acht Angestellten in weißen Tropenuniformen laut wiederholten.

Erst vor Uniformen und Regierungsräten ging er aus seiner Reserve heraus, die in eine gewinnende Liebenswürdigkeit ausarten konnte, wenn es sich dann noch um den Träger eines alten, feudalen Namens handelte.

Noch eine wohlüberlegte Höflichkeitsnote war die: ostentativ herbeizueilen, um jemand beim Anziehen des Paletots behilflich zu sein, es indessen mit mathematischer Sicherheit stets so einzurichten, daß er zu spät kam und den Betreffenden erst erreichte, wenn dieser seinen Mantel schon anhatte.

Einen gewissen, ehrlichen Respekt hatte er vor anerkannt schwer reichen Leuten, die selbst von den Offizieren zuerst gegrüßt wurden, vor Leuten mit furchtbar vielen Nullen, die im Auto vor seinem Geschäft vorknatterten und deren Persianerpelze seinen Garderobeständer demütig erzittern ließen. –

Ich hatte eine ganz unbegrenzte Devotion, eine fast religiöse Hochachtung vor diesem Manne, dem ich, kein Träger eines besonders exklusiven Namens und ohne viele Nullen, nicht das geringste Interesse einflößte. Ich mußte zufrieden sein, überhaupt in seinem Salon verkehren zu dürfen.

Die geistreichen, schöngeistigen Philosopheme eines Freundes, der für Wilde und Brummel schwärmte, glatt rasiert war, den Zeigefinger mit einem großen Topasring aus dem Cinquecento geschmückt hatte und in einer fast krankhaften Weise überall den Dandy witterte, hatten noch das ihrige getan, weinen Respekt vor den; vornehmen Friseur in das Unangemessene wachsen zu lassen.

»Schau dir nur diesen Mann an,« hatte mein Freund gesagt, »diese ruhige Eleganz, diese fast raffinierte Einfachheit seiner Erscheinung, kein Detail unterstrichen, alles auf die Gesamtwirkung berechnet, auf eine Harmonie von Nuancen und Linien. Sein distinguiertes, abgemessenes Benehmen. Seine vornehme Ruhe.«

Weil mein Freund viel klüger war wie ich, dieses auch durch einen akademischen Grad bewiesen hatte, so gab ich ihm rückhaltlos recht.

»Ich bin sicher, dieser. Mann hat sich das außergewöhnliche Milieu dieses Friseurladens als bewußte, ganz raffinierte mise en scéne seiner Person ausgewählt.«

Schon der Alte hatte den Laden gehabt, dachte ich mir, sagte es aber nicht.

»Hast du beobachtet, wie er wirkt, gegen die hohen, innen mit Samt ausgeschlagenen, strengen Glasschränke aus poliertem Holz mit goldenen Empireemblemen? Gegen die ihres Wertes sich sehr bewußten Kristallflakons, die in vornehm großen Abständen in diesen Schränken stehen? Könnte er im roten Jagdfrack auf einem Vollblutpferd, im grauen Gehrock eine elegante Mailcoach lenkend, im schwarzen Frack, eine seltene Orchidee angesteckt, auf dem Fest einer Herzogin, im weißen Tennisdreß, das Rakett schwingend, eine bessere Figur abgeben?«

Dann hatte er, hingerissen von seiner Begeisterung, enthusiastisch ausgerufen: »Dieser Mann befindet sich hier in diesem Rasiersalon lediglich einer Laune, einer satanistischen Lust willen, als Sammler und Liebhaber menschlicher Farcen. Er will die Menschen studieren, in ihrem jämmerlichen Naturzustand, ohne Maske, ohne Aufmachung, wenn sie sich wie hier auf Gnade und Ungnade anderen in die Hände geben. Liegt nicht ein eigentümlicher Reiz darin, Autoritäten in würdelosen, beschämenden, nivellierenden, Situationen zu sehen? Ehrwürdige, ernste Männer in weiten weißen Mänteln, die ihnen etwas von einer französischen Amme geben!«

Mein Freund möchte wohl recht haben mit dieser neuen Hypothese. In der Tat, es war eine eigenartige Sensation, sich auszumalen:

Goethe beim Friseur, halb eingeseift, den Kopf krampfhaft zurückgebeugt, die edle Nase in den Händen des Friseurgehilfen, bittend, man möge ihn nicht gegen den Strich rasieren. Oder den Turnvater Jahn, der sich aus seinem langen Liebegottbart einen Krauzbart schneiden lassen will und den Schnurrbart englisch zustutzen läßt. Oder Schleiermacher, der peinlich darüber wacht, daß man ihm den Scheitel durchzieht und mit Pomade festlegt. Oder Kant, der sich Koteletten und eine Fliege wachsen lassen will. Oder Friedrich Rückert, der etwas gegen seine Schuppen tun will!

Von der Fülle der sich häufenden Gesichtspunkte war ich völlig konfus geworden.

Auf jeden Fall aber hatten die Anregungen meines Freundes so auf mich gewirkt, daß ich den vornehmen Friseur fast wie ein höheres Wesen betrachtete. Mit heiligen Schauern betrat ich sein Geschäft und drückte mich ganz klein und bescheiden, mit einer tiefen Verbeugung scheu an ihm vorbei.

Einen ähnlichen, nicht ganz so ausgesprochenen Respekt habe ich nur noch vor Oberkellnern und Portiers großer internationaler Hotels, vor Müttern mit heiratsfähigen Töchtern, vor Bezirksfeldwebeln, vor satisfaktionsfähigen Ehemännern hübscher Frauen und vor Zollkontrolleuren. –

Dann geschah eines Tages das Furchtbare.

Ich hatte sämtliche acht Gehilfen beschäftigt vorgefunden und mich still in dem letzten leeren Rasiersessel mit einer sehr zerlesenen Nummer einer illustrierten Wochenschrift aufgebaut und mit dem denkbar größten Interesse eine darin abgebildete gräfliche Hochzeitsgesellschaft beguckt, deren Namen von links nach rechts zu lesen waren, als ich plötzlich jemanden hinter mich treten fühlte, einen weißen Frisiermantel umgehangen bekam und aufschauend im Spiegel voller Grauen und Entsetzen den vornehmen Friseur in eigener Person erblickte, wie er sich anschickte, selbst Hand an mich zu legen.

Der Angstschweiß trat mir auf die Stirn. Ich wollte abwehren und sagen, ich könnte warten, Stunden, Tage, Wochen, Monate, er möchte sich nicht profanieren. Meine Kehle war wie zusammengeschnürt, die Zunge klebte mir am Gaumen. Ich brachte kein Wort heraus.

Die heiligen Hände seiften mich ein, rasierten mich, auch gegen den Strich, was ich gar nicht vertragen konnte; ich wagte nicht, mich zu mucksen. Dann wurde mir der Bart geschnitten, wie ich ihn absolut nicht mochte. Brillantine, Öl, Pomade wurde mir überall hingeschmiert. Das Kopfhaar wurde gestutzt zu einer Frisur, die ich verabscheute. Ich wurde champooniert, mit Bay-Rum, Eiswasser, Birkenbalsam gewaschen, mit Sachen, bei deren Geruch es mir immer gleich schlecht wurde. Eine Flasche nach der anderen entkorkten die weißen Hände, versahen sie mit meinem Namen und stellten sie in ein Gefach.

Es rang und kämpfte in mir. Ich wollte etwas sagen: mein Idol anflehen, die Hände von mir zu lassen,, auf sein Piedestal erhabener Göttlichkeit zurückzukehren. Nur ein ohnmächtiges Keuchen brachte ich hervor.

Furchtbar arbeitete es in meinem Inneren. Mein Brustkorb erweiterte sich. Die Rippen bogen sich gerade, so daß ich ausschaute wie ein Christbaum oder ein Garderobeständer. Meine Ohren fransten aus. Die Knöpfe an meinem Anzug zerflossen zu einer übelriechenden Masse. Mein Schirm sprang mit einem schrecklichen Satz aus dem Schirmständer in das Zimmer, spannte sich von selbst auf und flog wehklagend, wie ein gespenstiger Vogel, durch den Raum.

Alle übrigen Anwesenden: Gehilfen und Kunden waren längst über alle Berge. Erst hatten sie starr vor Staunen dem Unerhörten zugeschaut, als der vornehme Friseur an meinen Stuhl getreten war; als er aber begonnen hatte, ernst zu wachen, waren alle Hals über Kopf voll namenlosen Entsetzens weggestürzt. Nur ein alter Geheimrat, der in der ersten Aufregung auf den brennenden Ofen geklettert war, war übrig geblieben. Er klebte an der heißen Ofenplatte fest und ließ sich bräunen, bruzzelte gar lustig, wie ein Bratapfel.

Der ganze Laden revoltierte. Alles ging drunter und drüber.

Flaschen platzten mit lautem Knall, ihr Inhalt verfärbte sich, verdickte sich dann zu einem zähen Brei, aus welchem behaglich feixende Mehlwürmer krochen. Von den Spiegeln lief das Quecksilber in Bächen herunter; fußhoch stand es bereits im Zimmer. Mein weicher Hut verwandelte sich in einen steifen Hut, der anschwoll, platzte und als flügellahme Fledermaus ungeschickt herumflatterte.

Alles um mich begann sich zu drehen. Ich wurde durch die Schaufenster auf die Straße geschleudert. Die Häuser spuckten ihre Fenster auf das Pflaster. Kometen schleppten ihre Schweife durch die Straßen, wirbelten einen tollen Staub auf, verhedderten sich in Stakets und rissen sich die Stoßlitze ab. Elektrische Straßenbahnwagen liefen verwirrt über Straßen, wo keine Schienen lagen und versuchten sich voller Angst in Hauseingänge zu flüchten. – –

Da traf mich, Gott sei Dank, der Schlag.


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