Hermann Harry Schmitz
Der Aesthet
Hermann Harry Schmitz

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V.

Schlaftrunken blinzelte ich in das von der Sonne erhellte Zimmer.

Was war das?

Eine alte Frau, wie die böse Hexe aus dem Märchen, stand im Zimmer und machte sich an der Kommode zu schaffen.

Ich lag wie gebannt, rührte mich nicht.

Die Alte nahm etwas aus der Kommodenschublade und verließ mit müden Schritten das Zimmer.

War es ein Spuk, der mich narrte?

Ich hatte mich von meinem Erstaunen noch nicht ganz erholt, da öffnete sich die Tür wieder, ein langer, hagerer Mann in Hemdsärmeln und herabhängenden Hosenträgern ging geheimnisvoll an den Kleiderschrank, legte hastig einige Kleidungsstücke über den Arm und verschwand hinaus, lautlos, wie er gekommen.

Ein eigenartiger Hotelbetrieb.

Ich sprang aus dem Bett.

Abermals ging die Tür, ein kleines Mädchen mit Triefaugen und einer Crèmenase trippelte ins Zimmer. Husch husch eilte es an den Waschtisch, biß ein Stück von meiner Seife ab, kam dann auf mich zu und gab mir dankend seine feuchte Hand. Mit vollen Backen die Seife kauend eilte es hinaus.

Seltsames Land, dieses Corsica. Seltsame Gebräuche.

Ich konnte mich nicht erinnern, in letzter Zeit E. T. A. Hoffmann gelesen zu haben.

Der verdammte Absinth! Mein armer Schädel!

Ich steckte den Kopf in die Waschschüssel. Es zischte laut – dann wurde mir ein wenig besser.

Ich war neugierig, wie Mauzfies sich fühlte. Zu meiner Verwunderung hörte ich, daß er überhaupt noch nicht ins Hotel zurückgekommen sei.

Sollte ihm etwas zugestoßen sein? – Ich beschloß, vor allem gründlich zu frühstücken.

Es war bereits 11 Uhr geworden.

Ich hatte gerade ein Stück gebackenen Fisch im Mund, als sich die Tür auftat und Mauzfies eintrat.

Er hatte die Weste mit dem Rock verknöpft, sonst fiel mir nichts an ihm auf.

»Rubens – Rubens hat bestimmt auch seine Meriten, nur ist der Gedanke an seine Fülle in wärmeren Himmelsstrichen etwas strapaziös«, grinste er, verlangte Teller und Besteck und stach mit dem Messer auf den Fisch ein.

»Nach dem Frühstück gehen wir zur Herzogin«, bestimmte er nach einer Weile mit vollem Munde.

»Ja, aber – –?« Ich murmelte etwas von Toilette machen.

»Ihre unverfälschte Begeisterung für die Schönheiten der Kunst gefällt mir«, sagte er, meine Anrede überhörend. »Sie tragen die große Sehnsucht in sich. Sie leiden am Ekel vor dem Alltag. Durch Botticelli werden Sie ihn überwinden.«

»Zu Rubens raten Sie mir also nicht, Meister?«

Und sofort senkte ich den Blick in den Schoß.

Das war doch immer ein verteufelt unangenehmes Gefühl, wenn er mich ansah. Ich nahm mir vor, nie, aber auch nie wieder mit einem Glasäugigen zu reisen. Man wird einfach verrückt dabei. Man ist in einer beständigen Ungewißheit, verliert allen Halt.

Den Revolver wollte ich jedenfalls einstecken. Natürlich fand ich ihn erst im letzten Koffer.

Bei dem Kellner mit der Fliege am Kinn erkundigte ich mich nach dem Schloß der Herzogin.

»Da wollen Sie hin?« rief er mit schlecht verborgenem Entsetzen.

»Jawohl, wenn Sie nichts dagegen haben. – Wie weit rechnet man?«

»Sie wollen zur Herzogin – mit ihm?« fuhr er verstört fort, indem er mit dem Daumen nach dem Speisesaal deutete.

Kopfschüttelnd ließ er mich stehen und verschwand irgendwohin.

Zurück konnte ich nicht mehr.

An der Saaltür prallte ich mit Mauzfies zusammen, der sein unvermeidliches Paket unterm Arm hatte.

»Wir müssen aufbrechen, die Herzogin ist nicht gewohnt zu warten.«

»Aber der Weg?« meinte ich zaghaft.

Ungerührt schritt er fürbaß, und ich trottete willenlos durch die steilen Gassen hinter ihm her.

»Da«, sagte er, als wir die bekanntlich amphitheatralisch ansteigende Stadt hinter uns hatten, und zeigte auf ein großes weißes Gebäude, das weit in der Ferne auf einem Bergvorsprung thronte.

In der südlichen Sonnenhitze eine liebliche Perspektive.

Hätte ich mich nur auf nichts eingelassen. Und wenn mir nun zu allem auch noch etwas passiert? Wer weiß, was das für eine Sorte Herzogin ist.

Ich dachte an meine armen Angehörigen. Ich hatte gelesen, daß man das in solchen Lagen immer tut. Mir fiel aber ein, wie gleichgültig ich den Leuten zu Hause und diese mir waren.

Glühend schien die Sonne auf uns herab.

Zuweilen blieb Mauzfies stehen, schaute nach Bastia zurück und lächelte leise vor sich hin. Wohl in Erinnerung an die Erlebnisse der vergangenen Nacht.

»Kennen Sie die Venus Kalipygos?« fragte er plötzlich schnaufend. »Denken Sie sie sich mit sechs potenziert.«

Ich hatte gar keine Lust, mir etwas so Kompliziertes zu denken, zog meinen Rock aus und wanderte unverdrossen weiter durch die Glut.

Ich Kamel, mich auf diese Sache einzulassen.

Wir marschierten auf einer in den Felsen eingeschlagenen kahlen Straße voll spitzer Steine, die im Bogen um den Fuß des Bergvorsprungs herumführte, auf welchem das Schloß lag. Und bald begann die eigentliche Hauptstrapaze, da Mauzfies sich eigensinnig darauf versteifte, ein Stück Weg abzuschneiden.

»Die Herzogin ist ein Märchen aus dem sechzehnten Jahrhundert«, flüsterte er mir auf einmal ins Ohr.

Es lag gar kein Grund vor, zu flüstern. Er wollte nur Atem schöpfen.

Weiter ging die Kletterei.

»Ich laufe mir todsicher die Füße durch. – Hätten wir doch bloß einen Wagen genommen!« murrte ich vor mich hin.

Er antwortete nicht.

Ich konstatierte mit Vergnügen, daß ihm der Schweiß in Strömen über die Stirn rann, jeden Augenblick wischte er sich mit dem Rockärmel übers Gesicht.

Er verpustete einen Augenblick.

Wir hatten schon eine ordentliche Höhe erreicht. Bastia lag tief unter uns im Sonnenbrand. Weithin glänzte der Azur des Ligurischen Meeres. Wie ein Hauch schwamm im Duft des Horizonts die Insel Elba.

»Nicht nur, daß unsere Kleidung den einfachsten Regeln der Hygiene nicht entspricht, sie ist auch unschön«, sagte Mauzfies und begann sich zu entkleiden.

Mit maßlosem Erstaunen verfolgte ich sein Beginnen.

Die denkwürdige Unterhose wurde vorsichtig über die Zugstiefel abgestreift und behutsam zu einem Bündel zusammengerollt. Befriedigt zog er sich dann wieder an und setzte den Aufstieg fort.

»Eine eigenartige Tönung hat Ihre Unterhose«, bemerkte ich.

»Sehr haltbares Gewebe. Ich kaufte sie vor Monaten in Athen; ich möchte sie nicht entbehren«, meinte Mauzfies mit einem Anflug von Stolz. »Sie gibt sehr warm, darum ziehe ich sie beim Aufstieg aus«, fügte er erklärend hinzu.

Der Ästhet Mauzfies, in der einen Hand die zusammengeknüllte Unterhose, in der anderen Hand das Waschfrauenpaket – ich mußte noch mal eingehend den Kopf schütteln.

Na, die Herzogin wird Augen machen.

Um vier Uhr hielten wir endlich schweißgebadet vor dem Parktor des herzoglichen Schlosses. Aus einer Rosette des schmiedeeisernen Torbeschlags schaute ein kleiner bronzener Schlangenkopf hervor. Mauzfies schien Bescheid zu wissen. Er berührte nur kurz den Schlangenkopf.

Mir klopfte das Herz.

Das Tor ging plötzlich auf und – –

Wahrhaftig, die Sache fing ja allerlei versprechend an.

Ein herkulisch gebauter dunkelfarbiger Mensch in einem violetten indischen Seidengewand und einem mit einer goldenen Agraffe geschmückten Turban stand vor uns, majestätisch wie ein Radscha.

Während ich noch ganz verdattert die pompöse Erscheinung anstarrte, riß Mauzfies ein Blatt seines Notizbuches heraus, auf das er schnell etwas gekritzelt hatte, und überreichte es.

Der Diener führte uns in einen Pavillon nahe bei dem Tor, worauf er abging.

Gesprochen hatte er keinen Ton.

Wir befanden uns in einem mittelgroßen Gemach, dessen Decke, Wände und Boden mit einem glatten Überzug von jenem wunderbaren, in Farbe und Schmelz einzigartigen Porzellan, wie es nur Kopenhagen hervorbringt, bedeckt war. Die wenigen Sitze zeigten das gleiche kostbare Material. Aus versteckten Spalten kamen Staubduschen eines schweren Parfüms, im Augenblick waren wir von dem betäubenden Duft völlig durchtränkt.

»Wir riechen der Herzogin offenbar nicht gut genug«, unterbrach ich das Schweigen.

»Erinnert nicht Kopenhagener Porzellan an die Nocturnes von Whistler?« fragte Mauzfies leise, aber strenge zurück. »Ich sage Ihnen, hier wurde ein Opiumrausch zur Wirklichkeit.«

Ehe ich hierzu etwas Passendes bemerken konnte, erschien der violette Mann wieder und begann mit Mauzfies des längeren zu flüstern. Jeder laute Ton war hier anscheinend verpönt.

Durch schmale Fenster sah man in den Park. Kein Windhauch bewegte die Wipfel der großen Eukalypten, die eine ausgedehnte blühende Asphodeloswiese begrenzten. Müde nur streute eine Magnolie ihre Blätter zu Boden.

Mir war in Verbindung mit dem verdammten schweren Duft nicht ganz wohl zu Mute. Ich war ja noch so jung und schritt da in ein Abenteuer hinein, dessen Ende sich nicht im entferntesten übersehen ließ.

Mauzfies nahm mich beiseite und raunte mir zu:

»Wunderbares werden Sie erleben. Reden Sie unter keinen Umständen, befolgen Sie genau, was ich Ihnen sage. Die Herzogin wünscht uns nicht zu schauen. Sie ist so sensitiv, daß sie irgend etwas Unschönes in der Erscheinung eines fremden Besuchers nicht zu ertragen vermöchte. Sie werden sich also im Hintergrund halten, achten Sie genau auf mich!«

Ah, das war stark. Ich unschön? Am liebsten hätte ich Mauzfies an die schmierige Weste getreten.

Der Turbankerl winkte, und wir traten in einen matt erleuchteten Gang, der sich hinter einem weißgrauen Batikschal mit blauen Arabesken öffnete.

VI.

Dicke Teppiche dämpften unsere Schritte.

Jetzt öffnete der vorangehende Diener eine massive Bronzetür. Eine Kuppelhalle von unerhörten Dimensionen umfing uns, erfüllt von einem opalschillernden Licht, unter dessen stumpfem Glanze alle Dinge den Schein der Wirklichkeit verloren.

Zwischen Palmen und kaktusartigen bizarren Pflanzen lag ein tiefblaues Wasser. Ein silberfarbener Kahn fuhr langsam und lautlos auf uns zu, ihn lenkte ein nackter Knabe von griechisch-klassischem Ebenmaß.

Ob ich wollte oder nicht: ich war glatt erschlagen von dieser Feerie.

Indes, zum Gaffen blieb keine Zeit. Wir stiegen auf Marmorstufen zum Wasser hinab, und der Kahn brachte uns hinüber an eine zweite Marmortreppe. Er glitt von einer unsichtbaren Kraft getrieben dahin. Der schöne Fährknabe stand einer Statue gleich aufrecht hinter uns und träumte ins Grenzenlose.

Willenlos, wie benebelt, saß ich auf meinem weichen Pfühl mit großen Goldtroddeln.

Erst als wir ausgestiegen waren und der schöne Fährmann mit jener charakteristischen Gebärde Douceur heischend mir die Hand hinstreckte, kam ich wieder etwas zu mir. Ich drückte ihm in der Verwirrung, da ich kein kleines Geld bei mir hatte, eine Aspirintablette in die Hand.

Halb verwischt drang von weitem eine seltsam feierlich chromatische Musik an unser Ohr.

An großen Chinavasen vorbei, aus denen schillernde Orchideen mit fleischigen Gliedern hervorkrochen, führte uns der Diener bis zu einem goldgewirkten Vorhang und verschwand.

Ich erschrak, denn ich bemerkte plötzlich, daß im Schatten zwischen den Vasen in blaue Seide gehüllte indische Geschöpfe kauerten, sie hielten flache Schalen aus Bernstein vor sich, und auf diesen Schalen ringelten sich dünne gleißende Schlänglein.

Wie leicht kann da was passieren.

Die Orchideenblüten schienen in dem opalfarbenen Licht, das auch hier von einer unfaßlichen Quelle ausging, je länger ich hinsah, wie wollüstig zuckend um sich zu fühlen.

Mauzfies stand versunken in den Anblick einer Herme des Dionysos.

Der schwere Vorhang wurde zurückgeschlagen – wir traten in das Gemach der Herzogin von Vizzerona-Forli.

Ambradüfte entstiegen in feinen Streifen einem seltsamen juwelenbesetzten Gefäß. Das war das erste, was ich wahrnahm, während wir im Halbdunkel standen.

In einiger Entfernung von uns lag auf einem monumental geformten Ruhebett, auf orientalischen Schals und kostbaren Fellen eine zarte Frauengestalt in schneeigem Musselin, das Gesicht verschleiert, – die Herzogin.

Ein seitlich durch einen Paravent verstellter Leuchter warf ein gedämpftes, ungewisses Licht über das Lager.

Seidenweiche Teppiche schmiegten sich um unsere Füße.

Eine fabelhafte Stimmung. Ich kam mir ordentlich körperlos, wie aufgelöst vor. So etwas hatte ich mir selbst in meinen phantasievollsten Pennälerjahren nicht träumen lassen. Aber ein klein wenig heller hätte es schon sein können.

Die Musselingestalt lud mit einer schmalen, elfenbeinweißen Hand müde zum Platznehmen ein.

Ich ließ mich auf gut Glück in das Dunkel nieder und hatte die Befriedigung, auf irgend etwas Wolliges zu geraten, auf dem sich sitzen ließ.

Eine matte Stimme hauchte: »Mauzfies« und noch etwas, das ich nicht verstand.

Das war die Begrüßung.

Die matte Stimme hauchte weiter: »Botticelli – Venedig – Gottesdienst – – ewige Schönheit.«

Mauzfies starrte gebannt auf die Herzogin, rührte sich aber nicht. Deutlich sah ich eigentlich nur sein Surrogatauge, das noch größer geworden und zu phosphoreszieren schien. Ich mußte flüchtig an das einsam aus der Höhe herniederschauende Auge Gottes in der griechischen Kapelle zu Wiesbaden denken. Unwillkürlich faltete ich die Hände.

»Marion Denis!« Langsam hob die Herzogin den Arm und berührte ein silbernes Glockenspiel. Gespensthaft geräuschlos und gemessen trat ein hoher bleicher Mann in wallendem Purpur an ihr Lager.

Der Herzogin Stimme: »Gabriele Rossetti!«

Der Mann in Purpur verneigte sich leicht, schritt an einen Ebenholzschrein und entnahm ihm ein kostbar gebundenes Buch.

Wieder zitterte der Silberklang des Glockenspiels durch den Raum.

Aus dem mystischen Dunkel lösten sich geschmeidig fünf braune nur mit einem orangefarbenen Schurz bekleidete Epheben. Auf der Stirn eines jeden hing an einem dünnen goldenen Kettchen ein giftig schillernder Smaragd. Die ringgeschmückten Hände hielten seltsame, aus Elfenbein geschnitzte Saiteninstrumente.

Mit verschleierter Stimme begann der Purpurmann jenes wunderbare Sonett Rossettis auf Venedig vorzutragen, und mit leisen Akkorden begleiteten ihn die Jünglinge.

Die Fürstin hatte sich zurückgelehnt, gab sich völlig der Stimmung hin.

Ich wagte kaum zu atmen. So etwas gab es auf der Welt? Niemand würde es mir glauben, wenn ich es später erzählte.

Mauzfies war dicht neben mich gerutscht. Eine Hand krampfte sich in meine Schulter.

Das Sonett ging zu Ende, die Töne verklangen. Die Künstler zogen sich zurück.


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