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Zweites Kapitel.
Im Fürstenschloß

In einer der Gallerien der herzoglichen Burg, welche gegen den großen Schloßplatz hinaus lagen, stand ein alter Mann in glänzender Lakaientracht mit einem gleich gekleideten jüngern am Fenster. Beide sahen vorsichtig zwischen den schweren Gardinen auf den Platz und die dort hin und her wogende Menschenmasse hinab.

»Ich begreife nicht«, sagte der Jüngere, dem Andern über die Schultern sehend, »wo der Herzog die Geduld hernimmt, der Geschichte so lange zuzusehen. Ich meine, ich wollte bald ein Ende machen! Was sagen Sie, Herr Oberkammerdiener?«

»Ich sage, daß es gegen den Respekt ist, sich so auszudrücken. Durchlaucht bedarf keinen Rath von Ihnen, Herr Bornemann, und wenn Ihnen die Livree lieb ist, sorgen Sie, daß Höchstdieselben nie eine solche Aeußerung erfahren!«

Damit wendete sich der Oberkammerdiener und verschwand, mit sichtbarer Uebung den spiegelglatten Parquetboden dahingleitend, in einer hohen Flügelthür Der Zurückgebliebene sah ihm einen Augenblick mit giftiger Miene nach. »Uebermüthiger Kerl«, brummte er vor sich hin und klappte die Dose zu, aus der er ihm eben ein Prischen hatte anbieten wollen. »Ich erleb' es doch noch, daß du Dir den hoffärtigen Hals brichst!«

Das Selbstgespräch des Erzürnten wurde durch den Eintritt zweier Männer unterbrochen, deren Aeußeres und sicheres Benehmen die Vertrautheit mit dem Orte zeigten, an dem sie erschienen. Auf einen Wink entfernte sich der Diener und der eine, ein starker, wohlgebauter Mann in Generalsuniform, begann mit großen Schritten die Gallerie auf und ab zu schreiten. »Graf, ich ersuche Sie noch einmal, auf meinen Antrag einzugehen und ihn vor dem Herzog zu unterstützen. Es gibt keinen andern Ausweg, die Macht des Herzogs und damit die unserige aufrecht zu erhalten!«

»Aber, mein Werthester«, näselte der Andere, ein feines, hageres Männchen, dessen fahle Augen durch eine goldene Brille spähten, »überhören Sie denn ganz, was ich Ihnen seit einer Viertelstunde unausgesetzt vorstelle? Es ist eine Gesetzesverletzung, die mich in so bewegten Zeiten aufs äußerste bloßstellt.«

»Wenn Sie nur wüßten, Graf«, entgegnete der Andere mit unverstelltem Hohne, »wie solche Redensarten Ihnen zu Gesicht stehen! Soll ich die Stelle Ihres Gewissens vertreten und Ihnen die Fälle, und viel geringere als den gegenwärtigen, herzählen, wo Sie nicht so bedenklich waren?«

»Aber Sie treiben mich da wirklich auf eine Weise in die Enge –« stotterte der Graf entgegen.

»Keineswegs!« fuhr der General fort. »Ich lege Ihnen einfach die Wahl vor, ob Sie Ihr Portefeuille behalten wollen oder nicht. Der Säbel muß regieren und ein bischen aufräumen dürfen, sonst ist keine Ruhe herzustellen. Hören Sie nur, wie das Gesindel brüllt! Da sind Ihre unnützen Formalitäten von Justiz und Gerechtigkeit am unrechten Platz, der kürzeste Proceß ist der beste. Noch einmal also und ebenfalls in Kürze: entweder Sie proclamiren die Einsetzung der Kriegsgerichte, oder ein anderer Minister thut es statt Ihrer, denn daß ich mit meiner Ansicht beim Herzog durchdringe, werden Sie selbst nicht bezweifeln.«

»Die Sache muß freilich vom Standpunkt der staatsrechtlichen Nothwendigkeit beurtheilt werden«, wendete der Graf ein, aber mit einer Miene, die entnehmen ließ, daß es ihm nur darum zu thun war, seinen Rückzug zu decken. Der General schien darauf keine Rücksicht zu nehmen, sondern sah nur die Zustimmung. »Gut«, sagte er, »Sie willigen also ein. Ich habe mir's wohl gedacht, auch ist es mir lieb, daß wir zusammen bleiben, wir kennen uns doch bereits! Ich eile zum Herzog. Kommen Sie mir bald nach, und damit Sie sehen, wie sehr ich Ihr Einlenken auch als eine persönliche Gefälligkeit ansehe, grüßen Sie mir ihren Sohn als Hauptmann. Er soll das Patent haben.«

»Sie entzücken mich, mein Werthester«, rief der Graf und umarmte den General.

»Still«, unterbrach dieser den Wortstrom, in dem der Graf seine Dankbarkeit ausgießen zu wollen schien, »was für ein Lärm im Vorzimmer?«

In diesem war allerdings starkes Geräusch wie von streitenden Stimmen und zwar in so hohem Grade hörbar geworden, daß auch aus einer Nebenthür ein junger Offizier hastig hereineilte, den die um die Hüfte gewundene Schärpe als Adjutanten kennzeichnete. Zu gleicher Zeit öffnete sich die Thür des Vorzimmers selbst und ließ den Oberkammerdiener ein, auf dessen Antlitz die Röthe des Zorns rasch mit der Blässe des Grimms wechselte.

»Was ist's?« riefen ihm Adjutant, General und Minister wie aus einem Munde entgegen, denn sein Aussehen ließ sie errathen, daß er etwas Ungewöhnliches bringe.

»Ich bin außer mir«, erwiderte der Gefragte im Ton der größten Erschöpfung. »Draußen stehen sieben oder acht Leute, die durchaus zu Seiner Durchlaucht wollen. Sie nennen sich eine Deputation!«

»Haben Sie denn«, fiel der Adjutant ein, »den Leuten nicht gesagt, daß Seine Durchlaucht heute nicht zu sprechen ist, daß durchaus Niemand gemeldet werden darf? Haben Sie das nicht gesagt, Kündig?«

»Allerdings habe ich es gesagt«, rief der Kammerdiener, indem er sich den Angstschweiß von der Stirn wischte. »Seit einer Viertelstunde bemühe ich mich, das den Leuten begreiflich zu machen. Es ist aber, als ob man tauben Ohren predigte; sie bleiben bei ihrem Verlangen und wollen durchaus gemeldet sein!«

»Es ist himmelschreiend!« polterte der General. »Das sind die Früchte des Zauderns! Wenn wir noch ein klein wenig säumen, so wird der Pöbel uns Gesetze geben!«

»So etwas haben die Leute auch bereits merken lassen«, stammelte Kündig. »Wir müssen sogleich zum Herzog, sagen sie, in einer Stunde ist es für uns und ihn zu spät!«

»Da sehen Sie nun, wie weit die Frechheit bereits geht!« rief General Bauer wieder.

»Aber was ist da zu thun?« fragte ängstlich der Graf. »Man wird die Leute doch wohl melden müssen.«

»Warum nicht gar!« fuhr der General auf. »Wohl, um Alles aufs Spiel zu setzen, Alles zu verderben? Der Befehl des Herzogs lautet, Niemand vorzulassen; der Befehl ist zu vollziehen und sonst hat man sich um nichts zu bekümmern! Darum gehen Sie, Herr Kammerdiener, und bedeuten Sie –«

»Mit des Herrn Generals gnädigster Erlaubniß«, entgegnete dieser, »möchte ich doch gehorsamst gebeten haben, dies den Leuten selbst anzukündigen. Es wird aus Dero Munde wirksamer sein. Auch werden sie es nicht wagen, zu drohen oder gar Hand anzulegen, wie vorhin einer davon schon nicht übel Lust zu haben schien.«

»Das kann geschehen«, rief der General und ging der Thür zu, welche Kündig seitwärts öffnete. Ehe er jedoch Zeit fand, seine Anrede zu beginnen, standen die draußen harrenden Männer, welche das Oeffnen für eine Aufforderung einzutreten hielten, schon auf der Schwelle. Es waren acht Männer, bürgerlich und schlicht gekleidet, wie der Drang des Augenblicks sie von der Beschäftigung des Tages und Berufs hinweggerufen hatte. Wohl mochten die schön und reich geschmückten Räume des Schlosses noch keine Besucher gesehen haben, welche so ohne allen herkömmlichen Schmuck mit dessen erstem Bewohner zu sprechen begehrten. Vielleicht war es eben das Ungewohnte dieses Anblicks, was ihm etwas Imponirendes gab, denn diese Wirkung äußerte er unverkennbar auf die Anwesenden. In den Mienen aller war Betretenheit, wenn nicht gar Furcht zu lesen; selbst der General schien einen Augenblick schwankend, welchen Ton er anzuschlagen habe. Doch war es wirklich nur ein Augenblick, im nächsten schon trat er den Bürgern mit jenem Ausdruck der Unbefangenheit entgegen, der ein Ergebniß langjähriger Uebung in Kreisen ist, in denen es nicht selten als Vorzug gilt, das Gesicht zu einer stehenden Maske zu machen, hinter welcher Alles gleich verträglich wie undurchdringlich verborgen liegen kann.

»Sie wünschen Seiner Durchlaucht aufzuwarten, meine Herren?« begann er. »Ich bedauere, Ihnen wiederholen zu müssen, daß dies heute nicht angeht. Seine Durchlaucht sind heute für Niemand sichtbar. Auch muß ich Ihnen sagen, daß Ihr ganzes Erscheinen, Ihre Kleidung nicht von der Art ist, um auf eine solche Gnade Anspruch zu machen.«

»Herr General«, erwiderte einer der Bürger, »wir wissen sehr gut, was unsere Schuldigkeit gegen Seine Durchlaucht ist, aber die Umstände haben uns nicht Zeit zur nöthigen Toilette gelassen. Ich bin hier, wie man mich vom Comptoir weggeholt hat, den übrigen ist es ebenso gegangen. Wir konnten ebenso wenig warten, als wir uns jetzt abweisen lassen können. Wir müssen durchaus zu Seiner Durchlaucht.«

»Unmöglich für heute, kommen Sie morgen wieder!« entgegnete der General kalt, die Achseln zuckend.

»Es muß möglich sein«, rief wärmer werdend der Wortführer der Bürger. »Wie können Sie uns auf morgen verweisen wollen, da es vielleicht in einer halben Stunde zu spät ist? Die aufgeregte Menge, mit Mühe beschwichtigt, wartet nur auf unsere Rückkehr. Kämen wir, ohne Seine Durchlaucht gesprochen zu haben, so wäre das Unglück gewiß.«

»Unnütze Besorgnisse«, antwortete General Bauer, noch kälter und schroffer als zuvor. »Ueberlassen Sie die Erwägung solcher Dinge denen, deren Beruf es ist. Man wird die Ordnung zu handhaben wissen.«

»Ich habe Ihnen schon erklärt, Herr General«, erwiderte fest der Kaufmann, »daß wir uns nicht entfernen, ohne Seine Durchlaucht gesprochen zu haben. Wir kennen Sie und Ihre Gesinnungen zu gut, als daß wir einen Bescheid von Ihnen für ein Wort des Herzogs hinnehmen sollten. Sie sind mit einer von denen, die den heutigen Tag und die Klagen des Landes zu verantworten haben.«

»Was unterstehen Sie sich?« schrie der General auffahrend. »Vergessen Sie den Respekt nicht, den Sie schuldig sind!«

»Sie scheinen einen Zusammenstoß zu wollen«, sagte der Bürger ruhig. »Wir scheuen ihn nicht. Hören Sie denn also! Das Land zählt Sie unter seine Verderber, darum werden Sie es begreiflich finden, wenn der Respekt gegen Sie kein besonderer ist. Sie haben sich lange genug zwischen uns und den Herzog gedrängt, jetzt; sollen Sie es nicht mehr. Wir müssen einen Bescheid von Seiner Durchlaucht selbst haben. Darum kurz und bündig, führen Sie uns zu ihm oder wir werden den Weg selber zu finden wissen!«

»Versuchen Sie's, meine Herren«, riefen der General und Adjutant, indem sich beide, die Hand am Säbelgriff, vor die Flügelthür stellten, die zu den herzoglichen Gemächern führte.

Im nämlichen Augenblick hatte der entschlossene Kaufmann das auf den Schloßplatz führende Fenster erreicht und geöffnet. Auf dem Platz unten war sowohl diese Bewegung als die Person des Oeffnenden sogleich bemerkt und erkannt worden; ein wildes, verworrenes Geschrei ließ es erkennen, dem in der nächsten Sekunde die Stille athemloser Erwartung folgte. »Man muß sich Ihnen gegenüber den Rücken decken«, rief der Kaufmann, nach dem Zimmer gewendet. »Es kostet mich jetzt einen Wink, so bekommen wir Verstärkung. Vorwärts, meine Freunde, tretet furchtlos und geradezu in das Zimmer Seiner Durchlaucht – die Herren werden es nicht verhindern!«

Die Bürger schritten gegen die Thür vor. Schon hatten die Offiziere ihnen gegenüber die Säbel gezogen, als die Thür selbst rasch aufgerissen ward und der Herzog auf der Schwelle erschien. Er war ein großer, breitschulteriger Mann von soldatischem Ansehen und auch jetzt in eine Art von Campagneuniform gekleidet. Das starkgeröthete Gesicht sowie die krausen weißen Haare zeigten, daß er einer jener blutreichen Menschen war, die mit einem hohen Grad von Herzensgüte eine ebenso große Heftigkeit der Aufwallungen zu eigen haben. Das zuletzt sehr laut gewordene Gespräch hatte ihn aufmerksam gemacht und herbeigerufen. »Was geht hier vor?« rief er mit starker, unwilliger Stimme. »Was gibt es?«

Bei seinem Eintreten waren die Säbel der Offiziere rasch in die Scheiden zurückgekehrt, der Kaufmann war vom Fenster weg zu den übrigen Bürgern getreten, die nun in ehrerbietiger Stellung dastanden.

General Bauer wollte antworten, wurde aber vom Herzog durch die weitere Frage unterbrochen: »Was wollen die Leute? Wer sind sie?«

Der Kaufmann trat vor. »Durchlaucht«, begann er, »die Bürgerschaft der Stadt hat uns abgesandt –«

»Abgesandt?« rief der Herzog, und die dunkle Röthe, welche über seinem Angesicht lag, wurde noch um einen Grad tiefer. »Das ist kühn, bei meiner Ehre! Bisher war ich in diesem Lande der Einzige, der Gesandte schicken konnte, und die Macht, die Sie schickt, ist bei mir noch nicht accreditirt! Wer sind Sie also? Was wollen Sie?«

»Verzeihen Eure Durchlaucht«, entgegnete der Kaufmann mit unterwürfiger Geberde und unverkennbarer absichtlicher Mäßigung, »wenn die Ungeübtheit des Redens mich zu einem mißfälligen Ausdruck greifen ließ. Ich wußte die Sache eben nicht besser zu sagen. Sehen denn Eure Durchlaucht keine Abgesandten in uns. Lassen Sie es immerhin eigene Kühnheit sein, daß wir uns vor Eure Durchlaucht drängen, um die Bitten Ihres Volkes vor Ihr Ohr zu bringen.«

In diesem Augenblick brauste vom Schloßplatz ein wüstes, verwirrtes Geschrei empor.

»Nennen Sie das bitten?« fuhr der Herzog auf. »Wenn das auch eine neue Erfindung ist, so ist sie mir wenigstens nicht genehm. Machen Sie, weil Sie sich mir doch als die Wortführer dieses Rebellenhaufens vorzustellen wagen, machen Sie, daß der Platz vor meinem Schlosse leer wird, daß sich Alles ruhig zerstreut, dann kommen Sie wieder und ich will Sie anhören!«

»Unmöglich, Durchlaucht! Die Menge ist in zu großer Aufregung. Mit aller Mühe gelang es uns kaum, sie auf so lange zu beschwichtigen, bis wir Eurer Durchlaucht das allgemeine Verlangen vorgetragen haben würden. Kämen wir jetzt so unverrichteter Dinge zurück, so wäre kein Halten mehr. Wer weiß, wozu die Erbitterung führen würde –«

»Erbitterung? Immer besser!« rief der Herzog und sprang aus dem Lehnstuhle, in den er sich einen Moment zuvor hastig geworfen hatte, ebenso hastig wieder empor. »Was hat man für Ursache, erbittert zu sein?«

»Durchlaucht«, sagte der Kaufmann mit ruhigem Ernst, »auf dem Jakobsplatze liegen vier Todte. Es waren ruhige, friedliche, ehrliche Leute, die nichts Uebles weiter gethan, als daß der Mangel, die Noth sie verleitete, sich zusammenzurotten und um Brod zu schreien.«

»Was ist mit ihnen geschehen?« fragte der Herzog rasch.

»Die Truppen haben unter das versammelte Volk geschossen, Durchlaucht; es sind vier am Platze geblieben, die vielen Verwundeten nicht zu erwähnen. Drei davon sind junge, kräftige, hoffnungsvolle Leute, der vierte hinterläßt eine brodlose Wittwe mit fünf Waisen.«

Das Angesicht des Herzogs war bei diesen Worten blauroth geworden und die Stirnader war ihm angelaufen, daß man sie pulsiren sah. »Bin ich denn noch Herr im Lande«, rief er mit einer Stimme, welche die Herren des Hofes zittern machte, »oder bin ich schon beiseite geschoben? Warum wird mir das nicht gemeldet?«

»Ich dachte –« stammelte der General, dem die Wendung des Gesprächs höchst unangenehm zu sein schien.

Was haben Sie zu denken als Ihre Schuldigkeit?« zürnte der Fürst weiter. »Wer gab Befehl zu schießen? Antwort! Haben Sie es befohlen, General, oder –«

Der General fand kein Wort zur Erwiderung und machte nur eine halb entschiedene verneinende Bewegung.

»Vors Kriegsgericht dann mit dem Pflichtvergessenen, der das auf eigene Faust gethan! In einer halben Stunde will ich das Nähere wissen! Gehen Sie!«

Während sich der General mit tiefen Verbeugungen entfernte, fuhr der Herzog, zu den Bürgern gewendet, fort: »Sie sehen, daß ich das nicht will. Ich will Ernst und Strenge, aber keine Grausamkeit. Gehen Sie also und machen Sie bekannt, daß der Schuldige seiner Strafe nicht entgehen solle.«

»Das haben wir von der Gerechtigkeit Eurer Durchlaucht nicht anders erwartet«, erwiderte der Kaufmann und fuhr, die augenblickliche mildere Stimmung des Herzogs benutzend, rasch fort: »Aber wir bitten nicht blos um Gerechtigkeit gegen den Schuldigen, sondern auch um Schutz für die Unschuldigen! Die neue Verbrauchssteuer vertheuert die alltäglichsten und unentbehrlichsten Lebensbedürfnisse in einem Grade, daß sie schon für den Minderbemittelten empfindlich, für die ärmere arbeitende Klasse geradezu unerschwinglich geworden sind!«

»Das ist nicht wahr!« rief der Herzog entgegen. »Ich habe mir die Berechnungen vorlegen lassen und sie selbst geprüft. Das Volk kann leben wie zuvor.«

»Ich bedauere, Eurer Durchlaucht widersprechen zu, müssen«, wendete der Kaufmann lebhaft ein. »Es ist wirklich an dem, daß das Volk nicht mehr leben kann. Brod und Salz und alle die kleinen, aber unentbehrlichen Dinge des niedrigsten Bedürfnisses belastet die mindeste Abgabe, wenn sie den Consumenten trifft, schon zu schwer. Berechnungen sind Berechnungen; das Leben und der Verkehr binden sich nicht daran! Haben Eure Durchlaucht daher Mitleid mit ihrem Volke und gewähren Sie die Aufhebung der Verbrauchssteuer!«

»Ich will davon nichts hören!« brauste der Herzog auf, dessen Heftigkeit zurückkehrte. »Ich habe meine Räthe wiederholt und genau befragt, sie haben alle zugestimmt, daß die Abgabe erschwinglich sei. Es bleibt dabei!«

»Die Räthe Eurer Durchlaucht«, rief, wärmer werdend, der Anführer der Bürger wieder, »sind es nicht, denen wir vertrauen, darum haben wir uns an Eure Durchlaucht selbst gewendet und bitten dringend –«

»Sieh da, sieh da, so weit untersteht man sich schon zu gehen? Man tadelt meine Räthe? Immerhin, es sind meine Räthe und dazu brauchen sie Niemandes Vertrauen als das meine! Fort, und sagen Sie das denen, die Sie abgesandt haben – wie Sie sich ausdrückten – es bleibt bei meiner Bestimmung! Sie sollen sich fügen! Augenblicklich und ruhig fügen und lernen, daß ich mir nichts abzwingen lasse!«

»Fern sei es von uns, das zu wollen«, rief der Kaufmann, indem er mit einer leichten Schwenkung dem Herzog, der sich gegen die Thür wendete, den Weg abgewann und sich vor ihm auf ein Knie niederließ. »Wir hatten keine andere Absicht, als zu Eurer Durchlaucht selbst zu gelangen, und haben keinen andern Gedanken, als des bedrängten Volkes und unsere Bitten vorzutragen. Sehen Sie uns auch äußerlich in der ehrerbietigen Stellung der Bitte und lassen Sie uns nicht ungetröstet von dannen gehen!«

Der Redner schwieg, wie von Aufregung und Anstrengung erschöpft, aber er verharrte in der gebeugten Stellung, welche seine Gefährten gleichfalls eingenommen hatten. Es war ein feierlicher Anblick, und eine Stille von einigen Sekunden bewies, daß alle Anwesenden von dem Gewicht des Augenblicks ergriffen waren. Auch des Herzogs Auge ruhte etwas gemildert auf der Gruppe und das Wort der Gewährung schien auf seinen Lippen zu schweben.

Da rauschte die Flügelthür auf und Oberkammerdiener Kündig trat ein, einen silbernen Präsentirteller mit einem Briefe darauf in der Hand, welchen er dem Herzog mit tiefer Verbeugung überreichte. »Von Ihro Durchlaucht, der Frau Herzogin-Mutter«, flüsterte er im Tone der tiefsten Unterthänigkeit.

Der Herzog erbrach das Billet und las. Während des Lesens glättete sich die Milde, von welcher sein Gesicht zuvor überflogen gewesen, wieder zu der gewohnten ernsten Starrheit seiner Züge. »Es ist gut«, sagte er zum Kammerdiener, der sich, unter immerwährendem Bücken rückwärts gleitend, in eine Ecke zurückzog. Zu den Bürgern gewendet fuhr er dann im Tone des kältesten Ernstes fort: »Sie haben meine Entschließung. Sagen Sie den Aufrührern, daß ich nicht ein Haar breit weichen werde.«

Ehe einer der Bürger oder ihr Anführer ein Wort zu erwidern vermochte, hatte der Kammerdiener rasch die Seitenthür geöffnet und der Herzog war verschwunden. Halb betrübt, halb entrüstet sahen sich die Bürger an und der Kaufmann begann: »In Gottes Namen denn, wir haben unsere Schuldigkeit gethan, wir haben nicht zu verantworten, was kommen kann. Leben Sie wohl, meine Herren!«

Damit entfernten sie sich.

»Kündig«, rief der Adjutant, nachdem sich kaum die Thür hinter den Abgehenden geschlossen hatte, »Sie haben ein Meisterstück gemacht! Sie hätten das Billet zu keiner bessern Zeit bringen können; ohne dasselbe hätte der Herzog nachgegeben! Wenn noch Gerechtigkeit in der Welt ist, müssen Sie einen Orden dafür haben.«

»Allerdings«, schaltete Graf Schroffenstein ein, »dazu kann Rath werden! Verlassen Sie sich auf mich, Kündig, ich werde es seiner Zeit anzubringen wissen!«

Der Oberkammerdiener verbeugte sich verbindlich dankend mit einem Lächeln, von dem man nicht recht wußte, ob es aufrichtig gemeint oder Spott sei. Dabei öffnete er den Beiden diensteifrigst die Thüren und der Graf schritt mit dem Adjutanten in den anstoßenden Corridor hinein.

Während des Dahingehens flüsterte der erstere dem letztem zu: »Du kannst Dir Glück wünschen, mein Sohn, ich habe Dir heute das Hauptmannspatent erwirkt.«

»So?« fragte der Andere gleichgültig und beinahe verdrossen entgegen.

»Du könntest Dich immerhin darüber freuen«, fuhr jener fort. »Damit ist das letzte Hinderniß gehoben, Du kannst nun um die Baronesse stündlich anhalten. Ihr Vermögen wird Dich in den Stand setzen, Dich vollkommen zu rangiren und –«

»Im Augenblick ist mir das unmöglich, Papa. Ich habe erst vor vierzehn Tagen eine neue pikante Liaison angeknüpft, die mich noch zu sehr fesselt, als daß ich ans Heirathen denken könnte. Lassen Sie mir noch einige Wochen Zeit, bis dahin werde ich zu Diensten stehen.«

»Schon wieder eine neue Suite? Es wäre nachgerade hohe Zeit, daß Du einlenktest. Ich will hoffen, daß Du die Dehors –«

»Ohne Sorge, Papa, ich bin kein Kind, aber, um von etwas Anderem zu reden, ich werde heute zu Ihnen schicken müssen. Ich habe eine kleine Spielschuld zu zahlen und meine Fonds –«

Der Graf drehte sich auf diese Wendung des Gesprächs rasch gegen den Sprechenden und schien ihm etwas unsanft erwidern zu wollen, als sich den Beiden gegenüber eine Thür öffnete und eine Dame auf der Schwelle erschien. Ohne sich jedoch durch die Unterbrechung im mindesten beirren zu lassen, rief der gewandte Mann, als ob er gar nichts Anderes zu sagen beabsichtigt hätte: »Ah, wir sind vom Glücke begünstigt. Die schöne Baronesse von Falkenhoff, reizend und«, setzte er hinzu, indem er deren Hand ergriff und küßte, »gnädig wie immer.«

»Ich glaubte Ihre Stimme zu hören«, entgegnete das Fräulein, mit kühlem Anstande seinen sowie des Adjutanten Gruß erwidernd. »Deshalb war ich so frei, Sie hier zu unterbrechen. Ihre Durchlaucht die Frau Herzogin-Mutter haben wiederholt nach Ihnen verlangt.«

»Zu Befehl«, antwortete der Graf und schlüpfte geschmeidig in das Zimmer, noch auf der Schwelle zurückcomplimentirend. »Erlauben Sie wohl, meine Gnädigste, daß mein Sohn mich hier erwartet, bis ich von der Audienz zurückkomme? Er wird den Augenblick benutzen, um Ihnen eine interessante Neuigkeit mitzutheilen.«

»Wenn es dem Herrn Grafen nicht mißfällt«, erwiderte das Fräulein und lud denselben, indeß sein Vater ehrerbietigst in das Gemach der Herzogin eintrat, mit leichter Handbewegung ein, auf einem Taburet Platz zu nehmen. Sie selbst trat an eins der Fenster, ließ einen langen, forschenden Blick durch die blanken Hohlscheiben gleiten, dann wendete sie sich dem verwunderten Grafen zu und ließ sich in nachlässig gewählter Stellung in die Kissen eines Divans niedergleiten.

Wie sie so dasaß, war ihre Erscheinung noch bedeutender als zuvor. Das Gesicht war regelmäßig, doch nicht eben schön zu nennen, aber während auf der schmalen, feinen Stirn und über hochgeschweiften Brauen ungewöhnliche Energie thronte und das tiefblaue Auge von Leben und Geist sprühte, schmiegte sich um den reizend geformten Mund ein so anmuthvolles, so gewinnendes Lächeln, daß das ganze Antlitz, getragen von einer wahrhaft junonischen Figur, gehoben von dem nur durch eine blaßrothe Busenschleife unterbrochenen Dunkel des Kleides völlig dazu gemacht schien, zugleich zu gebieten und einschmeichelnd zu erobern.

Der ihr gegenüber sitzende Graf schien von dem Eindruck befangen zu sein, denn er schwieg und mußte durch die Anrede der Baronesse aus seinem Schwanken gerissen werden.

»Nun, Herr Graf«, fragte sie mit einem Tone, in welchem Spott und Ungeduld vereinigt zu hören waren, »wo sind Sie mit Ihren Gedanken? Wollen Sie meiner Neugierde die angekündigte interessante Neuigkeit vorenthalten?«

»Mein Vater hat zu scherzen beliebt, Baronesse«, erwiderte der Adjutant, noch immer verlegen. »Was ich Ihnen zu sagen habe –«

»Nun?«

»Ist in der That nichts Anderes, als was Sie ohnehin schon lange wissen: von welch stürmischen Gefühlen der zärtlichsten Verehrung ich gegen Sie –«

»Ah, eine Plattitude, Graf, deren sogar ich Sie kaum für fähig gehalten hätte. Wie tief müßte man wohl hinabsteigen, um die Sphäre zu finden, in der diese pikante Wendung heimisch ist?«

»Sie benutzen jeden Anlaß, mich zu demüthigen, Baronesse, Sie hören nicht auf, mich zur Zielscheibe Ihres Spottes zu machen!«

»Ihre Schuld! Warum versorgen Sie mich so reichlich mit Stoff!«

»Ihre muthwillige Laune findet ihn überall ohne mein Zuthun, schöne Quälerin! Wie soll ich in diesem nie endenden Vorpostengefecht dazu kommen, Ihnen meine Liebe ernstlich zu betheuern und den Sturm auf dieses spröde Herz ernstlich zu beginnen?«

»Eine neue Plattitude, wenn möglich noch platter als die vorige. Sie sind heute nicht glücklich, Graf, darum lassen Sie Vorpostengefecht und Sturm, die doch abgeschlagen würden.«

Bei diesen Worten hatte der Spott in den Mienen der Baronesse so sehr die Oberhand bekommen, daß der Graf, ihrem Blicke begegnend, keine Erwiderung fand, sondern sich begnügte, die Achseln zu zucken und die Federn seines Hutes durch die Finger gleiten zu lassen.

»Beruhigen Sie mich lieber«, fuhr die Baronesse nach sekundenlangem Schweigen fort. »Erzählen Sie, wie es in der Stadt steht und welchen Erfolg die Deputation der Bürgerschaft an den Herzog hatte.«

»Den verdienten, nämlich keinen«, erwiderte der Graf, sichtbar froh, das Gespräch auf eine andere Bahn gebracht zu sehen. »Die Ambassadeurs der Roture haben sich gedemüthigt und begossen zurückgezogen. Was seitdem geschehen und beschlossen wurde, weiß ich nicht. Vermuthlich sind die Rotten auseinander gelaufen!«

»Gebe Gott, daß Sie Recht behalten!« rief die Baronesse, indem sie hastig sich erhob und einige unruhige Schritte an das Fenster machte. »Man kann von hier aus nicht auf den Platz hinübersehen. Ich fürchte, das kann großes Unheil abgeben.« Auf einmal unterbrach sie sich selbst, indem sie stehen blieb und den Grafen forschend betrachtete. »Haben Sie nichts davon vernommen? Sollte es wahr sein, daß Seine Durchlaucht der Kronprinz sich in der Stadt befindet?«

»Gerede! Nichts als Gerede!« erwiderte der Graf. »Prinz Felix, ich weiß es von einem seiner Jäger, der noch gestern mit Aufträgen von ihm in die Residenz kam, lebt vergnügt auf seinem Jagdschlosse zu St.-Wendelin und denkt nicht daran, hierher zu kommen.«

Die Baronesse schwieg, wie Jemand, der die Bestätigung dessen vernimmt, was er ohnehin gewußt, und nur gefragt hatte, um der einen Frage eine zweite arglos folgen lassen zu können. »Wie ist es, Graf«, rief sie in einlenkendem Tone, »haben Sie meinen jüngsten Auftrag nicht vergessen?«

»Meinen Sie den wegen des jungen Rechtsgelehrten, der ein Freund Ihres verstorbenen Bruders war? Ich bin so glücklich, Ihnen hierin dienen zu können. Der Mann ist seit ungefähr einem Jahre von weiten Reisen zurückgekehrt, ist hier.«

»Hier?«

»Nun ja, er ist Professor an der Universität.«

»Hier! Und geht es ihm wohl?«

»Es hat mindestens den Anschein. Der Herr Professor Führer wohnt bei seiner Mutter, einer Beamtenwittwe in ganz geordneten Verhältnissen, und soll gesonnen sein, sich in Kürze zu verheirathen.«

So sehr die Baronesse auch Meisterin ihrer Mienen war, so vermochte sie doch in diesem Moment nicht, einer innern Aufwallung, welche ihr eine leichte Röthe über Stirn und Nacken jagte, völlig zu gebieten. »Verheirathen?« rief sie etwas unsicher, doch war ihre Bewegung ebenso schnell unterdrückt, als sie gekommen. Dann fuhr sie mit vollster Ruhe fort: »Sehr gut! Um so bester dann! Und ist Ihnen auch bekannt, ob sich der junge Mann zu einer politischen Partei hält und zu welcher?«

»Das weiß ich in der That nicht mit Bestimmtheit zu sagen«, entgegnete der Gefragte, indem er die Baronesse, deren Aufregung ihm nicht entgangen war, vorsichtig lauernd im Auge behielt. »Die Polizei hat ihn vorläufig und zur Vorsicht auf die Liste der Liberalen gesetzt.«

»Gut, gut. Wissen Sie, wer überhaupt die Anführer des Volkes sind?«

»Der Sprecher der Deputation war der Kaufmann Rund aus der Wallstraße. Aber warum fragen Sie das Alles? Ich bin fast gezwungen zu glauben, daß Sie hohe Politik treiben und den schulfuchsigen Professor zu Ihrer Figur ausersehen haben. Außerdem hätte Ihr Erröthen von vorhin, als ich von dessen Heirath sprach, einen Andern leicht auf die thörichte Vermuthung bringen können, als sei es ein wärmeres Interesse, das –«

Der Graf war nicht im Stande zu vollenden. Hoch und stolz aufgerichtet gleich einer Königin und Blitze in den Augen stand die Baronesse vor ihm. »Sie sind ein Unverschämter! Wagen Sie es nicht wieder, mir vor die Augen zu treten, bis Sie gelernt haben, wie sich mit einer Dame zu reden geziemt!«

Damit rauschte die Erzürnte in ein Nebengemach und überließ den verblüfft zurückbleibenden Adjutanten seinen Muthmaßungen und Zweifeln.


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