Christoph von Schmid
Die Ostereier
Christoph von Schmid

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Sechstes Kapitel

Ein Ei, das wirklich in Gold und Perlen gefaßt wird.

Den Frühling und Sommer über fiel in dem Thale nichts Besonderes vor. Die Kohlenbrenner bauten ihr kleines Feld und gingen fleißig in den Wald, Kohlen zu brennen; ihre Weiber besorgten die Haushaltung und zogen viele Hühner, und die Kinder fragten sehr oft, ob es wohl nicht bald wieder Ostern sei. Die edle Frau aber war jetzt manchmal sehr traurig. Ihr alter Diener, der sie hieher begleitet hatte, und anfangs von Zeit zu Zeit bald größere, bald kleiner Reisen machte, und ihre Geschäfte besorgte, konnte das Thal schon lange nicht mehr verlassen. Denn er fing an zu kränkeln. Ja, als es Herbst ward und die Gesträuche an den Felsen umher bereits bunte Blätter hatten, konnte er kaum mehr vor die Thüre hinaus gehen, um sich, was er sonst sehr gern that, ein wenig zu sonnen. Die Frau vergoß aus Mitleid mit dem guten, alten Manne, und aus Besorgnis, ihre letzte Stütze zu verlieren, manche stille Thräne. Auch fiel es ihr schwer, daß sie nun durch ihn von ihrem Vaterlande keine Nachricht mehr erhalten konnte, und in diesem abgelegenen Thale von der ganzen übrigen Welt wie abgeschieden war.

Um diese Zeit setzte aber noch ein anderes Ereignis die gute Frau in nicht geringe Ängsten und Schrecken. Einige Kohlenbrenner kamen eines Morgens aus dem Walde heim und erzählten dem Müller: »Als wir die vergangene Nacht wohlgemut bei unsern brennenden Kohlenhaufen gesessen, da sind auf einmal vier fremde Männer zu uns gekommen; sie hatten eiserne Kappen auf dem Kopfe und eiserne Wämser an, und trugen große Schwerter an der Seite und führten lange Spieße in der Hand. Sie nannten sich Dienstleute des Grafen von Schroffeneck, der mit vielen Reisigen in dem Gebirge angekommen sei. Sie haben sich auch nach allem in der Gegend wohl erkundigt.« Der Müller eilte mit dieser Neuigkeit sogleich zu der Frau, die eben an dem Bette des kranken Kuno saß. Sie wurde, als der Müller den Namen Schroffeneck nannte, totenbleich und rief: »O Gott, der ist mein schrecklichster Feind! Ich glaube nicht anders, als er stellt mir nach dem Leben. Die Kohlenbrenner werden den fremden Männern meinen Aufenthalt ja doch nicht entdeckt haben?« Der Müller versicherte, so viel er wisse, sei von ihr gar nicht die Rede gewesen. »Die Männer,« sagte er, »haben sich an dem Feuer nur gewärmt, und sind gegen Tag wieder weiter gezogen. Daß sie aber noch in dem Gebirge umherstreifen, ist dennoch gewiß.«

»Lieber Oswald!« sprach die Frau zum Müller, »ich habe, seit Ihr mich in Euer Haus aufnahmet, Euch immer als einen gottesfürchtigen, rechtschaffenen, redlichen Mann kennen gelernt. Euch will und daher meine ganze Geschichte anvertrauen, und Euch die große Angst entdecken, die jetzt mein Herz erfüllt; denn auf Euern guten Rat und auf Euern treuen Beistand mache ich sichere Rechnung.«

»Ich bin Rosalinde, eine Tochter des Herzogs von Burgund. Zwei angesehene Grafen warben um meine Hand – Hanno von Schroffeneck und Arno von Lindenburg. Hanno war der reichste und mächtigste Herr weit umher, und hatte viele Schlösser und Kriegsleute; allein er war nicht gut und edel. Arno war wohl der tapferste und edelste Ritter im Lande; allein im Vergleich mit Hanno arm, denn er hatte von seinem edlen, uneigennützigen Vater nur ein einziges alterndes Schloß geerbt, und war auch gar nicht darauf bedacht, durch Gewalt mehrere an sich zu reißen. Ihm gab ich, mit Gutheißen meines Vaters, meine Hand, und brachte ihm eine schöne Strecke Landes mit mehreren festen Schlössern zum Brautschatze. Wir lebten so vergnügt, wie im Himmel.«

»Hanno von Schroffeneck faßte aber einen grimmigen Haß gegen mich und meinen Gemahl, und wurde uns totfeind. Indes verbarg er seinen Groll, und ließ ihn nicht in öffentliche Feindseligkeiten ausbrechen. Nun mußte mein Gemahl mit dem Kaiser in den Krieg gegen die wilden, heidnischen Völker ziehen. Hanno hätte den Zug auch mitmachen sollen. Allein unter allerlei Vorwänden wußte er seine Rüstungen zu verzögern, blieb zurück, und versprach bloß, dem Heere sobald möglich zu folgen. Während nun mein Gemahl mit seinen Leuten an den fernen Grenzen für sein Vaterland kämpfte, und das ganze christliche Kriegsheer genug zu thun hatte, den übermächtigen Feind abzuhalten, brach der treulose Hanno in unser Land ein – und niemand war, der sich ihm widersetzen konnte. Er verwüstete alles weit umher, und erstürmte ein festes Schloß nach dem andern. Mir blieb nichts übrig, als mit meinen zwei lieben Kindern heimlich zu entfliehen. Mein guter alter Kuno war mein einziger Schutzengel auf dieser gefährlichen Flucht, auf der ich keinen Augenblick vor Hannos Nachstellungen sicher war. Er führte mich in dieses Gebirg, wo ich in diesem vor aller Welt verborgenen Thale einen so ruhigen Aufenthalt fand.«

»Hier wollte ich nun verweilen, bis mein Gemahl aus dem Kriege zurück kommen, und unsere Habe dem unrechtmäßigen Besitzer werden entreißen würde. Von Zeit zu Zeit zog Kuno aus dem Gebirge in die bewohntere Welt, Kunde von dem Kriege einzuholen. Allein immer kehrte er mit traurigen Nachrichten zurück. Immer noch waltete der böse Hanno in unserm Lande, immer noch währte der Krieg an den Grenzen mit abwechselndem Glücke fort. Nun aber ist es schon bald ein Jahr, daß mein guter Kuno krank ist, und seit der Zeit weiß ich nichts mehr von meinem teuren Vaterlande, und von meinem lieben Gemahl. Ach, vielleicht fiel er schon lange unter dem Schwerte der Feinde! Vielleicht kam Hanno, der mir mit seinen Leuten so nahe ist, meinem geheimen Aufenthalte auf die Spur – und was wird dann aus mir werden? Der Tod wäre noch das beste, das mir begegnen könnte. – O redet doch mit den Köhlern, lieber Oswald, daß sie mich nicht verraten!«

»Was verraten!« sagte der Müller. »Ich stehe Euch gut für alle; jeder gäbe sein Leben für Euch. Ehe der grausame Hans von Schroffeneck Euch etwas zu leid thun soll, muß er es mit uns allen aufnehmen. Seid daher außer Sorge, edle Frau!« Ebenso sprachen die Kohlenbrenner, als ihnen der Müller die Sache vortrug. »Er soll nur kommen,« sagten sie, »wir wollen ihm mit unsern Schürhacken den Weg weisen.«

Die gute Frau brachte indes ihre Tage unter beständigen Sorgen und Ängsten zu. Sie getraute sich kaum mehr aus der Hütte zu gehen, und ließ auch keines ihrer Kinder vor die Thüre. Ihr Leben war sehr betrübt und kummervoll. Da es aber in dem Gebirge wieder ruhig wurde, und man von den geharnischten Männern nichts mehr sah und hörte, wagte sie es einmal, einen kleinen Spaziergang zu machen. Es war nach langem Regen gar ein schöner, lieblicher Tag spät im Herbste. Einige hundert Schritte von ihrer Hütte stand eine Art ländliche Kapelle. Sie war nur aus rohen Tannenstämmen erbaut, und an der Vorderseite ganz offen. In der Kapelle sah man die Flucht nach Ägypten, ein sehr liebliches Gemälde, das Kuno einmal von einer seiner Wanderungen mitgebracht hatte, die gute Frau über ihre eigene Flucht zu trösten. Hinter der Kapelle erhob sich eine hohe Felsenwand, und vor der Kapelle standen einige schöne Tannen, und beschatteten den Eingang derselben. Das Plätzchen hatte so etwas Stilles und Trauliches, daß man mit Wehmut und Freude hier verweilte. Ein angenehmer Weg über grünen Rasen, zwischen malerischen Felsen und Gesträuchen führte dahin. Dieß war ihr liebster Spaziergang. Sie ging, nicht ganz ohne Bangigkeit, auch dieses Mal dahin. Sie kniete mit ihren Kindern einige Zeit auf dem Betstuhle am Eingange der Kapelle. Die Ähnlichkeit ihres Schicksals mit dem großen Leiden der göttlichen Mutter, die auch mit ihrem Kinde in ein fremdes Land flüchten mußte, rührte sie, und manche Zähre floß von ihren Wangen. Sie betete eine Zeit, und setzte sich dann auf die Bank. Ihre Kinder pflückten indes an den Felsen umher Brombeeren, freuten sich, daß jede Beere gleichsam ein kleines, glänzendschwarzes Träubchen bilde, und entfernten sich nach und nach ziemlich weit.

Als nun die Frau so einsam da saß, sieh! da kam ein Pilgersmann zwischen den Felsen hervor und näherte sich der Kapelle. Er hatte ein langes, schwarzes Gewand an und einen kurzen Mantel darüber. Sein Hut war mit schönfarbigen Meermuscheln geziert, und in der Hand führte er einen langen, weißen Stab. Er war, wie es schien, schon sehr alt, aber doch ein stattlicher, sehr wohlaussehender Mann. Seine langen Haare, die auf beiden Seiten der Scheitel schlicht herab hingen, und sein langer Bart waren weiß wie Schlehenblüte, aber seine Wangen noch röter, als die schönsten Rosen. Die Frau erschrack, als sie den fremden Mann sah. Er grüßte sie ehrerbietig und fing ein Gespräch mit ihr an. Sie aber war in ihren Reden sehr vorsichtig und zurückhaltend. Sie blickte ihn nur sehr schüchtern an, als wollte sie ihn erst ausforschen, ob sie ihm – als einem ganz fremden, unbekannten Manne, wohl auch trauen dürfte.

»Edle Frau,« sagte endlich der Pilger, »habt keine Furcht vor mir. Ihr seid mir nicht so fremd, als Ihr denkt. Ihr seid Rosalinde von Burgund. Ich weiß auch gar wohl, was für ein hartes Schicksal Euch zwang, zwischen diesen rauhen Felsen eine Zufluchtsstätte zu suchen. Auch Euer Gemahl, von dem Ihr nun schon drei Jahre getrennt seid, ist mir recht wohl bekannt. Seit Ihr hier in dieser abgelegenen Gegend wohnet, hat sich in der Welt vieles geändert. Wenn Euch je noch daran liegt, von dem guten Arno von Lindenburg zu hören, und das Andenken an ihn in Eurem Herzen noch nicht erloschen ist, so kann ich Euch die fröhlichsten Nachrichten von ihm mitteilen. Es ist Friede! Mit Siegeskränzen geschmückt kehrte das christliche Heer zurück. Euer Gemahl hat seine geraubten Burgen wieder erobert. Der Bösewicht Hanno rettete sich mit genauer Not in dieses Gebirg und auch aus diesem hat er sich schon weiter flüchten müssen. Der innigste Wunsch Eures Gemahls ist nun, Euch, seine geliebte Gemahlin, wieder aufzufinden.«

»O Gott,« rief jetzt die Frau, »welch' eine Freudenbotschaft! O wie danke ich dir, lieber Gott!« Sie sank auf die Kniee, und reichlich Thränen flossen über ihre Wangen. »Ja,« sprach sie, »du, guter Gott, hast meine heißen Thränen gesehen, meine stillen Seufzer vernommen, mein unaufhörliches Flehen erhört! – O Arno, Arno, daß mir doch bald der selige Augenblick würde, dich wieder zu sehen, und dir deine Kinder, die bei deiner Abreise noch ganz unmündig waren, vorzuführen, damit du nun aus ihrem Munde das erste Mal den holden Vaternamen vernehmest!«

»Ja wohl zweifeln, du fremder Mann«, sagte sie zum Pilger, »ob ich meines Gemahls noch gedenke, ob nicht sein Andenken in meinem Herzen erloschen? – O meine Kinder,« rief sie jetzt ihren zwei Kleinen zu, die schüchtern in einiger Entfernung standen und den fremden Mann neugierig betrachteten, »o, kommt hieher!« Beide Kinder kamen eilig.

»Du, Edmund,« sprach sie jetzt zum Knaben, indem sie ihn ermunterte, nicht scheu, sondern hübsch dreist zu sein, »sage dem Manne hier das kleine Gebet, das wir alle Morgen für den Vater beten.« Der Kleine faltete, als ob es allzeit so sein müßte, auch wenn man ein Gebet nur auswendig hersagt, andächtig die Hände, und sprach mit sichtbarer Rührung, die Augen zum Himmel gerichtet, laut und mit Ausdruck: »Lieber Vater im Himmel! Sieh auf uns zwei arme Waislein herab! Unser Vater ist im Kriege. O laß ihn nicht umkommen! O wir wollen auch recht fromm und gut sein, damit der liebe Vater Freude habe, wenn er uns einmal wieder sieht! Ach ja, erfülle unsere Bitte!«

»Und du, Blanda,« sagte sie zum gelblockigen Mädchen mit den Rosenwangen, »sag', wie beten wir abends für den Vater, ehe wir uns schlagen legen?« Das Kind faltete eben so wie der Knabe die kleinen Händchen, schlug die blauen Augen zum Himmel auf, und betete schüchtern mit sanfter, leiser Stimme: »Lieber Vater im Himmel! Ehe wir zur Ruhe gehen, flehen wir noch zu dir für unsern Vater auf Erden. Laß ihn sanft ruhen, und dein Engel beschütze ihn vor feindlichem Überfall. Schenke auch der lieben Mutter sanften Schlaf, damit sie ihres tiefen Kummers ein wenig vergesse. Oder wenn du ihr auch den süßen Schlaf entziehen willst, so laß ihn auf die Augenlider des Vaters sanft herabsinken. O möchte dieser Abend der letzte unserer traurigen Trennung sein! Möchte bald der frohe Morgen jenes Tage anbrechen, an dem wir ihn wiedersehen.«

»Amen, Amen,« sagte die Mutter, indem sie die Hände faltete und weinend zum Himmel aufblickte. – –

Jetzt fing der Pilger mit einem Male an laut zu weinen. In einem Augenblicke hatte er die Verkleidung – Haare und Bart, Pilgermantel und Pilgerrock hinweg geworfen – und stand nun in prächtiger, ritterlicher Tracht, in Gold und Purpur, in jugendlicher Schönheit, voll Kraft und Leben da, und breitete seine Arme weit gegen Frau und Kinder aus und rief mit lauter, herzdurchdringender Stimme: »O Rosalinde, meine Gemahlin! O Edmund und Blanda, meine liebsten Kinder!«

Die Frau war von plötzlichem Freudenschrecken wie betäubt. Die Kinder, die bei dem lauten Weinen des Pilgers eben zu ihrer Mutter aufgeblickt hatten, als wollten sie um Hilfe für den Mann flehen, schauten, als sie jetzt ihren Namen hörten, um – und erschracken über das Wunder, das sie zu sehen glaubten, denn sie meinten, da die Mutter ihnen öfters aus der Legende erzählt hatte, nicht anders, als der Greis habe sich mit einem Male in einen schönen Jüngling des Himmels – in einen Engel verwandelt; so schön kam ihnen ihr Vater vor. Denn wirklich war er auch der schönste Mann unter dem ganzen christlichen Heere. O wie entzückt waren sie, als die Mutter ihnen nun sagte, der schöne Herr sei ihr lieber Vater, von dem sie ihnen so oft erzählt habe. Vater und Mutter und Kinder fühlten sich so glücklich, als wären sie schon im Himmel, und ein paar Stunden verschwanden ihnen wie ein paar Augenblicke.

Rosalinde hatte aus den Reden ihres Gemahls vernommen, daß er unter starker Bedeckung spornstreichs hieher geritten sei, um sie hier abzuholen; daß er aber wegen der steilen, gefährlichen Felsenwege sein Gefolge von Reitern zurückgelassen habe, und in Pilgertracht, deren sich damals auch Vornehme oft bedienten, wenn sie unerkannt reisen wollten, zu Fuße vorausgeeilt sei, schneller bei ihr zu sein, sich unter dieser fremden Gestalt von ihrem Wohlbefinden und von dem Wohlverhalten seiner Kinder zu überzeugen, und sie auf seinen Empfang vorzubereiten. Rosalinde fragte, wie es gekommen sei, daß er ihren Aufenthalt so sicher erfahren habe.

»O Rosalinde,« sagte er, »unser Wiedersehen ist die Frucht deiner Wohlthätigkeit gegen die armen Leute, besonders gegen die Kinder in diesem Thale. Darum hat Gott deinen Kindern den Vater wieder geschenkt. Ohne diese deine wohlthätigen Gesinnungen hätten wir uns nicht so bald, ach vielleicht gar nicht mehr gesehen! Denn überall warest du von unsern Feinden umgeben, und leicht hättest du in ihre Hände fallen können. Erst nachdem ich mit meinen Leuten im Gebirge angekommen war, entfloh Hanno mit den Seinigen über alle Berge.« Er zeigte ihr das gefärbte Ei mit dem Spruche: Vertrau auf Gott, er hilft in Not. »Sieh da!« sprach er, »dieses Ei war in der Hand Gottes das Mittel, uns wieder zu vereinigen. Ich hatte lange Zeit her Leute ohne Zahl ausgesendet, dich zu suchen, aber immer vergebens. Da kam einmal Eckbert, einer meiner Edelknechte, den ich schon für verloren hielt, weil er mir gar zu lange ausblieb, von einem Ritte zurück. Er war in einen Abgrund gestürzt, und wäre da bald verhungert. Ein fremder Jüngling rettete ihn mit ein paar Eiern vor dem Hungertode, und schenkte ihm noch obendrein dieses Ei mit dem schönen Spruche zum Andenken an seine Rettung. Eckbert zeigte mir das Ei. Aber, lieber Himmel, wie erstaunte ich! Auf den ersten Blick erkannte ich in den Schriftzügen deine Hand. Augenblicklich saßen wir auf, und ritten dem großen Marmorbruche zu, in dem der gute Jüngling arbeitete. Dieser zeigte mir den Weg hieher. Hättest du den schönen freundlichen Gedanken nicht gehabt, den Kindern mit den bunten Eiern ein Fest zu geben, hättest du bei den leiblichen Wohlthaten nicht auch auf den Geist so schön Bedacht genommen, und die schönen Denkreime nicht auf die Eier geschrieben, wäret ihr alle – du, mein lieber kleiner Edmund da, und du, meine kleine holde Blanda hier, gegen einen fremden Jüngling nicht so wohlthätig gewesen: o so wäre uns der heutige Freudentag nicht geworden! Auf jeder milden Gabe – sei sie auch noch so klein – ruht doch immer der Segen des Höchsten, wenn sie aus reinem Herzen und ohne Hoffnung auf Vergeltung gegeben wird. Sie ist ein Samenkorn, das reichliche Früchte trägt. Unter Gottes Leitung bringt sie uns oft auf Erden schon großes Heil. Merkt euch das euer Leben lang, ihr lieben Kinder! Gebt den Armen gern, sucht andern einen frohen Tag zu machen, gleicht eurer Mutter! Helft andern aus der Not, und euch wird auch geholfen werden! Erbarmet euch, und ihr werdet Erbarmen finden. Freudig werdet ihr dann auf Gott vertrauen können, und die felsenfeste Wahrheit, die heute so schön in Erfüllung ging, wird auch fernerhin an euch herrlich in Erfüllung gehen. Er wird euch nie ohne Hilfe lassen. – Dies seht ihr aus dieser Geschichte. In Gold und Perlen werde ich deshalb dieses Ei fassen lassen, und zum steten Andenken in unserer Burgkapelle am Altare aufhängen.«

Indes war es Abend geworden, und schon glänzte hie und da ein Sternlein am klaren Himmel. Graf Arno ging mit seiner Gemahlin am Arme ihrer ländlichen Wohnung zu, und die zwei Kleinen gingen voraus. Hier erwarteten sie neue Freuden. Der Edelknecht und Fridolin, sein Erretter, waren hier und hatten sich indes mit Kuno unterhalten, den die Ankunft seines geliebten Herrn schon fast gesund gemacht hatte. Der gute Jüngling Fridolin, dem die Gräfin die Eier geschenkt hatte, kam zuerst herbei, und grüßte sie und die Kinder als alte Bekannte auf das freundlichste und freudigste. Dann trat Eckbert, der Edelknecht, den die Eier vom Hungertode gerettet hatten, ehrerbietig herbei und sagte: »Laßt mich, teure Gräfin, die wohlthätige Hand küssen, die mir unter Gottes Leitung das Leben rettete.« Den braven Kuno umarmte der Graf als seinen treuesten Diener, und auch dem wackern Müller, der festlich geputzt in seinem hellblauen Sonntagsrocke dastand, schüttelte er mit dankbarer Rührung treuherzig die Hand. Sie speisten den Abend alle zusammen, und waren von Herzen fröhlich und vergnügt.

Am andern Morgen aber war großer Jubel im ganzen Thale. Die Nachricht, der Gemahl der guten Frau, ein vornehmer, ganz überaus vornehmer Herr, sei angekommen, setzte alles in Bewegung. Groß und klein kam herauf, ihn zu sehen, und die kleine Hütte ward ganz von Leuten umringt. Der Graf trat mit seiner Gemahlin und seinen Kindern heraus und grüßte die Leute auf das liebreichste, und dankte ihnen für alles Gute, das sie seiner Gemahlin und seinen Kindern erwiesen hatten. »O, nicht wir sind ihre Wohlthäter,« sagten die Leute mit Thränen in den Augen, »sie ist unsere größte Wohlthäterin!« Der Graf unterhielt sich lange mit den guten Leuten und sprach mit einem jeden aus ihnen, und alle waren über seine Freundlichkeit entzückt.

Indes hatte das Gefolge des Grafen, mit Hilfe einiger Kohlenbrenner, einen Weg in das Thal gefunden. Unter dem Klange der Trompeten kamen mehrere Ritter, und eine Menge Knappen zu Pferd und zu Fuß zwischen zwei waldigen Bergen hervor, zogen in das Thal herein, und ihre Helme und Spieße leuchteten im Glanze der Sonne wie Blitze. Alle begrüßten ihre wiedergefundene Gebieterin mit hoher Freude, und ihr Freudenruf hallte rings von den Felsen zurück.

Graf Arno blieb noch ein paar Tage hier; am Abend, bevor er mit seiner Gemahlin und seinen Kindern, mit Kuno und dem übrigen Gefolge abreiste, gab er noch allen Bewohnern des Thales eine große Mahlzeit. Der Müller und die Köhler saßen zwischen Rittern und Knappen, und die Tafel sah sehr bunt aus. Am Ende der Mahlzeit beschenkte der Graf seine ländlichen Gäste, vorzüglich den Müller noch sehr reichlich. Martha blieb in den Diensten der Gräfin. Für die Mutter und die Geschwister des guten Jünglings Fridolin sorgte er noch ganz besonders. Zu den Kindern der Köhler aber sagte er: »Für euch, ihr lieben Kleinen, will ich zum Andenken an den Aufenthalt meiner Gemahlin unter so guten Leuten eine kleine Stiftung machen. Jedes Jahr sollen auf Ostern allen Kindern Eier von allen Farben ausgeteilt werden.« – »Und ich«, sprach die gute Gräfin, »will diesen Gebrauch in unsrer ganzen Grafschaft einführen, und auch dort zum Andenken meiner Befreiung alle Jahre auf Ostern gefärbte Eier unter die Kinder austeilen lassen.« Dies geschah auch. Die Eier nannte man Ostereier, und die schöne Sitte verbreitete sich nach und nach durch das ganze Land.

Die Leute an andern Orten, die den Gebrauch nachmachten, sagten: »Die Erlösung der guten Gräfin aus ihrem Felsenthale und jenes Edelknechtes aus jenem Abgrunde und vom nahen Tode, geht uns zwar nicht so nahe an, ihr Andenken jährlich zu feiern. Die bunten Eier sollen daher unsre Kinder an eine größere, herrlichere Erlösung erinnern, die uns sehr nahe angeht – an unsere Erlösung von Sünde, Elend und Tod, durch denjenigen, der vom Tode auferstand. Das Osterfest ist das rechte Erlösungsfest – und die Freude, die wir da den Kindern machen, ist ganz dem Sinne des Erlösers gemäß. Die Liebe, die gern groß und klein erfreut, ist ja die Summe seiner heiligen Religion, und das schönste Kennzeichen seiner wahren Verehrer. Ja, die Sitte, den Kindern Eier zu schenken, kann auch den Eltern und allen Menschen eine schöne Erinnerung an die Vaterliebe Gottes gegen uns Menschen, ja gleichsam ein Pfand der wohlwollenden Gesinnungen seines treuen Vaterherzens sein. Denn der Mund der Wahrheit hat es ja selbst gesagt: »Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohne, der ihn um ein Ei bittet, einen Skorpion geben könnte? Wenn nun ihr euren Kindern gute Gaben zu geben wißt, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel denen, die ihn darum bitten, – die beste aller Gaben – den guten Geist geben?«


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