Christoph von Schmid
Die Ostereier
Christoph von Schmid

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Fünftes Kapitel.

Ein paar Eier – mehr wert, als wenn sie von Gold wären.

Unter den Zuschauern, die dem kleinen Kinderfeste beiwohnten, hatte die Frau einen fremden Jüngling bemerkt, der in dem Kreise fröhlicher Menschen ganz traurig dastand. Der Jüngling mochte etwa im sechzehnten Jahre sein. Er war nur sehr ärmlich gekleidet, allein von einem sehr edlen Aussehen und von einer blühenden, unverdorbenen Gesichtsfarbe; seine schönen gelben Haare hingen bis auf die Schultern herab, und in der Hand hatte er einen langen Wanderstab.

Nachdem sich die meisten Zuschauer zerstreut hatte, fragte ihn die Frau voller Mitleids, warum er denn so traurig sei. »Ach,« sprach der Jüngling, und die hellen Thränen standen ihm in den Augen, »mein Vater, der ein Steinhauer war, ist erst vor drei Wochen gestorben. Meiner Mutter geht es nun mit meinen zwei kleinen Geschwistern, einem Knaben und einem Mädchen, sehr hart. Mich will der Bruder meiner Mutter annehmen, und mich das Handwerk des Vaters, das er auch treibt, lehren, damit ich die Mutter erhalten, und mich einmal in der Welt fortbringen könne. Zu diesem reise ich jetzt. Ich komme schon zwanzig Stunden weit her, und habe fast noch einmal so weit zu gehen. Denn der Vetter wohnt weit von hier in einer andern Gegend des Gebirges.«

Die Frau wurde, besonders da ihr eigenes Schicksal dem Schicksale der armen Witwe des Steinhauers in etwas ähnlich war, sehr gerührt. Sie gab ihm Milch mit Eiern und ein Stück Eierkuchen zu essen, und schenkte ihm einiges, seine Mutter damit zu unterstützen. Edmund und Blanda hatten auch großes Mitleiden mit ihm. »Da,« sagte Blanda, »bring' dieses rote Ei deinem kleinen Schwesterchen, und grüße sie mir recht freundlich.« – »Und,« sagte Edmund, »dieses blaue Ei bringe deinem Brüderchen zum Gruße, und sag ihm, er soll uns einmal heimsuchen! Wir wollen ihm dann auch Milchsuppe und Eierkuchen auftischen.« Die Mutter lächelte, holte noch ein bemaltes Ei, und sagte: »Dieses Ei da gib deiner Mutter. Das Sprüchlein darauf ist der beste Trost, den ich ihr geben kann: Vertrau auf Gott, er hilft in Not! und so wird ihr das Ei kein unangenehmes Geschenk sein; ja, wenn sie das Sprüchlein befolgt, so ist es das beste Geschenk von der Welt, das man ihr nur immer machen könnte.«

Der Jüngling dankte herzlich. Der Müller behielt ihn über Nacht, und am andern Morgen, da die Spitzen der Felsen, die das Thal einschlossen, sich röteten, setzte der erfreute Jüngling seinen Stab weiter, nachdem der Müller ihm noch zuvor Haferbrot und Ziegenkäse in seinen Quersack gesteckt hatte.

Fridolin, so hieß der Jüngling, wanderte durch das Gebirg, über hohe Felsen und durch tiefe Thäler, rüstig fort. Am Abende des dritten Tages war er nur mehr ein paar Stunden von der Wohnung des Vetters entfernt. Aber sieh' da! als er so auf schmalem Wege längs einer himmelhohen Felsenwand hinkletterte, und in die tiefe, schauerliche Kluft zwischen den buschigen Felsen mit Grausen hinabschaute, erblickte er auf einmal ein aufgezäumtes und gesatteltes Pferd; die Decke war schön purpurrot und der Zügel schien lauter Gold. Das Pferd aber schaute zu ihm herauf und wieherte, als freute es sich, einen Menschen zu sehen, und als wollte es ihn mit lautem Jubel willkommen heißen.

»O Himmel!« sagte der Jüngling, »wie kommt das gute Tier in diese tiefe Schlucht hinab. Allem nach gehört es einem Ritter zu. Wenn dem Herrn, dem es angehöret, nur kein Unglück begegnet ist! Ein gesatteltes Pferd ohne Reiter an einem solchen Orte ist immer ein Anblick, über den man erschrickt. Mir wird ganz bange; ich muß doch einmal nachsehen.« Er versuchte lange vergebens hinab zu klettern, wiewohl er im Bergsteigen sehr geübt war. Endlich fand er zwischen den Felsen einen engen Steig, den ein wildes Bergwasser ausgehöhlt hatte, der aber jetzt trocken lag. Er kam glücklich hinunter. Da sah er einen Mann von edlem Aussehen und in ritterlicher Kleidung unter einem überhangenden Felsen liegen. Sein glänzender Helm mit dem prangenden Federbusche lag neben ihm, und der Spieß steckte daneben. Der Mann aber sah sehr blaß aus, und der Jüngling wußte nicht, ob er nur schlafe, oder gar tot sei. Mitleidig ging er zu ihm hin, faßte ihn freundlich bei der Hand und sagte: »Fehlt euch etwas, lieber Herr?«

Der Mann schlug die Augen auf, blickte den Jüngling starr an, seufzte und versuchte zu reden. Aber er konnte kein Wort hervorbringen. Da deutete er mit der Hand auf den Mund, und dann auf den Helm, der neben ihm lag. Fridolin verstand, daß er trinken wolle, nahm den Helm, und ging, Wasser zu holen. Ein paar graue Weidenbäume, tief in einem Winkel der Schlucht, verrieten ihm, daß Wasser in der Nähe sein müsse. Er ging hin, fand feuchten Grund, wand sich eine Strecke zwischen Felsen und Gesträuchen hinauf, und sieh! da rann ein kleines Quellchen, hell wie Kristall, aus einem moosigen Felsen hervor. Fridolin füllte den Helm, und eilte dem Durstenden zu. Dieser trank öfter und in langen Zügen. Nach und nach kam ihm die Sprache wieder.

»Gott sei Dank!« war sein erstes Wort. »Und auch dir sei Dank, freundlicher Jüngling«, fuhr er mit heiserer Stimme fort, indem er den Kopf auf die Hand stützte. »Dich hat mir Gott zugesendet, damit ich nicht verschmachte. – Aber wie mich jetzt hungert! Hast du nicht einen Bissen Brot bei dir?«

»O du mein Gott,« rief Fridolin, »wenn ich es nur früher gewußt hätte. Haferbrot und Ziegenkäse, die ich da im Quersacke trug, sind rein aufgezehrt. Doch halt, halt!« rief er jetzt freudig aus, »da habe ich ja noch die Eier. Die sind eine gesunde, nahrhafte Speise.« Er setzte sich zu dem Manne auf den reichlich mit Moos bewachsenen Boden, langte die gefärbten Eier hervor, machte sogleich eines von der Schale los, schnitt es mit seinem Taschenmesser, gleich Apfelschnitzchen, in längliche Stücklein, und gab ein Stückchen nach dem andern dem Manne. Der Mann aß, trank dann wieder dazwischen, und aß dann wieder.

Fridolin wollte das dritte Ei auch aufklopfen. Aber der Mann sagte: »Laß es gut sein. Zuviel auf einmal essen, besonders nachdem man lange gehungert, ist nicht gut. Ich habe für jetzt genug. So hat es mir in meinem Leben noch nicht geschmeckt. Es war ein Königsmahl. Ich fühle mich, Gott sei Dank, schon kräftiger!« fuhr er fort und setzte sich vollends auf. »O wenn du nicht gekommen wärest, so wäre ich diese Nacht sicher verschmachtet.«

»Aber,« sagte Fridolin, indem er den hellen Panzer und die Kleidung von prächtigen Farben näher betrachtete, »wie kommt Ihr, edler Ritter, mit Eurem Pferde denn in diese schauerliche Schlucht herab?«

»Ich bin nur ein Edelknecht,« sagte der Mann, »und reise schon mehrere Wochen in Angelegenheit meines Herrn weit umher. Da hab' ich mich in diesem waldigen Gebirge verirrt. Die Nacht überfiel mich. Auf einmal stürzte ich in der Finsternis samt meinem Pferde den steilen Abhang dort herunter in diese Tiefe. Dem Pferde, das gut auf den Beinen ist, geschah nichts. Aber ich habe mich da an dem Fuße beschädigt, daß ich nicht mehr gehen, und mich nicht einmal mehr auf das Pferd schwingen kann. Indes ist's ein Wunder, daß Mann und Roß nicht sogleich zu Grunde gingen. Ich kann Gott nicht genug danken! Ich verband mir die Wunde, so gut ich konnte; aber das Wundfieber setzte mir hart zu. Ich hatte mich schon darein ergeben, zwischen diesen Felsen Hungers zu sterben. Da erschienst du mir, guter Jüngling – wie ein Engel des Himmels. Sag' doch an, wie heißest du und wie kommst du in diese menschenleere, einsame Wüste?«

Fridolin sagte seinen Namen und erzählte seine Geschichte, und der Mann hörte aufmerksam zu, und that dazwischen allerlei Fragen. »Wunderlich«, sagte er, indem er auf die Eierschalen zeigte, die auf dem Moose umherlagen, »daß sie so schön rot und blau sind. Ich habe noch nie solche Eier gesehen. Wie, laß mich das Ei, das noch ganz ist und das du wieder in den Quersack stecktest, doch einmal näher betrachten!«

Fridolin gab's ihm, und erzählte, wie er dazu gekommen. Der Mann betrachtete das Ei sehr aufmerksam und die Thränen drangen ihm in die Augen. »Mein Gott«, sagte er, »was da auf dem Ei steht, ist wohl recht wahr: Vertrau auf Gott, er hilft in Not. Das habe ich jetzt erfahren. Mit heißer Inbrunst flehte ich in diesem Abgrunde zu Gott um Hilfe, und er hat mein Flehen erhört. Seine Güte sei dafür dankbar gepriesen. Gesegnet seien die guten Kinder, die dir das paar Eier schenkten. O sie dachten wohl nicht, daß sie damit einem fremden Manne das Leben retten würden! Gesegnet sei die gute Frau, die auf dieses Ei hier den tröstlichen Reim schrieb.«

»Liebster Fridolin!« fuhr er fort, »gib das Ei mir, ich will es aufheben, damit ich den schönen Spruch, der sich an mir so schön bewährte, immer vor Augen haben kann. Ja, meine Kinder und Kindeskinder sollen noch im Vertrauen auf Gott gestärkt werden, so oft sie das Ei erblicken und den Spruch lesen. Vielleicht erzählen nach hundert Jahren meine Urenkel noch davon, wie wunderbar Gott ihren Urgroßvater durch ein paar Eier vom Hungertode gerettet habe. Ich will dir für die Eier etwas anderes geben.« Er zog seinen Geldbeutel heraus, und gab ihm für jedes Ei, das er gegessen hatte, ein Goldstück – für das Ei mit dem schönen Reim aber zwei. Fridolin wollte ihm das Ei zwar nicht lassen. Der Mann aber bat so lange, bis er es ihm gab.

»Doch sieh«, sagte der Mann jetzt, indem er an die Felsenwand hinaufblickte, »es will Abend werden, und die Felsen und Gesträuche da oben schimmern in der Abendsonne schon wie rotes Gold. Versuch es noch einmal, mir auf das Pferd zu helfen. Der Weg, auf dem du herabkamst in diese fürchterliche Schlucht, wo die Sonne nie hinscheinet, läßt mich doch auf einen Ausgang hoffen.«

Fridolin half ihm auf das Pferd, und führte es am Zügel. Sie kamen durch den Hohlweg mit vieler Mühe, aber dennoch glücklich hinauf. O wie sich da der Mann freute, als er die Sonne wieder erblickte, und Wald und Gebirg umher, von ihren glühendroten Strahlen herrlich beleuchtet sah!

»Zu meinem Vetter,« sagte Fridolin, »kommen wir jetzt wohl noch. Ich gehe einen starken Schritt, und euer Pferd bleibt gewiß nicht zurück. Der Vetter wird euch mit Freuden aufnehmen. Er ist ein braver Mann. Ihr findet nicht nur eine gute Nachtherberge, sondern sicher auch, bis ihr wieder hergestellt seid, eine liebreiche Pflege.«

Mit anbrechender Nacht kamen sie vor der Wohnung des ehrlichen Steinhauers an. Er nahm den Edelknecht mit Freuden auf, und klopfte seinem jungen Vetter Fridolin auf die Schulter, daß er so brav und gut gehandelt habe. – Fridolin trug seine Bedenklichkeiten vor, daß er nicht Wort halten, und seiner Mutter und seinen Geschwistern die gefärbten Eier nicht senden könne. »Ah was, Eier,« sagte Fridolins Vetter, »ich weiß zwar nicht, was du alles von roten und blauen und bunten Eiern daher schwatzest, oder was diese Eier vor andern Vogeleiern, deren viele gewiß noch weit schöner und zarter bemalt sind, besonders haben sollen; aber wären sie auch pures Gold, so wären sie dennoch wohl aufgezehrt, da nur der brave Mann hier nicht Hungers sterben durfte, und du einmal ein braver Kerl wirst. Du hast gehandelt, wie der wohlthätige Samariter – und ich will nun den Wirt machen. Aber bezahlen darfst du mir nichts,« setzte er noch lächelnd hinzu. »Hörst du?«

Der Edelknecht zeigte das Ei mit dem Spruche. »Es ist wunderschön,« sagte der Vetter zu Fridolin. »Indes laß ihm's nur; das Gold da wird deiner Mutter lieber sein. Komm, ich will es dir auswechseln!« Der Jüngling erstaunte über die Menge der Münze, die er dafür bekam; denn er hatte das Gold nicht gekannt, weil er noch nie eines gesehen hatte. Ja, das gelbe Geld war ihm sogar etwas verdächtig vorgekommen. »Sieh,« sagte der Vetter, »auch an deiner Mutter wird der Spruch wahr: Gott hilft in Not! Der Spruch ist mehr wert, als all das Geld. Es ist indes gut, daß man den Spruch auch ohne das Ei merken kann. Vergiß ihn daher dein Leben lang nicht.«

Der Edelknecht blieb so lange, bis er ganz gesund war, und beschenkte, ehe er aufsaß, noch alle im Hause reichlich.


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