Friedrich Schleiermacher
Über die Religion
Friedrich Schleiermacher

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Nachrede

Laßt mich, ehe ich ganz von euch scheide, über den Schluß meiner Rede noch ein paar Worte an euch verlieren. Vielleicht meint ihr nämlich, es wäre besser gewesen, ihn jetzt nach mehreren Jahren zu unterdrücken; denn es zeigte sich ja deutlich, wie ich mit Unrecht dieses als einen Beweis von der Kraft der religiösen Gesinnung angeführt hätte, daß sie jetzt eben im Hervorbringen neuer Formen begriffen sei, und wie ich mit Unrecht mir angemaßt, Ahndungen zu haben von dem, was sie hervorbrächte, indem überall nichts dergleichen erfolgt wäre. Wenn ihr dies meint, so habt ihr wohl vergessen, daß die Weissagung der erste Vorläufer der Zukunft ist, und nur inwiefern sie dies in ihrem Namen wirklich verdient; sie ist eine Andeutung des Künftigen, worin dieses selbst schon enthalten ist, aber nur für den dem Weissagenden selbst am nächsten stehenden Sinn bemerkbar. Je umfassender also und größer das Geweissagte ist, und je mehr die Weissagung selbst im echten hohen Stil, um desto weniger darf sie der Erfüllung nahe stehen; sondern wie nur in weiter Ferne die untergehende Sonne aus dem Schatten großer Gegenstände große, magische Gestalten bildet am grauen Osten, so stellt auch die Weissagung ihre aus Vergangenheit und Gegenwart gebildeten Gestalten der Zukunft nur in weiter Ferne auf. Darum sollte, was ich in diesem Sinne gesagt habe, keineswegs ein Zeichen etwa für euch sein, um die Wahrheit meiner Rede daran zu prüfen, die euch vielmehr aus sich selbst klar werden muß; und weissagen würde ich nicht gewollt haben in meinen Reden an euch, gesetzt auch, daß mir die Gabe nicht fehlte, weil es mir nichts gefruchtet hätte, euch in eine weite Ferne hinaus zu verweisen. Sondern in der Nähe und unmittelbar wollte ich nichts weiter mit jenen Worten, als teils nur einige andere, nicht euch, halbspottend, wenn sie es verstanden haben, auffordern, ob sie wohl das leisten könnten, dessen sie sich zu vermessen scheinen; teils hoffte ich von euch, ihr solltet aufgeregt werden dadurch, den Gang der Erfüllung selbst zu verzeichnen, und dann war ich sicher, ihr würdet schon finden, was auch ich euch gern zeigen wollte, daß ihr in eben der Gestalt der Religion, welche ihr so oft verachtet, im Christentum, mit eurem ganzen Wissen, Tun und Sein so eingewurzelt seid, daß ihr gar nicht heraus könnt, und daß ihr vergeblich versucht, euch seine Zerstörung vorzustellen, ohne zugleich die Vernichtung dessen, was euch das Liebste und Heiligste in der Welt ist, eurer gesamten Bildung und Art zu sein, ja eurer Kunst und Wissenschaft mit zu beschließen. Woraus euch dann gefolgt wäre, daß, so lange unser Zeitalter währt, auch aus ihm und dem Gebiete des Christentums selbst nichts ausgehen könne, was das Letztere beeinträchtige, sondern dieses aus allem Streit und Kampf immer nur erneuert und verherrlicht hervorgehen müsse. Dies hatte ich für euch vorzüglich gemeint, und ihr seht also wohl, daß ich nicht im Sinne haben konnte, mich anzuschließen an einige Äußerungen trefflicher und erhabener Männer, welche ihr so verstanden habt, als wollten sie das Heidentum der alten Zeit zurückführen, oder gar eine neue Mythologie und durch sie eine neue Religion willkürlich erschaffen. Vielmehr möget ihr, nach meinem Sinne, auch daraus, wie nichtig und erfolglos alles immer sein wird, was sich an ein solches Bestreben anhängt, die Gewalt des Christentums erkennen.

Am allermeisten aber tut wohl not, über das, was ich von den Schicksalen des letzteren selbst gesagt, mich zu verständigen. Indessen freilich meine Ansicht hiervon euch zu begründen und zu erweisen, oder auch nur hinreichend anzudeuten, worauf sie beruht, dazu ist hier nicht der Ort; sondern er wird sich, wenn eine solche Erläuterung fortfährt, notwendig zu sein, anderwärts finden müssen. Hier aber und jetzt will ich nur ganz einfach sagen, wie ich es meine, damit ihr mich nicht etwa, nach der üblichen Art, alles auf Schulen und Parteien zurückzuführen, anderen beigesellt, mit denen ich hierin wenigstens nichts gemein habe.

Seitdem das Christentum besteht, hat fast immer irgendein stark hervortretender Gegensatz innerhalb desselben bestanden. Dieser hat jedesmal, wie es sich gebührt, Anfang, Mitte und Ende gehabt; nämlich das Entgegenstehende hat sich erst allmählich voneinander gesondert, die Trennung hat darauf ihren höchsten Gipfel erreicht und dann wieder allmählich abgenommen, bis der ganze Gegensatz in einem anderen, der sich während dieser Abnahme zu entwickeln angefangen hatte, endlich völlig verschwunden ist. Wie nun an einem solchen Faden die ganze Geschichte des Christentums abläuft, so bilden jetzt im christlichen Abendlande Protestantisches und Katholisches den herrschenden Gegensatz, in deren jedem die Idee des Christentums auf eine eigentümliche Weise ausgesprochen ist, so daß nur durch das Zusammensein beider jetzt die geschichtliche Erscheinung des Christentums der Idee desselben entsprechen kann. Dieser Gegensatz nun, sage ich, ist jetzt in der Ordnung und besteht; und wenn ich euch die Zeichen der Zeit deuten sollte, so würde ich sagen, er wäre jetzt eben daran, sich ruhig zu fixieren, keineswegs aber etwa schon merklich in der Abspannung und im Verschwinden. Darum nun sei allerdings niemand sorglos, sondern jeder besinne sich und sehe zu, auf welche Seite er gehöre mit seinem Christentum, und in welcher Kirche er ein religiöses, miterbauendes Leben führen könne: und wer einer gesunden, tüchtigen Natur sich erfreut und dieser auch folgt, der wird sicher nicht irre gehen. Nun aber gibt es einige, ich rede nicht von solchen, die in sich selbst gar nichts sind, die die sich von Glanz und Schimmer blenden lassen wie Kinder oder von Mönchen beschwatzen; aber es gibt einige, die gar wohl etwas sind, und auf die ich auch sonst schon gedeutet habe, treffliche und ehrenwerte Dichter und Künstler, und wer weiß, was für eine Schar von Anhängern, wie es heutzutage geht, ihnen nachfolgt, welche sich aus der protestantischen zu retten scheinen in die katholische Kirche, weil in dieser allein die Religion wäre, in jener aber nur die Irreligiosität, die aus dem Christentum selbst gleichsam hervorwachsende Gottlosigkeit. Derjenige nun sei mir ehrenwert, der, indem er einen solchen Übergang wagt, nur seiner Natur zu folgen bezeugt, als welche nur in dieser, nicht aber in jener Form des Christentums einheimisch wäre; aber ein solcher wird auch Spuren dieser natürlichen Beschaffenheit in seinem ganzen Leben aufzeigen, und nachweisen können, daß er durch seine Tat nur äußerlich vollendet habe, was innerlich und unwillkürlich schon immer und, streng genommen, gleichzeitig mit ihm selbst vorhanden gewesen. Auch der sei mir, wo nicht ehrenwert, doch zu bedauern und zu entschuldigen, welcher, wie der Instinkt der Kranken bisweilen zwar bewundernswürdig glücklich ist, dann aber auch wieder gefährlich, denselben Schritt tut, offenbar in einem Zustande der Beängstigung und Schwäche, eingeständlich, weil er für ein irregewordenes Gefühl einer äußeren Stütze bedarf, oder einiger Zaubersprüche, um beklommene Bangigkeit zu beschwichtigen und böses Hauptweh; oder weil er eine Atmosphäre sucht, worin schwächliche Organe sich besser befinden, weil sie weniger lebendig ist, und also auch weniger erregend; wie manche Kranke statt der freien Bergluft lieber die tierischen Ausdünstungen suchen müssen. Jene aber, welche ich jetzt bezeichne, sind mir weder das Eine noch das Andere, sondern nur verwerflich erscheinen sie mir; denn sie wissen nicht, was sie wollen, noch was sie tun. Oder ist das etwa eine verständige Rede, die sie führen? Strahlt wohl irgendeinem unverdorbenen Sinne aus den Heroen der Reformation die Gottlosigkeit entgegen, oder nicht vielmehr jedem eine wahrhaft christliche Frömmigkeit? Oder ist wirklich Leo der Zehnte frömmer als Luther, und Loyolas Enthusiasmus heiliger als Zinzendorfs? Und wohin stellen wir die größten Erscheinungen der neueren Zeit in jedem Gebiete der Wissenschaft, wenn der Protestantismus die Gottlosigkeit ist und die Hölle? Jene aber, so wie der Protestantismus ihnen nur Irreligion ist, so lieben sie auch an der römischen Kirche keineswegs ihr eigentümliches Wesen, sondern nur ihr Verderben, zum deutlichen Beweise, daß sie nicht wissen, was sie wollen. Denn beherziget nur dieses rein geschichtlich, daß doch das Papsttum keineswegs das Wesen der katholischen Kirche ist, sondern nur ihr Verderben. Und eben dieses suchen und lieben jene eigentlich: den Götzendienst, mit welchem leider auch die protestantische Kirche, wiewohl unter weniger prachtvollen, und also auch weniger verführerischen Formen zu kämpfen hat, und der ihnen eben hier nicht derb und nicht kolossalisch genug ist, den suchen sie eigentlich auf jenseits der Alpen. Denn was wäre sonst ein Götze, ein Idol, als wenn, was mit Händen gemacht werden kann und betastet und mit Händen zerbrochen, eben in dieser Hinfälligkeit und Gebrechlichkeit törichter und verkehrter Weise aufgestellt wird, um das Ewige nicht etwa an seinem Teil und nach Maßgabe der ihm einwohnenden Kraft und Schönheit lebendig darzustellen: sondern als ob es, als ein Zeitliches, und oft mit der größten Ideenlosigkeit und Verkehrtheit Behaftetes, das Ewige zugleich sein könne, daß sie auch das mit Händen betasten mögen und jedem zuwiegen und zumessen, willkürlich und magisch. Diese Superstition in Kirche und Priestertum, Sakrament, Sündenvergebung und Seligkeit ist das Vortreffliche, was sie suchen. Sie werden aber nichts damit schaffen, denn es ist ein verkehrtes Wesen und wird sich auch in ihnen offenbaren durch vermehrte Verkehrtheit, indem sie sich aus der gemeinsamen Sphäre der Bildung hinausstürzen in ein leeres, nichtiges Treiben, und auch das Teil von Kunst, das ihnen Gott verliehen, in Eitelkeit verkehren. Dies ist, wenn ihr wollt, eine Weissagung, deren Erfüllung nahe genug liegt, daß ihr sie erwarten könnt.

Und nun noch eine von anderer Art, und möchtet ihr deren Erfüllung auch gewahr werden, wie ich hoffe. Sie geht auf das Zweite, was ich eben sagte, daß nämlich der Gegensatz dieser beiden Parteien ein noch bestehender sei und auch noch bleiben müsse. Es könnte sein, daß die römische Kirche, wenn auch nicht überall und alles, doch einen großen Teil ihres Verderbens von sich täte, auch äußerlich, wie es unstreitig viele in ihr gibt, die es von sich getan haben innerlich. Dann können Verführer kommen, die mächtigen drohend, die schwachen, vielleicht gar wohlmeinenden schmeichelnd, und den Protestanten zureden, doch nun, wie denn viele jenes Verderben für den einzigen Grund der Trennung halten, wieder zurückzutreten in die eine unteilbare, ursprüngliche Kirche. Auch das ist ein törichter und verkehrter Ratschlag! Er mag viele locken oder einschrecken, aber er wird nicht durchgeführt werden, denn die Aufhebung dieses Gegensatzes wäre jetzt der Untergang des Christentums, weil seine Stunde noch nicht gekommen ist. Ja, ich möchte herausfordern den Mächtigsten der Erde, ob er dieses nicht auch etwa durchsetzen wollte, wie ihm alles ein Spiel ist, und ich möchte ihm dazu einräumen alle Kraft und alle List; aber ich weissage ihm, es wird ihm mißlingen, und er wird mit Schanden bestehen. Denn Deutschland ist immer noch da, und seine unsichtbare Kraft ist ungeschwächt, und zu seinem Beruf wird es sich wieder einstellen mit nicht geahnter Gewalt, würdig seiner alten Heroen und seiner vielgepriesenen Stammeskraft; denn es war vorzüglich bestimmt, diese Erscheinung zu entwickeln, und es wird mit Riesenkraft wieder aufstehn, um sie zu behaupten.

Hier habt ihr ein Zeichen, wenn ihr eines bedürft, und wenn dies Wunder geschieht, dann werdet ihr vielleicht glauben wollen an die lebendige Kraft der Religion und des Christentums. Aber selig sind die, durch welche es geschieht, die, welche nicht sehen und doch glauben!


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