Friedrich Schleiermacher
Über die Religion
Friedrich Schleiermacher

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II. Über das Wesen der Religion

Ihr werdet wissen, wie der alte Simonides durch immer wiederholtes und verlängertes Zögern denjenigen zur Ruhe verwies, der ihn mit der Frage belästigt hatte, was wohl die Götter seien. Ich möchte nicht ungern bei der unsrigen, jener so genau entsprechenden und nicht minder umfassenden, was Religion sei, mit einer ähnlichen Zögerung anfangen. Natürlich nicht in der Absicht, um zu schweigen und euch wie jener in der Verlegenheit zu lassen; sondern ob ihr etwa, um auch für euch selbst etwas zu versuchen, eure Blicke eine Zeit lang unverwandt auf den Punkt, den wir suchen, wolltet gerichtet halten, und euch aller anderen Gedanken indes gänzlich entschlagen. Ist es doch die erste Forderung auch derer, welche nur gemeine Geister beschwören, daß der Zuschauer, der ihre Erscheinungen sehen und in ihre Geheimnisse will eingeweiht werden, sich durch Enthaltsamkeit von irdischen Dingen und durch heilige Stille vorbereite, und dann, ohne sich durch den Anblick fremder Gegenstände zu zerstreuen mit ungeteilten Sinnen auf den Ort hinschaue, wo die Erscheinung sich zeigen soll. Wie viel mehr werde ich eine solche Folgsamkeit verlangen dürfen, der ich euch einen seltenen Geist hervorrufen soll, welchen ihr lange mit angestrengter Aufmerksamkeit werdet beobachten müssen, um ihn für den, den ihr begehrt, zu erkennen und seine bedeutsamen Züge zu verstehen. Ja gewiß, nur wenn ihr vor den heiligen Kreisen stehet mit jener unbefangenen Nüchternheit des Sinnes, die jeden Umriß klar und richtig auffaßt, und weder von alten Erinnerungen verführt, noch von vorgefaßten Ahnungen bestochen, nur aus sich selbst das Dargestellte zu verstehen trachtet, nur dann kann ich hoffen, daß ihr die Religion, die ich euch zeigen will, wo nicht liebgewinnen, doch wenigstens euch über ihre Bedeutung einigen und ihre höhere Natur anerkennen werdet. Denn ich wollte wohl, ich könnte sie euch unter irgendeiner wohlbekannten Gestalt darstellen, damit ihr sogleich an ihren Zügen, ihrem Gang und Anstand euch erinnern möchtet, daß ihr sie hier oder dort so gesehen habt im Leben. Aber es will nicht angehen; denn so wie ich sie euch zeigen möchte in ihrer ursprünglichen, eigentümlichen Gestalt, pflegt sie öffentlich nicht aufzutreten, sondern nur im Verborgenen läßt sie sich so sehen von denen, die sie liebt. Auch gilt es ja nicht etwa von der Religion allein, daß das, worin sie öffentlich dargestellt und vertreten wird, nicht mehr ganz sie selbst ist; sondern von jedem, was ihr seinem inneren Wesen nach als ein Eigentümliches und Besonderes für sich annehmen möget, kann dasselbe mit Recht gesagt werden, daß, in was für einem äußerlichen es sich auch darstelle, dieses nicht mehr ganz sein eigen ist, noch ihm genau entspricht. Ist doch nicht einmal die Sprache das reine Werk der Erkenntnis, noch die Sitte das reine Werk der Gesinnung. Zumal jetzt und unter uns ist dieses wahr. Denn es gehört zu dem sich noch immer weiter bildenden Gegensatz der neuen Zeit gegen die alte, daß nirgend mehr einer eines ist, sondern jeder alles. Und daher ist, wie die gebildeten Völker einen so vielseitigen Verkehr unter einander eröffnet haben, daß ihre eigentümliche Sinnesart in den einzelnen Momenten des Lebens nicht mehr unvermischt heraustritt, so auch innerhalb des menschlichen Gemütes eine so ausgebreitete und vollendete Geselligkeit gestiftet, daß, was ihr auch absondern möget in der Betrachtung als einzelnes Talent und Vermögen, dennoch keineswegs ebenso abgeschlossen seine Werke hervorbringt; sondern – ich meine es im ganzen, versteht sich – jedes wird bei jeder Verrichtung dergestalt von der zuvorkommenden Liebe und Unterstützung der anderen bewegt und durchdrungen, daß ihr nun in jedem Werk alles findet, und schon zufrieden sein müßt; wenn es euch nur gelingt, die herrschend hervorbringende Kraft zu unterscheiden in dieser Verbindung. Darum kann nun jeder jede Tätigkeit des Geistes nur insofern verstehen, als er sie zugleich in sich selbst finden und anschauen kann. Und da ihr auf diese Weise die Religion nicht zu kennen behauptet, was liegt mir näher, als euch vor jenen Verwechselungen vornehmlich zu warnen, welche aus der gegenwärtigen Lage der Dinge so natürlich hervorgehn? Laßt uns deshalb recht bei den Hauptmomenten eurer eigenen Ansicht anheben, und sie sichten, ob sie wohl die rechte sei, oder wenn nicht, wie wir vielleicht von ihr zu dieser gelangen können.

Die Religion ist euch bald eine Denkungsart, ein Glaube, eine eigne Weise, die Welt zu betrachten und, was uns in ihr begegnet, in Verbindung zu bringen; bald eine Handlungsweise, eine eigne Lust und Liebe, eine besondere Art, sich zu betragen und sich innerlich zu bewegen. Ohne diese Trennung eines Theoretischen und Praktischen könnt ihr nun einmal schwerlich denken, und wiewohl die Religion beiden Seiten angehört, seid ihr doch gewohnt, jedesmal auf eine von beiden vorzüglich zu achten. So wollen wir sie denn von beiden Punkten aus genau ins Auge fassen.

Für das Handeln zuerst setzt ihr doch ein zwiefaches, das Leben nämlich und die Kunst; ihr möget nun mit dem Dichter Ernst dem Leben, Heiterkeit der Kunst zuschreiben, oder anderswie beides entgegensetzen, trennen werdet ihr doch gewiß eines vom andern. Für das Leben soll die Pflicht die Losung sein, euer Sittengesetz soll es anordnen, die Tugend soll sich darin als das waltende beweisen, damit der einzelne mit den allgemeinen Ordnungen der Welt harmoniere und nirgends störend oder verwirrend eingreife. Und so, meint ihr, könne sich ein Mensch beweisen, ohne daß irgendetwas von Kunst an ihm zu spüren sei; vielmehr müsse diese Vollkommenheit durch strenge Regeln erreicht werden, die gar nichts gemein hätten mit den freien beweglichen Vorschriften der Kunst. Ja, ihr sehet es selbst fast als eine Regel an, daß bei denen, welche sich in der Anordnung des Lebens am genauesten beweisen, die Kunst zurückgetreten sei, und sie ihrer entbehren. Wiederum den Künstler soll die Phantasie beseelen, das Genie soll überall in ihm walten, und dies ist euch etwas ganz anderes als Tugend und Sittlichkeit; das höchste Maß von jenem könne, meint ihr, wohl bestehen bei einem weit geringeren von dieser; ja ihr seid geneigt, dem Künstler von den strengen Forderungen an das Leben etwas nachzulassen, weil die besonnene Kraft gar oft ins Gedränge gerate durch jene feurige. Wie steht es nun aber mit dem, was ihr Frömmigkeit nennt, inwiefern ihr sie als eine eigne Handlungsweise anseht? Fällt sie in jenes Gebiet des Lebens, und ist darin etwas Eignes, also doch auch Gutes und Löbliches, doch aber auch ein von der Sittlichkeit Verschiedenes; denn für einerlei wollt ihr doch beides nicht ausgeben? Also erschöpfte die Sittlichkeit nicht das Gebiet, welches sie regieren soll, wenn noch eine andere Kraft darin wirksam ist neben ihr, und zwar die auch gerechte Ansprüche daran hätte und neben ihr bleiben könnte? Oder wollt ihr euch dahin zurückziehen, daß die Frömmigkeit eine einzelne Tugend sei, und die Religion eine einzelne Pflicht, oder eine Abteilung von Pflichten, also der Sittlichkeit einverleibt und untergeordnet, wie ein Teil seinem Ganzen einverleibt ist, wie man auch annimmt besondere Pflichten gegen Gott, deren Erfüllung dann die Religion sei, und also ein Teil der Sittlichkeit, wenn alle Pflichterfüllung die gesamte Sittlichkeit ist? Aber so meint ihr es nicht, wenn ich eure Reden recht verstehe, wie ich sie zu hören gewohnt bin und auch jetzt euch wiedergegeben habe; denn sie wollen so klingen, als ob der Fromme durchaus und überall noch etwas Eignes hätte in seinem Tun und Lassen, als ob der Sittliche ganz und vollkommen sittlich sein könnte, ohne auch fromm zu sein deshalb. Und wie verhalten sich doch Kunst und Religion? Doch schwerlich so, daß sie einander ganz fremd wären; denn von jeher hatte doch das Größte in der Kunst ein religiöses Gepräge. Und wenn ihr den Künstler fromm nennt, gestattet ihr ihm dann auch noch jenen Nachlaß von den strengen Forderungen der Tugend? Wohl schwerlich, sondern unterworfen ist er dann diesen wie jeder andere. Dann aber werdet ihr auch wohl – sonst sähe ich nicht, wie eine Gleichheit herauskäme – denen, die dem Leben angehören, wenn sie fromm sein sollten, verwehren, ganz kunstlos zu bleiben; sondern sie werden in ihr Leben etwas aufnehmen müssen aus diesem Gebiet, und daraus entsteht vielleicht die eigne Gestalt, die es gewinnt. Allein ich bitte euch, wenn auf diese Weise – und auf irgend so etwas muß es doch herauskommen mit eurer Ansicht, weil ein anderer Ausweg sich nicht darbietet, wenn – so die Religion als Handlungsweise eine Mischung aus jenen beiden, getrübt wie Mischungen zu sein pflegen, und beide etwas durch einander angegriffen und abgestumpft: so erklärt mir das zwar euer Mißfallen, aber nicht eure Vorstellung. Denn wie wollt ihr doch ein solches zufälliges Durcheinandergerührtsein zweier Elemente etwas Eignes nennen, wenn auch die genaueste Mittelmäßigkeit von beiden daraus entstände, solange ja doch beide darin unverändert nebeneinander bestehn? Wenn es aber nicht so, sondern die Frömmigkeit eine wahre innige Durchdringung von jenen ist: so sehet ihr wohl ein, daß mein Gleichnis mich dann verläßt, und daß eine solche hier nicht kann entstanden sein durch ein Hinzukommen des einen zum anderen, sondern daß sie alsdann eine ursprüngliche Einheit beider sein muß. Allein hütet euch, ich will euch selbst warnen, daß ihr mir dies nicht zugebt. Denn wenn es sich so verhielte, so wären Sittlichkeit und Genie in ihrer Vereinzelung ja nur die einseitigen Zerstörungen der Religion, das Heraustretende, wenn sie abstirbt; jene aber wäre in der Tat das Höhere zu beiden, und das wahre göttliche Leben selbst. Für die Warnung aber, wenn ihr sie annehmt, seid mir auch wieder gefällig, und teilt mir mit, wenn ihr irgendwo vielleicht einen Ausweg findet, wie eure Meinung über die Religion nicht als nichts erscheinen kann; bis dahin aber bleibt mir wohl nichts übrig, als anzunehmen, daß ihr noch nicht recht untersucht hattet, und euch selbst nicht verstanden habt über diese Seite der Religion. Vielleicht, daß es uns erfreulicher ergeht mit der anderen, wenn sie nämlich angesehen wird als Denkungsart und Glaube.

Das werdet ihr mir zugeben, glaube ich, daß eure Einsichten, mögen sie nun noch so vielseitig erscheinen, euch doch insgesamt in zwei gegenüberstehende Wissenschaften hineinfallen. Über die Art, wie ihr diese weiter abteilt, und über die Namen, die ihr ihnen beilegt, will ich mich nicht weiter auslassen; denn das gehört in den Streit eurer Schulen, mit dem ich hier nichts zu tun habe. Darum sollt ihr mir aber auch nicht an den Worten mäkeln, mögen sie nun bald hierher kommen, bald daher, deren ich mich zu ihrer Bezeichnung bedienen werde. Wir mögen nun die eine Physik nennen oder Metaphysik, mit einem Namen, oder wiederum geteilt mit zweien, und die andere Ethik oder Pflichtenlehre oder praktische Philosophie; über den Gegensatz, den ich meine, sind wir doch einig, daß nämlich die eine die Natur der Dinge beschreibt, oder wenn ihr davon nichts wissen wollt und es euch zu viel dünkt, wenigstens die Vorstellungen des Menschen von den Dingen, und was die Welt als ihre Gesamtheit für ihn sein, und wie er sie finden muß; die andere Wissenschaft aber lehrt umgekehrt, was er für die Welt sein und darin tun soll. Inwiefern nun die Religion eine Denkungsart ist über etwas, und ein Wissen um etwas in ihr vorkommt, hat sie nicht mit jenen Wissenschaften einerlei Gegenstand? Was weiß der Glaube anderes als das Verhältnis des Menschen zu Gott und zur Welt, wozu jener ihn gemacht hat, was diese ihm anhaben kann oder nicht? Aber wiederum nicht aus diesem Gebiet allein weiß und setzt er etwas, sondern auch aus jenem anderen, denn er unterscheidet auch nach seiner Weise ein gutes Handeln und ein schlechtes. Wie nun, ist die Religion einerlei mit der Naturwissenschaft und der Sittenlehre? Ihr meint ja nicht; denn ihr wollt nie zugeben, daß unser Glaube so begründet wäre und so sicher, noch daß er auf derselben Stufe der Gewißheit stände, wie euer wissenschaftliches Wissen; sondern ihr werft ihm vor, daß er Erweisliches und Wahrscheinliches nicht zu unterscheiden wisse. Ebenso vergeßt ihr nicht, fleißig zu bemerken, daß oft gar wunderliche Vorschriften des Tuns und Lassens von der Religion ausgegangen sind; und ganz recht mögt ihr haben; nur vergeßt nicht, daß es mit dem, was ihr Wissenschaft nennt, sich ebenso verhält, und daß ihr vieles in beiden Gebieten berichtiget zu haben meint, und besser zu sein als eure Väter. Und was sollen wir nun sagen, daß die Religion sei? Wieder wie vorher eine Mischung, also theoretisches Wissen und praktisches zusammengemengt? Aber noch viel unzulässiger ist ja dies auf dem Gebiete des Wissens, und am meisten wenn, wie es doch scheint, jeder von diesen beiden Zweigen desselben sein eigentümliches Verfahren hat in der Konstruktion seines Wissens. Nur aufs willkürlichste entstanden könnte solch eine Mischung sein, in der beiderlei Elemente sich entweder unordentlich durchkreuzen oder sich doch wieder absetzen müßten; und schwerlich könnte etwas anderes durch sie gewonnen werden, als daß wir noch eine Methode mehr besäßen, um etwa Anfängern von den Resultaten des Wissens etwas beizubringen und ihnen Lust zu machen zur Sache selbst. Wenn ihr es so meint, warum streitet ihr gegen die Religion? Ihr könntet sie ja, solange es Anfänger gibt, friedlich bestehen lassen und ohne Gefährde. Ihr könntet lächeln über die wunderliche Täuschung, wenn wir uns etwa anmaßen wollten, ihretwegen euch zu meistern; denn ihr wißt ja gar zu sicher, daß ihr sie weit hinter euch gelassen habt, und daß sie immer nur von euch, den Wissenden, zubereitet wird für uns andere, so daß ihr übel tun würdet, nur ein ernsthaftes Wort hierüber zu verlieren. Aber so steht es nicht, denke ich. Denn ihr arbeitet schon lange daran, wenn ich mich nicht ganz irre, einen solchen kurzen Auszug eures Wissens der Masse des Volkes beizubringen; ob ihr ihn nun Religion nennt oder Aufklärung oder wie anders, gilt gleich; und dabei findet ihr eben nötig, erst ein anderes noch Vorhandenes auszutreiben, oder wo es nicht wäre, ihm den Eingang zu verhindern, und dies ist eben, was ihr als Gegenstand eurer Polemik, nicht als die Ware, die ihr selbst verbreiten wollt, Glauben nennt. Also, ihr Lieben, muß doch der Glaube etwas anderes sein als ein solches Gemisch von Meinungen über Gott und die Welt, und von Geboten für ein Leben oder zwei: und die Frömmigkeit muß etwas anderes sein als der Instinkt, den nach diesem Gemengsel von metaphysischen und moralischen Brosamen verlangt, und der sie sich durcheinander rührt. Denn sonst strittet ihr wohl schwerlich dagegen, und es fiele euch wohl nicht ein, von der Religion auch nur entfernt als von etwas zu reden, das von eurem Wissen verschieden sein könnte; sondern der Streit der Gebildeten und Wissenden gegen die Frommen wäre dann nur der Streit der Tiefe und Gründlichkeit gegen das oberflächliche Wesen, der Meister gegen die Lehrlinge, die sich zur üblen Stunde freisprechen wollten. Solltet ihr es aber dennoch so meinen, so hätte ich Lust, euch durch allerlei sokratische Fragen zu ängstigen, um manche unter euch endlich zu einer unverhohlenen Antwort zu nötigen auf die Frage, ob einer wohl auf irgendeine Art weise und fromm sein könnte zugleich, und um allen die vorzulegen, ob ihr etwa auch in anderen gemeinen Dingen die Prinzipien nicht kennt, nach denen das Ähnliche zusammengestellt und das Besondere dem Allgemeinen untergeordnet wird; oder ob ihr sie nur hier nicht anwenden wollet, um lieber mit der Welt über einen ernsten Gegenstand Scherz zu treiben. Wie soll es nun aber sein, wenn es nicht so ist? Wodurch wird doch im religiösen Glauben das, was ihr in der Wissenschaft sondert und in zwei Gebiete verteilt, miteinander verknüpft und so unauflöslich gebunden, daß sich keins ohne das andere denken läßt? Denn der Fromme meint nicht, daß jemand das richtige Handeln unterscheiden kann, als nur insofern er zugleich um die Verhältnisse des Menschen zu Gott weiß, und so auch umgekehrt. Ist es das Theoretische, worin dieses bindende Prinzip liegt: warum stellt ihr noch eine praktische Philosophie jener gegenüber, und seht sie nicht vielmehr nur als einen Abschnitt derselben an? und ebenso, wenn es sich umgekehrt verhält. Aber es mag nun so sein, oder jenes beides, welches ihr entgegenzusetzen pflegt, mag nur in einem noch höheren, ursprünglichen Wissen eins sein, ihr könnt doch nicht glauben, daß die Religion diese höchste wiederhergestellte Einheit des Wissens sei, sie, die ihr bei denen am meisten findet und bestreiten wollt, welche von der Wissenschaft am weitesten entfernt sind. Hierzu will ich selbst euch nicht anhalten; denn ich will keinen Platz besetzen, den ich nicht behaupten könnte; aber das werdet ihr wohl zugeben, daß ihr auch mit dieser Seite der Religion euch erst Zeit nehmen müßt, um zu untersuchen, was sie eigentlich bedeute.

Laßt uns aufrichtig miteinander umgehen. Ihr mögt die Religion nicht, davon sind wir schon neulich ausgegangen; aber indem ihr einen ehrlichen Krieg gegen sie führt, der doch nicht ganz ohne Anstrengung ist, wollt ihr doch nicht gegen einen Schatten zu fechten scheinen, wie dieser, mit dem wir uns bis jetzt herumgeschlagen haben. Sie muß doch etwas Eigenes sein, was in der Menschen Herz sich so besonders gestalten konnte, etwas Denkbares, dessen Wesen für sich kann aufgestellt werden, daß man darüber reden und streiten kann; und ich finde es sehr unrecht, wenn ihr selbst aus so disparaten Dingen, wie Erkenntnis und Handlungsweise, etwas Unhaltbares zusammennähet, das Religion nennt, und dann soviel unnütze Umstände damit macht. Ihr werdet leugnen, daß ihr hinterlistig zuwerke gegangen seid; ihr werdet mich auffordern, alle Urkunden der Religion – weil ich doch die Systeme, die Kommentare und die Apologieen schon verworfen habe – alle aufzurollen, von den schönen Dichtungen der Griechen bis zu den heiligen Schriften der Christen, ob ich nicht überall die Natur der Götter finden werde und ihren Willen, und überall den heilig und selig gepriesen, der die erstere erkennt und den letztern vollbringt. Aber das ist es ja eben, was ich euch gesagt habe, daß die Religion nie rein erscheint, sondern ihre äußere Gestalt auch noch durch etwas anderes bestimmt wird, und daß es eben unsere Aufgabe ist, uns hieraus ihr Wesen darzustellen, nicht so kurz und geradezu jenes für dieses zu nehmen, wie ihr zu tun scheint. Liefert euch doch auch die Körperwelt keinen Urstoff in seiner Reinheit dargestellt als ein freiwilliges Naturerzeugnis – ihr müßtet denn, wie es euch in der intellektuellen ergangen ist, sehr grobe Dinge für etwas Einfaches halten –, sondern es ist nur das unendliche Ziel der analytischen Kunst, einen solchen darstellen zu können. So ist euch auch in geistigen Dingen das Ursprüngliche nicht anders zu schaffen, als wenn ihr es durch eine zweite gleichsam künstliche Schöpfung in euch erzeugt, und auch dann nur für den Moment, wo ihr es erzeugt. Ich bitte euch, versteht euch selbst hierüber, ihr werdet unaufhörlich daran erinnert werden. Was aber die Urkunden und die Autographa der Religion betrifft, so ist das Anschließen derselben an eure Wissenschaften vom Sein und vom Handeln oder von der Natur und vom Geist nicht bloß ein unvermeidliches Schicksal, weil sie nämlich nur aus diesen Gebieten ihre Sprache hernehmen können, sondern es ist ein wesentliches Erfordernis, von ihrem Zweck selbst unzertrennlich, weil sie, um sich Bahn zu machen, an das mehr oder minder wissenschaftlich Gedachte über diese Gegenstände anknüpfen müssen, um das Bewußtsein für einen höheren Gegenstand aufzuschließen. Denn was als das erste und letzte in einem Werke erscheint, ist nicht immer auch sein Innerstes und Höchstes. Wüßtet ihr doch nur zwischen den Zeilen zu lesen! Alle heiligen Schriften sind wie die bescheidenen Bücher, welche vor einiger Zeit in unserem bescheidenen Vaterlande gebräuchlich waren, die unter einem dürftigen Titel wichtige Dinge abhandelten und, nur einzelne Erläuterungen verheißend, in die tiefsten Tiefen hinabzusteigen versuchten. So auch die heiligen Schriften schließen sich freilich metaphysischen und moralischen Begriffen an – wo sie sich nicht etwa unmittelbar dichterischer erheben, welches aber das für euch am wenigsten genießbare zu sein pflegt –, und sie scheinen fast ihr ganzes Geschäft in diesem Kreise zu vollenden; aber euch wird zugemutet, durch diesen Schein hindurchzudringen und hinter demselben ihre eigentliche Abzweckung zu erkennen. So bringt auch die Natur edle Metalle vererzt mit geringeren Substanzen hervor, und doch weiß unser Sinn sie zu entdecken und in ihrem herrlichen Glanze wieder herzustellen. Die heiligen Schriften waren nicht für die vollendeten Gläubigen allein, sondern vornehmlich für die Kinder im Glauben, für die Neugeweihten, für die, welche an der Schwelle stehen und eingeladen sein wollen. Wie konnten sie es also anders machen, als jetzt eben auch ich es mache mit euch? Sie mußten sich anschließen an das Gegebene, und in diesem die Mittel suchen zu einer solchen strengeren Spannung und erhöhten Stimmung des Gemütes, bei welcher dann auch der neue Sinn, den sie erwecken wollten, aus dunkeln Ahnungen konnte aufgeregt werden. Und erkennt ihr nicht auch schon an der Art, wie jene Begriffe behandelt werden, an dem bildenden Treiben, wenngleich oft im Gebiet einer armseligen, undankbaren Sprache, das Bestreben, aus einem niedern Gebiet durchzubrechen in ein höheres? Eine solche Mitteilung, das seht ihr wohl, konnte nicht anders sein als dichterisch oder rednerisch; und was liegt wohl dem letzteren näher als das Dialektische? was ist von jeher herrlicher und glücklicher gebraucht worden, um die höhere Natur des Erkennens ebenso wohl als des inneren Gefühls zu offenbaren? Aber freilich wird dieser Zweck nicht erreicht, wenn jemand bei der Einkleidung allein stehen bleibt. Darum, da es so sehr weit um sich gegriffen hat, daß man in den heiligen Schriften vornehmlich Metaphysik und Moral suchte und nach der Ausbeute, die sie hierzu geben, ihren Wert schätzt, so schien es Zeit, die Sache einmal bei dem anderen Ende zu ergreifen und mit dem schneidenden Gegensatz anzuheben, in welchem sich unser Glaube gegen eure Moral und Metaphysik, und unsere Frömmigkeit gegen das, was ihr Sittlichkeit zu nennen pflegt, befindet. Das war es, was ich wollte, und wovon ich abschweifte, um erst die unter euch herrschende Vorstellung zu beleuchten. Es ist geschehen, und ich kehre nun zurück.

Um euch also ihren ursprünglichen und eigentümlichen Besitz recht bestimmt zu offenbaren und darzutun, entsagt die Religion vorläufig allen Ansprüchen auf irgendetwas, das jenen beiden Gebieten der Wissenschaft und der Sittlichkeit angehört, und will alles zurückgeben, was sie von dorther, sei es nun geliehen hat, oder sei es, daß es ihr aufgedrungen worden. Denn wonach strebt eure Wissenschaft des Seins; eure Naturwissenschaft, in welcher doch alles Reale eurer theoretischen Philosophie sich vereinigen muß? Die Dinge, denke ich, in ihrem eigentümlichen Wesen zu erkennen; die besonderen Beziehungen aufzuzeigen, durch welche jedes ist, was es ist; jedem seine Stelle im Ganzen zu bestimmen und des von allem übrigen richtig zu unterscheiden; alles Wirklich in seiner gegenseitigen bedingten Notwendigkeit hinzustellen und die Einerleiheit aller Erscheinungen mit ihren ewigen Gesetzen darzutun. Dies ist ja wahrlich schön und trefflich, und ich bin nicht gemeint, es herabzusetzen; vielmehr wenn euch meine Beschreibung, hingeworfen und angedeutet wie sie ist, nicht genügt, so will ich euch das Höchste und Erschöpfendste zugeben, was ihr nur vom Wissen und von der Wissenschaft zu sagen vermögt: aber dennoch, und wenn ihr auch noch weiter geht und mir anführt, die Naturwissenschaft führe euch noch höher hinauf von den Gesetzen zu dem höchsten und allgemeinen Ordner, in welchem die Einheit zu allem ist, und ihr erkennet die Natur nicht, ohne auch Gott zu begreifen, so behaupte ich dennoch, daß die Religion es auch mit diesem Wissen gar nicht zu tun hat, und daß ihr Wesen auch ohne Gemeinschaft mit demselben wahrgenommen wird. Denn das Maß des Wissens ist nicht das Maß der Frömmigkeit; sondern diese kann sich herrlich offenbaren, ursprünglich und eigentümlich auch in dem, der jenes Wissen nicht ursprünglich in sich selbst hat, sondern nur wie jeder einzelnes davon durch die Verbindung mit den übrigen. Ja der Fromme gesteht es euch gern und willig zu, auch wenn ihr etwas stolz auf ihn herabseht, daß er als solcher, er müßte denn zugleich auch ein Weiser sein, das Wissen nicht so in sich habe wie ihr: und ich will euch sogar mit klaren Worten dolmetschen, wie die meisten von ihnen nur ahnen, aber nicht von sich zu geben wissen, daß, wenn ihr Gott an die Spitze eurer Wissenschaft stellt als den Grund alles Erkennens oder auch alles Erkannten zugleich, sie dieses zwar loben und ehren, dies aber nicht dasselbige ist wie ihre Art, Gott zu haben und um ihn zu wissen, aus welcher ja, wie sie gern gestehen und an ihnen genugsam zu sehen ist, das Erkennen und die Wissenschaft nicht hervorgeht. Denn freilich ist der Religion die Betrachtung wesentlich, und wer in zugeschlossener Stumpfsinnigkeit hingeht, wem nicht der Sinn offen ist für das Leben der Welt, den werdet ihr nie fromm nennen wollen; aber diese Betrachtung geht nicht wie euer Wissen um die Natur auf das Wesen eines Endlichen im Zusammenhang mit und im Gegensatz gegen das andere Endliche, noch auch wie eure Gotteserkenntnis, wenn ich hier beiläufig noch in alten Ausdrücken reden darf, auf das Wesen der höchsten Ursache an sich und in ihrem Verhältnis zu alle dem, was zugleich Ursache ist und Wirkung; sondern die Betrachtung des Frommen ist nur das unmittelbare Bewußtsein von dem allgemeinen Sein alles Endlichen im Unendlichen und durch das Unendliche, alles Zeitlichen im Ewigen und durch das Ewige. Dieses suchen und finden in allem was lebt und sich regt, in allem Werden und Wechsel, in allem Tun und Leiden, und das Leben selbst im unmittelbaren Gefühl nur haben und kennen als dieses Sein, das ist Religion. Ihre Befriedigung ist, wo sie dieses findet; wo sich dies verbirgt, da ist für sie Hemmung und Ängstigung, Not und Tod. Und so ist sie freilich ein Leben in der unendlichen Natur des Ganzen, im Einen und allen, in Gott, habend und besitzend alles in Gott und Gott in allem. Aber das Wissen und Erkennen ist sie nicht, weder der Welt noch Gottes, sondern dies erkennt sie nur an, ohne es zu sein, es ist ihr auch eine Regung und Offenbarung des Unendlichen im Endlichen, die sie auch sieht in Gott und Gott in ihr. – Ebenso, wonach strebt eure Sittenlehre, eure Wissenschaft des Handelns? Auch sie will ja das einzelne des menschlichen Handelns und Hervorbringens auseinanderhalten in seiner Bestimmtheit, und auch dies zu einem in sich gegründeten und gefügten Ganzen ausbilden. Aber der Fromme bekennt euch, daß er als solcher auch hiervon nichts weiß. Er betrachtet ja freilich das menschliche Handeln, aber seine Betrachtung ist gar nicht die, aus welcher jenes System entsteht; sondern er sucht und spürt nur in allem dasselbige, nämlich das Handeln aus Gott, die Wirksamkeit Gottes in den Menschen. Zwar, wenn eure Sittenlehre die rechte ist, und seine Frömmigkeit die rechte, so wird er kein anderes Handeln für das göttliche anerkennen, als dasjenige, welches auch in euer System aufgenommen ist; aber dieses System selbst zu kennen und zu bilden, ist eure, der Wissenden Sache, nicht seine. Und wollt ihr dies nicht glauben, so sehet auf die Frauen, denen ihr ja selbst Religion zugesteht, nicht nur als Schmuck und Zierde, sondern von denen ihr auch eben hierin das feinste Gefühl fordert, göttliches Handeln zu unterscheiden von anderem, ob ihr ihnen wohl anmutet, eure Sittenlehre als Wissenschaft zu verstehen. – Und dasselbe, daß ich es gerade heraussage, ist es auch mit dem Handeln selbst. Der Künstler bildet, was ihm gegeben ist zu bilden, kraft seines besonderen Talents; und diese sind so geschieden, daß, welches der eine besitzt, dem anderen fehlt, wenn nicht einer wieder den Willen des Himmels alle besitzen will; und niemals pflegt ihr zu fragen, wenn euch jemand als fromm gerühmt wird, welche von diesen Gaben ihm wohl einwohne kraft seiner Frömmigkeit. Der bürgerliche Mensch – in dem Sinne der Alten nehme ich es, nicht in dem dürftigen von heutzutage – ordnet, leitet, bewegt kraft seiner Sittlichkeit. Aber diese ist etwas anderes als seine Frömmigkeit: denn die letzte hat auch eine leidende Seite, sie erscheint auch als ein Hingeben, ein Sichbewegenlassen von dem Ganzen, welchem der Mensch gegenübersteht, wenn die erste sich immer nur zeigt als ein Eingreifen in dasselbe, als ein Selbstbewegen. Und die Sittlichkeit hängt daher ganz an dem Bewußtsein der Freiheit, in deren Gebiet auch alles fällt, was sie hervorbringt; die Frömmigkeit dagegen ist gar nicht an diese Seite des Lebens gebunden, sondern ebenso rege in dem entgegengesetzten Gebiet der Notwendigkeit, wo kein eignes Handeln eines einzelnen erscheint. Also sind doch beide verschieden von einander, und wenn freilich auf jedem Handeln aus Gott, auf jeder Tätigkeit, durch welche sich das Unendliche im Endlichen offenbart, die Frömmigkeit mit Wohlgefallen verweilt, so ist sie doch nicht diese Tätigkeit selbst. So behauptet sie denn ihr eigenes Gebiet und ihren eigenen Charakter nur dadurch, daß sie aus dem der Wissenschaft sowohl als aus dem der Praxis gänzlich herausgeht, und indem sie sich neben beide hinstellt, wird erst das gemeinschaftliche Feld vollkommen ausgefüllt, und die menschliche Natur von dieser Seite vollendet. Sie zeigt sich euch als das notwendige, unentbehrliche dritte zu jenen beiden, als ihr natürliches Gegenstück, nicht geringer an Würde und Herrlichkeit, als welches von jenen ihr wollt.

Versteht mich aber nur nicht wunderlich, ich bitte euch, als meinte ich etwa, etwas von diesem könnte sein ohne das andere und es könnte etwa einer Religion haben und fromm sein, dabei aber unsittlich. Unmöglich ist ja dieses. Aber ebenso unmöglich, bedenkt es wohl, ist ja nach meiner Meinung, daß einer sittlich sein kann ohne Religion, oder wissenschaftlich ohne sie. Und wenn ihr etwa, nicht mit Unrecht, aus dem was ich schon gesagt, schließen wolltet, einer könnte doch meinetwegen Religion haben ohne Wissenschaft, und so hätte ich doch die Trennung selbst angefangen: so laßt euch erinnern, daß ich auch hier nur dasselbe gemeint, daß die Frömmigkeit nicht das Maß der Wissenschaft ist. Aber so wenig einer wahrhaft wissenschaftlich sein kann ohne fromm: so gewiß kann auch der Fromme zwar wohl unwissend sein, aber nie falsch wissend; denn sein eignes Sein ist nicht von jener untergeordneten Art, welche, nach dem alten Grundsatz, daß nur von Gleichem Gleiches kann erkannt werden, nichts Erkennbares hätte als das Nichtseiende unter dem trüglichen Schein des Seins. Sondern es ist ein wahres Sein, welches auch wahres Sein erkennt, und wo ihm dieses nicht begegnet, auch nicht glaubt etwas zu sehen. Welch ein köstliches Kleinod der Wissenschaft aber nach meiner Meinung die Unwissenheit sei für den, der noch von jenem falschen Schein befangen ist, das wißt ihr aus meinen Reden, und wenn ihr selbst es für euch noch nicht einseht, so geht und lernt es von eurem Sokrates. Also gesteht nur, daß ich wenigstens mit mir selbst einig bin, und daß das eigentliche und wahre Gegenteil des Wissens – denn mit Unwissenheit bleibt euer Wissen auch immer vermischt – jenes Dünkelwissen, ebenfalls und zwar am sichersten aufgehoben wird durch die Frömmigkeit, sodaß sie mit diesem zusammen nicht bestehen kann. Solche Trennung also des Wissens von der Frömmigkeit und des Handelns von der Frömmigkeit gebt mir nicht schuld, daß ich setzte, und ihr könnt es nicht, ohne mir unverdient eure eigene Ansicht unterzuschieben und eure ebenso gewohnte als unvermeidliche Verwirrung, dieselbe, die ich euch vorzüglich zeigen möchte im Spiegel meiner Rede. Denn euch eben, weil ihr die Religion nicht anerkennt als das dritte, treten die anderen beiden, das Wissen und das Handeln, so auseinander, daß ihr deren Einheit nicht erblickt, sondern meint, man könne das rechte Wissen haben ohne das rechte Handeln, und umgekehrt. Eben weil ihr die Trennung, die ich nur für die Betrachtung gelten lasse, wo sie notwendig ist, für diese zwar gerade verschmäht, dagegen aber auf das Leben sie übertragt, als ob das, wovon wir reden, im Leben selbst getrennt könnte vorhanden sein und unabhängig eines vom anderen; deshalb eben habt ihr von keiner dieser Tätigkeiten eine lebendige Anschauung, sondern es wird euch jede ein Getrenntes, ein Abgerissenes, und eure Vorstellung ist überall dürftig, das Gepräge der Nichtigkeit an sich tragend, weil ihr nicht lebendig in das Lebendige eingreift. Wahre Wissenschaft ist vollendete Anschauung, wahre Praxis ist selbsterzeugte Bildung und Kunst; wahre Religion ist Sinn und Geschmack für das Unendliche. Eine von jenen haben zu wollen ohne diese, oder sich dünken lassen, man habe sie so, das ist verwegene, übermütige Täuschung, frevelnder Irrtum, hervorgegangen aus dem unheiligen Sinn, der, was er in sicherer Ruhe fordern und erwarten konnte, lieber feigherzig, frech entwendet, um es dann doch nur scheinbar zu besitzen. Was kann wohl der Mensch bilden wollen der Rede wertes im Leben und in der Kunst, als was durch die Aufregungen jenes Sinnes in ihm selbst geworden ist? oder wie kann einer die Welt wissenschaftlich umfassen wollen, oder wenn sich auch die Erkenntnis ihm aufdrängte in einem bestimmten Talent, selbst dieses üben ohne jenen? Denn was ist alle Wissenschaft, als das Sein der Dinge in euch, in eurer Vernunft? was ist alle Kunst und Bildung, als euer Sein in den Dingen, denen ihr Maß, Gestalt und Ordnung gebt? und wie kann beides in euch zum Leben gedeihen, als nur sofern die ewige Einheit der Vernunft und Natur, sofern das allgemeine Sein alles Endlichen im Unendlichen unmittelbar in euch lebt? Darum werdet ihr jeden wahrhaft Wissenden auch andächtig finden und fromm, und wo ihr Wissenschaft seht ohne Religion, da glaubt sicher, sie ist entweder nur übergetragen und angelernt, oder sie ist krankhaft in sich, wenn sie nicht gar jenem leeren Schein selbst zugehört, der gar kein Wissen ist, sondern nur dem Bedürfnis dient. Oder wofür haltet ihr dies Ableiten und Ineinanderflechten von Begriffen, das nicht besser selbst lebt als es dem Lebendigen entspricht? wofür auf dem Gebiet der Sittenlehre diese armselige Einförmigkeit, die das höchste menschliche Leben in einer einzigen toten Formel zu begreifen meint? Wie kann dieses nur aufkommen, als nur, weil es an dem Grundgefühl der lebendigen Natur fehlt, die überall Mannigfaltigkeit und Eigentümlichkeit aufstellt? wie jenes, als weil der Sinn fehlt, das Wesen und die Grenzen des Endlichen nur aus dem Unendlichen zu bestimmen, damit es in diesen Grenzen selbst unendlich sei? Daher die Herrschaft des bloßen Begriffs; daher statt des organischen Baues die mechanischen Kunststücke eurer Systeme; daher das leere Spiel mit analytischen Formeln, seien sie kategorisch oder hypothetisch, zu deren Fesseln sich das Leben nicht bequemen will. Wollt ihr die Religion verschmähen, fürchtet ihr der Sehnsucht nach dem Ursprünglichen euch hinzugeben und der Ehrfurcht vor ihm: so wird auch die Wissenschaft eurem Ruf nicht erscheinen; denn sie müßte entweder so niedrig werden, als euer Leben ist, oder sie müßte sich absondern von ihm und allein stehen; und in solchem Zwiespalt kann sie nicht gedeihen. Wenn der Mensch nicht in der unmittelbaren Einheit der Anschauung und des Gefühls eins wird mit dem Ewigen, bleibt er in der abgeleiteten des Bewußtseins ewig getrennt von ihm. Darum, wie soll es werden mit der höchsten Äußerung der Spekulation unserer Tage, dem vollendeten gerundeten Idealismus, wenn er sich nicht wieder in diese Einheit versenkt, daß die Demut der Religion seinen Stolz einen andern Realismus ahnen lasse als den, welchen er so kühn und mit vollem Rechte sich unterordnet? Er wird das Universum vernichten, indem er es bilden zu wollen scheint; er wird es herabwürdigen zu einer bloßen Allegorie, zu einem nichtigen Schattenbilde der einseitigen Beschränktheit seines leeren Bewußtseins. Opfert mit mir ehrerbietig eine Locke den Manen des heiligen verstoßenen Spinoza! Ihn durchdrang der hohe Weltgeist, das Unendliche war sein Anfang und Ende, das Universum seine einzige und ewige Liebe; in heiliger Unschuld und tiefer Demut spiegelte er sich in der ewigen Welt und sah zu, wie auch er ihr liebenswürdigster Spiegel war; voller Religion war er und voll heiligen Geistes; und darum steht er auch da allein und unerreicht, Meister in seiner Kunst, aber erhaben über die profane Zunft, ohne Jünger und ohne Bürgerrecht.

Warum soll ich euch erst zeigen, wie dasselbe gilt auch von der Kunst? wie ihr auch hier tausend Schatten und Blendwerke und Irrtümer habt aus derselben Ursache? Nur schweigend, denn der neue und tiefe Schmerz hat keine Worte, will ich euch statt alles anderen hinweisen auf ein herrliches Beispiel, das ihr alle kennen solltet, ebenso gut als jenes, auf den zu früh entschlafenen göttlichen Jüngling, dem alles Kunst ward, was sein Geist berührte, seine ganze Weltbetrachtung unmittelbar zu einem großen Gedicht, den ihr, wiewohl er kaum mehr als die ersten Laute wirklich ausgesprochen hat, den reichsten Dichtern beigesellen müßt, jenen seltenen, die ebenso tiefsinnig sind als klar und lebendig. An ihm schauet die Kraft der Begeisterung und der Besonnenheit eines frommen Gemüts, und bekennet, wenn die Philosophen werden religiös sein und Gott suchen, wie Spinoza, und die Künstler fromm sein und Christum lieben, wie Novalis, dann wird die große Auferstehung gefeiert werden für beide Welten.

Damit ihr aber verstehet, wie ich es meine mit dieser Einheit der Wissenschaft, der Religion und der Kunst, und mit ihrer Verschiedenheit zugleich: so versucht mit mir hinabzusteigen in das innerste Heiligtum des Lebens, ob wir uns dort vielleicht gemeinschaftlich zurechtfinden können. Dort allein findet ihr das ursprüngliche Verhältnis des Gefühls und der Anschauung, woraus allein ihr Einssein und ihre Trennung zu verstehen ist. Aber an euch selber muß ich euch verweisen, an das Auffassen eines lebendigen Momentes. Ihr müßt es verstehen, euch selbst gleichsam vor eurem Bewußtsein zu belauschen, oder wenigstens diesen Zustand für euch aus jenem wieder herstellen. Es ist das Werden eures Bewußtseins, was ihr bemerken sollt, nicht etwa sollt ihr über ein schon gewordenes reflektieren. Sobald ihr eine gegebene bestimmte Tätigkeit eurer Seele zum Gegenstande der Mitteilung oder der Betrachtung machen wollt, seid ihr schon innerhalb der Scheidung, und nur das Getrennte kann euer Gedanke umfassen. Darum kann euch meine Rede auch an kein bestimmtes Beispiel führen; denn eben sobald etwas ein Beispiel ist, ist auch das schon vorüber, was meine Rede aufzeigen will, und nur noch eine leise Spur von dem ursprünglichen Einssein des Getrennten konnte ich euch daran nachweisen. Aber auch die will ich vorläufig nicht verschmähen. Ergreift euch dabei, wie ihr «in Bild von irgendeinem Gegenstand zeichnet, ob ihr nicht noch damit verbunden findet ein Erregt- und Bestimmtsein eurer selbst gleichsam durch den Gegenstand, welches eben euer Dasein zu einem besonderen Moment bildet. Je bestimmter euer Bild sich auszeichnet, je mehr ihr auf diese Weise der Gegenstand werdet, um desto mehr verliert ihr euch selbst. Aber eben weil ihr das Übergewicht von jenem und das Zurücktreten von diesem in seinem Werden verfolgen könnt, müssen nicht jenes und dieses eins und gleich gewesen sein in dem ersten ursprünglichen Moment, der euch entgangen ist? Oder ihr findet euch versunken in euch selbst, alles, was ihr sonst als ein Mannigfaltiges getrennt in euch betrachtet, in dieser Gegenwart unzertrennlich zu einem eigentümlichen Gehalt eures Seins verknüpft. Aber sehet ihr nicht beim Aufmerken noch im Entfliehen das Bild eines Gegenstandes, von dessen Einwirkung auf euch, von dessen zauberischer Berührung dieses bestimmte Selbstbewußtsein ausgegangen ist? Je mehr eure Erregung und euer Befangensein in dieser Erregung wächst und euer ganzes Dasein durchdringt, um, vorübergehend wie sie sein muß, für die Erinnerung eine unvergängliche Spur zurückzulassen, damit, was euch auch Neues zunächst ergreife, ihre Farbe und ihr Gepräge tragen muß, und so zwei Momente sich zu einer Dauer vereinigen; je mehr euer Zustand euch so beherrscht: um desto bleicher und unkenntlicher wird jene Gestalt. Allein eben weil sie verbleicht und entflieht, war sie vorher näher und heller; sie war ursprünglich eins und dasselbe mit eurem Gefühl. Doch, wie gesagt, dies sind nur Spuren, und ihr könnt sie kaum verstehen, wenn ihr nicht auf den ersten Anfang jenes Bewußtseins zurückgehen wollt. Und solltet ihr dies nicht können? Sprecht doch, wenn ihr es ganz im allgemeinen und ganz ursprünglich erwägt, was ist doch jeder Akt eures Lebens ohne Unterschied von anderen, in sich selbst? Doch unmöglich etwas anderes, als das Ganze auch ist, nur als Akt, als Moment. Also wohl ein Werden eines Seins für sich, und ein Werden eines Seins im Ganzen, beides zugleich; ein Streben, in das ganze zurückzugehen, und ein Streben für sich zu bestehen, beides zugleich; das sind die Ringe, aus denen die ganze Kette zusammengesetzt ist; denn euer ganzes Leben ist ein solches im Ganzen seiendes Fürsich-Sein. Wodurch nun seid ihr im Ganzen? Durch eure Sinne, hoffe ich, wenn ihr doch bei Sinnen sein müßt, um im Ganzen zu sein. Und wodurch seid ihr für euch? Durch die Einheit eures Selbstbewußtseins, die ihr zunächst in der Empfindung habt, in dem vergleichbaren Wechsel ihres Mehr und Weniger. Wie nun eins nur mit dem anderen zugleich werden kann, wenn beides zusammen jeden Akt des Lebens bildet, das ist ja leicht zu sehen. Ihr werdet Sinn, und das Ganze wird Gegenstand, um dieses Ineinandergeflossen- und Einsgewordensein von Sinn und Gegenstand, ehe noch jedes an seinen Ort zurückkehrt, und der Gegenstand, wieder losgerissen vom Sinn, euch zur Anschauung wird, und ihr selbst, wieder losgerissen vom Gegenstand, euch zum Gefühl werdet: dieses Frühere ist es, was ich meine; das ist jener Moment, den ihr jedesmal erlebt, aber auch nicht erlebt: denn die Erscheinung eures Lebens ist nur das Resultat seines beständigen Aufhörens und Wiederkehrens. Eben darum ist er kaum in der Zeit, so sehr eilt er vorüber; und kaum kann er beschrieben werden, so wenig ist er eigentlich da für uns. Ich wollte aber, ihr könntet ihn festhalten und jede, die gemeinste so wie die höchste Art eurer Tätigkeit – denn alle sind sich darin gleich – auf ihn zurückführen. Wenn ich ihn wenigstens vergleichen dürfte, da ich ihn nicht beschreiben kann, so würde ich sagen, er sei flüchtig und durchsichtig wie jener Duft, den der Tau Blüten und Früchten anhaucht; er sei schamhaft und zart wie ein jungfräulicher Kuß, und heilig und fruchtbar wie eine bräutliche Umarmung. Auch ist er wohl nicht nur wie dieses, sondern man kann sagen dies alles selbst. Denn er ist das erste Zusammentreten des allgemeinen Lebens mit einem besonderen, und erfüllt keine Zeit und bildet nichts Greifliches; er ist die unmittelbare, über allen Irrtum und Mißverstand hinaus heilige Vermählung des Universum mit der fleischgewordenen Vernunft zu schaffender, zeugender Umarmung. Ihr liegt dann unmittelbar an dem Busen der unendlichen Welt, ihr seid in diesem Augenblick ihre Seele; denn ihr fühlt, wenn gleich nur durch einen ihrer Teile, doch alle ihre Kräfte und ihr unendliches Leben wie euer eigenes; sie ist in diesem Augenblick euer Leib; denn ihr durchdringt ihre Muskeln und Glieder wie eure eignen, und euer Sinnen und Ahnen setzt ihre innersten Nerven in Bewegung. So beschaffen ist die erste Empfängnis jedes lebendigen und ursprünglichen Momentes in eurem Leben, welchem Gebiet er auch angehöre, und aus solcher erwächst also auch jede religiöse Erregung. Aber sie ist, wie gesagt, nicht einmal ein Moment; das Durchdringen des Daseins in diesem unmittelbaren Verein löset sich auf, sobald das Bewußtsein wird, und nun tritt entweder lebendig und immer heller die Anschauung vor euch hin, gleichsam die Gestalt der sich entwindenden Geliebten vor dem Auge des Jünglings, oder es arbeitet sich das Gefühl aus eurem Innern hervor und nimmt verbreitend euer ganzes Wesen ein, wie die Röte der Scham und der Liebe sich über dem Antlitz der Jungfrau verbreitet. Und, wenn sich erst als eines von beiden, als Anschauung oder Gefühl euer Bewußtsein festgestellt hat, dann bleibt euch, falls ihr, nicht ganz in dieser Trennung befangen, das wahre Bewußtsein eures Lebens im Einzelnen verloren habt, nichts anderes übrig, als das Wissen um die ursprüngliche Einheit beider Getrennten, um ihr Gleiches Hervorgehen aus dem Grundverhältnis eures Daseins. Weshalb denn auch in diesem Sinne wahr ist, was ein alter Weiser euch gelehrt hat, daß jedes Wissen eine Erinnerung ist, an das nämlich, was außer der Zeit ist, eben daher aber mit Recht an die Spitze eines Zeitlichen gestellt wird.

Wie es sich nun auf der einen Seite mit der Anschauung und dem Gefühl verhält, so auch auf der anderen mit dem Wissen, als jene beiden unter sich begreifend, und mit dem Handeln. Denn dies sind die Gegensätze, durch deren beständiges Spiel und wechselseitige Erregung euer Leben sich in der Zeit ausdehnt und Haltung gewinnt. Nämlich eins von beiden ist immer schon von Anfang an euer Einswerden-Wollen mit dem Universum durch einen Gegenstand: entweder überwiegende Gewalt der Gegenstände über euch, daß sie euch wollen in den Kreis ihres Daseins hineinziehen, indem sie selbst, gedeihe es euch nun zur Anschauung oder zum Gefühl, in euch hineintreten; ein Wissen wird es immer; oder überwiegende Gewalt von eurer Seite, daß ihr ihnen euer Dasein einprägen und euch in sie einbilden wollt. Denn das ist es doch, was ihr im engeren Sinne Handeln nennt, Wirken nach außen. Aber nur als ein erregtes und als ein bestimmtes könnt ihr euer Dasein den Dingen mitteilen; also gebt ihr nur zurück und befestiget und legt nieder in die Welt, was in euch ist gebildet und gewirkt worden durch jene ursprünglichen Akte des gemeinschaftlichen Seins, und ebenso kann auch, was sie in euch hineinbilden, nur ein solches sein. Daher muß wechselseitig eines das andere erregen, und nur im Wechsel von Wissen und Handeln kann euer Leben bestehen. Denn ein ruhiges Sein, worin eines das andere nicht tätig erregte, sondern beides sich bindend aufhöbe, ein solches wäre nicht euer Leben; sondern es wäre das, woraus sich dieses entwickelt, und worin es wieder verschwindet.

Hier also habt ihr diese drei, um welche sich meine Rede bis jetzt gedreht hat: das Erkennen, das Gefühl und das Handeln, und könnt verstehen, wie ich es meine, daß sie nicht einerlei sind und doch unzertrennlich. Denn nehmt nur alles Gleichartige zusammen und betrachtet es für sich, so werden doch alle jene Momente, worin ihr Gewalt ausübt über die Dinge und euch selbst in ihnen abdrückt, diese werden bilden, was ihr euer praktisches oder im engeren Sinne sittliches Leben nennt. Und wiederum jene beschaulichen, worin die Dinge ihr Dasein in euch hervorbringen als Anschauung, diese gewiß nennt ihr, es sei nun viel oder wenig, euer wissenschaftliches Leben. Kann nun wohl eine allein von diesen Reihen ein menschliches Leben bilden, ohne die andere? Oder müßte es der Tod sein, und jede Tätigkeit sich verzehren in sich selbst, wenn sie nicht aufgeregt und erneuert würde durch die andere? Aber ist deshalb eine auch die andere selbst, oder müßt ihr sie doch unterscheiden, wenn ihr euer Leben verstehen und vernehmlich darüber reden wollt? Wie es nun mit diesen beiden sich verhält unter sich, so muß es sich doch auch verhalten mit der dritten in Beziehung auf jene beiden. Und wie wollt ihr diese dritte wohl nennen, die Reihe des Gefühls? Was für ein Leben soll sie bilden zu den beiden anderen? Das religiöse, denke ich, und ihr werdet gewiß nicht anders sagen können, wenn ihr es näher erwägen wollt.

So ist denn das Hauptwort meiner Rede gesprochen; denn dieses ist das eigentümliche Gebiet, welches ich der Religion anweisen will, und zwar ganz und allein, und welches ihr gewiß auch für sie abstecken und einräumen werdet, ihr müßtet denn die alte Verworrenheit vorziehen der klaren Auseinandersetzung, oder ich weiß nicht was anderes noch Neues und ganz Wunderliches vorbringen. Euer Gefühl, insofern es euer und des All gemeinschaftliches Sein und Leben auf die beschriebene Weise ausdrückt, insofern ihr die einzelnen Momente desselben habt als ein Wirken Gottes in euch, vermittelt durch das Wirken der Welt auf euch, dies ist eure Frömmigkeit, und was einzeln als in diese Reihe gehörig hervortritt, das sind nicht eure Erkenntnisse oder die Gegenstände eurer Erkenntnis, auch nicht eure Werke und Handlungen oder die verschiedenen Gebiete eures Handelns; sondern lediglich eure Empfindungen sind es, und die mit ihnen zusammenhängenden und sie bedingenden Einwirkungen alles Lebendigen und Beweglichen um euch her auf euch. Dies sind ausschließend die Elemente der Religion, aber diese gehören auch alle hinein; es giebt keine Empfindung, die nicht fromm wäre, außer sie deute einen krankhaften, verderbten Zustand des Lebens, der sich dann auch den anderen Gebieten mitteilen muß. Woraus denn von selbst folgt, daß im Gegenteil Begriffe und Grundsätze, alle und jede, durchaus der Religion an sich fremd sind, welches uns nun schon zum zweitenmale hervorgeht. Denn diese, wenn sie etwas sein sollen, gehören ja wohl dem Erkennen zu, und was diesem angehört, liegt doch in einem anderen Gebiete des Lebens als das religiöse ist.

Nur muß es uns, weil wir doch jetzt einigen Grund unter uns haben, nun schon näher liegen, zu erforschen, woher doch die Verwechselung kommen mag, und ob denn gar nichts sei an der Verbindung, in die man doch Grundsätze und Begriffe immer gebracht hat mit der Religion, auch wie es wohl mit dem Handeln stehe in derselben Hinsicht. Ja, ohne dies wäre es wunderlich, weiter zu reden, denn ihr setzt doch in eure Begriffe um, was ich sage, und sucht Grundsätze darin, und so würde das Mißverständnis nur immer tiefer wurzeln. Wer weiß nun, ob ihr mir folgen werdet, wenn ich die Sache so erkläre. Wenn ihr nämlich die verschiedenen Funktionen des Lebens, die ich aufgezeigt, noch im Sinne habt, was hindert wohl, daß nicht eine jede von diesen auch Gegenstand werden könnte für die anderen, an denen diese sich üben und beschäftigen? Oder gehört nicht vielmehr offenbar auch dieses zu ihrer inneren Einheit und Gleichheit, daß sie auf solche Weise streben ineinander überzugehen? Mir wenigstens erscheint es so. Auf diese Art also könnt ihr als Fühlende euch selbst Gegenstand werden, und euer Gefühl betrachten. Ja, auch so könnt ihr als Fühlende euch Gegenstand werden, daß ihr auf ihn bildend wirkt und ihm mehr und mehr euer inneres Dasein eindrückt. Wollt ihr nun das Erzeugnis jener Betrachtung, die allgemeine Beschreibung eures Gefühls nach seinem Wesen Grundsatz nennen, und die Beschreibung jedes einzelnen Darin-Hervortretenden Begriff, und zwar religiösen Grundsatz und religiösen Begriff: so steht euch das allerdings frei, und ihr habt recht daran. Aber vergeßt nur nicht, daß dies eigentlich die wissenschaftliche Behandlung der Religion ist, das Wissen um sie, nicht sie selbst, und daß dieses Wissen als die Beschreibung des Gefühls unmöglich in gleichem Range stehen kann mit dem beschriebenen Gefühle selbst. Vielmehr kann dieses in seiner vollen Gesundheit und Stärke manchem einwohnen, wie denn fast alle Frauen hiervon Beispiele sind, ohne daß es besonders in Betrachtung gezogen werde; und ihr dürft dann nicht sagen, daß Frömmigkeit fehle und Religion, sondern nur das Wissen darum. Vergeßt aber nur nicht wieder, was uns schon feststeht, daß diese Betrachtung schon jene ursprüngliche Tätigkeit voraussetzt und ganz auf ihr beruht, und daß jene Begriffe und Grundsätze gar nichts sind als ein von außen angelerntes leeres Wesen, wenn sie nicht eben die Reflexion sind über des Menschen eigenes Gefühl. Also das haltet ja fest, wenn jemand diese Grundsätze und Begriffe noch so vollkommen versteht, wenn einer sie inne zu haben glaubt im klarsten Bewußtsein, weiß aber nicht und kann nicht aufzeigen, daß sie aus den Äußerungen seines eigenen Gefühls in ihm selbst entstanden und ursprünglich sein eigen sind: so laßt euch ja nicht überreden, daß ein solcher fromm, und stellt ihn mir nicht als einen Frommen dar, denn es ist dem nicht so; seine Seele hat nie empfangen auf dem Gebiete der Religion, und seine Begriffe sind nur untergeschobene Kinder, Erzeugnisse anderer Seelen, die er im heimlichen Gefühl der eigenen Schwäche adoptiert hat. Als unheilige und entfernt von allem göttlichen Leben bezeichne ich immer aufs neue diejenigen, die also herumgehen und sich brüsten mit Religion. Da hat der eine Begriffe von den Ordnungen der Welt und Formeln, welche sie ausdrücken sollen, und der andere hat Vorschriften, nach denen er sich selbst in Ordnung hält, und innere Erfahrungen, wodurch er sie dokumentiert. Jener flicht seine Formeln in- und durcheinander zu einem System des Glaubens, und dieser webt eine Heilsordnung aus seinen Vorschriften; und weil sie beide merken, daß dies keine rechte Haltung hat ohne das Gefühl, so ist Streit, wie viel Begriffe und Erklärungen man nehmen müsse, oder wie viel Vorschriften und Übungen unter wie viel und was für Rührungen und Empfindungen, um daraus eine tüchtige Religion zusammenzusetzen, die vorzüglich weder kalt noch schwärmerisch wäre und weder trocken noch oberflächlich. Die Thoren und träges Herzens! Sie wissen nicht, daß jenes alles nur Zersetzungen des religiösen Sinnes sind, die sie selbst müßten gemacht haben, wenn sie irgendetwas bedeuten sollten! Und wenn sie sich nun nicht bewußt sind, etwas gehabt zu haben, was sie zersetzen konnten, wo haben sie denn jene Begriffe und Regeln her? Gedächtnis haben sie und Nachahmung; daß sie aber Religion haben, glaubt ihnen nur nicht; denn selbst erzeugt haben sie die Begriffe nicht, wozu sie die Formeln wissen, sondern diese sind auswendig gelernt und aufbewahrt, und was sie von Gefühlen so mit aufnehmen wollen unter jene, das vermögen sie gewiß nur mimisch nachzubilden, wie man fremde Gesichtszüge nachbildet, immer nämlich als Karikatur. Und aus diesen abgestorbenen, verderbten Erzeugnissen aus der zweiten Hand sollte man können eine Religion zusammensetzen? Zerlegen kann man wohl die Glieder und Säfte eines organischen Körpers in ihre nächsten Bestandteile; aber nehmt nun diese ausgeschiedenen Elemente, mischt sie in jedem Verhältnis, behandelt sie auf jedem Wege, werdet ihr wieder Herzensblut daraus machen können? Wird das, was einmal tot ist, sich wieder in einem lebenden Körper bewegen und mit ihm einigen können? Die Erzeugnisse der lebendigen Natur aus ihren getrennten Bestandteilen wieder darzustellen, daran scheitert jede menschliche Kunst, und so wird es jenen auch mit der Religion nicht gelingen, wenn sie sich ihre einzelnen verwandelten Elemente auch noch so vollkommen von außen an- und eingebildet haben. Sondern von innen heraus und in ihrer ursprünglichen eigentümlichen Gestalt müssen die Regungen der Frömmigkeit hervorgegangen sein: also als eigene Gefühle unstreitig, nicht als schale Beschreibung fremder, die nur zu einer kläglichen Nachahmung führen kann. Und nichts anderes als eine solche Beschreibung können und sollen die religiösen Begriffe sein, welche jene Systeme bilden; denn ursprüngliche, rein aus dem Triebe nach Wissen hervorgehende Erkenntnis kann nun einmal und will die Religion nicht sein. Was wir in ihren Regungen fühlen und innewerden, das ist nicht die Natur der Dinge, sondern ihr Handeln auf uns. Was ihr über jene wißt oder meint, liegt weit abwärts von dem Gebiete der Religion. Das Universum ist in einer ununterbrochenen Tätigkeit und offenbart sich uns jeden Augenblick. Jede Form, die es hervorbringt, jedes Wesen, dem es nach der Fülle des Lebens ein abgesondertes Dasein gibt, jede Begebenheit, die es aus seinem reichen, immer fruchtbaren Schoße herausschüttet, ist ein Handeln desselben auf uns; und in diesen Einwirkungen und dem, was dadurch in uns wird, alles Einzelne nicht für sich, sondern als einen Teil des Ganzen, alles Beschränkte nicht in seinem Gegensatz gegen anderes, sondern als eine Darstellung des Unendlichen in unser Leben aufnehmen und uns davon bewegen lassen, das ist Religion; was aber hierüber hinaus will und etwa tiefer eindringen in die Natur und Substanz der Dinge, ist nicht mehr Religion, sondern will irgendwie Wissenschaft werden; und wiederum, wenn, was nur unsere Gefühle bezeichnen und in Worten darstellen soll, für Wissenschaft von dem Gegenstande, für geoffenbarte etwa und aus der Religion hervorgegangene, oder auch für Wissenschaft und Religion zugleich will angesehen sein, dann sinkt es unvermeidlich zurück in Mystizismus und leere Mythologie. So war es Religion, wenn die Alten, die Beschränkungen der Zeit und des Raumes vernichtend, jede eigentümliche Art des Lebens durch die ganze Welt hin als das Werk und Reich eines auf diesem Gebiet allmächtigen und allgegenwärtigen Wesens ansahen; sie hatten eine eigentümliche Handelsweise des Universum als ein bestimmtes Gefühl in sich aufgenommen und bezeichneten dieses so. Es war Religion, wenn sie für jede hilfreiche Begebenheit, wobei die ewigen Gesetze der Welt sich, wenn auch im Zufälligen, auf eine einleuchtende Art offenbarten, den Gott, dem sie angehörte, mit einem eigenen Beinamen begabten und einen eigenen Tempel ihm bauten; so hatten sie etwas Einzelnes zwar, aber als eine Tat des Universum aufgefaßt und bezeichneten nach ihrer Weise deren Zusammenhang und eigentümlichen Charakter. Es war Religion, wenn sie sich über das spröde eiserne Zeitalter voller Risse und Unebenen erhoben und das goldene wieder suchten im Olymp unter dem fröhlichen Leben der Götter; so fühlten sie in sich die immer rege, immer lebendige und heitere Tätigkeit der Welt und ihres Geistes, jenseits alles Wechsels und alles scheinbaren Übels, das nur aus dem Streit endlicher Formen hervorgehet. Aber wenn sie von den Verwandtschaften dieser Götter einen wundersam verschlungenen Stammbaum verzeichnen, oder wenn ein späterer Glaube uns eine lange Reihe von Emanationen und Erzeugungen vorführt, das ist, wenngleich seinem Ursprung nach religiöse Darstellung von der Verwandtschaft des Menschlichen mit dem Göttlichen und der Beziehung des Unvollkommnen auf das Vollkommne, doch an und für sich leere Mythologie und für die Wissenschaft verderbliche Mystik. Ja, um alles Hierhergehörige in eins zusammenzufassen, so ist es allerdings das Ein und Alles der Religion, alles im Gefühl Uns-Bewegende in seiner höchsten Einheit als eins und dasselbe zu fühlen, und alles Einzelne und Besondere nur hierdurch vermittelt, also unser Sein und Leben als ein Sein und Leben in und durch Gott. Aber die Gottheit dann wieder als einen abgesonderten einzelnen Gegenstand hinzustellen, so daß der Schein nicht leicht vermieden werden kann, als sei sie auch des Leidens empfänglich wie andere Gegenstände, das ist schon nur eine Bezeichnung, und wenngleich vielen eine unentbehrliche und allen eine willkommene, doch immer eine bedenkliche und fruchtbar an Schwierigkeiten, aus denen die gemeine Sprache sich vielleicht nie loswickeln wird. Diese gegenständliche Vorstellung der Gottheit aber gar als eine Erkenntnis behandeln, und so, abgesondert von ihren Einwirkungen auf uns durch die Welt, das Sein Gottes vor der Welt und außer der Welt, wenngleich für die Welt, als Wissenschaft durch die Religion oder in der Religion ausbilden und darstellen: das vorzüglich ist gewiß auf dem Gebiet der Religion nur leere Mythologie, eine nur zu leicht mißverständliche weitere Ausbildung desjenigen, was nur Hilfsmittel der Darstellung ist, als ob es selbst das Wesentliche wäre, ein völliges Herausgehen aus dem eigentümlichen Boden.

Hieraus könnt ihr auch zugleich sehen, wie die Frage zu behandeln ist, ob die Religion ein System sei oder nicht; eine Frage, die sich so gänzlich verneinen, aber auch so schlechthin bejahen läßt, wie ihr es vielleicht kaum erwartet. Meint ihr nämlich damit, ob sie sich nach einem inneren notwendigen Zusammenhang gestaltet, so daß die Art, wie der eine so, der andere anders in religiösem Sinne bewegt wird, ein Ganzes in sich ausmacht, und nicht etwa zufällig in einem jeden jetzt dieses, jetzt etwas anderes durch denselben Gegenstand erregt wird: meint ihr dies, so ist sie gewiß ein System. Was irgendwo, sei es unter vielen oder wenigen, als eine eigne Weise und Bestimmtheit des Gefühls auftritt, das ist auch ein Insich-Geschlossenes und Notwendiges durch seine Natur, und nicht etwa konnte ebenso gut unter den Christen vorkommen, was ihr als religiöse Erregung bei den Türken findet oder bei den Indiern. Aber in einer großen Mannigfaltigkeit von Kreisen dehnt sich diese innere Einheit der Religiosität aus und zieht sich zusammen, deren jeder, je enger und kleiner, um desto mehr Besonderes als notwendig in sich aufnimmt und aus sich ausscheidet als unerträglich. Denn wie zum Beispiel das Christentum in sich ein Ganzes ist, so ist auch jeder von den Gegensätzen, die zu verschiedenen Zeiten darin aufgetreten sind, bis auf die neuesten des Protestantismus und Katholizismus, ein Abgeschlossenes für sich. Und so ist zuletzt die Frömmigkeit jedes Einzelnen, mit der er ganz in jener größeren Einheit gewurzelt ist, wieder in sich eins und als ein Ganzes gerundet und gegründet in dem, was ihr seine Eigentümlichkeit nennt oder seinen Charakter, dessen eine Seite sie eben ausmacht. Und so gibt es in der Religion ein unendliches Sichbilden-und-Gestalten bis in die einzelne Persönlichkeit hinein, und jede von diesen ist wieder ein Ganzes und einer Unendlichkeit eigentümlicher Äußerungen fähig. Denn ihr werdet doch nicht, als ob das Sein und Werden der Einzelnen aus dem Ganzen auf eine endliche Weise in bestimmten Entfernungen fortschritte, daß eins sich durch die übrigen bestimmen ließe, konstruieren und aufzählen, und das Charakteristische im Begriff genau bestimmen wollen? Wenn ich die Religion in dieser Beziehung vergleichen soll, so weiß ich sie mit nichts schöner zusammenzustellen als mit einem ihr ohnedies Innigverbundenen, die Tonkunst meine ich. Denn wie diese gewiß ein großes Ganzes bildet, eine besondere in sich geschlossene Offenbarung der Welt, und doch wiederum die Musik eines jeden Volkes ein Ganzes für sich ist, und dies wiederum in verschiedene ihm eigentümliche Gestalten sich gliedernd bis zu dem Genie und Stil des Einzelnen herab, und dann doch jedes lebendige Hervortreten dieser inneren Offenbarung in dem Einzelnen, zwar alle jene Einheiten in sich hat, und eben in ihnen und durch sie, doch aber mit aller Lust und Fröhlichkeit der ungehemmten Willkür, wie eben sein Leben sich regt und die Welt ihn berührt, in dem Zauber der Töne darstellt: so ist auch die Religion, ohnerachtet jenes Notwendigen in ihrer lebendigen Gestaltung, dennoch in ihren einzelnen Äußerungen, wie sie unmittelbar im Leben heraustritt, von nichts weiter entfernt als von jedem Scheine des Zwanges und der Gebundenheit. Denn in das Leben ist alles Notwendige aufgenommen, und somit auch in die Freiheit, und jede einzelne Regung tritt auf als eine freie Selbstbestimmung gerade dieses Gemüts, in der sich ein vorübergehender Moment der Welt abspiegelt. Ein Unheiliger wäre, wer hier ein im Zwange Gehaltenes, ein äußerlich Gebundenes und Bestimmtes fordern wollte; und wenn so etwas liegt in eurem Begriff von System, so müßt ihr ihn hier gänzlich entfernen. Ein System von Wahrnehmungen und Gefühlen, vermöget ihr selbst etwas Wunderlicheres zu denken? Denn geht es euch etwa so, daß, indem ihr etwas fühlt, ihr zugleich die Notwendigkeit mitfühlt oder mitdenkt? nehmt, welches ihr lieber mögt, daß ihr bei diesem und jenem, was euch jetzt gerade nicht gegenwärtig bewegt, jenem Gefühl zufolge so und nicht anders würdet fühlen müssen? Oder wäre es nicht um euer Gefühl geschehen, und es müßte etwas ganz anderes in euch sein, ein kaltes Rechnen und Klügeln, so bald ihr auf eine solche Betrachtung gerietet? Darum ist es nun offenbar ein Irrtum, daß es zur Religion gehöre, sich dieses Zusammenhanges ihrer einzelnen Äußerungen auch noch bewußt zu sein, und ihn nicht nur in sich zu haben und aus sich zu entwickeln, sondern auch noch beschrieben vor sich zu sehen, und so von außen aufzufassen; und es ist eine Anmaßung, wenn man die für eine mangelhafte Frömmigkeit halten will, der es daran fehlt. Auch lassen sich die wahren Frommen nicht stören in ihrem einfachen Gange und nehmen wenig Kenntnis von allen so sich nennenden Religionssystemen, die von dieser Ansicht aus sind aufgeführt worden. Und wahrlich, sie sind auch größtenteils schlecht genug und bei weitem nicht etwa zu vergleichen mit den Theorien über die Tonkunst, mit der wir die Religion eben verglichen haben, wieviel auch in diesen ebenfalls Verfehltes sein mag. Denn weniger als irgendwo ist bei diesen Systematikern in der Religion ein andächtiges Aufmerken und Zuhören um das, was sie beschreiben sollen, womöglich in seinem inneren Wesen zu belauschen. Auch wollen sie freilich weniger dies, als nur mit den Zeichen rechnen, und nur die Bezeichnung abschließen und vollenden, die gerade das Zufällige ist; fast so zufällig als jene Bezeichnung der Gestirne, worin ihr die spielendste Willkür entdeckt, und die nirgends zureicht, weil immer wieder Neues gesehen und entdeckt wird, welches sich nicht hineinfügen will. Oder wollt ihr hierin ein System finden? irgendetwas Bleibendes und Festes, daß es seiner Natur nach wäre, und nicht bloß durch die Kraft der Willkür und der Tradition? Gerade so auch hier. Denn so sehr jede Gestaltung der Religion innerlich durch sich selbst begründet ist, so hängt doch gerade die Bezeichnung immer vom Äußerlichen ab. Es könnten Tausende auf dieselbe Art religiös erregt sein, und jeder würde vielleicht sich andere Merkzeichen machen, um sein Gefühl zu bezeichnen, nicht durch sein Gemüt, sondern durch äußere Verhältnisse geleitet. – Sie wollen ferner weniger das Einzelne in der Religion darstellen, diese Systematiker, als eines dem andern unterordnen und aus dem Höheren ableiten. Nichts aber ist weniger als dies im Interesse der Religion, welche nichts weiß von Ableitung und Anknüpfung. In ihr ist nicht etwa nur eine einzelne Tatsache, die man ihre ursprüngliche und erste nennen könnte; sondern alles und jedes ist in ihr unmittelbar und für sich wahr, jedes ein Fürsich-Bestehendes ohne Abhängigkeit von einem anderen. Freilich ist jede besonders gestaltete Religion eine solche nur vermöge einer bestimmten Art und Weise des Gefühls; aber wie verkehrt ist es doch, diese als einen Grundsatz, wie ihr es nennt, behandeln zu wollen, von dem das andere sich ableiten ließe. Denn diese bestimmte Form einer Religion ist eben auf gleiche Weise in jedem einzelnen Element der Religion; jenes besondere Gepräge trägt jede Äußerung des Gefühls unmittelbar an sich, und abgesondert von diesem kann es sich nirgends zeigen, und niemand kann es so haben: ja auch begreifen kann man die Religion nicht, wenn man sie nicht so begreift. Nichts kann oder darf in ihr aus dem anderen bewiesen werden, und alles Allgemeine, worunter das Einzelne befaßt werden soll, alle Zusammenstellung und Verbindung dieser Art liegt entweder in einem fremden Gebiet, wenn sie auf das Innere und Wesentliche bezogen werden soll, oder ist nur ein Werk der spielenden Phantasie und der freiesten Willkür. Jeder mag seine eigene Anordnung haben und seine eigenen Rubriken, das Wesentliche kann dadurch weder gewinnen noch verlieren; und wer wahrhaft um seine Religion und ihr Wesen weiß, wird jeden scheinbaren Zusammenhang dem Einzelnen tief unterordnen, und jenem nicht das Kleinste von diesem aufopfern.

Auf diesem Wege ist man auch zu jenem wunderlichen Gedanken gekommen von einer Allgemeinheit einer Religion und von einer einzigen Form, zu welcher sich alle anderen verhielten wie falsche zu wahren; ja wenn nicht gar zu sehr zu besorgen wäre, daß ihr es mißverständet, sagte ich gern, man sei auch nur auf diesem Wege überhaupt zu einer solchen Vergleichung gekommen, wie wahr und falsch, die sich nicht sonderlich eignet für die Religion. Denn eigentlich gehört alles dies zusammen und gilt nur da, wo man es mit Begriffen zu tun hat, und wo die negativen Gesetze eurer Logik etwas ausrichten können, sonst nirgends. Unmittelbar in der Religion ist alles wahr; denn wie könnte es sonst geworden sein? unmittelbar aber ist nur, was noch nicht durch den Begriff hindurchgegangen ist, sondern rein im Gefühl erwachsen. Auch alles, was sich irgendwo religiös gestaltet, ist gut; denn es gestaltet sich ja nur, weil es ein gemeinschaftliches höheres Leben ausspricht. Aber der ganze Umfang der Religion ist ein Unendliches und nicht unter einer einzelnen Form, sondern nur unter dem Inbegriff aller zu befassen. Unendlich, nicht nur weil jede einzelne religiöse Organisation einen beschränkten Gesichtskreis hat, in dem sie nicht alles umfassen kann, und also auch nicht glauben kann, es sei jenseit desselben nichts mehr wahrzunehmen; sondern vornehmlich, weil jede eine andere ist, und also auch nur auf eine eigene Weise erregbar, so daß auch innerhalb ihres eigentümlichsten Gebietes für eine andere die Elemente der Religion sich anders würden gestaltet haben. Unendlich, nicht nur weil Handeln und Leiden auch zwischen demselben beschränkten Stoff und dem Gemüt ohne Ende wechselt, und also auch in der Zeit immer wieder Neues geboren wird; nicht nur weil sie als Anlage unvollendbar ist und sich also immer neu entwickelt, immer schöner reproduziert, immer tiefer der Natur des Menschen einbildet: sondern die Religion ist unendlich nach allen Seiten. Dieses Bewußtsein ist eben so unmittelbar mit der Religion zugleich gegeben, wie mit dem Wissen zugleich auch das Wissen um seine ewige Wahrheit und Untrüglichkeit gegeben ist; es ist das Gefühl der Religion selbst und muß daher jeden begleiten, der wirklich Religion hat. Jeder muß sich bewußt sein, daß die seinige nur ein Teil des Ganzen ist, daß es über dieselben Verhältnisse, die ihn religiös affizieren, Ansichten und Empfindungen gibt, die ebenso fromm sind und doch von den seinigen gänzlich verschieden, und daß anderen Gestaltungen der Religion Wahrnehmungen und Gefühle angehören, für die ihm vielleicht gänzlich der Sinn fehlt. Ihr seht, wie unmittelbar diese schöne Bescheidenheit, diese freundliche, einladende Duldsamkeit aus dem Wesen der Religion entspringt, und wie wenig sie sich von ihr trennen läßt. Wie unrecht wendet ihr euch also an die Religion mit euren Vorwürfen, daß sie verfolgungssüchtig sei und gehässig, daß sie die Gesellschaft zerrütte und Blut fließen lasse wie Wasser. Klaget dessen diejenigen an, welche die Religion verderben, welche sie mit einem Heer von Formeln und Begriffsbestimmungen überschwemmen und sie in die Fesseln eines sogenannten Systems schlagen wollen. Worüber denn in der Religion hat man gestritten, Partei gemacht und Kriege entzündet? Über Begriffsbestimmungen, die praktischen bisweilen, die theoretischen immer, und beide gehören nicht hinein. Die Philosophie wohl strebt, diejenigen, welche wissen wollen, unter ein gemeinschaftliches Wissen zu bringen, wie ihr das täglich sehet, wiewohl auch sie, je besser sie sich versteht, um so leichter auch Raum gewinnt für die Mannigfaltigkeit; die Religion begehrt aber auch so nicht einmal diejenigen, welche glauben und fühlen, unter einen Glauben zu bringen und ein Gefühl. Sie strebt wohl denen, welche religiöser Erregungen noch nicht fähig sind, den Sinn für die ewige Einheit des ursprünglichen Lebensquelles zu öffnen, denn jeder Sehende ist ein neuer Priester, ein neuer Mittler, ein neues Organ; aber eben deswegen flieht sie mit Widerwillen die kahle Einförmigkeit, welche diesen göttlichen Überfluß wieder zerstören würde. Jene dürftige Systemsucht freilich stößt das Fremde von sich, oft ohne seine Ansprüche gehörig zu untersuchen, schon weil es die wohlgeschlossenen Reihen des Eigenen verderben und den schönen Zusammenhang stören könnte, indem es seinen Platz fordert; in ihr ist der Sitz der Streitkunst und Streitsucht, sie muß Krieg führen und verfolgen; denn insofern das Einzelne wieder auf etwas Einzelnes und Endliches bezogen wird, kann freilich eins das andere zerstören durch sein Dasein; in der unmittelbaren Beziehung auf das Unendliche aber steht alles ursprünglich Innerliche ungestört neben einander, alles ist eins und alles ist wahr. Auch haben nur diese Systematiker dies alles angerichtet. Das neue Rom, das gottlose aber konsequente, schleudert Bannstrahlen und stößt Ketzer aus; das alte, wahrhaft fromm und religiös im hohen Stil, war gastfrei gegen jeden Gott, und so wurde es der Götter voll. Die Anhänger des toten Buchstabens, den die Religion auswirft, haben die Welt mit Geschrei und Getümmel erfüllt; die wahren Beschauer des Ewigen waren immer ruhige Seelen, entweder allein mit sich und dem Unendlichen oder, wenn sie sich umsahen, jedem, der das große Wort nur verstand, seine eigene Art gern vergönnend. Mit diesem weiten Blick und diesem Gefühl des Unendlichen sieht sie aber auch das an, was außer ihrem eigenen Gebiete liegt, und enthält in sich die Anlage zur unbeschränktesten Vielseitigkeit im Urteil und in der Betrachtung, welche in der Tat anderswoher nicht zu nehmen ist. Lasset irgendetwas anderes den Menschen beseelen – ich will Sittlichkeit und Philosophie, soviel nämlich davon übrig bleiben kann, wenn ihr die Religion davon trennt, nicht ausschließen, sondern berufe mich vielmehr ihretwegen auf eure eigene Erfahrung –, sein Denken und sein Streben, worauf es auch gerichtet sei, zieht einen engen Kreis um ihn, in welchem sein Höchstes eingeschlossen liegt, und außer welchem ihm alles gemein und unwürdig erscheint. Wer nur schulgerecht denken und nach Grundsatz und Absicht handeln und dies und jenes ausrichten will in der Welt, der umgrenzt unvermeidlich sich selbst, und setzt immerfort dasjenige sich entgegen zum Gegenstande des Widerwillens, was sein Tun und Treiben nicht fördert. Nur die freie Lust des Schauens und des Lebens, wenn sie ins Unendliche geht, aufs Unendliche gerichtet ist, setzt das Gemüt in unbeschränkte Freiheit; nur die Religion rettet es aus den drückendsten Fesseln der Meinung und der Begierde. Alles was ist, ist für sie notwendig, und alles was sein kann, ist ihr ein wahres unentbehrliches Bild des Unendlichen; wer nur den Punkt findet, woraus seine Beziehung auf dasselbe sich entdecken läßt. Wie verwerflich auch etwas in anderen Beziehungen oder an sich selbst sei, in dieser Rücksicht ist es immer wert, zu sein und aufbewahrt und betrachtet zu werden. Einem frommen Gemüte macht die Religion alles heilig und wert, sogar die Unheiligkeit und die Gemeinheit selbst, alles was es faßt und nicht faßt, was in dem System seiner eigenen Gedanken liegt, und mit seiner eigentümlichen Handelsweise übereinstimmt und was nicht; sie ist die ursprüngliche und geschworene Feindin aller Kleinsinnigkeit und aller Einseitigkeit. Wie nun die Religion selbst die Vorwürfe nicht treffen, welche nur auf ihrer Verwechselung beruhen mit jenem Wissen, wie viel oder wenig es auch wert sein mag, ein Wissen will es doch immer sein, das ihr eigentlich nicht angehört, sondern nur der Theologie, die ihr doch von der Religion immer unterscheiden solltet; so treffen diese auch jene Vorwürfe ebenso wenig, welche ihr wohl vonseiten des Handelns gemacht worden sind. Zwar etwas davon habe ich nur eben schon berührt; aber laßt uns auch dies im allgemeinen ins Auge fassen, damit wir es ganz beseitigen, und ihr recht erfahret, wie ich es meine. Nur zweierlei müssen wir dabei genau unterscheiden. Einmal beschuldigt ihr die Religion, sie veranlasse nicht selten unanständige, schreckliche, ja unnatürliche Handlungen auf dem Gebiete des gemeinsamen, bürgerlichen, sittlichen Lebens. Ich will euch nicht erst den Beweis auflegen, daß solche Handlungen von frommen Menschen herrühren; diesen will ich euch vorläufig schenken. Gut. Aber indem ihr eure Beschuldigung aussprecht, trennt ihr doch selbst Religion und Sittlichkeit von einander. Meint ihr dies nun so, die Religion sei die Unsittlichkeit selbst oder ein Zweig von ihr? Wohl schwerlich; denn sonst müßte euer Krieg gegen sie noch ein ganz anderer sein, und ihr müßtet es als einen Maßstab der Sittlichkeit ansehen, wie weit sie auch die Frömmigkeit schon überwunden hätte. Und so seid ihr doch nicht aufgetreten gegen sie, wenige von euch abgerechnet, die sich freilich fast wahnsinnig gezeigt haben in ihrem mißverstandenen Eifer um solchen Mißverstand. Oder meint ihr es wohl nur so, die Frömmigkeit sei ein anderes als die Sittlichkeit, gleichgültig gegen diese, und könne also wohl zufälligerweise auch unsittlich werden? Dann habt ihr freilich recht in dem ersten; nämlich inwiefern man Frömmigkeit und Sittlichkeit trennen kann in der Betrachtung, sind sie auch verschieden, wie ich euch auch schon zugegeben und gesagt habe, daß die eine im Gefühl ihr Wesen hat, die andere aber im Handeln. Allein wie kommt ihr doch von diesem Gegensatz aus dazu, die Religion für das Handeln verantwortlich zu machen, und es ihr zuzuschreiben? Wäre es dann nicht richtiger zu sagen, solche Menschen wären eben nicht sittlich genug gewesen? und wäre dies nur, so konnten sie immer ebenso fromm gewesen sein ohne Schaden. Denn wenn ihr uns vorwärts bringen wollt – und das wollt ihr ja – so ist es nicht ratsam, wo zweierlei in uns ungleich geworden ist, was eigentlich gleich sein sollte, das Voraneilende zurückzuführen; sondern treibet lieber das Zurückgebliebene vorwärts; dann gedeihen wir weiter. Und damit ihr mich nicht etwa anklagt, daß ich Silbenstecherei treibe, so laßt euch aufmerksam darauf machen, daß die Religion an sich den Menschen gar nicht zum Handeln treibt, und daß, wenn ihr sie denken könntet irgendeinem Menschen allein eingepflanzt, ohne daß sonst etwas in ihm lebte, dieser alsdann weder solche noch andere Taten hervorbringen würde, sondern gar keine, weil er eben, wenn ihr an das Vorige zurückdenken wollt, und es nicht wieder umwerfen, gar nicht handeln würde, sondern nur fühlen. Daher eben, worüber ihr ja genug klagt, und auch mit Recht, von jeher viele von den religiösesten Menschen, in denen aber das Sittliche zu sehr zurückgedrängt war, und denen es an den eigentlichen Antrieben zum Handeln fehlte, die Welt verließen, und in der Einsamkeit sich müßiger Beschauung ergaben. Merket wohl, dies kann die Religion, wenn sie sich isoliert und krankhaft wird, bewirken, nicht aber grausame und schreckliche Taten. Sondern auf diese Weise läßt sich der Vorwurf, den ihr der Religion machen wollt, gerade umwenden und in einen Lobspruch verwandeln. Nämlich die Handlungen, welche ihr tadelt, wie verschieden sie auch im Einzelnen mögen beschaffen gewesen sein, haben doch das mit einander gemein, daß sie unmittelbar aus einer einzelnen Regung des Gefühls scheinen hervorgegangen zu sein. Denn dies tadelt ihr ja allemal, ihr möget dieses bestimmte Gefühl nun religiös nennen oder nicht; und ich, weit entfernt hierin von euch abzuweichen, lobe euch um so mehr, je gründlicher und unparteiischer ihr dies tadelt. Ich bitte euch, es auch da zu tadeln, wo nicht gerade die Handlung euch als böse erscheint, vielmehr sogar auch wo sie ein gutes Ansehen hat. Denn das Handeln, wenn es einer einzelnen Regung folgt, gerät dadurch in eine Abhängigkeit, die ihm nicht ziemt, unter einen viel zu bestimmten Einfluß selbst äußerer Gegenstände, die auf die einzelne Erregung einwirken. Das Gefühl ist seiner Natur nach, sein Inhalt sei welcher er wolle, wenn es nicht einschläfernd ist, heftig; es ist eine Erschütterung, eine Gewalt, der das Handeln nicht unterliegen, und aus der es nicht hervorgehen soll; sondern aus der Ruhe und Besonnenheit, aus dem Totaleindruck unseres Daseins soll es hervorgehen, und diesen Charakter soll es an sich tragen. Auf gleiche Weise wird dies gefordert im gemeinen Leben, wie im Staat und in der Kunst. Allein jene Abweichung kann doch nur daher kommen, daß der Handelnde – also doch wohl um zu handeln, und also doch das Sittliche in ihm – die Frömmigkeit nicht genug und ganz hat gewähren lassen; sodaß es vielmehr scheinen muß, wenn er nur frömmer gewesen wäre, würde er auch sittlicher gehandelt haben. Denn aus zwei Elementen besteht das ganze religiöse Leben: daß der Mensch sich hingebe dem Universum und sich erregen lasse von der Seite desselben, die es ihm eben zuwendet, und dann, daß er diese Berührung, die als solche und in ihrer Bestimmtheit ein einzelnes Gefühl ist, nach innen zu fortpflanze und in die innere Einheit seines Lebens und Seins aufnehme: und das religiöse Leben ist nichts anderes als die beständige Erneuerung dieses Verfahrens. Wenn also einer erregt worden ist auf eine bestimmte Weise von der Welt, ist es etwa seine Frömmigkeit, die ihn mit dieser Erregung gleich wieder nach außen treibt in ein Wirken und Handeln, welches dann freilich die Spuren der Erschütterung tragen und den reinen Zusammenhang des sittlichen Lebens trüben muß? Ohnmöglich: sondern im Gegenteil, seine Frömmigkeit lud ihn ein nach innen zum Genuß des Erworbenen, es in das Innerste seines Geistes aufzunehmen und damit in eins zu verschmelzen, daß es sich des Zeitlichen entkleide und ihm nicht mehr als ein Einzelnes, nicht als eine Erschütterung einwohne, sondern als ein Ewiges, Reines und Ruhiges. Und aus dieser inneren Einheit entspringt dann für sich als ein eigener Zweig des Lebens auch das Handeln, und freilich, wie wir auch schon übereingekommen, als eine Rückwirkung des Gefühls; aber nur das gesammte Handeln soll eine Rückwirkung sein von der Gesammtheit des Gefühls; die einzelnen Handlungen aber müssen von ganz etwas anderem abhängen in ihrem Zusammenhang und ihrer Folge, als vom augenblicklichen Gefühl; nur so stellen sie jede in ihrem Zusammenhang und an ihrer Stelle auf eine freie und eigene Weise die ganze innere Einheit des Geistes dar, nicht aber wenn sie abhängig und knechtisch irgendeiner einzelnen Erregung entsprechen. So ist demnach gewiß, daß euer Tadel die Religion nicht trifft, wenn ihr nicht von einem krankhaften Zustande redet, und daß auch dieser krankhafte Zustand nicht etwa in dem religiösen System ursprünglich und auf eigene Weise seinen Sitz hat, sondern ein ganz allgemeiner ist, aus welchem also gar nichts Besonderes gegen die Religion kann gefolgert werden. Es ist gewiß endlich und muß euch einleuchten, daß im gesunden Zustande, inwiefern wir Frömmigkeit und Sittlichkeit abgesondert betrachten wollen, der Mensch nicht angesehen werden kann als aus Religion handelnd und von der Religion zum Handeln getrieben: sondern dieses bildet eine Reihe für sich, und jene auch, als zwei verschiedene Funktionen eines und desselben Lebens. Darum, wie nichts aus Religion, so soll alles mit Religion der Mensch handeln und verrichten; ununterbrochen sollen wie eine heilige Musik die religiösen Gefühle sein tätiges Leben begleiten, und er soll nie und nirgends erfunden werden ohne sie. Daß ich aber in dieser Darstellung weder euch noch mich hintergangen, könnt ihr auch daraus sehen, wenn ihr Achtung geben wollt, ob nicht jedes Gefühl, je mehr ihr selbst ihm den Charakter der Frömmigkeit beilegt, um desto stärker auch die Neigung hat, nach innen zurückzukehren, nicht aber nach außen in Taten hervorzubrechen; und ob nicht ein Frommer, den ihr recht innig bewegt fändet, sich in der größten Verlegenheit befinden, oder euch wohl gar nicht verstehen würde, wenn ihr ihn fraget, was für eine einzelne Handlung er denn nun zu verrichten gesonnen wäre infolge seines Gefühls, um es zu beurkunden und auszulassen. Nur böse Geister, nicht gute, besitzen den Menschen und treiben ihn, und die Legion von Engeln, womit der himmlische Vater seinen Sohn ausgestattet hatte, übten keine Gewalt über ihn aus; sie halfen ihm auch nicht in seinem einzelnen Tun und Lassen, und sollten es auch nicht, aber sie flößten Heiterkeit und Ruhe in die von Tun und Denken erschöpfte Seele; bisweilen wohl verlor er die vertrauten Geister aus den Augen, in Augenblicken, wo seine ganze Kraft zum Handeln aufgeregt war, aber dann umschwebten sie ihn wieder in fröhlichem Gedränge und dienten ihm. Doch, warum führe ich euch auf solche Einzelheiten und rede in Bildern? Am deutlichsten zeigt sich ja mein Recht darin, daß ohnerachtet ich mit euch ausging von der Trennung, die ihr setztet zwischen Religion und Sittlichkeit, und nur, indem wir diese recht genau verfolgten, wir von selbst auf beider wesentliche Vereinigung im wahren Leben zurückgekommen sind, und gesehen haben, daß, was sich als ein Verderbnis in der einen zeigt, auch eine Schwäche in der anderen voraussetzt, und daß, wenn nicht auch die andere ganz das ist, was sie sein soll, keine von beiden vollkommen sein kann.

Hiermit also verhält es sich gewiß so. Ihr redet aber oft noch von anderen Handlungen, welche bestimmt die Religion hervorbringen müsse, weil sie für die Sittlichkeit nichts wären und also aus ihr unmöglich könnten hervorgegangen sein, ebenso wenig aber aus demselben Grunde auch aus der Sinnlichkeit, wie man diese der Sittlichkeit entgegensetzt, weil sie nämlich für diese auch nichts wären; verderblich aber wären sie doch, weil sie den Menschen gewöhnten, sich an das Leere zu halten und auf das Nichtige einen Wert zu setzen, und weil sie, wenn auch noch so gedankenleer und bedeutungslos, nur allzu oft die Stelle des sittlichen Handelns vertreten und den Mangel desselben bedecken sollten. Ich weiß, was ihr meint; erspart mir nur das lange Verzeichnis von äußerlicher Zucht, geistigen Übungen, Entbehrungen, Kasteiungen, und was sonst noch, was ihr in diesem Sinn der Religion als ihr Erzeugnis vorwerft, wovon aber, was ihr doch ja nicht übersehen möget, grade die größten Helden der Religion, die Stifter und Erneuerer der Kirche auch sehr gleichgültig urteilen. Hiermit freilich verhält es sich anders; aber auch hier, meine ich, wird die Sache, die ich verteidige, sich selbst rechtfertigen. Nämlich wie jenes Wissen, wovon wir vorher sprachen, jene Lehrsätze und Meinungen, welche sich näher an die Religion anschließen wollten, als ihnen zukam, nur Bezeichnungen und Beschreibungen des Gefühls waren, kurz, ein Wissen um das Gefühl, keineswegs aber ein unmittelbares Wissen um die Handlungen des Universum, durch welche das Gefühl erregt wurde, und wie jenes notwendig zum Übel ausschlagen mußte, wo es an die Stelle entweder des Gefühls oder der eigentlichen und ursprünglichen Erkenntnis sollte gesetzt werden: so ist auch dieses Handeln das, als Übung und Leitung des Gefühls unternommen, so oft leer und gehaltlos ausschlagende – denn von einem anderen symbolischen und bedeutenden, nicht als Übung, sondern als Darstellung des Gefühls sich gebenden reden wir doch nicht –, jenes aber ist ebenfalls ein Handeln gleichsam aus der zweiten Hand, welches sich eben so auf seine Weise das Gefühl zum Gegenstand macht und bildend darauf wirken will, wie jenes Wissen es sich zum Gegenstände macht und es betrachtend auffassen will. Wie viel Wert nun dieses haben mag an sich, und ob es nicht ebenso unwesentlich ist als jenes Wissen, das will ich hier nicht entscheiden; wie es denn auch schwer ist recht zu fassen, und wohl sehr genau will erwogen sein, in welchem Sinn doch der Mensch sich selbst und zumal sein Gefühl kann behandeln wollen, als welches mehr das Geschäft des Ganzen zu sein scheint, und also ein von selbst sich ergebendes Produkt seines Lebens, als ein absichtliches und sein eigenes. Doch dies, wie gesagt, gehört nicht hierher, und ich möchte es lieber mit den Freunden der Religion besprechen als mit euch. So viel aber ist gewiß, und ich gestehe es unbedingt, wenig Irrungen sind so verderblich, als wenn jene bildenden Übungen des Gefühls an die Stelle des ursprünglichen Gefühls sollen gesetzt werden; nur ist es offenbar eine Irrung, in welche religiöse Menschen nicht geraten können. Vielleicht gebt ihr es mir schon gleich zu, wenn ich euch nur daran erinnere, daß etwas ganz Ähnliches sich findet auf der Seite der Sittlichkeit. Denn es giebt auch ein solches Handeln auf sein eigenes Handeln; Übungen des Sittlichen, die der Mensch, wie sie sich ausdrücken, mit sich selbst anstellt, damit er besser werde; und diese an die Stelle des unmittelbaren sittlichen Handelns, des Gutseins und Rechttuns selbst zu setzen, dies geschieht freilich, aber ihr werdet nicht zugeben wollen, daß es von den sittlichen Menschen geschehe. Bedenkt es aber auch so. Ihr meint es doch eigentlich so, daß die Menschen allerlei tun, einer vom anderen es annehmend und fortpflanzend auf die späteren, was bei vielen sich gar nicht verstehen läßt und nicht bedeutet, immer aber sich nur so begreifen läßt, daß es geschehe, um ihr religiöses Gefühl zu erregen und zu unterstützen und auf diese oder jene Seite zu lenken. Wo also dieses Handeln ein selbsterzeugtes ist, und wo es diese Bedeutung wirklich hat, da bezieht es sich ja offenbar auf das eigene Gefühl des Menschen und setzt einen bestimmten Zustand desselben voraus, und daß dieser mitgefühlt werde, und der Mensch seiner selbst und seines inneren Lebens, auch mit seinen Schwächen und Unebenheiten inne werde. Ja auch ein Interesse daran setzt es voraus, eine höhere Selbstliebe, deren Gegenstand eben der Mensch ist, als der sittlich fühlende, als ein eigengebildeter Teil des Ganzen der geistigen Welt; und offenbar, so wie diese Liebe aufhörte, müßte auch jenes Handeln aufhören. Kann es also jemals verkehrter- und törichterweise an die Stelle des Gefühls gesetzt werden und dieses verdrängen wollen, ohne zugleich sich selbst aufzuheben? Sondern nur unter denen, die in ihrem tiefsten Innern einen Gegensatz gegen die Frömmigkeit bilden, kann diese Irrung entstehen. Für diese nämlich haben solche Gefühlsübungen einen eigenen Wert, weil sie sich dadurch das Ansehen geben können, als halten sie auch einen Teil von dem Verborgenen; weil sie dasselbe, was in andern eine tiefe Bedeutung hat, äußerlich nachäffen können, wenn es ihnen bewußt oder unbewußt darum zu tun ist, andere oder sich selbst mit dem Schein eines höheren Lebens, das nicht wirklich in ihnen ist, zu täuschen. So schlecht in der Tat ist das, was ihr in diesem Sinne tadelt; es ist immer entweder niedrige Heuchelei oder elende Superstition, die ich euch willig preisgebe und nicht verteidigen will. Auch kommt nichts darauf an, was in diesem Sinne geübt werde, und wir wollen nicht nur das verwerfen, was schon für sich angesehen leer, unnatürlich und verkehrt ist, sondern alles, was auf gleichem Wege entsteht, welch ein gutes Ansehen es auch habe; wilde Kasteiungen, geschmackloses Entbehren des Schönen, leere Worte und Gebräuche, wohltätige Spenden, alles gelte uns gleichviel, jede Superstition sei uns gleich unheilig. Aber nie wollen wir auch diese verwechseln mit dem wohlgemeinten Streben frommer Gemüter. Auch unterscheidet sich beides wahrlich sehr leicht; denn jeder religiöse Mensch bildet sich seine Asketik selbst, wie er sie bedarf, und sieht sich nicht um nach irgendeiner Norm, als die er in sich hat. Der Abergläubige aber und der Heuchler halten sich streng an ein Gegebenes und Hergebrachtes und eifern dafür als für ein Allgemeines und Heiliges. Natürlich; denn wenn jedem zugemutet würde, sich seine äußere Zucht und Übung, seine Gymnastik des Gefühls selbst auszusinnen in Beziehung auf seinen persönlichen Zustand, so wären sie übel daran, und ihre innere Armut könnte sich nicht länger verbergen.

Lange habe ich euch verweilt bei dem Allgemeinsten, fast nur Vorläufigen, und was sich von selbst sollte verstanden haben. Aber weil es sich eben nicht verstand, weder für euch, noch für viele, die am wenigsten zu euch werden gezählt sein wollen, wie die Religion sich verhält zu den anderen Zweigen des Lebens; so war es wohl nötig, die Quellen der gewöhnlichsten Mißverständnisse, damit sie uns nicht hernach auf unserem Wege aufhielten, gleich anfangs abzuleiten. Dieses habe ich nun nach Vermögen getan und hoffe, wir haben festen Boden unter uns, und sind überzeugt, daß, wenn wir nun anknüpfend an jenen Augenblick, welcher selbst nie unmittelbar angeschaut wird, in welchem sich aber alle verschiedenen Äußerungen des Lebens gleichmäßig bilden, sowie manche Gewächse sich schon in der verschlossenen Knospe befruchten und die Frucht gleichsam schon mitbringen zur Blüte, wenn wir an diesen anknüpfend nun fragen, wo vorzüglich unter allen seinen Erzeugnissen die Religion zu suchen sei: keine andere Antwort die rechte sein und mit sich selbst bestehen könne, als da, wo vorzüglich als Gefühle die lebendigen Berührungen des Menschen mit der Welt sich gestalten, und daß dieses die schönen und duftreichen Blüten der Religion sind, welche zwar, wie sie sich nach jener verborgenen Handlung geöffnet haben, auch bald wieder abfallen, deren aber das göttliche Gewächs aus der Fülle des Lebens immer neue hervortreibt, ein paradiesisches Klima um sich her erschaffend, in welchem kein dürftiger Wechsel die Entwicklung stört, noch eine rauhe Umgebung den zarten Lichtern und dem feinen Gewebe der Blumen schadet, zu welchem ich jetzt eben eure vorläufig gereinigte und bereitete Betrachtung hinführen will.

Und zwar folget mir zuerst zur äußeren Natur, welche von so vielen für den ersten oder einzigen Tempel der Gottheit, und vermöge ihrer eigentümlichen Art, das Gemüt zu berühren, für das innerste Heiligtum der Religion gehalten wird, jetzt aber, wiewohl sie mehr sein sollte, fast nur der Vorhof derselben ist. Denn ganz verwerflich ist wohl die Ansicht, welche mir zunächst von euch entgegentritt: als ob die Furcht vor den Kräften, die in der Natur walten und, wie sie auch nichts anderes verschonen, selbst das Leben und die Werke des Menschen bedrohen, als ob diese Furcht ihm das erste Gefühl des Unendlichen gegeben hätte, oder gar die einzige Basis aller Religion wäre. Oder müßt ihr nicht gestehen, daß, wenn es sich so verhielte, und die Frömmigkeit mit der Furcht gekommen wäre, sie auch mit der Furcht wieder gehen müßte? Freilich müßt ihr das, aber vielleicht scheint es euch gar so; darum lasset uns zusehen. Offenbar ist doch dieses große Ziel alles Fleißes, der auf die Bildung der Erde verwendet wird, daß die Herrschaft der Naturkräfte über den Menschen vernichtet werde, und alle Furcht vor ihnen aufhöre. Und in der Tat ist schon bewundernswürdig viel hierin geschehen. Zeus' Blitze schrecken nicht mehr, seitdem uns Hephaistos einen Schild dagegen verfertiget hat; Hestia schützt, was sie dem Poseidon abgewann, auch gegen die zornigsten Schläge seines Tridents, und die Söhne des Ares vereinigen sich mit denen des Asklepios, um die schnelltötenden Pfeile Apollons von uns abzuwehren. Immer mehr lernt der Mensch, einen dieser Götter durch den anderen zu bestehen und zu verderben, und schickt sich an, bald nur als Sieger und als Herr diesem Spiele lächelnd zuzusehen. Wenn sie also einander wechselseitig als zerstörend zerstören, und die Furcht wäre der Grund ihrer Verehrung gewesen, so müßten sie allmählich als ein Alltägliches und Gemeines erscheinen; denn was der Mensch bezwungen hat oder zu bezwingen trachtet, das kann er auch messen, und es kann ihm nicht mehr als das Unendliche fürchterlich gegenüberstehen: so daß also je länger je mehr der Religion ihre Gegenstände müßten untreu werden. Aber geschah dies wohl je? Wurden jene Götter nicht ebenso eifrig verehrt, inwiefern sie einander hielten und trugen als Brüder und Verwandte? und inwiefern sie auch den Menschen tragen und versorgen, als den jüngsten Sohn desselben Vaters? Ja, ihr selbst: wenn ihr von Ehrfurcht noch ergriffen werden könnt vor den großen Kräften der Natur, hängt diese ab von eurer Sicherheit oder Unsicherheit? und habt ihr etwa ein Gelächter bereit, um dem Donner nachzuspotten, wenn ihr unter euren Wetterstangen steht? Und ist nicht überhaupt das Schützende und Erhaltende in der Natur ebenso sehr ein Gegenstand der Anbetung? Erwäget es aber auch so. Ist denn das, was dem Dasein und Wirken des Menschen trotzt und droht, nur das Große und Unendliche, oder tut nicht dasselbe auch gar vieles Kleine und Kleinliche, was ihr nicht bestimmt auffassen und zu etwas Großem gestalten könnt, und eben deshalb den Zufall nennt und das Zufällige? Und ist nun dieses wohl jemals ein Gegenstand der Religion, und angebetet worden? Oder falls ihr euch etwa eine so kleinliche Vorstellung bilden wolltet von dem Schicksal der Alten, so müßt ihr wenig verstanden haben von ihrer dichtenden Frömmigkeit. Denn unter diesem hehren Schicksal war auf gleiche Weise das erhaltende befaßt wie das zerstörende; und so war denn auch die heilige Ehrfurcht vor ihm, deren Verleugnung in den schönsten und gebildetsten Zeiten des Altertums allen Besseren für die vollendetste Ruchlosigkeit galt, weit etwas anderes als jene knechtische Furcht, welche zu verbannen ein Ruhm war und eine Tugend. Von jener heiligen Ehrfurcht nun, wenn ihr sie verstehen könnt, will ich euch gern zugeben, daß sie das erste Element der Religion ist. Die Furcht aber, die ihr meintet, ist nicht nur selbst nicht Religion, sondern sie vermag auch nicht einmal darauf vorzubereiten oder hinzuführen. Vielmehr wenn etwas von ihr soll gerühmt werden, so müßte es nur sein, daß sie den Menschen in die weltliche Gemeinschaft hineinnötigt, in den Staat, um ihrer dort los zu werden; seine Frömmigkeit aber fängt erst an, wenn er jene schon abgelegt hat. Denn den Weltgeist zu lieben und freudig seinem Wirken zuzuschauen, das ist das Ziel aller Religion, und Furcht ist nicht in der Liebe. Ebenso wenig aber glaubt auch, daß jene Freude an der Natur, welche so viele dafür anpreisen, die wahre religiöse sei. Es ist mir fast zuwider, davon zu reden, wie sie es treiben, wenn sie hinauseilen in die große, herrliche Welt, um sich da kleine Rührungen zu holen; wie sie in die zarten Zeichnungen und Tinten der Blumen hineinschauen, oder in das magische Farbenspiel eines glühenden Abendhimmels, und wie sie den Gesang der Vögel bewundern und eine schöne Gegend. Sie sind freilich ganz voll Bewunderung und Entzücken und meinen, kein Instrument könne doch diese Töne hervorzaubern und kein Pinsel diesen Schmelz und diese Zeichnung erreichen. Wollte man sich aber mit ihnen einlassen und ganz in ihrem eignen Sinne vernünfteln, so müßten sie selbst ihre Freude verdammen. Denn was ist es doch, kann man sprechen, was ihr bewundert? Erzieht die Pflanze im dunklen Keller, so könnt ihr, wenn es glückt, sie aller dieser Schönheiten berauben, ohne daß sie im mindesten ihre Natur ändert. Und denkt euch die Dünste über uns etwas anders gelagert, so werdet ihr statt jener Herrlichkeit nur einen grauen unangenehmen Flor vor Augen haben, und die Begebenheit, die ihr eigentlich betrachtet, bleibt doch ganz dieselbe. Ja versucht es einmal euch vorzustellen, daß doch dieselben mittäglichen Strahlen, deren Blendung ihr nicht ertragt, denen gegen Osten schon als die flimmernde Abendröte erscheinen – und das müßt ihr doch bedenken, wenn ihr diese Dinge im ganzen ansehn wollt –, und wenn ihr dann doch offenbar nicht dieselbe Empfindung habt, so müßt ihr doch innewerden, daß ihr nur einem leeren Scheine nachgegangen seid. Das glauben sie dann nicht nur, sondern es ist auch wirklich wahr für sie, weil sie in einem Streite befangen sind zwischen dem Scheinen und dem Sein, und was in diesen fällt, kann freilich keine religiöse Erregung sein und kein echtes Gefühl hervorrufen. Ja wenn sie Kinder wären, die wirklich ohne etwas anderes zu sinnen und zu wollen, ohne Vergleichung und Reflexion das Licht und den Glanz in sich aufnehmen, und sich so durch die Seele der Welt aufschließen lassen für die Welt, und dies andächtig fühlen und immer nur hierzu aufgeregt werden durch die einzelnen Gegenstände; oder wenn sie Weise wären, denen in lebendiger Anschauung aller Streit aufgelöset ist zwischen Sein und Schein, die eben deshalb wieder kindlich können bewegt werden und für die jene Vernünfteleien nichts wären, was sie stören könnte: dann wäre ihre Freude ein wahrhaftes und reines Gefühl, ein Moment lebendiger, froh sich kundgebender Berührung zwischen ihnen und der Welt. Und wenn ihr dieses Schönere versteht, so laßt euch sagen, daß auch dies ein ursprüngliches und unentbehrliches Element der Religion ist. Aber nicht mir jenes leere erkünstelte Wesen für Regung der Frömmigkeit ausgegeben, da es so lose aufliegt und nur eine dürftige Larve ist für ihre kalte gefühllose Bildung oder Verbildung. Schiebt also auch hier nicht, indem ihr die Religion bestreitet, ihr das zu, was ihr nicht angehört, und spottet nicht, als ob durch Herabwürdigung zur Furcht vor dem Vernunftlosen und durch leere Spielerei mit nichtigem Schein der Mensch am leichtesten in dies sogenannte Heiligtum gelangte, und als ob die Frömmigkeit in keinem so leicht entstände und keinen so gut kleidete als feigherzige, schwächliche, empfindsame Seelen.

Weiter tritt uns entgegen in der körperlichen Natur ihre materielle Unendlichkeit, die ungeheuren Massen, ausgestreut in einen unübersehlichen Raum, durchlaufend jene unermeßlichen Bahnen, und wenn dann die Phantasie unter dem Geschäft erliegt, die verkleinerten Bilder zu ihrer natürlichen Größe auszudehnen: so meinen viele, diese Erschöpfung sei das Gefühl von der Größe und Majestät des Universum. Ihr habt recht, dies arithmetische Erstaunen etwas kindisch zu finden, und dem keinen großen Wert beizulegen, was bei den Unmündigen und Unwissenden, eben der Unwissenheit wegen, am leichtesten ist zu erregen. Allein der Mißverstand ist auch leicht zu heben, als ob jenes Gefühl religiös wäre in dieser Bedeutung. Oder würden diejenigen selbst, die gewohnt sind, es so anzusehn, uns zugeben, daß, als man jene großen Bewegungen noch nicht berechnet hatte, als noch nicht die Hälfte jener Welten entdeckt war, ja, als man noch gar nicht wußte, daß leuchtende Punkte Weltkörper wären, die Frömmigkeit notwendig geringer gewesen wäre, weil ihr nämlich ein wesentliches Element gefehlt hätte? Ebenso wenig werden sie leugnen können, daß das Unendliche von Maß und Zahl, sofern es wirklich in unsere Vorstellung eingeht, und sonst ist es ja für uns nicht, doch immer nur ein Endliches wird, daß der Geist jede Unendlichkeit dieser Art in kleine Formeln zusammenfassen und damit rechnen kann, wie es alltäglich geschieht. Aber gewiß werden sie das nicht zugeben wollen, daß von ihrer Ehrfurcht vor der Größe und Majestät des Weltalls etwas verloren gehen könne durch fortschreitende Bildung und Fertigkeit. Und doch müßte jener Zauber der Zahl und der Masse verschwinden, sobald wir es dahin brächten, die Einheiten, die das Maß unserer Größe und unserer Bewegungen sind, immer im Verhältnis darzustellen gegen jene großen Welteinheiten. Darum solange das Gefühl nur an dieser Differenz des Maßes haftet, ist es auch nur das Gefühl einer persönlichen Unfähigkeit; auch ein religiöses freilich, aber nur von ganz anderer Art. Jene Ehrfurcht aber, jenes herrliche, ebenso erhebende als demütige Gefühl unseres Verhältnisses zum Ganzen muß ganz dasselbe sein, nicht nur da, wo das Maß einer Welthandlung zu groß ist für unsere Organisation, oder auch, wo es ihr zu klein ist; sondern nicht minder da, wo es ihr gleich ist und angemessen. Kann es aber dann wohl der Gegensatz sein zwischen klein und groß, was uns so wunderbar bewegt? oder ist es nicht viel mehr das Wesen der Größe, jenes ewige Gesetz, vermöge dessen überhaupt erst Größe und Zahl, auch wir als solche, werden und sind? Nicht also auf eine eigentümliche Weise kann das von der Schwere Befangene und insofern Ertötete auf uns wirken, sondern immer nur das Leben; und was in der Tat den religiösen Sinn anspricht in der äußeren Welt, das sind nicht ihre Massen, sondern ihre ewigen Gesetze. Erhebt euch zu dem Blick, wie diese gleichmäßig alles umfassen, das Größte und das Kleinste, die Weltsysteme und das Stäubchen, welches unstät in der Luft umherflattert, und dann sagt, ob ihr nicht innewerdet die göttliche Einheit und die ewige Unwandelbarkeit der Welt. Allein, was uns am beständigsten wiederkehrend berührt von diesen Gesetzen, und deshalb auch der gemeinen Wahrnehmung nicht entgeht, die Ordnung nämlich, in der alle Bewegungen wiederkehren am Himmel und auf der Erde, das bestimmte Kommen und Gehen aller organischen Kräfte, die immerwährende Untrüglichkeit in der Regel des Mechanismus und die ewige Gleichförmigkeit in dem Streben der plastischen Natur: das gewährt uns eben deshalb auch ein minder lebendiges und großes religiöses Gefühl, wenn nämlich und inwiefern es erlaubt ist, so eines mit dem andern zu vergleichen. Und das darf euch nicht wundernehmen; denn wenn ihr von einem großen Kunstwerke nur ein einzelnes Stück betrachtet, und in den einzelnen Teilen dieses Stücks wiederum ganz für sich schöne Umrisse und Verhältnisse wahrnehmt, die in ihm selbst abgeschlossen sind und deren Bestimmtheit sich aus ihm ganz verstehen läßt: wird euch dann nicht das Stück mehr selbst ein Werk für sich zu sein scheinen, als ein Teil eines größeren Werkes? werdet ihr nicht urteilen, daß es dem Ganzen, wenn es durchaus in diesem Stil gearbeitet wäre, an Schwung und Kühnheit und allem, was einen großen Geist ahnen läßt, fehlen müßte? Wo wir eine erhabene Einheit, einen großgedachten Zusammenhang ahnen sollen, da muß es, neben der allgemeinen Tendenz zur Ordnung und Harmonie, notwendig im Einzelnen Verhältnisse geben, die sich aus ihm selbst nicht völlig verstehen lassen. Auch die Welt ist ein Werk, wovon ihr nur einen Teil überseht, und wenn dieser vollkommen in sich selbst geordnet und vollendet wäre, so würdet ihr die Größe des Ganzen nur auf eine beschränkte Art innewerden. Ihr sehet, daß jene Unregelmäßigkeit der Welt, welche oft dazu dienen soll, die Religion zurückzuweisen, vielmehr einen größeren Wert für sie hat, als die Ordnung, die sich uns in der Weltanschauung zuerst darbietet und sich aus einem kleinen Teil übersehen läßt. Die Perturbationen in dem Laufe der Gestirne deuten auf eine höhere Einheit, auf eine kühnere Verbindung, als die, welche wir schon in der Regelmäßigkeit ihrer Bahnen gewahr werden, und die Anomalieen, die müßigen Spiele der plastischen Natur, zwingen uns zu sehen, daß sie auch ihre bestimmtesten Formen mit einer, man möchte fast sagen freien, ja willkürlichen Willkür, mit einer Phantasie gleichsam behandelt, deren Regel wir nur aus einem höheren Standpunkte entdecken könnten. Daher denn hatten auch in der Religion der Alten nur niedere Gottheiten, dienende Jungfrauen die Aufsicht über das Gleichförmig-Wiederkehrende, dessen Ordnung schon gefunden war; aber die Abweichungen, die man nicht begriff, die Revolutionen, für die es keine Gesetze gab, diese eben waren das Werk des Vaters der Götter. Und so unterscheiden wir auch leicht in unserm Gefühl von dem ruhigen und gesetzten Bewußtsein, welches die verstandene Natur hervorbringt, als ein höheres, worin sich eben das Verwickeltsein des Einzelnen in die entferntesten Kombinationen des Ganzen, das Bestimmtsein des Besonderen durch das noch unerforschte allgemeine Leben offenbart: jene wunderbaren, schauerlichen, geheimnisvollen Erregungen, welche sich unserer bemächtigen, wenn die Phantasie uns daran mahnt, daß, was sich als Erkenntnis der Natur schon in uns gebildet hat, ihrem Wirken auch auf uns noch gar nicht entspricht; jene rätselhaften Ahnungen meine ich, welche eigentlich in allen dieselben sind, wenngleich sie nur in den Wissenden, wie es recht ist, sich abzuklären suchen und in eine lebendigere Tätigkeit der Erkenntnis übergehen, in den anderen aber, oft von Unwissenheit und Mißverstand aufgefaßt, einen Wahn absetzen, den wir zu unbedingt Aberglauben nennen, da ihm doch offenbar ein frommer Schauer, dessen wir uns selbst nicht schämen, zugrunde liegt. – Gebet ferner auch darauf acht: wie ihr euch selbst ergriffen fühlt von dem allgemeinen Gegensatz alles Lebenden gegen das, was in Rücksicht desselben für tot zu halten ist; von dieser erhaltenden siegreichen Kraft durchdrungen, vermöge deren alles sich nährt und gewaltsam das Tote gleichsam wiedererweckend mit hineinzieht in sein eignes Leben, damit es den Kreislauf neu beginne; wie sich uns von allen Seiten entgegendrängt der breite Vorrat für alles Lebende, der nicht tot daliegt, sondern, selbst lebend, sich überall aufs neue wieder erzeugt; wie bei aller Mannigfaltigkeit der Lebensformen und der ungeheuren Menge von Materie, den jede wechselnd verbraucht, dennoch jede zur Genüge hat, um den Kreis ihres Daseins zu durchlaufen, und jede nur einem inneren Schicksal unterliegt, und nicht einem äußeren Mangel: welche unendliche Fülle enthält dieses Gefühl in sich, und welchen überfließenden Reichtum! Wie werden wir ergriffen von dem Eindruck einer allgemeinen väterlichen Vorsorge, und von kindlicher Zuversicht, das süße Leben sorglos wegzuspielen in der vollen und reichen Welt. Sehet die Lilien auf dem Felde, sie säen nicht und ernten nicht, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch; darum sorget nicht! Diese fröhliche Ansicht, dieser heitere, leichte Sinn war schon für einen der größten Heroen der Religion die schönste Ausbeute aus einer noch sehr beschränkten und dürftigen Gemeinschaft mit der Natur: wieviel mehr also sollten nicht wir durch sie gewinnen, denen ein reicheres Zeitalter tiefer in ihr Innerstes zu dringen vergönnt hat, sodaß wir schon besser die allverbreiteten Kräfte, die ewigen Gesetze kennen, nach denen alle einzelnen Dinge, auch die, welche in einem bestimmteren Umfange sich absondernd ihre Seelen in sich selbst haben, und welche wir Leiber nennen, gebildet und zerstört werden. Sehet wie Neigung und Widerstreben, überall ununterbrochen tätig, alles bestimmt; wie alle Verschiedenheit und alle Entgegensetzung sich wieder in höhere, innere Einheit auflösen, und mit einem ganz abgesonderten Dasein nur scheinbar irgendetwas Endliches sich brüsten kann; seht wie alles Gleiche sich in tausend verschiedene Gestalten zu verbergen und zu verteilen strebt, und wie ihr nirgends etwas Einfaches findet, sondern alles künstlich zusammengesetzt und verschlungen. Aber nicht nur sehen mögen wir, und jeden, der einigen Anteil nimmt an der Bildung des Zeitalters, auffordern, daß er beachte, wie in diesem Sinne der Geist der Welt sich im Kleinsten ebenso sichtbar und vollkommen offenbart als im Größten, und nicht stehen zu bleiben bei einem solchen Innewerden desselben, wie es sich überall und aus allem entwickelt und das Gemüt ergreift; wie der Weltgeist, ohnerachtet des Mangels aller Kenntnisse, die unser Jahrhundert verherrlichen, schon den ältesten Weisen früher Zeit aufgegangen war, und sich in ihnen nicht nur das erste reine und sprechende Bild der Welt in der Anschauung entwickelt hatte, sondern auch in ihrem Herzen eine noch uns liebenswürdige und erfreuliche Freude und Liebe für die Natur entzündet hatte, durch welche, wenn sie zu den Völkern hindurchgedrungen wäre, wer weiß, welchen kräftigen und erhabenen Gang die Religion schon von Anfang an würde genommen haben. Sondern wie jetzt dieses wirklich geschehen ist, daß durch die allmählich wirkende Gemeinschaft zwischen Erkenntnis und Gefühl alle, welche gebildet heißen wollen, dieses schon im unmittelbaren Gefühl haben, und in ihrem Dasein selbst nichts finden, als ein Werk dieses Geistes und eine Darstellung und Ausführung dieser Gesetze, und kraft dieses Gefühls alles, was in ihr Leben eingreift, ihnen auch wirklich Welt geworden ist, gebildet, von der Gottheit durchdrungen und eins: so sollte nur billig auch wohl in ihnen allen eben jene Liebe und Freude sein, eben jene innige Andacht zur Natur, durch welche uns die Kunst und das Leben des Altertums heilig wird, und aus der sich dort zuerst jene Weisheit entwickelte, die wir, zurückgekehrt zu ihr, endlich anfangen durch späte Früchte zu preisen und zu verherrlichen. Und das wäre freilich der Kern aller religiösen Gefühle von dieser Seite, ein solches Ganz-Sich-Einesfühlen mit der Natur, und Ganz-Eingewurzeltsein in sie, daß wir in allen wechselnden Erscheinungen des Lebens, ja in dem Wechsel zwischen Leben und Tod selbst, der auch uns trifft, mit Beifall und Ruhe nur die Ausführung jener ewigen Gesetze erwarten.

Allein das Ganze, wodurch erst jenes Gefühl in uns erregt werden könnte, die Liebe und das Widerstreben, die Eigentümlichkeit und Einheit in der Natur, durch welche sie uns erst jenes Ganze wird, ist es denn wohl so leicht, eben diese ursprünglich in ihr zu finden? Sondern das ist es eben, und daher gibt es so wenig wahrhaft religiösen Genuß der Natur, weil unser Sinn ganz auf die andere Seite hinüberneigt, und wir dies unmittelbar vornehmlich im Innern des Gemütes wahrnehmen, und dann erst von da auf die körperliche Natur deuten und übertragen. Darum ist auch das Gemüt für uns wie der Sitz, so auch die nächste Welt der Religion; im inneren Leben bildet sich das Universum ab, und nur durch die geistige Natur, das Innere, wird erst die körperliche verständlich. Aber auch das Gemüt muß, wenn es Religion erzeugen und nähren soll, als Welt und in einer Welt auf uns wirken. Laßt mich euch ein Geheimnis aufdecken, welches in einer der ältesten Urkunden der Dichtkunst und der Religion fast verborgen liegt. So lange der erste Mensch allein war mit sich und der Natur, waltete freilich die Gottheit über ihm, sie sprach ihn an auf verschiedene Art; aber er verstand sie nicht, denn er antwortete ihr nicht; sein Paradies war schön, und von einem schönen Himmel glänzten ihm die Gestirne herab, aber der Sinn für die Welt ging ihm nicht auf; auch aus dem Innern seiner Seele entwickelte er sich nicht, sondern nur von der Sehnsucht nach einer Welt wurde sein Gemüt bewegt, und so trieb er vor sich zusammen die tierische Schöpfung, ob etwa sich eine daraus bilden möchte. Da erkannte die Gottheit, daß ihre Welt nichts sei, so lange der Mensch allein wäre; sie schuf ihm die Gehilfin, und nun erst regten sich in ihm lebende und geistvolle Töne, nun erst gestaltete sich vor seinen Augen die Welt. In dem Fleische von seinem Fleische, und Bein von seinem Beine entdeckte er die Menschheit, ahnend alle Richtungen und Gestalten der Liebe schon in dieser ursprünglichen, und in der Menschheit fand er die Welt; von diesem Augenblick an wurde er fähig, die Stimme der Gottheit zu hören und ihr zu antworten, und die frevelhafteste Übertretung ihrer Gesetze schloß ihn von nun an nicht mehr aus von dem Umgange mit dem ewigen Wesen. Unser aller Geschichte ist erzählt in dieser heiligen Sage. Umsonst ist alles für diejenigen da, der sich selbst allein stellt; denn um des Weltgeistes Leben in sich aufzunehmen und um Religion zu haben, muß der Mensch erst die Menschheit gefunden haben, und er findet sie nur in Liebe und durch Liebe. Darum sind beide so innig und unzertrennlich verknüpft. Sehnsucht nach Liebe, immer erfüllte und immer wieder sich erneuernde, wird ihm zugleich Religion. Den umfängt jeder am heißesten, in dem die Welt sich am klarsten und reinsten ihm abspiegelt; den liebt jeder am zärtlichsten, in dem er alles zusammengedrängt zu finden glaubt, was ihm selbst fehlt, um die Menschheit auszumachen; sowie auch die frommen Gefühle jedem die heiligsten sind, welche das Sein im Ganzen der Menschheit, sei es als Seligkeit oder als Bedürfnis ihm ausdrücken.

Um also die herrschenden Elemente der Religion zu finden, laßt uns in dieses Gebiet hineintreten, wo auch ihr in eurer eigentlichsten und liebsten Heimat seid, wo euer innerstes Leben euch aufgeht, wo ihr das Ziel alles eures Strebens und Tuns vor Augen sehet und zugleich das innere Treiben eurer Kräfte fühlet, welches euch immerfort auf dieses Ziel zuführt. Die Menschheit selbst ist euch eigentlich das Universum, und ihr rechnet alles andre nur insofern zu diesem, als es mit jener in Beziehung kommt oder sie umgibt. Über diesen Gesichtspunkt will auch ich euch nicht hinausführen; aber es hat mich oft innig geschmerzt, daß ihr bei allem Interesse an der Menschheit und allem Eifer für sie doch immer mit ihr verwickelt und uneins seid, und die reine Liebe nicht recht heraustreten kann in euch. Ihr quält euch, an ihr zu bessern und zu bilden, jeder nach seiner Weise, und am Ende laßt ihr unmutsvoll liegen, was zu keinem Ziele kommen will. Ich darf sagen, auch das kommt von eurem Mangel an Religion. Auf die Menschheit wollt ihr wirken und die Menschen, die Einzelnen wählt ihr euch zur Betrachtung. Diese mißfallen euch höchlich; und unter den tausend Ursachen, die das haben kann, ist unstreitig die schönste und welche den Besseren angehört, die, daß ihr gar zu moralisch seid nach eurer Art. Ihr nehmt die Menschen einzeln, und so habt ihr auch ein Ideal von einem Einzelnen, dem aber niemand entspricht. Dies alles zusammen ist ein verkehrtes Beginnen, und mit der Religion werdet ihr euch weit besser befinden. Möchtet ihr nur versuchen, die Gegenstände eures Wirkens und eurer Betrachtung zu wechseln! Wirkt auf die Einzelnen; aber mit eurer Betrachtung hebt euch auf den Flügeln der Religion höher zu der unendlichen, ungeteilten Menschheit; nur sie suchet in jedem Einzelnen; seht das Dasein eines jeden an als eine Offenbarung von ihr an euch, und es kann von allem, was euch jetzt drückt, keine Spur zurückbleiben. Ich wenigstens rühme mich auch einer sittlichen Gesinnung; auch ich verstehe menschliche Vortrefflichkeit zu schätzen, und es kann das Gemeine für sich betrachtet mich mit dem unangenehmen Gefühl der Geringschätzung beinahe überfallen; aber mir gibt die Religion von dem allen eine gar große und herrliche Ansicht. Betrachtet nur den Genius der Menschheit als den vollendetsten und allseitigsten Künstler. Er kann nichts machen, was nicht ein eigentümliches Dasein hätte. Auch wo er nur die Farben zu versuchen und den Pinsel zu schärfen scheint, entstehen lebendige und bedeutende Züge. Unzählige Gestalten denkt er sich so und bildet sie. Millionen tragen das Kostüm der Zeit und sind treue Bilder ihrer Bedürfnisse und ihres Geschmacks; in anderen zeigen sich Erinnerungen der Vorwelt oder Ahnungen einer fernen Zukunft. Einige sind der erhabenste und treffendste Abdruck des Schönsten und Göttlichen; andere sind wie groteske Erzeugnisse der originellsten und flüchtigsten Laune eines Meisters. Es ist wohl eher eine unfromme Ansicht, wie man es allgemein versteht, und nicht genug verstanden die heiligen Worte, worauf man sie gegründet, daß es Gefäße der Ehre gebe und Gefäße der Unehre. Nur wenn ihr Einzelnes mit Einzelnem vergleicht, kann euch ein solcher Gegensatz erscheinen; aber einzeln müßt ihr nichts betrachten, erfreut euch vielmehr eines jeden an der Stelle wo es steht. Alles, was zugleich wahrgenommen werden kann und gleichsam auf einem Blatte steht, gehört zu einem großen historischen Bilde, welches einen Moment der Gesamtwirkung des Ganzen darstellt. Wollt ihr dasjenige verachten, was die Hauptgruppen hebt und dem Ganzen Leben und Fülle gibt? Sollen nicht die einzelnen himmlichen Gestalten dadurch verherrlicht werden, daß tausend andere sich vor ihnen beugen, und daß man sieht, wie alles auf sie hinblickt und sich auf sie bezieht? Es ist in der Tat etwas mehr in dieser Darstellung, als ein schales Gleichnis. Die ewige Menschheit ist unermüdet geschäftig, aus ihrem inneren, geheimnisvollen Sein ans Licht zu treten und sich in der vorübergehenden Erscheinung des endlichen Lebens aufs mannigfaltigste darzustellen. Das ist die Harmonie des Universum, das ist die wunderbare und unvergleichliche Einheit jenes ewigen Kunstwerkes; ihr aber lästert diese Herrlichkeit mit euren Forderungen einer jämmerlichen Vereinzelung, weil ihr, im ersten Vorhofe der Moral und auch bei ihr noch mit den Elementen beschäftigt, immer für eure Einzelheit sorgend und bei Einzelnem euch beruhigend, die hohe Religion verschmähet. Euer Bedürfnis ist deutlich genug angezeigt; möchtet ihr es nur erkennen und befriedigen! Sucht unter allen den Begebenheiten, in denen sich jene himmliche Ordnung abbildet, wiewohl jeder seine Lieblingsstellen hat in der Geschichte, ob euch nicht eine aufgehen wird als ein göttliches Zeichen, daß ihr nämlich darin leichter erkennet, wie lebendig in sich und wie wichtig für das Ganze auch das Geringe sei, damit, was ihr sonst kalt und verachtend übersehet euch mit Liebe anziehe. Oder laßt euch einen alten verworfenen Begriff gefallen, und sucht unter allen den heiligen Männern, in denen die Menschheit sich auf eine vorzügliche Weise offenbart, einen auf, der der Mittler sein könnte zwischen eurer eingeschränkten Denkungsart und den ewigen Gesetzen der Welt; und wenn ihr einen solchen gefunden habt, der auf die euch verständliche Art durch sein mitteilendes Dasein das Schwache stärkt und das Tote belebt, dann durchlauft die ganze Menschheit und laßt alles, was bisher unerquicklich schien und dürftig, von dem Widerschein dieses neuen Lichtes erhellt werden. Was wäre wohl die einförmige Wiederholung eines höchsten Ideals, wobei die Menschen doch, Zeit und Umstände abgerechnet, eigentlich einerlei sind; dieselbe Formel nur mit anderen Koeffizienten verbunden, was wäre sie gegen diese unendliche Verschiedenheit menschlicher Erscheinungen? Nehmt welches Element der Menschheit ihr wollt, ihr findet jedes in jedem möglichen Zustande, fast von seiner Reinheit an – denn ganz soll diese nirgends zu finden sein – in jeder Mischung mit jedem andern, bis fast zur innigsten Sättigung mit allen übrigen – denn auch diese ist ein unerreichbares Extrem – und die Mischung auf jedem möglichen Wege bereitet, jede Spielart und jede seltene Kombination. Und wenn ihr euch noch Verbindungen denken könnt, die ihr nicht sehet, so ist auch diese Lücke eine negative Offenbarung des Universum, eine Andeutung, daß in dem geforderten Grade in der gegenwärtigen Temperatur der Welt diese Mischung nicht möglich ist, und eure Phantasie darüber ist eine Aussicht über die gegenwärtigen Grenzen der Menschheit hinaus, eine wahre, höhere Eingebung, sei sie nun ein Wiedererscheinen entflohener Vergangenheit oder eine unwillkürliche und unbewußte Weissagung über das, was künftig sein wird. Aber so wie dies, was der geforderten unendlichen Mannigfaltigkeit abzugehen scheint, nicht wirklich ein Zuwenig ist, so ist auch das nicht zuviel, was euch auf eurem Standpunkt so erscheint. Jenen so oft beklagten Überfluß an den gemeinsten Formen der Menschheit, die in tausend Abdrücken immer unverändert wiederkehren, erkennt der aufmerksamere, fromme Sinn leicht für einen leeren Schein. Der ewige Verstand befiehlt es und auch der endliche kann es einsehen, daß diejenigen Gestalten, an denen das Einzelne am schwersten zu unterscheiden ist, am dichtesten aneinander gedrängt stehen müssen; aber jede hat etwas Eigentümliches; keiner ist dem andern gleich, und in dem Leben eines jeden gibt es irgendeinen Moment, wie der Silberblick unedlerer Metalle, wo er, sei es durch die innige Annäherung eines höheren Wesens oder durch irgend einen elektrischen Schlag, gleichsam aus sich herausgehoben und auf den höchsten Gipfel desjenigen gestellt wird, was er sein kann. Für diesen Augenblick war er geschaffen, in diesem erreichte er seine Bestimmung, und nach ihm sinkt die erschöpfte Lebenskraft wieder zurück. Es ist ein beneidenswerter Genuß, in dürftigen Seelen diesen Moment hervorzurufen, ja auch sie darin zu betrachten; aber wem dieses nie geworden ist, dem muß freilich ihr ganzes Dasein überflüssig und verächtlich scheinen. So hat die Existenz eines jeden einen doppelten Sinn in Beziehung auf das Ganze. Hemme ich in Gedanken den Lauf jenes rastlosen Getriebes, wodurch alles Menschliche ineinander verschlungen und voneinander abhängig gemacht wird, so ist jedes Individuum seinem inneren Wesen nach ein notwendiges Ergänzungsstück zur vollkommenen Anschauung der Menschheit. Der eine zeigt mir, wie jedes abgerissene Teilchen derselben, wenn nur der innere Bildungstrieb, der das Ganze beseelt, ruhig darin fortwirken kann, sich gestaltet in zarte und regelmäßige Formen; der andere, wie aus Mangel an belebender und vereinigender Wärme die Härte des irdischen Stoffs nicht bezwungen werden kann, oder wie in einer zu heftig bewegten Atmosphäre der innerste Geist in seinem Handeln gestört wird; daß alles unscheinbar und unkenntlich ans Licht kommt; der eine erscheint als der rohe und tierische Teil der Menschheit, nur eben von den ersten unbeholfenen Regungen der Humanität bewegt, der andere als der reinste dephlegmierte Geist, der, von allem Niedrigen und Unwürdigen getrennt, nur mit leisem Fuß über der Erde schwebt; aber auch alle zwischen diesen Endpunkten bekunden eine eigene Art und Weise, wie in den abgesonderten kleinen Erscheinungen des einzelnen Lebens die verschiedenen Elemente der menschlichen Natur sich erweisen. Ist es nun nicht genug, wenn es unter dieser unzähligen Menge doch immer einige wenigstens gibt, die als ausgezeichnete und höhere Repräsentanten der Menschheit, der eine den, der andre jenen von den melodischen Akkorden anschlagen, die keiner fremden Begleitung und keiner späteren Auflösung bedürfen, sondern durch innere Harmonie die ganze Seele in einem Ton entzücken und zufriedenstellen? Aber wie auch die Edelsten doch nur auf eine Weise die Menschheit darstellen, und in einem ihrer Momente: so ist auch von jenen anderen jeder doch in irgendeinem Sinne dasselbe, jeder eine eigene Darstellung der Menschheit, und wo ein einzelnes Bild fehlte in diesem großen Gemälde, müßten wir es aufgeben, sie ganz und vollständig aufzunehmen in unser Bewußtsein. Wenn nun jeder so wesentlich zusammenhängt mit dem, was der innere Kern unseres Lebens ist, wie können wir anders als diesen Zusammenhang fühlen, und mit inniger Liebe und Zuneigung alle selbst ohne Unterschied der Gesinnung und der Geisteskraft umfassen, und das ist der eine Sinn, den jeder einzelne hat inbezug auf das Ganze. Beobachte ich hingegen die ewigen Räder der Menschheit in ihrem Gange, so muß auf der anderen Seite dieses unübersehliche Ineinandergreifen, wo nichts Bewegliches ganz durch sich selbst bewegt wird, und nichts Bewegendes nur sich allein bewegt, mich mächtig beruhigen über eure Klage, daß Vernunft und Seele, Sinnlichkeit und Sittlichkeit, Verstand und blinde Kraft in so getrennten Massen erscheinen. Warum seht ihr alles einzeln, was doch nicht einzeln und für sich wirkt? Die Vernunft der einen und das Gemüt der anderen affizieren einander doch so innig, als es nur in einem und demselben Subjekt geschehen könnte. Die Sittlichkeit, welche zu jener Sinnlichkeit gehört, ist außer derselben gesetzt. Ist die Herrschaft jener deswegen mehr beschränkt, und glaubt ihr, diese würde besser regiert werden, wenn jene, ohne sich irgendwo besonders anzuhäufen, jedem Individuo in kleinen, kaum merkbaren Portionen zugeteilt wäre? Die blinde Kraft, welche dem großen Haufen zugeteilt ist, ist doch in ihren Wirkungen auf das Ganze nicht sich selbst und einem rohen Ohngefähr überlassen, sondern oft, ohne es zu wissen, leitet sie doch jener Verstand, den ihr an anderen Punkten in so großer Masse aufgehäuft findet, und ebenso unbewußt folgt sie ihm in unsichtbaren Banden. So verwischen sich mir auf meinem Standpunkt die euch so bestimmt erscheinenden Umrisse der Persönlichkeit; der magische Kreis herrschender Meinungen und epidemischer Gefühle umgibt und umspielt alles, wie eine mit auflösenden und magnetischen Kräften angefüllte Atmosphäre; sie verschmilzt und vereinigt alles, und setzt durch die lebendigste Verbreitung auch das Entfernteste in eine tätige Berührung, und die Ausflüsse derer, in denen Licht und Wahrheit selbständig wohnen, trägt sie geschäftig umher, daß sie einige durchdringen und anderen wenigstens die Oberfläche glänzend und täuschend erleuchten. In diesem Zusammenhang alles Einzelnen mit der Sphäre, der es angehört und in der es Bedeutung hat, ist alles gut und göttlich, und eine Fülle von Freude und Ruhe das Gefühl dessen, der nur in dieser großen Verbindung alles auf sich wirken läßt. Aber auch das Gefühl wie die Betrachtung isoliert das Einzelne in einzelnen Momenten; und wenn wir so auf eine ganz entgegengesetzte Art bewegt werden von dem gewöhnlichen Treiben der Menschen, die von dieser Abhängigkeit nichts wissen, wie sie dies und das ergreifen und festhalten, um ihr Ich zu verschanzen und mit mancherlei Außenwerken zu umgeben, damit sie ihr abgesondertes Dasein nach eigener Willkür leiten mögen, ohne das der ewige Strom der Welt ihnen etwas daran zerrütte, und wie dann notwendigerweise das Schicksal dies alles verschwemmt und sie selbst auf tausend Arten verwundet und quält: was ist dann natürlicher als das herzlichste Mitleid mit allem schmerzlichen Leiden, welches aus diesem ungleichen Streit entsteht, und mit allen Streichen, welche die furchtbare Nemesis auf allen Seiten austeilt?

Von diesen Wanderungen durch das ganze Gebiet der Menschheit kehrt dann das fromme Gefühl geschärfter und gebildeter in das eigene Ich zurück, und findet zuletzt alles, was sonst, aus den entlegensten Gegenden zusammenströmend, es erregte, bei sich selbst. Denn freilich, wenn wir zuerst und noch neugeweiht, von der Berührung mit der Welt zurückkehrend, achthaben, wie wir denn uns selbst finden in diesem Gefühl, und dann innewerden, wie unser Ich gegen den ganzen Umfang der Menschheit nicht nur ins Kleine und Unbedeutende, sondern auch in das Einseitige, Insichselbst-Unzulängliche und Nichtige verschwindet, was kann dann dem Sterblichen näher liegen als wahre, ungekünstelte Demut? Und wenn allmählich erst lebendig und wach wird in unserem Gefühl, was eigentlich dasjenige ist, was im Gange der Menschheit überall aufrecht erhalten und gefördert wird, und was im Gegenteil das, was unvermeidlich früher oder später besiegt und zerstört werden muß, wenn es sich nicht umgestalten und verwandeln läßt; und wir von diesem Gesetz auf unser eigenes Handeln in der Welt hinsehen: was kann alsdann natürlicher sein, als zerknirschende Reue über alles dasjenige in uns, was dem Wesen der Menschheit feind ist; als der demütige Wunsch, die Gottheit zu versöhnen; als das sehnlichste Verlangen, umzukehren und uns mit allem, was uns angehört, in jenes heilige Gebiet zu retten, wo allein Sicherheit ist gegen Tod und Zerstörung? Und wenn wir wieder fortschreitend wahrnehmen, wie uns das Ganze nur hell wird, und wir zur Anschauung desselben und zum Einssein mit ihm nur gelangen in der Gemeinschaft mit anderen und durch den Einfluß solcher, welche, von der Anhänglichkeit an das eigene vergängliche Sein und dem Streben, es zu erweitern und zu isolieren, längst befreit, sich zu freuen, ihr höheres Leben auch anderen mitzuteilen: wie können wir uns da erwehren jenes Gefühls einer besonderen Verwandtschaft mit denen, deren Handlungen unsere Existenz verfochten und durch die Gefahren, die ihr drohten, sie glücklich hindurchgeführt haben? jenes Gefühls der Dankbarkeit, welches uns antreibt, sie zu ehren als solche, die sich mit dem Ganzen schon früher geeinigt haben und sich ihres Lebens in demselben nun auch durch uns bewußt sind? – Nur durch diese und dergleichen Gefühle hindurchgehend – denn nur beispielsweise sei dies Wenige angeführt – findet ihr endlich in euch selbst nicht nur die Grundzüge zu dem Schönsten und Niedrigsten, zu dem Edelsten und Verächtlichsten, was ihr als einzelne Seiten der Menschheit an anderen wahrgenommen habt; entdeckt ihr in euch nicht nur zu verschiedenen Zeiten alle die mannigfaltigen Grade menschlicher Kräfte, sondern alle die unzähligen Mischungen verschiedener Anlagen, die ihr in den Charakteren anderer angeschaut habt, erscheinen euch, wenn ihr euer Selbstgefühl ganz in Mitgefühl eintaucht, nur als festgehaltene Momente eures eigenen Lebens. Es gab Augenblicke, wo ihr so dachtet, so fühltet, so handeltet, wo ihr wirklich dieser und jener Mensch waret, trotz aller Unterschiede des Geschlechts, der Bildung und der äußeren Umgebungen. Ihr seid alle diese verschiedenen Gestalten in eurer eigenen Ordnung wirklich hindurchgegangen; ihr selbst seid ein Kompendium der Menschheit, euer einzelnes Dasein umfaßt in einem gewissen Sinn die menschliche Natur, und diese ist in allen ihren Darstellungen nichts als euer eigenes, vervielfältigtes, deutlicher ausgezeichnetes und in allen seinen auch kleinsten und vorübergehendsten Veränderungen gleichsam verewigtes Ich. Alsdann erst könnt ihr auch euch selbst mit der reinsten, tadellosesten Liebe lieben, könnt der Demut, die euch nie verläßt, das Gefühl gegenüberstellen, daß auch in euch das Ganze der Menschheit lebt und wirkt, und könnt selbst die Reue von aller Bitterkeit aussüßen zu freudiger Selbstgenügsamkeit. Bei wem sich die Religion so wiederum nach innen zurückgearbeitet und auch dort das Unendliche gefunden hat, in dem ist sie von dieser Seite vollendet; er bedarf keines Mittlers mehr für irgend eine Anschauung der Menschheit; vielmehr wird er es selbst sein für viele.

Aber nicht nur in der Gegenwart schwebt so das Gefühl in seinen Äußerungen zwischen der Welt und dem Einzelnen, dem es einwohnt, bald dem, bald jener sich näher anneigend. Sondern wie alles, was uns bewegt, ein Werdendes ist, und auch wir selbst nicht anders als so bewegt werden und auffassen: so werden wir auch als Fühlende immer in die Vergangenheit zurückgetrieben, und man kann sagen, wie überhaupt unsere Frömmigkeit sich mehr an der Seite des Geistes nährt, so ist unmittelbar und zunächst die Geschichte im eigentlichsten Sinne die reichste Quelle für die Religion; nur nicht etwa, um das Fortschreiten der Menschheit in ihrer Entwickelung zu beschleunigen und zu regieren, sondern nur, um sie als die allgemeinste und größte Offenbarung des Innersten und Heiligsten zu beobachten. In diesem Sinne aber gewiß hebt Religion mit Geschichte an und endigt mit ihr – denn Weissagung ist in ihrem Sinn auch Geschichte und beides gar nicht von einander zu unterscheiden –, ja alle wahre Geschichte hat überall zuerst einen religiösen Zweck gehabt und ist von religiösen Ideen ausgegangen; wie denn auch das Feinste und Zarteste in ihr nie wissenschaftlich mitgeteilt, sondern nur im Gefühl von einem religiösen Gemüt kann aufgefaßt werden. Ein solches erkennt die Wanderung der Geister und der Seelen, die sonst nur eine zarte Dichtung scheint, in mehr als einem Sinn als eine wundervolle Veranstaltung des Universum, um die verschiedenen Perioden der Menschheit nach einem sicheren Maßstabe zu vergleichen. Bald kehrt nach einem langen Zwischenraum, in welchem die Natur nichts Ähnliches hervorbringen konnte, irgendein ausgezeichnetes Individuum, fast völlig dasselbe, wieder zurück; aber nur die Seher erkennen es, und nur sie sollen aus den Wirkungen, die es nun hervorbringt, die Zeichen verschiedener Zeiten beurteilen. Bald kommt ein einzelner Moment der Menschheit ganz so wieder, wie euch eine ferne Vorzeit sein Bild zurückgelassen hat, und ihr sollt aus den verschiedenen Ursachen, durch die er jetzt erzeugt worden ist, den Gang der Entwickelung und die Formel ihres Gesetzes erkennen. Bald erwacht der Genius irgendeiner besonderen menschlichen Anlage, der, hier und da steigend und fallend, schon seinen Lauf vollendet hatte, wie aus dem Schlummer, und erscheint an einem anderen Ort und unter anderen Umständen in einem neuen Leben: und sein schnelleres Gedeihen, sein tieferes Wirken, seine schönere, kräftigere Gestalt soll andeuten, um wie vieles das Klima der Menschheit verbessert und der Boden zum Nähren edlerer Gewächse geschickter geworden sei. – Hier erscheinen euch Völker und Generationen der Sterblichen, alle gleich notwendig für die Vollständigkeit der Geschichte; aber eben wie Einzelne von dem verschiedensten Wert nebeneinander bestehen müssen, ebenso auch sie untereinander verschieden an Bedeutsamkeit und Wert. Würdig und geistvoll einige und kräftig wirkend ins Unendliche fort, mit ihrer Wirkung jeden Raum durchdringend und jeder Zeit trotzend. Gemein und unbedeutend andere, nur bestimmt, eine einzelne Form des Lebens oder der Vereinigung eigentümlich zu nüancieren, nur in einem Moment wirklich lebend und merkwürdig, nur um einen Gedanken darzustellen, einen Begriff zu erzeugen und dann der Zerstörung entgegeneilend, damit, was ihr frischestes Wachstum hervorgebracht einem anderen könne eingeimpft werden. Wie die vegetabilische Natur durch den Untergang ganzer Gattungen und aus den Trümmern ganzer Pflanzengenerationen eine neue hervorbringt und ernährt: so seht ihr hier auch die geistige Natur aus den Ruinen einer herrlichen und schönen Menschenwelt eine neue erzeugen, die aus den zersetzten und wunderbar umgestalteten Elementen von jener ihre erste Lebenskraft saugt. – Wenn hier in dem Ergriffensein von einem allgemeinen Zusammenhange euer Blick so oft unmittelbar vom Kleinsten zum Größten und von diesem wiederum zu jenem herumgeführt wird, und sich in lebendigen Schwingungen zwischen beiden bewegt, bis er schwindelnd weder Großes noch Kleines, weder Ursache noch Wirkung, weder Erhaltung noch Zerstörung weiter unterscheiden kann, und bleibt ihr in diesem Wechsel befangen: dann erscheint euch jene bekannte Gestalt eines ewigen Schicksals, dessen Züge ganz das Gepräge dieses Zustandes tragen; ein wunderbares Gemisch von starrem Eigensinn und tiefer Weisheit, von roher, fühlloser Gewalt und inniger Liebe, wovon euch bald das eine, bald das andere wechselnd ergreift, und jetzt zu ohnmächtigem Trotz, jetzt zu kindlicher Hingebung einladet. Vergleicht ihr, tiefer dringend, das abgesonderte, aus diesen entgegengesetzten Ansichten entsprungene Streben des Einzelnen mit dem ruhigen und gleichförmigen Gange des Ganzen: so seht ihr, wie der hohe Weltgeist über alles lächelnd hinwegschreitet, was sich ihm lärmend wiedersetzt; ihr seht, wie die hehre Nemesis, seinen Schritten folgend, unermüdet die Erde durchzieht, wie sie Züchtigung und Strafen den Übermütigen austeilt, welche den Göttern entgegenstreben, und wie sie mit eiserner Hand auch den Wackersten und Trefflichsten abmäht, der sich, vielleicht mit löblicher und bewundernswerter Standhaftigkeit, dem sanften Hauch des großen Geistes nicht beugen wollte. Möget ihr endlich den eigentlichen Charakter aller Veränderungen und aller Fortschritte der Menschheit ergreifen: so zeigt euch, sicherer als alles, euer in der Geschichte ruhendes Gefühl, wie lebendige Götter walten, welche nichts hassen als den Tod, wie nichts verfolgt und gestürzt werden soll als er, der erste und letzte Feind des Geistes. Das Rohe, das Barbarische, das Unförmliche soll verschlungen und in organische Bildung umgestaltet werden. Nichts soll tote Masse sein, die nur durch den äußeren Stoß bewegt wird und nur durch bewußtlose Reibung widersteht. Alles soll eigenes, zusammengesetztes, vielfach verschlungenes und erhöhtes Leben sein. Blinder Instinkt, gedankenlose Gewöhnung, toter Gehorsam, alles Träge und Leidentliche, alle diese traurigen Symptome des Todesschlummers der Freiheit und Menschheit sollen vernichtet werden. Dahin deutet das Geschäft des Augenblicks und der Jahrhunderte; das ist das große, immer fortgehende Erlösungswerk der ewigen Liebe.

Nur mit leichten Umrissen zwar habe ich hier einige der hervorstechenden Regungen der Religion aus dem Gebiet der Natur und der Menschheit entworfen, aber doch habe ich euch zugleich bis an die letzte Grenze eures Gesichtskreises geführt. Hier ist das Ende und der Gipfel der Religion für alle, denen Menschheit und Weltall gleichviel gilt; von hier könnte ich euch nur wieder zurückführen ins Einzelne und Kleinere. Nur bedenkt, daß es in eurem Gefühl etwas gibt, welches diese Grenze verschmäht, vermöge dessen es eigentlich hier nicht stehen bleiben kann, sondern erst auf der anderen Seite dieses Punktes recht ins Unendliche hinausschaut. Ich will nicht von den Ahnungen reden, die sich in Gedanken ausprägen und sich klügelnd begründen lassen: daß nämlich, wenn die Menschheit selbst ein Bewegliches und Bildsames ist, wenn sie sich nicht nur im Einzelnen anders darstellt, sondern auch hier und da anders wird, sie dann unmöglich das Einzige und Höchste sein kann, was die Einheit des Geistes und der Materie darstellt. Vielmehr könne sie, eben wie die einzelnen Menschen sich zu ihr verhalten, nur eine einzelne Form dieser Einheit darstellen, neben der es noch andere ähnliche geben müsse, durch welche sie zum wenigsten doch innerlich umgrenzt, und denen sie also entgegengesetzt wird. Aber in unserem Gefühl, und darauf will ich nur hinweisen, finden wir alle dergleichen. Denn unserem Leben ist auch eingeboren und aufgeprägt der Erde, und also auch der höchsten Einheit, welche sie erzeugt hat, Abhängigkeit von anderen Welten. Daher diese immer rege, aber selten verstandene Ahnung von einem anderen auch Erscheinenden und Endlichen, aber außer und über der Menschheit; von einer höheren und innigeren, schönere Gestalten erzeugenden Vermählung des Geistes mit der Materie. Allein freilich wäre hier jeder Umriß, den einer könnte zeichnen wollen, schon zu bestimmt; jeder Wiederschein des Gefühls kann nur flüchtig sein und lose, und daher dem Mißverstand ausgesetzt und so häufig für Torheit und Aberglauben gehalten. Auch sei es genug an dieser Andeutung auf dasjenige, was euch so unendlich fern liegt; jedes weitere Wort darüber wäre eine unverständliche Rede, von der ihr nicht wissen würdet, woher sie käme, noch wohin sie ginge. Hättet ihr nur erst die Religion, die ihr haben könnt, und wäret ihr euch nur erst derjenigen bewußt, die ihr wirklich schon habt! denn in der Tat, wenn ihr auch nur die wenigen religiösen Wahrnehmungen und Gefühle betrachtet, die ich mit geringen Zügen jetzt entworfen habe, so werdet ihr finden, daß sie euch bei weitem nicht alle fremd sind. Es ist wohl eher etwas dergleichen in euer Gemüt gekommen; aber ich weiß nicht, welches das größere Unglück ist, ihrer ganz zu entbehren oder sie nicht zu verstehen, denn auch so verfehlen sie ganz ihre Wirkung, und hintergangen seid ihr dabei auch von euch selbst. Zweierlei möchte ich euch besonders zum Vorwurf machen in Absicht auf das Dargestellte und was ihm sonst noch ähnlich ist. Ihr sucht einiges aus und stempelt es als Religion ausschließlich, und anderes wollt ihr als unmittelbar zum sittlichen Handeln gehörig der Religion entziehen; beides wahrscheinlich aus gleichem Grunde. Die Vergeltung, welche alles trifft, was dem Geist des Ganzen widerstreben will, der überall tätige Haß gegen alles Übermütige und Freche, das beständige Fortschreiten aller menschlichen Dinge zu einem Ziel, ein Fortschreiten, welches so sicher ist, daß wir sogar jeden einzelnen Gedanken und Entwurf, der das Ganze diesem Ziele näher bringt, nach vielen gescheiterten Versuchen dennoch endlich einmal gelingen sehen: des Gefühls, welches hierauf hindeutet, seid ihr euch bewußt und möchtet es gern gereinigt von allen Mißbräuchen erhalten und verbreiten; aber dies, wollt ihr dann, soll ausschließend Religion sein, und dadurch wollt ihr alles andre verdrängen, was doch aus derselben Handlungsweise des Gemütes und völlig auf dieselbe Art entspringt. Wie seid ihr doch zu diesen abgerissenen Bruchstücken gekommen? Ich will es euch sagen: ihr haltet dies gar nicht für Religion, sondern für einen Widerschein des sittlichen Handelns, und wollt nur den Namen unterschieben, um der Religion selbst, dem nämlich, was wir jetzt gemeinschaftlich dafür halten, den letzten Stoß zu geben. Denn dieses von uns für Religion Erkannte entsteht uns gar nicht ausschließend auf dem Gebiete der Sittlichkeit in dem engeren Sinne, worin ihr es nehmt. Das Gefühl weiß nichts von einer solchen beschränkten Vorliebe; und wenn ich euch damit vorzüglich an das Gebiet des Geistes selbst und an die Geschichte verwiesen: so folgert mir nicht daraus, daß die moralische Welt das Universum der Religion sei; vielmehr was nur für diese in eurem beschränkten Sinne gilt, daraus würden sich gar wenig religiöse Regungen entwickeln. In allem, was zum menschlichen Tun gehört, im Spiel wie im Ernst, im Kleinsten wie im Größten, weiß der Fromme die Handlungen des Weltgeistes zu entdecken, und wird dadurch erregt; was er hierzu bedarf, muß er überall wahrnehmen können; denn nur dadurch wird es das Seinige, und so findet er auch hierin eine göttliche Nemesis, daß eben die, welche, weil in ihnen selbst nur das Sittliche oder vielmehr Rechtliche vorherrscht, auch aus der Religion einen unbedeutenden Anhang der Moral machen und nur das aus ihr nehmen wollen, was sich dazu gestalten läßt, sich eben damit ihre Sittenlehre selbst, so viel auch schon an ihr gereinigt sein mag, unwiederbringlich verderben und den Keim neuer Irrtümer hineinstreuen. Es klingt sehr schön, wenn man beim sittlichen Handeln untergehe, sei es der Wille des ewigen Wesens, und was nicht durch uns geschehe, werde ein andermal durch andere zustande kommen, aber auch dieser erhabene Trost gehört nicht für das sittliche Handeln; sonst wäre es von dem Grade abhängig, in welchem jeder in jedem Augenblick dieses Trostes empfänglich ist. Gar nichts darf das Handeln von Gefühl unmittelbar in sich aufnehmen, ohne daß sogleich seine ursprüngliche Kraft und Reinigkeit getrübt werde.

Auf die andere Weise treibt ihr es mit allen jenen Gefühlen der Liebe, der Demut, der Freude und den anderen, die ich euch geschildert, und bei welchen sonst noch die Welt der eine, und auf irgendeine Art euer eigenes Ich der andere von den Punkten ist, zwischen denen das Gemüt schwebt. Die Alten wußten wohl das Rechte: Frömmigkeit, Pietät nannten sie alle diese Gefühle, und rechneten sie unmittelbar zur Religion, deren edelster Teil sie ihnen waren. Auch ihr kennt sie; aber wenn euch so etwas begegnet, so wollt ihr euch überreden, es sei ein unmittelbarer Bestandteil eures sittlichen Handelns, und aus sittlichen Grundsätzen möchtet ihr diese Empfindungen rechtfertigen und auch in eurem moralischen System ihnen ihren Platz anweisen; allein vergeblich; denn wenn ihr euch treu bleiben wollt, werden sie dort weder begehrt noch gelitten. Denn das Handeln soll nicht aus Erregungen der Liebe und Zuneigung unmittelbar hervorgehen, sonst würde es ein unsicheres und unbesonnenes; und es soll nicht durch den augenblicklichen Einfluß eines äußeren Gegenstandes erzeugt sein, wie jene Gefühle es doch offenbar sind. Deshalb erkennt, wenn sie streng ist und rein, eure Sittenlehre keine Ehrfurcht als die vor ihrem Gesetz; sie verdammt als unrein, ja fast als selbstsüchtig alles, was aus Mitleid und Dankbarkeit geschehen kann; sie demütigt, ja verachtet die Demut, und wenn ihr von Reue sprecht, so redet sie von verlorener Zeit, die ihr unnütz vermehrt. Auch muß euer innerstes Gefühl ihr darin beipflichten, daß es mit allen diesen Empfindungen nicht auf unmittelbares Handeln abgesehen ist; sie kommen für sich selbst und endigen in sich selbst als freie Verrichtungen eures innersten und höchsten Lebens. Was windet ihr euch also und bittet um Gnade für sie da, wo sie nicht hingehören? Lasset es euch doch gefallen, sie dafür anzusehen, daß sie Religion sind, so braucht ihr nichts für sie zu fordern als ihr eigenes strenges Recht, und werdet euch selbst nicht betrügen mit ungegründeten Ansprüchen, die ihr in ihrem Namen zu machen geneigt seid. Überall sonst, wo ihr diesen Gefühlen eine Stelle anweisen wollt, werden sie sich nicht halten können; bringt sie der Religion zurück, ihr allein gehört dieser Schatz, und als Besitzerin desselben ist sie der Sittlichkeit und allem anderen, was ein Gegenstand des menschlichen Tuns ist, nicht Dienerin, aber unentbehrliche Freundin und ihre vollgültige Fürsprecherin und Vermittlerin bei der Menschheit. Das ist die Stufe, auf welcher die Religion steht, insofern sie der Inbegriff ist aller höheren Gefühle. Daß sie allein den Menschen der Einseitigkeit und Beschränktheit enthebe, habe ich schon einmal angedeutet; jetzt kann ich es näher erklären. In allem Handeln und Wirken, es sei sittlich oder künstlerisch, soll der Mensch nach Meisterschaft streben, und alle Meisterschaft, wenn der Mensch ganz innerhalb ihres Gegenstandes festgehalten ist, beschränkt und erkältet, macht einseitig und hart. Auf einen Punkt richtet sie zunächst das Gemüt des Menschen, und dieser eine Punkt kann es nicht befriedigen. Kann der Mensch, fortschreitend von einem beschränkten Werk zum andern, seine ganze Kraft wirklich verbrauchen? oder wird nicht vielmehr der größere Teil derselben unbenutzt liegen und sich deshalb gegen ihn selbst wenden und ihn verzehren? Wie viele von euch gehen nur deshalb zugrunde, weil sie sich selbst zu groß sind; ein Überfluß an Kraft und Trieb, der sie nicht einmal zu einem Werk kommen läßt, weil doch keines ihm angemessen wäre, treibt sie unstät umher und ist ihr Verderben. Wollt ihr etwa auch diesem Übel wieder so steuern, daß der, welchem einer zu groß ist, alle Gegenstände des menschlichen Strebens, Kunst, Wissenschaft und Leben, oder wenn ihr deren noch mehr wißt, auch diese vereinigen soll? Das wäre freilich euer altes Begehren, die Menschheit überall ganz zu haben und auf einem Punkt wie auf dem anderen; eure Gleichheitssucht, die immer wiederkehrt – aber wenn es nur möglich wäre! wenn nur nicht jene Gegenstände, sobald sie einzeln ins Auge gefaßt werden, so sehr auf gleiche Weise das Gemüt anregten und zu beherrschen strebten! Jede dieser Richtungen geht auf Werke aus, welche vollendet werden sollen; jede hat ein Ideal, dem nachzubilden ist, und eine Totalität, welche umfaßt werden soll, und diese Rivalität mehrerer Gegenstände kann nicht anders endigen, als daß einer den anderen verdrängt. Ja, auch innerhalb einer solchen Sphäre muß sich jeder um so mehr auf ein Einzelnes beschränken, zu je trefflicherer Meisterschaft er gelangen will. Wenn nun diese ihn ganz beschäftigt und er nur in dieser Produktion lebt, wie soll er zu seinem vollständigen Anteil an der Welt gelangen und sein Leben ein Ganzes werden? Daher die Einseitigkeit und Dürftigkeit der meisten Virtuosen, oder auch, daß sie außerhalb ihrer Sphäre in eine niedere Art des Daseins versunken sind. Und kein anderes Heilmittel gibt es für dieses Übel, als daß jeder, indem er auf einem endlichen Gebiet auf eine bestimmte Weise tätig ist, sich zugleich ohne bestimmte Tätigkeit vom Unendlichen affizieren lasse, und in jeder Gattung religiöser Gefühle alles dessen, was außerhalb des von ihm unmittelbar angebauten Gebietes liegt, inne werde. Jedem liegt dies nahe; denn welchen Gegenstand eures freien und kunstmäßigen Handelns ihr auch gewählt habt, es gehört nur wenig Sinn dazu, um von jedem aus das Universum zu finden, und in diesem entdeckt ihr dann auch die übrigen: als Gebot oder als Eingebung oder als Offenbarung desselben. So im Ganzen sie auffassen und genießen, das ist die einzige Art, wie ihr euch bei einer schon gewählten Richtung des Gemütes auch das, was außer derselben liegt, aneignen könnt, nicht wiederum aus Willkür als Kunst, sondern aus Instinkt für das Universum als Religion; und weil sie auch in der religiösen Form wieder rivalisieren, so erscheint auch die Religion, und das freilich ist menschliche Mangelhaftigkeit, öfter vereinzelt in der Gestalt eigentümlicher Empfänglichkeit und Geschmacks für Kunst, Philosophie oder Sittlichkeit, und eben daher oft verkannt; öfter, sage ich, erscheint sie so, als wir sie von aller Teilnahme an der Einseitigkeit befreit finden, in ihrer ganzen Gestalt vollendet und alles vereinigend. Das Höchste aber bleibt dieses letztere, und nur so setzt der Mensch mit ganzem und befriedigendem Erfolge dem Endlichen, wozu er besonders und beschränkend bestimmt ist, ein Unendliches, dem zusammenziehenden Streben nach etwas Bestimmten und Vollendeten das erweiternde Schweben im Ganzen und Unerschöpflichen an die Seite; so stellt er das Gleichgewicht und die Harmonie seines Wesens wieder her, welche unwiederbringlich verloren geht, wenn er sich, ohne zugleich Religion zu haben, irgendeiner einzelnen Richtung, und wäre es die schönste und herrlichste, überläßt. Der bestimmte Beruf eines Menschen ist nur gleichsam die Melodie seines Lebens, und es bleibt bei einer einfachen, dürftigen Reihe von Tönen, wenn nicht die Religion jene in unendlich reicher Abwechslung begleitet mit allen Tönen, die ihr nur nicht ganz widerstreben, und so den einfachen Gesang zu einer vollstimmigen und prächtigen Harmonie erhebt.

Wenn nun das, was ich hoffentlich für euch alle verständlich genug angedeutet habe, eigentlich das Wesen der Religion ausmacht, so ist die Frage, wohin denn jene Dogmen und Lehrsätze, die vielen für das innere Wesen der Religion gelten, eigentlich gehören, und wie sie sich zu diesem Wesentlichen verhalten, nicht schwer zu beantworten, oder vielmehr, ich habe sie euch schon oben beantwortet. Denn alle diese Sätze sind nichts anderes als das Resultat jener Betrachtung des Gefühls, jener vergleichenden Reflexion darüber, von welcher wir schon geredet haben. Und die Begriffe, welche diesen Sätzen zugrunde liegen, sind, wie sich das mit euren Erfahrungsbegriffen ebenfalls so verhält, nichts anderes, als für ein bestimmtes Gefühl der gemeinschaftliche Ausdruck, dessen aber die Religion für sich nicht bedarf, kaum um sich mitzuteilen; aber die Reflexion bedarf und erschafft ihn. Wunder, Eingebungen, Offenbarungen, übernatürliche Empfindungen – man kann viel Frömmigkeit haben, ohne irgendeines dieser Begriffe benötigt zu sein –, aber wer über seine Religion vergleichend reflektiert, der findet sie unvermeidlich auf seinem Wege und kann sie unmöglich umgehen. In diesem Sinne gehören allerdings alle diese Begriffe in das Gebiet der Religion, und zwar unbedingt, ohne daß man über die Grenzen ihrer Anwendung das Geringste bestimmen dürfte. Das Streiten, welche Begebenheit eigentlich ein Wunder sei und worin der Charakter eines solchen eigentlich bestehe, wie viel Offenbarung es wohl gebe, und wiefern und warum man eigentlich daran glauben dürfe, und das offenbare Bestreben, so viel sich mit Anstand und Rücksicht tun läßt, davon abzuleugnen und auf die Seite zu schaffen, in der thörichten Meinung, der Philosophie und der Vernunft einen Dienst damit zu leisten: das ist eine von den kindischen Operationen der Metaphysiker und Moralisten in der Religion. Sie werfen alle Gesichtspunkte untereinander und bringen die Religion in das Geschrei, als ob sie der allgemeinen Gültigkeit wissenschaftlicher und physischer Urteile zu nahe trete. Ich bitte, laßt euch nicht durch ihr sophistisches Disputieren oder – denn auch das mag es bisweilen sein – durch ihr scheinheiliges Verbergen desjenigen, was sie gar zu gern kund machen möchten, zum Nachteil der Religion verwirren. Diese läßt euch, so laut sie auch alle jene verschrieenen Begriffe zurückfordert, eure Physik, und so Gott will, auch eure Psychologie unangetastet. Was ist denn ein Wunder? Wißt ihr etwa nicht, daß, was wir so nennen im religiösen Sinn, sonst überall so viel heißt, als Zeichen, Andeutung, und daß unser Name, der lediglich den Gemütszustand des Schauenden trifft, nur insofern schicklich ist, als ja freilich, was ein Zeichen sein soll, zumal wenn es noch irgendetwas anderes ist, so muß geartet sein, daß man auch darauf und auf seine bezeichnende Kraft merken wird. Jedes Endliche ist aber in diesem Sinne ein Zeichen des Unendlichen; und so besagen alle jene Ausdrücke nichts, als die unmittelbare Beziehung einer Erscheinung auf das Unendliche und Ganze; schließet das aber aus, daß nicht jede eine ebenso unmittelbare Beziehung aufs Endliche und auf die Natur habe? Wunder ist nur der religiöse Name für Begebenheit: jede, auch die allernatürlichste und gewöhnlichste, sobald sie sich dazu eignet, daß die religiöse Ansicht von ihr die herrschende sein kann, ist ein Wunder. Mir ist alles Wunder, und in eurem Sinn ist mir nur das ein Wunder, nämlich etwas Unerklärliches und Fremdes, was keines ist in meinem. Je religiöser ihr wäret, desto mehr Wunder würdet ihr überall sehen, und jedes Streiten hin und her über einzelne Begebenheiten, ob sie so zu heißen verdienen, gibt mir nur den schmerzhaften Eindruck, wie arm und dürftig der religiöse Sinn der Streitenden ist. Die einen beweisen diesen Mangel dadurch, daß sie überall protestieren gegen Wunder, durch welche Protestation sie nur zeigen, daß sie von der unmittelbaren Beziehung auf das Unendliche und auf die Gottheit nichts sehen wollen; die anderen beweisen denselben Mangel dadurch, daß es ihnen auf dieses und jenes besonders ankommt, und daß eine Erscheinung gerade wunderlich gestaltet sein muß, um ihnen ein Wunder zu sein, womit sie nur beurkunden, daß sie eben schlecht aufmerken. – Was heißt Offenbarung? Jede ursprüngliche und neue Mitteilung des Weltalls und seines innersten Lebens an den Menschen ist eine, und so würde jeder solche Moment, auf welchen ich oben gedeutet, wenn ihr euch seiner bewußt würdet, eine Offenbarung sein; nun aber ist jede Anschauung und jedes Gefühl, wo sie sich ursprünglich aus einem solchen entwickeln, aus einer Offenbarung hervorgegangen, die wir freilich als eine solche nicht vorzeigen können, weil sie jenseit des Bewußtseins liegt, die wir aber doch nicht nur voraussetzen müssen im allgemeinen; sondern auch im besonderen muß ja jeder wohl am besten wissen, was ihm ein Wiederholtes und Anderwärtsher-Erfahrenes ist, oder was ursprünglich und neu, und wenn von dem letzteren etwas sich in euch noch nicht ebenso erzeugt hatte, so wird seine Offenbarung auch für euch eine, und ich will euch raten, sie wohl zu erwägen. – Was heißt Eingebung? Es ist nur der allgemeine Ausdruck für das Gefühl der wahren Sittlichkeit und Freiheit, nämlich, versteht mich wohl, nicht jener wunderlichen, vielgepriesenen, welche nur versteht, das Handeln mit Überlegungen hin und her zu begleiten und zu verzieren, sondern für jenes Gefühl, daß das Handeln trotz aller oder ohnerachtet aller äußeren Veranlassung aus dem Innern des Menschen hervorgeht. Denn in dem Maß, als es der weltlichen Verwickelung entrissen wird, wird es als ein göttliches gefühlt, und auf Gott zurückgeführt. – Was ist Weissagung? Jedes religiöse Vorausbilden der anderen Hälfte einer religiösen Begebenheit, wenn die eine gegeben war, ist Weissagung, und es war sehr religiös von den alten Hebräern, die Göttlichkeit eines Propheten nicht danach abzumessen, wie schwer das Weissagen war, oder wie groß der Gegenstand, sondern ganz einfältig nach dem Ausgang; denn eher kann man aus dem Einzelnen nicht wissen, wie vollendet das Gefühl sich in jedem gebildet hat, bis man sieht, ob er die religiöse Ansicht gerade dieses bestimmten Verhältnisses, welches ihn bewegte, auch richtig gefaßt hat. – Was heißt Gnadenwirkung? Nichts anderes ist dies offenbar, als der gemeinschaftliche Ausdruck für Offenbarung und Eingebung, für jenes Spiel zwischen dem Hineingehen der Welt in den Menschen durch Anschauung und Gefühl und dem Eintreten des Menschen in die Welt durch Handeln und Bildung; beides in seiner Ursprünglichkeit und seinem göttlichen Charakter, so daß das ganze Leben des Frommen nur eine Reihe von Gnadenwirkungen bildet. Ihr seht, alle diese Begriffe sind, insofern als die Religion der Begriffe bedarf oder sie aufnehmen kann, die ersten und wesentlichsten; sie bezeichnen auf die eigentümlichste Art das Bewußtsein eines Menschen von seiner Religion; weil sie gerade dasjenige bezeichnen, was notwendig und allgemein sein muß in ihr. Ja, wer nicht eigene Wunder sieht auf seinem Standpunkt zur Betrachtung der Welt, in wessen Innern nicht eigene Offenbarungen aufsteigen, wenn seine Seele sich sehnt, die Schönheit der Welt einzusaugen und von ihrem Geiste durchdrungen zu werden; wer nicht in den bedeutendsten Augenblicken mit der lebendigsten Überzeugung fühlt, daß ein göttlicher Geist ihn treibt und daß er aus heiliger Eingebung redet und handelt; wer sich nicht wenigstens – denn noch Geringeres könnte in der Tat nur für gar nichts gehalten werden – seiner Gefühle als unmittelbarer Einwirkungen des Weltalls bewußt ist, dabei aber doch etwas Eigenes in ihnen kennt, was nicht nachgebildet sein kann, sondern ihren reinen Ursprung aus seinem Innersten verbürgt, der hat keine Religion. Aber in diesem Besitz sich zu wissen, das ist der wahre Glaube. Glauben hingegen, was man gemeinhin so nennt; annehmen, was ein anderer gesagt oder getan hat; nachdenken und nachfühlen wollen, was ein anderer gedacht und gefühlt hat: ist ein harter und unwürdiger Dienst, und statt das Höchste in der Religion zu sein, wie man wähnt, muß er gerade abgelegt werden von jedem, der in ihr Heiligtum dringen will. Einen solchen nachbetenden Glauben haben und behalten wollen, beweiset, daß man der Religion unfähig ist; ihn von anderen fordern, zeigt, daß man sie nicht versteht. Ihr wollt überall auf euren eigenen Füßen stehen und euren eigenen Weg gehen, und dieser würdige Wille schrecke euch nicht zurück von der Religion. Sie ist kein Sklavendienst und keine Gefangenschaft, am wenigsten für eure Vernunft, sondern auch hier sollt ihr euch selbst angehören; ja dies ist sogar eine unerläßliche Bedingung, um ihrer teilhaftig zu werden. Jeder Mensch, wenige Auserwählte ausgenommen, bedarf allerdings eines leitenden und aufregenden Anführers, der seinen Sinn für Religion aus dem ersten Schlummer wecke und ihm seine erste Richtung gebe; aber dies gebt ihr ja zu für alle anderen Kräfte und Verrichtungen der menschlichen Seele, warum nicht auch für diese? Und, zu eurer Beruhigung sei es gesagt, wenn irgendwo, so vorzüglich hier soll diese Vormundschaft nur ein vorübergehender Zustand sein; mit eigenen Augen soll dann jeder sehen und selbst einen Beitrag zu Tage fördern zu den Schätzen der Religion, sonst verdient er keinen Platz in ihrem Reich, und erhält auch keinen. Ihr habt recht, die dürftigen Nachbeter gering zu achten, die ihre Religion ganz von einem andern ableiten, oder an einer toten Schrift hängen, auf diese schwören und aus ihr beweisen. Jede heilige Schrift ist an sich ein herrliches Erzeugnis, ein redendes Denkmal aus der heroischen Zeit der Religion; aber durch knechtische Verehrung wird sie nur ein Mausoleum, ein Denkmal, daß ein großer Geist da war, der nicht mehr da ist; denn, wenn er noch lebte und wirkte, so würde er mehr mit Liebe und mit dem Gefühl der Gleichheit auf sein früheres Werk sehen, welches doch immer nur ein schwacher Abdruck von ihm sein kann. Nicht jeder hat Religion, der an eine heilige Schrift glaubt, sondern nur der, welcher sie lebendig und unmittelbar versteht, und ihrer daher für sich allein auch am leichtesten entbehren könnte. Eben diese eure Verachtung nun gegen die armseligen und kraftlosen Verehrer der Religion, in denen sie aus Mangel an Nahrung vor der Geburt schon gestorben ist, eben diese beweiset mir, daß in euch selbst eine Anlage ist zur Religion, und die Achtung, die ihr allen ihren wahren Helden für ihre Person immer erzeiget – denn die auch diese nur mit flachem Spotte behandeln und das Große und Kräftige in ihnen nicht anerkennen, rechne ich kaum noch zu euch –, diese Achtung der Personen bestätigt mich in dem Gedanken, daß eure Verachtung der Sache nur auf Mißverstand beruht und nur die kümmerliche Gestalt zum Gegenstand hat, welche die Religion bei der großen unfähigen Menge annimmt, und den Mißbrauch, welchen anmaßende Leiter damit treiben. – Ich habe euch darum nun nach Vermögen gezeigt, was eigentlich Religion ist; habt ihr irgendetwas darin gefunden, was eurer und der höchsten menschlichen Bildung unwürdig wäre? Müßt nicht vielmehr ihr euch um so mehr nach jener allgemeinen Verbindung mit der Welt sehnen, welche nur durch das Gefühl möglich ist, je mehr eben ihr am meisten durch die bestimmte Bildung und Individualität in ihm gesondert und isoliert seid? und habt ihr nicht oft diese heilige Sehnsucht als etwas Unbekanntes gefühlt? Werdet euch doch, ich beschwöre euch, des Rufs eurer innersten Natur bewußt, und folget ihm. Verbannet die falsche Scham vor einem Zeitalter, welches nicht euch bestimmen, sondern von euch bestimmt und gemacht werden soll! Kehret zu demjenigen zurück, was euch, gerade euch, so nahe liegt, und wovon die gewaltsame Trennung doch unfehlbar den schönsten Teil eures Daseins zerstört.

Es scheint mir aber, als ob viele unter euch nicht glaubten, daß ich mein gegenwärtiges Geschäft hier könne endigen wollen, und daß ich gründlich könne vom Wesen der Religion geredet zu haben glauben, da ich von der Unsterblichkeit gar nicht, und von Gott nur wie im Vorbeigehen weniges gesprochen; sondern ganz vorzüglich müßte mir ja wohl obliegen, von diesen beiden zu reden und euch vorzuhalten, wie unselig ihr wäret, wenn ihr etwa auch dieses nicht glaubtet, weil ja für die meisten Frommen dieses beides die Angel und Hauptstücke der Religion sein sollen. Allein ich bin über beides nicht eurer Meinung. Nämlich zuerst glaube ich keineswegs von der Unsterblichkeit gar nicht und von Gott nur so weniges geredet zu haben; sondern daß beides in allem und jedem gewesen ist, glaube ich, was ich euch nur als Element der Religion aufgestellt habe, und daß ich von allem nichts hätte sagen können, was ich gesagt habe, wenn ich nicht Gott und Unsterblichkeit immer zum voraus gesetzt hätte, wie denn auch nur Göttliches und Unsterbliches Raum haben kann, wo von Religion geredet wird. Und ebenso wenig dünken mich zweitens die Recht zu haben, welche so, wie beides gewöhnlich genommen wird, die Vorstellungen und Lehren von Gott und Unsterblichkeit für die Hauptsache in der Religion halten. Denn zur Religion kann von beiden nur gehören was Gefühl ist und unmittelbares Bewußtsein; Gott aber und Unsterblichkeit, wie sie in solchen Lehren vorkommen, sind Begriffe, wie denn viele, ja wohl die meisten unter euch, von beiden oder wenigstens von einem glauben fest überzeugt zu sein, ohne daß ihr deshalb fromm sein müßtet, oder Religion haben – und als Begriffe können also auch diese keinen größeren Wert haben in der Religion, als welcher Begriffen überhaupt, wie ich euch gezeigt habe, darin zukommt. Damit ihr aber nicht denket, ich fürchte mich, ein ordentliches Wort über diesen Gegenstand zu sagen, weil es gefährlich werden will, davon zu reden, bevor eine zu Recht und Gericht beständige Definition von Gott und Dasein ans Licht gestellt und im Deutschen Reich als gut und tauglich allgemein angenommen worden ist; oder damit ihr nicht auf der anderen Seite vielleicht glaubt, ich spiele mit euch einen frommen Betrug, und wolle, um allen alles zu werden, mit scheinbarer Gleichgültigkeit dasjenige herabsetzen, was für mich von ungleich größerer Wichtigkeit sein müsse, als ich gestehen will; so will ich euch gern auch hierüber Rede stehen und euch deutlich zu machen suchen, daß es sich nach meiner besten Überzeugung wirklich so verhält, wie ich jetzt eben behauptet habe.

Zuerst erinnert euch, daß uns jedes Gefühl nur insofern für eine Regung der Frömmigkeit galt, als in demselben nicht irgendein Einzelnes als solches, sondern in und mit diesem das Ganze als die Offenbarung Gottes uns berührt, und also nicht Einzelnes und Endliches, sondern eben Gott, in welchem ja allein auch das Besondere Ein und alles ist, in unser Leben eingeht: und so auch in uns selbst nicht etwa diese oder jene einzelne Funktion, sondern unser ganzes Wesen, wie wir damit der Welt gegenübertreten und zugleich in ihr sind, also unmittelbar das Göttliche in uns durch das Gefühl erregt wird und hervortritt. Wie könnte also jemand sagen, ich habe euch eine Religion geschildert ohne Gott, da ich ja nichts anderes dargestellt, als eben das unmittelbare und ursprüngliche Sein Gottes in uns durch das Gefühl. Oder ist nicht Gott die einzige und höchste Einheit? Ist es nicht Gott allein, vor dem und in dem alles Einzelne verschwindet? Und wenn ihr die Welt als ein Ganzes und eine Allheit seht, könnt ihr dies anders als in Gott? Sonst sagt mir doch irgendetwas anderes, wenn es dieses nicht sein soll, wodurch sich das höchste Wesen, das ursprüngliche und ewige Sein unterscheiden soll von dem Einzelnen, Zeitlichen und Abgeleiteten. Aber auf eine andere Weise als durch diese Erregungen, welche die Welt in uns hervorbringt, maßen wir uns nicht an, Gott zu haben im Gefühl, und darum ist nicht anders als so von ihm geredet worden. Wollt ihr daher dieses nicht gelten lassen als ein Bewußtsein von Gott, als ein Haben Gottes: so kann ich euch weiter nicht belehren oder bedeuten, sondern nur sagen, daß, wer dieses leugnet, über dessen Erkennen, wie es damit steht, will ich nicht aburteilen, denn es kommt mir hier nicht zu, aber in seinem Gefühl und seiner Empfindungsart betrachtet, wird ein solcher mir gottlos sein. Denn der Wissenschaft wird freilich auch nachgerühmt, es gebe in ihr ein unmittelbares Wissen um Gott, welches die Quelle ist alles anderen; nur wir sprachen jetzt nicht von der Wissenschaft, sondern von der Religion. Jene Art aber, von Gott etwas zu wissen, deren sich die meisten rühmen, und die ich euch auch anrühmen sollte, ist weder die Idee Gottes, die ihr an die Spitze alles Wissens stellt als die ungeschiedene Einheit, aus der Alles hervorquillt und aus der alles Sein sich ableitet, noch ist sie das Gefühl von Gott, dessen wir uns rühmen in unserem Innern; und wie sie gewiß hinter den Forderungen der Wissenschaft weit zurückbleibt, so ist sie auch für die Frömmigkeit etwas gar Untergeordnetes, weil sie nur ein Begriff ist. Ein Begriff, aus Merkmalen zusammengesetzt, die sie Gottes Eigenschaften nennen, und die sämtlich nichts anderes sind, als das Auffassen und Sondern der verschiedenen Arten, wie im Gefühle die Einheit des Einzelnen und des Ganzen sich ausspricht. Denn daß gerade auf diese Weise die einzelnen Eigenschaften Gottes des einzelnen oben aufgestellten und anderen ähnlichen, hier aber übergangenen Gefühlen entsprechen, dies wird niemand leugnen. Daher kann ich schon nicht anders, als auf diesen Begriff auch anwenden, was ich im allgemeinen von Begriffen in Beziehung auf die Religion gesagt: daß nämlich viel Frömmigkeit sein kann ohne sie, und daß sie sich erst bilden, wenn diese selbst wieder ein Gegenstand wird, den man in Betrachtung zieht. Nur daß es mit diesem Begriff von Gott, wie er gewöhnlich gedacht wird, nicht dieselbe Bewandtnis hat, wie mit den anderen oben angeführten Begriffen; weil er nämlich der höchste sein und über allen stehen will, und doch selbst, indem Gott uns zu ähnlich gedacht wird und als ein Persönlich-Denkendes und -Wollendes, in das Gebiet des Gegensatzes herabgezogen wird. Daher es auch natürlich scheint, daß, je menschenähnlicher Gott im Begriff dargestellt wird, um so leichter sich eine andere Vorstellungsart dieser gegenüberstellt: ein Begriff des höchsten Wesens nicht als persönlich denkend und wollend, sondern als die über alle Persönlichkeit hinausgestellte allgemeine, alles Denken und Sein hervorbringende und verknüpfende Notwendigkeit. Und nichts scheint sich weniger zu ziemen, als wenn die Anhänger des einen die, welche von der Menschenähnlichkeit abgeschreckt, ihre Zuflucht zu dem anderen nehmen, beschuldigen: sie seien gottlos; oder ebenso, wenn diese wollten jene wegen der Menschenähnlichkeit des Begriffes des Götzendienstes beschuldigen und ihre Frömmigkeit für nichtig erklären. Sondern fromm kann jeder sein, er halte sich zu diesem oder zu jenem Begriff; aber seine Frömmigkeit, das Göttliche in seinem Gefühl, muß besser sein als sein Begriff, und je mehr er in diesem sucht und ihn für das Wesen der Frömmigkeit hält, um desto weniger versteht er sich selbst. Seht nur, wie beschränkt die Gottheit in dem einen dargestellt wird, und wiederum wie tot und starr in dem anderen; beides, je mehr man sich in jedem an den Buchstaben hält: und gesteht, daß beide mangelhaft sind, und wie keiner von beiden seinem Gegenstand entspricht, so auch keiner von beiden ein Beweis von Frömmigkeit sein kann, außer insofern ihm im Gemüt selbst etwas zum Grunde liegt, hinter dem er aber weit zurückgeblieben ist; und daß, richtig verstanden, auch jeder von beiden ein Element wenigstens des Gefühls darstellt, nichts wert aber beide sind, wenn sich dies nicht findet. Oder ist es nicht offenbar, daß gar viele einen solchen Gott zwar glauben und annehmen, aber nichts weniger sind als fromm, und daß auch nie dieser Begriff der Keim ist, aus welchem ihre Frömmigkeit erwachsen kann, weil er nämlich kein Leben hat in sich selbst, sondern nur durch das Gefühl. So kann auch nicht die Rede davon sein, daß den einen oder den andern von beiden Begriffen zu haben, an und für sich das Zeichen sein könne von einer vollkommneren oder unvollkommneren Religion. Vielmehr werden beide auf gleiche Weise verändert nach Maßgabe dessen, was wir wirklich als verschiedene Stufen ansehen können, nach denen der religiöse Sinn sich ausbildet. Und dies höret noch an von mir, denn weiter weiß ich über diesen Gegenstand nichts zu sagen, um uns zu verständigen.

Da, wo das Gefühl des Menschen noch ein dunkler Instinkt, wo sein gesamtes Verhältnis zur Welt noch nicht zur Klarheit gediehen ist, kann ihm auch die Welt nichts sein als eine verworrene Einheit, in der nichts Mannigfaltiges bestimmt zu unterscheiden ist, als ein Chaos, gleichförmig in der Verwirrung, ohne Abteilung, Ordnung und Gesetz: woraus, abgesehen, was sich am unmittelbarsten auf das Bestehen des Menschen selbst bezieht, nichts Einzelnes gesondert werden kann, als indem es willkürlich abgeschnitten wird in Zeit und Raum. Und hier werdet ihr natürlich wenig Unterschied finden, ob der Begriff, inwiefern sich doch auch Spuren von ihm zeigen, auf die eine Seite sich neigt oder auf die andere. Denn ob ein blindes Geschick den Charakter des Ganzen darstellt, welches nur durch magische Verrichtungen kann bezeichnet werden, oder ein Wesen, das zwar lebendig sein soll, aber ohne bestimmte Eigenschaften, ein Götze, ein Fetisch, gleichviel ob einer oder mehrere, weil sie doch durch nichts zu unterscheiden sind, als durch die willkürlich gesetzten Grenzen ihres Gebiets: darauf wollt ihr gewiß keinen verschiedenen Wert setzen, sondern werdet dieses für eine ebenso vollkommene Frömmigkeit erkennen als jenes, beides aber doch für eine Frömmigkeit. Weiter fortschreitend wird das Gefühl bewußter, die Verhältnisse treten in ihrer Mannigfaltigkeit und Bestimmtheit auseinander; daher tritt aber auch in dem Weltbewußtsein des Menschen die bestimmte Vielheit hervor der heterogenen Elemente und Kräfte, deren beständiger und ewiger Streit seine Erscheinungen bestimmt. Gleichmäßig ändert sich dann auch das Resultat der Betrachtung dieses Gefühls, auch die entgegengesetzten Formen des Begriffs treten bestimmter auseinander, das blinde Geschick verwandelt sich in eine höhere Notwendigkeit, in welcher Grund und Zusammenhang, aber unerreichbar und unerforschlich, ruhen. Ebenso erhöht sich der Begriff des persönlichen Gottes, aber zugleich sich teilend und vervielfältigend; denn indem jene Kräfte und Elemente besonders beseelt werden, entstehen Götter in unendlicher Anzahl, unterscheidbar durch verschiedene Gegenstände ihrer Tätigkeit, wie durch verschiedene Neigungen und Gesinnungen. Ihr müßt zugeben, daß dieses schon ein kräftigeres und schöneres Leben des Universum im Gefühl uns darstellt, als jener frühere Zustand; am schönsten, wo am innigsten im Gefühl das erworbene Mannigfaltige und die einwohnende höchste Einheit verbunden sind, und dann auch, wie ihr dieses bei den von euch mit Recht so verehrten Hellenen findet, in der Reflexion beide Formen sich einigen, die eine mehr für den Gedanken ausgebildet, die andere mehr in der Kunst, diese mehr die Vielheit darstellend, jene mehr die Einheit. Wo aber auch eine solche Einigung nicht ist, gesteht ihr doch, daß, wer sich auf diese Stufe erhoben hat, auch vollkommner sei in der Religion, als wer noch auf die erste beschränkt ist. Also auch, wer sich auf der höheren vor der ewigen und unerreichbaren Notwendigkeit beugt und mehr in diese die Vorstellung des höchsten Wesens hineinlegt, als in die einzelnen Götter, auch der ist vollkommner als der rohe Anbeter eines Fetisch? Nun laßt uns höher steigen, dahin, wo alles Streitende sich wieder vereinigt, wo das Sein sich als Totalität, als Einheit in der Vielheit, als System darstellt, und so erst seinen Namen verdient; sollte nicht wer es so wahrnimmt als Eins und Alles, und so auf das vollständigste dem Ganzen gegenübertritt, und wieder eins wird mit ihm im Gefühl, sollte nicht der für seine Religion, wie diese sich auch im Begriff abspiegeln mag, glücklicher zu preisen sein, als jeder noch nicht soweit Gediehene? Also durchgängig und auch hier entscheidet die Art, wie dem Menschen die Gottheit im Gefühl gegenwärtig ist, über den Wert seiner Religion; nicht die Art, wie er diese, immer unzulänglich in dem Begriff, von welchem wir jetzt handeln, abbildet. Wenn also, wie es zu geschehen pflegt – mit wie vielem Rechte, will ich hier nicht entscheiden – der auf dieser Stufe Stehende, aber den Begriff eines persönlichen Gottes Verschmähende, allgemein entweder ein Pantheist genannt wird, oder noch besonders nach dem Namen des Spinoza: so will ich nur bevorworten, daß dieses Verschmähen, die Gottheit persönlich zu denken, nicht entscheidet gegen die Gegenwart der Gottheit in seinem Gefühl, sondern daß dies seinen Grund haben könne in einem demütigen Bewußtsein von der Beschränktheit persönlichen Daseins überhaupt und besonders auch des an die Persönlichkeit gebundenen Bewußtseins. Dann aber ist wohl gewiß, daß ein solcher ebenso weit stehen könne über dem Verehrer der zwölf großen Götter, wie ein Frommer auf dieser Stufe, den ihr mit gleichem Recht nach dem Lukretius nennen könntet, über einem Götzendiener. Aber das ist die alte Verwirrung, das ist das unverkennbare Zeichen der Unbildung, daß sie die am weitesten verwerfen, die auf einer Stufe mit ihnen stehen, nur auf einem andern Punkt derselben. Zu welcher nun von diesen Stufen sich der Mensch erhebt, das beurkundet seinen Sinn für die Gottheit, das ist der eigentliche Maßstab seiner Religiosität. Welchen aber von jenen Begriffen, sofern er überhaupt für sich noch des Begriffs bedarf, er sich aneignen wird, das hängt lediglich davon ab, wozu er seiner noch bedarf und nach welcher Seite seine Phantasie vornehmlich hängt, nach der des Seins und der Natur, oder nach der des Bewußtseins und des Denkens. Ihr, hoffe ich, werdet es für keine Lästerung halten und für keinen Widerspruch, daß das Hinneigen zu diesem Begriff eines persönlichen Gottes oder das Verwerfen desselben und das Hinneigen zu dem einer unpersönlichen Allmacht abhängen soll von der Richtung der Phantasie; ihr werdet wissen, daß ich unter Phantasie nicht etwas Untergeordnetes und Verworrenes verstehe, sondern das Höchste und Ursprünglichste im Menschen, und daß außer ihr alles nur Reflexion über sie sein kann, also auch abhängig von ihr; ihr werdet es wissen, daß eure Phantasie in diesem Sinne, eure freie Gedankenerzeugung es ist, durch welche ihr zu der Vorstellung einer Welt kommt, die euch nirgend äußerlich kann gegeben werden, und die ihr auch nicht zuerst euch zusammenfolgert: und in dieser Vorstellung ergreift euch dann das Gefühl der Allmacht. Wie einer sich aber dieses hernach übersetzt in Gedanken, das hängt davon ab, wie der eine sich willig, im Bewußtsein seiner Ohnmacht, in das geheimnisvolle Dunkel verliert, der andere aber, auf die Bestimmtheit des Gedankens vorzüglich gerichtet, nur unter der uns allein gegebenen Form des Bewußtseins und Selbstbewußtseins sich denken und steigern kann. Das Zurückschrecken aber vor dem Dunkel des Unbestimmt-Gedachten ist die eine Richtung der Phantasie, und das Zurückschrecken vor dem Schein des Widerspruchs, wenn wir dem Unendlichen die Gestalten des Endlichen leihen, ist die andere; sollte nun nicht dieselbe Innigkeit der Religion verbunden sein können mit der einen und mit der andern? Und sollte nicht eine nähere Betrachtung, die aber hierher eben deshalb nicht gehört, weil wir hier nur von dem innersten Wesen der Religion reden, sollte eine solche nicht zeigen, daß beide Vorstellungsarten gar nicht so weit auseinanderliegen, als es den meisten scheint; nur daß man in die eine nicht den Tod hineindenken muß, aus der andern aber alle Mühe redlich anwenden, die Schranken hinwegzudenken. Dieses glaubte ich sagen zu müssen, damit ihr mich verstehet, wie ich es meine mit diesen beiden Vorstellungsweisen; vorzüglich aber auch, damit ihr und andere sich nicht täuschen über unser Gebiet, und ihr nicht meint, alle seien Verächter der Religion, welche sich nicht befreunden wollen mit der Persönlichkeit des höchsten Wesens, wie sie von den meisten dargestellt wird. Und fest überzeugt bin ich, daß durch das Gesagte der Begriff der Persönlichkeit Gottes niemandem wird ungewisser werden, der ihn in sich trägt; noch wird sich jemand von der fast unabänderlichen Notwendigkeit, sich ihn anzueignen, um desto besser losmachen, weil er darum weiß, woher ihm diese Notwendigkeit kommt. Auch gab es unter wahrhaft religiösen Menschen nie Eiferer, Enthusiasten oder Schwärmer für diesen Begriff; und sofern man, wie es wohl oft geschieht, unter Atheismus nichts anderes versteht, als die Zaghaftigkeit und Bedenklichkeit inbezug auf diesen Begriff: so würden die wahrhaft Frommen diesen mit großer Gelassenheit neben sich sehen, und es hat immer etwas gegeben, was ihnen irreligiöser schien, nämlich, was es auch ist, wenn einer das entbehrt, die Gottheit unmittelbar gegenwärtig zu haben in seinem Gefühl. Nur das werden sie immer am meisten zaudern zu glauben, daß einer in der Tat ganz ohne Religion sei, und sich nicht darüber nur täusche, weil ein solcher ja auch ganz ohne Gefühl sein müßte und ganz versunken mit seinem eigentlichen Dasein ins Tierische; denn nur wer so tief gesunken ist, meinen sie, könne von dem Gott in uns und in der Welt, von dem göttlichen Leben und Wirken, wodurch alles besteht, nichts inne werden. Wer aber darauf beharrt, müßte er auch noch so viele und vortreffliche Männer ausschließen, das Wesen der Frömmigkeit bestehe in dem Bekenntnis, das höchste Wesen sei persönlich denkend und außerweltlich wollend; der muß sich nicht weit umgesehen haben in dem Gebiet der Frömmigkeit, ja die tiefsinnigsten Worte der eifrigsten Verteidiger seines eignen Glaubens müssen ihm fremd geblieben sein. Nur zu groß aber ist die Anzahl derer, welche von ihrem so gedachten Gott auch etwas wollen, was der Frömmigkeit fremd ist; nämlich er soll ihnen von außen ihre Glückseligkeit verbürgen, und sie zur Sittlichkeit reizen. Sie mögen zusehn, wie das angehe, denn ein freies Wesen kann nicht anders wirken wollen auf ein freies Wesen, als nur, daß es sich ihm zu erkennen gebe, einerlei ob durch Schmerz oder Lust, weil dies nicht durch die Freiheit bestimmt wird, sondern durch die Notwendigkeit. Auch kann es uns zur Sittlichkeit nicht reizen; denn jeder angebrachte Reiz, sei es nun Hoffnung oder Furcht von was immer für Art, ist etwas Fremdes, dem zu folgen, wo es auf Sittlichkeit ankommt, unfrei ist, also unsittlich; das höchste Wesen aber, zumal sofern es selbst als frei gedacht wird, kann nicht wollen die Freiheit selbst unfrei machen, und unsittlich die Sittlichkeit.

Dies nun bringt mich auf das Zweite, nämlich die Unsterblichkeit, und ich kann nicht bergen, daß in der gewöhnlichen Art, sich mit ihr zu beschäftigen, noch mehr ist, was mir nicht scheint mit dem Wesen der Frömmigkeit zusammenzuhängen oder aus demselben hervorzugehen. Die Art nämlich, wie jeder Fromme ein unwandelbares und ewiges Dasein in sich trägt, glaube ich euch eben dargestellt zu haben. Denn wenn unser Gefühl nirgend am Einzelnen haftet, sondern unsere Beziehung zu Gott sein Inhalt ist, in welcher alles Einzelne und Vergängliche untergeht; so ist ja auch nichts Vergängliches darin, sondern nur Ewiges, und man kann mit Recht sagen, daß das religiöse Leben dasjenige ist, in welchem wir alles Sterbliche schon geopfert und veräußert haben, und die Unsterblichkeit wirklich genießen. Aber die Art, wie die meisten Menschen sie sich bilden, und ihre Sehnsucht danach erscheint mir irreligiös, dem Geist der Frömmigkeit gerade zuwider; ja ihr Wunsch, unsterblich zu sein, hat keinen andern Grund, als die Abneigung gegen das, was das Ziel der Religion ist. Erinnert euch, wie diese ganz darauf hinstrebt, daß die scharf abgeschnittenen Umrisse unserer Persönlichkeit sich erweitern und sich allmählich verlieren sollen ins Unendliche, daß wir, indem wir des Weltalls inne werden, auch so viel als möglich eins werden sollen mit ihm; sie aber sträuben sich hiergegen; sie wollen aus der gewohnten Beschränkung nicht hinaus, sie wollen nichts sein, als deren Erscheinung und sind ängstlich besorgt um ihre Persönlichkeit: also weit entfernt, daß sie sollten die einzige Gelegenheit ergreifen wollen, die ihnen der Tod darbietet, um über dieselbe hinauszukommen, sind sie vielmehr bange, wie sie sie mitnehmen werden jenseit dieses Lebens, und streben höchstens nach weiteren Augen und besseren Gliedmaßen. Aber Gott spricht zu ihnen wie geschrieben steht: »Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es erhalten, und wer es erhalten will, der wird es verlieren.« Das Leben, das sie erhalten wollen, ist ein nicht zu erhaltendes; denn, wenn es ihnen um die Ewigkeit ihrer einzelnen Person zu tun ist, warum kümmern sie sich nicht ebenso ängstlich um das, was sie gewesen ist, als um das, was sie sein wird? Und was hilft ihnen das Vorwärts, wenn sie doch nicht rückwärts können? Je mehr sie verlangen nach einer Unsterblichkeit, die keine ist, und über die sie nicht mehr Herren sind, sie sich zu denken – denn wer kann den Versuch bestehen, sich ein zeitförmiges Dasein unendlich vorzustellen? –, desto mehr verlieren sie von der Unsterblichkeit, welche sie immer haben können, und verlieren das sterbliche Leben dazu, mit Gedanken, die sie vergeblich ängstigen und quälen. Möchten sie doch versuchen, aus Liebe zu Gott ihr Leben aufzugeben. Möchten sie danach streben, schon hier ihre Persönlichkeit zu vernichten und im Einen und Allen zu leben. Wer gelernt hat, mehr sein als er selbst, der weiß, daß er wenig verliert, wenn er sich selbst verliert; nur wer so, sich selbst verleugnend, mit dem ganzen Weltall, so viel er davon erreichen kann, zusammengeflossen, und in wessen Seele eine größere und heiligere Sehnsucht entstanden ist: nur der hat ein Recht dazu, und nur mit dem auch läßt sich wirklich weiterreden über die Hoffnungen, die uns der Tod gibt, und über die Unendlichkeit, zu der wir uns durch ihn unfehlbar emporschwingen.

Dies also ist meine Gesinnung über diese Gegenstände. Die gewöhnliche Vorstellung von Gott als einem einzelnen Wesen außer der Welt und hinter der Welt, ist nicht das Eins und Alles für die Religion, sondern nur eine selten ganz reine, immer aber unzureichende Art, sie auszusprechen. Wer sich einen solchen Begriff gestaltet auf eine unreine Weise, weil es nämlich gerade ein solches Wesen sein muß, das er soll brauchen können zu Trost und Hilfe, der kann einen solchen Gott glauben, ohne fromm zu sein, wenigstens in meinem Sinne; ich denke aber, auch in dem wahren und richtigen ist er es nicht. Wer sich hingegen diesen Begriff gestaltet, nicht willkürlich, sondern irgendwie durch seine Art, zu denken, genötigt, indem er nur an ihm seine Frömmigkeit festhalten kann: dem werden auch die Unvollkommenheiten, die seinem Begriff immer ankleben bleiben, nicht hinderlich sein, noch seine Frömmigkeit verunreinigen. Das wahre Wesen der Religion aber ist weder dieser noch ein anderer Begriff, sondern das unmittelbare Bewußtsein der Gottheit, wie wir sie finden, ebenso sehr in uns selbst, als in der Welt. Und ebenso ist das Ziel und der Charakter eines religiösen Lebens nicht die Unsterblichkeit, wie viele sie wünschen und an sie glauben, oder auch nur zu glauben vorgeben; denn ihr Verlangen, zu viel davon zu wissen, macht sie sehr des letzteren verdächtig; nicht jene Unsterblichkeit außer der Zeit und hinter der Zeit, oder vielmehr nur nach dieser Zeit, aber doch in der Zeit: sondern die Unsterblichkeit, die wir schon in diesem zeitlichen Leben unmittelbar haben können, und die eine Aufgabe ist, in deren Lösung wir immerfort begriffen sind. Mitten in der Endlichkeit eins werden mit dem Unendlichen und ewig sein in jedem Augenblick, das ist die Unsterblichkeit der Religion.


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