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Dritter Nachtrag alter Gemählde

Außer den altitaliänischen Gemählden im Restaurationssaale des Louvre, mir deren Beschreibung der zweite Nachtrag beschlossen worden ist, sah ich eben daselbst auch mehrere altdeutsche von großer Wichtigkeit, die am schicklichsten als Einleitung dienen können für die folgende Nachricht von vielen der wichtigsten Gemählde aus der altniederländischen und deutschen Schule, die ich auf einer Reise von Paris über Brüssel in die Rheinländer zu sehen Gelegenheit hatte.

Den Anfang von denen noch im Restaurationssaale gesehenen mache ein kleines Bildchen aus der Kirche St. Luigi in Rom: eine Mutter Gottes im Garten. Ein reich verzierter blanker Springbrunnen nimmt den rechten Vorgrund ganz ein, im Hintergrunde links eine gefühlvolle Landschaft; alles mit einer Sauberkeit, mit einem zierlichen Fleiß ausgeführt, der so ganz bestimmt an den altdeutschen Styl erinnert, daß man gradezu behaupten möchte, das Bild sey aus dieser Schule. Doch ist darüber keine Art von Nachweisung vorhanden; ist dies sehr alte Bildchen dennoch italiänisch, so ists ein Beweis mehr, wie nah die beiden Hauptschulen in den ältesten Anfängen aneinandergrenzten. Ein Votivgemählde im kleinen Verhältniß, welches aus München weggeführt worden; angeblich von van Eyck. Doch war mir die Angabe nicht beglaubigt genug; und wenn nicht historische Nachricht aller Ungewißheit ein Ende macht, so möchte ich zweifeln daß es von Eyck sey, weil die Gesichter durchaus nicht den Charakter haben, den ich auf andern Eyckschen Bildern sah, sondern mehr den der süddeutschen Länder. Uebrigens eins der merkwürdigsten Bilderchen, die man sehen kann. Die zierliche Ausführung des von allerlei Thierchen und lustwandelnden Figürchen belebten Gartens vorn, und weiter hinten der reich verzierten Landschaft, die zwischen einer herrlich geschmückten Architektur erblickt den Hintergrund bildet, gränzt in der That an das Wunderbare. Man kann viele Gemählde gesehen haben, und doch nichts ähnliches als diese kleine Welt in kleinster, fast mikroskopischer Miniatur. Und doch ist es nichts weniger als tändelnd oder kleinlich; nein, es setzt in Erstaunen, es ist vielleicht rührend aber durchaus ernst, ja in den Hauptfiguren des links betenden Donatarius und der rechts thronenden Mutter Gottes, der eine wunderbar reichgeflochtne Juweelenkrone von Engeln getragen über dem Haupte schwebt, ist dieser Charakter so vorherrschend, daß man den hohen Styl der Ältesten Meister der altdeutschen Schule hier durchaus nicht verkennen kann. Der Kopf des Donatarius ist gründlich ausgeführt, wie mans nur wünschen kann, aber so gründlich, daß selbst der beste Kopf von Holbein im Vergleich mit diesen noch leichtsinnig und oberflächlich gemahlt scheinen könnte; und alle die kleinen Figuren sind in ihrer Art eben so zierlich vollendet. Das Gesicht der Mutter Gottes ist in dem strengen Ideal, in den graden Verhältnissen des Eyck, aber anmuthiger, schöner, als mans wenigstens auf andern seinen Bildern sieht. Das Christkind trifft vorzüglich die oben gemachte Bemerkung der darin sich kund gebenden Nationalität. Es gleicht ganz dem auf einem altdeutschen Bilde etwas unter Lebensgröße, welches seit einiger Zeit ohne Nummer im langen Saale des Louvre ausgestellt war. Auch die Madonna, wiewohl etwas verschieden behandelt, zeigt unverkennbar die Manier desselben Mahlers an. Es stellt die Mutter Gottes auf einem Thron in der Mitte des Bildes dar; rechts steht ein heiliger Bischof, links wird der knieende Donatarius durch den heiligen Georg in voller Rüstung vorgestellt. Ein so redlich, so ritterlich lachendes Gesicht, als das des heiligen Georg, findet man wohl nirgend, als auf deutschen Bildern. Die mehr als Holbeinische Gründlichkeit in den Köpfen des Donatarius ist ganz wie auf dem kleinen Bilde; die Umgebung und Architektur noch alterthümlicher, die Kleiderpracht so unübertrefflich ausgeführt, wie auf allen alten Bildern dieser Schule. Von diesem Bilde kann ich noch weniger glauben, daß es von Eyck sey, nach dem zu urtheilen, was ich von diesem gesehen; aber es ist ein vortreffliches Bild aus dem hohen Styl der altdeutschen Schule.

Wäre mir unter allen Gemählden, die ich gesehen habe, einige wenige auszuwählen vergönnt, so würde jenes Bildchen wegen seiner hohen Vollendung und Zierlichkeit eins unter den wenigen seyn. Und doch wird es noch bei weitem übertroffen von einem kleinen Bilde des Altdorfer, mit Zoll und zwei Zoll hohen Figuren; soll ich es eine Landschaft nennen, ein historisches Gemählde oder ein Schlachtstück? Alles das ist nicht recht passend, es ist alles das zusammen und weit mehr; es ist ein Gemählde ganz neuer, ganz eigner Art, eine Gattung für sich, deren Begriff wir erst aufzustellen haben. Wie soll ich das Erstaunen beschreiben, das mich bei Erblickung dieses Wunderwerks ergriff? wie einem, der bisher nur die anmuthigen leichten Dichtungen der Italiäner gekannt, und nur das für Poesie gehalten hatte, und der nun mit einemmale mit unbefangenem Sinne alle Gestalten der Shakespearschen Zauberwelt vor seinen Augen sich entfalten sähe: grade so war mir. Doch dies bezeichnet nur die Fülle, den Reichthum und Tiefsinn der Altdorferschen Mahlerei oder Dichtung, nicht den ritterlichen Geist, welcher darin herrscht, so ganz darin herrscht, daß man es wohl ein Rittergemählde nennen könnte. Es stellt den Sieg Alexanders des Großen über den Darius dar, aber freilich nicht in der antikischen Manier und Nachahmerei, sondern, so wie in den Gedichten des Mittelalters, als das höchste Abentheuer alten Ritterthums. Das Costum ist durchaus deutsch und ritterlich; Mann und Roß in Panzer und Eisen, vergoldete oder gestickte Wappenröcke, die Stacheln an der Stirn der Rosse, die blinkenden Lanzen und Bügel, die Mannigfaltigkeit der Waffen, dies alles bildet eine unbeschreibliche Pracht und Fülle. Nirgends ist Blut und Ekel oder hin und wieder geworfne Glieder und Verzerrungen; nur im äußersten Vorgrunde, wenn man ihn sehr genau betrachtet, erblickt man unter den Füßen der von beiden Seiten grade auf einander einrennenden Ritterschaaren, und den Hufen ihrer Streitrosse, mehrere Reihen von Leichen dicht zusammenliegen, wie in einem Gewebe; gleichsam der Grundteppich zu dieser Welt von Krieg und Waffen, von glänzendem Eisen und noch hellerem Ruhm und Ritterthum. Eine Welt ist es in der That, eine kleine Welt auf wenigen Quadratfüßen; unzählich und unermeßlich sind die Heerschaaren, welche von allen Seiten gegeneinander strömen, und auch die Aussicht im Hintergrunde führt ins ganz Unermeßliche. Es ist das Weltmeer; mit einer historischen Unrichtigkeit wenn man will, die aber doch eine sehr bedeutende und wahre Allegorie enthält. Das Weltmeer also, hohe Felsenreihen, eine Klippeninsel dazwischen, ferne Kriegsschiffe und ganze Schaaren von Schiffen; links dann der untergehende Mond, rechts die aufgehende Sonne; ein eben so deutliches als großes Sinnbild der dargestellten Geschichte. Die Kriegsschaaren sind übrigens in Reih und Glied geordnet, ganz ohne alle die wunderbaren Stellungen und Gegensätze und Verzerrungen, welche man sonst in den sogenannten Schlachtstücken findet; wie wäre dies auch möglich bei dem unermeßlichen Reichthum von Figuren? Es ist das Grade, Strenge, oder wenn man will, das Steife des alten Styls. Charakter und Ausführung dagegen ist in den kleinen Figuren so wunderbar, daß ein Dürer sich derselben nicht zu schämen hätte. Ueberhaupt sey es ein für allemal bemerkt, daß die Gründlichkeit der Arbeit in diesem Gemählde, wiewohl dasselbe nicht wenig gelitten zu haben scheint, doch noch so ist, wie sie auf sonst guten Bildern der altitaliänischen Schule nie mit der Sorgfalt sich zeigt, und wie sie nur auf Bildern aus dem hohen Style der altdeutschen Schule gefunden wird. Und welche Mannichfaltigkeit, welcher Ausdruck nicht blos im Charakter der einzelnen Krieger, Ritter, sondern in den ganzen Schaaren selbst; hier ergießt sich eine Reihe von schwarzen Bogenschützen mit der Wuth eines schwellenden Stromes vom Berge herab, und immer andre und noch andre drängen sich nach; auf der andern Seite hoch oben am Felsen sieht man einen zerstreuten Haufen von schon fliehenden in einem Hohlwege umwenden; man sieht nichts von ihnen, als ihre Helme, die in der Sonne wiederscheinen; und doch ist alles selbst in dieser Ferne so deutlich. Die Entscheidung und der Brennpunkt des Ganzen tritt aus der Mitte weit glänzend hervor. Alexander und Darius, beide in ganz goldner Rüstung strahlend; Alexander auf dem Bucephalus mit eingelegter Lanze allen den seinigen weit zuvoreilend, und auf den fliehenden Darius eindringend, dessen Wagenführer schon auf die weißen Rosse gefallen ist, und der sich mit der Betrübniß eines besiegten Königs nach seinem Sieger umschaut. Man trete so weit von dem Bilde, das alles andre nicht mehr zu erkennen ist, so tritt diese Gruppe noch ganz deutlich hervor und ergreift das Gemüth mit der innigsten Rührung. Diese kleine Ilias in Farben könnte den denkenden und nach neuen und großen Gegenständen strebenden Mahler, der etwa den heiligen Kreis der katholischen Sinnbilder einmal zu verlassen und ein wahrhaft romantisches Gemählde hervorzubringen gedächte, in seiner Farbensprache belehren, was der Geist des Ritterthums sey und bedeute. In einem eben nicht schlechtem Style, aber freilich nicht mit dem hohen poetischen Geiste ist die Belagerung einer Stadt von Martin Fezele gemahlt. Besonders gefiel mir eine Gruppe von Rittern im äußersten Hintergrunde innen im Vorhofe der Burg, die sich in ganz schwarzer Rüstung mit hohen Helmbüschen gekleidet den Handschlag der Treue geben. So verbirgt der alte deutsche Künstler auch da noch sein fühlendes Gemüth, wo andre nur an Spielereien und Gegensätze denken, oder sich als im weniger Wesentlichen mit leichter Mühe abfinden.

Beide Gemählde sind der Angabe nach gleichfalls aus München weggeführt worden. Wenn es daselbst noch mehrere Bilder von diesem hohen Werthe giebt, so sollten deutsche Mahler dahin wallfarthen, wie nach Rom oder Paris. Man darf, – bei dieser Gelegenheit sey es gesagt, – überhaupt wohl nicht eher neue Hoffnungen für die Kunst in Deuschland hegen, als bis ein kunstliebender und deutsch gesinnter Fürst alle noch vorhandnen, zum Theil aber schon sehr zerstreuten Denkmahle des deutschen Kunstgeistes so viel als möglich in eine Sammlung altdeutscher Gemählde zu vereinigen suchen wird, wo denn die Wirkung der in einen Brennpunkt wieder vereinigten Strahlen des bis jetzt auch hierin zerstreuten deutschen Wirkens, unermeßlich verstärkt und verdoppelt, und gewiß eben so erstaunungswürdig und fruchtbar seyn würde, als nur immer die Anschauung der vereinigten italiänischen oder griechischen Kunstschätze seyn mag. Denn gewiß, und wir werden noch manchen Beweis davon anzuführen haben, die alten Deutschen waren nicht minder groß und erfinderisch in der Mahlerkunst; nur daß die Unwissenheit nicht davon unterrichtet ist, und leichte Nachahmungssucht es nicht erkennen will, in der eignen Geringschätzung auf eine sonderbare Weise ihren Dünkel suchend. Was hat diese Nachahmerei aber in allen Künsten irgend Gutes und Löbliches hervorgebracht? Nichts und durchaus gar Nichts, als ganz verkehrte oder ganz seichte nichtsnütze Dinge. Der Poesie kann man noch eher vergönnen ihre Phantasie in entfernte Regionen schwärmen zu lassen; doch muß sie jederzeit mit den fremden Schätzen bereichert wie zur Heimath zurückkehren zu dem, was für ihre Zeit, für ihre Nation einmal der höchste Brennpunkt des Gefühls und der Dichtung ist, sonst muß sie unvermeidlich kalt und kraftlos werden. Der Sinn aber vollends und sinnliche Kunst wird durch diese scheinbare Ausbildung ins Vielseitige, eigentlich aber ins Weite und Breite unvermeidlich ganz abgestumpft und verschwemmt. Der Sinn, und was er wirken soll, kann nur in bestimmter Beschränkung kräftig und eigen gedeihen und sich gestalten. Die Wahrheiten des Verstandes sind allgemein; die Einbildungskraft sucht in das unbestimmte Ferne zu schweben, der Sinn aber geht vielmehr darauf aus, das Einzelne und Nächste bis in seine letzte Tiefe und eigentliche Wurzel zu durchdringen und es dann im Bilde von neuem zu gebähren, so daß aus dem nun wiedergebohrnen und verklärten Abbilde des unerforschlichen Naturwesens zugleich das Räthsel unsers eignen Gefühls uns überraschend entgegen scheint und in unaussprechlichen Worten hervorbricht; und etwas Höheres als das eben Ausgesprochne kann die reinsinnliche Kunst nicht leisten. Sie geht aufs Einzelne und Nächste; das heißt, sie muß local seyn und national. Bis auf die neuesten Tage der Zerstörung und der Verwirrung hatte jede Nation der alten Zeit, so wie ihre bestimmte Physiognomie in Sitte und Lebensweise, Gefühl und Gestalt, so auch ihre eigne Musik, Baukunst und Bildnerei; und wie sollte es auch wohl anders seyn? man spricht zwar viel von einer allgemeinen Schönheit und Kunst, ohne alles Locale; doch bis jetzt, wie es scheint, ohne daß man eben einsähe, wo es damit eigentlich hinauswill, und ohne daß die bisherigen Versuche wenigstens sonderlich viel Gutes von diesem neuen Glauben erwarten ließen. In jener engen Beschränkung aber sind Griechen und Egyptier, Italiäner und Deutsche, groß gewesen in der Kunst, die überall gleich verlohren ging in den Zeiten, da Nachahmerei begann. Die mahlerische Schönheit insonderheit, welche die körperliche Form nur im Umriß errathen lassen kann, dafür aber das Eigenste und wahrhaft Geistige im Sinnlichen zu ergreifen und in ihrem Farbenspiegel magisch zu fixiren vermag, muß durchaus eine individuelle seyn im Idealischen; aber freilich individuell in größerer Dimension, objektiv individuell, wie dies bei dem wahrhaft Localen und Nationalen der Fall ist. Möchten also doch die Mahler den wohlbedachten Grundsatz des alten Dürer beherzigen und zu dem ihren machen, der da sagte: » ich will gar nicht antikisch mahlen, oder italisch, sondern ich will deutsch mahlen

In Brüssel.

Die seit dem 9ten Messidor im Jahre XI. daselbst ausgestellte Sammlung besteht theils aus Bildern, die dem oben erwähnten Decrete gemäß von dem Pariser Reichtbume hierher gesandt worden, theils aus solchen, die ursprünglich schon in der Provinz waren, besonders Alterthümer, die in der Revolution aus den Kirchen und Klöstern weggebracht seyn mochten, und die nun in jenem sehr schön aufgestellten und günstig beleuchteten Museum vereinigt worden sind. In den sechs ersten Sälen ist manches berühmte und auch wenigstens vergleichungsweise mit andern Kunstsammlungen des Ruhmes werthe Bild der spätern italiänischen oder niederländischen Schule zu finden. Wir erwähnen darunter vorzüglich einen guten Palma Vecchio, eine Kreuzesabnahme in kleinem Verhältniß; zwei heilige Familien nach Leonardo und Raphael copirt konnten freilich keinen ganz deutlichen Begriff von dem Geist der hohen Originale geben; das Bildniß einer Frau mit der Nelke in der Hand, wie man sagt der seinigen von Garofalo, ist allzusehr verdorben, aber auch ursprünglich ganz und gar nicht mit dem kühnen Geist, dem tiefen Gefühl und dem vollendeten Fleiß gearbeitet, wie das Bildniß dieses Mahlers von ihm selbst in der Pariser Sammlung, welches etwas unter Lebensgröße ist, dahingegen das Bildniß der Frau in Brüssel ganz in Lebensgröße ist. Doch, was uns vorzüglich beschäftigte, war der siebente Saal, welcher, einen großen Raphael ausgenommen, durchaus mit Alterthümern angefüllt ist, mit Werken aus der Schule des van Eyck, von einem Engelbrechtsen, Conirloo, van Orley, Corcie Schoreel, Heemskerke, oder von unbekannten Meistern zum Theil aus einer noch frühern Zeit. Eine Anschauung, die äußerst belehrend für die Kunstgeschichte ist, und einen ganz neuen, viel höhern Begriff von dem Reichthum und dem Charakter der alten niederländischen Schule giebt, als man ihn aus gewöhnlichen Kunstsammlungen, die keine solche Seltenheiten und Alterthümer besitzen, zu haben pflegt. Was man niederländischen Geschmack mit Beziehung auf die spätere Schule nennt, davon kommt hier auch nicht die mindeste Spur vor; von der Plattheit des Sinns, dem Streben nach tauschender Natürlichkeit, der manierirten Behandlung der Farben auf den bloßen Effekt. Der Styl ist im Ganzen durchaus einfach und edel; im Allgemeinen kann man wohl in allen die Schule des ernsten alten van Eyck spüren; doch freilich, nicht in allen seine Gründlichkeit der Behandlung. Auch finden sich, ungeachtet jener allgemeinen Übereinstimmung, noch manche sehr bedeutende Abweichungen. So sind mehrere dieser Gemählde so ganz und gar in Dürers Art gebildet, daß sie wohl als bestimmte Nachbildungen angesehen werden müssen, und ich habe in der Folge noch mehr Beweise gefunden, daß Dürer in den niederländischen und niederrheinischen Gegenden sehr häufig ist nachgeahmt worden. Von der Art ist die Anbetung der heil. drei Könige, nebst der Beschneidung und der Anbetung der Hirten auf den Seitenflügeln, von Joh. Schoreel Nro. 99. Da ich nun aber eben so unläugbare und häufige Beweise gefunden habe, daß auch schon vor Dürer in jenen Gegenden nicht selten in einer Art gemahlt worden ist, die der seinigen sich sehr annähert, so daß man auf unstreitig älteren Gemählden manche Figur findet, von der man schwören sollte, daß sie aus Dürers Schule sey; so könnte ein wunderbar vortreffliches Gemählde Nro. 155, den Judaskuß und die Auferstehung darstellend, das ich in einem der andern noch nicht allgemein geöffneten Säle der Brüsseler Sammlung sah, und welches im Catalog blos als Tableau tres ancien angegeben sieht, vielleicht wirklich aus der noch ältern Zeit seyn. Doch ist es so ganz und gar und in allen Dingen in Dürers Art, daß ichs gern gestehen will, es sey wahrscheinlich wirklich aus seiner Schule; übrigens ist es sehr tüchtig und wäre allenfalls Dürers selbst nicht unwürdig. In andern dieser altniederländischen Gemählden bemerkt man eine ganz bestimmte Annäherung an den italiänischen Styl; oder um genauer zu sprechen, ein Streben danach; es sey, daß dies durch Reisen und Anschauung oder blos durch den Einfluß von Zeichnungen hervorgebracht worden; dergleichen sind besonders Nro. 92 und 94 von Engelbrechtsen und Nro. 98 und 100 von Conirloo. Uebrigens sind diese Gemählde grade am wenigsten lobenswerth. Sonderbar ist es, daß diese italisirenden Niederländer gleich viel schlechter gemahlt haben; auch im Costum zeigt sich die Neigung zu unbestimmten, halb antikischen Gewändern statt der alten, mit dem zierlichsten Kunstfleiß vollendeten Kleiderpracht; ja in den Gesichtern sogar ist wegen der Mattigkeit, die doch idealisch seyn will, hie und da eine sonderbare Ähnlichkeit mit den besten Mahlern der französischen Schule. Andre alte Niederländer freilich, die Italien kannten, und vielleicht grade die, welche es am besten kannten, blieben dem deutschen Style getreu, und nur an der größern Freiheit ihrer Behandlungsart wird man den weitern Umfang ihrer Ausbildung gewahr. Einen vollgültigen Beweis für diese Bemerkung gewährt ein Votivgemählde von Bernard von Orley, Nro. 96, Kniestück in drey Abtheilungen. Oben Christi Leichnam von den heiligen Frauen und Freunden getragen und umgeben; ganz auffallend in der Manier des Lukas von Leyden, jedoch edler. Die Familie des Donators aber unten in zwei Abtheilungen, links die Männer von einem Apostel, die Frauen und Mädchen von der heil. Margaretha dargestellt, ist in einem ganz andern Style gemahlt, die objektive Gründlichkeit in den Köpfen der Alten, so wie die weiche Farbenbehandlung in dem äußerst Anmuthigen zweier jungen Mädchen erinnern an Holbein. Ueberhaupt gab es in der altniederländischen Schule noch mehr Varietäten und Verschiedenheiten der Manier, als man gemeiniglich denkt. Die italisirende und die dem Dürer sich annähernde ist so eben charakterisirt. Wie verschieden davon und ganz für sich bestehend ist nun noch Lukas von Leyden? Allerdings ein origineller Künstler, der insofern Aufmerksamkeit verdient. Doch liebe ich ihn nicht sehr wegen der häusigen Verrenkungen in Form und Stellung, und wegen des Affectirten; keiner unter den Alten ist in so hohem Grade manierirt, ja hie und da hat er wohl schon Annäherungen zu der spätern niederländischen Gemeinheit. Zwei vollständige, sehr gut erhaltne Altarbilder des Lukas von Leyden, die ich in der Sammlung des Herrn Lieversberg zu Kölln sah, gaben mir einen höhern Begriff von diesem Meister, als ich aus der großen Kreuzesabnahme und der Herodias zu Paris geschöpft hatte. Das eine jener beiden Bilder ist Christus am Kreuz; zur Seite rechts die heil. Agnes und Alexius, links Johannes der Täufer und die heil. Cäcilia. Auf dem Mittelbilde hält Magdalena den Fuß des Kreuzes recht schön umschlungen; zur Seite steht der heil. Hieronymus in Kardinalstracht mit seinem Löwen. Das andre Bild stellt Christus in den Wolken dar, welchem Thomas die Finger in die Wunden legt, von manchem Heiligen umgeben; auf dem einen Flügel Hyppolitus und Afra; die Landschaft ist hier besonders schön und heiter mir hellen, blauen Bergen im Hintergründe, wie auf dem schönsten altvenezianischen Bildern. Ueberhaupt mag wohl, wenn ich meinem Urtheil trauen darf, Lukas von Leyden die Bilder der alten Venezianer eben so bestimmt vor Augen gehabt haben, als in einer spätern Zeit und schlechtern Art Rubens in seiner Farbenverschwendung und in seinem Streben nach poetischer Kühnheit und Reichthum dem genialischen Julio Romano mehr als jedem andern hat nachahmen wollen. Der schon früher erwähnte Hemmelingk steht auch ganz für sich; denn er hat wohl das Rührende und Deutsche von Dürer, aber doch nichts von seiner Caricatur, nichts von seinen andern Eigenthümlichkeiten. Auch Messys, von dem einige gute Bilder in Paris sind, ist in seiner Art originell; freilich eine beschränkte Art auch in dem etwas ziegelbraunen Farbenton; es ist in allen Gesichtern fast nur eines herrschend und immer wieder erkennbar; wie es sich manchmal findet, wo wir in allen Gebilden eines Künstlers immer nur ihn selbst oder den Gegenstand seiner Liebe in etwas veränderten Ausdrücken wiederfinden. Der innige Ausdruck frommer Redlichkeit aber, der Fleiß der Ausführung beim Messys, flößt Wohlgefallen und Achtung ein. So wie es auch unter den Dichtern blos subjektive Gefühlsdichter giebt von eng beschränkter Natur, und wieder objektive Charakterdichter von umfassendem Geiste, so darf auch in der Mahlerkunst nicht jeder ein Holbein, ein Raphael, ein Dürer seyn; auch der Beschränktere, ist nur sein Gefühl innig, seine Ausführung fleißig, ist ein schönes und nothwendiges Glied in dem Ganzen der Kunst, wo wie in einem Gottesgarten alles zusammen blühen und gedeihen soll, das Mächtigste neben dem Beschränkten in friedlicher Eintracht.

Nach dieser Abschweifung kehren wir zurück zu den Bildern in Brüssel, unter denen mir keine merkwürdiger waren, als zwei sehr alte von unbekanntem Meister Nro. 153 und 154 in den noch nicht geöffneten Sälen; in Proportion, doch sind die Figuren größer, als es bei altitaliänischen Bildern von der Classe zu seyn pflegt, und dasselbe gilt auch von sehr vielen altniederländischen und altdeutschen Bildern, die wir noch werden anzuführen haben. Die Gegenstände sind die Geißelung Christi und die Himmelfarth; wollte man in Ermangelung historischer Nachweisungen nach dem Styl eine Vermuthung wagen, so darf man allenfalls behaupten, sie müssen zum mindesten um ein Jahrhundert älter seyn als Eyck, wahrscheinlich sind sie aber noch weit älter. Die Schönheit der Köpfe übrigens, die Kraft des Ausdrucks, Pracht der Farben und zierliche Vollendung der Gewänder ist so auffallend und einleuchtend gut, daß selbst der in der modernen Kunst Befangne ihnen das höchste Lob nicht leicht versagen wird, und daß sie dem besten von Eyck in diesen Rücksichten eher vorzuziehen als nachzustellen wären. Sie sind auf Goldgrund, in der einfachsten gradesten Anordnung; auf der Himmelfarth sind nur die Füße des Vergötterten durch eine Oeffnuug des Himmels noch sichtbar, der Leib ist unsichtbar; auf den allerältesten Gemählden wird dies jedesmal so dargestellt. Die Mutter Gottes ist hier besonders schön, und so wird auch jedermann viele der Köpfe der Apostel leicht vortreflich finden. Die ganze Art schließt sich ganz nah an die ältesten italiänischen Gemählde, die noch im griechischen Styl sind; und doch ist auch das Altdeutsche darin unverkennbar. In den seltsam prächtigen und farbenreichen Kleidungen zeigt sich schon die Anlage zu dem, was späterhin in der Dürerschen Schule sich weiter entfaltete, nur ist alles noch einfacher und das Bizarre nicht so absichtlich und nicht so gehäuft, auch der Tyrann auf der Geißelung erinnert durch diesen Ausdruck der Bosheit an Dürer, doch ist der Charakter schlichter und nicht so Caricatur. So wie also späterhin Dürer häufig von den bessern Niederländern ist benutzt worden, so scheint auch er aus den ältesten niederländischen Bildern nicht wenig gelernt und entlehnt zu haben. Wer Gelegenheit hat diese beiden Bilder zu sehen, versäume es ja nicht; es ist eine wahre Grundanschauung für den alten Styl der deutschen Schule in den niederländischen und niederrheinischen Gegenden; unter alten Bildern werden wir künftig solche verstehen, die entschieden alter sind als van Eyck.

Das Hauptbild in dem Saale der Alterthümer zu Brüssel ist ein großes Altarstück von Raphael in Lebensgröße, von Paris hierher gesandt, weil es einiger Restauration bedürftig, und ohnehin als nicht ganz ausgewählt und aus der ersten Manier des Raphael, wie man es zu nennen pflegt, bei Franzosen weniger gelten mag. Es ist eine sogenannte himmlische Conversation; die Mutter Gottes auf einem einfachen Thron von vier Heiligen umgeben, unten zwei Engel, die von einem Notenblatt singen. Die Leser der Propyläen werden sich erinnern, welche wichtige Stelle dies Gemählde in der Reihe der bedeutenden und entscheidenden Werke des reichsten Genius, nach dem Urtheil jenes Kunstverständigen, einnimmt. Es ist aus der Zeit, wo Raphael noch nicht sich selbst durch die Antike und durch Michel Angelo war untreu gemacht worden; doch hat es alle die Kraft des Ausdrucks, die Wärme und Fülle der Behandlung, die man in manchen seiner ersten Bilder vermissen mag. Aus wenigen Bildern spricht uns so ganz Raphael selbst an, so deutlich, so durchaus rein von allen fremden Einmischungen. Die himmlischen Knaben, die nackend so recht kindlich dastehen wird jeder gern zu dem lieblichsten rechnen, was man sehen kann, und worin Raphael einzig geblieben ist. Aber auch der als Pilger rauh gekleidete Jakobus auf seinen mächtigen Stab sich stützend, der aus den hohen Augen des kraftvoll bärtigen Haupts mit treuherziger Liebe auf das Christkind schaut, ist eine herrliche Figur; desgleichen der heilige Bruno, eins der sprechendsten, feinsten italianischen Gesichter, die Raphael gewählt hat. Die Mutter Gottes ist von der mittlern Art der Raphaelischen. Was aber noch am meisten an dem Bilde zu loben ist, ist die herrliche Einheit des Ganzen. Von den unzähligen Bildern, welche denselben Gegenstand darstellen, ist vielleicht dies das einzige, wo der eigentliche Sinn desselben grade getroffen, die Aufgabe, wenn man so sagen darf, wirklich ganz gelößt ist. Hier sind die umgebenden Begleiter nicht müßige Figuren, willkührlich und bedeutungslos neben einander gestellt, höchstens in blos wählerischen Gegensätzen des Ausdrucks und der Stellung. Nein, das Ganze ist wirklich ein Ganzes, alle Personen nothwendig in demselben, weil sie alle, bedeutend und innig unter sich verbunden durch die Richtung ihrer Minen, im wirklichen Gespräch der Andacht verschlungen erscheinen, in dessen hohem Sinn der zu dem frommen Beschauer gewendete Bruno diesen gleichsam einzuführen sich erbietet. Das ist eine wahrhaft große Composition, wo alles schlicht und einfach, und doch alles bedeutend und grade das rechte ist. In dieser Rücksicht könnte man etwa nur den alten Correggio zu Dresden mit der heiligen Katharina, Franziskus und Johannes den Täufer vorziehen oder neben dieses Raphaelische Bild stellen, das unstreitig eins der schönsten und lobenswerthesten dieses Meisters ist.

In Düsseldorf.

Der Reichthum dieser bekannten Sammlung an berühmten Werken und Meistern der neuem Zeit, vorzüglich der niederländischen Schule, ist hinreichend von andern beschrieben worden, so daß wir uns nur auf das allein beschränken dürfen, waS für unsern Gesichtspunkt das wichtigste ist. Ein Bild in kleinem Verhältniß von Dürer, ein sehr zusammengesetztes Märterthum vieler Figuren darstellend, wo er selbst mit Pirkheimer in der Mitte steht, ist wohl durchaus nur als Skizze zu beurtheilen; die Composttion ist so reich, so ausdrucksvoll bedeutend, geordnet und tiefsinnig, als sich erwarten läßt; die Ausführung ist aber durchaus nicht so gründlich vollendet, als man es von diesem Meister gewohnt ist. Unter den bessern Bildern der alten Italiäner befindet sich eine schöne Anbetung der Hirten von dem Venezianer Bordone, ganz auffallend ähnlich dem früher erwähnten Palma Vecchio, desselben Inhalts zu Paris. Was von Andrea del Sarto gezeigt wird, gehört nicht grade zu dem vorzüglichsten dieses Meisters. Ein Eccehomo von Correggio, äußerst blutrünstig und erbärmlich, nicht ohne Fleiß gemahlt, aber doch sehr flau, erregt fast Zweifel. Eine ganz kleine heilige Familie von Michel Angelo aber hat ganz den Charakter, wie andre unbezweifelt ächte kleine Oelgemählde desselben Meisters. Die Zeichnung kann wohl nur von ihm seyn; der Ausdruck der Größe in den Zügen und Mienen ist ganz Caricatur und höchst affectirt. Allgemein gerühmt und bewundert ist der heilige Johannes von Raphael. Es gefällt wohl vorzüglich, weil es aus der Zeit des Raphael ist, da er sich eben ganz auf dem Abwege der antikischen Nachahmern befand. Der Johannes ist dem Apollo so verähnlicht, daß er allenfalls mit veränderten Attributen dafür gelten könnte. Es ist ein sehr kaltes Bild, trotz der gelehrten Verkürzungen; Form und Gedanke, wenn sie, wie ichs glauben möchte, ganz von Raphael sind, liegen weiter von der ursprünglichen wahren Richtung seines schönen und frommen Geistes ab, als irgend eine andre seiner Hervorbringungen. Am meisten Aehnlichkeit hat es etwa noch mit dem Engel Michael zu Paris, aber wie viel gelungner ist der, und wie wenig affectirt und kalt trotz des Gelehrten! Die Farbenbehandlung des Johannes ist aber ganz anders; freilich hat es sehr nachgeschwärzt, doch muß auch ursprünglich das Helldunkel und seine Gegensätze und Verschmelzungen mehr darin gesucht worden seyn, als in irgend einem andern Raphaelischen Gemählde. Von dieser Seite steht es ganz allein, und es wäre erst zu charakterisiren, wie es sich zu andern Bildern Raphaels verhält, die denselben Gegenstand mit geringerer Variation darstellen und in Italien befindlich seyn sollen, ehe man bestimmen könnte, von welchem Schüler Raphaels die Mahlerei etwa größtentheils herrühren möchte. Ungleich vorzüglicher und wichtiger ist eine heilige Familie Raphaels aus seiner ersten Manier, wie man es zu nennen, und dadurch oft grade seine schönsten und gelungensten mit einem halb verbißnen Tadel zu bezeichnen pflegt. An diesem Bilde ist zu loben das Lichte und Heitre im kraftvollsten Farbenaccord des Grünen, Rothen und Hellen; vor allem aber das Einfache, Große und Symbolische der ganz pyramidalischen Anordnung, deren Gipfel und Hintergrund zugleich der auf seinen Stab sich tüchtig stützende Joseph bildet. Man kann von diesem Bilde sagen, was von dem zu Brüssel; es ist ganz was es seyn soll, es giebt unzählich viele heilige Familien von den verschiedensten Mahlern, schätzbar durch mannichfache einzelne Schönheiten, und reicher vielleicht an solchen, als das gegenwartige sehr einfache Bild; aber hier ist grade der eigentliche Sinn und die rechte Bedeutung einer solchen Vorstellung getroffen, gleichsam das Wort des Räthsels ohne alle Anmaßung ausgesprochen.

Was die übrigen Bilder betrift, so kann die Susanna von Domenichino wohl unter seine guten gerechnet werden. Der Saal des Rubens muß jedermann auffallen und überraschen; den Rubens muß man in der That nur hier kennen lernen, und übrigens ist etwa die Himmelfarth Maria von Guido das merkwürdigste. Doch ist dies nicht so kräftig als die Fortuna zu Paris und die Magdalena in der Lucianischen Sammlung. Man sieht hier gleichsam die beiden Extreme des verirrten Talents, des falschen Kunststrebens beisammen. Rubens und Guido, manierirter Effect, und das leere kalte Ideal. Man wird sich vielleicht wundern, daß ich auch das Ideal unter die falschen Principien der verirrten Kunst setze; aber so wie man dieses Wort, das ursprünglich einen guten, reellen Sinn gehabt haben mag, gegenwärtig nimmt, ist es auch etwas durchaus Falsches. Man sucht es nur in den äußern Formen und sieht diese als das Eiste und Letzte an; da doch die Bedeutung des Ganzen, der alle einzelne Formen nur dienen und sie mit ausdrücken sollen, allein das Ziel des Ganzen seyn kann. Sodann sucht man das Ideal in der Mahlerei, wie auch wohl in andern Künsten und Geistesschöpfungen, nicht in jener mysteriösen Vereinigung entgegengesetzter Elemente, nicht in jener absichtlichen Abweichung von dem blos richtigen Naturverhältniß um der höhern Bedeutung des Göttlichen willen, die wohl Winkelmann und andre, die zuerst vom Ideal sprachen, gemeint haben mögen, sondern in einem bedeutungslosen Mittel, das, zwischen allen Extremen durchschlüpfend, nur das Unedle sorgfältigst zu vermeiden bemüht ist. ES giebt, wie in allen Wirkungsarten, so auch in der Kunst, eine volle und eine leere Mitte; die volle Mitte ist die, wo widersprechende Kräfte sich bis zur Sättigung durchdringen, und da wird immer auch ein neues Lebendiges hervorgehen; von dieser gilt es, daß die Wahrheit nicht nur, sondern auch die Schönheit selber in der Mitte liegen. Die andre Mitte aber ist unfruchtbar, leer und durchaus negativ, und das ist es, was man jetzt Ideal nennt, und darüber gar nicht mehr an das höhere Symbolische, an die Andeutung des Göttlichen in einem Ganzen denkt. Nur darnach strebte Guido, wo er mehr als reizend seyn will, und auch die besten Meister der französischen Schule nach nichts anderm. Rubens, ja Rembrandt, möchten darin immer noch einen höhern Rang als die Franzosen behaupten, daß sie wenigstens einen kräftigen Irrthum zeigen; es ist die manierirteste Manier, wenn man will, aber doch noch ein origineller Mißbrauch der Farbe und des eignen unverkennbaren Talents. Die neueste französische Schule scheint beide Grundirrthümer verbinden zu wollen; das leere falsche Ideal in antikischer Nachahmerei und den grellsten Effekt. Freilich ist dieser Effekt, dieses Frappante nicht mehr wählerisch, sondem gradezu theatralisch, von ihrer so grenzenlos und bis zur Fratze utrirten, höchst subjektiven Schauspielerei ganz treu copirt. Doch ist es wenigstens ein bestimmter Effekt, daher denn solche Produkte immer noch mehr Charakter haben, als manche der neuesten Deutschen.

In Kölln.

Wir erwähnen zuvörderst eines schon früher angedeuteten Bildes, der heiligen Margaretha von Raphael, im Besitz des Herrn Mahler Hoffmanns. Es war dieselbe ehedem in derselben, in der Kunstgeschichte nicht unbekannten, Jabachschen Sammlung, aus welcher auch das Pariser Bild in die ehemalige königliche Sammlung gekommen ist. Mag nun dieses auch ursprünglich das Original gewesen seyn, jenes aber nur eine alle, unter den Augen des Meisters verfertigte Copie; gegenwärtig ist das Pariser Bild so verdorben, daß es auch nicht einmal möglich seyn dürfte, diese Frage aus der Anschauung allein, ohne historische Nachweisungen zu entscheiden; so ganz verdorben, daß das hiesige ohne alles Bedenken vorzuziehen und als das einzige noch übrige Eremplar dieses so unvergleichlich schönen Bildes zu betrachten ist. Es müßten denn etwa in Italien noch andre Darstellungen grade desselben Gegenstandes sich finden; die Raphaelsche Margaretha zu Wien ist verschieden behandelt. Von welchem der Schüler Raphaels die hiesige nun aber gemahlt sey, und ob vielleicht der Kopf von dem Meister selber seyn könne, überlassen wir solchen zu entscheiden, die nach einem langen Aufenthalte in Italien als praktische Künstler darüber ein kompetenteres Urtheil haben können. Man kann es wohl mir dem Engel Michael des Raphael vergleichen; es ist eben so groß und edel gedacht, doch ist der Sieg über das Schlechte und häßlich Ungeheure hier leichter und aumuthsvoller. Es ist hier nicht die Tugendkraft des überwindenden Helden, sondern es ist der unbewußte Sieg der schuldlosen Liebe und heitern Schönheit, zu deren Füßen das Niedrige von selbst er, stirbt. Das Göttliche der Stellung, wie die Heilige in ihrer Rechten die Palme haltend über dem Ungeheuer, das ihr Fuß, ohne daß sie auch nur nach ihm niederschaut, vernichtet, grade aus dem Bilde heraustritt, ist auch in dem Kupferstiche erkennbar; das heitre Gesicht der Heldin ist eine hohe, aber individuelle Schönheit und Anmuth, das Göttliche blickt vorzüglich aus den hellen, offnen Augen und dem himmlischen Lächeln des Mundes.

In derselben Sammlung sah ich einige heilige Figuren, ehemals Seitenstücke zu einem Altarbilde von Dürer, sehr charaktervoll und gründlich ausgeführt, auf Goldgrund. Man hat die Vorliebe für diese in der ältern Zeit allgemeine Art in diesen Gegenden weit länger beibehalten als in Italien nicht nur, sondern selbst als in dem südlichen Deutschlande. Man möchte also vermuthen, daß diese Bilder für eine hiesige Kirche bei Dürer während seiner Reise seyen gemahlt oder bestellt worden. Doch gewähren Bilder mit einem landschaftlichen Hintergrunde ihm grade mehr Spielraum, den ganzen Reichthum seines erfinderischen Tiefsinns zu entfalten. Doch wir haben noch andre ungleich wichtigere Bilder zu erwähnen.

Die alte Stadt Kölln, die unter ihren ehemals mehr als hundert Kirchen, die größere Anzahl beinah, als bedeutende und wichtige Denkmahle und Kunstwerke der höhern Architektur anführen darf, so daß an diesen allein sich wohl eine vollständige Geschichte der gothischen Baukunst entwickeln ließe nach allen ihren Verschiedenheiten und Veränderungen von den ältesten Zeiten an bis zu jener höchsten Vollendung des architektonischen Styls, den man am hiesigen Dome bewundern muß; die Stadt Kölln ist, trotz aller Zerstörungen und Dislokationen, welche der Krieg, und alles, was darin, besonders Kirchen und Klöster, erleiden mußten, mit sich geführt hat, auch jetzt noch an alten Gemählden vielleicht nicht minder reich, als sie dem Kenner alter Bamunst merkwürdig seyn muß.

Und diese Gemählde sind altdeutsche Gemählde, eine eigne für sich bestehende Schule, reicher, umfassender, als es vielleicht je eine im südlichen Deutschlande gab; eine Schule, welche zugleich die innige Verbindung und Identität der altdeutschen und altniederländischen Mahlerei augenscheinlich beweist. Hier findet man Bilder, welche man den besten Holbein's an die Seite setzen darf, andre in Dürers Art, und wieder andre aus der Schule des van Eyck; dann viele andre, welche weit älter sind als alle diese Meister, eine Menge Verschiedenheiten, die zum Theil das beste jener drei großen Väter oder Epochen der deutschen Schule in sich vereinigen, oder doch die Familienähnlichkeit mit diesem oder jenem nicht verkennen lassen, wenn gleich sie auch ihr Abweichendes und Eigenes haben. Ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte, daß ich unter denen ältesten Bildern eines unbestimmten Alterthums, die ich nur bis jetzt gesehen habe, wohl an zwölf durchaus verschiedene Manieren als so vieler ausgezeichneten Meister ganz bestimmt unterschieden habe.

Der alte Kunstsinn scheint sich hier länger erhalten zu haben, als irgendwo sonst; die meisten dieser Bilder selbst aus schon spätern Zeiten sind auf Goldgrund, auf Holz gemahlt; bisweilen ist auf das Holz eine Leinwand geleimt, und auf diese wieder ein Gipsgrund getragen, welches die Farben besonders dauerhaft erhält; die Farbenpracht ist fast in allen bewundrungswürdig; daß Blau durchaus ultramarin und auch andre Farben, nach Verhältniß die köstlichsten und glänzendsten.

Die meisten dieser Gemählde sind jetzt freilich zerstreut oder nur in Privatsammlungen aufgestellt, deren es hier mehrere in ganz verschiednen Fachern bedeutende giebt. Die instructivste unter diesen für Kunstgeschichte wird wohl die Sammlung des gelehrten Canonicus Wallraf seyn, wenn sie erst geordnet worden; denn dieser Mann, der alle diese Dinge zum besondern Gegenstande seiner Nachforschungen gemacht hat, ist besonders darauf ausgegangen, eine vollständige Seite der köllnischen Schule aufzustellen von den ältesten Zeiten durch van Eyck's Schule, Dürers Art, Holbein und dann Hans van Achen bis auf die späte Zeit, da die köllnischen Mahler nach Rubens und van Dyk sich bildeten.

Von dem ganzen Reichthume dieser höchst merkwürdigen Kunstalterthümer soll eine möglich vollständige Nachricht in der Folge gegeben werden. Für jetzt wählen wir nur drei Bilder verschiedener Art aus, um wenigstens einen vorläufigen Begriff zu geben.

Die Krone von allen ist ein großes Bild in drei Abtheilungen, sehr reich an Figuren in voller Lebensgröße, auf Goldgrund, welches ehedem in der Capelle des Rathhauses befindlich war. Das Mittelstück stellt die Anbetung der heiligen drei Könige dar, auf dem Seitenflügel rechts der heilige Geryon und seine Kriegsgesellen, auf dem linken die heilige Ursula nebst ihren Jungfrauen und dem heiligen Aetherius ihren Geliebten, im Hintergrunde die Bischöfe St. Kunibertus und St. Severinus; es war unstreitig die Aufgabe und Absicht die Schutzpatrone der Stadt vereinigt vorzustellen. Dieses Bild ist einzig in seiner Art, wie auch der unvollendete Dom zu Kölln unter den gothischen Gebäuden einzig ist, mehr noch wegen der hohen einfachen Schönheit des Styls als wegen der Größe der Anlage. Manche haben bei diesen Bildern auf Dürer gerathen; und gewiß, einige von den Nebenfiguren unter den Begleitern der Magier könnten in ihrer etwas bizarren Tracht, Stellung und Gestalt wohl allenfalls von jenem Meister gemacht zu seyn scheinen; die frische, weiche und kraftvolle Carnazion in den Köpfen aber erinnert weit mehr an Holbein, der dichte dunkelgrüne Vorgrund, aus Kräutern gleichförmig wie ein Teppich gewebt mit einzelnen eingestreuten Blümchen und Feldfrüchten, ist wie auf den Eyckschen Bildern, und so auch das Grade und Ernste der Gestalten und Gesichter ist mehr in dieser Art. Von diesem Bilde ganz besonders war es gemeint, was ich vorhin von der Vereinigung der bedeutendsten Vorzüge aller jener drei deutschen Meister in einem Bilde sagte, welche Vorzüge übrigens keinesweges so miteinander streiten, als die Manieren der heterogensten italiänischen Mahler, die man wohl sonst nach den langen Kunstrecepten des Mengs in einem wahrhaft klassischen und korrekten Gemähide vereinigen zu müssen glaubte. – Ein wunderbarer Fleiß der Ausführung und die strahlende Farbenpracht sind in diesem Bilde, wie es auch auf den besten altdeutschen in dem Gradfast nicht gefunden wird; man sieht, daß jene Zeit das Köstlichste und das Höchste in diesem Bilde aufbieten wollte, was sie vermochte, es ist mit größter Liebe vollendet. Aber es ist auch entworfen im Geist und unter der Begünstigung der göttlichen Liebe, es ist noch etwas darin, was man in den Gemählden jener drei Künstler doch noch nicht fühlt; die Blüthe der Anmuth ist diesem beglückten Meister erschienen, er hat das Auge der Schönheit gesehen, und von ihrem Hauch sind alle seine Bildungen übergossen. So allein, wie Raphael, der Mahler der Lieblichkeit, unter den Italiänern steht, so einzig ist dieser unter den Deutschen. Die Mutter Gottes mitten auf dem Throne sitzend, von einem langen, dunkelblauen, mit Hermelin gefütterten Mantel umflossen, wird wohl jedem, der sie gesehen, an die Raphaelsche Madonna in Dresden erinnern müssen, durch die königliche Hoheit der etwas mehr als lebensgroßen Gestalt, und durch die ganz überirrdische idealische Schönheit des Gesichts. Doch ist die Neigung des Hauptes und des Auges der alten Idee getreuer. Auch die Hände, die auf ganz alten Bildern oft etwas schwach erscheinen, sind, wie sie nur bei den besten Mahlern gefunden werden. Anordnung und Ausdruck werden selbst Künstler der jetzigen Zeit vortrefflich finden müssen. In Rücksicht des Reichthums an so ausdrucksvollen und doch so vollendet ausgearbeitet großen Köpfen könnte man dies Gemählde wohl mit keinem andern vergleichen, als etwa mit der Transfiguration von Raphael. Herrlich treten die Figuren hervor, besonders in den Seitengruppen, wo der Vorgrund etwas heller ist; die Hauptfiguren der beiden Märtyrer, der heilige Geryon in voller Rüstung, jedoch ohne Helm, und die schöne Ursula mit dem Pfeile in der Hand neben dem geliebten Jüngling, der sie mit zärtlicher Bekümmerniß anschaut. Wie schön und gefühlt ist die Art wie diese ausgezeichnet, und ihr Märterthum in der rührenden Stellung und dem blassen Gesicht grade nur so viel angedeutet ist, um die freudige Hoheit des Hauptstückes durch diese wehniüthige Umgebung in ein noch innigeres sanftes Liebesgefühl zu verschmelzen. Doch wie ließen sich alle Schönheiten dieses Gemähldes aufzähleoder auch nur die Umrisse der Anordnung und des Gedankens einigermaßen befriedigend beschreiben? In einem Werke, wie dieses, liegt die ganze Kunst beschlossen; und etwas Vollkommneres, von Menschenhänden gemacht, kann man nicht sehen.

Und der Name dieses glücklichen Meisters ist unbekannt! So war es die Art jener altdeutschen Zeit; weiß man ja doch auch den Namen des Mannes nicht, der das Wunderwerk des Domes entwarf; denn nicht die Eitelkeit trieb jene Alten, sondern die Liebe zum Werk. Aber die Nachwelt hätte nicht so undankbar und vergeßlich seyn sollen. Ein Freund von mir ist so glücklich gewesen einige kleinere Bilder an sich zu bringen, die offenbar von demselben Meister herrühren; sehr viele der Köpfe sind von diesem früheren Versuch auf das große Bild genau übertragen, aber freilich mit den größern Dimensionen, auch reicher entwickelt und noch sorgfältiger ausgeführt. Doch beseelt dieselbe liebevolle Anmuth auch diese kleinern Bilder, die jeder, der das Große gesehen, mit der innigsten Theilnahme beschauen muß, und die schon an sich zu den sehr ausgezeichneten gehören. Vielleicht kann dies auf eine weitre Spur über den Urheber führen. Doch ist dazu wenig Hoffnung, denn das Zunftbuch der köllnischea Mahler, welches noch am ersten Aufschluß geben könnte, ist seit geraumer Zeit verloren. Alle jene vortreffliche Künstler, die eine solche Fülle der mannichfachsten Bilder hervorgebracht haben, waren nämlich nichts mehr als bescheidne Genossen der Mahlergilde einer einzigen deutschen Stadt; mit welcher Mahlergilde auch die Glasmacher und Sticker zu einer Zunft vereinigt waren wegen des allgemeinen Gebrauchs prachtvoller wählerischer Darstellungen auf Teppichen und Festgewandern, wie auf Glas. Solche Thatsachen können einigen Begriff geben von dem, was Deutschland ehedem war, wenn der Anblick dessen, was es jetzt ist, uns selbst von der Erinnerung des Grossen immer mehr zu entfernen droht.

Jenes Gemählde gehört der Zeit des vollendeten Styls an. Eine Suite von acht Bildern bei Herrn Lieversberg. im kleinen Verhältniß, wo jedoch die Figuren über einen bis anderthalb Fuß lang sind (so wie auf den beiden ganz alten Bildern in Brüssel, mit welchen sie überhaupt eine starke Ähnlichkeit haben,) gehört wohl in ungleich ältere Zeiten, wiewohl auch von diesen der Meister unbekannt ist. Sollte aber jemand Zweifel hegen gegen diese Ankündigung und Behauptung einer so sehr alten köllnischen Schule deutscher Mahlerei, so können wir dafür einen sehr vollgültigen und zwar gleichzeitigen Gewährsmann aus der schwäbischen Periode anführen. Es ist kein andrer, als der größte Dichter, den Deutschland jemals gehabt hat; doch unter dieser Bezeichnung möchten ihn nur wenige erkennen in dem Zeitalter des Undanks und der Vergessenheit altdeutschen Ruhms. Es ist Wolfram von Eschilbach, in dessen Parcival, Vers 4705 der Myllerschen Ausgabe, da von der bezaubernden Schönheit eines Ritters die Rede ist, heißt es:

»Von Köllne noch von Mastricht
Nicht ein Schildrer entwurf ihn baß.«

Das Gedicht ist aus dem ersten Anfange des dreizehnten Jahrhunderts, und die Handschrift selbst nach Bodmers Urtheil nicht viel jünger. Diese Stelle beweist, daß eine köllnische Schule der Mahlerei fast zwei Jahrhunderte vor Johann van Eyck schon ganz allgemein berühmt war, so daß der Dichter sie vorzugsweise als Beispiel nennen konnte, und zwar ein Dichter, der im südlichen Deutschlande, also in ziemlich weiter Entfernung von jenen Städten einheimisch und wohnhaft war.

Die Gegenstände jener Suite bei Herrn Lieversberg sind die Einsetzung des Abendmahls, die Gefangennehmung Christi am Oelberge, die Verspottung nebst der Geisselung im Hintergrunde; die Darstellung vor Pontius Pilatus, der Hingang zum Kreuz, die Kreuzigung, die Abnahme vom Kreuz und die Auferstehung. Die Bilder sind auf Goldgrund gemahlt, doch ist auf mehreren eine Landschaft im frischesten Grün vor dem Goldgrunde angebracht, und überhaupt in der übrigen Farbenpracht das hellglänzendste Grün besonders herrschend. Es gehören diese Bilder unter die schönsten Alterthümer. Die Pracht der Farben und bedeutender Gewänder, so wie die Sauberkeit der unbeschreiblich fleißigen Ausführung ist vortreflich, doch sieht man das auch auf andern guten altdeutschen Bildern. Unvergleichlich aber ist die Kraft und der Reichthum des Ausdrucks in den Köpfen; ich würde nicht anstehen, dem Bilde von der Verspottung und Dornenkrönung des Heilandes, in Rücksicht des so mannichfachen Ausdrucks der Bosheit, Rohheit und Stupidität selbst vor Dürer den Vorzug zu geben, der doch grade diesen Gegenstand so oft und so gründlich durchgearbeitet hat. Aber auch im Edlen war der Künstler nicht weniger ausdrucksvoll, wie besonders die Köpfe der Apostel auf der Einsetzung des Abendmahls, unter denen ganz bewundernswürdige sind, beweisen mögen. Der Johannes auf diesem Bilde soll unter dem Arm des Heilandes über seinen Schooß auf dem Tisch ruhen; diese äußerst seltsame Verkürzung ist dem Mahler eigentlich mißlungen, welches man als einen Beweis mehr für das Alterthum des Bildes ansehen mag, da er sich übrigens in Köpfen und Stellungen als einen so tüchtigen Meister und Zeichner gezeigt; auch die Hände sind zum Theil von der höchsten Form und Ausarbeitung. Was Schönheit und Anmuth betrifft, verdient dieser Meister gleich die zweite Stelle nach dem Verfasser des großen Bildes aus der Rathscapelle. Auf den allgemein bekannten altdeutschen Bildern habe ich nichts so liebevoll Schönes und rührend Anmuthiges gefunden, als das Gesicht des Johannes und der Mutter Gottes auf der Abnahme vom Kreuz in dieser Bilderreihe. Johannes, ein großer Kopf, von fliegenden Haaren umwallt, hält die Mutter und schaut die Betrachter an mit dem Ausdruck der schmerzlichsten Begeistrung. Der heilige Leichnam wird erst heruntergenommen und ist noch in den Händen der ihn auf der Leiter Abnehmenden. Die andern Frauen sind blaß und kummervoll und ohne viel Bewegung; die Mutter aber im dunkelblauen Gewände sitzend, Blick und Arme mit zärtlicher Besorgniß für den Todten, ihren eignen Schmerz ganz vergessend, sehnsuchtsvoll in die Höhe streckend, als ob er noch lebte, noch fühlte; ist grade belebter, ja sogar jünger, aber in der hohen jungfraulichen Schönheit so rührend sanft, daß man die hellen Zähren, die aus den blauen Augen rinnen, leicht mit eignen begleiten möchte. Göttlicher wird man schöne Wehmuth wohl auf keinem Gemählde ausgedrückt finden. Erhabner, noch aber ganz freudig erhaben ist der auferstehende Christus, nebst der Kreuzesabnahme und dem Abendmahl, das vorzüglichste unter allen übrigen in Rücksicht der Anmuth, wie die Dornenkröuung im Ausdruck. Hier ist das Gesicht des Heilandes ganz verklärt und kaum noch in den Zügen die Aehnlichkeit erkennbar, selbst mir dem freudig begeisterten aber noch sterblichen Christus auf dem Abendmahle. In allen andern Darstellungen des Leidens ist das höchst ausdrucksvolle Gesicht ganz dasselbe, bis auf die Verschiedenheiten, die in der Kreuzigung und Abnahme vom Kreuz der doch sehr edel gehaltne Ausdruck des Sterbens und des Todes mit sich brachten.

Sehr merkwürdig, lehrreich sowohl als herzerhebend, war mir der Anblick eines Bildnisses in Lebensgröße vom Kaiser Maximilian aus der Wallraffschen Sammlung. Der Monarch sitzt im vollem kaiserlichen Ornate, das Scepter in der Rechten, mit der Linken den Griff eines großen Schweidtes haltend, vor einem offnen Fenster an einem einfachen farblosen Tisch, dessen Ecke den äußersten Vorgrund rechts bildet. Die herrliche Rüstung ist vergoldet, darüber hat er einen dunkelgrünen Mantel mit breiter perlengezierter Borte, eine kunstreich aus Edelsteinblumen geflochtne hohe Krone auf dem Haupt, der Orden des goldnen Vließes an reich mit Edelsteinen verzierter Kette hängt um die Brust auf dem goldnen Panzer. Das Gesicht, wo der Ausdruck der höchsten Würde und unbeschreiblicher Adel und Verstand mit gutmüthiger Milde gepaart erscheint, ist beinah im Profil, mit grade vor sich hinschauendem Blick, es tritt stark hervor auf einem rothen Teppich, der als Wand den Hintergrund macht und mehr als die Hälfte der Breite einnimmt; auch die langen sonderbar grade und steif herabgekrümmten blonden Haare, vermuthlich nach dem natürlichen Costum, hat der Mahler, als nächsten Hintergrund an dem Umriß des Gesichts herab, vortrefflich genutzt. In allen Nebenwerken ist der Fleiß der Ausführung, selbst in Vergleich mit dem in der altdeutschen Schule sonst gewöhnlichen Fleiß, noch bewundernswürdig; das Gesicht aber ist leicht gemahlt und wie hingehaucht, höchst weich in der Behandlung und gar nicht ängstlich ausgeführt; eine so wahrhafte und warme Carnazion hat auch Holbein nicht. Aus dem offnen Fenster zeigt sich im äußersten Hintergrunde rechts eine landschaftliche Aussicht, von dem rothen Teppich durch den breiten hellgrünen Rand schön abgeschnitten. Das weite Meer und ein steiles unübersteigliches Felsengebirge, darauf ganz oben, hie und da auf den höchsten Klippen und in den Hohlwegen und Schluchten, fliehende Gemsen und nacheilende Jäger zerstreut sind, in Anspielung auf ein bekanntes Abentheuer, wie der ritterliche Kaiser einsmals auf der Gemsenjagd, einer Beschäftigung, die er sehr liebte, aus großer Lebensgefahr wunderbar errettet ward. – Dieses Porträt gehört zu der seltnen Gattung von Bildnissen mit landschaftlichem Hintergrunde, durchaus bedeutenden Attributen und einem mehr als blos charakteristischen Ausdruck, deren einige wir von Raphael und von Leonardo angeführt, und die wir mit dem Namen der symbolischen Bildnisse als die höchsten bezeichnet. Doch würde ich in Verlegenheit seyn, wenn ich auch aus dieser Gattung noch ein Bildniß nennen sollte, das diesem des Kaiser Maximilians an die Seite gesetzt zu werden verdiente. So wie ich die Alexandersschlacht von Altdorfer ein Rittergemählde nannte, so möchte ich dieses ein Heldengemählde nennen; denn wie in einem erhabnen Heldengedichte ist der Ausdruck ritterlicher Tugend hier mit dem Gefühl der königlichen Würde vereinigt; es erinnert auf das Herrlichste an die Hoheit des altdeutschen Kaiserthums, ehe noch Ausländer und Bürgerkriege das Reich zerstörten, und stellt uns die letzten großen Zeiten desselben dar, wie die Herrlichkeit einer untergehenden Sonne.

Dieses Wenige sey genug zum vorläufigem Begriff von den Schätzen altdeutscher Mahlerkunst, die sich zu Kölln befinden. Und nun zum Beschluß noch eine Frage, die mit dem eigentlichen Zweck aller unsrer Betrachtungen und Andeutungen eigentlich in sehr naher Beziehung steht. Ist es wahrscheinlich, daß auch jetzt in unsrer gegenwärtigen Zeit noch von Neuem ein wahrer Mahler wieder entstehen und sich erheben wird? – Wahrscheinlich ist es eben nicht; aber wer möchte die absolute Unmöglichkeit behaupten? Woran es liegt, daß es keine Mahler mehr giebt, und was denen, die sich gegenwärtig in der Kunst versuchen, dazu fehlt, das ist ganz klar; theils freilich die Vernachlässigung des Mechanischen, besonders der Farbenbehandlung, am meisten aber das innige und tiefe Gefühl. Mit dem Gefühl ergiebt sich der richtige Begriff und Zweck von selbst, und das bestimmte Wissen dessen, was man will, wenn gleich der Künstler es nicht in Worten, sondern nur praktisch bewähren kann. Das religiöse Gefühl, Andacht und Liebe, und die innigste stille Begeistrung derselben war es, was den alten Mahlern die Hand führte, und nur bei einigen wenigen ist auch das hinzugekommen oder an die Stelle getreten, was allein das religiöse Gefühl in der Kunst einigermaßen ersetzen kann; das tiefe Nachsinnen, das Streben nach einer ernsten und würdigen Philosophie, die in den Werken des Leonardo und des Dürer sich freilich nach Künstlerweise, doch ganz deutlich meldet. Vergebens sucht ihr die Mahlerkunst wieder hervorzurufen, wenn nicht erst Religion oder philosophische Mystik wenigstens die Idee derselben wieder hervorgerufen hat. Dünkte aber dieser Weg den jungen Künstlern zu fern und zu steil, so möchten sie wenigstens die Poesie gründlich studiren, die jenen selben Geist athmet. Weniger die griechische Dichtkunst, die sie doch nur ins Fremde und Gelehrte verleitet, und die sie nur in Uebersetzungen lesen, wo vor dem hölzernen Dakylengeklapper die alte Anmuth weit entflohen ist, als die romantische. Die besten Poeten der Italiäner, ja der Spanier, nebst dem Shakespear, ja die altdeutschen Gedichte, welche sie haben können, und dann die Neueren, die am meisten in jenem romantischen Geiste gedichtet sind; das seyen die beständigen Begleiter eines jungen Mahlers, die ihn allmählig zurückführen könnten in das alte romantische Land und den prosaischen Nebel antikischer Nachahmerei und ungesunden Kunstgeschwätzes von seinen Augen hinwegnehmen. Ein Extrem wird vielleicht das andre hervorrufen; es wäre nicht zu verwundern, wenn die allgemeine Nachahmungssucht bei einem Talent, das sich fühlte, grade den Wunsch absoluter Originalität hervorbrächte. Hätte nun ein solcher erst den richtigen Begriff von der Kunst wiedergefunden, daß die symbolische Bedeutung und Andeutung göttlicher Geheimnisse ihr eigentlicher Zweck, alles übrige aber nur Mittel, dienendes Glied und Buchstabe sey, so würde er vielleicht merkwürdige Werke ganz neuer Art hervorbringen; Hieroglyphen wahrhafte Sinnbilder, aber mehr aus Naturgefühlen und Naturansichten oder Ahndungen willkührlich zusammengesetzt, als sich anschließend an die alte Weise der Vorwelt. Eine Hieroglyphe, ein göttliches Sinnbild soll jedes wahrhaft so zu nennende Gemählde seyn; die Frage ist aber nur, ob der Mahler seine Allegorie sich selbst schaffen, oder aber sich an die alten Sinnbilder anschließen soll, die durch Tradition gegeben und geheiligt sind, und die, recht verstanden, wohl tief und zureichend genug seyn möchten? – Der erste Weg ist gewiß der gefährlichere, und der Erfolg läßt sich ungefähr voraussehen, wenn er vielleicht gar von mehreren, die nicht alle gleich gewachsen dazu wären, versucht werden sollte; es würde ungefähr gehen, wie seit einiger Zeit in der Poesie. Sichrer aber bliebe es, ganz und gar den alten Mahlern zu folgen, besonders den ältesten, und das einzig Rechte und Naive so lange treulich nachzubilden, bis es dem Aug und Geiste zur andern Natur geworden wäre. Wählte man dabei besonders mehr den Styl der altdeutschen Schule zum Vorbilde, so würde beides gewissermaßen vereinigt seyn, der sichre Weg der alten Wahrheit und das Hieroglyphische, worauf, als auf das Wesen der Kunst, selbst da, wo die Kenntniß derselben verlohren war, wahre Poesie und Mystik zuerst wieder führen muß, und selbst unabhängig von aller Anschauung, als auf die bloße erste Idee der Kunst und Mahlerei führen kann. Denn die altdeutsche Mahlerei ist nicht nur im Mechanischen der Ausführung genauer und gründlicher, als es die italiänische meistens ist, sondern auch den ältesten, seltsamen, und tiefsinnigem christlich catholischen Sinnbildern länger treu geblieben, deren sie einen weit größern Reichthum enthält, als jene, welche statt dessen oft ihre Zuflucht zu manchen blos jüdischen Prachtgeqenständen des alten Testaments, oder zu einzelnen Abschweifungen ins Gebiet der griechischen Fabel genommen hat.


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