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Der Weihnachtswunsch

Als Mutter gegen sieben mit der Kerze in der Hand in die Kammer eintrat und Walter weckte, muckschte er schlaftrunken erst noch eine Weile umher, weil er noch nicht aus dem schönen, warmen Bette herausmochte. Aber mit einemmal fiel ihm ein, daß er heute ja gern in die Schule ging. Denn der Herr Kantor Behrisch hatte gestern gesagt, daß er die Weihnachtswünsche mitbrächte, und außerdem fingen heute die Weihnachtsferien an. Er wurde sofort still und ganz munter, warf geschwind das Deckbett zurück und sprang heraus.

Mutter, die schon hatte schelten und ihm das Bett wegziehen wollen, wunderte sich, sagte aber weiter nichts, weil sie draußen zu tun hatte, sondern ging zum Waschtisch hin, auf den sie die Kerze stellte, und dann, nachdem sie, ob er auch wirklich in Gang käme, noch einen Blick zu Walter hingetan, ging sie 'naus.

Aber er saß schon auf dem Stuhle, der vorm Bett stand, hatte schon die Strümpfe an, schlüpfte schnell in die Hosen, knöpfte die Hosenträger an, fuhr dann geschwind in die Hausschuhe und lief zum Waschtisch hin.

Er fror, daß er zitterte und ihm die Zähne klapperten, denn die Kammer wurde nicht geheizt und draußen lag hoch der dicke Schnee und es war grimmig kalt; aber eifrig stellte er sich, damit er ordentlich zur Waschschüssel 'naufreichen konnte, auf die Zehen und drückte die dünne Eiskruste ein, die sich auf dem Wasser gebildet hatte. Wie jedesmal dachte er, daß es doch schön wäre, wenn die Kammer geheizt und das Wasser warm wäre: aber erstens war das nun schon mal so, und dann hatte Vater gesagt, daß es gesund wäre, und daß einer sich nicht verwöhnen dürfte.

Hurtig griff er zur Seife und zum Waschlappen und fing an, sich mit dem kalten Wasser abzureiben. Dann trippelte er, vor Kälte ganz zusammengezogen, zum Handtuch hin, das neben dem Waschtisch an der Wand hing, und trocknete sich ab. Dabei zwinkerte er aber mit den Augen und zog die Nase kraus, die ganz rot war und an die ihn entsetzlich fror.

Aber das war ihm alles ganz egal. Er dachte nur an seinen Weihnachtswunsch, den er heute bekam. Er sah sich nicht mal, wie er sonst wohl tat, wenn er sich wusch und anzog, in der Kammer um, die sich mit einem geheimnisvollen Dunkel still um den kleinen, matten Lichtkreis der Kerze herum breitete, daß einer die Betten nur so ein bißchen hervordämmern sah. Und er sah auch nicht zu der viereckigen Fensterluke, die fast ganz dicht unter der Decke war, hin. Sie ging draußen auf die Holzgalerie 'naus und brachte ihn immer auf allerlei Gedanken, Geschichten und Märchen. Denn der Hof und die alte Holzgalerie, die rings um den Hof 'rumging, das war ja ein Burghof, und Winters Marie unten, die manchmal auf der Galerie schön bunte Wäschestücke zum Trocknen aufhing, war das Burgfräulein; und der dicke, goldblonde Zopf, den sie oben ringsum auf dem Kopfe hatte, war eine Krone; und das große, schmale Nachbarhaus war der Turm; und dann flogen auch manchmal Falken und Dohlen da oben umher, die vom Kirchturm 'rüber bis hierher kamen; und die Wäschestücke waren bunte Fahnen; ach, nein, Banner, Banner! – Und – ratsch! – so weiter, so weiter ...

An all das dachte er heute nicht, sondern machte nur, daß er so schnell wie möglich fertig wurde, langte eilig nach dem Kamm, den er mit seinen steifen, roten Fingern kaum halten konnte, kämmte sich und fuhr dann in seine Weste und in die Jacke.

Schon aber kam wieder Mutter, um noch mal nach ihm zu sehen und ihm seine, des Schnees wegen gut eingeschmierten, Schnürschuhe zu bringen. Aber sie hielt sich nicht weiter auf und sagte weiter nichts, sondern stellte die Schuhe bloß neben den Stuhl beim Bett und ging dann geschäftig wieder 'naus.

Walter hatte zu ihr zwar von dem Weihnachtswunsch sprechen wollen, da er aber sah, daß sie Eile hatte, verschob er's bis nachher, ging zum Stuhl hin und zog die Schuhe an.

Er ächzte dabei ein paarmal und zog ungeduldig die Stirn kraus; denn das war, da ihm die Finger so steif waren, daß er kaum die Senkel durch die Ösen kriegen konnte, ein schwer Stück Arbeit.

Endlich war er aber doch auch damit fertig. Nebenan in der Wohnstube, aus der durch das Glasfenster der Kammertür jetzt ein Lichtschein von der Petroleumlampe hereindrang, schlug der Kuckuck ein Viertel acht. Walter dachte daran, wie schön warm es dort war, und daß sein Milchkaffee und seine Semmel bereitstanden, pustete geschwind erst noch die Kerze aus und machte, daß er hinauskam.

Als er in die Stube eintrat, war niemand da. Vater war schon in der Stadt in seinem Bureau. Er tat einen Blick nach dem großen Eßtisch hin, der drüben vorm Sofa stand. Sein Trinkbecher, der aus gebranntem Ton, innen weiß und außen schön himmelblau mit runden, weißen Punkten war, stand schon da; aber die Semmel war noch nicht da, und es war auch noch kein Kaffee im Becher.

Weil ihn noch immer so fror, ging er zum Ofen hin. Eia, hier war's schön! Unten im Ofenloch bullerte und brauste das rote Feuer, und oben, in der Röhre, stand die große, braune Kaffeekanne, an der von einer gekräuselten, schwefelgelben Linie mit schwefelgelben Punkten dazwischen schöne, lange, schwefelgelbe Schlangenlinien herniedergingen.

Er stellte sich dicht an den Ofen 'ran und legte seine roten, von der Kälte noch ganz klammen Finger um den schön heißen Bauch der Kanne. Und weil's ihm an der Nase noch gar zu unbehaglich war, drückte er auch die Nase dagegen.

Die Kuckucksuhr tackte, unten bullerte das Feuer, vom Dach draußen trieb der scharfe Wind sirrende Schneewehen gegen die beiden Fenster, die, weil die Lampe brannte, und es draußen auf dem Platz vorm Hause noch dunkel war, zwischen den kleinen, weißen Gardinen noch ganz schwarz durchlugten.

Aber auf das alles achtete er nicht. Er dachte bloß daran, daß es den Weihnachtswunsch und Ferien gab, und daß es heute in der Schule schön wäre. Deshalb richtete er auch einen ungeduldigen Blick auf die Uhr und einen anderen nach der Tür hin, die auf den Flur 'nausführte.

Aber schon kam Mutter. Sie hatte in der einen Hand eine mit Pflaumenmus bestrichene Semmel, in der anderen das in Papier eingewickelte, zusammengeklappte Schmalzbrot, das er mit in die Schule nahm. Sie ging damit zum Tisch und legte die Semmel auf die schwarze, mit grünen und roten Blümchen bemalte Wachstuchdecke neben den Trinkbecher und auch das Schmalzbrot. Dann kam sie zum Ofen hin, um die Kaffeekanne zu holen.

»Na, nu' geh' mal weg!« sagte sie. »Kriech' doch gar gleich in den Ofen 'nein! ... Und auch noch die Nase dran! Du bist schon 'n Raffinierter!«

»Mich friert doch dran?« antwortete er; aber er schämte sich ein bißchen, daß er die Nase an die Kanne gedrückt hatte und trat beiseit.

»Na, du wärst mir 'n Kerl!« sagte die Mutter, während sie die Kanne aus der Röhre nahm. Sie ging mit ihr, wie immer in Eile, zum Tisch und schenkte den Trinkbecher voll Milchkaffee; Walter ging ihr nach und setzte sich.

Er hatte gedacht, Mutter würde von selber auf den Weihnachtswunsch kommen. Als sie aber, nachdem sie, ob auch alles in der Stube in Ordnung wäre, sich noch mal umgesehen hatte, schon wieder gehen wollte, sagte er:

»Mutter, der Herr Kantor Behrisch bringt heute doch die Weihnachtswünsche mit?«

»Ach so!« machte die Mutter, die, schon die Hand auf der Türklinke, noch eine Weile nachdenklich dastand. Aber dann setzte sie, während sie mit sorgenvoll krausem Gesicht verdrießlich herübersah, hinzu: »Was? Den Weihnachtswunsch?«

Walter, der gerade, so schnell wie möglich, beide Hände um den warmen Becher, von seinem Milchkaffee trank, bekam es mit der Angst.

»Ich hab's doch gestern schon gesagt, daß wir heute die Weihnachtswünsche kriegen?« sagte er und starrte Mutter erschrocken an. Sein schöner Weihnachtswunsch! Und der Herr Kantor nahm es doch übel, dachte er, wenn man keinen Weihnachtswunsch nahm. Er war nahe daran, zu weinen.

»Eh, du mit deinem Weihnachtswunsch! ... Wenn nur immer Geld aus'm Hause getragen wird!«

Sie seufzte, nahm aber die Hand von der Klinke und trat in Gedanken langsam wieder in's Zimmer, wobei sie die Hand, mit der sie drin herumkrabbelte, in der Schürzentasche hatte. Walter, der ihre Hand beobachtete, atmete auf.

Mutter, die jetzt wieder beim Tisch war, fragte unlustig:

»Wieviel brauchste denn?«

Befriedigt sah er, wie jetzt, nachdem sie nochmals geseufzt hatte, Mutter zögernd die Hand mit dem Portemonnaie aus der Tasche zog.

»Ich weiß doch nicht?« sagte er bang.

»Na, hat er's denn nicht gesagt?«

Er sah Mutter an und schwieg.

Endlich sagte er:

»Es ist doch verschieden? ... Scharfs Hugo hat gesagt, er gibt 'ne Mark.«

Er biß schnell in die Mussemmel hinein, duckte die Schultern und zwinkerte, ohne Mutter anzusehen, mit den Augen. Wieder war ihm zum Weinen zumut.

»Nu' gar! 'Ne Mark! Du bist wohl nicht gescheit, Junge?« rief Mutter entsetzt. »Nu', da könnte dei' Herr Kantor wohl 'n schönes Geschäft machen! Das wäre! ... Was Scharfs können, können wir nicht! ... Nee, 's is wahr! Geld, Geld un' bloß immer Geld! Wenn einem bloß immer 's Geld aus der Tasche gezogen wird!«

Aber Walter sah, wie Mutter die Augen, als ob sie was überlegte, irgendwohin gegen die Decke hob, und jetzt knippste sie das Portemonnaie auf und krabbelte, die Stirn gekraust und vor sich hinbrummelnd, drin umher. Das dauerte eine Zeit, und Mutter seufzte dabei. Endlich aber kamen ihre Finger wieder zum Vorschein und sie legte langsam fünfundzwanzig Pfennige auf den Tisch.

»Da!« sagte sie. »Das ist genug, und schon zu viel!«

Mit weitaufgerissenen Augen starrte Walter das Geld an und wieder zuckte es ihm um den Mund.

»Oh!«

Er hatte jetzt eine furchtbare Angst. Man konnte zwar für den Weihnachtswunsch so viel geben als man wollte, aber fünfundzwanzig Pfennige waren schon das mindeste. Und wer, wenn er's dazu hatte, bloß so viel anbrachte, der kriegte dann, so mal bei Gelegenheit, womöglich vom Herrn Kantor seine Haue ab, dachte er. Und jetzt fing er wirklich an zu weinen und stotterte vorwurfsvoll hervor:

»Aber der Herr Kantor denkt doch, ich bringe mehr?«

»Na nu' gar, heul' doch gleich noch los, alter, großer Kerl! Schäm' dich!« schalt Mutter. Doch da sie dabei seufzte, beruhigte sich Walter wieder.

Mutter sah ihn nachdenklich an und überlegte. Immerhin mochte der Kantor von ihnen wohl mehr erwarten. Und so griff sie denn, wobei Walter ihr verstohlen erwartungsvoll zusah, nochmals ins Portemonnaie und zog, nachdem sie wieder einige Zeit sorgenvoll nachdenklich drin gekrabbelt hatte, langsam, zögernd, noch weitere fünfundzwanzig Pfennige draus vor, die sie, langsam, zögernd, zu den ersten hinzulegte.

»Na, denn meinetwegen, so! ... Eh, lauter so dumme Moden! Bloß daß einer's Geld los wird!« seufzte sie, dann ging sie hinaus.

Herzensfroh hatte Walter aufgeatmet. Vor Freude war er rot geworden und sah mit blitzenden Augen zu den vier Zehn- und zwei Fünfpfennigstücken 'nüber, die da noch weit von ihm fort drüben bei der Tischkante lagen. Fünfzig Pfennige! Ja, das war genug, da konnte der Herr Kantor nichts gegen sagen. Denn so viel wie Scharfs konnten sie ja nicht geben, das wußte er.

Eilig aß er seine Mussemmel auf und trank seinen Kaffee aus, stand auf und lief zu der Ecke beim Schrank hin, wo er seinen Schulranzen hängen hatte, und wo sein Überrock und sein Schal hingen. Wahrend er den Schal um den Hals schlang und den Überrock anzog, sah er nach der Uhr. Es war schon über dreiviertel acht. Schnell nahm er den Ranzen in die Höhe, warf ihn auf den Rücken, hakte unter der Achsel den Riemen ein, stülpte die Kappe auf, lief zum Tisch hin, nahm die fünfzig Pfennige, die er in die Seitentasche steckte, in die andere tat er das Schmalzbrot und ging.

Draußen im Flur aber trat er erst nochmal in die Küche und sagte, wieder ganz munter, aber doch noch ein bißchen ängstlich, daß Mutter die fünfzig Pfennige doch noch wieder leid werden könnten, schnell:

»Adjeh, Mutter, ich gehe!«

Dann machte er sich hurtig auf den Treppenflur 'naus und lief, so schnell er im Dunkeln konnte, die steile, schmale Holztreppe 'nunter, öffnete die Haustür, deren Bimmel laut und hell aufschallte, und trat hinaus.

Als er die Haustür wieder zugeklinkt hatte, blieb er, die Hände in den Rocktaschen, erst noch eine Weile stehen.

Der Platz war noch dunkel. Drüben an Goldschmieds Hausecke, um die 'rum es in die schwarze Schlippe nach dem Bach 'nunterging, brannte noch die Laterne. Kein Mensch, nicht ein Hund oder ein Spatz, war zu sehen. Aber Habermanns Kaufladen an der anderen Ecke drüben war schon auf und drinnen hell. Und viele Fenster waren hell, guckten wie hellrote Augen in die düstere Morgendämmerung 'nein. Die Wetterfahne auf Engels Hause, die sonst immer so kreischte, wenn der Wind sie herumwarf, stand, obgleich der Wind nur so sauste, ganzstill. Wahrscheinlich war sie festgefroren. Der Himmel oben war dick grau wie ein Sack. Es schneite nicht. Manchmal aber, wenn der Wind recht sauste, fuhren breite, weiße, seine Schneewehen von den Dächern 'runter oder über den Platz hin. Der ganze Platz war dick verschneit und so weiß, daß es ordentlich schimmerte. An manchen Stellen hatte der Wind den Schnee meterhoch zusammengefegt. Auch auf allen Dächern, von denen manche hoch und manche niedrig waren, lag der Schnee wie ein dicker, weißer Pelz, der sich oben mit einer weißglimmenden Linie gegen den dunkelgrauen Himmel abhob, und von den Dachkanten hingen, durchsichtig wie Glas, in langer Reihe dicht bei einander lange, dicke Eiszapfen 'runter.

Walter fror erbärmlich. Aber er freute sich, denn es war das richtige Weihnachtswetter.

Schon wollte er nach rechts über den Platz zur Straßenecke 'nüberstapfen, als er mit einem Mal zurückfuhr, die Augen zukniff, die Schultern zusammenzog und den Kopf vorduckte.

»Schiiiiiiiiiiihhhh ...« war es um die Hausecke 'rumgesaust, daß er wie vor einer Mauer zurückprallte, und eine mächtige, große, breite Schneewehe war ihm in's Gesicht gefahren, daß es wie lauter spitze Nadeln und Sandkörner war.

Noch einmal blieb er stehen und schickte, als es vorbei war, einen respektvollen Blick nach der Ecke hin. Hier ging an der Stadtmauer, die schon viele hundert Jahre alt, ganz weißgrau und verwittert und hoch oben mit schwarzem, kahlen Buschgestrüpp bestanden war, eine Gasse zum Bach 'nunter. Sie war ganz schwarz wie Nacht, denn da brannte keine Laterne, unheimlich glomm bloß der dicke, weiße Schnee draus vor.

Es war gerade, als ob da ein lebendiges Wesen um die Ecke 'rumgesaust wäre. Ihm war ganz gruselig zumut. Doch hatte er nicht eigentlich Angst. Er dachte an die Geschichte von Dr. Faust, die er gelesen hatte, und an die von Herzog Ernst von Schwaben, und an anderes so was, und an die Gespenstergeschichten, die Onkel, der unten am Steinweg wohnte, ihm manchmal erzählte. Dann aber hatte er, wie ihm noch das »Schiiiihhh« in den Ohren pfiff, einen ganz sonderbaren Einfall.

Auch von den alten Weihnachtssagen, von den zwölf Nächten hatte er gelesen, und von den alten, deutschen Göttern, von denen der eine Wodan hieß und der wilde Jäger war, der ja jetzt draußen mit seinem Heer über die Berge und den Wald und sicher auch über die Stadt hinsauste. Es gab in der Stadt, auf manchen kleinen, alten Häusern, oben auf der Firstecke, noch solchen kleinen Reiter aus rotem Ton: das war er, auf seinem Schimmel. Und draußen vor der Stadt gab es in der Umgegend noch solchen Berg, der Wedensberg hieß, und das war so viel wie Wodansberg; und in der alten Zeit hatten die Menschen, die damals hier wohnten, ihn dort angebetet und ihm Feuer angebrannt. Und da dachte er daran, daß er ja auch Odhin geheißen hatte, und daß der Gott der alten Ägypter Osiris hieß. Und er fand, daß das fast dasselbe war. Und mit einemmal lachte er und machte vor sich hin »Uh schiiiiiihhh!« und dann »Uh schiiiiihhhris!«, kniff aber doch dabei ein bißchen ängstlich die Augen zusammen.

Doch da fiel ihm auch schon wieder der Weihnachtswunsch und der Herr Kantor Behrisch und die Schule ein, und daß es bald um acht war, und daß um acht die Schule anging, und daß der Herr Kantor, der heute gleich die erste Stunde hatte, einen mit dem Rohrstock haute, wenn man zu spät kam.

Er riß sich aus seinen Gedanken los, gab sich einen Ruck und setzte sich, so geschwind es durch den dicken Schnee gehen mochte, drüben gegen die Straße hin in Trab. Hinten auf dem Rücken klapperte ihm dabei in seinem Schulranzen das Pennal; ein schönes, neues, rund gedrechseltes Pennal mit bunten Blumen drauf, das er zum Geburtstag bekommen hatte.

Die Straße 'nauf gings schneller und bequemer, denn hier hatten sie, weil ein Kaufladen am anderen war, den Schnee vom Bürgersteig auf den Fahrdamm geschippt, wo er hoch wie eine weiße Mauer lag, über die er an manchen Stellen kaum wegsehen konnte.

Es war hier gemütlicher, der Wind konnte hier nicht so sausen wie auf dem Platze. Oben, am anderen Ende, brannte eine Laterne. Aber es war jetzt schon ein bißchen heller. Und auch die Läden waren schon auf und hell. Und es gab in ihnen alles Mögliche zu sehen. Schwarz in all dem Schnee kamen von oben her ein paar Männer die Straße herab. Eine Ladentür schellte, eine Frau kaum 'raus, die was eingekauft hatte. Irgendwo bellte auch ein Hund.

In der Mitte der Straße war ein Buchbinderladen. Hier blieb er, welche Eile er auch hatte, erst noch mal stehen und sah nach, ob nicht ein neuer Neuruppiner Bilderbogen aushing. Schöne, große, bunte Hampelmänner aus Pappe, die man unten mit einer Strippe aufziehen konnte, hingen da und lachten ihn an. Er freute sich über sie und dachte an Weihnachten; denn jedes Jahr in der Adventzeit brachte Vater ihm einen frischen mit; aber jetzt achtete er nicht weiter auf sie. Er sah nur noch nach dem Neuruppiner. Ja, es hing wieder einer aus. Das Märchen von Aschenpuddel. Schon wollte er anfangen, es zu lesen und die Bilder zu besehen, als er wieder an die Schule und den Weihnachtswunsch dachte. Er riß sich los, tat nur noch einen Blick auf den großen Weihnachtsmann, der in seinem braunen Pelz, mit seinem langen, weißen Bart, seinem Sack und seiner Rute mitten im Schaufenster stand, dann rannte er vollends die Straße 'nauf.

Als er aber schon um das Rathaus 'rum auf den Marktplatz einbiegen wollte, gab's wieder was zu sehen. Vor der Toreinfahrt des Hotels neben dem Rathaus, über der in einem himmelblauen Feld ein schöner, großer, goldener Stern stand, hielt ein Schlitten mit zwei herrlichen Rappen vor, über die eine weitgebauschte Decke mit blauen und weißen Längsstreifen gespannt war, und von denen jeder auf dem Kopfe zwischen den Ohren einen Stutz mit je einem blauen und einem weißen Roßhaarschweif hatte; vorn an ihren Kummetgurten aber waren viele große und kleine Schellen, die, wenn sie sich mal rappelten oder die Köpfe warfen, ein Helles Geläut erschallen ließen, das wie eine schöne Musik klang. Hinten auf dem Pritschenbock aber saß ein Kutscher, der in einen dicken, schwarzen Überrock mit einem mächtigen, schwarzen, langrunterhängenden Pelzkragen eingemummelt war, und eine gewaltige, buschige, schwarze Pelzmütze aufhatte. Aus dem Torweg aber kam, die blaue Schürze vor, Friedrich der Hausknecht, der einen Koffer vor sich herschleppte.

Gern wäre er noch stehen geblieben und hätte weitergeguckt, aber er erinnerte sich, daß es gleich acht schlagen und daß er in die Schule mußte. Er lief, während ihm hinten auf dem Rücken der Ranzen klapperte, an der Rathauswand, deren große Steine vom Alter ganz schwarz waren, vorbei und vorn um die Ecke 'rum auf den Marktplatz 'naus.

Aber wie er vor dem Rathausturm war, auf dem oben der Türmer wohnte, und von dem in acht Tagen am heiligen Abend der Weihnachtschoral herabgeblasen wurde, gab's schon wieder was zu sehen. Er blieb stehen, und vor Freude pochte ihm das Herz. Gleich neben dem Toreingang mit dem Wappen drüber stand, dunkelgrün im weißen Schnee, ein mächtiger Haufen herrlicher Weihnachtsbäume.

Schon wollte er sich vergessen und in ihren Anblick versunken stehen bleiben, als er hörte, wie hinterm Rathaus vorm Hotel der Kutscher »Hüh!« rief und mit der Peitsche knallte, und wie auf einmal sich ein mächtiges Schellengeläut erhobt. Als er jetzt aber zum Marktplatz 'nübersah, kamen von allen Seiten her, oben die Marktstraße 'runter, aus den Nebengassen und hinterm Rathaus vor, überall, in dem vielen, weißen Schnee und in der kalten, grauen Morgendämmerung wie kleine, schwarze Puppen, Jungens und Mädchens gelaufen, die zur Schule wollten.

Da kriegte er's wieder mit der Angst und lief, so schnell er konnte, mitten durch den dicken Schnee quer über den Platz weg auf das Haus des Apothekers zu, bei dem die schmale, kleine Gasse zum Kirchplatz und zur Schule hinführte.

Gleich darauf bog er um die andere Ecke der Gasse, welche die Schulecke war, auf den Kirchplatz ein. Rings standen, lange Eiszapfen von den dickverschneiten Dächern 'runter, in all dem vielen, weißen Schnee die bunten Häuser. Auf den Linden um's Kriegerdenkmal herum lag dick der Schnee, nur die Stämme waren schwarz. Hinten aber, die ganze eine Seite des Platzes hin, stand lang, dunkel, still die Kirche mit ihren, dicken, viereckigen Turm und sah zwischen den Linden durch.

Aber darum bekümmerte er sich jetzt nicht weiter. Er stak mitten in einem Haufen von Jungens, die an dem großen, alten Schulhaus hin auf die Pforte zu- und 'reinrannten.

Das Schulhaus war lang und zwei Stock hoch, hatte eine alte, gelbe Tünche und stammte noch aus dem Mittelalter. Über dem breiten Eingang war ein breites, altes Wappen mit solchen Girlanden, Figuren aus Stein und einem langen Spruch aus ganz alten, verwaschenen Buchstaben, die einer gar nicht lesen konnte.

Alle Kinder freuten sich, weil es Weihnachtsferien gab und sie bloß heute noch zur Schule brauchten. Wie ein Bienenschwarm strömten sie in den Flur 'nein. Es war gerade Zeit, denn eben schlug es vom Kirchturm her acht.

Der Flur war weißgetüncht. An der Wand hing, weil es noch zu dunkel war, eine brennende Petroleumlampe. Auch oben auf dem Treppenflur war eine. Walter rannte mit den anderen die alte, braune Treppe 'nauf. Dann trennte er sich von den übrigen und lief mit noch ein paar anderen, von denen der eine Fritzschens Julius, der andere Eberts Karl, der dritte Engels Otto war, den Flurgang 'nunter bis zu einer braungestrichenen Tür, durch die sie in die Klasse eintraten.

Auch hier brannten noch die beiden Petroleumlampen.

Die ganze Klasse schallte nur so, solcher Lärm war. Denn sie waren sechzig Jungens in der Klasse, und alle freuten sich, weil es Ferien gab. Aber es war schön warm. Der große Eisenofen vorn bei der Tür war glührot. Die Wände waren grüngestrichen. Der Tür gegenüber am anderen Ende des Zimmers, stand das hohe, gelbbraune Katheder. Links daneben war auf ihrem Gestell die große, schwarze Tafel. Rechts aber hing an der Wand eine mächtige Landkarte. Und an der Wand rechts waren ein paar Bilder. In der Wand gegenüber waren die drei Fenster, die auf den Kirchplatz 'naussahen. In der Mitte der Klasse aber war ein Gang, und auf beiden Seiten standen die Bankreihen; rechts die Bänke für die »Neuen«, links, bei den Fenstern, die für die »Alten«. Die Bänke waren sehr lang. Auf jeder saßen sechs Jungens. Sie hatten alte, schwarze Platten, und vorn, in der Kante, waren die Tintenfässer. Unter jeder Platte war ein Fach, in das man seine Bücher oder seinen Schulranzen legen konnte. Viele von den Jungens standen an den Wanden oder vorn bei der Tür um den Ofen 'rum. Viele saßen auch auf den Bankplatten, und manche kletterten über die Bänke weg. Sie balgten und neckten sich, erzählten sich was, zankten sich, schrien und lachten.

Aber darauf achtete Walter nicht. Er zwängte sich durch den Mittelgang nach der ersten Bank hin, wo er, dicht beim Fenster, als der sechste in der Klasse saß. Schnell nahm er seinen Ranzen ab und schob ihn in das Fach unter der Bank. Dann zog er seinen Überrock aus, nahm seinen Wollschal und seine Kappe ab, hängte schnell alles an einen von den Haken, die zwischen den Fenstern waren und setzte sich auf seinen Platz.

Hier vorn war es stiller. Auf den ersten Bänken waren die Jungens artiger und machten nicht so viel Lärm, sondern saßen auf ihren Plätzen, lasen in ihren Büchern oder erzählten sich was.

»Ei, Erich, heute gibts die Weihnachtswünsche!« rief Walter, als er fertig war, seinem Nachbarn, Schmidts Erich, zu und lachte.

»Hohohoho!« ... Was ist denn mit dem alten Wisch? Das is nur, weil der Kantor sich Geld machen will«, rief da aber sein Hintermann von der zweiten Bank, der Mehlis August hieß und ein kleiner, dicker, schwarzhaariger Kerl mit einem runden, roten Gesicht und krillen, spöttischen Augen war.

Ganz betroffen starrte Walter ihn an. Auch Schmidts Erich sah ihn an. Aber er blinzelte bloß so ein bißchen und sagte weiter nichts; denn er rechnete Mehlis August nicht recht für voll, weil der bloß auf der zweiten Bank saß.

Aber schon rief Zahns Robert, der auf der anderen Seite von Schmidts Erich saß, um Erich 'rum:

»Du, Walter! kommst du nachmittag nach'm Gickelhahn, Schlitten fahren?«

»Heute? ... Ich weiß noch nicht ... Nein«, antwortete Walter.

Er hatte erst ja sagen wollen, aber der Weihnachtswunsch war ihm wieder eingefallen, den er Nachmittag zu Hause lesen wollte. Und dann hatte Vater ihm ein neues Buch mitgebracht, Erzählungen aus der griechischen und römischen Geschichte mit Bildern, die er besehen und lesen wollte.

Aber da rief Mehlis August zu Scharfs Hugo, der zwei Bänke hinter ihm saß, hin:

»Ohohoho! Scharfs Hugo gibt 'ne Mark, hat er gesagt! ... Ohohoho! Dicketuer! Dicketuer! ... Ohohoho!«

Scharfs Hugo, der ein langer, schmaler Junge mit einem blonden Krauslockenkopf war, eine schöne, blaue Jacke hatte und einen weißen Klappkragen mit einem bunten Schlips drunter, weil sein Vater Goldschmied und reich war, wurde böse, kam aus seiner Bank vor und wollte Mehlis August hauen, der tat, als ob er sich fürchtete und ausriß, dabei aber lachte und sich freute, weil er ihn geärgert hatte.

Und da gings auch schon auf der dritten Bank los. Försters Richard zankte sich mit Wallendorfs Paul, der nur so'n armer Junge war, sagte, daß er nichts zu Weihnachten bekäme, und was dagegen er alles kriegen würde. Und jetzt ging auch dort die Balgerei los.

Walter war still geworden. Er stand auf und trat an's Fenster. Draußen auf dem Kirchplatz fing's schon an heller zu werden. Auch in der Klasse brannten die Lampen jetzt schwächer. Er dachte wieder an seinen schönen Weihnachtswunsch, an den Christbaum, an die Geschenke, die er von Vater, Mutter, Großmutter und Onkel kriegen würde. Und dann kam er so auf allerlei Gedanken, und darüber vergaß er sich so, daß er an die Klasse und die Jungens gar nicht mehr dachte.

Aber da wurde es hinten auf den Bänken bei der Tür mit einemmal still, es wurde »Pst!« gerufen, die Jungens stiegen geschwind von den Bänken 'runter, rannten auf ihre Plätze, setzten sich, und nun war es in der Klasse ganz still.

Gleich darauf öffnete sich die Tür und Herr Kantor Behrisch trat herein.

Auch Walter hatte sich auf seinen Platz gesetzt, sah sich aber verstohlen nach dem Herrn Kantor um, der jetzt durch den Mittelgang auf das Katheder zugeschritten kam.

Ja, unterm Arm hatte er unter seinen Büchern ein großes, viereckiges, in blaues Papier eingeschlagenes Paket. Das waren die Weihnachtswünsche. Das Herz schlug ihm.

Alle Jungens saßen jetzt mäuschenstill und sahen vor sich hin auf die Bankplatten.

Der Herr Kantor war schon über fünfzig Jahr alt und ein großer Mann mit breiten Schultern und einem hochgewölbten Brustkasten. Er hatte einen langen, kaffeebraunen Schoßrock an und mausgraue Beinkleider. Um den Hals trug er eine schwarze Halsbinde, aus der oben weiße »Vatermörder« 'raussahen. Seine Haare waren noch ganz schwarz, pechrabenschwarz und ganz dicht, glatt und straff. Sie waren auf der Seite gescheitelt und vorn zu einem Stutz in die Höhe gekämmt, hinten aber gingen sie straff bis zur Halsbinde 'runter und standen da etwas ab. Er hatte ein braunes Gesicht und unter dicken, schwarzen Brauen ein paar scharfe, schwarze Mannesaugen und eine lange, gerade Nase, und sein Kinn war breit und stand vor. Einen Schnurrbart hatte er nicht, der Mund war ganz frei: aber einen schwarzen Backenbart hatte er, der ihm auch noch rund unterm Kinn wegging. Von den Augen gingen ihm viele solche Krähenfüßchen in die Schläfe 'nein, daß man nie recht sehen konnte, ob er gute oder schlechte Laune hatte.

Jedenfalls: keiner von den Jungens wagte zu mucksen, und die meisten, besonders auf den hinteren Bänken, hielten den Kopf tief auf die Bankplatte gesenkt.

In gerader, strammer Haltung, wie ein Turner, die Füße nach auswärts setzend, schritt der Herr Kantor, während seine Augen über die Klasse hin gingen, den Mittelgang hin auf das Katheder zu, zu dem er 'naufstieg. Und nun stand er oben über der Klasse.

Er warf erst nach rechts und nach links einen Blick, dann legte er das blaue Paket und die Bücher neben sich auf das Katheder, stand noch ein Weilchen still da, und dann sagte er mit seiner kräftigen Stimme, die aber immer klang, als ob er ein bißchen heiser wäre:

»Wir singen die erste Strophe von ›Macht hoch die Tür', die Tor' macht weit‹!«

Und dann fing er selber an zu singen und alle sangen laut mit:

»Macht hoch die Tür', die Tor' macht weit!
Es kommt der Herr der Herrlichkeit!
Ein König aller Königreich',
Ein Heiland aller Welt zugleich,
Der Heil und Segen mir sich bringt,
Deshalben jauchzt, mit Freuden singt:
Der Herr ist unser Gott,
Der Schöpfer reich von Tat!«

Dann aber, nachdem es ein Weilchen still geblieben war, senkte der Herr Kantor den Kopf, sah auf seine Hände nieder, die er vor sich hin auf dem Katheder gefaltet hatte, und sprach mit leiser und doch deutlicher, andächtiger Stimme ein Gebet. Und alle Jungens hatten auf den Bankplatten die Hände gefaltet und die Köpfe drauf niedergebeugt.

Als der Herr Kantor zu Ende gebetet hatte, richtete er den Kopf wieder in die Höhe und sah über die Klasse hin. Er setzte sich aber nicht auf den Stuhl, der hinten auf dem Katheder stand, wie die meisten anderen Lehrer taten, sondern die ganze Stunde über stand er aufrecht da.

Als es wieder eine Weile mäuschenstill gewesen war, tat er erst einen Blick zu den beiden Lampen hin und dann nach den Fenstern. Darauf sagte er:

»Wozu brennt denn das Licht noch! ... Wir haben Rechenstunde, da brauchen wir kein Licht ... Bornmüller, Wagner! Aufstehen! Das Licht ausmachen!«

Bornmüllers Fritze und Wagners Anton saßen der eine in der Nähe der einen, der andere in der der anderen Lampe, und beide waren schon große Jungens, die zu den Lampen hinaufreichen konnten. Sie stiegen auf die Bankplatte und drehten die Lampen aus, und dann war es mit einemmal dämmerig in der Klasse; aber so, daß man doch sehen konnte, und der Herr Kantor Behrisch hatte scharfe Augen, die auch im Dunkeln alles sehen.

Dann begann die Stunde.

Zuerst ging alles gut. Der Herr Kantor gab Kopfrechenexempel auf.

Erst gab er Zahns Robert eins auf. Als der und dann auch Schmidts Erich es aber nicht schnell genug ausrechnen konnten, kam Walter, der es gleich ausrechnete zwei 'rauf und war nun vierter in der Klasse. Hernach kamen auch noch andere an die Reihe, und das ging eine ganze Weile.

Dann aber fing der Herr Kantor an, das große Einmaleins abzufragen. Und als der erste kam Scharfs Hugo an die Reihe, der auf der vierten Bank letzter saß.

Er mußte die Dreizehn aufsagen. Zuerst ging es auch, aber mit einemmal konnte er nicht weiter und blieb stecken.

Walter erschrak, denn im Einmaleins war der Herr Kantor sehr streng, und wer's nicht konnte, kriegte Haue.

Und, richtig! Scharfs Hugo – Scharfs Hugo, der eine Mark für den Weihnachtswunsch zahlte! – mußte aufstehen und sich bei der Tür an den Ofen stellen. Der Herr Kantor fragte nämlich erst noch anderen das große Einmaleins ab. Wenn dann aber noch welche waren, die's nicht konnten, so mußten sie sich einer nach dem anderen erst mal vorn bei der Tür neben den Ofen stellen. Und gerade heute war's schrecklich. Ganze zwölf konnten es nicht und mußten hinter an den Ofen, so daß dort schließlich ein ganzer Haufen stand.

Der Herr Kantor hörte jetzt auf abzufragen und sah zu den Zwölfen 'nüber. Auch Walter sah sich halb nach ihnen um. Sie waren alle ganz blaß und starrten mit großen Augen zu dem Herrn Kantor hin, ein paar aber weinten dabei.

Der Herr Kantor aber lachte und rief ihnen zu:

»Aha, ihr Brüder! ... Ihr habt euch das heute wohl so schön gedacht, habt gedacht, ihr braucht, weil's Ferien gibt, nichts mehr zu lernen! ... Na, da will ich euch mal wieder eines Besseren belehren! Ich will euch mal beibringen, daß ein richtiger Kerl unter allen Umständen seine Pflicht tun soll. Versteht ihr? Seine Pflicht!«

Jetzt weinten noch mehr, und schon ganz laut. Manche bogen sich zusammen und faßten mit beiden Händen nach dem Hosenboden. Fritzschens dicker Julius aber, der auch mit dabei war, heulte am lautesten und trippelte vor Angst auf den Beinen umher, als hätte er Stecknadeln unter den bloßen Füßen.

Der Herr Kantor aber bückte sich, zog unterm Katheder den Rohrstock vor und ging mit ihm durch den Mittelgang auf die Zwölfe zu.

Als er hinten bei ihnen angelangt war, mußten die Jungens, die auf den beiden letzten Bänken saßen, alle aufstehen und so lange aus den Bänken heraustreten, der Herr Kantor aber gab mit der Hand einen Wink nach den Bänken hin und rief den Zwölfen zu: »Vorwärts!«, worauf sie zu den Bänken hingingen und sich, einer neben den anderen, mit dem Bauch auf die Bankplatten legten.

Und nun ging der Herr Kantor erst zu dem hin, der am nächsten beim Fenster lag und haute ihm mit dem Rohrstock dreimal kräftig, daß es nur so pfiff, über den Hintern. Dann kam sein Nachbar an die Reihe, und so ging's der Reihe nach allen Zwölfen.

Ein paar waren dabei, die still blieben, die Zähne zusammenbissen und nur bei jedem Hieb so ein bißchen mit dem Kopf zuckten: die meisten aber heulten aus Leibeskräften, so daß Walter, obgleich er schon daran gewöhnt war, angst und bange wurde.

Als die Zwölfe ihre Haue weghatten und wieder auf ihren Plätzen waren und auch der Herr Kantor wieder nach vorn zum Katheder hingegangen war, ging der Unterricht weiter. Aber alle Jungens waren froh; denn nun war das Schlimmste vorbei, weil keine Aufgaben mehr abgefragt wurden.

Walter aber hatte so allerlei Gedanken. Zuerst hatte er ja gedacht, daß der Herr Kantor Scharfs Hugo nicht hauen würde, weil er doch eine Mark für den Weihnachtswunsch gab; aber er hatte so gut wie die anderen, die hinten saßen, und von denen manche gar keinen Weihnachtswunsch nahmen, die anderen aber nicht mehr als fünfundzwanzig Pfennige dafür gaben, weil er das Einmaleins nicht konnte, seine Haue abbekommen. Und so schämte er sich, daß er zu Hause von dem Herrn Kantor so was gedacht hatte. Auch daß der Herr Kantor vorhin gesagt hatte, jeder müßte seine Pflicht tun, auch wenn's Ferien gäbe, machte Eindruck auf ihn. Er dachte auch daran, daß der Herr Kantor sich jedes Jahr in der Weihnachtszeit mit den Weihnachtswünschen einen Nebenverdienst machte, weil sein Gehalt nur knapp war, und daß er den Weihnachtswunsch drucken ließ und auch selber die Verse dazu machte. Und auch daran dachte er, daß er, besonders wenn einer das Einmaleins nicht konnte, einen verhaute. Aber die anderen Lehrer hauten einen ja auch, das war nun mal so und war immer so gewesen. Manchmal hatte der Herr Kantor doch aber auch gute Laune und machte sogar sein Späßchen, so daß die Jungens lachten und ihr Vergnügen daran hatten. Und auch daran dachte er, daß die Jungens ihm keinen Spitznamen angehängt hatten, daß sie bei ihm auch nie dumme Streiche machten, sondern Respekt vor ihm hatten und ordentlich ihre Schularbeiten machten; bis auf die, die zu dumm oder zu faul dazu waren und dann Prügel abkriegten. Der Herr Kantor wohnte unten am Gickelhahn, unterm Schloß, beim Bach, in einem einstöckigen, gelben Hause mit einem großen Garten dahinter neben der Schloßmühle zur Miete. Walter war mal dort gewesen und hatte was hinzubringen gehabt; und da war der Herr Kantor sehr nett zu ihm gewesen, obgleich auch er schon von ihm Haue abgekriegt hatte, aber bloß ein einziges Mal.

Vor allem dachte er aber an den Weihnachtswunsch und schickte immer wieder einen Blick zu dem viereckigen, blauen Paket hin, das links neben dem Herrn Kantor auf dem Katheder lag, und konnte kaum erwarten, bis die Stunde zu Ende war.

Endlich läutete draußen der Kalefaktor die Schulglocke. Walter wandte den Blick von dem blauen Paket gespannt auf den Herrn Kantor. Der klappte oben sein Buch zu, schickte einen Blick über die Klasse und lächelte so ein bißchen. Dann aber zog er das Paket unter den Büchern vor, machte den Umschlag ab, kam vom Katheder 'runter und fing an, die Weihnachtswünsche zu verteilen.

Die erste Bank bekam ihre zuerst; und bald hatte Walter seinen, nachdem er dem Herrn Kantor Mutters fünfzig Pfennige gegeben, in der Hand.

Mit strahlenden Augen betrachtete er ihn. Vorn auf der ersten Seite war links ein Tisch mit einem herrlichen, mit Äpfeln, Nüssen, Backwerk, Zuckerkringeln, Papierketten und -Netzen behangenen, lichterstrahlenden Weihnachtsbaum drauf, der oben einen schönen, goldenen Stern hatte. Auf dem Tisch aber standen und lagen Geschenke, und um ihn herum waren Kinder, die zu dem Baum, den Geschenken und zu einem strahlenden, großen Engel mit mächtigen Flügeln 'naufsahen, der oben neben dem Baum schwebte. Alles aber, der Baum, der Tisch, die Geschenke, die Kinder, der Engel, war aus Gold, aus lauter Gold. Und auch die Buchstaben mit den schöngeschwungenen Arabesken um die großen Anfangsbuchstaben, die rechts neben dem Baum und dem Engel standen, waren aus Gold. Als Walter den Weihnachtswunsch aber aufschlug, waren inwendig zwei Blätter, auf denen stand in fünf Strophen ein neues, schönes Weihnachtsgedicht. Und auch das Gedicht war mit goldenen Buchstaben gedruckt.

Ach, war es schön! Es schimmerte und strahlte nur so! ...

In der Zwischenpause konnte er den Weihnachtswunsch dann aber nicht mehr besehen und auch das Gedicht nicht lesen, weil die Jungens zu viel Lärm machten. Deshalb schob er ihn behutsam zwischen seine Bücher in den Ranzen hinein.

Endlich hatte aber der Kalefaktor draußen zum letztenmal geläutet. Die Schule war aus, und nun hatten sie Ferien, Weihnachtsferien ... Alle zogen, wer einen hatte, den Überrock an, schlangen den Schal um den Hals, setzten ihre Mützen oder Kappen auf, nahmen schnell ihre Bücher und Ranzen und drängten sich, so eilig sie konnten, 'naus auf den Flur, die Treppen 'runter und ins Freie. Der ganze Kirchplatz schallte. Manche von den Jungens blieben noch und machten eine Schneeballschlacht. Fritzschens Julius, Mehlis August und ein paar andere wollten sich über Walter hermachen und ihn mit Schnee einreiben, aber er machte sich von ihnen los und lief, um so schnell wie möglich mit seinem Weihnachtswunsch nach Haus zu kommen, um die Schulecke 'rum in die Gasse nach dem Markt 'nein. Sie warfen noch ein paar Schneebälle hinter ihm her, die aber nicht trafen.

Als er nach Hause kam, war Vater schon da und der Tisch gedeckt, denn es war schon zwölf durch. Vater hatte sich seine Pfeife angesteckt, saß in der Sofaecke und las das Kreisblatt. Walter ging zu ihm hin, gab ihm die Hand und sagte: »Guten Tag, Vater!« Vater, der in sein Kreisblatt vertieft war, blickte auf und starrte ihn an, nickte zerstreut, gab ihm die Hand und las weiter. Walter aber ging schnell in seine Ecke beim Schrank, zog dort seinen Ranzen ab und den Überrock aus, wickelte so eilig er konnte, den Schal vom Hals, hing und legte alles auf seinen Platz. Dann aber setzte er sich hin, nahm den Ranzen auf die Knie, schnallte ihn auf und zog den Weihnachtswunsch heraus. Er schickte dabei einen verstohlenen Blick zu Vater hin; denn sicher hätte Vater nicht gelitten, daß er jetzt, vor Tisch, noch läse. Aber Vater rauchte seine Pfeife und las noch immer im Kreisblatt. Die kleine Ida saß neben dem Sofa und spielte mit ihrer Puppe; der kleine Kurt aber schlief in seinem Bettchen.

Halb gegen die Wand gewandt, hielt Walter den Weihnachtswunsch vor sich hin und fing an, des Herrn Kantors Weihnachtsgedicht zu lesen. Aber schon trat Mutter, die große Schüssel mit dem Essen vor sich hertragend – sie hatte die Tür von draußen mühsam mit dem Ellbogen geöffnet – herein. Der Duft zog sich durch die Stube bis zu Walter hin. Es gab Reis in Fleischbrühe mit Semmelklöschen und allerlei Gemüse drin und dazu Rindfleisch. Das roch angenehm, und Walter hatte Hunger: aber er sah sich nicht mal nach Mutter um, die die Schüssel jetzt mitten auf den Tisch stellte, dabei »Eh!« rief und eilig die Hände zurückzog, weil die Schüssel noch heiß war.

»Na, Vater?« rief sie dann.

Aber Vater, der erst noch was im Kreisblatt zu Ende lesen wollte, runzelte bloß aufmerksam, um seinen Zusammenhang nicht zu verlieren, die Brauen, nickte kurz mit dem Kopf und brummelte vor sich hin. Es mußte ihn wohl sehr interessieren, was er las, denn die Pfeife war ihm aus dem Mund und auf's Sofa 'runtergerutscht.

Mutter, die jetzt Vater und sich ein Glas vor den Teller rückte, aus dem sie zum Essen Braunbier tranken, das Mutter aus der Brauerei bekam und selber auf Flaschen füllte, schickte einen Blick zu Walter hin und rief:

»Na, Walter, komm! ... Idelchen!«

»Ja«, sagte er, blieb aber, so halb gegen die Wand in die Schrankecke 'nein gewandt, noch sitzen, denn er wollte erst noch das Gedicht zu Ende lesen.

Vater hatte inzwischen das Kreisblatt beiseit getan, sich erst mal gereckt und dann vor seinen Teller gesetzt. Auch die kleine Ida war zum Tisch gekommen und auf ihren Stuhl 'naufgeklettert. Jetzt hatte sich auch Mutter hingesetzt und angefangen, das Rindfleisch in Stücke zu schneiden, und Vater füllte sich aus der Schüssel schon seinen Teller.

»Na, Walter, wird's nun?« rief Mutter streng. »Wenn du bloß immer schmökern kannst!«

Walter fuhr zusammen. Er war ganz vertieft gewesen. Er klappte den Weihnachtswunsch zu, legte ihn, weil er ihn gleich nachher wieder besehen wollte, auf den Stuhl, kam zum Tisch hin und setzte sich auf seinen Platz. Mutter füllte seinen und den Teller der kleinen Ida, dann auch ihren eigenen, und verteilte das Rindfleisch.

»Walter, bete!« sagte Vater, der schon die Hände gefaltet hatte. Alle, auch die kleine Ida, falteten die Hände, Walter betete das Vaterunser, dann aßen sie.

Mutter erzählte Vater, was den Tag über in der Wirtschaft und was sonst Neues sich zugetragen hatte. Vater hörte ihr, während er aß, zu und warf hin und wieder ein Wort dazwischen. Walter aber sah, während er aß, unverwandt nach dem Weihnachtswunsch 'nüber; der goldene Weihnachtsbaum und der Engel schimmerten bis hier herüber.

»Nu', Freund?« sagte Vater, der das merkte. »Paß mal ein bißchen auf, wie du ißt... Wenn gegessen wird, wird gegessen. Alles was einer macht, muß er ordentlich machen. Und wie einer ißt, arbeitet er.«

Walter fuhr aus seiner Zerstreutheit auf, sah erst auf Vater, dann auf seinen Teller, und aß nun ordentlich weiter.

»Und wie steht's in der Schule?« fragte Vater.

»Gut!« gab Walter Bescheid. »Ich bin im Rechnen zwei 'raufgekommen, ich sitze jetzt Vierter.«

»So!... Na!... Erster mußt du werden und dann deinen Platz behaupten«, sagte Vater. »Hast du schon in dem Buch gelesen, das ich dir neulich mitgebracht habe?«

Vater war kürzlich in der Stadt auf einer Auktion gewesen, wo er 'was gekauft hatte. Es waren auch Bücher zu kaufen gewesen. Und da sie so billig zu haben gewesen waren und Vater selber, wenn er aus seinem Bureau zu Hause war, gern las und auch Walter gern las, hatte er welche mitgebracht Besonders zwei hatten Walter gefallen: Das eine war das Geschichtbuch mit den Bildern, das andere war eins über Himmelskunde. Das hatte auf dem Umschlag ein Bild. Es war ein schöner, dunkelblauer Himmel mit der Sonne, dem Mond und Sternen drauf. Einer von den Sternen hatte solch' einen sonderbaren Ring um sich rum und hieß Saturn. Und auch ein Komet mit einem langen Schweif war dabei. Einen Kometen hatte Walter schon ein Jahr vor dem Krieg von Siebzig gesehen. Und dann war noch rechts unten ein Mann, der durch ein großes Rohr nach dem Himmel sah. In dem Buche aber waren viele Bilder von der Sonne, dem Mond, den großen Planetensternen, auch solche Sternbilder und große Sternennebel. Und das Buch war so geschrieben, daß Walter schon manches draus verstehen konnte.

»Ja«, antwortete er auf Vaters Frage.

»Na, und liest du gern über die Sterne?«

»Ja.«

Walter sah Vater an und nickte eifrig.

»Na, sag 'mal was, laß mal hören!«

»Der Mond hat solche großen, runden Krater.«

»Krater, ja.«

»Und dann steht so'n lateinischer Spruch drin; es steht aber auch dahinter, was es auf Deutsch heißt.«

»Na, was heißt's?«

»Der Mond lügt. Wenn er D zeigt und sagt, ich nehme ab, dann nimmt er zu; und wenn er C zeigt und sagt, ich nehme zu, dann nimmt er ab.«

»Na, sieh mal, das macht der Mond!... So'n Kerl! Und dabei sieht er so sanft aus«, lachte Vater.

Auch Walter lachte. Aber bloß ein bißchen, weil er nicht recht bei der Sache war und an den Weihnachtswunsch dachte. Aber er dachte jetzt auch an die Bilder in der Himmelskunde, und wie schön sich alle die großen und kleinen goldenen Sterne auf dem dunkelblauen Himmelsgrunde ausnahmen. Und auch der Weihnachtswunsch war golden. Und ob es wohl solchen goldenen Engel auf den goldenen Sternen gäbe; und ob sie von dort, etwa zu Weihnachten, hier 'runter auf die Erde fliegen konnten? Denn aus lauter goldenem Licht mußten sie ja sein ...

Endlich hatten sie gegessen und Mutter räumte ab. Als sie zwischen dem Abräumen aber wieder hereinkam, brachte sie zwei Äpfel mit, die sie in die Ofenröhre legte. Einer sollte für Walter und einer für die kleine Ida sein. Vater aber blieb auf dem Sofa sitzen und steckte wieder seine Pfeife an. Walter war inzwischen wieder zur Schrankecke hingegangen, um sich wieder den Weihnachtswunsch zu besehen. Doch das Gespräch, das Vater bei Tisch mit ihm gehabt, hatte ihn zutraulich gemacht, und so brachte er Vater, der jetzt wieder rauchte und sich auf dem Sofa langgestreckt hatte, den Weihnachtswunsch hin und zeigte ihn ihm.

Vater sagte:

»So! Dein Weihnachtswunsch! ... Na, gib mal!«

Und dann betrachtete er den Weihnachtswunsch und las das Gedicht. Walter war wieder zur Schrankecke gegangen.

Als er aber nach einer Weile noch mal zu Vater hinsah, war Vater eingeschlafen, den Weihnachtswunsch hatte er auf den Tisch gelegt. Mutter war wieder draußen in der Küche. Die kleine Ida war mit ihr 'nausgegangen und hatte ihre Puppe mitgenommen, damit sie, wenn sie mal Lärm machte, Vater nicht störte.

Leise, um Vater nicht zu wecken, schlich Walter zum Tisch hin, von wo er vorsichtig den Weihnachtswunsch wieder fortnahm. Dann ging er wieder zur Schrankecke zurück.

Nun war es ganz still in der warmen Stube. Nur die Kuckucksuhr tackte, Vater schnarchte leise, vom Ofen her fingen die beiden Äpfel an zu zischen. Sie dufteten bis zu Walter herüber. Zu den beiden, kleinen, tiefnischigen Fenstern zwischen den weißen Gardinen herein dämmerte von draußen das weiße Licht von all dem vielen Schnee.

Walter besah nur immer seinen Weihnachtswunsch. Zuerst dachte er dabei an das Weihnachtsevangelium: »Freut euch mit mir! Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr in der Stadt Davids!« und »Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen!« Und dann dachte er an den Weihnachtsbaum, den Mutter auf dem Markt gekauft hatte, und der draußen auf dem Flur stand. Und er dachte, wie schön groß, grün und buschig er war und wie herrlich er duftete. Und dann dachte er an die schönen, rotbäckigen Äpfel, an die vergoldeten Nüsse und die Zuckerkringel, die darankamen, und an die silbernen und goldenen Netze mit Hasel- und Pfeffernüssen und Bonbons drin, und an die bunten Papierketten, mit denen er behängt wurde, und an den großen goldenen Stern oben auf der Spitze. Und an die brennenden Lichter dachte er, und an die Geschenke drunter, wie schön die Spielsachen nach Lack rochen, und wie die Puppe und der Hampelmann in ihren bunten Kleidern und Zacken aus dem Tannengrün vorlugten. Und an den Pfefferkuchen dachte er, an die schön gezuckerten Weihnachtsstollen und den Gänsebraten, den es zu Mittag gab.

Dann aber wußte er nichts mehr von sich. Er hielt nur den Weihnachtswunsch ein Stück von sich ab und sah von der Seite bloß immer auf die goldenen Buchstaben. Und dann hielt er ihn sich dicht vor die Augen, kniff sie zusammen und sah immer draufnieder. Und nun wußte er gar nicht mehr, wo er war. Es war gerade, als sähe er durch das weiße Blatt irgendwohin, wo lauter, lauter Gold war; ein so schönes, feines Goldlicht, das weit, weit, ganz weit her durch das Papier irgendwoher durchkam; weit, weit hinter den Sternen her, dachte er.

Ja, und das viel, viel schöner war als selbst der schönste, hellste Sonnenschein. Und das Zischen der Bratäpfel in der Ofenröhre war ein feiner, feiner, ganz ferner Gesang geworden. Und er fühlte in sich etwas, und sah etwas, was er noch nicht sagen konnte ...


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