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IX.

Sehr angeregt und vertraut kehrten sie ins Hotel Eden zurück. Die Halle atmete eine öde mittagliche Verlassenheit, an dem großen Zeitungstisch ordnete der Portier die durcheinander geworfenen Journale. Gegen die Türen des Speisesaales brandete das Summen einer Volksmenge. Es war längst Frühstückszeit.

»Wir könnten uns eigentlich zusammensetzen,« schlug Frau Weigand vor. »Wenn Sie einen Tisch für sich haben, natürlich. Mich hat der Oberkellner, als ich gestern Abend ankam, mitten unter eine langstielige Niederländerei gesteckt.«

»Das geht nicht,« lehnte er brüsk ab. Und als sie verletzt zu ihm hinblickte, fügte er erklärend lächelnd bei: »Tischzeit ist meine Studienzeit. Da beobachte ich diese emsig mit sich selbst beschäftigte Sippe. Stibitze mir von dem einen die schnüffelnde Nase, von der anderen die gierig spähenden Augen, von jener die raffenden Finger. Das ritzt sich alles in das Skizzenbuch meiner Hirnrinde ein für kommende Bedarfsfälle. Sie müssen also schon entschuldigen.«

»Die Kunst geht immer vor,« entgegnete sie, stolz, solchen Argumenten weichen zu müssen. Ja, das begriffe sie sehr gut. Habe es sich auch eigentlich immer so gedacht, daß ein Künstler nie raste, immer auf der hastenden Jagd nach Modellen und Stoffen sei. Armer Kerl! Sie drückte ihm innig verstehend die Hand und begab sich fügsam gehobenen Sinnes zu ihrem Stammsitz.

In Wahrheit dachte Wilm nicht an Studien und Modelle. Seit wann beobachtet ein schaffender Mensch mit Vorsatz! Er lächelte über das mitleidige Verstehen der guten Frau Weigand, während er zu seinem Platze vordrang. Es war ihm einfach ein peinliches Gefühl, mit dieser Frau dicht hinter Irene Hey zu sitzen und ihren feinen Ohren dieses seichte Geplänkel zu bieten. Der Gedanke, seine Freundin könne es mit anhören, wie er gönnerhaft diese Frau aufwühlte, war ihm unerträglich. Er fürchtete den hellen, durchschauenden Verstand der Kranken und schämte sich vor dem mitleidigen Zucken ihrer spöttischen Lippen, wenn das verzückte Stammeln des Rotkopfes zu ihr dränge: »O, Herr Doktor, ich begreife Sie so gut. Einem Künstler, wie Sie, muß man ja so vieles nachsehen!« Nein, sein Gefühl sagte ihm sehr deutlich, daß er vor Irenes menschenkundigem Sinne im Glorienschein dieser überspannten kleinbürgerlichen Anschwärmerei eine grotesk-traurige Figur machen würde. Deshalb verbannte er die schöne Frau von seinem Tische.

Als er Irene Hey begrüßte, fragte sie gleich lebhaft: »Nun, sind die wallenden Gedanken zum Leben gedrungen? Haben Sie sie gefaßt?«

»Ja,« schmunzelte er spitzbübisch und freute sich der doppelsinnigen Antwort. Dann suchte er in dem blonden, braunen, grauen Gewühl den metallischen Bronzeton. Dort drüben leuchtete er neben dem fleischigen Rot einer polierten Glatze. In komisch-kläglicher Verzweiflung blinzelte sie zu ihm herüber, mit den Augen auf ihre biedere Tischgenossenschaft deutend. Gleich darauf aber beugte sie sich mit artig-zuvorkommendem Lächeln der mynherrlichen Glatze zu, die sich in radebrechender Unterhaltsamkeit ihr zuwandte.

Nach Tisch machte es sich von selbst, daß Wilm Irene Hey zu einem kleinen Plausch in die Halle führte. Hier saßen sie täglich eine Weile, genossen das faule Nachtisch-Behagen und schlürften ihren Mokka, ehe Irene Hey sich zur Ruhe begab.

Sie bemerkte bald, daß er heute nicht recht in Plauderstimmung war und gab liebevoll der durchwachten Nacht die Schuld. »Sie sollten sich jetzt auch ein wenig hinlegen,« sagte sie, »wenn Sie heut Nacht wieder schreiben wollen.« Und gut mütterlich lächelte sie ihm zu: »Ich muß auch ein bißchen für Ihr Wohl sorgen, weil Sie so fürsorglich zu mir sind.«

Er machte eine abwehrende Geste.

»Doch,« beharrte sie. »Sie müssen an Ihre Gesundheit denken. Heute merken Sie noch nichts. Warten Sie nur, bis Sie vierzig sind. Gerade in dieser Zeit des Schreibens müssen Sie sich sehr schonen. Jetzt, da Sie unruhvoll von gärenden Gedanken einhergetrieben werden, müssen Sie –«

In diesem Augenblick rauschte Frau Weigands seidener Unterrock vorbei. Die Trägerin grüßte Wilm mit einem vertraulichen, besitzstolzen Lächeln.

Irene blieb das Wort schwerbleiern auf der Zunge gebannt. Nach einer Weile erst konnte sie hervorpressen: »Kennen Sie die Dame?«

»Aus Berlin,« gab er lakonisch zurück.

Irgendwo in der Brust tat es ihr sehr weh. Ein unbestimmter, irrender Schmerz stieß sie in die Herzgegend. Seherisch ahnte Irene Hey die Feindin. Sie sank plötzlich in sich zusammen und fiel gegen die Strohlehne des Stuhles. Ein starkes Zittern rüttelte sie. Sie wußte, daß sie sich jetzt zusammennehmen müsse, gerade jetzt, wie noch nie in ihrem Leben voller Selbstzucht, sie empfand es ganz bewußt, daß gerade jetzt ihr Gebrechen ihn abstoßen würde. Doch sie zitterte und bebte immer heftiger und fühlte schmerzhaft ihr gegenstandsloses Sträuben. Wie in einem lähmenden Traum war es, wenn man in tödlichster Gefahr schwebt, wenn man entrinnen muß, weil der Verfolger dicht auf den Fersen ist, und doch kein Glied rühren kann. Sie hatte das Gefühl, sie liege ausgestreckt in einer kalten, unendlichen Dunkelheit und zucke und schaufele mit Händen und Füßen ohnmächtig ins Leere.

Wie aus weiter Ferne hörte sie seine leise, beruhigende Stimme: »Ruhe. Fräulein Hey, Ruhe. Was ist Ihnen nur auf einmal?«

Da riß sie sich mit eiserner Anspannung ihrer letzten Kraft empor, daß ein leuchtender, weißer Schmerz durch das Gehirn fetzte, setzte sich straff auf im Stuhle, umklammerte die breiten Lehnen mit krampfenden, blauen Fingern und blickte wie schlaftrunken um sich.

»Ist Ihnen schlecht?« fragte er unruhig.

»Nein – nein,« sie fuhr mit der Linken über die noch lichtscheuen Augen. – »Es war nichts. Ein kleiner Schwindel. Es ist schon wieder gut.«

»Sie sollten sich hinlegen,« riet er.

Sie nickte gehorsam und wand sich an dem Stuhl in die Höhe. Ihre Knie hasteten hin und her. Er sprang hinzu, faßte sie fest um die Taille und führte sie behutsam zum Lift. Wie durch einen wallenden Schleier sah Irene, daß sie an der Fremden vorbeikamen, die ihr mit erstaunten, begriffsstutzigen Augen ins Gesicht starrte. Und mit dem Feingefühl der Eifersucht empfand sie, daß der Arm, der sie stützte, von einer feigen Scham durchzittert wurde.

Das alles erlebte sie grell, trotz des Nebels, der um ihre Sinne schwebte, und suchte sich straff aufrecht zu halten und brach fast unter ihrer Schwäche zusammen. Wie Stiche fühlte sie die verfolgenden Blicke der Frau im Rücken. Erst als die Schiebetüren des Fahrstuhls sich geschlossen hatten und sie auf der roten Samtbank kauerte, wurde ihr freier und leichter. Je höher der Lift stieg, desto geborgener wurde ihr. Kindlich deuchte es sie, die schwarze Gefahr sei tief unter ihr zurückgeblieben und könne ihrem raschen Höhenfluge nicht folgen. Unklar dachte sie in den eiligen Sekunden des Ausstiegs: »Jetzt hockt sie unten am Schacht wie ein böser Drache und geifert uns giftig ihren Gluthauch nach. Doch erreichen kann der uns nicht – nein – niemals– –«

»Wollen Sie nicht aussteigen?« hörte sie Wilms Stimme.

Jetzt erst ward ihr bewußt, daß sie die Augen geschlossen hatte. Bereitwillig raffte sie sich auf, eine kleine Mattigkeit zitterte noch in den Kniekehlen. Aber wacker schritt sie an seinem Arm den Korridor entlang. Und jäh durchströmte sie ihre arme Liebe. Ohne recht zu wissen, was sie tat, preßte sie seinen Arm gegen ihre Brust. Er merkte es wohl, hielt es aber für eine Bewegung ihrer Schwäche.

»Gleich sind wir da.« begütigte er sie wie ein Kind, »dann legen Sie sich hin und ruhen sich tüchtig aus. Sie haben sich vielleicht doch in der letzten Zeit auf diesen Spaziergängen zu sehr angestrengt.«

Sie verstand nicht die Worte. Sie horchte nur auf den Wohlklang seiner Stimme. Wie ein lindes Tasten seiner Hand fühlte sie den Ton auf ihrer Haut.

»Jetzt tue ich etwas.« raunte es in ihr. »jetzt tue ich etwas. Irgend etwas. Er wird es verstehen. Ich erobere ihn mir, jetzt, ehe die andere ihn mir entreißt. Wie sie ihn angelacht hat! Jetzt muß ich noch etwas tun. Gleich, ehe es zu spät ist. Ihm sagen: »Komm – komm. Ich gehöre dir. Ich liebe dich. – Ich liebe zum ersten Male. Mein ganzes Leben schenke ich dir –«. Hastig flatterten die taumelnden Gedanken.

Sie standen vor ihrer Tür. Er hatte sie zum ersten Male hinaufbegleitet. Sonst holte sie die Wärterin.

»Da sind wir wohl,« sagte er. »49?«

Sie nickte.

Unschlüssig blieb er stehen. »Soll ich öffnen?«

»Bitte,« antwortete sie leise.

Als er öffnete, schlug ihm ein eigenartiger, frischer Duft entgegen.

»Wie hübsch das bei Ihnen ist,« staunte er. »Und seltsam. Daß jede Wohnung ihren bestimmten Geruch hat, habe ich gewußt. Heute erfahre ich, daß der jedem Einzelnen eigentümliche Duft so stark ist, daß er sich selbst diesen unpersönlichen Hotelzimmern mitteilte.«

»Ich rieche nichts,« gab sie zurück und kämpfte mit ihrem Entschlusse. »Jetzt sage ich's, jetzt sage ich's.«

Er zog seine Hand unter ihrem Arm hervor. »Also nun erholen Sie sich recht. Und wenn Sie sich nachher nicht wieder ganz wegefest fühlen, bleiben wir heute zu Hause. Das Wetter scheint sich ohnehin zu trüben.«

Damit gab er ihr die Hand. Und ehe sie recht zur Besinnung kam, schloß sich hinter ihm die Tür.

Benommen, ohne recht zu begreifen, weshalb sie plötzlich allein in ihrem Zimmer war, stand sie einen Augenblick regungslos da. Dann fiel sie mit dem Oberkörper hart gegen den Türpfosten, riß die Tür auf und lauschte in einer wahnwitzigen Spannung hinaus. Sein Schritt eilte über den Läufer, jetzt klang er helltönig auf dem Marmorfließ des Uebergangs zur Treppe – jetzt fiel der Schall hinab – erste Treppe – jetzt ging er über die Verbindung – huschte die zweite Treppe hinab – jetzt war er im Erdgeschoß – dort lag sein Zimmer – tripp – tripp – tripp – er ging hinunter – wie er eilte – tripp – tripp – tripp – wie er hastete – zu ihr – jetzt lächelte sie ihn an – frech und lockend wie vorhin – sie hörte ahnungshaft den Klang der fremden Stimme – »Nun, Herr Doktor, sind die Krankenwärterdienste erledigt –?«

Sie glitt zu Boden, die Stirn preßte die Tür ins Schloß, und dort lag sie zusammengekauert, bis die Wärterin kam, sie aufhob und aufs Bett legte.– –


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