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Die Ignoranten.
Zweiter Theil


 

 

1.

Hör' endlich auf, ein Kind zu seyn! sprach Rosemunde, als Herr von Lassen täglich wiederkam und ihr Gatte sie mit sanftem Ernst beschwor, den falschen Bruder zu entfernen.

Ein Kind? entgegnete er und gedachte des goldnen Morgens: ach, wär' ich noch der kleine Gustav! Wie glücklich wollt' ich seyn, wie fröhlich wollt' ich springen, wie ruhig schlafen! Nach dem »Walte-Gott« käme die Tante zu uns und ließe das Licht brennen: setzte sich zwischen mein und Gustels Bett und erzählte uns von Lämmern und Engeln. Die säh' ich dann im Traum und spielte mit ihnen.

O der Einfalt! rief die Spötterin. Erzählen kann ich auch. Von Lämmern die zu Schaafen wurden und Schaafe blieben, ihr Leben lang.

Du kannst nur hofmeistern; nur rühmen, wie Du überall gefielst und immer nur von Dir selbst reden. Die Tante sprach zwar auch von sich aber wie eine bußfertige Sünderin. Deine Worte sind lieblos, ihre Rede war herzlich und liebevoll.

Das süße Persönchen!

Ein Weltkind war sie freilich nicht, aber sie liebte den Herrn und der nahm sie auf. Wenn Du mir gut bist, Mundel, so entweihe das Angedenken der Seligen nicht, die mir wohlgethan hat. Immer trat sie als eine liebende Mittlerin zwischen uns und den Vater – Friede sey mit ihr!

Weil sie Augusten verzog?

Kränke mich nicht. Die Gustel ist gut, der muß es wohlgehn. Als Tante starb, knieten wir betend an ihrem Bette. Da legte sie ihre zitternden Hände auf die Gustel und segnete uns.

Rosemunde warf den Kopf in die Höhe.

Schäme Dich! sprach er und verließ sie.

 

2.

Jukunde von Lassen, die Schwester des Assessors, spielte im Nebenzimmer auf einem Klaviere, welches dieser der Baronin geliehen hatte. Sie hörte den Wortwechsel, schlug leiser an und vernahm seine Rede. – Gustav eilte jetzt, mit Thränen in den Augen, an ihr vorüber.

Heil dem Gesegneten! sprach Jukunde und sah, bewegt von jener Aeusserung, voll Theilnahme zu ihm auf.

Sie sind gut! entgegnete er, und kehrte an's Klavier zurück, Sie hätte die Tante auch gesegnet. Ihnen dank' ich es, daß gestern die losen Vögel so schnell von mir abließen. Ich wünschte mich eben weit hinweg, als Jukunde unter uns trat und sie, der Reihe nach, mit einem Blicke voll Verachtung ansah. Die lachenden Peiniger verstummten und meine geballten Hände falteten sich unwillkührlich. So mächtig wirkte dieser Blick, daß der lange, Hagere, der welcher am unfeinsten und schonungslosesten mit mir verfuhr, uns heute zusprach, die Freundlichkeit selbst war und mich um ein Darlehn von fünfhundert Reichsthalern ersuchte.

O der Erbämliche! Und Sie? –

Ich? – nun, ich gab sie ihm.

Mein Gott, aus welchem Grunde?

Der Herr will es so. Thut wohl denen, die euch beleidigen!

Auf daß Ihr Kinder seyd, Eueres Vaters! fiel sie mit Rührung ein. O Rosenwall, Sie sind ein solches.

Nein, gutes Fräulein, als Kind wär' ich froh, aber mein Herz ist voll Traurigkeit. Röschen hat mich nicht mehr lieb und was ich mache, mach' ich falsch. Sie müsse sich meiner schämen, sagte sie gestern, und ich sey nur dazu gut, ihr die Schminke zu ersparen. In Gesellschaft sehen aller Augen auf mich und ich erschrecke, wenn irgend jemand mich anredet. Spielen kann ich nicht und muß doch zu Stunden hinter ihrem Spieltische sitzen. Zu meinem besten, meint Rosemunde, damit ich nichts verkehrtes thue. Da putz ich denn die Lichter und sehe die häßlichen Karten-Bilder an und sehne mich zu meiner Gustel. Dann überfällt mich ein Heimweh, eine Wehmuth daß ich laut weinen möchte. Bei Tafel sieht mir alles auf den Mund und auf die Hände; wem könnt' es da schmecken? Und wenn ich die vielen Speisen erblicke die man da kaum der Berührung würdigt und bedenke wie mancher verlassene, hülflose, hungerige Mensch mit diesem Ueberfluß erquickt werden könnte, so quillt mir der Bissen im Munde.

Guter Mensch! unterbrach ihn Jukunde.

Wehe mir, fuhr er fort, wenn ich nebenher unter die Spötter gerathe. Gern schlüg' ich drein, doch das ist unkristlich und ich muß ja, wo Damen sind, ohnehin auf den Zehen gehn. Ach, ich mein' es mit allen Menschen so gut, aber mit mir meint keiner es redlich.

Fürchten Sie das nicht. Wer Sie kennt muß Sie achten, lieben, auf den Händen tragen, Sie in Schutz nehmen. Rechnen Sie auf den meinen.

Der lange, Hagere will mich nun auch beschützen. Er sagte es und lud mich auf heute zu einem Punsch ein. Den Schutz lehnt' ich ab, denn mein Gewissen ist mein Schild, aber zugesagt hab' ich. Ich werde dort alle die wieder finden welche mich gestern um die Wette zum besten hatten. Er wolle sie zu meinen Freunden machen, versicherte er, zu meinen Brüdern.

Nein, rief Jukunde, Sie dürfen nicht gehn. Schellau ist ein unreines Wesen. Man würde Sie berauschen und dann peinigen oder verführen.

Thue recht, scheue Niemand! sagt die Schrift. Dort sind keine Damen, ich gehe!

Rosemunde kam, und Besuch mit ihr.

Gustav verschwand, Jukunde eilte zu ihrem Bruder hinauf.

 

3.

Wirst Du mich in's Schauspiel begleiten? fragte sie.

Vergieb, ich habe Geschäfte – entgegnete er.

S. Du bleibst zu Hause?

E. Vielleicht! Wahrscheinlich! Warum?

S. Bei Schellau ist diesen Abend ein Punschfest, und Rosenwall dazu geladen –

E. Dem wird's gefallen!

S. Ich fürchte für ihn!

E. Sieh doch!

S. Nicht in Deinem Sinne.

E. So halt' ihn zurück.

S. Das vermocht' ich nicht, also geh' ihm nach. Du bist ja Hausfreund. Tritt an seine Seite und als Mann.

E. Viel lieber trät' ich an die ihre.

S. Fritz, Du erschreckst mich.

E. Ist Dir das neu?

S. Mir so wenig als ihm selbst –

E. Ich bemerkte das und sprach mit ihr. Sie hat mich beruhigt.

S. Dein Glück scheint gemacht.

E. Ich bin ihr theuer.

S. So ruhig sagst Du das?

E. Welche Frage? Mein Glück ist das Deine, eine Rücksicht der andern werth. Was ich Ihr bin, bist Du Ihm. Jedem das Seine!

S. Ich nehme Dich beim Wort. Sie ist die Seinige. Was er mir ist, sind alle Bessere den Guten. O Fritz, bist Du ein Mensch, kein böser Geist, so störe den Frieden dieser Ehe nicht.

E. Ich spiele nur mit ihr. So will es die Kokette.

S. Sie spielt mit Dir. Um ihres Mannes Ehre und Deines Lebens Ruhe.

E. Die Floskel fällt am Schlusse. Seligkeit klänge besser.

S. Und Du verlierst und er verliert –

E. Und Du gewinnst – Ihn selbst, mein Fräulein!

S. Bewegt Dich nichts?

E. O laß mich doch!

S. Ich wein' um Dich.

E. Wasser!

S. Immer warst Du schwach und grausam. Sey einmal gut – sey göttlich und besiege Dich.

E. Schwach und grausam? Gut und göttlich? Was gut ist, ist auch schwach, und selbst die Götter sind oft grausam.

S. Du bist kein Mensch.

E. Keiner für Dich. Adio!

S. Und gehst zu Ihr?

E. Ich glaube –

S. Als Dämon – Als – Zerstörer? Was Du Zerstörung nennst, Jukunde, ist die Würze des Lebens. Ich, für mein Theil, komme nur dem Verderber zuvor, und lehre sie, wie die Schwäche die Du mir zuschreibst, sich mit der Göttlichkeit paaren läßt, zu der Du mich aufrufst. Diese Hand wird sie halten. Verlohren wäre die Thörin ohne mich; daß sie mich hat, rettet sie.

 

4.

Gustav saß indeß, von seinem neuen Freunde Schellau mit Umarmungen empfangen, gutes Muth's hinter dem dampfenden Becher und vergab im Herzen den Gästen die Bekränkungen von gestern, denn sie sangen ja ein Lied das Gottes edelste Gabe pries und sie den Traurigen zudachte.

Ich weiß wo jemand traurig liegt! sprach er am Schlusse des Gesangs und warf einen Dukaten auf den Teller.

Bravo! rief ein junger Offizier und gesellte dem Dukaten einen Kronthaler bei, »für die Abgebrannten!«

Zwei Kinder sind erstickt! sprach dessen Nachbar –

Sie wurden gerettet! versicherte der Cornet, mein Wachtmeister trug sie aus den Flammen.

Es lebe der Wachtmeister! rief das Chor –

Und der, der ihm die That vergalt! fiel jener ein und drückte dem Ignoranten die Hand. Der Teller wurde voll, Gustav schüttete das Geld auf den Tisch und schlug freudig in die Hände.

Was wir lieben! rief ein Page. Der Jubel ward groß, denn alle glaubten zu lieben und mancher geliebt zu seyn.

Was wir hassen! sprach Gustav –

Unserm Todfeind sey verziehn! sang der Cornet.

Und das Schuldbuch sey vernichtet! flüsterte der lange Hagere, was meinst Du, Rosenwall? Lächelnd nickte der bewegte Gustav, zog unbemerkt Schellaus Wechsel aus der Brieftasche und drückte ihn dem Schuldner in die Hand.

Sollst ewig leben! schrie der Entzückte, Rosenwall ewig, hoch! – Hoch! riefen alle. Er dankte herzlich und wünschte ihnen, aus redlichem Herzen, das beste Glück und gute Gesundheit.

Wo bleibt denn Lassen? fragte der eine.

Ist versprochen! erwiederte Schellau.

Wohl beim Minister?

Nein, bei der Huldin, erwiederte jener, in Schweden ist er.

Ihr Hausfreund also? fragte der Cornet den Baron.

Ja! sprach Gustav mit einem Seufzer, setzte das Glas zurück und erröthete. Einige lächelten, einer lachte, er erblaßte.

Bald wirkten die Trinksprüche. Liber ward frech, die Hore wich den Mänaden. Unserm Reinen schauerte jetzt, im Rathe der Gottlosen zu sitzen und versuchte, sich wegzustehlen.

Seht den Schleicher! rief der lange Hagere und vertrat ihm taumelnd den Weg.

Bleib! Bleib! schrieen alle. Er schützte Geschäfte vor und machte sich Platz.

Du kömmst nun doch zu spät? lallte Schellau – Stoßt an! Die Blinden leben! – Hoch! riefen einige unter wildem Gelächter.

Gustav begriff im Gefolge der eben geführten Gespräche, welche die Ursache seines Aufbruchs wurden, den Sinn des Trinkspruchs, und faßte Schellaus Arm mit Riesenkraft.

Mach' es mit – Lassen aus! stammelte dieser. Die Umstehenden trennten sie und sprachen zur Söhne, aber der Löwe war entzügelt.

Weh Dir! rief er, ich bin ein Mensch, kein Gott! Müßt' ich auch ewig brennen, Du stirbst!

Schützt mich! bat Schellau und drängte sich in den Haufen der Gäste; der Ignorant aber sprang in den Kreis, warf den langen Hagern hoch empor und ließ ihn dann fallen. Wer in sein Rächer-Amt griff, flog mit Blitzes-Schnelle gegen Wand und Fenster und vergebens sträubte sich Herr von Schellau gegen den rastlosen Flug vom Boden zur Decke.

Nun laß es gut seyn, sprach jetzt der Cornet, welcher bis dahin beschauend im Erker gelehnt hatte, nun zieh in Frieden, braver Schwede.

Er lebt noch! schrie Gustav und sein rollendes Auge suchte das Fenster. Kniend widerrief der Verläumder was er sprach und beschwor seine Großmuth. Der Offizier trat zwischen beide. Gustav drückte ihm die Hand und ließ ab. Plötzlich verlohren sich die Gesellschafter und Rosenwall schlich traurig heim.

 

5.

Herr von Lassen hatte indeß Rosemunden nach bestem Vermögen unterhalten. Zuerst waren einige Doppel-Konzerte auf dem neuen Klaviere versucht worden. Die Duette welche ihnen folgten, mußten nun, wie er hofte, die gewöhnliche, langst erprobte Wirkung thun. Aber eben als diese Hofnungen reiften, starb ihm das »Holde, für Dich will ich leben« auf der Zunge, denn seine Mutter trat unangemeldet herein und bat um Erlaubniß, der Frau Baronin für diesen Abend Gesellschaft leisten zu dürfen. Rosemunde biß in die Lippen und weinte über den heftigen Kopfschmerz der von Minute zu Minute drückender ward, doch die Präsidentin zog zugleich mit ihrem Strickzeug ein Fläschchen aus dem Arbeitsbeutel, betheuerte feierlich, daß ihr dieß Salz jedesmal davon geholfen habe und bat, es fleissig anzuriechen.

Der Assessor ließ indeß seinen Grimm an dem Saitenspiel aus und schlich sich, als er das Strickzeug in der Mutter Hand erblickte, mit einem leisen Fluche fort.

Der Kopfschmerz ließ nun sichtlich nach, aber so oft jetzt Rosemunde, um sich, nach dem Abgange des Sohnes, wenigstens von der Mutter geschmeichelt zu hören, das Gespräch auf Bälle und Moden brachte, so oft führte es die Präsidentin auf die Pflichten der Gattin und Hausfrau, auf die Bedingungen des häuslichen Glücks, auf die Nichtswürdigkeit gefallsüchtiger Weiber zurück, die den sterblichen Götzen ihres verdorbenen Herzens ganz unbedenklich das Theuerste und Heiligste zum Opfer brächten. Als endlich Frau von Lassen ihre Hörerin zermalmt glaubte, fand sie, daß es schon spät sey, wünschte der Kranken die schleunigste Besserung und ging.

Wilde, widrige Gefühle warfen jetzt Rosemunden aus einem Winkel des Sopha's in den andern. Der Roman für den die Rollensüchtige so manchen unverzeihlichen Schritt gewagt, für den sie Mutter und Heymath, Ruf und Ruhe, Pflichten und Ansprüche aufgab, schien nachgerade in eine zauberlose Wirklichkeit überzugehn und das Salz welches die Präsidentin zum Ersatz für den Anbeter zurückließ, ward ihr jetzt nothwendig.

Gustav trat ein.

War Lassen da? fragte er, zwischen Traurigkeit und Zorn. Dieser Ton, dessen sie ungewohnt war, zerschnitt ihr Innerstes. Sie schwieg – War Lassen da? wiederhohlte er. Die Fenster bebten. Mutter und Sohn! sprach sie angsthaft. Er klingelte. Karl erschien.

Nach Herjedalen! sprach er, pack ein.

Nach Herjedalen? rief sie und rang die Hände!

Nach Herjedalen? stotterte Karl und der Mund blieb ihm offen stehn.

Verlaß mich nicht! bat er diesen. Gustel ist Gattin, die Tante im Himmel. Verrathen, verkauft und verlohren, steh' ich jetzt allein in einer Welt die meiner spottet, in einer Hölle die mir Hohn spricht. Unter Deinen Augen wuchs ich auf; Wagen und Pferde, Schrittschuh und Schlitten, alle Spiele, alle Freuden meiner Kindheit dank' ich Dir. Du drücktest meinem Vater die Augen zu, und grubst sein Grab mit dieser Hand. Begrabe mich auch einst, guter Karl. Zwischen die Tante und den Vater begrabe mich, und bette Dich zu unsern Häupten.

Ich wanke nicht, rief der Gerührte, ich weiche nicht von Ihnen, lieber Herr – Die Kristiane wird sich zufrieden geben oder mitziehn.

Mit offenen Armen trat Gustav auf ihn zu, da öffnete die Thüre sich und Gustel flog in seine Arme und Roderich sank ihm an's Herz.

 

6.

Rosemunde trocknete schnell ihre Thränen. Du bist frei, Du bist schuldlos! sprach Auguste, wir wissen es längst und an Karls Ohren lag die Schuld; aber böse Träume, bange Besorgnisse haben mich geplagt, da reisten wir. Nun sey willkommen, Herzens-Freund, geliebter Bruder! – Was weinst Du denn? Sind's Thränen Deiner Liebe? Sind's Bürgen Deiner Freude? – Nein – Nein! ich kenne Dich! Du bist krank oder traurig – Ach, meine Ahnung, Roderich, da siehst Du sie erfüllt!

Verstohlen drückte Rosemunde ihres Gatten Hand und sprach – Es ist der Schnupfen, Liebe. Dein Bruder, ist der Alte noch. So liebenswürdig wie er immer war, die Güte selbst.

Ja, liebenswürdig bist Du noch, fuhr Gustel fort, und gewiß auch noch gut.

Was macht Rosemunde? fragte der Graf, und sah ihr tief in die verweinten Augen. Sie zwang sich zu lächeln – Ein Wort! sprach er und führte sie in's Nebenzimmer.

Nun lieber Gustav, nun sage was Dir fehlt! bat Auguste.

Nichts, erwiederte er und drückte sie mit Innigkeit an's Herz, nichts mehr nun ich Dich wieder habe. Die frohe, fromme Gustel fehlte mir. Zu Rath und Trost, und überall. Ich begleit' Euch nach Lindenau. Es ist doch kein Assessor dort? – Der lange Hagere wird an mich denken. Wenn der Cornet nicht war, so erwürgt' ich ihn. Das ist vorüber. Weißt Dir wohl, daß Suschen hier ist? Sie trägt den Nordstern noch im Busen, und fast, fast wär' es ihr gelungen – Sey nur nicht böse, liebe Gustel, ich bereu' es ja.

Soll ich Dich loben Gustav, wenn Du von Menschen mir erzählst die Du beinah' erwürgtest, von Buhlerinnen in deren Netz Du fielst.

Beinahe nur! Doch Rosemunde, guter Gott, die – die sprang selbst hinein – Die ward umstrickt. Von einem Assessor, liebe Schwester, der gänzlich aussieht wie der rohe Trieb. Zwar hat sie ein Klavier, doch nur wenn er kommt spielt sie drauf. Dann läßt sie sich von ihm mit großen Gläsern in den Nacken sehn, und sieht so schmachtend zu ihm auf, wie einst zu mir. Und so neidisch ist die Lieblose, daß ich mit keinem Finger es berühren darf. Sie meint' ich könn' es nur verstimmen. Der Assessor aber darf Stunden lang darauf herum trommeln, der schadet ihm nicht.

Du armer Bruder! Deine Wahl, ich weiß es wohl, war nicht die glücklichste, und wir haben so manches vernommen, aber Roderich wird ihr schon das Gewissen schärfen. Den fürchtet Sie.

Sie schminkt sich auch. Das ist doch Sünde, und geht so bloß daß ich mich schäme. Sie schämt sich nicht. Mundel, sprach ich, als sie sich das erlaubte, des Weibes Ehre ist die Schadhaftigkeit; die sich enthüllt, entehrt sich auch. Da lachte sie und wies auf die andern. Freilich gehn sie fast alle so, aber fast alle sind schlecht oder auf dem Wege es zu werden. Das macht der Assessor.

Assessor? Was sind denn das für Leute, Gustav?

Vom Ansehn hübsche. Vermuthlich werden nur schöne Menschen dazu gemacht.

Was sie treiben, mein' ich?

Teufelszeug, Gustel! Wenn sie nicht spielen, so spötteln sie, und halten sich immerfort zu den Damen. Ich kenne nur diesen, der aber spielt und spöttelt ohne Aufhören mit meiner Frau und hält sich zu ihr wie ich sonst. Nähen und Stricken vergißt sie, wenn er mit ihr spricht und doch schwatzt er lauter verkehrte Dinge oder so langweilig, daß ich gähnen muß und davon gehe.

 

7.

Schon am folgenden Morgen traf ein Eilbote ans Lindenau ein. Amalie schrieb dem Grafen, daß die Unpäßlichkeit in der er die Mutter verlassen habe, zum bedenklichen Uebel geworden sey, welches seine Gegenwart nothwendig mache. Die Kranke habe zu wiederhohlten Malen nach ihm verlangt und ihr Zustand verschlimrnere sich stündlich etc.

Roderich ließ Augusten in des Bruders Gewahrsam und eilte fort. Dieser sollte sich, laut der Abrede, bereit halten, ihm auf den ersten, deßhalb empfangenen Wink, mit den Schwestern zu folgen.

Rosemunde weinte scheinbar um die Mutter, doch im Herzen über die Nähe der Rückkehr nach Lindenau, und vergaß nicht, im Voraus Anstalt zu der Trauer zu treffen. Jetzt trat Jukunde an ihres Bruders Arm in's Zimmer. Gustav hatte seiner Schwester so viel schönes von Jukunden gesagt und dieser die Gustel mit so ätherischen Farben gemahlt, daß sich beide wie vertraute Freundinnen umfingen. Zu Rosemunden trat der Assessor und schob ein Pappier unter den Krepp welchen sie säumte. Gustav sah das Bittet, sah daß seine Gattin dem Nebenbuhler bedeutend in's Auge blickte, das Pappier an sich nahm und nach der ersten Bewillkommung verschwand. Er folgte ihr.

Gieb! sagte er und faßte ihren Arm.

Was denn, mein Herz?

Das Blatt! entgegnete er, sein Auge rollte.

Wie meinst Du? fragte sie und fuhr in die Tasche.

Das Blatt! Ich erwürge Dich!

O des Tyrannen! rief sie, warf es zur Erde und verschloß sich in das Neben-Zimmer.

 

»Ihr Gemahl« las er »hat gestern um meinetwillen einen Verdruß gehabt, dessen Folgen sehr ernstlich zu werden drohten. Ich trat ins Mittel und glich alles aus. Verkannt von ihm, ohne Hofnung sein Herz zu gewinnen, sag' ich hierdurch der würdigen, über alle Verläumdung erhabenen Gefährtin meines unbilligen Feindes das Lebewohl, und erlaube mir künftig nur, sie aus der Ferne zu verehren.

Der Hofrat von Lassen.«

 

Mach' auf Mündchen! bat der Beruhigte mit seinem gutmüthigsten Ton, aber Mündchen trauere der Lockung nicht. Vergebens wiederhohlte er seine Bitte und las ihr jetzt vor der Thüre die unverdächtige Zuschrift mir so lauter Stimme vor, daß Herr von Lassen, trotz des Geschwätzes seiner Nachbarinnen, jedes Wort vernahm.

Halb erfreut und halb betrübt öffnete die Baronin das Zimmer, und stolzirte an seinem Arm zu den Gästen zurück.

Herr Hofrath, sprach Gustav, ich wünsche Ihnen Glück zu der Beförderung. Sie schreiben eine herrliche Hand. Sehn Sie nur, meine Damen. An Rosemunden hat er geschrieben.

Zitternd ergriff Jukunde den Brief; auch Gustel griff darnach, und sprach nun leise zu dem Bruder – Du hast ihm doch zu viel gethan.

Das glaub' ich selbst! fiel dieser ein und rief die beiden Verdächtigen in's Neben-Zimmer.

Mundel, sprach er, sage mir ein Mal auf Dein Gewissen, bist Du in den Herrn Assessor Hofrath verliebt?

Schäme Dich! entgegnete sie lachend und schlug ein Allegro an.

Du bist's nicht! Du bist's nicht! rief er fröhlich, sonst wärst Du jetzt in Thränen ausgebrochen. Daß Er's nicht ist, beweist sein Brief, also Fried' auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Nun spielt Klavier. Nun singe, Kind. Nun sehn Sie ihr ganz ungescheut in den Nacken. Ich erlaub' es! – Sie zögerte; Lassen beugte sich mit verbissenem Lächeln.

Spielt! Wenn ihr mich lieb habt, spielt! bat Gustav, legte selbst die Noten auf das Pult, schob ihr den Stuhl unter und ging dann zur Gesellschaft zurück.

 

8.

Rosemunde ließ den Baß schweigen, hob die trüben Augen zu dem neuen Hofrath auf und sprach mit Flötenstimme –

Ich fasse Sie nicht.

E. Mein Daseyn stört Ihr Glück, und viel besser ist es, selbst zu leiden, als Leiden zu veranlassen.

S. Ihr Daseyn war mein einziger, mein bester Trost. Allein mit diesem Manne der täglich aus dem Monde fällt, muß ich vergehn.

E. Sie wählten ihn!

S. Verhältnisse –

E. Die noch bestehn?

S. Der Mutter naher Tod vertilgt sie.

E. O Rosemunde!

S. Wer mich bloß aus der Ferne ehrt, muß feierliche Nahmen wählen. Diesen gestatt' ich nur dem anhänglichen Freunde.

Ein zweites Billet glitt jetzt in ihre Hand. Jenes war für den Mann im Monde! sprach er leise und verschwand.

Endlich! – dachte sie, entfaltete hastig die theure Neuigkeit, und las:

 

Daß ich der Ihre bin, daß Sie die Meine sind, daß wir uns angehören, liegt am Tage. Dieser Stern verdient zu glänzen, und zum Glanze führt mein Lauf. Der Minister will mich zu seinem Nachfolger bilden. Kühn und standhaft wird Rosemunde dem Ruf der Schicksals-Mächte folgen, einem despotischen Bruder trotzen, und die Hand des kindischen Thoren mit dem Besitz eines Mannes vertauschen für den sie nicht erröthen darf. Rang und Ehre, Freude und Liebe, alle Kränze des Lebens bietet Ihnen

Friedrich von Lassen.

 

Wie stolz! sprach sie zu sich selbst – Doch der Stolz führt zur Größe und stolz bin ich auch – Und weil ich das bin, will ich frei seyn. Er hat mich entführt. Widerrechtlich ward die Trauung vollzogen, mich schützt das Gesetz. Er mag in Frieden an den Nordpol zurückkehren und über den Unwerth der Weiber schreien. Die Wilden nur verachten das Gold.

 

9.

Komm, bat ihr eintretender Gatte, Jukunde will uns in den fürstlichen Park führen, da soll es herrlich seyn. Aber er bat vergebens, denn ihr Kopfschmerz war zurückgekehrt, und auch Lassens Einladung blieb unerhört. Dieser gab nun Augusten den Arm, Gustav führte Jukunden.

Fürst und Fürstin gingen dort, ohne Gefolge, in der großen Allee auf und nieder.

Lieber Baron, sprach Jukunde zu ihrem Führer, Sie wissen wohl, welche Rücksichten hier zu nehmen sind. Das fürstliche Paar wird uns anreden. Seyn Sie behutsam. Karg in Worten, bescheiden im Ausdruck und lieber stumm als vorlaut. Nicht wahr, Sie vergeben der Freundin diesen Wink?

Ach, gutes Fräulein, erwiederte er, ich wollte, Sie wären meine Seele und sprächen aus mir. Dann legt' ich Ehre ein und Ihnen dürfte nicht bangen. Das hohe Paar kam näher. Die Fürstin schien dem Gemahl irgend etwas angenehmes gesagt zu haben, denn er sah wohlgefällig auf sie herab und küßte ihre Stirn; sie aber drückte seine Hand an ihr Herz.

Tief verbeugten sich jetzt unsere Spazirenden. Die Herrschaft erkannte Jukunden und sprach mit ihr. Diese stellte die Gräfin von Welling vor, welche jetzt einer Rose gleich erglüh'te.

Graf Welling war dem Fürsten als ein talentvoller Diplomatiker bekannt worden. Er wußte daß er sich zurückzog und wünschte, (eines fähigen Mannes für die auswärtigen Geschäfte bedürftig) ihn in seinen Diensten zu sehn. Die Ankunft des Grafen, von der er bereits unterrichtet war, ließ vermuthen, daß diesen vielleicht derselbe Wunsch hierher führe.

Herr von Lassen stellte nun zwar in dem jungen, wunderschönen Begleiter den Bruder der Gräfin vor, er aber vernahm in der Zerstreuung das Bruder-Wort nicht, glaubte den Grafen von Welling, Augustens Gemahl vor sich zu sehn und behandelte ihn auf das zuvorkommenste.

Die Fürstin ihrerseits war von der Präsidentin schon zu mehreren Malen mit den Eigenheiten und der Natürlichkeit ihres jungen Hausgenossen und seiner, ihm ganz gleichen Schwester unterhalten worden, welche Frau von Lassen aus den feurigen Darstellungen des Bruders kannte. Sie freute sich ungemein, diesem seltsamen Paare zu begegnen und fragte Augusten mit traulicher aufmunternder Herzlichkeit: was ihr denn hier wohl am besten gefalle?

Daß Sie einander so liebhaben! entgegnete Gustel.

Gute Seele! sprach die Gerührte und küßte sie.

Ein fürstliches Paar, fuhr Auguste mit wachsendem Herzen fort, hab' ich mir ganz anders gedacht. Schön zwar, doch erhaben, den höhern Wesen gleich, so menschlich nicht. Sie leben wohl ganz wie Mann und Weib?

Ohnfehlbar, meine Liebe! erwiederte diese und streichelte ihr lachend die Wange.

Und küssen sich! Ich sah' es ja. Und scherzen mit einander wie ich und mein Roderich.

Ist Roderich auch so zärtlich wie mein Wilhelm?

Ganz derselbe. So reizend nicht, aber fromm wie ein Lamm! – Ich bin auch fromm.

Und sehr liebenswerth!

Statt des Sternes trägt er ein Kreuz auf dem Herzen. Er ist Johanniter! Und was Johannes seinem Meister war, das ist er mir. Ach, ich bin äusserst glücklich, gnädige Frau, und Sie gewiß auch? Nicht wahr?

Fragen Sie nur meinen Mann! sprach die Fürstin und winkte ihm, den Herr von Lassen bis jetzt unterhielt.

Die Gräfin Welling, fuhr sie fort, von der die Präsidentin uns erzählte. Sie will wissen, ob Du mich glücklich machst?

Zuverlässig, entgegnete Gustel, man sieht Ihnen den Engel an, und schon in Lindenau vernahm ich Ihr Lob. Sie wären ein Vater Ihres Volks, sagte man, ein rechter Tugend-Spiegel wären Sie, als Fürst und Bürger gleich verehrungswerth. Bei Ihrer letzten, gefährlichen Krankheit habe das Volk die Kirchen erfüllt, heilige Hände zum Himmel erhoben und laut um Ihr theueres Leben gefleht. Ihre schöne Gemahlin sey, bei der Vorbitte, weinend auf die Knie gefallen und die ganze Versammlung mit ihr. Ich weinte auch, als mein Roderich das erzählte und lobte im Herzen Gott den Erhörer.

O Wilhelm! rief die erschütterte Fürstin und schmiegte sich an des Gatten Brust.

Selbst durch Lassens verdorbenes Herz flog jetzt ein Schauer der Rührung und Fürst Wilhelm sah mit dem Blicke des innigsten Wohlwollens auf Augusten herab.

 

10.

Die Fürstin nahm mit den Damen in einer nahen Laube Platz, dem Fürsten folgte, auf sein Geheiß, der Ignorant, welcher sich während jener Szene an den Spanischen Hof gedacht hatte. Auch dieser Fürst schritt wie der reichste Mann in der getauften Welt einher, und Maria glich der königlichen Elisabeth. Die Szenen des Karlos wachten wieder in ihm auf, er sah sich jetzt, als Posa, dem Monarchen gegenüber und sein treues Gedächtniß bot ihm so manche Aeusserung des Malthesers für den Nothfall dar.

Ich habe, sprach der Fürst, welcher noch immer den Grafen Welling vor sich zu sehen glaubte, dessen Gattin ihm jetzt sehr theuer worden war, ich habe mindestens eben so viel gutes von Ihnen vernommen als die Frau Gräfin von uns, und wünschte sehr, diesen feyernden Genius für meinen Dienst gewinnen und ihn mir verbinden zu können.

Sire! ich bin vergnügt! entgegnete Gustav.

Mir fehlt ein Mann nach Regensburg Tempi passati.

Wahrhaftig? Dahin, behauptet meine Frau, würden nur die allerfeinsten, allerfähigsten Männer gesandt.

Der Fürst belächelte den Seitenblick und sprach – Das wird der Fall seyn, wenn Sie zusagen.

O, ich fühle mit demuthsvoller Dankbarkeit die Gnade, die Sie durch diese stolze Meinung auf mich häufen, und fürchte nur, den Käufer zu betrügen.

Darauf wag' ich es! Sind Sie der Meine? Wie?

Darf ich sprechen?

Frei und offen!

Recht vom Herzen?

Wie zu einem Bruder.

Gut! Ich bin der Ihre! Es lag schon längst in meinem Plan. Ich will Gesandter werden. Ich will es, weil – ich's will. Der Mundel wegen, die mich für albern hält. Nur in Europa nicht. In's Mohrenland schicken Sie mich, Sire, oder zum Groß-Sultan. Da kann ich nebenher die Heiden bekehren und so Gott will, den Großtürken selbst.

Wilhelm sah ihn mit großen Augen an. Deßhalb also feyert er? sprach er zu sich selbst, bedauerte den Gemüthskranken und lenkte wieder zu den Damen hin. Sie können auf mich rechnen, fuhr Gustav fort, denn mir hat die Tugend eigenen Werth. Da Sie der Künstler sind, so will ich gern zum Meißel werden.

Der gute Mensch, dachte jener, noch im Wahnsinn ehrt er die Tugend!

Meine Frau wird große Freude haben, versicherte Gustav, die ist ganz zur Gesandtin gebohren, und es schadet nicht, wenn auch ihr Nacken ein bischen schwarz wird. Dafür sind wir dort vor dem Assessor in Sicherheit, und die mohrischen Hofrathe fürcht' ich nicht. Die müssen dann im Katechismus studiren und sich laufen lassen.

Jukunde sah dem Zurückkehrenden bänglich entgegen, sah mit Erschrecken wie schnell und eifrig Gustav sprach und die Verlegenheit auf des Fürsten Stirn.

Wenn mich nur die Gustel begleiten dürfte, fuhr er fort, aber das wird der Graf nicht gestatten. Den könnten Sie uns mitgeben, Sire. Als Gesandtschafts-Sekretair. Er war das schon. Man könnt' ihn gut zum Täufer brauchen, denn daß er in's Wasser geht, hab' ich auf der Schwalbe gesehn.

Wie? Sie sind nicht der Grafvon Welling?

Ei bewahre! ich bin der Gustel ihr Bruder. Wir sind Zwillinge. Ach, unserer Mutter Auge schloß sich zu, als wir die unsern eben aufthaten. Doch, ihr Segen kann nicht sterben. Bis zu den Mohren wird er mich begleiten, über's Meer, über's Grab, in den Himmel. Dort wandelt sie in ewiger Freude, und betet für uns!

Immer werther hatte sich indeß Auguste der Fürstin gemacht. Diese sah jetzt zu den Rückkehrenden auf und die seltsamen Eindrücke der Unterredung, auf dem Gesichte ihres Gemahls.

Viel gäb' ich drum, sprach der Fürst leise zu Jukunden, wenn Sie uns jetzt begleitet hätten. Ich hielt dieses Menschenkind für den Grafen von Welling und trug ihm eine Stelle von Bedeutung an.

Der arme Rosenwall! klagte sie mit Flötentönen.

Wohl arm, erwiederte jener, Gemüthskrank und sehr zu bedauern.

Er ist gesund, fiel Jukunde ein, und legte betheuernd die Hand auf ihre fliegende Brust, gesund an Leib und Seele, und zudem vielleicht der edelste Mensch den ich kenne.

So bin ich zu bedauern, entgegnete der Fürst, denn auch ich zähle mich unter Ihre Bekannten.

Sie Monseigneur, gehören den Heroen an, die ihre eigne Gattung sind. Von meines gleichen war die Rede. O, möcht' es mir in dieser Stunde glücken, sein Herz, sein schönes Herz auf seine Lippen zu erheben.

Siehe da, Herr von Rosenwall, sprach Wilhelm, zur Gesellschaft tretend. Sie haben eine glänzende Eroberung gemacht. Verstehn Sie sich auf Mädchen-Werth, so biet' ich mich zum Brautführer an.

O wollte Gott, sie wäre mein! entgegnete Gustav, aber uns Kristen muß an einem Weibe genügen. Zukunde ist gar edel. So fromm, so sanft, als Mundel nie werden wird.

Verzeihen Sie, sprach der Fürst, sich zu dem glühenden Fräulein wendend, ich bin heute zu Mißgriffen verdammt. Einen Heiden-Bekehrer wollt' ich nach Regensburg schicken, und an einen Ehemann verrath ich Ihr Herz. Das feurige Lob führte mich irr. Sie zürnen doch nicht? Beruhigend küßte Jukunde seine Hand.

Rosemunde ist auch gut, versicherte Gustav indeß der Fürstin, und schön. Ein schlanker, blühender Lebensbaum, voll süßer Früchte. Sie aber, holde Fürstin, Sie sind schöner. Wär' ich katholisch, ich würde Sie anbeten, denn Sie gemahnen mich wie die Jungfrau Maria.

So wär' ich denn Joseph? sprach der lächelnde Fürst.

Joseph möcht' ich auch seyn! entgegnete Gustav, der gute Sohn, der reine Jüngling, der das lüsterne Suschen verschmähte.

Der bist Du! fiel Auguste ein, treu als Sohn, als Bruder und als Gatte.

Wissen Sie schon, fragte der Fürst, daß ich ihn für den Ihren hielt?

O ja! rief Gustav. Sie lachte laut daß ich zu hohen Ehren bestimmt worden war. Ich bescheide mich nun. Die Ehre die vor Gott gilt, ein reines Herz und ein gutes Gewissen bleibt doch das beste. Nicht wahr, Fürst Wilhelm?

Sehr wahr! erwiederte dieser und legte bewegt die Hand auf seine Schulter, immerdar schmücke Sie diese!

Vergeben Sie ihm seine Sprachseligkeit, bat Jukunde, wo ihm wohl ist, wird er vorlaut.

Hier ist mir sehr wohl, versicherte Gustav, mir ist, als wär' ich unter den Seligen, und Sie, Fürstin, wären die verewigte Mutter und Jukunde die verklärte Tante, meine Pflegerin, meine Freundin!

Auch mein Mann ist im Himmel! rief die Fürstin.

Der wird zum Cherub, sagte Auguste, und sah mit Andacht zu ihm auf, der Herr hat ihn über viele gesetzt.

Ihr Gemahl, sprach der Fürst, dem es immer besser unter diesen Wesen gefiel, Ihr Gemahl ist in jeder Rücksicht beneidenswerth. O, machen Sie Ihren Zauber zum Vortheil meines Staates geltend. Er schenke sich diesem und mir.

Ach, gnädigster Herr, entgegnete Gustel, mein Roderich fürchtet den Hof und die Fürsten.

Sie auch?

Ich fürchte Gott, erwiederte die Gräfin, aber so gut als heute würden Sie doch nicht gegen uns bleiben.

Nicht? Auch in der Unschuld Herzen spricht also das gemeine Vorurtheil über uns ab?

Ich denke nur so. Hätte mich die Fürstin lieb, so würden Ihre Damen scheel sehn, und die Herren, wenn Sie dem Roderich wohlwollten. Meiner würde man spotten. Ihn verläumden und vergebens hätten wir Ihnen unsere Herzen, voll Redlichkeit und Treue geweiht.

Wer sagte Ihnen, daß es so kommen würde?

Roderich, der an Höfen lebte. Das wahre Glück, sagt' er, fliehe das scheinbare; ein wilder Strom umrausche den Pallast, ein sanfter Bach bespüle die geborgne Hütte.

Das ist wohl nur so bildlich gemeint, sprach Gustav, wie mit dem Gärtner und den Jungfrauen, denn ihr Schloß in Lindenau sucht seines Gleichen.

Aber versenden darfst Du ihn nicht! fiel die Fürstin ein, die Gräfin muß in meiner Nähe bleiben.

Und was machen Sie denn aus mir? fragte der Baron, sollt' ich denn zu gar nichts taugen?

Zum Armen-Vater! sprach Jukunde mit Herzlichkeit.

Eben fuhr der Wagen vor. Die Gräfin ward von ihrer neuen Freundin umarmt und von dem Fürsten mit Aufträgen an ihren Gatten beehrt. Beide legten die Zwillinge ihrer Gefährtin an's Herz, und freudig gelobte Zukunde, an beiden Schwester-Stelle zu vertreten. Gustav führte die erlauchte Maria zum Wagen und sie drückte ihm mit einem holdseligen Blicke die Hand.

 

11.

Unstät und flüchtig war Herr von Lassen indeß umher gewandelt. Er verlohr sich in den düstersten Verstecken des Hayns denn seine Brust ward von seltsamen Empfindungen bewegt. Diese entzückende Unschuld, dieses angenehme Wechselspiel von Herzensglut und Heiligkeit war ihm neu. Ach wie kleinlich und werthlos ward die sinnliche, weibliche Rosemunde neben dieser höhern Erscheinung. O, daß sie mein wäre! sprach er zu sich selbst. Mit sanfter Hand würde die Reine mich aus dem Strudel emporheben, mir alle Güter, alle Freuden, alle Hofnungen wiedergeben, die ich den sterblichen Götzen meiner Vergangenheit opferte.

Versunken in solche Träume, kam er in das Haus zurück, wo Frau von Rosenwall, die auf diese Erwartung hin, den Spaziergang versagt hatte, geschürzt mit dem Gürtel der Göttin, seiner harrte.

Sie sah den Hofrath kommen, legte zum letzten Male ihre Locken zurecht, warf sich in eine mahlerische Stellung und hörte ihn jetzt, zu ihrem höchsten Befremden, vorübergehn.

Bald darauf trat die fröhliche Gesellschaft ein. Ich habe Fürstens gesprochen, rief Gustav, und warf sich mit stürmischer Zärtlichkeit an ihre Seite. Sie ist eine herrliche Frau. Die Gustel mußte sich zu ihr setzen. Ein Mal über das andere nahm Sie die bey der Hand und nannte sie bald schön, bald gut, bald liebenswerth.

Rosemunde verblaßte.

Und mit mir ging der Sire spazieren und wollte mich nach Regensburg schicken. Aber ich werde nun Armen-Vater und Gustel Hofdame, so bald sie nur will.

Also zum besten hatte man Euch? rief sie auflebend, und lachte recht bitter.

Nein Gute, sprach Jukunde, dieses Paar ehrt die Menschheit am Menschen. Alles was Ihr Mann erzählt, ist wahr, nur die Versendung gilt dem Grafen, welchen der Fürst in seinen Dienst zu ziehen wünscht.

Frau von Rosenwall ward von neuem böse. Um alles das, dachte sie, brachte mich Lassen. Gelang es diesen Wilden zu gefallen, wie würde ich geglänzt haben? Die Fürstin ist kaum halb so hübsch, fett wie eine Türkin und geistlos: Er jung und artig, also schwach. Ich hätt' ihn gewonnen! – Verzweifeln möchte man.

Was sinnst Du denn? fragte Gustav und umhalste sie.

Laß mich! rief sie mit ausbrechendem Groll und stieß ihn zurück.

Pfuy, schäme Dich, Armen-Mutter! entgegnete er. Die Fürstin war gütiger. Wie sie ihren Wilhelm so lieb hatte, dacht' ich an Dich und ward recht traurig.

Du bist wohl krank, Rosemunde? fragte Gustel.

Ja! Ja! Sie ist krank! sprach ihr Bruder entschuldigend.

So oft ich Euch sehe! entgegnete sie und verließ das Zimmer – Gustav stürzte ihr nach, führte die Sträubende zurück und wiederhohlte mit Heftigkeit – So oft Du uns siehst?

So oft ich mich des großen Kindes, der albernen Puppe, des lächerlichen Pinsels schämen muß.

Hebe Dich weg! rief er; laut lachend hüpfte sie fort. Und die Engel, fuhr Gustav fort, und warf sich an Jukundens Brust, und die Engel kamen und dienten ihm.

Ach, die ist übel geplagt! sprach Auguste, wie die Tochter des kananäischen Weibes.

Besessen! fiel der Bruder ein.

Jukunde hörte den ihren kommen wand sich sanft aus Gustavs Arm und ging, die Freifrau aufzusuchen. Ihr folgte der Baron, welcher der Präsidentin sein Abenteuer im Park mittheilen mußte, und oben große Gesellschaft traf.

Einsam und betrübt wandelte Auguste auf und nieder, sah jetzt das Billet des Hofraths, welches Rosenmunde, als der Bruder die Sträubende zurückhohlt, verlohren haben mußte, am Boden liegen und erblaßte über den Inhalt. Eben trat Herr von Lassen ein, um sie zu der Gesellschaft hinaufzuführen, wo, wie er versicherte, ihr Bruder jetzt, empfohlen durch den Beifall des Fürsten, eine glänzende Rolle spiele.

Die Herrschaft, fuhr er fort, versteht sich auf Menschenwerth und der Triumph des Ihren hat mich heut' erhoben und entzückt. Einer glänzenden, himmlischen Erscheinung gleich, standen Sie unter den sterblichen Wesen und auch mein Herz ward von der Glorie dieser Heiligen erwärmt.

So? sprach Auguste, gleich beten Sie den Glauben, Herr von Lassen.

Den Glauben? Ich?

Denn das vermag kein böser Geist. Sie sind ein solcher.

Fürchten Sie das nicht. Hofnungslos trauern diese. Ich hoffe noch!

Doch auf den Himmel nicht? Kein Unreiner wird ihn sehn.

Ich seh' ihn schon – in diesen Augen.

Locken Sie immer, ich folg' Ihnen nicht und die Schwägerin wollen wir retten.

Wie? zeugt nicht jenes Billet, das in Gustavs Hände fiel, für die Rechtlichkeit meiner Grundsätze?

Darüber, entgegnete sie, mag Ihre Frau Mutter absprechen, zu der Sie mich jetzt begleiten sollen.

Willig bot er ihr den Arm, und ahnte nicht, daß von der zweiten, eben gefundenen Zuschrift die Rede sey. Meine Mutter, sprach er auf der Stiege, ist eine treffliche aber seltsame Frau, die von altmodischen Vorurtheilen regiert wird. Sie, theure Gräfin sind trefflich ohne jene, und über Verhältnisse dieser Art darf nur ein junges Herz absprechen.

Auch das! entgegnete sie in den Saal tretend, so mögen die jungen Herzen dieses Kreises entscheiden.

Leise, doch dringend bat er, einem so schmähsüchtigen Haufen die Unschuld Ihrer Schwägerin nicht Preis zu geben, doch Auguste eilte jetzt von seinem Arme an das Herz der Präsidentin, welche sie mit Zärtlichkeit umarmte.

 

12.

Gustav saß mitten unter den Herren. Keiner von denen die ihn gestern noch zum Gegenstand ihres giftigen Witzes machten, hatte sich bis jetzt nur einen zweideutigen Blick auf den Riesen erlaubt, der mit Menschen wie mit Bällen spielte, und Kraft Lassens Versicherung, dem Fürsten gefiel. Jetzt standen diese, verlohren in Augustens Anschaun, die sie mit den großen unschuldigen Augen, der Reihe nach, so muthig ansah, daß die Augen des schuldigen Kleeblatts welches gestern mit Schellau gemeine Sache gegen Gustav machte, betroffen zu Boden fielen.

Die sind es! sprach er leise zu ihr.

Ist Herr von Schellau unter Ihnen? fragte Gustel, als jetzt die Präsidentin abgerufen ward, und trat wie eine Schicksals-Göttin in den Kreis. Seine Freunde beklagten, daß ein heftiger Husten ihn um das Glück bringe, die Perle der nordischen Damen bewundern zu dürfen.

Ihn kann ich nicht bewundern, entgegnete sie. Er hat die Schwester meines edeln Mannes beschimpft und meinen Bruder zur Sünde gereizt. Die wehrlose Ehre einer unbescholtenen Frau hat er befleckt und das ist gottloser als ein Mord, der nur den Leib tödtet. – Sprechen Sie doch auch, Herr von Lassen. Auch Ihre Unschuld ward befleckt. Waschen Sie sich rein von dieser Missethat.

Meine Herren! sprach Lassen, zwar bestürzt, doch mit Festigkeit, daß Herr von Schellau zur Unzeit scherzte, vergeb' ich dem Punsch der die Stimme der Vernunft in ihm erstickte, doch auf mein Ehrenwort erklär' ich hier, daß Frau von Rosenwall ein Gegenstand meiner Verehrung und ihr Verhältniß zu mir das reinste ist.

Die gestrigen Lacher standen in trauriger Armseligkeit vor der Perle der nordischen Frauen, und wußten auf diesen Reinigungs-Eid nichts zu erwiedern. Auguste blickte sie noch ein Mal, der Reihe nach, an und kehrte dann in das Damen-Zimmer zurück wo eben Frau von Lassen mit Rosemunden eintrat. Die Spieltische wurden geordnet, aber vergebens sahen sich jeht die Bedienten nach Schellaus Freunden um, die wie gestern verschwunden waren. Gustel hatte die Spreu weggeblasen und nur die Körner blieben zurück.

 

13.

Sie schworen falsch! sprach Auguste zu dem Hofrath, der verfolgt von den Blicken der spielenden Baronin, auf einem entfernten Sopha, zwischen der Gräfin und seiner Schwester Platz nahm.

Ich begreife nicht, entgegnete er, wie ein so reines Herz das Gift des Argwohns nähren kann der in der Regel nur die Plage der Menschenkenner ist.

Was habt ihr denn, Kinder? fragte die Präsidentin und neigte sich zu der einsamen Gruppe.

Wir verzweifeln an einander! entgegnete Gustel.

O zeigen Sie meiner Mutter den Brief, bat Herr von Lassen denn Sie selbst fürchtet das Undenkbare und ich kann jetzt nur gewinnen.

Ich soll? Ich muß auch! Meines Bruders Ruhe, meines Mannes Ehre hängt an ihm. Schweigend nahm die Präsidentin das Blatt aus Augustens Hand und ging, der Brille bedürftig, nach ihrem Zimmer. Lächelnd spielte Lassen mit seinem Uhrband und sah fortwährend nach der Thüre durch welche die beruhigte Mutter hereintreten sollte. Unzufrieden mit Augustens schonungsloser Heftigkeit, schwieg Jukunde, die den Brief für jene, ihr bekannt wordene Entsagungs-Akte des Bruders hielt, doch statt der Präsidentin trat ein Bedienter aus der Thüre und rief das Fräulein zu ihr ab. Selbst meine Mutter, sprach er jetzt, und neigte sich zu Augustens Ohr, selbst diese strenge Sittenrichterin wird mir erlauben, Ihre Frau Schwägerin aus der Ferne verehren zu dürfen.

Sie wird, erwiederte Auguste, am besten beurtheilen können, ob Rosemunde die Ihre ist, ob Sie der Ihre sind? Mit einem Sterne wenigstens hat sie nichts gemein. Die wandeln unsträflich auf ihrer Bahn und loben den Herren.

Der Hofrath glaubte versinken zu müssen. Und dieß Billet, sprach er kleinlaut, fiel in Ihre Hand?

Nein, in die Stube! entgegnete sie.

Und dieses gaben Sie der Mutter?

Auf Ihr Verlangen.

Er sprang empor, stand einen Augenblick bewegungslos und eilte dann Jukunden nach.

Rosemunde hatte indeß die Sprechenden fest im Auge behalten. Lassens rasche Gebehrden-Sprache verrieth ihr, daß Dinge von Wichtigkeit verhandelt würden: die rücksichtlose Heftigkeit mit welcher er der Schwester in das mütterliche Kabinet nacheilte, daß sie nicht von der angenehmsten Art seyn könnten und zitternd bat sie jetzt einen Kammerherrn der ihr den Hof machte, das Spiel zu nehmen, denn ein Griff in ihre Tasche überzeugte sie von dem Verluste.

Sie eilte hinab und durchsuchte vergebens das ganze Quartier. Jetzt fiel ihr auch bei, daß der Hoftath, welcher im günstigsten Augenblick ihre Thüre vorüberging und oben mit allen Damen sprach, sie absichtlich vermieden, ihre verlangenden Blicke nur kalt erwiedert, ihre strafenden gleichgültig übersehen hatte. Die Wahrscheinlichkeit, von dem Verräther getauscht, von dem Gatten gehaßt, von der Präsidentin, von Jukunden und Augusten verabscheut zu werden, warf die Schuldige auf die Folter der Seelenangst, und schon bereuete sie für einen Augenblick ihren Leichtsinn, als ihr schnell ein Mittel beifiel, sich diesem Stande der Erniedrigung auf eine glänzende und ehrenvolle Weise zu entreissen.

Sie eilte zum Pulte, ergriff den nächsten Bogen und schrieb -

 

»Ihr Dünkel, Herr von Lassen, gleicht Ihrer Keckheit, doch meinem Pflichtgefühle nur der Stolz mit dem ich Sie verachte.«

 

Diese Zeilen wurden eilig über dem Lichte getrocknet und in's Pult zurückgeworfen. Der Rettung froh, ging die Baronin jetzt zur Gesellschaft, ward aber, auf dem Wege zum Spieltisch, von der eben zurückkehrenden Präsidentin in ein Fenster gezogen.

Frau von Rosenwall, sprach diese, Sie haben heute, wie ich weiß, eine Zuschrift von meinem Sohne empfangen, die –

Die, fiel Nosemunde ein, aufs mindeste empörend lautete. So eben vermißt' ich sie.

Der Zufall führte diesen schrecklichen Zeugen seines Leichtsinns in meine Hand –

Die zärtliche Mutter wählt da ein sehr schonendes Wort –

Der Mutter liegt für den Augenblick hauptsächlich nur daran, zu wissen, wer von beiden die Losung zu einem Verbrechen gab, das mein Herz zerbricht –

Der Mutter verzeih ich diese krankende Frage; die Antwort finden Sie in meinem Pulte.

Wie? Der Briefwechsel war also schon in vollem Gange?

Im Beginnen, gnädige Frau, doch meine erste Erwiederung liegt, noch unvollendet, im Sekretair. Hier ist der Schlüssel. Ich darf, zur Rettung meiner Ehre hoffen, daß Sie sich selbst hinabbemühen und jedes Blatt das er enthält, der Prüfung unterwerfen werden.

Damit hüpfte sie an den Spieltisch zurück und begeisterte die umstehenden Herren durch den Erguß ihrer Laune und die Gewandtheit ihres Spiels.

Frau von Lassen sah in dieser Foderung nur ein keckes, auf ihre Bescheidenheit berechnetes Wagstück der Entlarvten, ging, sie zu beschämen, in Begleitung Augustens und Jukundens hinab, fand zu ihrem Erstaunen, ausser der überraschenden, würdevollen Abfertigung des strafbaren Sohnes, nichts von Bedeutung, und kehrte mit dieser Antwort, sprachlos und beschämt, in ihr Kabinet zurück.

 

14.

Gustav ahnte nichts von allem was sich, in so nahem Bezug auf sein Schicksal, um und neben ihm zutrug. Er hatte den Kornet in ein Fenster gedrängt, und ihn mit einer Buß-Vermahnung erbaut; denn daß Du im Glauben wankst, fuhr er fort: liegt am Tage. In Deinem gestrigen Liede bestandst Du darauf, daß allem Sündern vergeben und die Hölle nicht mehr seyn solle. Dergleichen Vorschriften aber, sind heller Frevel der die Hölle nur heisser macht. Höre, die hab' ich selbst: daheim in meinem biblischen Bilderbuche. Kornet, das ist schrecklich. Am Spieße werden die Spötter gebraten und zwischen zweien steckt immer ein Suschen mitten inne. Wie brannten die.

Ich wollte, Jukunde brennte für mich! fiel der Kornet seufzend ein.

Den Himmel hat mir die Gustel zerrissen. Die Seligen zogen wie blöde Gäste ein. Ob auch zu Paaren weiß ich nicht, denn sie standen quervor.

Auch das Fräulein kehrt mir den Rücken zu.

Jukunde ist brav. Die steht dereinst auch mit quervor!

Zuverlässig.

Im Himmel laß ich sie nicht von der Seite.

Wäre sie nur auf Erden mein!

Den Leib magst Du nehmen. Frage doch zu.

Ach Freund, uns scheidet ein eisernes Gesetz. Wir dürfen nur reichen Mädchen die Hand bieten.

Wer befahl das?

Der Fürst.

Das ist grausam! Wie? ihr dürft nicht Menschen seyn? dürft dem heiligsten Rufe der Natur nicht folgen? Das einzige, das höchste Lebensglück, die reinen Segnungen der häuslichen Freude nicht geniessen? O ihr Armen! Wer Euch diesem Verbot unterwarf, war gewiß weder Gatte noch Vater, oder beides zu seyn nicht werth.

Oder unglücklich in beiden Verhältnissen: vielleicht auch ohne Herz und Sinn für die seligsten Gefühle der Menschenbrust.

Du armer Kornet! Also nur die Freude, zu erschlagen oder erschlagen zu werden ist Euch gegönnt? Aber müssen diese Reichen auch schön seyn?

Mit nichten! Und glichen sie beladenen Kameelen, nur die Ladung entscheidet.

Wird denn da auch nach den bessern Schätzen gesehen?

Das Gesetz zieht bloß die irrdischen in Betracht.

Ei, nun begreif ich wohl, warum es so viel Suschen giebt, so viel ewige Braute. Ihr macht sie dazu. Nein, da lob' ich uns! Wir machen Weiber. Geh, nimm den Abschied, sey fruchtbar und mehre Dich!

Meine Verhältnisse erlauben das nicht.

Sonderbar. Ihr besteht hier aus lauter Verhältnissen. So tritt doch in die hiesigen Dienste. Dieser Fürst ist ja ein Krist, der heyrathet und heyrathen läßt, nach Gottes Willen. Bei dem wollt' ich selbst um Jukunden für Dich anhalten.

Sie verschmäht mich. Vor Monathen zwar lächelte mir eine Hofnung und schon faßt' ich die Idee, welche Du eben jetzt hinwarfst, aber plötzlich zog sich das Fräulein zurück und auch im Laufe dieses Abends hat sie nur zu Dir aufgesehn.

Ja das glaub' ich. Das thut sie des Schutzes wegen, den mir die Gute gelobt hat. Sobald sich irgend jemand an mich macht, den sie für zweideutig oder gefährlich hält, empfang ich einen Wink oder werde von ihr abgerufen und an ihre Seite verpflanzt. Absonderlich winkt sie mir, wenn ich unter die Susannen gerathe.

Wohl mir; so gelt' ich doch etwas in ihren Augen. Sie sah zu wiederhohlten Malen auf Dich her und lächelte freundlich. Das, Rosenwall, das wär' ein Weib für Dich!

Ach, ich hab' eins!

Das ihr gleicht?

Noch heute sprach ich Ja! Doch Kornet – ich log! Gefällt Dir die Mundel?

Sie bezaubert.

Von aussen.

Und versteht zu gefallen –

Nur mir nicht.

Ein Weib das Allen gefällt, fällt gern. Du liebst Sie doch?

Ach, ich verstehe mich nicht mehr. Sich selbst zu ergründen, ist wohl überhaupt die schwerste Kunst. Es gab eine Zeit, wo ich schwor daß sie mir alles wäre, jetzt aber scheint es mir, als habe das nur der rohe Trieb in mir behauptet, als hätt' ich noch keine, ausser der Gustel, geliebt als würd' ich künftig keine lieben als sie und Jukunden.

Eben trat das Fraulein, welches diesen Nachsatz vernahm, in sprechender Betroffenheit zwischen beide.

Er ist gut aufgehoben! versicherte Herr von Silfen.

Sehr gut! rief Gustav. Wir haben von geistlichen Dingen gesprochen. Ich erzählte ihm, wie die Susannen in der Hölle bedankt werden und das bracht' uns auf Sie. Der Himmel vielmehr, denn ich beschrieb' ihm die Seligen.

Herr von Silfen, sprach die Erglühende zu diesem. Sie wollen uns, wie ich höre, bald verlassen?

Mein Urlaub, erwiederte der Kornet, läuft zum Ende, und nur von Ihnen hängt es ab, ob er verlängert werden soll.

O sprechen Sie Ja! bat Gustav und streichelte ihre Hand.

Thun Sie was Ihnen gut dünkt! erwiederte diese.

Das heißt – Fort! Fort!

Wie ungerecht!

Das heißt – Bleib da! fiel Gustav ein. Seyn Sie doch freundlich, liebe Seele. Er ist Ihnen so gut. Zur Frau kann er Sie zwar nicht machen aber doch zur Braut und das wird doch jede gern. Sie können dann Lebenslang im Kranze gehn.

Vergebens strebte Jukunda, sich wieder zu entfernen. Er faßte ihren Arm und sprach – Wär' ich wie Sie, ich nähme den Willen für die That. Silfen ist gut und ich weiß ja doch, daß Sie ihn wie sich selbst lieben. Wie? rief das Fräulein mit steigendem Unmuth – Lassen Sie mich noch ein bischen reden, bat er, ich weiß es. Ich beschwör' es! Sie sind eine musterhafte Kristin. Gott über alles, den Nächsten wie sich selbst, das ist die Losung Ihres Glaubens, und gehört ein Dragoner nicht auch unter die Nächsten?

Vergeben Sie ihm, sprach der Kornet und faßte ihre andere Hand, er ahnet nicht daß er Sie martert.

Ich will Ihr Glück, versicherte Gustav, will daß Sie im Himmel mit quervor stehen sollen, und das wird keiner Lieblosen wiederfahren.

Die Präsidentin ging vorüber. Beide Beschwörer ließen schnell ihre Hände fallen und die Gepeinigte verschwand.

Wenn Du sie nur gewinnen könntest! sprach Gustav jetzt zu dem traurigen Freunde. Auf einer Seereise machte sich das; ich habe Beispiele. Käm' ein Sturm, so lockt ich sie aufs Verdeck und Du hieltest sie dann, wie Welling die Gustel, über den Wogen – Feuer wär' auch gut, aber wer sollte das anlegen? Hier ist alles steinern. Ja, bei der Mundel, da reichte die simple Ueberraschung hin, denn ganz von selbst ritt die mir dann entgegen. Versuche doch auch einen Ueberfall. Den Weg zu ihrem Schlafzimmer kenn' ich und allenfalls begleit' ich Dich und helfe zureden. Zureden hilft! Was meinst Du, Silfen?

Daß sie verlohren ist! entgegnete dieser und ging zur Gesellschaft.

Frau Baronin, sprach die Präsidentin nach geendigtem Spiel, der Mutter werden Sie die unzarte Aeusserung von vorhin vergeben und zum Besten Ihrer beleidigten Würde diese Zeilen meinem Sohne selbst überreichen. Leicht könnte dieser ja sonst glauben, daß sie unter meinem Einfluß entstanden wären.

Gnädige Frau, erwiederte Rosemunde: ganz ohne fremden Einfluß weiß eine Welling was sie sich schuldig ist und dieser Fund bleibt, wie billig, das Eigenthum der bemüheten Sucherin. Sie betonte diese Worte so nachdrücklich, daß alle Anwesende aufhorchten und ging nun, mit einer leichten Verbeugung gegen diese, stürmisch wie die zürnende Juno, ihres Wegs. Frau von Lassen machte, mit zerrissenem Herzen, einen Scherz aus dem Wortwechsel und öffnete das Tafelzimmer.

 

15.

Den Schweden nahmen Mutter und Tochter zwischen sich, der Kornet fand neben Augusten seinen Platz. Gustav hatte ihr, als jener das Fräulein verlohren gab, die Leiden des jungen Dragoners geklagt und sie um ihre Vermittelung gebeten. Der Kornet führte jetzt selbst das Gespräch auf den Gegenstand seiner Verehrung, und als sie, wie alle Damen, wenn von der Liebe die Rede ist, andächtig dieser Rede lauschte, gestand er ihr, daß Jukundens Besitz ihn, zum Glücklichsten machen würde.

Das glaub' ich gern, entgegnete sie, aber Jukunde möchte auch gern die Glücklichste werden.

Nur Liebe macht dazu, und die meine vergöttert sie.

Auguste lachte. Er erlaubte sich zu fragen, worüber?

Frau Kornettin! erwiederte diese, das klänge doch seltsam.

Man hat Beispiele, sprach er betroffen, daß Exzellenzen aus Kornettinnen wurden.

Es ist grundfalsch, fuhr Gustel fort, daß diese Herren von unten hinaufrücken und nicht, wie wir, mit den Jahren an Bedeutung zurückgehn. In diesem Falle wären Sie jetzt Feldmarschall, und mit Freuden würde jedes Mädchen nach den Feldmarschällen greifen. Sie hätten Geld vollauf und daran mangelt es hier überall den jungen Leuten. Viel schneller als dem Salomo würde es Ihnen klar werden, daß alles ganz eitel sey und daß man nur durch's Kreuz in's Leben dringt. Je mehr Sie dann das Alter abschwächte, je weiter rückten Sie hinab, je geringer würde Ihr Einfluß, je weniger schadeten Gicht und Podagra der guten Sache. Hab'ich nicht Recht, Herr Kornet?

Sollte mein Titel für eine Jukunde zum Steine des Anstosses werden?

Nichts weniger, versicherte Auguste. Ich für mein Theil wenigstens, würde mit Freuden Ihre Kornettin, wenn mir nicht schon ein guter, trefflicher Gatte zur Seite stände. Die Soldaten hab' ich lieb. Sie sind die sprechenden Sinnbilder der Männlichkeit und was männlich ist, ist schön. Ein kleiner, weibischer, würdeloser Mann kömmt mir vor, wie der erste Strumpf den ich strickte. Selbst der Tante drang er ein Lächeln ab. Ich schämte mich seiner und warf ihn der Katze nach. Aber Sie dauern mich recht. Sie haben nichts strumpfartiges; mit Ihnen wollt' ich durch jeden Wald reisen und die Räuber nicht fürchten. Im Kriege sind Sie wohl auch gewesen?

Mein Vater war Oberster eines Kürassier, Regiments und schon im vierzehnten Jahr focht ich als Junker, an seiner Seite, gegen die Türken –

Sie armes Junkerchen! Das könnte mich rühren! Und gegen den Erbfeind?

Einst waren wir versprengt. Drei Spahi's trachteten nach meiner Standarte, aber ich schoß den Begehrlichsten nieder und rettete sie.

Ihr seltsamen Menschen! Stecht und schießt, spielt und scherzt mit den Schrecken des Todes und werdet doch, uns gegenüber, zu Lämmern – so fromm, so wehrlos daß ich Ihnen, auf diese Gefahr, alles gebrannte Herzleid zufügen wollte – Doch, fuhr sie fort, und lachte laut, doch kenn' ich einen General, über den wohl selbst die Türken gelacht hätten. Meines Mannes Onkel. Sehn Sie, Herr Kornet, das ist nun völlig einer von denen, die von Monath zu Monath abwärts rücken sollten, bis sie – gar nichts mehr wären, denn selbst zum Sterben taugt er nicht. Seinen Adjutanten laß ich gelten. Der ist wie Sie.

O werden Sie der meine bei Jukunden. Eine solche Fürsprecherin ist ein Genius, der die Herzen öffnet und gewinnt.

Oft schon haben mich gute Freunde den Engeln verglichen, aber ich weiß am besten wie menschlich ich bin, wie fehlerhaft und schwach. So, zum Beispiel, aber das bleibt unter uns, so thut es mir im Herzen weh daß Sie zu mir. mit diesem Feuer, von Jukunden sprechen, und ich eine andere für Sie gewinnen soll. Das Warum? ist mir um so räthselhafter, da ich meinen Mann herzlich lieb habe. Mein Mann ist auch vornehmer als Sie, schöner und viel geschmeidiger, aber ich gönne nun einmal Jukunden keinem andern als etwa dem Gustav, und Sie, guter Freund, keiner andern, als – Aber warten Sie doch, bis Sie General sind, Herr von Silfen. Ist meine Freundin dann noch ledig, so steh' ich für ihre Hand.

Der Kornet sah mit einem weinerlichen Lächeln auf seinen Teller nieder und sprach sehr leise: Sie sind ein reines Sinnbild der lautern, unentheiligten Natur, doch beschwör' ich Sie, bei Ihres Gatten Heil und Ihrer Ruhe, nie wieder einem jungen Manne zu vertrauen was dieß Gemüth bewegt. Noch mancher bedeutendere wird Ihnen begegnen, sein Ohr zu Ihren Lippen, sein Herz zu Ihrer Seele neigen und Sie, ergriffen von dem Drange des Begehrens, unwillkührlich umstricken. Dann werden Sie den Verführer verwünschen und nicht zugeben daß er nur, wie fast allemal, der Verführte war.

Auguste sah ihn mit großen Augen an. Könnten Sie mich verführen? fragte sie, ward aber in diesem Augenblick von einer Nachbarin zur Fällung ihres Gutachtens über den Aufsatz der Präsidentin aufgefordert.

Herr von Silfen bewahrte die Antwort in seinem Herzen und suchte vergebens Jukundens Augen zu begegnen, die, wie es schien, voll Thränen hingen.

 

16.

Der Hofrath hatte sich bei Tafel entschuldigen lassen und trat jetzt leise in Rosemundens Zimmer.

Ich komme, sprach er, zu hören ob Sie gesonnen sind, diese Erklärung zu unterzeichnen welcher die Unterschrift noch fehlt. So eben empfing ich sie aus der Mutter Hand.

Auch ohne diese, entgegnete die Baronin, mag sie als Richtschnur für Ihr künftiges Benehmen dienen.

E. Verdien' ich diese Kälte?

S. Die Antwort liegt in Ihrer Hand.

E. Und diese hätt' Ihnen Ihr Herz diktirt? Ich sehe in ihr nur die gelungene Ausflucht des stärken Geistes der, wie billig, mit den schwachem dieses Kreises spielt.

S. Ja! Mit dem schwächsten spielte ich. Das Spiel ist aus. Ich gähne und Sie gehn.

E. Ich gewann. Sie lieben mich!

S. Ich liebe alles was Ihnen abgeht.

E. Rosemunde glaubt sich vernachlässigt. Das ist die Ursache Ihres Zorns. Aber fordern nicht unsre Verhältnisse die sorgfältigste Rücksicht, und wär' es klug, eine Leidenschaft leuchten zu lassen, die am feurigsten im Verborgenen glüht?

Sie klingelte.

Was soll das? fragte er und hielt ihren Arm.

S. Meine Jungfer liebt das Pathetische.

E. Morgen bereuen Sie Ihre Härte. Ich gehe.

S. Für immer, bitte ich. Halten Sie nun Wort. Verehren Sie mich aus der Ferne.

E. Sie dringen mir Verachtung auf.

S. Das Gefühl ist frei.

E. Ich schwöre Ihnen Haß –

S. Ich Ihnen Verachtung!

E. Wohl! es gelte!

S. Gilt es, so empfängt der Fürst Ihr Billet, und alle, denen Sie heut Ihre Unschuld auf Ehre betheuerten, sollen es lesen.

E. Rosemunde! Nein, so boshaft können Sie nicht handeln.

S. Nur pflichtmäßig.

E. Nicht mir allein, auch meiner Mutter, meiner Schwester schaden Sie dann.

S. Das Pflichtgebot nimmt keine Rücksicht.

E. Sie nennen Schadenfreude, Pflicht.

S. Es bleibt dabei.

E. Zum Glück ist es in guten Händen.

S. Ja, in den meinen; die Präsidentin gab es mir zurück.

E. Ich bin verlohren, wenn Sie die Furie sind.

S. Wollten Sie mich nicht verachten?

E. Das Billet!

S. Die offne Fehde sollte gelten?

E. Das Billet – Um meiner Mutter willen, die Ihnen wohlthat –

S. Und nun ich zu der Schleuder greife, wird der Goliath zum Wurme.

E. Das Billet. Um jeden Preis! Sie selbst bestimmen ihn.

S. Sie wollten mich verderben, Herr Hofrath, nicht wahr?

E. Ich betete Sie an.

S. An Liebe, Hand und Ehe war nicht zu denken?

E. Eine Gattin fragt –

S. Ich war zu scheiden –

E. Nicht so leicht.

S. Sie haben meinen Ruf befleckt; man nennt mich Ihre Buhlerin. Doch Frau von Lassen will ich heissen und nur um diesen Preis bleibt meine Drohung unerfüllt.

E. Wenn nicht die Mutter wäre –

S. Die war schon, als Sie schrieben –

E. Meine Aussichten mir gestatteten –

S. Die eben sollten mich gewinnen. In klaren Worten gelobte Ihre Großmuth, Glanz und Freude mit mir zu theilen. Entschließen Sie sich kurz, denn morgen möchten diese Aussichten für immer verschlossen seyn.

E. O Nemesis!

S. Danken Sie ihr. Ich bin eine gute Partie. Der Mutter Tod macht mich reich. Morgen früh erwart' ich Antwort. Um zehn Uhr ist Cour und ich ließ mich zur Vorstellung ansagen. Gute Nacht, Herr von Lassen.

Sie verschwand. Er ging voll innern Grimmes.

 

17.

Der Graf von Welling trat jeht in der Mutter Zimmer. Roderich! mein Roderich! rief die Sterbende, streckte die Arme nach ihm aus und sank entseelt an Leopoldinens Herz. Der Sohn bedeckte sie mit seinen Thränen, das Fraulein drückte ihr weinend die Augen zu; Amalie schluchzte an Seehofs Brust, mit Pathos rief Lina – Meine Mutter! Sie begriff nicht, warum ihr eben jetzt, zum ersten Mal in ihrem Leben, keine Thräne zu Gebot stand und eilte hinab, einen reitenden Boten an die Modehändlerin abzufertigen. Der Onkel faß indeß, versunken in die Schrecken der Ewigkeit, neben dem Pfeilertisch am Fenster und zerklopfte den vergoldeten Engel, wie am Tage der Ankunft, den Kopf. Er hatte eben die Bitte der sterbenden Gräfin gewährt, seine Einwilligung zu Seehofs Verbindung mit Amalien gegeben und glänzte wie ein Leidtragender unter den Thränen, womit die weinenden Dankbaren ihn bedeckten.

Poldchen! rief er kleinlaut, sie eilte zu ihm. Was sag' ich, fragt' er leise, was sag' ich dem Grafen zur Condolenz?

Sie bedachte sich einen Augenblick und sprach: Sagen Sie, der Tod hab' ihm eine zärtliche Mutter, Ihnen eine theure Verwandte geraubt. – Trost wäre hier unnütz.

Mon ami! rief der Onkel, als Roderich ihn jetzt schluchzend bewillkommte, der Tod hat Ihnen eine theuere Verwandte, mir eine zärtliche Mutter geraubt. Fassen Sie sich! Ich will sie fürstlich begraben lassen. Auf meine Kosten. Herr von Seehof wird alles veranstalten. Meine Heiducken sollen am Sarge stehn, wie Trauerpferde, schwarz und kläglich. Ei, Heiden Galleh! ist mir doch im ganzen Leben nichts mehr zuwider als der Tod. Und doch will ich noch lieber sterben sehn, als selbst sterben, so sehr cs mich auch niederwirft. Die halbe Reichs-Armee ist unter meinen Augen verschieden, da gewöhnt man sich wohl an diese Lineamente. Mon cher Pasteur – Ach, der ist fort – Herr von Seehof!

Exzellenz!

Haben auch studirt?

Im Kadetten-Hause.

Sagen Sie mir auf Ihr Gewissen – hat es wirklich so seine Richrigkeit mit dem Himmel?

Ich hoffe! entgegnete dieser –

Und daß die ersten die letzten seyn werden?

Das sagt man.

So bleib' ich liegen mein Allerbester! – Weder Speise noch Trank und einer der letzten seyn? Danke sehr! Will ein Engel werden! Ein Erzengel oder gar nichts.

Wir finden sie wieder! versicherte Leopoldine dem weinenden Grafen; schlafen zu gehn verließ die Mutter den rauschenden Kreis: die Kinder spielen noch eine Weile und folgen ihr dann. Schluchzend trat Amalie zwischen beide. Amalie, sprach Roderich, Du bist die beste meiner Schwestern, tritt jetzt an der Mutter Stelle und werde wie sie war. Rosemunde ist verlohren, Lina auf dem Wege verlohren zu gehn. Ein edler Mann legte sein Glück in Deine Hand, o mache, daß er einst die Gattin beweine, wie ich diese Mutter.

Das gelob' ich Dir, Bruder! entgegnete sie, ich bin jetzt ganz anders. Meine Fehler hat die Liebe vertilgt, und er und Du und alle Guten sollen einst um Amalien weinen.

 

18.

Eine beträchtliche Masse von Standes-Personen strömte am Begrabnißtage dem Lindenauer Schlosse zu, und der Hof war mit leidtragenden Unterthanen erfüllt, welche an der Gräfin eine strenge, aber gerechte Haushälterin verlohren, die zwar manchen vor Gericht und in den Thurm sandte, aber auch keine Hütte des Jammers unbesucht, keinen Trostlosen ohne Trost ließ: der man sich oft mit Zittern nahte, doch öfter segnend von ihr ging.

Der Sarg war aufgebahrt, nur Lina fehlte noch. Roderich fand sie in Thränen schwimmend vor dem großen Spiegel des mütterlichen Kabinets, auf den Knien.

Endlich bricht auch Dir das Herz? rief er und nahm sie, von dem Anblick erschüttert, an seinen Busen.

Und wär' es von Stein, entgegnete sie, diese Lage müßt' es zermalmen.

Fasse Muth, entgegnete er, wir verlassen Dich nicht. Du hast die Wahl zwischen meinem und Seehofs künftigen Hause; nur in Rosettens Arme wirf Dich nicht.

Ach, das ist das wenigste was mich bekümmert, denn nun ich reich und unabhängig bin, werden Freier ohne Zahl herbeiströmen – beantworte mir lieber eine Gewissens-Frage.

Jede! Schütte Dein Herz vor dem treuen Bruder aus, zu lange schon hast Du es ihm entzogen. Ach, von Jugend auf!

Du sollst alles wissen, Roderich! Ich ward aufs tödtlichste gekränkt.

Du? Heute? Von wem?

Von Amalien! Aber jetzt die Hand auf Dein Herz! Steht mir die Trauer, oder steht sie mir nicht?

Wie? Hör' ich recht –

Nicht wahr, vortrefflich! Und kannst Du wohl glauben, daß Malchen bei dieser Frage aus hellem, puren Neid die Achseln zuckte, recht wegwerfend auf mich niedersah, und laut betheuerte, nur Sack und Asche würden mich kleiden. Mich! Mich der sie rund herum alles nachmachen, die Seehof selbst, eh er zu ihr hinabfiel, die Göttin des Geschmacks und einen jungen Engel nannte.

Ein junger – Affe bist Du! rief der Graf und warf die Thüre hinter sich zu, o, einer der häßlichsten.

Die Gräfin sah sich im Spiegel an. Das fehlte noch, sprach sie, häßlich wären wir? Sehr wohl, Herr Bruder, sehr wohl, Comteß Schwester. Erst beschämen wir euch, dann vergelten wir. Jetzt will ich eintreten, alles wird aufsehn, verstummen, erstaunen und endlich der ganze Kreis gestehen daß ich in Schwarz und in Thränen am reizendsten sey. Dann will ich die mißgünstigen Geschwister leise fragen, wer Recht habe und dann einpacken lassen und der guten Rosemunde mein Leid klagen.

Wirklich erklärte sie bald nach ihrem Eintritt ein Schöngeist, der nichts zu reden wußte und doch an ihrem Stuhle stand, für die trauernde Psyche, und eine schöne Tochter, die am Sarkophag der Mutter weine, für das treffendste Bild des Genius der mit der gesenkten Fackel an Grabmählern lehne.

Comteß Linel! sprach der Onkel, welcher die Schmeichlerin zeither mit Zärtlichkeit und Geschenken überhäuft hatte, Sie erscheinen mir heute wie der Trompeten-Engel am jüngsten Tage. Da las ich eben zur Erbauung, wegen des Sterbefalls, in der Bibel und wie König David im Alter durch die jungen Hofdamen verjüngt ward. Habe Sie auch lieb gewonnen, Comteß Line! –

Das macht mich glücklich! versicherte sie.

Und nun ma chere mere zu Gott gingen und Sie ihr eigner Herr sind, hängt es nur von Ihnen ab, mich auch glücklich zu machen. Werden Exzellenz dafür, dürfen mit Sechsen fahren und mich »lieberMann« nennen. Da gaben Tausende ihr halbes Leben drum. Sie sagen, Ja? – Comment? – Sie sind die Meine?

Ihre Tugenden, entgegnete Lina, Ihre Vorzüge, Ihre Verdienste –

Und mein Geld – mein Gold – meine Güter! – Mach' Ihnen die Braunen zum Geschenk und den englischen Wagen –

Ihre Jahre endlich, gnädiger Onkel –

Passiren! Bin der jüngste nicht mehr, aber, aber –

Sie sind in jeder Hinsicht ein liebenswürdiger Mann.

Herr! wollen Sie sagen.

Nur eins würd' ich fürchten. Die Stieftochter. Die altkluge, mürrische, häßliche Leopoldine.

O weh, mein Poldchen! Doch, fürchten Sie nichts; bin ich für Sie, Comteß Linel, wer mag wider Sie seyn?

Die ganze Familie!

Ist mir zum lachen. Hängen von mir ab. Vom Erblasser. Müssen Ihnen treu gehorsamst die Hand küssen und sich Exzellenz zu Gnaden empfehlen.

Allenfalls wär' auch das Fräulein zu entfernen.

Wird Stiftsdame!

Nicht sogleich! Nur dann, mein' ich, wenn Sie die kindlichen Pflichten, die schuldige Achtung gegen ihre Mutter aus den Augen setzte. Erst must sie gehorsamen –

Poldchen ist gut. Umarmen Sie mich Gräfin Braut, ich gratulire.

Ich will es werden, lieber General. Doch Bedingungsweise nur.

Ei, was Bedingung, rief der Oheim und stampfte mit der Krücke, ganz oder gar nicht! Dort sitzen deren zu Dutzenden, die mir die Hände küssen würden.

Das will ich auch, wenn Sie geloben unser Verhältniß bis zum Augenblicke der Trauung keinem lebenden Wesen mitzutheilen.

Bon!

Es soll überraschen.

Ist mein Fach! Also bleibts dabei?

Und bei den Braunen!

Sind Ihre. Braun wie – wie Sie, Comteß, aber Wallachen. Erst sechsjährig, man sieht sie nur gern.

Lieber als Dich! dachte sie, dieß Glück hat mir Gott bescheert. Er wird zum Frühjahr nicht mehr leben, ich aber Lebenslang im Ueberfluß und als Generalin. Und mit dem Tage wo Seehof abgeht, muß ein neuer Adjutant ins Haus. Der junge Silfen vielleicht. Ob er dort oder hier dient, ist gleich viel, und für meine Exzellenz gäb' einer wohl selbst den Kaiserlichen Dienst auf.

 

19.

Die Gräfin lag schon geraume Zeit in der Gruft ihrer Väter und noch immer sah Roderich von Tag zu Tage seinem Schwager entgegen, den er bereits in drei Briefen vergebens zur Rückkehr aufgefodert hatte. Weder Rosenwall noch Auguste kam und keine Post brachte Briefe. Das Fieber welches ihm die Erkältung am Begräbniß-Abend zuzog, stand der Abhohlung im Wege und eben wollte Seehof an seiner Statt reifen als ein Wagen in den Hof rollte.

Ich bin's! rief Gustav und nickte dem Grafen zu.

Endlich! sprach dieser und sah unverwandt nach der Wagenthüre.

Endlich ist besser als gar nicht! erwiederte Gustav.

Hilf doch den Damen heraus! fiel Roderich ein.

Ja so! brummte dieser und pfiff. Ein Pudel sprang aus dem Wagen.

Die Damen! schrie der Graf.

Da ist Titan! entgegnete jener, was soll er denn?

Meine Frau! fiel Roderich ein, und die Deine – Wo sind sie?

Gott weiß es! sprach der Baron und trat in das Haus. Jener flog ihm entgegen. Unglücklicher! rief er, wo hast Du Augusten?

Unglücklich? erwiederte Gustav, sah ihm starr in's Gesicht, und sank jetzt weinend an seinen Hals, ja Bruder Roderich, unglücklich bin ich.

Gieb mir mein Weib zurück! rief der Graf, von schwarzen Ahnungen ergriffen.

Das hast Du ja längst wieder! entgegnete dieser und drückte die Hand auf seine Stirn, welche von einem großen Pflaster bedeckt war.

Was werd' ich hören müssen! sprach der Verblassende; komm herein, und steh mir Rede.

Langsam! bat Gustav, geh nicht so schnell. Hilf mir ein wenig! ich habe viel Blut verlohren und bin noch schwach.

Ich fürchte, Deine Sinnen litten! entgegnete Roderich und sah ihm tief in die erloschenen Augen.

Von Sinnen war ich, aber es geht wieder besser. Das ist Lindenau, Du bist Roderich – Sieh, ich weiß alles. Dort steht ja der Pavillon noch, wo ich – wo Sie – O mein Gott! –

Bei allen Heiligen, Gustav, lebt Auguste noch?

Die lebt – Ja! Die wäre recht glücklich wenn ich es wäre. Wo ist sie denn?

Das fragst Du mich?

Sie ist ja vor zehn Tagen schon abgegangen.

Bald nach meinem Unglücke

Zu uns?

Freilich wohl.

Und Du liessest sie allein reisen?

Wer sie reisen ließ, weiß der Himmel, denn ich wußte mehrere Tage lang nicht wer ich war. Dieß Billet von ihr händigte mir Karl ein.

 

»Armer, lieber, unglücklicher Bruder! las Roderich: man trägt Bedenken, mich in dieser Lage unbeschützt in Deiner Nähe zu lassen. Ich bin in guten Händen, an meinen Roderich ist geschrieben und da er uns nicht abhohlen kann und Lassens Anhang Dir blutige Rache geschworen hat, so eile, sobald es Deine Wunden nur erlauben, in aller Stille über die Grenze, wo Du bei dem guten Pastor übernachten kannst, und kehre nach Lindenau zurück.

Ewig Deine treue Auguste.«

 

Wo ist Karl? rief der Graf.

Er kömmt mit den Reitpferden nach, versicherte dieser, ich nahm Extrapost.

Hier steht »in guten Händen.« Also reiste sie nicht –

Mit Sack und Pack ist sie, wie Karl mir erzählte, als der Arzt mich ausser Gefahr erklärte, abgefahren.

Unseliges Räthsel! rief der Graf, und sandte Karln sogleich einen reitenden Boten entgegen.

Sie sind am Kopf verwundet, armer Gustav? sprach Amalie.

Ja wohl, erwiederte er, am Kopf und im Herzen. Die Kopfwunde wird wohl heilen, aber diese, Gräfin Malchen, diese nicht. Jene schlug mir ein Böswicht, diese ein böser Engel. Ihre Schwester Rosemunde. Selbst den armen Titan schlug sie oft, um mir weh zu thun.

Hörst Du wohl? sprach Amalie zu dem betäubten Bruder.


Sie wollte geschieden seyn, fuhr Gustav fort, und Lassens Gattin werden. Dagegen aber setzte sich die Präsidentin, und wir mußten ihr Haus verlassen. Mich verfolgten nun seine Freunde mit bittern Glossen und Stichelreden. Da trat ich eines Abends unter sie, den feindseligen Gemüthern die Hand zu reichen. Was geschah? Man warf mich aus der Thüre. Ich vergaß des Herrn Wort, riß dem nächsten den Degen von der Seite und hieb wie Petrus unter die Gottlosen. Sie zogen auch und der Hofrath drang recht wüthend auf mich ein. Dem aber fiel die linke Hand vor die Füße und Schellaus Nase flog in's Fenster. Da versetzte mir einer diesen Hieb über die Stirn. Ich fand mich im Bette wieder und hatte mehrere Tage bewußtlos gelegen und irr geredet. Auch meine Arme sind voll Wunden, die aber nicht tief gehn.

Und Rosemunde? fragte mit gerungenen Händen, Amalie.

Die verschwand. – Noch an demselben Abend wo man mich für tod heimtrug, hat sie sich unsichtbar gemacht und niemand weiß, wohin sie floh.

 

20.

Neubelebt sagte Roderich jetzt zu Amalien – Sie ward geborgen, Karl ist da. Die Fürstin hat Augusten ihrer Hofmeisterin anvertraut. Lassen ist in Gefahr, darum mußte Gustav entfernt werden. Das Schicksal der verlohrnen Briefe welche mir Auguste schrieb, liegt am Tage. Ich will sterben, wenn Lina sie uns nicht vorenthielt.

Eben trat diese ein. Du weißt nun alles, sprach sie, und für die Sorgfalt welche Dein hinsinkender Zustand gebot, wirst Du mir Dank wissen. Man sagte sich hier ins Ohr, daß Deine Frau verschwunden sey und –

Und deßhalb unterschlugst Du ihre Briefe?

Ich bin gewohnt, von Dir verkannt zu werden. Hier sind sie.

Aus meinen Augen, Du zweite Rosemunde!

Bald, sprach sie forteilend, bald vielleicht werd' ich Euch gehn heissen.

Die Briefe bestätigten Karls Aussage und Rosemundens Flucht.

Noch hielt der Kutscher im Hofe. Bezahl' ihn doch! bat Gustav, ich bin ohne Geld.

Wie das? fragte ihn der Graf, Du Armer! Auf der Reise?

Ja, arm bin ich! versicherte dieser, blut arm mein Rodrigo, sie hat mir alles mitgenommen.

Wie? Wer? riefen beide.

Die Mundel, sprach er traurig, doch ich schenk' es Ihr. Unrecht Gut war es nicht. Immer blieb mir auch noch ein ansehnlicher Spar-Pfennig. Blankes, gewaschenes Gold, es war von der Tante. Das hat sie übersehn, denn es stack tief, ich wollt' es meinen Kindern aufheben. Nun aber reiste ich jetzt durch das Grenzdorf, wo uns der Pastor traute; den wollt' ich um ein Nachtlager bitten und trat dort ein. Da lag er, freundlich wie ein Seliger auf der Bahre und seine sieben Kinder knieten am Sarge und schluchzten laut. Ach, unser Engel! rief die Mutter und breitete weinend die Arme nach mir aus. Das scholl mir tief in mein wundes Herz. Ach, so tief, daß ich ihr schnell das Spargeld in die Hand drückte und davon eilte. Der gute Pastor! So wie er, werd' auch ich nur im Sarge wieder lächeln. – Seht lieben Freunde, darum bin ich nun arm.

Nein, noch nicht! sprach der Graf, welcher jetzt unter den Briefen die Linens schwesterliche Sorgfalt dem Kranken vorenthielt, folgende Zuschrift der Baronin fand.

 

Vergieb mir, bat sie: vergieb mir, Bruder, daß ich mit ein wenig Aufsehn die Schlinge löse, in die mich die Heftigkeit einer unzärtlichen Mutter trieb, und sorge nicht für eine Schwester die von Verstand und Ehrgefühl beschützt, muthig zwar und frei, aber sanft und vorsichtig den Strom des Lebens hinabgleiten wird. Dazu, Roderich, waren Mittel von Nöthen und ich hatte Eile. Rosenwalls Wechsel reisten mit mir. Noch weiß ich nicht, wie reich sie mich machen, wohl aber, daß mein Erbtheil den Gläubiger decken wird. Befriedige die Einfalt und bleibe nach wie vor der langmüthige Hirt dieser Schaafe etc.

 

21.

Gustav traf jetzt im Garten auf den Oheim, Lina stellte ihn als ihren Schwager vor.

Weiß schon, brummte dieser, sind der Schwede, der Comteß Pathchen entführt hat. Weiß alles. Kamen weither, von der Welt Ende. Ihr Kammerdiener erzählte meinen Leuten davon. Der Nordpol ist Ihr Landsmann, n'est ce pas? Den möcht' ich sehn. Die Polen sind hochstudirt, und gute Reiter.

Wie Sie auch reden, Exzellenz! Der Pol ist ein unvernünftiges Ding, wie kann das studiren?

Nur gemach! Nur gemach! rief der Onkel. Sind justement so ein Obenhinaus wie die Gräfin Schwester, an der sich der Legations-Rath vergriff.

Der Pol sey die Erdachse, sagte mein Vater.

Der gegen die Russen gefochten hat?

Wie ein Löwe, Herr!

Zch hab' auch gefochten. Bei Roßbach, mein Lieber. Wie ein Tieger, mein Allerbester. Unter Soubise!

Gegen die Russen?

Freilich wohl!

Und siegten?

So ziemlich. Es war schad' um mich. Sie hießen mich nur den schönen Herkulus. Dlag er nun mit zehn Blessuren.

Die Zahl ist rund. Schon eine schmerzt. O weisen Sie her.

Bewahre, Kind, vor Damen Augen.

Comteß Linel tritt hinter den Baum. Zeigen Sie auf. Ich will sie küssen, Stück für Stück. Wunden sind Ehrenzeichen, mein Vater trug deren auch. O, glänzende.

Man sieht nichts mehr. Habe heilsame Haut. Sind verwachsen.

Das ist närrisch. Ich weiß schon. Sie träumen herzhaft.

Wie? Was?

Aber feurige Seelen der Helden, steht in Jukundens Ossian, denken nicht was sie thaten, man hört sie nicht prahlen! Die Gustel erzählte noch vor kurzem in * dem Fürsten von Ihnen –

Von – von mir? Gedachte meiner? Gegen Durchlaucht? Im besten doch?

Im Scherze nur. Der Fürst lachte sehr.

Die Gnade lacht.

Und daß sie Ihretwegen drei Tage Stuben Arrest gehabt habe –

Wie billig –

Da meinte die Fürstin, Sie hatte man einsperren sollen.

Mich? Mich, den Erblasser? Den Senior des ganzen Geschlechts? Einen wirklichen General? O die – Czaarin!

Er aber äusserte den Wunsch, dieß Original kennen zu lernen.

Das soll er! Lassen Sie packen. Sie begleiten uns, Gräfin. Werden scharmirt seyn. Wo ich ein Thor passire, hält der Heiduck den Arm in die Höhe. Da werden Sie sehn, wie die Wacht in's Gewehr stürzt, der Offizier in die Handschuh fährt und zieht, kommandirt und flucht, auf die Säumenden einhaut und salutirt. Das giebt Aufsehn! Der Tambour schlägt vier Wirbel. Erschrecken Sie nicht, Comteß, die klingen wie Feuerlärm. Ich lasse die Scheibe fallen und nicke. Voila! Nur so –

Ich sollte Sie einladen, Exzellenz, aber die Oberhofmeisterin war dawider.

Dawider? Neid! Mißgunst! Die – Xantippe!

Wegen der Schwangerschaft. Die Fürstin lacht so gern, und Gustels Beschreibung reichte hin, für ihren Zustand besorgt zu machen.

Wie meint' er das? sprach der Onkel kleinlaut zu Karolinen. Sie wollte antworten als sein Stickhusten eintrat. Die Heiducken trugen ihn zurück, Gustav blieb allein bei der Gräfin.

 

22.

Treuloser! rief diese jetzt, wie grausam haben Sie mein Herz getauscht, meine Güte gemißbraucht.

E. Seyn Sie wieder gut, Lina! Ich bin die ehrlichste Haut in ganz Herjedalen, und doch schreien alle Mädchen über mich. Fast mit denselben Worten fuhr mich Suschen an –

S. Ich und diese – O mein Gott!

E. Sind Sie nicht Beide mit Wasser getauft? Nicht Beide so schön als der alte Adam nur seyn kann?

S. Schön? Finden Sie das noch? Bin ich gewachsen? Doch, Sie lieben ja die niedlichen, zarten Gestalten.

E. Ich liebe was fein ist stand auf des Pastors töpfernen Tellern –

S. Wenn's auch nicht mein ist! fiel Lina parodirend ein –

E. Ach, an jenem Abend war Rosette noch mein! Ganz mein.

S. Vergessen Sie die Undankbare! Ich, Baron, ich wäre die Ihrige geblieben.

E. Wirklich?

S. Ich hätte Sie äußerst glücklich gemacht.

E. Das glaub' ich kaum!

S. Ungerechter!

E. Hätten Sie den Assessor entfernt?

S. Wenn er mißfiel –

E. Jukunden geliebt?

S. War sie reizend?

E. An Leib und Seele.

S. Ein wenig albern wohl?

E. Viel klüger als wir, und schon mannbar.

S. Nun, ein Kind bin ich doch wahrhaftig nicht mehr?

E. O, wären Sie noch ein's! Solcher ist das Reich Gottes.

S. Weiter auch nichts! In mir aber sehn Sie eine Braut.

E. Eine Braut? So wünsch' ich Glück! Frühe Ehen, spricht Karl, machen junge Großmütter.

S. Das ist dann Ihr Werk!

E. Die Großmutter? Ei wie denn so?

S. Sie verließen mich – Verzweifelnd warf die Betrogene sich der Häßlichkeit in die Arme; Lina hat sich dem Moloch geopfert.

E. Wie? Sie sprechen doch bildlich?

S. Schluchzend werd' ich zum Altare gehn und unter Ohnmachten getraut werden; ich werde kränkeln und verblühn, mich niederlegen und sterben. Mit Ihrem Nahmen auf den Lippen.

E. Verblühn muß alles und der Tod ist der Sünden Sold, aber was soll mein Nahme dabei?

S. Sie anklagen.

E. Worüber?

S. Daß Sie mich unglücklich machten. Oder denken Sie etwa an Rettung?

E. Nein, ich entführe keine mehr –

S. An Reue? An Ersatz? O, die jüngste Welling ist der Edelmuth selbst! Ach könnte fähig seyn, eine Herrschaft wegzuwerfen, Tonnen Goldes zu verschmähn und mich auf die gebotene Hand hinabzuneigen. Sie sind schön. Sie sind gut, Sie sind reich; ein Fremder und vom besten Adel. Er ist die Nacht, er die Sünde, er die Widrigkeit – Ihr volles, erschreckendes Gegentheil! Wie reichlich wäre die Schwester dann ersetzt, von der Sie doch auf jeden Fall sich trennen lassen?

E. Wie heißt denn Ihr Bräutigam?

S. Sie sahn ihn jetzt –

E. Den Läufer?

S. O der Einfalt! den Oheim!

E. Scherzen Sie nicht!

S. Den Oheim! – Ich schwör' es Ihnen.

E. Den Onkel Moloch? O Himmel!

S. O Hölle! vielmehr.

E. Nun, wenn der nicht ein weiser Gärtner bleibt, so helf' ihm Gott! So tödtet ihn der Husten unter dem Baume. Sie thörichte Jungfrau! Nach dieser Lampe ohne Oehl, ohne Boden, ohne alles, wollten Sie greifen? Ei, machen Sie es doch, wie ich mit Ihnen. Sagen Sie ihm, Sie hätten sich anders besonnen. Ich will es an Ihrer Statt ausrichten.

S. Und dann an seine Stelle treten?

E. Als Bruder –

S. Mit Brüdern hat mich der Himmel gestraft. Brüder verschmäh' ich.

E. Ich – Susannen!

S. Das mir?

E. Ei ja wohl. Die den Bruder verschmäht, ist des Bräutigams unwerth, und Sie könnt' ich nimmerdar lieben.

S. Lappländer!

E. Sie könnt' ich neben Jukunden nicht achten. Jukunden gilt es gleich, ob sie in die Länge oder Stärke wächst, wenn sie nur dem Himmel zureift. Die verschmäht selbst ihren strafbaren Bruder nicht, sondern bietet ihm die Hand und spricht mit Thränen zu seiner gesunkenen Seele. Die verachtet nur das Böse am Menschen, und liebt seinen Werth nur.

S. Und diesen Pinsel!

E. Nie entweiht die Spötterei den Mund der Frommen, und stürb' ihr die Mutter, Jahrelang würde sie trostlos einhergehn. Sie aber jagen über dem heiligen Grabe, den Gelüsten Ihres Herzens nach, stören Roderichs Frieden, und vollendeten gern, was Rosemunde begann. Des Mädchens Schätze sind Ihnen eine träge Last.

S. Jetzt hohl ich den Onkel!

E. Ja schicken Sie ihn her, den armen Gärtner, der Feigen lesen will von den Dornen – Ich bedauere ihn. Ach, auch Sie schuf Gott zum Lebensbaum; doch wehe jedem der diese Früchte bricht – Ein früher Giftthau hat sie befleckt!

 

23.

Auguste saß indeß dem Glück im Schooße. Die Fürstin hatte sie, mit Zustimmung ihres Gemahls, der den Grafen zu verbinden wünschte, unter ihre Flügel versetzt. Herr von Lassen und seine Mitstreiter waren zwar in Ungnade, doch aber, Hand und Nase weggerechnet, auf dem Wege der Herstellung, und den Kornet von Silfen rief eine Ordre zum Regiment und mit diesem in das eiserne Feld.

Mariens Geburtstag fiel jetzt ein. Immer hatte ihn der Fürst bisher zu einem Herzensfest gemacht, dieß Mal aber verbot ihm des Arztes Rath, die zart und tief empfindende Seele der werdenden Mutter durch das süße Spiel der Rührungen zu erschüttern. Alle Anstalten gingen daher von dem Hof-Marschall-Amt aus, welches Cour und Ball ansagen ließ. Mit der Robe belastet und geschmückt mit dem Schmuck ihres Hauses, empfing Maria unter dem Throne den Handkuß. Ihre Umrisse bestätigten die Hofnung des Landes und erhoben den rührenden Zauber des Eindrucks, denn die mütterliche Grazie sprach der Etikette Hohn und zu den Herzen.

Lauschend stand Auguste unter den Damen. Der Glanz des Hofs, die Glorie der Majestät erhob ihr Innerstes, denn nur in frommen Traumen hatte sie bis jetzt einen Thron gesehn. Den Thron an dem die Engel knieen. Unter Schauern folgte sie der Beschützerin, am Beschlusse der Feierlichkeit, in ihr Cabinet, und Maria begegnete auf dem Antlitz der jungen Gräfin, ihrer Vergötterung. O Landes-Mutter! rief Auguste und umschlang begeistert ihre Knie, der Fürst der Fürsten sey mit Dir! Mit Deinem Geist und Deinem Herzen, mit dem Pfande Deines Glücks und seines Segens!

Der fromme Wunsch des reinen Wesens sprach in Engelstönen zu dem ihren. Sie nahm die Segnende an den Busen und nannte sie den Liebling ihrer Seele.

 

24.

Am Abende war Ball. Der Fürst eröffnete ihn mit Marien und bot dann der Gräfin die Hand.

Die Ehre ist groß, sprach Auguste, doch die Beschämung der Ungeübten würde noch größer seyn, denn ich habe bis jetzt nur mit dem Gustav hinter Sträuchern oder im Vorsaal getanzt. Lassen Sie mich zusehn. Wer Ihnen zusieht, dem ist, als tanzte er selbst.

Versuch' es doch, bat die Fürstin, und erdenke Dir selbst den Pas. Nennen wir ihn den nordischen und finden ihn schön, so macht noch heute der ganze Hof Dir ihn nach.

Nein, ohne Ihn, ohne Roderich tanz' ich nicht. Ich bin voll Sehnsucht und voll Wehmuth. Ach theuere Maria! Viel wohler als hier, war mir heute zu Ihren Füßen. Zärtlich küßte Maria sie und trat zu dem Reihen. Gustel sah eine Weile den fliegenden Paaren nach, und die Fürstin nickte, noch tief unten, dem Lieblinge.

Was schön, jung und tanzbar war, strömte auf die Gräfin zu, flehte sie um Tänze an, und unterhielt die Versagende. Sie aber entfloh dem Kreis der immer dichter und geschwätziger ward, und traf auf den eisgrauen Kammerherrn vom Dienst, welcher in der offenen Thüre des Spielzimmers lehnte. Auguste kannte und achtete den Greis; er aber verehrte in ihr die Wahl seiner hoch gefeierten Herrschaft und freute sich ihrer wohlwollenden Güte.

Wir Eltern haben das Zusehn! sprach sie nach dem freundlichen Grusse.

Ein Mütterchen in Hofnung? Nicht wahr?

O, still davon! sprach die Erröthende, aber warum spielen Sie nicht, Herr von Reinow? Ich weiß, Sie spielen gern.

So gern als unglücklich, und wer so eben die fünfte Tochter ausstattet, muß jedem kostspieligen Zeitvertreib entsagen.

Ah, ein Vaterherz!

Und was thut und läßt das nicht für seine Kinder?

Und für so gute Kinder. Die Fürstin hat sie alle lieb.

Ein großes Lob aus diesem Munde.

Nur ein unverdächtiges, Herr von Reinow. Aber wenn die Ausstattung gedeckt ist, spielen Sie doch wieder?

Dann, gnädige Frau, taugt vielleicht mein Heinrich zum Offizier, und dann heißt es wieder – Väterchen, die Equipage!

Gutes Väterchen! Ich wollte, daß Sie der meine wären!

Sie rühren mir das Herz! sprach er bewegt und drückte ihre Hand an die Lippen.

Ich spielte dann mit Ihnen, fuhr sie fort, und heyrathete keinen, der nicht auf die Mitgift Verzicht thäte. O, Roderich nähme mich, wär' ich auch arm und bloß.

Nur wenige, schöne Gräfin, vermögen das und die Vermögenden sind selten großmüthig.

Wohl, guter Kammerherr! Ich habe mir die Menschen viel besser gedacht, aber sie gleichen, wie mein Roderich sagt, meist alle den Laubthalern, sind glatt und verwischt, einer dem andern gleich; kaum erkennt man das Gepräge und von Gottes Ebenbild keine Spur.

Drei Achten, Herr Kammerherr? sprach ein vorübergehender Kavalier.

Schon versprochen! entgegnete dieser, und zeigte auf Augusten.

Ja, zum Piket! versicherte die Gräfin. Kommen Sie. Nur zum Vergnügen, Herr von Reinow. Die Partie einen Dukaten. Ich spiele höchst elend, guter Kammerherr. Unter der Kritik, sagt mein geduldloser Roderich, doch wer neun Kinder großzog, wird auch mit dem zehnten Geduld haben. Kommen Sie, Väterchen.

Der Jugend Gluth und Rittergeist ward in dem Greise rege, er dachte ihr im Voraus die Dukaten zu, welche den Verlobungs-Ring der Tochter bezahlen sollten und gab die Karte.

Auguste, die ihm auf diesem Wege einen Beitrag zu der Ausstattung in die Hand zu spielen hoffte, sah mit Erschrecken vier As und eine Septime in ihrer Hand und freudig legte er zwei Marken für sie an.

Frühes Glück bringt Unglück! sprach die Tröstende, mischte mit der kleinen Hand nach Kräften die Karte und gesellte, als das Sprichwort eintreffen wollte, die besten Blätter dem Wegwurfe bei. Doch auch der Kammerherr that wie sie, und so entspann sich denn ein unsichtbarer Wettstreit von Großmuth, der unter die seltensten Erscheinungen am Spieltisch gehört, und ihn, als den Geübtem, gar bald zu ihrem Schuldner machte.

Schon hatte sie fünfzehn Marken gewonnen; ihre Wangen glühten, ihre Hande bebten, und der Gedanke, den mittellosen Vater von neun Kindern zum Verlust dieser Summe veranlaßt zu haben, zerriß ein Herz dem fremdes Glück viel theuerer als das eigne war. Dazu saß der gute, alte Mann, trotz seines Mißgeschicks, so heiter und freundlich, als ob die Marke einen Pfennig gelte, gegen ihr über, erschöpfte sich in kleinen Dienstleistungen, stand der Zerstreuten zu seinem offenen Nachtheil bei und nannte die spiegelglatten Karten, welche sie in ihrer Angst ein Mal über das andere vergab, rauch und häßlich.

Die letzte Partie, wenn es Ihnen gefällt, sprach sie jetzt – Quite, ou à double

Mit vielem Plaisir! erwiederte er: Dreissig Dukaten oder nichts – Von Augenblick zu Augenblick wuchs ihre Angst, die Entscheidung nahte. Kraft der eben erhaltenen, schlechten Karte, ihres Verlustes gewiß, legte Auguste bereits, still entzückt, die Kaufblätter auf; doch das letzte war ein König der den Gewinn für Sie entschied.

Ich wünsche Ihnen Glück, gnädige Frau! sprach der alte Kammerherr und sah ihr freundlich in die Augen, die schönen Augen aber starrten noch einen Augenblick jene verhängnißvollen Blätter an und wehrten nun den Thränen nicht länger, welche der Bedrängten entstürzten.

Gott, was ist Ihnen? fragte Reinow und faßte ihre Hand. Auguste entzog ihm die bebende, sah noch ein Mal auf die Karten nieder, und jauchzte laut auf, denn sie hatte ja ein Blatt zuviel.

Das ändert die Sache! sprach der Kammerherr, küßte verstohlen eine Perle von der Krone des Königs weg, gab von neuem und gewann das Spiel.

Noch eine Partie! rief sie mit wachsendem Muth, eine noch um diesen Preis. Er nickte schweigend und – gewann!

Ein himmlisches Lächeln verklärte ihr geisterbleiches Angesicht. Sie bedeckte den benetzten König mit Holländern und reicht' ihm die Schuld hin.

Frau Gräfin, sprach er, dieses Gold soll auf den dritten Erben kommen, dieß Blatt als Zeichen in meinem Andachtsbuche dienen.

Nennen Sie mich Tochter, Väterchen! bat Auguste und lehnte sich an seine Brust, ich will Ihr Herzblatt seyn.

Eben eilte Maria, sich umzukleiden, mit ihren Damen durch das Zimmer.

Was seh ich, Herr von Reinow? sprach die Lächelnde.

Meine Himmelfahrt! entgegnete er, verbeugte sich tief und trat, seines Dienstes eingedenk, in das Gefolge. Die Fürstin winkte ihm an ihre Seite und mit Begeisterung unterhielt er sie von der Begebenheit, welche diese Gruppe veranlaßte.

Ein Vertrauen ist des andern werth, sprach Maria nach der Tafel zu dem Kammerherrn, Sie werden Ober-Schenk und ich statte die Braut aus.

Er stand noch sprachlos, als sie schon verschwunden war, und lächelnd rief Auguste in's Ohr des Verjüngten – Das war ein Neunziger, liebes Papachen!

 

25.

Jukunde suchte jetzt, des Tanzens müde, ihre Freundin auf, die einer Fee gleich, unter dem Haufen der schönsten Jünglinge stand, ihnen Räthsel aufgab und die Sinnenden neckte. Das Fräulein entführte sie dem bezauberten Kreise und sprach mit Besorglichkeit – Wo warst Du denn vor der Tafel, Auguste? Ich suchte Dich überall, aber vergebens.

Ich spielte, Jukunde.

Du? Und was? Und mit wem?

Piket, mit einem liebenswürdigen Manne.

Das kann Dir Schaden bringen.

O, dreissig Dukaten vergessen sich –

Ueber dem Liebenswürdigen? Und mit diesem Golde konntest Du eine Familie retten. Ich kenne eine solche die unverdient im Elend schmachtet –

Wahrhaftig? Da muß er den Gewinnst wieder herausgeben.

Nein, um aller Welt willen nicht.

Auf jeden Fall.

Du kennst die Menschen nicht – Die Spieler am wenigsten.

Wetten wir, er giebt Dir das Gold?

Ehrenhalber, Du aber machst Dich lächerlich!

Dieß Mal nicht; doch gern auch, um diesen Preis.

Nein, das erlaub' ich Dir gar nicht.

Papachen! rief Auguste. Der fröhliche Alte flog wie ein Adler herbei.

Nun müssen Sie auch den Gewinnst wieder herausgeben.

Sie scherzt! sprach das erröthende Fräulein und trat ihr unsanft auf den Fuß.

Sie scherzt nicht! erwiederte Auguste, eine würdige Familie schmachtet, laut Jukundens Versicherung im Elend, und Dein Herz, mein Väterchen, das Gott jetzt erfreut hat, wird sich, ich weiß es, der weinenden Brüder erbarmen.

Mit tausend Freuden! rief der Bewegte, drückte ihre Hand an seine Brust und in diese Hand seine Börse.

Siehst Du wohl! sprach Auguste zu der bestürzten Jukunde. Dafür will ich auch Gott bitten, daß er dem Lande noch viel Ober-Schenken gebe, denen das Schenken Freude macht. Die Börse ist schwer, Papachen, Du bist ein wohlthätiges Väterchen.

Der Zweck rechtfertige das Mittel! sprach Jukunde entschuldigend zu dem Kammerherrn, Ihre Großmuth rührt mein Herz.

Sey ganz ruhig, fuhr Auguste fort, schwere Gaben, leichte Sterbestunden!

Die schenke mir Gott! sprach der alte Reinow und zerdrückte eine Thräne im Auge.

Amen, Ja! erwiederte Auguste, und Ihren Kindern thue er wohl, bis in's tausendste Glied.

 

26.

Ich weiß doch, welche Dame die schönste war, sprach das entkleidende Mädchen zu Augusten.

Ich auch, entgegnete diese – Maria!

Und neben ihr meine gnädige Frau. Die Erkundigungen nach Ihnen nahmen kein Ende. Vornehme Herrschaften drängten sich zu den Schranken und suchten mich auf. Die eine wollte wissen, ob Sie wirklich auf dem Nordpol zu Hause waren, der andere, ob Ihr Herr Gemahl bald zurückkomme? Eine dritte betheuerte der vierten, Ew. Gnaden müßten geschminkt seyn, und als ich das Gegentheil beschwor, wiesen sie mir ganz schnöde den Rücken, sprachen französisch und lachten dann laut. Aber man sah ihnen den Aerger an, denn ein Herr auf den sie jetzt trafen, verglich Ew. Gnaden der Alpen-Rose, und ein zweiter nannte Sie, als er vernahm von wem die Rede sey, Endymions Braut. Ich sagt' ihm aber, daß Ew. Gnaden schon das Ihrige besäßen und Frau wären.

Ach, wäre doch Roderich hier! Ich stehe einsam im Pallaste, den wie er sagt, der Strom umrauscht, und sehne mich nach dem sanften Bach und der Hütte.

Am längsten hielt ein Offizier bei mir aus; ein bildschöner Mensch, der die besten Worte gab, ihm die Erlaubnis auszuwirken, der gnädigen Frau aufwarten zu dürfen – Ich aber schlug es ihm rund ab. Sein Kalfakter sagte, das sey lieblos von mir, denn der Herr habe ein Anliegen an die Frau Gräfin. Es solle morgen ein Soldat erschossen werden. Denken Sie nur, gnädige Frau, ein lebendiger!

Erschossen? O mein Gott!

Weil er zwei Arrestanten entspringen ließ, die auf den Tod saßen. Vorsätzlich, wie er eingestand, für Geld und gute Worte. Für das Geld hat er seiner blinden Mutter ein Bett gekauft, und für die guten Worte viel lästerliche hören müssen. Vermuthlich haben ihn die gnädige Gräfin losbetteln sollen, denn das Todes-Urtheil ist bereits unterschrieben.

O dann wüßte die Fürstin davon und ließ' es nicht zu.

Mordgeschichten darf ihr, bei Strafe der Absetzung, niemand zu Ohren bringen, und in Dienstsachen wagte sie, wie mir der Herr Kalfakter versicherte, noch nie, sich zu mischen.

Ein Menschenleben ist keine Dienstsache.

Das sagt' ich auch, aber morgen mit dem frühesten geht es vor sich. Erlaubten Ew. Gnaden, so sah ich ein bischen mit zu. Ich habe noch niemahls einen Menschen erschiessen sehn. Höchstens nur Gassen-Laufen, wie ich bei Oberstens diente.

Gieb mir den Mantel, Sophie – Schnell. Auf der Stelle! Ich gehe augenblicklich zu dem Fürsten hinab.

Gleich – Ja – Hier! Aber Sie halten zu Gnaden, Frau Gräfin – Schickt sich das auch? Gnädige Frau sind jung und schön, gleichsam wie Stroh, und der Herr das brennende Feuer. Ich meine nur –

Dem Reinen ist alles rein, erwiederte Auguste, o bitte Gott, daß er meinen Eingang segne!

Ihren Ausgang gleicher Maßen! entgegnete Sophie, mir fällt ja auch ein Stückchen von der Rettung zu, wenn Ihnen die gelingen sollte?

Das ganze Verdienst, entgegnete die Beängstigte, gern tret' ich Dir es ab.

 

27.

Auguste eilte den dunkeln Gang entlang, und öffnete leise die Thüre des Gemachs. Maria lauschte eben, von ihm umschlungen, der holden Rede des Gemahls, er sprang jetzt betroffen auf. Sie trat, erstaunt, der Kommenden entgegen und rief – Ein Unglück? Wie?

Nein, sprach die Gräfin mit sanfter Stimme, ich bin ein Bote der ewigen Liebe, Gott sendet mich zu Ihnen, Fürst Wilhelm. Um eine Schuld mahnt er Sie durch meinen Mund. Heute vor zwanzig Jahren zog er diese Himmlische aus dem Nichts und legte sie an Ihren Busen. Maria ward für Sie gebohren, Sie ward der Brunquell Ihrer Freuden.

Wohl ist sie das! entgegnete der Fürst, und in Ihren Augen, Gräfin, glänzt die Vollmacht des Himmels, für dessen Gesandtin Sie sich jetzt erklären. Wir stehn gewärtig seines Winks.

Ich kenne eine blinde Mutter, fuhr Auguste fort, die der dankbare Sohn auf Kosten seines Lebens bettete. Sie warfen ihn dem Tode hin. Ich aber werfe mich auf meine Knie und flehe um Barmherzigkeit! Ihnen schenkte Gott diese Herrliche, der Mutter diesen Sohn. Den einzigen! Die letzte Stütze in der Nacht ihres Alters, und die wollten Sie zerbrechen? Sie, den Gott zu seinem Bilde, zum Heil der Brüder, zum Quell des Lebens schuf?

Ergriffen von der Gluth mit der sie, einer Heiligen gleich, zu seiner Seele sprach, hob Wilhelm die Beschwörern empor. Mein Fürst, rief sie und bedeckte seine Wange mit Küssen, mein Freund, mein Bruder, Barmherzigkeit! Bei des Grabes Nacht, bei des Lebens Sonne, bei Mariens Hoffnung – Barmherzigkeit!

Wilhelm! rief jetzt die erschütterte Fürstin, in dieser Stunde ward ich gebohren, werd' in ihr dem Mittler gleich, erwecke den Toden, gieb der Mutter den Sohn zurück!

Meine Freundinnen, entgegnete der Fürst, Güte, Nachsicht und Erbarmen haben zeither den Frevel entzügelt, und ich gab mein Wort den nächsten Verbrecher, zum schreckenden Beispiele, den Folgen des Gesetzes zu überlassen.

So ist er verlohren! rief Maria – Der Fürst verließ das Kabinet, sie folgte ihm. O des Fühllosen! O des Grausamen! schalt Auguste und kehrte tief betrübt auf ihr Zimmer zurück.

 

28.

Nach langem, rastlosen Sinnen kam der Gräfin ein Gedanke welcher der Ausführung werth schien. Sie ließ mitten in der Nacht den wachthabenden Offizier durch Mariens ersten Kammer-Lakei zu sich entbieten. Der Herr Hauptmann, brachte dieser in Antwort zurück: würde sich höchst glücklich schätzen, einem so anziehenden Rufe folgen zu dürfen wenn die Pflicht ihn nicht festhielte. Morgen, nach abgelöster Wacht, solle es sein erstes Geschäft seyn, sich der gnädigen Frau zu Füssen zu legen.

So geh' ich selbst hin! erwiederte sie, fuhr in ihre Männertracht die noch von der Reise her müssig lag, ließ sich von dem vertrauten Diener begleiten und eilte getrost der Hauptwacht zu, deren Commandanten so eben im Lehnstuhle von ihr träumte.

Kennen Sie mich? fragte die Eintretende, ergriff das Licht, und hielt es nah' an ihre glühenden Augen.

Schon oft ward mir Gelegenheit, erwiederte dieser, in Ihnen das Schöne bei dem Guten zu bewundern.

So seyn Sie doch auch gut, sprach die Gräfin mit dem Silberton der Herzlichkeit und drückte seine Hand an ihren wallenden Busen, denn das Gute nur macht schön. Ein armer Sünder ist hier, gefesselt, in Ihrem Gewahrsam –

Seit Tagen schon fessellos. So nah am Ziele hat man ihn, dem Gesetz gemäß, der Banden entledigt. Sanft schläft er seinem letzten Erwachen entgegen.

Herr Hauptmann! Im Nahmen Gottes! Befreien Sie ihn.

Nur des Fürsten Nahme gilt auf Wacht und Posten.

Auch in Ihrem Herzen nur dieser?

Sie fordern mein Unglück.

Ich stehe für die Folgen! Ist die Errettung Möglich oder nicht?

Möglich – Leicht sogar. Er sitzt, wegen der Bereitung zum Tode, nur von einer Schildwacht beobachtet, in diesem Verschlage.

Und wenn Sie die unnütze Schildwacht entfernen?

So findet er in jedem Hause einen Versteck, denn die Theilnahme an dem Verhängnisse des Unglücklichen, ist allgemein.

Also weg mit dem Wächter!

Der Hauptmann schüttelte den Kopf. Maria will es so – Ihre Fürstin!

Wer hier zu wollen hat, wissen Ew. Gnaden selbst.

Befehlen Sie über tausend Thaler!

Madam, das ist die Wacht, und ich ihr Offizier. Ein Mann von Ehre!

Ich will Sie auf meinen Knien bitten! sprach die Verblassende und faltete zitternd ihre kleinen Hände. Er hielt sie aufrecht.

Wie für meinen Gustav, wie für meinen Roderich will ich für Sie beten: Ach erbarmen Sie sich doch, mein guter Hauptmann! Der Segen der Elenden rettet vom Elende, und eine blinde, jammernde Mutter wird Sie segnen.

Heftig ging er auf und nieder.

Ich will Sie küssen! fuhr die Weinende fort, hier unter Gottes Augen, Roderich kann nicht zürnen, wenn ich die Menschlichkeit umfange.

Das sollen Sie nicht! rief der Bezauberte und kein menschliches Wesen darf erfahren, daß die Zierde Ihres Geschlechts, daß die Gräfin Welling nach Mitternacht diese Schwelle betrat. Verdien' ich Pfänder Ihrer Achtung so soll der Graf ihr Zeuge werden. Jetzt, gnädige Frau, jetzt eilen Sie aufs schnellste fort. Ich scheuche einen Engel weg, die Gunst der Engel zu verdienen.

O, er vergilt! rief die Entzückte, hob ihre Hände gefaltet empor und verschwand.

Kaum grauete der Morgen, als das Volk bereits in gedrängten Schaaren den Markt bedeckte. Der Feldprediger eilte mit schwerem Herzen auf die Wacht, gähnend schlich der Küster mit den Gnaden-Mitteln und der betrübte Commis-Schneider mit dem Sterbekleid hinter ihm drein. Die Soldaten versammelten sich zur Parade und ihre Weiber zum Zusehn. Empfindsame Damen lagen bereits mit dem weißen Tuch am Gesicht in den gemietheten Fenstern, indeß vergebens an allen Thoren nach dem armen Sünder gesragt ward, denn aus der Wacht gab es jetzt, ausser ihrem Befehlshaber, keinen Gefangenen.

Das Volk jubelte laut und der Fürst befahl in seinem Zorne dem meldenden Platz-Major, die Hinrichtung bis zur Rückkehr des Entsprungenen aufzuschieben.

 

29.

Bald darauf gab die Fürstin ihrem Gemahl einen Maskenball. Auguste ward zur Aurore gemacht, der alte Reinow ihr als Titan beigesellt. Maria Juno lieh der Sonnengöttin einen Theil ihrer Juwelen; sie ähnelte im Schimmer der Kerzen dem höhen Urbild, die Neiderinnen verzweifelten, und Türk und Krist, König und Bettler huldigten der Morgenröthe neben der alle Sterne des Himmels erblichen.

Titan, sprach jetzt ein Sonnenpriester zu dem Ober-Schenken:

Titan, Deines Alters Dämmerung
Mildert mit dem Strahl der Rosen-Stirne
Deine Gattin, ewig schön und jung!

Titan hinkt! rief ein Harlekin, und Aurore bemerkte daß er wahr spreche.

Verwünschtes Podagra! brummte dieser und ließ sich von ihr zu dem nächsten Sitze geleiten. Sie nahm an seiner Seite Platz, der Priester setzte sich zu ihrer Rechten, und sagte mit Pathos –

Sey mir gegrüßt, Tochter Hyperions, Du rosige Schwester des leuchtenden Helios!

Um Verzeihung, erwiederte sie, ich bin eine Rosenwall und mein Bruder heißt Gustav.

Wohl, o wohl! Dein Frühroth ist ein Rosenwall. Du entführtest den Tithonus und gabst ihm die Unsterblichkeit –

Ach, könnt' ich ihm doch erst vom Podagra helfen –

Das ist sein Fluch. Ewiges Leben gewährte zwar der Gott Deiner schmeichelnden Bitte, doch in der Freude vergassest Du, ihm ewige Jugend zu erstehn.

Unser Herr Gott thut keine Wunder mehr.

Nur Seufzer hat der Greis für Deine Glut. Die goldne Zeit die Dich zu Mnemons Mutter machte, kehrt nie zurück.

Der Ober-Schenk vernahm jedes Wort und ärgerte sich um so mehr über die losen Reden, des Spötters, da der wachsende Schmerz ihm den Mund verschloß.

Aber liebe Maske, sprach Auguste, Sie verkennen mich. Nie ward ich Mutter und der Herr Ober-Schenk ist mein Vize Papachen. Gehn Sie nun! Verschwunden war der Quälgeist und eine Schaar von Horen und Heroen umringte jetzt den Sonnengott, küßte ihm die Hände und Arme und beklagte mit unverstellter Zärtlichkeit den armen Papa. Auguste erkannte seine Kinder in den Theilnehmenden, überließ ihn ihrer Fürsorge und eilte, Marien aufzusuchen. Aber auf dem Wege dahin vertrat ihr jene Maske von neuem den Weg. Zu ihrem Glück wandelte Juno vorüber. So allein? sprach sie betroffen, wo ist Reinow? Komm mit mir!

Sie traten in ein Kabinet, der Priester war frech genug, ihnen zu folgen. Schützen Sie mich, bat Auguste, dieser zudringliche Mensch hört nicht auf, mich mit heidnischen Anspielungen zu peinigen.

Ich bin Maria! sprach sie und trat ihm entgegen.

Jener verbeugte sich tief, zog schnell die Maske ab und sah der Gräfin in's Gesicht.

Er ist's! Er ist's! schrie Auguste und warf sich an seinen Hals. Lieber, süßer, theuerer Roderich, hab' ich Dich wieder?

Der Graf entschuldigte nach den ersten Begrüssungen seine Kühnheit, brachte Marien für den Schutz, welchen sie Augusten angedeihen ließ, das Opfer seines Danks und bat um die Erlanbniß, sie nun nach Lindenau zurückführen zu dürfen.

Nein, rief die Fürstin mit Feuer, guter Graf, die müssen Sie uns lassen. Auguste ist mein Liebling und mein Stolz, Sie werden eine begünstigte Nebenbuhlerin an mir finden, und ohnmöglich kann diesem gepriesenen Manne der Großmuth schöne Tugend abgehn. Die Gräfin ist unser und Sie werden es auch – werden bei uns bleiben, fortan Ihren Genius diesem Staate weihn. Mein Gemahl ist eines solchen Freundes werth, und Sie verdienen einen solchen Herrn.

Er will! Er bleibt! betheuerte Auguste, das sind nur Ceremonien. O, halte Wort! Dein letzter Brief gab Hofnung, nun raube sie uns nicht.

Jetzt trat der Fürst herbei, Maria stellte ihm den Grafen vor. Eine willkommene Begegnung! sagte dieser, und führte ihn bald darauf in ein anstoßendes Kabinet, aus dem der Graf als geheimer Rath und der Fürst sichtlich befriedigt, zu den harrenden Damen zurückkehrte.

 

30.

Sophie schob in der Eile noch ein Bett an dir Schlafstätte der gnädigen Frau, dachte seufzeud: Wär unser ein's doch so glücklich! und bereitete im Nebenzimmer ein zweites für den mitgekommenen Gustav.

Der Morgen dämmerte, als Auguste ein lautes Geräusch im Zimmer vernahm. Jetzt fiel ein Donnerschlag und der Vorhang an ihrem Bette flog zurück. Es war Gustav der ihn wegriß. Um Gottes Willen, rief er, steht doch auf, es ist Krieg worden, die Kanonen gehn. Der Feind muß schon in der Stadt seyn.

Ein zweiter Donner folgte diesem. Roderich fuhr empor, und fragte halb im Traum – Wer feuert denn?

Ein Gewitter mitten im Winter! sprach Auguste, wie wäre das möglich?

Entweder, fiel Gustav ein, entweder ist das eine Schlacht, oder der Hofrath will uns in die Luft sprengen, oder der jüngste Tag kömmt. Bete doch, Gustel!

Schlag folgte jetzt auf Schlag; die Scheiben klirrten, die Betten bebten – Ja, schrie der Bruder, und sprang wie verrückt im Zimmer herum, das ist der Welt Untergang! Gleich wird ein Stern auf den Schloßhof fallen; dort schwimmt der Mond schon im Wasser-Behälter. Ei, wer hätte das gestern gedacht!

Gott helf uns allen! seufzte die Gräfin, und rüttelte den geheimen Rath.

Uns hilft er! erwiederte Gustav, ich bin ganz ruhig in meinem Gemüthe, ich trete mit Dir und Jukunden quer vor; die Mundel wird nun auch beten lernen.

Das ist Kanonen-Feuer! versicherte der Graf und sprang aus dem Bette.

Du taumelst recht! sprach jener zu der Schwester. Sie sank ihm, schwach werdend, in den Arm.

Ein Prinz! Ein Prinz! rief Jukunde die als Hofdame vom Dienst, neben dem Kabinet der Fürstin schlief. Ein Prinz? schrien alle, sie floh davon.

Der Freundin Stimme, und das Heil welches ihr Mund verkündigte, erhob Augustens sinkende Kraft. Jauchzend eilte sie in das Heiligthum. Jukunde trat ihr mit dem künftigen Herrscher auf dem Arm entgegen, und hob ihn hoch empor, als wollte sie das Kind in den Schooß des himmlischen Vaters oder an das Herz des Volks legen, zu dessen Vater ihn Maria gebar. Wilhelm lehnte an dem Prachtbett, in dem die Glückliche den Erretter pries und zu dessen Häupten sich jetzt Auguste, vor Freude schwankend, niederwarf.

Nun, meine Freundin, lispelte Maria, nun endlich bin ich Landesmutter!

Singt Kinder! rief draussen der Ober-Schenk den die Nachricht von seinem Podagra befreit hatte, Te Deum laudamus, halleluja!

Das Volk wallte nach dem Schlosse. Alt und Jung, Hoch und Niedrig erfüllte in frohem Getümmel die Säle, und ein tausendstimmiges Lebehoch! scholl unter dem Donner des Geschützes zu dem heiligen Bette.

Jetzt traf der Fürst mit dem Knaben auf seinem Arm in die Vorkammer, bot ihn der jubelnden Menge dar, versuchte zu sprechen, vermocht' es nicht und neigte, übermannt von Vater-Wonne, sein thränenvolles Angesicht auf den Schlummernden hinab.

Sanft entzog ihm die Oberhofmeisterin das Kleinod des Landes. Uns, uns gehört es an, sprach die Matrone und trug ihn durch die gedrängten Reihen aller Stände, die mit Gefühlen der Andacht und der Liebe den neugebohrnen Fürstensohn umringten und ihn mit Segnungen begleiteten. Selbst der alte Grenadier an der Thüre verließ seinen Posten, beugte sich über die Schulter der Aya und drückte einen herzhaften Kuß auf des Kindes Stirn. Im Nahmen des Regiments! sprach der Greis: Lebe Du für uns, wir wollen, wenn es gilt, für Dich sterben!

Auguste nahm ihr jetzt den Erwachten ab und trat damit zu dem lauschenden Vater. O sehn Sie nur, sprach sie mit ihrem mildesten Ton, wie diese dunkeln Augen glühn. Ich les' in ihnen eine Bitte. Um Gnade fleht sein Blick, um Gnade für den Sohn der blinden Mutter!

Die Bitte ist gewährt! rief der Fürst und umarmte die lieblichste der Frauen.

Und auch dem Hauptmann ist vergeben? fuhr sie fort.

Um Ihretwillen! erwiederte er und auch die blinde Mutter werd' ich betten.

Die ist versorgt! entgegnete Auguste, doch giebt es an diesem Feyertage der hülflosen Wittwen und der weinenden Waisen noch viele.

 

31.

Roderich wäre schon früher angekommen, wenn ihn die Folgen seines Fiebers nicht bis jetzt zurückgehalten und ihn Jukunde nicht von der ehrenvollen, sichern Lage seiner geliebten Auguste und allem was sie that, posttäglich unterrichtet hätte. Auch wählte sie die Maske für ihn aus und entwarf die Rolle, in der er auftrat.

Der Fürst erklärte jetzt des Freiherrn widerrechtlich vollzogene Ehe mit Rosemunden, welche gänzlich verschwunden war, für aufgelöst und rieth ihm, sich eine weisere, treuere Führerin zu erkiesen, eine die ihn mit sanfter, fester Hand durch ein Leben geleiten könne, das so viel Steine des Anstoßes für ihn habe.

Ach, gnädiger Herr, sprach im Schauspiel eine junge Nachbarin zu dem Baron, als ihm im Lauf des rührenden Stücks die Thränen auf den Zettel fielen, Sie sind so ein weichherziger, angenehmer Herr, der gewiß auch sein Liebes hat, wenden Sie mir doch etwas zu.

Was denn? fragte Gustav, und sah ihr zum ersten Mal in die feurigen Augen.

Ich mache Putz, fuhr sie fort, und muß einen alten Vater und fünf unfleißige Schwestern von meiner Hände Arbeit ernähren. Kaufen Sie mir doch etwas ab. Bei mir ist jederzeit das Neueste, und wie bekannt, um ein Spottgeld zu finden.

Er drückte ihr ein Thalerstück in die Hand.

Nein, sprach sie unmuthig, geschenkt nehm' ich nichts, von solchen Herren am wenigsten. Aber wir wohnen ganz in der Nähe, wenn Sie mir die Ehre geben wollten.

Die Ehre ist auf meiner Seite! entgegnete der Beschämte, und ließ sich von einem Hütchen unterhalten, das die Fürstin selbst so auserwählt nicht besitze. Gustav dacht' es im Voraus Jukunden zu, konnte das Ende des Stücks kaum erwarten und bot der Putzmacherin seinen Arm. Sie führte den Käufer durch die Finsterniß eines vieleckigen Hofs in ein geräumiges, helles Gemach, wo die fünf Schwestern singend um den Punsch-Napf saßen. Der Vater schlief im Armstuhl hinter dem Ofen.

Da bring' ich ihn! rief sie und die schönste der Schwestern warf sich an seinen Hals. Sie sollten fleißiger seyn! sprach Gustav und verstummte plötzlich, denn mit wohlbekannter Stimme fragte die Umfangende – Kennst Du mich noch, Herzens-Junge?

O Himmel! rief er, bist Du es?

Ich mußte Dich doch einmahl sehn. Du bist mir den Berg noch schuldig, mein Abgott, ich nehm' aber Geld dafür.

Das also, sprach der Entrüstete zu der Führerin, ist der Aufsatz den die Fürstin selbst nicht schöner hat?

Wir sehen nur Männer auf! versicherte Suschen –

Das die Arbeit Ihrer Hände?

Du hast mich unglücklich gemacht, Goldmännchen, fiel Susanne ein: mache mich jetzt wieder glücklich! Was Du bei Dir hast, reicht hin, denn wir sind billig. Trink ein Gläschen und vergieb uns.

Und dazu, rief Gustav, dazu kann der Vater dort schlafen?

Es ist nur ein ausgestopfter! gestand ihm die Führerin, ein Rousseau, eine Wachs-Figur die nicht abging. Wir handelten einstmahls mit solchen. Er sitzt schon seit Jahren dort.

Der freilich ernährt sich leicht.

Aus der Heloise haben wir Pomade gemacht. Wohlriechende! Kauf' uns doch ein Büchschen ab.

Ich würde mich der Sünde fürchten. Ach Suschen, selbst im Bock, dächt' ich, wär' es doch besser gewesen.

Brich mir das Herz nicht, entgegnete sie, um den hat uns der gottlose Anton gebracht. Er ward reich, wir wurden arm, die Mutter starb und da wendete ich mich zu der Frau Muhme.

Gewiß zu der, welche damahls über den Zapfenstreich ausblieb?

Freilich. Die hat dieß Haus gekauft und bemuttert uns.

Ihr seyd sehr elend.

Wie man das nimmt, Herr Baron. Etwas vor sich bringen ist doch besser, als die Hände in den Schooß legen.

Ihr seyd Gefässe, die Gott im Zorne zerbrechen wird.

Was wir sind, sind wir aus Menschenliebe. Thun Sie doch auch etwas für Uns.

Das will ich. Ich will noch heute mit dem Fürsten sprechen! versicherte er und eilte fort. Von der Drohung erschreckt, stürzten sie ihm nach. Er entkam ihnen zwar, aber die üppigen, halb enthüllten Gestalten der fünf Putzmacherinnen erfüllten noch, als längst wieder am Punsch-Napfe saßen, die warme Phantasie des entbehrenden Wittwers.

Wellings speisten auswärts. Durch Jukundens Thüre schimmerte Licht. Er fand sie einsam, entkleidet und seines Zuspruchs jetzt am wenigsten gewärtig.

Rathen Sie, sprach er und warf sich mit blitzenden Augen an ihre Seite, rathen Sie mein Fräulein, wo ich herkomme?

Aus dem Schauspiel, entgegnete sie und verhüllte sich.

Von der Putzmache! fiel er ein. Ich wollt' Ihnen eine Freude bereiten, aber dieß Mal war es nichts und mit Pomade sind Sie versehn.

Was werd' ich wieder hören müssen? sprach die Seufzende.

Spaßhafte Dinge, entgegnete er, täglich erlebt man mehr. Ich war wo.

Das sieht man Ihnen an.

Mitten unter fünf Schwestern.

Ich fürchte, Gustav, Sie werden nachgerade ein lockrer Mensch, und würden Sie das, dann gute Nacht Herzensgüte und Seelenwerth!

Die kleinste der Schwestern machte Aufsätze, die andern tranken Punsch. Vater Rousseau saß hinter dem Ofen und rührte sich nicht. Vor eines solchen Wächters Augen könnten sie sonst was geniessen.

Wer führte Sie unter diese Menschen? Mir schauert neben Ihnen.

Das ist undankbar. Liebe zu Ihnen führte mich hin. Mit einem Geschenk wollt' ich Sie überraschen.

Sie sollen nichts mehr verschenken, Rosenwall. Längst schon bat ich Sie darum. Ihre blinde Gutmüthigkeit theilt ohne Ansehn, ohne Unterscheidungskraft rechts und links die Güter des Lebens aus und säet nur Undank. Der verarmte Geber aber, wird zum Menschenfeind und thut dann seinen Brüdern mehr Böses, als er ihnen je Gutes erwiesen hat.

Das ist lustig. Dort las ich den Text, hier wird er mir gelesen, und wir haben Beide Recht. Sie sind klüger als ich, ich besser als jene. So steigt die Leiter bis zum Seraph hinauf und am Ziele steht der Meister. Ich bin noch sehr weit unten. Nicht wahr?

In Ihrer Brust liegt Kraft genug aufwärts zu eilen und viele Ihrer Brüder zu überhohlen.

Eile mit Weile! sagt Karl und Karl hat Recht. Ach, stünden wir doch auf einer und derselben Sprosse. Dann nähm' ich Sie – so – so mit aller meiner Kraft an's Herz – an dieß wallende drückt' ich Sie und die Verlangende sträubte sich, wie die Taube gegen den Tauber.

Sie sind trunken!

Ich sah nur trinken – Auf mein Wort! Ich sah viel. Viel schönes selbst, doch sind Sie mir lieber. Ach, was gäb' ich drum, Jukunde, wenn diese Brust nur ein wenig Suschenhafter schlüge. Sie sind eine Heilige; mich aber, mich verlangt seit Monden schon nach einer – Sünderin? Nein! – Ja! – Nein! nach dem Weibe!

Fort mit Ihnen!

Gott behüte! Ich kam ja erst; kam um Dich anzubeten, warum zögern wir? Du liebst mich doch! Meinetwegen ward der arme Kornet zurückgewiesen, und der haut und sticht nun, weil er nicht lieben durfte. Ich darf! Du bist mein! Laß mich an Deinen Busen sinken, laß mich vergehn in Seligkeit.

Schrecklicher! so sah ich Sie nie!

So bin ich. Schrecklich nicht. Stark wie der Löwe und seitdem ich zum Gärtner ward, auch so kühn. O, gieb Dich hin! Mir ergieb Dich, mir, zur Braut!

Rosenwall, sprach die Verblaßte, im Nebenzimmer ist Maria.

Taub für die Warnung riß der Glühende sie an sein Herz.

Jukunde flehte laut, er hörte nicht; sie rief um Hülfe und Maria trat in's Zimmer. Er ließ die Beute los und floh davon.

 

32.

Die Gräfin war indeß nach Hause gekommen. Was fehlt Dir? sprach sie zu dem hereinstürzenden Bruder, Du siehst aus, wie ein Fieberkranker.

Ich befinde mich äusserst wohl, entgegnete er mit steigender Heftigkeit, ganz ungemein wohl. Man kann nicht gesünder seyn. Die Fische im Meere sind Pazienten neben mir. Ich wollte die Sterne vom Himmel reissen, Auguste. Ein Dutzend Assessoren wollt' ich in's Weltmeer werfen, oder in's Baltische, über dem Dich der Graf hielt. Die ganze Schwalbe wollt' ich halten, mit Mann und Maus.

Du bist berauscht.

Auch Jukunde glaubte das, aber zu Feuer werde der Tropfen den ich sah. Es ist Lebensgeist, der mein Herz durchlodert. Wehe mir! Warum muß ich Dich Schwester nennen? Wehe Dir! Warum verwarfst Du mich? Glücklicher hätte mich keine gemacht!

Schäme Dich Gustav. Jetzt will ich den Grafen rufen.

Thue das nicht! Das wäre ganz zur unrechten Stunde. Schmolle nicht, drohe nicht, zürne nicht – Komm als Freundin, komm als Lamm, komm als ein leiser, schmeichelnder Hauch an dieß Herz und lösche die Flamme meiner Sinne.

Die Gräfin streichelte flehend seine Wange und sprach ihm mit sanften Worten zu.

O meine Gustel! rief der Entwaffnete und verbarg an ihrem Busen sein brennendes Antlitz.

 

33.

Roderich hatte die Erlaubniß empfangen, vor dem Antritt des neuen Amtes in häuslichen Angelegenheiten auf einige Wochen nach Lindenau reisen zu dürfen. Sehr ungern entließ Maria die liebliche Vertraute, die zarte Pflegerin ihres Kindes, und legte es ihr zur Pflicht auf, den Grafen zur baldigen Rückkehr anzutreiben. Gustav ging umher, sich zu beurlauben. Er trat mit bangem Herzen in Jukundens Zimmer. Sie empfing ihn sehr feierlich.

Daß Sie um Hülfe riefen, sprach er, als sie ihm die ergriffene Hand entzog, war höchst unbillig, denn ich hätte Sie weder ermordet noch beraubt. Rosemunde kannte ihren Vortheil besser.

Seit gestern, Herr Baron, erwiederte Jukunde, seh' ich Ihre Trennung von dieser für ein Unglück an.

Wegen des rohen Triebes, meinen Sie? Ja Triebe hatte Mundel, Sie aber Fräulein haben nur Verstand –

Und Pflichtgefühl –

Und kein Herz, denn nur aus diesem kommen ja die argen Gedanken.

Es gab eine Zeit, Herr von Rosenwall, wo Sie mir theuer waren –

Die Zeit vergeht. Also auch diese?

Ich muß Verzicht auf Sie thun.

So? Verzicht! Sie haben die Liebe recht in Ihrer Gewalt.

Jedes bessere Wesen, Herr Baron. Wen sie zum Sklaven macht, den macht sie verächtlich.

Das soll auf mich gehn?

Und was Sie Liebe nennen, guter Freund, ist des Odems unwerth, den die Erwähnung dieses Gaukelspiels kostet –

Das geht nun gänzlich auf den Zehen, Jukunde. Kurz und gut, den rohen Trieb meinen Sie! Aber weiter!

Und mich diesem hinzugeben, bin ich zu stolz und zu kalt. Zur Gattin, nicht zur Buhlerin bestimmt mich mein Beruf, beruft mich meine Würde, und immer würden Sie von jener fodern was diese nur gewährt.

Hm! Und was denn, zum Beispiel?

So ungleiche Seelen dürfen sich nimmermehr vermählen.

Das wär' auch ohnmöglich. Selbst die ähnlichsten vermögen das nicht, darum sind die Engel geschlechtlos; darum, Gott verzeih es mir, möcht' ich fast lieber ein Mensch bleiben. Als solcher kann ich die Männin umfangen, als jener nur meines Gleichen, und mir wenigstens ist schon wärmer um's Herz wenn mich Auguste, als wenn mich der Schwager küßt. Die Engel aber sind alle nur Schwäger. Sie verstoßen mich also?

Sie lieben mich nicht; ich entsage dem Sinnlichen.

Ich weiß schon, warum! Wegen der Putzmache. Gnade mir Gott, wenn Gustel das hört.

Die Gräfin wird meine Gründe trifftig, meine Zwecke vernunftmäßig finden.

Jukunde, Sie schmollen wohl nur? Seyn Sie nicht böse: ich will es nicht wieder thun.

Dafür, Herr von Rosenwall bürgt die Weisung welche der Graf empfing, Sie in Lindenau zurückzulassen.

Mich? Wohl Ihretwegen, Jukunde?

Maria will es so.

Das ist Mißgunst. Mundel war auch so. Und was soll ich denn dort?

Landwirthschaft treiben, und dann angestellt werden.

Als Bauer wohl?

Oder wählen was Ihnen gutdünkt. Nur diese Stadt sollen Sie meiden, wo der Haß meines Bruders, die Rache Schellaus und der Neid seiner Freunde, so manches Verhältniß endlich, unsern Frieden stören und Sie zu Extremen führen könnte.

E. Aha! Eine Verschwörung.

S. Zu Ihrem Besten!

E. Gut, ich reise.

S. Das ist nothwendig.

E. Und komme nie zurück.

S. Vor der Hand nicht.

E. Nie! Werden Sie meiner wohl gedenken?

S. Mit Bekümmerniß!

E. Und auch der Gustel?

S. Die sehn wir bald wieder.

E. O sie reist auch mit!

S. Für Wochen nur.

E. Was mir recht ist, ist ihr billig. Werd' ich verbannt, so verbannt Sie sich selbst. Der Graf mag dann hier rathen so geheim er nur will, sie wird von mir berathen und bleibt in Lindenau.

S. Das findet sich, Herr von Rosenwall.

E. O ja. Wir kennen den Weg. Bis Herjedalen finden wir uns. Leben Sie wohl, Fräulein! Ich liebe Sie nicht mehr.

S. Wohl dann Ihnen!

E. Es ist Schade, daß Sie nichts als Verstand haben. Sie sollten Bücher schreiben, Jukunde, und eine Mädchenschule anlegen. Sonst taugen Sie zu nichts.

Jukunde weinte und er ging. Bald darauf trat Auguste ein. Ich empfing Dein Billet, sprach sie und komme, Dir mein Beileid zu bezeigen. Doch mußt' ich lächeln und mein Mann mußte lachen. Vergieb uns! Deine Verlegenheit kann ich mir denken, aber Gustav ist weder ein Wüthrich noch ein Böswicht und drückt sich nur zuweilen stark aus. Unter uns gesteh' ich Dir, daß dieser Kraft-Erguß mich an Deiner Stelle im Innersten des Herzens gefreut hätte. Zwei Thränen reichten hin, den Stürmer zu entwaffnen. Du aber empörtest ihn. Und daß Du sogar um Hülfe riefst, vergeb ' ich Dir nicht. Eine Liebende würde das schwerlich vermögen. Lieber hätt' ich meinem Roderich Ruhe und Ruf und selbst das Leben aufgeopfert, als ihn vor den Augen einer so bedeutenden Zeugin beschämt. Williger meinen Himmel aufgegeben, als ihn so unzart aus dem seinen geworfen.

I. So großmüthig sind wir deutsche Mädchen nicht.

A. War etwa Rosemunde ein schwedisches? Die Mädchen, glaub' ich, sind sich überall gleich, und vergelten überall Liebe mit Liebe.

I. Ich lieb' ihn nicht mehr.

A. Nicht? O das ändert die Sache. Nicht? Aber Du hast ihn geliebt?

I. Gewiß!

A. Und die Wunden, die er Deinem entarteten Bruder schlug, sind heil.

I. Er schlug sie meinem Herzen. Fritz war verführt, nicht Verführer. Doch möchte das hingehn. Aber ich seh' im Hintergründe dieser Ehe nur Unglück, und mein Gewissen ist beängstigt –

A. Dein Gewissen?

I. Ein schwerer Traum bekümmert mich – ein Traum in der Nacht nach dem Abend, wo Silfen bei uns Abschied nahm.

A. Geschwind!

I. Mir war als wachte ich. Der Mond schien hell. Leise klopft' es jetzt. Mir schauerte. Die Thüre sprang auf. Geisterbleich rauschte ein Etwas in's Zimmer. Näher und näher kam das unbeschreibbare Wesen – Ich erstarrte! Es verschwand, ich schöpfte Odem. Klirrend flog jetzt das Fenster auf, ein weißer, glänzender Todenkopf sah herein, und ich erwachte. Noch wimmerte die Angel der klaffenden Thüre und durch das offene Fenster brauste der Sturm.

A. Hör' auf, mich friert!

I. Dich macht die Erzählung blaß, nun denke Dich in diese Lage. Meine Mutter fand mich am Morgen tief unter dem Hauptkissen, in Fieberhitze. Ich sagt' ihr kein Wort von der Veranlassung.

A. Träume sind Gottes Finger.

I. Und dieser wohl absonderlich? Silfen hing mit reiner Zärtlichkeit an mir.

A. Das kann ich bezeugen.

I. Er bot mir seine Hand. In diesem Falle wollt' er den Abschied nehmen und mich auf das Gut seiner Mutter führen, die eine würdige Frau seyn soll –

A. Die Trefflichkeit selbst.

I. Glänzend, gestand er, sey die Lage nicht, die er mir anbiete, aber als eine beschränkte für das Gedeihen des häuslichen Glücks ganz geeignet. Ich wollt' ihm wohl, doch liebt' ich ihn nicht. Viel näher lag mir Dein Bruder am Herzen. Nun kam die Ordre. Er schied. In's Feld führte der Beruf den Hofnungslosen und ich bin es, die ihn in den Tod treibt.

A. Ist er gestorben?

I. Er wird sterben, Auguste. Mein Traum geht aus und jedes Zeitungsblatt und jeder Post-Bote macht mich bleich.

A. So schreib' ihm doch, er solle zurückkehren und glücklich seyn.

I. Das that ich, Liebe. Eben hatt' ich den Brief geschlossen, den ersten, den wärmsten, den offensten den je ein junger Mann von mir empfing, als Gustav eintrat und mich mit rauher Hand aus dem hohem Gefilde zu seiner sterblichen Wallung herabriß.

A. O vergieb ihm! Vergieb auch mir, Jukunde, und erheitre Dich. Er soll Dir abbitten. Kniend soll er das. Er hat Dich in der Andacht gestört und die schönste Stunde Deines Lebens entheiligt. So sind die Männer! Auch der meine verstößt nicht selten gegen ähnliche Rücksichten und unterbricht mich oft selbst in der täglichen Prüfung.

I. Entdecke Deinem Bruder meine Lage nicht. Wir sind geschieden, und zu seinem Frieden wird es dienen daß unsre Trennung eine feindselige war. Fort ist der Brief, der Wurf geschehen, der Rest des Himmels Sache.

A. Hofnung, Jukunde, hätt' ich dem Kornet doch auf den Weg gegeben –

Er bat um einen Kuß, sprach sie erröthend, und den empfing er. Einen herzlichen. Tief bewegt drückte mich der sanfte Mann an seinen Busen. Ich entwand mich ihm. Er trat zum Klavier, schlug einige Töne an, sah meine Augen naß, zog mich wieder an sein Herz und sprach mit Wehmuth – Der Glanz Ihres Braut-Abends wird mein Grab vergolden. – Soll mich das nicht rühren und erschüttern?

Ich glaub', er wird sein Bett vergolden! entgegnete Auguste, mache nur daß er zurückkömmt. Den Bruder entfern' ich.

Maria beurlaubte indeß den Grafen mit ungemeiner Wärme, und bat ihn mit der Grazie der sie gebot die neuen Freunde nicht über den alten zu vernachlässigen. Er mußte den kleinen Wilhelm küssen und dann drückte sie das Kind an ihre Lippen. Der Anblick des blühenden Knaben preßte dem geheimen Rath einen Seufzer aus, denn die Folgen jener Donnerreichen Geburtsnacht hatten Augusten um eine ähnliche Hofnung gebracht. Maria setzte den Seufzer auf Rechnung der Scheidestunde und begleitete den Gehenden mit einem Blick der das innige Wohlwollen gewährte um das der seinige zu flehen schien.

 

34.

Sie kamen nach Lindenau. Der Onkel hatte indeß wieder ohne Hofnung gelegen, und die Trauung um welche Lina ihn jetzt stürmisch anging, bis zum zweiten Genesungs-Fest verschoben, Seehof das Gut angenommen, seinen Abschied mit dem Charakter eines Majors empfangen, und nur Roderichs Ankunft erwartet, um die Vermählung mit Amalien zu vollziehn.

Weißt Du was neues? sprach Gustav wenige Tage nach der Ankunft, zu Augusten, ich bin nun wieder ein Bräutigam –

Wie? rief diese, hat Jukunde geschrieben? sich eines bessern bedacht? Dich versöhnt?

E. Bewahre! Poldel wird meine Frau.

S. Leopoldine?

E. Wir sind noch von neulich her, gute Freunde.

S. Freunde? das sey! Doch zum Glück der Ehe gehört viel mehr als solche Freundschaft.

E. Hübsch ist sie freilich nicht; ein wenig schief, und fast gar zu klein für mich –

S. Das find' ich selbst –

E. Auch schielt sie ungemein und ihre Arme sind schwankhaft. Aber das lieb' ich.

S. Du?

E. Wer sonst? Sie trachten ja alle nach dem Schönen. Ich will fortan nur nach dem Guten streben, und dächte jeder wie ich, so würden die Schönen auch gut werden.

S. Sind sie das nicht?

E. Noch keine die ich kannte. Rosemunde glich Marien und war nur ein böser Geist in Lichts-Gestalt. Die jüngste Gräfin gleicht der Taube und doch vergäbe sie, wenn ich Ja sagte, den Onkel Moloch mit Rattengift. In Suschen verliebt sich wer sie nur ansieht, und solche Hälse, solche Augen, solche Gliedmaßen als ihre fünf Schwestern aufwiesen, giebt es in ganz Herjedalen nicht, aber bei allen dem ruhte die Sünde vor der Putzmache. Jukunde endlich war so wechselhaft als reizend. Gott ehre die Häßlichen, sie allein meinen es redlich mit uns.

S. So? Das ist mir neu! Ich also wäre falsch?

E. Ei bewahre.

S. Also häßlich?

E. Nein, nein! Gar zu hübsch. In allen die Ausnahme.

S. Bald zu wenig bald zu viel. Aber ich möchte doch um keinen Preis eine andere seyn. Die herrlichen, modischen Kleider haben mich ganz verwandelt.

E. Ja wohl. Doch auch in Deinem schwedischen Jäckchen gefielst Du mir. Du sahst so schuldlos aus, so natürlich.

S. Nur so gemein, so einfältig. Als Aurore war ich am schönsten. Nicht wahr? Wer nur von der Stelle gekonnt hätte. Aber der arme Titan wimmerte daß mir das Herz wehthat.

E. Mein Titan auch, so oft er bei der Mundel saß.

S. Die kurze Schürzung macht mich länger und solch' ein Schuh den Fuß um eins so klein.

E. In Herjedalen traten wir anders auf.

S. Am Kleid ist der Ausschnitt doch zu tief. Ich schäme mich, den ganzen Nacken sehn zu lassen.

E. Weil er so gilblich ist. Die Mundel hatte freilich einen weißern.

S. Gilblich meinst Du? Wie Elfenbein, sagt Roderich.

E. Die Poldel ist ehrbarer. Im heissesten Sommer verwahrt die den Nacken und den Hals als ob sie auf dem Schlitten fahren wollte.

S. Die Arme! sprach mit Achselzucken Auguste.

E. Die Hagre, willst Du sagen. Ich setze hinzu die Edle!

S. Ja! das ist sie wahrlich!

E. Die fromme Geberin, der Du Dein Glück verdankst. Auguste, glaube mir, unter der üppigsten Brust wohnt oft das schlechteste Herz und ein reicher Schatz im dumpfen Gewölbe. Denk an den Stall zu Bethlehem im jüdischen Lande.

S. Dich verdient Sie! sprach Auguste, doch bedenk' es wohl. Du bist voll Augenlust Gustav, voll Fleischeslust, möcht' ich hinzusetzen.

E. Die eben ärgert mich, Gustel, darum will ich sie ausreissen und von mir werfen. Sie muß heraus und sollt' ich selbst in Stücken gehn. Poldchen wird helfen!

 

35.

Leopodine war die Güte selbst; eine offne, anhängliche Seele, die durch ihre Gestalt vor Mißdeutung geschützt, manche bängliche Rücksicht verschmähen durfte und diesem biedern, harmlosen Jünglinge persönlich wohlwollte. Täglich gewann er die Gutmüthige lieber, welche sich viel angelegentlicher als jede ihrer Vorgängerinnen mit ihm beschäftigte, und wo Rosemunde getobt, Auguste gescholten, Lina gespöttelt, Jukunde geschmollt hatte, nur liebevoll warnte und mit sanften Worten zurecht wies.

Exzellenz, sprach er eines Tages, zu dem bettlägerigen Onkel, Sie könnten mir eine Freundschaft erzeigen.

Freundschaft? brummte dieser. Soll Gnade heissen, die wohnet mir bei.

Gnade auf dem Hochgericht! erwiederte Gustav, da fällt mir der Punsch-Abend ein. Eine Gnade also.

Gott ist gnädig, entgegnete der Onkel, und ich habe mich ausgegeben. Nein aus!

G. Geld mag ich nicht. Ich bin mit Mundels Erbtheil zufrieden. Aber Sie haben noch andere Güter.

O. Güter? Sieben mein Sohn! Dazu drei Vorwerke, zwei Mühlen und einen Wald.

G. Und noch ein Kleinod, das mehr werth ist als dieß alles.

O. Wie? Werd' ich schwach? Wo stäcke das? Mein bester Ring ist mit tausend Pistolen bezahlt.

G. Ein Kleinod, das dieselben Vorwerke hat. Wald und Mühlen – Nach Ihrem Hintritt, heißt das.

O. Sie meinen Poldchen? Ist abgefunden. Hat Ihr Muttertheil. Marschirt ab. In's Stift wandert sie, als ein Stachel in meinem Fleisch. Geheime Räthin könnte das Rabenkind seyn, nun stirbt sie unvermählt.

G. Glauben Sie das nicht; zur Vermählung helf' ich ihr.

O. Helfen? So? Wie dem Comteß Pathchen, die nun landflüchtig ist? – Oder wie meinem Comteß Linel das der Herr böslich verlassen hat?

G. Dazu rath' ich jedem –

O. Der Herr ist zu stahlderb, weiß nicht mit Damen umzugehn. Ich weiß das. Bin auch locker gewesen! Liederlich wie ein Waldmann. Das ist vornehm. Anno acht und fünfzig, ja 1758 war es, da hab' ich ein ganzes Nonnen-Kloster entführt. Aber geschrien hat noch keine über mich. Ihr englischer Junge war ich, ihr Zuckerstengel –

G. Exzellenz, Sie fallen wieder auf Ihre Träume. Das vom Waldmann will ich glauben, aber mit dem Zuckerstengel ist es nichts. Comteß Linel lacht Sie nur aus!

O. Ach, Ach! Die Eifersucht spricht aus Ihnen.

G. Linel ist falsch! Gegen sich selbst ist sie das. Aus Verzweiflung, schwor sie mir, habe sie sich Ihnen hingegeben. Sie habe sich dem Moloch geopfert. Auf mein Wort, das sagte sie.

O. Poldel soll die Pistolen bringen. Ich erschieße den Herrn. Auf der Stelle!

G. Geben Sie uns lieber Ihren Segen.

O. Moloch? Denk doch! Ich will Euch bemolochen! Geh mir der Herr aus den Augen. Es kann des Herrn Unglück seyn!

G. Machen Sie, Papachen! Ich will auch, an das Nonnen-Kloster und an die zehn Wunden glauben.

O. Und versichern, daß Sie die Blessuren gesehn haben?

G. Das – Nein, Exzellenz das wär' eine Lüge.

O. Keine Lüge, kein Poldchen. Sind nichts, haben nichts, sehen nichts. Ihr Diener! Können gehn.

G. Ich bin ein Schwede, entgegnete Gustav und das ist nicht wenig. Ich habe eignen Werth, das hat mir der Hauptmann, das hat mir der Graf Roderich, Jukunde und Leopoldine versichert. Ich sehe auch, Exzellenz. Ich sehe daß die Linel Recht hat. Komm Titan, wir gehn zu Poldchen!

 

36.

Leopoldine saß, als er eintrat, mit gefalteten Händen im Sopha. Er putzte die Lichter und sprach »Was sinnen Sie denn?«

S. Ich betete.

E. Da bet' ich mit. Fahren Sie fort. Um was baten Sie denn?

S. Einem Freunde nur vertraut man das. Dem Himmlischen.

E. Ich habe jetzt auch immer für Sie gebetet.

S. Für mich? Sie guter Mensch!

E. Daß Sie Gott so schön machen möchte als Sie brav sind.

S. Unnütze Bitte!

E. So roth wie die Mundel, und so anmuthig wie Augusten. Recht versucht hab' ich ihn und bin neugierig ob er denn gar keine Wunder mehr thun wird. Ich wollte, Sie würden im Voraus verklärt. Der Lina zum Possen und damit die Gerechtigkeit siegte und die Beste auch ein Mal die Schönste würde. Erhört er mich nicht, so will ich selbst das Unrecht gut machen. Ich will Sie heyrathen, gute Seele.

S. Nun das ist wahr, auch als Freyer sind Sie einzig.

E. Nehmen Sie mich, liebe Poldine. Die Schönen sind häßlich, nur die Häßlichen sind schön.

S. Auch einer Häßlichen muß das kein Mann sagen.

E. Sie wissen es ja schon, und Ihr Aussehn, Freundin, ist Ihr bester Schatz. Ihnen tritt kein Assessor zu nahe, und kein Mensch wird der Verläumdung glauben, wenn sie auf Poldchens Kosten lästert. Ich will auch recht zart mit Ihnen verfahren, liebe Seele. Auf den Zehen will ich gehn und Sie weder in den Nacken beissen noch an's Herz pressen. Sie sollen nicht gezwungen werden, um Hülfe zu schreyen, und die Wahl haben, wie Mundel zu gewähren oder wie Jukunde zu versagen. Des rohen Triebes wegen, hat mich der Sire verwiesen, doch der vergeht wenn Sie dem zärtern Triebe rufen – dem himmlischen. Ich lasse mich im neuen Adam trauen und zieh' ihn dann nie wieder aus.

S. Ich bin gewiß, entgegnete Leopoldine, daß Sie ein gutes Weib viel glücklicher als selbst mancher gepriesene Moralist machen würden, aber zu einem von meinem Gepräge würd' ich Ihnen doch niemahls rathen. Nur im Akkord liegt Harmonie und nur das Gleiche gesellet sich gut.

E. Ist denn mein Herz viel schlechter als das Ihre?

S. Es ist das edelste.

E. Aber ich bin albern und Sie verständig?

S. Sie sind ein Phöbus, ich eine Nachtgestalt. Sie glückten dem Künstler dem ich mißrieth.

E. Gut! So mach' ich mich häßlich. Das kann nicht schwer halten. Ich schneide Gesichter wie ehedem der Sire. Maria hat sie ihm abgewöhnt. So, zum Beispiel. Oder ich wasche mich, wie unsere Lappen, mit Fisch-Thran. Sie selbst sollen vor mir erschrecken, wenn Ihnen nur meine Schönheit im Wege sieht.

S. Das ist mehr als selbst Petrarch für Lauren gethan hätte. Doch, bleiben Sie immer wie Sie sind, guter Rosenwall, ein sprechender Beweis für den Schönheits-Sinn des Schöpfers. Unsre Freundschaft wird nichts scheiden, und mehr als diese zu verheissen, steht nicht in der Macht einer Braut.

Ist's möglich? rief er aufspringend. Komm' ich schon wieder zu spät? Hier heyrathet ja alles, und Comteß Linel ist mit dem Onkel versprochen.

S. Sie scherzen, Gustav.

E. Leider, nein. Beide gestanden es, aber ihn bedaure ich doch. Die Widrigkeit nannte sie ihn. Die Sünde, den Moloch.

S. Ich fall' aus den Wolken. Daher also ihr wegwerfendes, gebieterisches, alles um sich her verachtendes Wesen, das mir und Amalien zeither so manche trübe Stunde machte.

E. Und heute nach Seehofs Trauung will er sie der Familie als Braut vorstellen, und sich auch trauen lassen. Da hätt' ich denn so gern das dritte Paar gemacht. Besser wie Comteß Linel waren Sie immer gefahren, Poldine. Von Stunde zu Stunde würde sich diese mehr und mehr an Ihre Stelle gewünscht haben. Auch um mich hielt sie wieder an, aber ich hab' es ihr abgeschlagen.

S. Sie dürfen wissen, guter Rosenwall, daß auch ich heute getraut werde.

E. Darum beteten Sie vorhin. Sie fromme Seele! Andre Bräute würden über dem Brautstaat alles andre vergessen, Sie aber vergassen alles andre über Gott. Gesegnet sey Ihr ganzes Leben! Wo find' ich denn den Bräutigam?

S. Ich seh' ihm entgegen.

E. Er wird doch nicht bloß den Wald heyrathen wollen, oder die Mühlen?

S. Ich bin jetzt arm, Gustav, und um mein selbst Willen liebt er mich. Sie kennen Ihn – Er war Ihr erster Freund, Ihr erster Warner.

E. Wie? Mein alter Karl? Ach warum nicht?

S. Der Hauptmann Welling.

E. Der kleine, schiefe? Der mit den vielen Narben im Gesicht? Der mir rieth, auf den Zehen zu gehn? Der mich foderte und dann küßte? Mich die Suschen an ihren Früchten kennen lehrte, und die Brennende löschen half?

S. Derselbe.

E. Schön! Herrlich! Auch eine reiche Seele die in einer armen Hütte wohnt. Ei, der könnte dem Schwiegerpapa einige von seinen Wunden abtreten. Der ist ein Mann für Sie. Kreuzbrav wie ein Dalekerl und eisenfest wie der nordische Eichbaum. Dem gönn' ich meines Herzens Herz, meine Poldine!

 

37.

Beide Paare waren getraut, die Gäste versammelt, und auch die jüngste Gräfin im vollen Brautstaat. Zwei Heiducken fuhren den Oheim im Räderstuhl von einer Gruppe zur andern und Lina verfolgte ihn wie sein Schatten. Schiebt! rief er, sobald sie ein Gespräch begann und so rollte denn die Gelegenheit unablässig über den Saal. Sie begriff um so weniger, warum er noch mit der Erklärung zögerte, da ihm jetzt eben wohler als je war und die Speisen bereits aufgetragen wurden. Von diesem rastlosen Nachsetzen aufs äusserste gebracht, vertrat sie ihm endlich gerade zu den Weg.

S. Wie gefall' ich Ihnen denn heute, lieber Onkel?

E. Wie Judith, Comteß Linel. Iustement so.

S. Alles Ihre Wahl, alles Opfer Ihrer Güte. Nur meines theuern Onkels Bild fehlt noch in dieser Kapsel.

E. Eher, ma nièce, eher hing ich mich sonst wo auf.

S. Nach Gefallen! Aber Sie wollten ja noch gestern Poldchens Heyrath nicht zugeben, und heute weinten Sie vor Freuden als der Engel zur Frau ward.

E. Gestern sprach Satanas noch aus mir, den hab' ich aber heute dem Moloch geopfert.

S. Voyès vous! stammelte die Verblassende.

E. Das ganze Bibelbuch hab' ich durchsucht, den Moloch zu finden und was er war, aber vergebens. Die Heiducken meinten, er habe die Kinder gefressen. Ist dem so, ma nièce?

S. Ich fasse Ew. Exzellenz gar nicht.

Will Sie auch ungefaßt lassen, Comteß Linel. Schiebt zu! – rief er, als sie ihn mit dem dreischneidigen Stachel ihres Züngleins begleitete. Trab, Trab! ihr Rattenschwänze! Unter die Menschen – Unter die Tafel – In den Kamin! – Nur von der Judith weg!

Eben ward der Rittmeister Silfen gemeldet. Auguste und seine Mutter die unter den Gästen war, flogen dem Unerwarteten entgegen. Die Thaten eines Feldzugs reichten hin, ihn zur Schwadron zu helfen, die Wunden welche sie begleiteten, ihm den Abschied zu verdienen zu dem Jukundens Brief den Liebenden schnell bestimmte. Die Freude der Mutter war groß und alles umringte die Jauchzende, welche den edeln Sohn an ihr Herz drückte und Gott pries, der ihn mit Ehre bekränzt, ihrem Alter aufgespart hatte.

Bruder, sprach Silfen nach der ersten Bewillkommnung zu unserm Gustav, und zog ihn bei Seite, ich sehe Wolken auf Deiner Stirn –

Das ist Puder, fiel dieser mit erzwungenem Lächeln ein, ich traf auf des Onkels Perücke.

Du bist nicht heiter. Wie der Beraubte stehst Du vor mir, ich wie der Räuber.

Wenn Du nur glücklich bist! entgegnete Gustav und schüttelte ihm treuherzig die Hand.

Das ist die Frage! erwiederte sein Freund, ich fürchte der Großmuth danken zu müssen, was ich nur von der Liebe empfangen möchte.

G. Doch meiner Großmuth nicht? Ach Freund, ich bin ganz kleinmüthig geschieden. Wie Titan, wenn ihn die Mundel aus dem Zimmer trieb. Verwiesen ward ich.

S. Verwiesen? Von Jukunden? Das begreif' ich kaum.

G. Vom Sire vielmehr, aber auf ihren Antrieb, weil ich von der Putzmache zu ihr kam. Nicht von der eigentlichen, denn sie formten auch in Wachs. Menschen sogar; es saß ein fertiger hinter dem Ofen.

Zur Tafel, Herr Rittmeister! sprach Frau von Silfen und gab ihrem Sohne den Arm. Gustav ergriff die Hand der nächsten Dame, Und sah erst, als er neben dieser saß, daß er nach Karolinen gegriffen hatte.

Wissen Sie schon, sprach die Verstummte Nach langem Schweigen, daß ich den Onkel Moloch aufgab?

Ach, Gott sey Dank! fiel er ein, der arme, alte, kindische Mann hätte mich gedauert.

S. Sagen Sie das, um mich zu kränken, um mir das Herz zu brechen, oder aus Einfalt?

E. Aus Ueberzeugung.

S. Ich heyrathe nun gar nicht.

E. Darum lob' ich Sie.

S. Und geh' in ein Kloster.

E. Giebt es auch lutherische?

S. Ich werde katholisch.

E. Da sey Gott für.

S. Katholisch!

E. Das dürfen Sie nicht.

S. Wer wehrt es mir?

E. Diese heilige, kristliche Kirche. Poldchen und der Graf, Amalie und Auguste, der Onkel und ich.

S. Lina's Entschlüsse stehen fest.

Meine Herren, rief Gustav, meine Damen! Sie trat ihm auf den Fuß, alles stutzte. Gräfin Linel will katholisch werden. Alle lachten. Nein, nein, sie schwört, es sey ihr Ernst.

Denn auf Scherz, fiel diese mit einem bittern Lächeln ein, meine Herrn und Damen, versteht sich ja bekanntlich mein Nachbar nicht.

Das Gespräch ward wieder allgemein.

Ich werd' es doch! sprach sie leise. Und mein ganzes Vermögen will ich daran setzen, Proselyten zu machen –

Was sind das für Dinger? fragte Gustav.

S. Solche die meinem Beispiel folgen. Auf meine Kosten schick' ich zwei Patres zu diesem Behuf nach Herjedalen. Alle Romane, in denen jetzt der Aberglaube vergöttert wird, laß ich in's Schwedische übersetzen.

E. Das mögen Sie. Unsre Bischöffe sind Zionswächter; Domingo im Carlos ist ein Freigeist gegen diese. Sie lassen die Bücher und die Patres verbrennen.

Sehn Sie! fuhr die Gräfin fort und zeigte ihm einen Rosenkranz unter dem Tische. Er gehört unserer Kristiane die dieses Glaubens ist und den alten Karl auch schon auf gutem Wege weiß.

Um Ihrer Seele Willen, Gräfin! thun Sie mir nicht das Herzleid an.

O, alles denkbare! Wenn Sie kein solcher Pflichtvergessener Lutheraner wären, so säß ich hier als Frau von Rosenwall, geehrt und glücklich bei Tafel, und gäbe den Ton an.

Ja, den katholischen! erwiederte Gustav, und wendete sich zu seinem Nachbar, dem Hauptmann von Welling.

Hören Sie, sprach er, es ist ihr Ernst damit.

Auch der Ernst eines Kindes, entgegnete dieser, ist spaßhaft.

Jetzt möcht' ich Verstand haben, lieber Hauptmann, und Kopf genug, die gnädige Schwägerin zu beschämen –

Wünschen Sie sich nie ein so zweideutiges Gut. Nur ein guter Kopf weiß wie kopflos er ist, und doch beneiden ihn alle Thoren. Wer ihn lieben sollte, fürchtet, und wer ihn fürchtet, verleumdet ihn.

Lina, sprach der Ignorant zu der Gräfin, stürzen Sie sich doch nicht in Jammer und Schande –

Alles fällt auf Ihre Rechnung, entgegnete die Verstockte. Sie haben zuerst den Frieden der Unschuld gestört und mich einer Verzweiflung überlassen die sich nur im Kloster, nur zu den Füssen barmherziger Heiligen verlieren wird.

Der böse Feind ficht Sie an. Ich will von morgen an mit Ihnen beten.

O, beten kann ich selbst. Ave Maria!

Was soll ich sonst thun? Sey's auch das Aeusserste! Ehe ich Ihre Seele auf's Spiel setze, opfere ich mein ganzes, zeitliches Heil auf.

Ach, retten könnten Sie mich wohl.

Wirklich? Wahrhaftig? Sagen Sie doch, wie?

Sehn Sie meine Thränen?

Deutlich. Solche Juweelen schmücken die Sünderin mehr als Perlen und Demante.

Sie verkündigen mein Herz das eben in die Augen tritt. Ach, alles wäre wieder gut, wenn sich ein redlicher, aufrichtiger Mensch meiner annähme, und wie der Samaritter thäte.

E. Das ist mein Fach! Den Samaritter lieb' ich vor allen, machen Sie mich zu dem Ihren.

S. Mein Mädchenstand ist mir im Wege. Nur dem Gatten darf das weibliche Herz sich öffnen.

E. Da soll ich nun schon wieder heyrathen!

S. O, Lina ist kein Gegenstand für die Barmherzigkeit. Sie würde sich noch sehr bedenken. Am Sonntag lag ein Ober-Lieutenant, am Montag ein Kammer-Rath zu meinen Füssen. Aber sie glichen Ihnen Beide zu wenig, um erhört zu werden.

E. Ach Schwägerin, Mundels ganzes Erbtheil gäb' ich drum, wenn Sie ein Fensterchen auf der Brust trügen und ich da so, mit Ihrer Erlaubmß heißt das, in's Allerinnerste sehn und entdecken könnte ob Ihr Herz wirklich zerknirscht ist, ob Sie mir gut sind, und so weiter.

S. Meine Augen sind meine Fenster.

E. Nur mich selbst seh ich in diesen.

S. Weil nur Sie mein Herz erfüllen, Ihre Hand! Lina will verzeihen –

E. Ich bitte um Bedenkzeit, Gräfin!

Wie? fragte sie und neigte sich zu ihm!

Um Bedenkzeit! wiederhohlte er, von dem Geiste des Weins in der Rede gehemmt, denn jetzt seh ich Sie lutherisch und katholisch zugleich und alles was Sie sind und haben, doppelt.

Die Trinksprüche hatten das Gespräch um sie her sentimental gemacht und von Sentenzen war die Rede. Jedes gab die seinen zum Besten.

Honneur et patrice! sagte Silfen, seine Mutter blickte beifällig zu dem Ruhmbedeckten Sohne auf.

Wo der Mensch geliebt wird, sprach Seehof zu Amalien: da ist seine Heymath.

Tutto per amore! entgegnete sie.

Wenigen gefallen und nur den Besten! lispelte Leopoldine und küßte ihres Gatten Hand.

Nescit vox missa reverti! versicherte Roderich.

Da hört man den Diplomatiker! rief der Hauptmann.

Auch ich' war in Arkadien! wisperte Karoline in das Ohr des Ignoranten.

Was da, was dort, entgegnete dieser: Der Wein erfreut des Menschen Herz, schenk ein, alter Karl!

Seyd vollkommen, rief Auguste, wie Euer Vater im Himmel vollkommen ist!

Seyd erst gesund! erwiederte der Onkel; wie kann man vollkommen seyn, auf dem Räderstuhl? Bon appetit. Fahrt zu!

Die Stühle flogen. Mitternacht war vorüber, man eilte zum Aufbruch; beide Paare verschwanden und Leopoldine drückte dem taumelnden Gustav, als sie jetzt an des Hauptmanns Arm bei ihm vorüberstrich, mit feuriger Herzlichkeit die Hand.


Er schwankte feinem Stübchen zu, sah in allen Winkeln Nonnen und Mönche und auf seinem Haupte, so oft er es im Spiegel erblickte, eine Glorie die man ihm schon an jenem Punsch-Abend beimaß. Der Wein der Weine hatte seine Sinnlichkeit entbunden und die üppige Knospe welche vom Busen der Kirche zu fallen drohte, erschien ihm jetzt um ein's so reizend. »Ihr sind viel Sünden vergeben« sprach er mit den Worten der Schrift; »denn sie hat viel geliebt, welcher aber wenig vergeben wird, die liebet wenig.«

 

38.

Es war fast Morgen, und noch immer zitirte er Beispiele und Sprüche die seinen neuen, im Rausch empfangenen Plan unterstützten, als Sophie, Augustens Mädchen, nur eben mit dem Feigenblatt bedeckt, in sein Zimmer sah.

Ach, das Unglück, gnädiger Herr! rief sie, kommen Sie uns doch zu Hülfe.

E. Unglück? Hülfe? Doch mit Augusten nichts?

S. Nein, die ruht sanft –

E. Hat Leopoldine vielleicht –

S. Die Brautpaare schlafen fest, ich horchte so eben an beiden Thüren –

E. Was denn also? So rede Sie! Gräfin Linel doch nicht –

S. Nichts weniger! Unser einen betrift es, gnädiger Herr!

E. Wie? Dich selbst wohl? Nur nichts vom Heyrathen! Nur kein Liebes-Verständniß! Das verbitt' ich mir gänzlich. Suschenhaft genug siehst Du aus.

S. I, Gott bewahre; der alte Karl liegt in der Angst.

E. In der Angst? Das kömmt von der Kristiane; das hat er von ihrem Rosenkranz.

S. Nein, vom Tafel-Abhub. Der Herr Feldscheer sehn nur zu, wenn er platzen wird. Einen Hasen hat er genossen und zehn Neunaugen, den Teller mit Allerlei ungerechnet. Und mehr als das alles, sagt er, drück' ihn ein Geheimniß am Herzen, das er nur Ihnen entdecken will und der Frau Gräfin.

Ein Geheimniß? brummte Gustav und eilte hinab. Der Kranke lag, wie Falstaff, auf dem Bett' und ächzte sehr.

Armer Karl, sprach er und klopfte sanft auf das Lager des Hasen und den Versteck der zehn Neunaugen, was bedrängt Dich denn?

Ein Geheimniß, entgegnete dieser in kurzen Absätzen, der Papa hat es mir auf dem Todbett vertraut.

Entdeck' es! Schnell! Schütt' alles aus und stirb mir nur lutherisch!

Der Schlüssel zu dem Geheimniß, erwiederte der Keuchende, liegt – zu Hause. In Stockholm – In eines Verwandten Hand –

In Stockholm? Hundert Meilen von hier? Und das ist alles was Du weißt?

Ich weiß nur soviel – daß die Frau Gräfin – daß unsere Gustel – Aber die – Angst naht – Ich kann nicht mehr!


Ende
des zweiten Theils.

 


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