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Das gelbe Haus

»Hio-o-hi!«

Den Berg hinauf, melodisch wie ein Vogelruf...

Erstaunt, beunruhigt hob er den Kopf.

»Hio-o-hi!« Viel lauter als vorher.

Aber diesmal war es nur das Echo in seinen Gedanken – ein hundertfaches Echo.

Er blickte an der Staffelei vorbei auf den Pfad, der in kleinen, verwegenen Sprüngen den Steilhang hinabsetzte, und schüttelte den Kopf. Das Echo wollte nicht zur Ruhe kommen, es war im Ohr, es lärmte wie eine Glocke, unter der man steht, und in der großen Schlagader saß der Klöppel...

Dort, wo der Steig mit blitzenden Kieseln zwischen den Ölbäumen verschwand, blieb sein Auge haften. Wer aus der Welt zu ihm kam, tauchte an jener Stelle auf, gleichsam aus der Bläue von Meer und Himmel, in einem Strudel von Sonnenkringeln, das Antlitz gepudert vom seidigen, spiegelnden Licht der Oliven.

Es wirkte um so wunderbarer, als es nur noch selten geschah, und selbst die Erscheinung des Beamten, der die Gasrechnung brachte, war schwer von Feierlichkeit und sinnlicher Bedeutung.

Aber keiner der Boten aus dem ›Geschäftsviertel‹ (so nannte er die Marktplätze des bürgerlichen Umtriebs) meldete sich mit einem Ruf an, dazu waren sie viel zu sparsam, auch ihre Stimme gaben sie nicht umsonst. Und was das ›Hio-o-hi‹ betraf, so war es vor vier Jahren ausgestorben, so wie in der Fauna oder Flora plötzlich eine Art für immer verschwindet.

Das Meer lag tief unten, und doch grieselte es jetzt dicht vor seinen Füßen, er spürte die flimmernde Unruhe in Zehen und Sohle. Er blickte nicht hin, aber es war da, wie es immer da war um diese Stunde. Auch der Leuchtturm auf der Spitze der Halbinsel war da, blendend weiß, ein rechter Rivieraleuchtturm, von Kinderhänden aus dem Baukasten genommen und sorgfältig auf die Spitze der Landzunge gesetzt.

Früher, vor Jahren, hatte es hundertmal heraufgerufen: »Hio-o-hi«, melodisch wie ein Vogelruf. »Hio-o-hi«, hatte er mit seiner tiefen Stimme geantwortet, von der Terrasse, aus dem Haus, von irgendwoher, wo er sich gerade befand, »Hio-o-hi« mit seiner tiefen Stimme. »Hio-o-hi« – so würde eine Eule einer Amsel antworten, sagte sie lachend, und schmal und biegsam, weiß gekleidet, die Hand, einem flatternden Vögelchen gleich, hoch in der Luft, war sie aus dem Schatten getreten, dort, wo der Steig mit blitzenden Kieseln zwischen den Ölbäumen hervorkam...

Plötzlich zwinkerte er mit den Augen. In der Ferne hatte ein Querschläger der Sonne den Leuchtturm getroffen. Seine Laterne, ein weißglühendes Stück Metall, stach aus dem Flimmern hervor, der Lichtregen, der ringsum ins Meer tropfte, wurde heftiger.

Von der See griff die Unruhe auf die Küste und die ansteigenden Hügel. Der graue, zart durchblaute Schleier der Ölbäume kam in Bewegung. Die Sonne, emsig beschäftigt, das feine Gewebe dichter zu spinnen, zog die Fäden teils aus dem Meere, teils aus dem eigenen Feuer. Aber seltsamerweise bewirkte ihre Arbeit eine herzbewegende Stille – dem Zustand vergleichbar, worin wir uns befinden, wenn uns auf der Schwelle des Schlafes, kaum daß wir sie betreten, ein Traumbild begegnet. ... Das Meer, dunstig blau jenseits des Flimmerns, undeutlich in den weißlichen Himmel übergehend am Horizont, und die Küste bis hinauf zu den Felsgebirgen lagen in frommer Reglosigkeit versunken.

Das Gesicht des Mannes, knochig und sonnverbrannt, zeigte einen angestrengten, ja schmerzlichen Ausdruck, gemischt aus Verwunderung und Angst. Die Lippen zitterten und schlössen sich fest zusammen. Der Ruf wiederholte sich nicht.

Vielleicht bedeutete sein panisches Staunen weiter nichts, als daß er durch den Ruf aus dem schöpferischen Schlaf, den er mit seiner Umgebung teilte, aufgeschreckt worden war?

Er ruckte mit dem Kopf, als ob er eine Brummfliege verscheuchte, und kehrte zu dem Bilde zurück, das vor ihm auf der Staffelei stand. Aber indes er scheinbar bedächtig weitermalte, verriet der breite, schmale Mund noch immer die Anstrengung, die sein überraschter Geist gemacht hatte, um gewappnet zu sein – wogegen?

War es große Freude, die gedroht hatte, oder großes Leid?...

Dann stand sie vor ihm, ganz weiß von den Sandalen bis zum Schleier, der ihr Haar festhielt, weder groß noch klein, genau so, wie sie sein mußte, schmal und hoch, ›ein schwankes Rohr im Winde‹, wie er früher sagte (sie konnte nicht stillhalten, war stets ›von einem Seelenwindchen bewegt‹), mit der einen großen, lichtblonden Locke an der Schläfe, die ihr Monogramm war, ihren Augen, deren Farbe er nie anders hatte bestimmen können, als daß er sie ›tagfarben‹ nannte, weil sie so ungewiß blau waren wie ein Sommertag zwischen den Ölbäumen und wie dieser in fortwährendem Wandel begriffen. Auch waren sie, und das war das erste, was ihm jetzt wieder einfiel, viel ›zu groß für eine Frau allein‹ und deshalb ein wenig beängstigend... Aber genauso verhielt es sich mit dem Sommer zwischen den Ölbäumen... Es war immer beängstigend, mit dem Glück allein zu sein...

»Also doch«, sagte er und bückte sich langsam, um die Palette abzulegen.

Als er sich aufgerichtet hatte, blieb er sitzen, die Hände auf den Schenkeln, und sah zu Boden, mit einem Lächeln, von dem er nichts zu wissen schien, so arglos blühte es auf dem streng geschlossenen Mund.

»Du träumst nicht, ich bin's leibhaftig!« sagte sie endlich.

Doch sie selbst sprach unwillkürlich leise, und sie hatte das peinliche Gefühl, als nähme sie damit Platz in dem Traum, den sie leugnete. Auch versuchte sie, sein Lächeln anzunehmen, es gelang ihr nicht. Sie empfand die Grimasse als eine häßliche Wunde im Gesicht und errötete wie über eine Ungehörigkeit. Sie blickte zur Seite und wagte nicht, sich zu rühren.

Und auch er rührte sich nicht, er hob nicht einmal den Kopf.

Bald aber schien ›das schwanke Rohr‹ das Opfer eines Wirbels von einem ›Seelenwindchen‹ zu werden, und während sie meinte, sie stehe da, steif bis zur Unerträglichkeit, geriet alles an ihr ins Zittern.

Das ging doch nicht! stellte sie für sich fest... Du lieber Gott!... Sie konnte doch nicht ewig stillhalten und warten, bis er aufwachte... Und wenn er aufwachte – kannte sie diesen Menschen noch? Er hatte sich nicht verändert, und doch war er ihr fremder als das Bild auf der Staffelei – ein Ölbaum, weiter nichts. Vielleicht nur, weil er schwieg?... Weil er immer schwieg?... Weil er gerade dann schwieg, wenn andere ganz von selbst zu musizieren beginnen?... Oder doch wenigstens zu reden!... Hatte er sie so gründlich vergessen, daß er zu träumen glaubte, jetzt, da sie vor ihm stand? Oder wollte er sie nur wieder fortjagen mit seinem Schweigen? Sie schweigend weglächeln aus der Welt? Einsame Menschen verfallen auf solche Zauberei und üben sie mit Erfolg – so viel hatte sie immerhin bei ihm gelernt...

Sie trat einen Schritt zurück...

»Du brauchst dich nicht zu – Ich meine: wir können ruhig miteinander reden. Ich bin nicht allein hier, ich bin verheiratet, ich habe mich nur für den Nachmittag frei gemacht, um nach dem Haus zu sehen, weiter nichts.«

Sie schwieg bestürzt, weil eine innere Stimme ihr zurief, was er von ihrer Rede denken mußte: Sie hat noch immer nicht lügen gelernt, und das ist doch das erste, was man draußen lernt... Im Geschäftsviertel. Sie stolpert bereits, wenn sie ansetzt... Da hätte sie geradesogut bei ihm bleiben können!

Ah, gut! Sie atmete auf... Wenn er das jetzt aussprechen wollte! Sie hätte geradesogut bei ihm bleiben können – das und sonst nichts. Kein Sterbenswörtchen mehr als nur das! ... Es ist so wahr, so unabsehbar richtig: ich habe nichts gelernt, nichts, nichts, was ich nicht schon hier gewußt hätte ... Warum bin ich fortgelaufen wie eine gekränkte Pute? ... Aber gesetzt, er spräche es aus, so würde es mir doch nicht helfen. Er würde es höhnisch sagen und aus weißen Lippen dazu lächeln ... Er weiß viel und versteht nichts. Er gehört zu den unmöglichen Burschen, die sich vor jedem echten Gefühl fürchten wie vor einer Schlange mit einem höhnischen Wort schlagen sie tot ... Vielleicht haben sie die tiefsten Gefühle, aber sie wollen sie für sich behalten, die Geizkragen – dabei predigen sie selbst, daß nur gilt, was ausgedrückt wird, und keine noch, so schöne Heimlichkeit – freilich reden sie dann von der Kunst, und von der reden sie überhaupt gern. Ich dagegen meine, es gilt für das eine wie für das andere, für die Kunst wie für die Liebe, oder für keins von beiden ... Es ist heillos, er weiß viel und versteht nichts. Nichts. Nichts... So sind diese gescheiten Burschen. Eine Frau sollte sich nur einen Dummkopf zum Mann wünschen, einen echten, mit Hörnern, rundlich und vergnügt, den man überall mitnehmen kann, einen, der nichts weiß, aber alles versteht, das heißt: alles, was seine nette Frau verstanden haben will – und der nie, nie im Leben einen Ölbaum abmalt ... Es ist wahrhaftig noch der gleiche Ölbaum wie vor vier, nein, vor sechs Jahren. Vor sechs Jahren lernte ich ihn kennen, da malte er bereits mit Vorliebe Ölbäume. Er hat sich nicht verändert... Die Ölbäume auch nicht... Wahrscheinlich schreibt er auch noch immer Blätter voll. »Die Bedürfnislosigkeit des Menschen, der Weg zum Wohlleben.« Wenn ich recht verstanden habe, ist das der Sinn seiner »Soziologie des Glücks« in achtzehn Bänden. Leider sollen es zwanzig werden, und über den achtzehnten kommt er nicht hinaus – vermutlich, weil die Ölbäume zuviel Zeit beanspruchen ... Einen Dummkopf, ihr Schwestern, mit Hörnern und einem Herzchen voll Gold! Alles andere ist Soziologie des Glücks in zwanzig Bänden – von denen zwei nie fertig werden ...

»Ich hätte weniger neugierig sein sollen«, sagte sie mit bebender Stimme. »Ich wußte nicht, daß du noch hier wohnst, ich dachte, du wärst längst ein berühmter Mann und in Paris ... Ich habe mal so etwas gelesen ... Verzeihung, ich weiß, du willst nicht berühmt werden, und Paris ist ein einziger Auspufftopf ... Ich will ja auch nicht geliebt werden und sehe in allen Männern Ziegenböcke. Also, bitte, versteh mich: Ich wollte bloß das Haus wiedersehen, den gelben Vogelkäfig zwischen den Oliven. Und einen richtigen Berg, aus dem noch das Urgestein herausguckt. Und eine richtige provenzalische Terrasse aus Ziegelsteinen und gestampfter Erde, mit Platanen, einem Maulbeerbaum.

Und Ölbäume, die man weder schneidet noch erntet, weil die Leute in Marseille das Olivenöl ohne Oliven billiger herstellen – es schmeckt zwar nach denaturiertem Rizinus, aber das macht nichts. Und Gras, das nicht gemäht wird. Und –«

»Paß auf«, sagte er und hob den Kopf, »gleich kommst du wieder ins Stottern!«

»Mir steht der Mund offen«, rief sie. »Ich schwöre dir, und, bitte, ich stottere nicht: ich dachte schon, ich spräche zu einem Denkmal. Sonst hätte ich mich auch nicht so frei geäußert.«

Er stand auf, warf die Arme in die Luft und rief mit tiefer Stimme: »Hio-o-hi!«

Als er ihre Hand nahm, bemerkte er den Ehering.

»Aber Röhrchen! Du hast dich ja in Unkosten gestürzt!«

Er drehte mit dem Daumen an dem Reif.

»Er sieht sogar echt aus.«

Lachend zeigte er mit dem Finger auf die Schläfenlocke: »Aber du heißt noch immer – so!«

Sie nickte eifrig, nannte ihn bei dem Namen, den sie ihm gegeben: »Gewitter ... Gewitterchen.«

»Und, mir scheint, du bist gewachsen. Zumindest in den Augen ... Jetzt sind sie aber wirklich zu groß für deine Figur. Sind sie dir nicht hinderlich – unter Menschen?«

»Im Gegenteil«, sagte sie, und hastig: »Du bist ja geschwätzig geworden, Gewitter. Bist du am Ende auch – verheiratet?«

»Wer weiß!« antwortete er, und da hatte sie das Unglück, sich dabei zu erwischen, wie sie unbedacht einen forschenden Blick auf das Haus warf. Die Tür stand offen. Ihr Blick prallte an der glühenden Wand ab und fiel in ein Loch, woraus Kühle strömte. Sie hatte heiß und kalt. Ihr jähes Erröten verwirrte sie vollends.

»Röhrchen im Abendschein«, bemerkte er und hielt noch immer ihre Hand. »Steht dir gut ... Aber dort«, er zeigte mit einer Kopfbewegung nach dem Haus, »dort liegt niemand im Hinterhalt. Außer Plisch.«

»Plisch?« rief sie begeistert. »Ja, haben denn Katzen ein so langes Leben?«

Das letzte sprach sie zögernd, jedes Wort ein wenig leiser... Er hatte ihre andere Hand ergriffen, stand vor ihr und sah sie an, und so verweilten sie, in der unvergänglichen Scham, die Liebende empfinden, wenn das Auge des andern ihr eigenes Begehren spiegelt...

»Sag, haben wir uns oft gezankt?« fragte sie leise, aber in einem so eindringlichen, so demütigen Ton, als bäte sie um Verzeihung.

Der Atem stockte ihm, die Schultern hoben sich krampfhaft. Vor ihm stand ein mißhandeltes Kind, das bei ihm Schutz suchte – und wer anders hatte sie mißhandelt, ausgeraubt, um das wenige betrogen, was sie glauben konnte, durch ihre Liebe verdient zu haben, wer anders als er?

»Siebenmal – wenn ich recht gezählt habe«, sagte sie.

Er preßte die Lippen zusammen, bis sie weiß waren. Dann fragte er, und seine Stimme näherte sich zögernd wie ein Bettler:

»Hast du oft gezählt?«

»Ja – aber vielleicht habe ich eins vergessen.«

Warum fehlte ihm der Mut, vor ihr in die Knie zu sinken und zu ihr zu sprechen, wie er in den zahllosen Tagen und Nächten seiner Einsamkeit zu ihr gesprochen hatte?

»Nein, Röhrchen. Sogar nur sechsmal. Ich meine, richtig gezankt. Nicht, was wir anstellten, wenn wir uns langweilten.«

»Du, wir haben uns nie gelangweilt. Ich bestimmt nicht.«

»Selten. Sagen wir: selten.«

»Nie.«

Es zuckte über sein Gesicht.

»Röhrchen... Weißt du – so denkt man über die Toten... Sie sind alle besser, als wir gedacht haben.«

Wie schön, wenn er jetzt über seine Toten weinen wollte, dachte sie. Eine einzige Träne... Was gibt es Schöneres als eine Träne des Geliebten!... Ich würde sie in Gold fassen und am Halse tragen...

Statt dessen verschwand der Schleier in seinen überhellen, grauen Augen, wie weggeblasen. Ach ja, auch er kannte das ›Seelenwindchen‹, das ihn umtrieb – strenggenommen, war das ihre immer nur ein Hauch davon gewesen, ein Abfall, der Anspruch auf Selbständigkeit erhebt... Warum ließ sich nicht alles gutmachen mit einem Wort, ohne ein Wort, nur so, indem man sich ins Auge und in das Herz schaut – gibt es etwas Schlichteres als ein Herz, das von Liebe erfüllt ist?... Es hat nichts andres darin Platz – daher die schrecklichen, die unbegreiflichen Störungen, wenn Fremdes hinzukommt... Das ist es eben: Schwer fällt es, Fremdes fernzuhalten, selbst in der Einsamkeit – ja, vielleicht gerade in der Einsamkeit... Ich möchte ihm so gern abbitten, was ich ihm angetan habe mit meinem kleinen Eigensinn – jetzt weiß ich: Der kleine Eigensinn ist ärger, ist viel, viel gefährlicher als der große. Mit dem großen kann man leben und kommt vorwärts, mit dem kleinen nicht, man wird selbst klein, durch und durch, und hält eigensinnig auf den Fleck... Wie muß ich ihn gequält haben, den Armen! Ich sollte es ihm sagen, einfach, wie mir ums Herz ist. So sollte ich sprechen... Ja, wenn wir in Gesellschaft wären, sehr vergnügt, scheinbar ohne uns umeinander zu kümmern, da könnte ich mich schnell zu seinem Ohr neigen und es ihm sagen... Aber hier, ganz allein zwischen Himmel und Erde, in der weiten, schwingenden Luft – es würde dröhnen wie Paukenschläge. Soviel Unanständigkeit ist nicht denkbar. Es geht nicht... Wäre ich nur nicht gekommen!

Langsam wandte sie den Kopf. Die Terrasse mit der Rampe aus Rundziegeln, die jeden Lufthauch durchließen... Die Geranien in den alten Ölkrügen, ein lebendiges Feuer... Die stillen Wogen der Bäume, die in die noch größere Stille des Meeres übergingen...

»So habe ich es mir vorgestellt. Alles. Genau so.«

Er ließ ihre Hände los, nahm ihren Arm, zog sie mit sich fort.

»Komm, ich will dir zeigen. Es gibt Neues.«

»Ja, aber nicht ins Haus. Lieber nicht ins Haus.« Er lachte ›bärenmäßig sieghaft‹, wie in den besten Tagen, und was vor Minuten sie noch erfreut, ihr Mut gemacht hätte, nun ärgerte es sie.

»Du verstehst mich nicht.« Sie ging schnell weiter.

»Es ist wegen des Hauses, nicht deshalb, was dort geschehen könnte. Übrigens würde nichts geschehen. Wie kann ein Maler so schlecht im Bilde sein!«

»Witze machst du – Witze!... Die schmecken aber verdächtig. Solltest du wirklich verheiratet sein?«

Da, nicht einmal ihren Humor ließ er mehr gelten!

»Woher kennst du so genau den Geschmack der Ehe?« fragte sie spitz.

»Ich weiß viel.«

»O ja«, rief sie erlöst, »du weißt viel und verstehst nichts.« Der Garten lag weiter oben, und man gelangte am schnellsten dahin, wenn man im Haus eine Treppe hinaufstieg, von dort trat man zu ebener Erde unter die Blumen. So mußten sie das kleine Gebäude umgehen und den steilen Hang, an dem es gebaut war, hinaufklettern. Er wollte ihr behilflich sein. Sie sprang ihm davon, ein ›kleiner Eigensinn› von Kopf zu Fuß.

Die Blumen standen vollzählig und empfingen ihre einstige Herrin: die Rosen, eine unglaubliche Fülle von Rosen, frisch erblüht, die Levkojen, die Ringelblumen, der weiße Ginster, der in der Sonnenglut auf die Mondnacht wartete, für die er bestellt war, die Alpenveilchen unter den Zypressen ... Er ließ ihr nicht die Zeit, sie alle einzeln zu begrüßen, er zog sie weiter, und mit ausholender Gebärde:

»Mein Gemüse!« stellte er vor. »Was sagst du! Hast du je einen so braven Gemüsegarten gesehen? Heilige Ordnung! So muß die Welt sein, wenn Gott sie überschaut. Was meinst du?«

»Kann schon sein – auf die Entfernung.«

Was aber folgte, klang noch um einen Grad mißtrauischer: »Machst du das alles allein?«

»Jawohl, Röhrchen! Ich habe die Ordnung entdeckt, ich, ganz allein. Die Musik der Sphären! Seitdem – ist mir wohl. Ich fühle mich sauber eingefügt in den Weltplan. Es kann mir nichts geschehn. Was ihr Frauen Ordnung nennt, ist Rechthaberei, sogar gegen die toten Dinge. Richtige, sinnvolle Ordnung bleibt Männersache.«

»Daran habe ich nie gezweifelt«, sagte sie mit verwegener Überzeugung. »Schade, daß die Entdeckung der Sphärenmusik nicht schon zu meiner Zeit geschah! Die sechs von dir zugegebenen Krache hätten sich auf einen einzigen reduziert.«

Er schaute sie groß an.

»Ja, weißt du denn noch, weshalb wir Krach hatten?«

»Genau.«

»Genau? ... Wie grausam!«

Er hob den Zeigefinger:

»Ein gutes Gedächtnis verrät einen schlechten Charakter.«

»Du meinst, von einem guten Gedächtnis bekommt der beste Mensch einen schlechten Charakter ... Früher drücktest du dich sorgfältiger aus.

»Früher! Früher hatte ich eine Frau, mit der ich üben konnte.«

»Aber der Salat schoß, und die Erbsen hatten Hosen.«

»Kommt nicht mehr vor.«

»Und das ist die Hauptsache.«

»Na, die Hauptsache?«

»Die Hauptsache. Unbedingt. Der Weltplan. Die Sphärenmusik ... Die Soziologie des Glücks.«

»Dümmer bist du nicht geworden, aber herzloser.«

»Richtig. Hängt beides zusammen ... Plisch! Da kommt Plisch!«

»Zum Glück! Sonst hätte es vielleicht Krach gesetzt. Den siebenten. Oder achten ... Die ›Soziologie des Glücks‹ konnte ich nicht gut auf mir sitzen lassen.«

Als der Kater Plisch der beiden ansichtig wurde, machte er halt und musterte sie. »Plisch!« lockte sie. »Plisch, mein guter Plisch – was machen die Provenzalinnen? Jetzt muß doch gerade die neue Generation heraus sein, wie? ... Schau, Gewitter, wie er mich entrüstet anguckt ... Ein schwarzes Wetterwölkchen ... Ach, nun habe ich's auch mit ihm verdorben.« »Gesteh: Schließlich bin ich noch immer das freundlichste von allen Gewittern.«

»Will nicht viel heißen. Ich habe von Kind an eine gräßliche Angst vor dem Unfug.«

»Darum habe ich ihn dir auch nur in Dosen verabreicht, wie man sie Kindfern gibt.«

Als sie wieder hinsah, war Plisch weg.

»Vielleicht«, sagte sie. »Aber diese Kater donnern und blitzen nicht. Sie reden nicht einmal.«

»Darum wiederum«, betonte er, »war ich auch meistens schweigsam. Es geschieht das erste Mal, daß du mir Geschwätzigkeit vorwirfst ... Versteh! Die Freude, dich unvermutet wiederzusehen! ... Wenn du hierbleibst –«

»Du brauchst nicht weiterzusprechen. Gewitter weiß viel.«

Sie sagte es in so müdem Ton, daß er scherzhaft fragte:

»Soll ich einen Stuhl bringen?«

»Bitte! Ich habe gerade noch eine Viertelstunde Zeit. Auf die Terrasse, wenn es dir recht ist.«

Dort saßen sie im Schatten einer Pinie, die Viertelstunde verging, sie löste sich unmerklich in der Stille auf, die Stille bestand aus etwas Stofflichem, einer Luft, die langsam die Farbe wechselte, dünner und zugleich schwerer wurde, so daß die Rufe der beiden Rotkehlchen, die sich in der Nähe tummelten, zwar an Reinheit des Klanges gewannen, aber mühsamer bis zu ihnen gelangten. Die Frau saß zurückgelehnt in ihrem Strohsessel, der Mann aufrecht in dem seinen. Sie las seine Gedanken in den Augen, die über ihre Gestalt hingingen und, mit immer heftigeren Forderungen beladen, zu den ihren zurückkehrten, ohne an ihnen einen Halt zu finden. Wie hätten sie dort auch einen Halt finden können, da diese Lichter im blassen Gesicht ihr kaum zu eigen waren, sondern viel eher die Quelle, der die satte Klarheit der Stunde entströmte, und im selben Maße in die Ferne rückten wie der Gesang der Vögel! ...

Aus dem Haus schienen des öfteren unterdrückte Geräusche zu kommen, und jedesmal vermied sie es gerade noch, zur offenen Tür zu blicken. Aber sie wußte, daß der finstere Eingang jetzt von einem Lebenshauch durchweht war, golden und süß wie Lindenblütenhonig – dem Atem des nahenden Abends ... Einst hatte er sie auf die Arme genommen und hineingetragen, und unter der zum Triumphbogen gewordenen Tür hatte er sich unwillkürlich ein wenig gebückt ...

Wahrscheinlich lauert doch eine Frau dahinter, gutgezogen oder menschenscheu, wie er sie liebte. Er hätte es sonst kaum beim Betrachten ihrer Wohlgestalt bewenden lassen, einer Betrachtung, die soviel Erinnerungen wachrief ...

Sie wußte nicht, daß sie unaufhaltsam in den Abend einging, sie wähnte sich dem andern gefährlich nahe. Hätte sie anders mit soviel Schadenfreude an dem Einsiedler die Faunshörnchen hervortreten gesehn! ... Und er seinerseits bedachte nicht, daß Frauen wie Kinder und Tiere für Augenblicke die heimliche Poesie der Welt verkörpern, am wahrsten, wenn sie es nicht ahnen.

Sie richtete sich auf, und um ihre Unbefangenheit zu beweisen, fragte sie:

»Wovon lebst du eigentlich?« Auch er machte sich steif, langsam jedoch, betont umständlich, er ließ sich Zeit, bevor er mit spöttischem Lächeln antwortete:

»Wovon wir gelebt haben, Röhrchen ... Ich male ein bißchen, ich schreibe ein bißchen – falls du es vergessen haben solltest. Manchmal verkaufe ich was, ich baue mein Gemüse, die Erbsen zum Beispiel in vier Abständen, damit sie keine Hosen bekommen, und Artischocken esse ich so viel, daß es auf der weiten Welt keine gesündere Leber gibt als die meine. Zuweilen richte ich einem wohlhabenden Nachbar das Radio ein oder verstärke es, ich lege elektrische Leitungen, bringe alte Autos wieder in Gang, ich verkaufe sogar Blumen, und all die Ölbäume, die du da siehst, kennen nur einen, der von ihnen erntet, und das bin ich. Den Bauern käme das Pflücken viel zu teuer. Ich habe Zeit ... Einmal durfte ich auch einem jungen Ehepaar die Wohnung einrichten – mir wird jetzt noch schlecht, wenn ich daran denke, so blähte sich der Komfort in den sieben Räumen. Sieben! – das Badezimmer und den Lift nicht mitgerechnet. Ich versichere dir: edelstes Geschäftsviertel, geschmackvoll zum Davonlaufen. Damit habe ich ein Vermögen verdient.«

»Aber Gewitterchen, das war ja noch zu meiner Zeit.«

»So? Na, dann weißt du auch, wie lange es gereicht hat.«

»Vier Wochen.«

»Wirklich? Nur vier Wochen? Na, und – genügt dir das nicht? Hast du je länger vorgesorgt?«

»Damals waren bessere Zeiten.«

»Im Gegenteil. Die Zeiten werden immer besser! So wie ich werden bald alle leben. Als Dilettanten nämlich, jawohl, Röhrchen, als Dilettanten. Man arbeitet etwas für die Notdurft und betätigt sich im übrigen als Liebhaber des Schönen. Ich versichere dir, ich habe nicht eine Minute Not gelitten.«

»Für einen allein geht es wohl leichter?«

Er verzog keine Miene.

»Warum sagst du nicht: nein?« fuhr sie liebenswürdig fort. »Nein, es ginge besser zu zweit. Es ging viel besser mit dir, gutes Röhrchen... Was würde dich das schon kosten! So unverbindlich... Ich bin ja auch nicht mehr frei... Ja, würde ich antworten, ich war nie so glücklich – und wir nähmen beide ein Geschenk mit, eine kleine Erinnerung an unser erneutes Wiedersehn.«

»Wie eigensinnig, Röhrchen! Es ist doch ohnehin so. Warum es aussprechen?«

»Nur das Ausgesprochene gilt«, beharrte sie trotzig.

»Ja, das ist es eben. Und leider stimmt es dann nie. Mit allem, was man ausspricht, sammelt man nur Zeugen, die einen Lügen strafen... Und die Wahrheit, die du suchst, rückt immer weiter. Sie verschwindet unter den Nachahmungen. Man wird vorsichtig, Röhrchen, entsetzlich vorsichtig, weil man das schlechte Gewissen fürchtet. Denn wenn du das erst hast, ist es fertig mit dir.«

»Ach, du redest wieder von der Kunst! Ich meine das Leben.«

»Du willst nicht begreifen, daß beides eins und dasselbe ist. Daß man nicht hier so und dort anders sein kann ... Früher hätte ich es dir verständlich gemacht. Jetzt geht es nicht mehr. Ich war zu lang allein. Einsame Menschen sind Schlafwandler. Sie fühlen sich sicher, solang man sie nicht stört, aber wenn du sie anrufst –«

»Auch in der Liebe?«

»Ich fürchte, auch in der Liebe.«

»Alles, was man von der Liebe sagen kann, ist schnell gesagt. Mit den zwanzig Worten eines Volksliedes. So alt ist das Ding schon.«

»Und wem das zuviel ist?«

»Der liebt nicht.«

»Dann liebe ich halt nicht, Röhrchen. Was soll ich tun?« rief er aufrichtig bekümmert.

Sie antwortete mit rechthaberischer Wichtigkeit:

»Einfach sein. Einfach wie ein Volkslied.«

»Laß mich mit deinem Volkslied in Ruhe«, brauste er auf. »Reaktionäres Geschwätz. Damit ist die Einfachheit des Ochsen gemeint, der schlicht unterm Joch steht.«

In ruhigerem Tone fügte er hinzu:

»Du bist ziemlich sanglos ausgerissen.«

Da er ihre Bestürzung wahrnahm und einen womöglich tränenreichen Ausbruch fürchtete, lenkte er ein:

»Erzähl mir lieber, was du in der Zeit getan hast.« Sie habe ihr Sprachexamen gemacht und warte auf eine Anstellung, erwiderte sie abwesend, faßte sich aber gleich:

»Das heißt: Ich würde darauf warten, wenn ich mich nicht inzwischen verheiratet hätte.«

»Richtig ... Es war dein Pech, Röhrchen, daß du immer irgendwo Geld hattest. Das ließ dir keine Ruhe. Du meinst, du müßtest was damit unternehmen. Reisen – oder das freventlich durch mich unterbrochene Studium beenden. Jetzt hast du also geheiratet.«

Sie faltete die Hände, hob sie flehentlich:

»Laß mich einmal ausreden, Gewitter! Ein einziges Mal ...«

Sie machte eine Pause, sammelte sich, dann:

»Du hättest mich verstehen sollen – damals ... Du warst fortgegangen im Zorn, ohne ein Wort. Ich glaubte, du kämst nicht wieder ... Jedenfalls nicht, solange ich im Haus wäre ... Es ist dein Haus ... Du gingst, du nahmst den Hut und machtest behutsam hinter dir die Tür zu. Hättest du sie wenigstens zugeschlagen! Ich hätte wie sonst mit deinem Zorn gerechnet – er war es, der so handelte, nicht du, dein Zorn, der immer wie ein plötzlich auftauchender böser Geist über dich kam und dich verwandelte, daß du ein anderer warst, kaum noch erkennbar für Freund und Feind ... Ich hätte auf dich gewartet, auf dich, den ich kannte und liebte, ich hätte mir gesagt: Er wird über den Berg laufen, kreuz und quer über die Felsen und steil hinauf, bis er außer Atem ist, und dann wird die Besessenheit von ihm weichen, das Fremde wird ihn verlassen wie eine Last, die eine gnädige Hand von seinen Schultern nimmt – so hast du es mir beschrieben ... Ja, ich weiß, immer ging es nicht so wunderbar ab, immer stiegst du nicht vom Gipfel herunter wie aus einer Taufe, die du da oben im Himmel empfangen, manchmal hattest du harte Arbeit mit dir, du mußtest deinen Zorn ausdrücklich töten. David hat den Goliath um die Ecke gebracht, meldetest du dann, wenn du heimkamst, er liegt irgendwo zwischen dem Ginster, da kann das Vieh sich in den Dreck auflösen, aus dem es gemacht ist, keine Seele wird ihn finden, die Eidechsen allein werden den Gestank fliehen. Du lachtest immer, wenn du so zurückkamst, ich meine, wenn du den Goliath um die Ecke gebracht hattest. Kehrtest du dagegen als Wiedertäufer heim, strahlend im Kleid des Christenmenschen, neu ausstaffiert bis aufs Hemd – was sage ich? bis auf die Seele, mit einer Fuhre guter Ansichten hinter dir –, da hatte ich es freilich nicht so leicht, ich konnte nicht einfach mitlachen und: Schwamm drüber! Dazu war mir viel zu fromm zumut. Offenbar hatten dich dort Engel eingekleidet und mit allem Nötigen für die Reise in eine bessere Welt versehen. Statt von dir eine Entschuldigung oder auch nur ein Zeichen von Reue zu erwarten wegen deiner Teufelei, fühlte ich mich versucht, niederzuknien und den Heiligen, der da heimkehrte, um Verzeihung zu bitten. Denn, nicht wahr?, schließlich war ich es ja, der den frommen Einsiedler durch meinen Eigensinn, meine Rechthaberei und ähnliche Weibertücken in Versuchung geführt hatte ... Aber all das hatte zur Voraussetzung, daß du beim Abgang die Tür hinter dir zuschlugst ... Ach, warum hast du es unterlassen! Warum hast du mich damals um das Unterpfand betrogen, das sonst in dem Zuknallen der Tür lag! Erinnere dich ... Du schlossest die Tür leise, leise ... So schleicht sich ein Dieb nach getaner Arbeit aus dem Haus. Und es mußte wohl gute Arbeit gewesen sein. Nie im Leben habe ich eine Tür sich so leise schließen gesehen. Freilich ist bei uns zu Hause auch nie eingebrochen worden ...

Ja, jetzt lachst du, und ich möchte eigentlich auch lachen, aber damals lachten wir beide nicht. Nie im Leben habe ich eine so schweigende Ernsthaftigkeit um mich versammelt gehabt, das ganze Zimmer, vom Stuhl, aus dem du aufgesprungen warst, bis zu den lustigen gemalten Tellern auf dem Kamin, sah mich aus aufgerissenen Augen an, aus den Winkeln blickte hohles Entsetzen – man kann das nicht mehr Ernst nennen, und wenn der Ernst noch so tief wäre. Vermutlich hat der Ernst einen Boden, man kann Fuß fassen in ihm – dieses Schweigen war bodenlos ... Ich kann heute noch, in jedem Augenblick, das Zittern meiner Knie spüren, ihre schlotternde Nacktheit, eine Armseligkeit ohne Namen, ich brauche mir bloß das Zimmer vorzustellen, wie es war, als du leise die Tür geschlossen hattest. Alle Luft war herausgepumpt, aller Halt von den Dingen genommen – ich versichere dir, die Ariesierinnen, die sich auf den Steinguttellern im Tanz schwingen, blieben plötzlich stehn und blickten ratlos nach der Tür ... Zum erstenmal hörte ich deinen Schritt nicht auf der Terrasse, der Maulbeerbaum raschelte im Wind, und dann warst du weg – für immer ... Jawohl, das ganze Haus sagte es: für immer ... Aber warst du in Wirklichkeit fort? Nein. Du weißt es so gut wie ich, diesmal war es nicht so, daß du gegangen warst und ich zurückblieb, du machtest ausdrücklich dein Haus zu, nahmst mir die Luft, die Lebensmöglichkeit, daß es mich von selbst hinausstieß, ich mußte gehn, und du bliebst, du, wenn auch vorläufig noch unsichtbar. Und im Grunde, das verstand ich endlich, war es von je so, ich bin hier immer ein fremder Gast gewesen ... Ich bin sicher, es herrschte eine atemlose Erwartung in deinem Haus, als ich mit meinem Köfferchen draußen war, und ein großes Aufatmen danach, als du am Abend eintratest, ein freudiges Rumoren, ein Frohlocken – wie? Und auch in dir, mein Freund, ging es hoch her, oh, ich bin es sicher, auch in dir – trotzdem dir vielleicht gleichzeitig ein wenig fröstelte ... Später, als es dunkel geworden war, eilte ich vom Hotel auf die Straße hinauf und wartete, bis hier Licht gemacht wurde. Und dann habe ich natürlich losgeheult. Wundert dich das?«

Nach einem Schweigen, sie blickten beide vor sich zu Boden, fragte er: »Ist dir nie eingefallen, daß ich damals den Versuch machte, mich als gesitteter Mensch zu benehmen, nicht mehr unter Blitz und Donner abzugehn – daß ich mich ernstlich bessern wollte? Und wäre es nur gewesen, um mich nachher nicht so abgründig schämen zu müssen?«

Sie stand auf, er folgte, sie blieben jeder auf seinem Platz.

»Es ist ja Abend«, sagte sie erstaunt.

»Röhrchen, ich wollte mich wirklich bessern«, versicherte er.

»Menschen wie du können sich nicht bessern«, sprach sie freundlich. »Es wäre auch schade. Ein chirurgischer Eingriff wie der würde sie nur zu Krüppeln machen. Und selbst das –! Damit Menschen wie du sich ändern, müßte man sie töten ... Und es ist recht so. Sie sollen so bleiben.«

»Ja, was dann, Röhrchen?«

»Nichts.«

»So wenig? ... Nichts?«

Sie gab sich ungeheure Mühe, ruhig zu bleiben, und sie sah, wie auch er sich zusammennahm, wie er die Hand hob, als zeichnete er in die Luft – so tat er stets, wenn er etwas Wichtiges äußern wollte. Er sagte aber nichts, sondern trat plötzlich auf sie zu.

Da schüttelte sie den Kopf.

Sie wußte es selbst nicht, eine unsichtbare Macht zwang sie dazu. Eine unsichtbare Macht verlieh dem Kopfschütteln eine solche Überzeugungskraft, daß ihn aller Mut verließ.

Er blieb stehn.

Sie blickte, außer sich, in seine überhellen Augen.

»Ja, und morgen, Röhrchen«, sagte er endlich, »oder in einem Jahr oder in zweien wirst du mit deinem Mann, der bis dahin wohl Gestalt angenommen haben wird ... unten auf der Straße vorbeifahren – denn natürlich mußt du ihm das Land zeigen, das richtige Land, von dem die meisten Rivierareisenden nichts wissen ...«

»Natürlich«, bestätigte sie. »Wie lieblos, es ihm vorzuenthalten!«

»Du wirst, ein wenig blaß wie jetzt, im Wagen sitzen und aufpassen, weil die Hauptsache nur sekundenlang von unten zu sehen ist ...« Sie nickte eifrig:

»Guck, Schatz, werde ich sagen, das gelbe Häuschen dort oben, das wie ein Vogelkäfig am Berg hängt! Dort hat mal ein netter Junge gewohnt. Er wollte die Welt umstürzen und hatte darüber viel Zeit und vielleicht auch einiges andre verloren.«

»Hast du ihn gekannt? wird der Schatz fragen.«

»Nur ein wenig, werde ich antworten.«

»Und das wird wahr sein.«

»Wahrer als alles, was ich ihm sonst noch erzählen könnte.« Sie machte kehrt, gleichzeitig kamen die Tränen.

Sie lief, als ließe sie sich fallen, der Steilhang fing sie auf, er sah ihr nach, wie er ihr hundertmal nachgesehen hatte, und noch einmal nahm der Pfad ihre Gestalt an. In kleinen, verwegenen Sprüngen setzte sie den Berg hinab, dessen Masse jetzt im Feuer vergoldetes Silber war, hart und durchlässig zugleich, ein Werk, frisch aus Gottes Hand ...

Kurz bevor sie in Abendfarben von Meer und Himmel untertauchte, als sie an der Stelle angelangt war, wo der Pfad mit blumenhaft leuchtenden Kieseln zwischen den Ölbäumen verschwand, sprang er einen Schritt vor und schrie in großer Not:

»Hio-o-hi!«

Sie drehte sich um, von gelben Sonnenkringeln umspielt, mit rosig verschwimmendem Gesicht.

Sie antwortete nicht.

Die winkende Hand, ein Vögelchen, flatterte kurz und erlosch.


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