Joseph Viktor von Scheffel
Waldeinsamkeit
Joseph Viktor von Scheffel

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Erstes Blatt.

Ueber Haide und Moor.

                    Im Zwielicht des Morgens entschreit ich dem Haus
Und rück' halbverschlafen als Freibeuter aus,
In hohen Gedanken und Stiefeln.
Wohl trag ich die Büchse, doch jag ich kein Wild,
Nur hier und dort eine Stimmung, ein Bild,
Wie Zufall der Wandrung es bietet.
                    Auf denn und vor!
                    Durch Schilf und durch Rohr
                    Zum Hochwald empor
                    Ueber Haide und Moor!
Breit dehnt sich die Fläche in dämmerndem Schein,
Und Nebel der Frühe spielen herein
Aus dem Erlengebüsch, das die Niederung säumt,
Wie Träume, die einer vor Hahnenschrei träumt.
Der Boden schwankt hohl unter tretendem Fuß,
Schuhwerk will mit Wasser sich füllen,
Denn hohl ist alles, vertorft und verfilzt,
Und sumpfig vermoost, daß kein Baum mehr gedeiht,
Als melancholisch die Föhre des Moors,
Die mit schwankendem Stamm und zerzaustem Geäst
Windschief aufsteigt aus dem Röhricht.
Da, dort erblinkt mit trägstehender Flut,
Von des Enzian Wurzel goldbraun gefärbt,
Buschfichtenumsäumt ein Getümpel,
Von seidenschwarz glänzendem Rohrkäfervolk
Und Fröschen besucht
Und in Wirrniß bedeckt
Von der schwimmenden Wassernuß schwärzlicher Frucht.

Wohin bist du verdunstet, vorzeitliche See,
Die hier einst gewogt, und ihr, Riesengethier,
Das hier sich geäst am Ufermorast?
Noch gibt uns Kunde tief unten im Tuff
Das Schaufelgeweih, das der Riesenhirsch einst
Und der Elch abwarf,
Und des Urstiers mächtiges Stirnhorn.
Der See ward zu Schlamm und der Schlamm ward zu Torf,
Und der Torf überdeckte das Pfahlbaudorf
Und das Riesengethier und den Jäger mit ihm,
Der von ungefügem Bogen dereinst
Die Feuersteinpfeile entsandte.
Auch der Biber fehlt, der biedre Kumpan,
Der Holzarchitekt mit dem nagenden Zahn,
Ohne Nachwuchs verschwand das Eisen des Walds,
Die Eiche, verschwanden die Buchen mit ihr
Und alles hochstammige Laubholz.
Nun wuchert das Schilfrohr, nun filzt sich das Moos
Und die rasenbildende Binse;
Cypergräser mit flockigem Halm
Und Namen – wer hat die Botanik noch los? –
Sphagnum und Hypnum und Carex auch
Seh ich verkörpert hier wuchern.
Als Abart ferner Vergangenheit,
Da ihr Geschlecht noch ein großes war
Und hohes Geschlecht,
Steht nieder geformt, verkümmert und bleich,
Dem Sumpfe zunächst, mit Binsen gemischt,
Ein Rundkreis von Schachtelhalmen.
Die trugen dereinst in baumhoher Kraft
Den schlanken, kolbengezierten Schaft
Und spiegelten, Farren und Palmen gesellt,
Die erhabenen Häupter im Frühlicht der Welt
In des Urmeers seichten Lagunen . .
Jetzt scheuert labspendend die Wirthin damit
Das Zinn am Deckel der Krüglein . . .

. . Genug der Gedanken! Ein schallender Ruf
Und ein Flügelrauschen verkündet von fern
Der Wildenten Strich ob den Wässern.
Keilförmig gespitzt, einer Heerordnung gleich,
Den Führer voran, bewegt sich ihr Zug,
Vorsichtig die Lüfte durchspähend.
Nur zu, nur zu! fallet lustig ins Moor!
's ist Schonzeit im Mai, es geschieht euch kein Leid.
Im Winter, wenn alles weiß liegt verschneit,
Sitz ich drüben hinter dem Entenschirm,
Ein Schneemann selber, ein Hemd ob dem Rock,
Die Flinte unblank und sorglich verhüllt,
Und rede mit euch dann ein Wörtlein!

Schon stürzen sie ab und pfludern einher,
Pünktlich wie die Uhr
Ein Viertelstündlein der Sonne voraus.
Kühl weht die Frühluft, sie kündet ihr Nahn
Mit leisen Schauern der Ehrfurcht an.
O du goldener Glutstreif im Osten dort,
Du Weltlicht, das in dem Thautropfen strahlt
Wie im Menschengemüth,
Sei gegrüßt und führe mich glücklich!


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