Joseph Viktor von Scheffel
Waldeinsamkeit
Joseph Viktor von Scheffel

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Vorwort.

        Seltsamer Genius unsres Jahrhunderts:
Der eine verwünscht es, der andre bewunderts.
Im Lenz geht der Flurgang, um Ernte zu beten,
Im Sommer der Spurgang der Stahlrohrlaffeten;
Die Starken, Gesunden hauen sich Wunden,
Die Schwächeren eilen, sie pflegend zu heilen,
Und jeder plagt sich, zerwetzt und zersetzt
Im Daseinskampf, wie von Wölfen gehetzt,
Kaum eingedenk, daß der Weltengeist
Dem Denken auch sanftere Bahnen weist
Und daß, trotz Mammon, Kriegsehrgeiz und Spott,
Das Beste bleibt: Friede in sich und in Gott!

Vergönnt, daß ich heute von Waldfreund erzähle,
Dem Mann mit der kindlich bescheidenen Seele,
Deß ersten Strichen und Zwickbuchgedanken
Die Einsamkeitblätter ihr Dasein danken.
Er war eine ehrliche, biedere Haut,
Erfahren im Zeichnen, den Musen vertraut,
Von findigem Sinn, ein Charakter wie Gold
Und der grünen Farbe vor allem hold,
In des Staatsdienst hierarchisch gestufter Schar
Verzeichnet als Forstamts-Actuar.
Im Vorland der Alpen lag sein Bezirk,
Sein Amtssitz idyllisch gelehnt ans Gebirg;
Gern weilte mit ihm, des Haushalts pflegend,
Sein Mütterlein in der einsamen Gegend.
Das Volk sprach, es hause im Berg drin ein Zwerg
Und hieß drum sein Forsthaus »Schratimberg«.

Dort lebte er eifrig dem Forstmannberuf,
Der täglich neue Freuden ihm schuf,
Und war sich eigentlich selber nicht klar,
Daß er ein Künstler im Lodenrock war,
Der, wie Adalbert Stifter, den Stift in der Hand,
Den feinsten Wildhonig im Heimatwald fand.
Denn allzeit, wohin ihn ein Dienstgang verschlug,
Im Büchsenranzen und Rücksack trug
Bei Pulver und Blei er auf Schritt und Tritt
In Leinwand gebunden ein Skizzenbuch mit.
Und wo ein landschaftlich schönes Motiv
Den Trieb der Nachbildung wach in ihm rief,
Da wards, wie er sprach, »der Natur abgespickt
Und abgerissen und abgezwickt«.
Gewissenhaft trug er's dem Skizzenbuch ein
Und nannte dieses sein Zwickbüchlein.
In Winterzeit, im traulichen Heim,
Ersann er zum Bild den erläuternden Reim.

Als nun dem Guten die Stunde genaht,
Die jeglichem schlägt auf dem Lebenspfad,
Wo Minnewirrwarr und träumend Verlangen
Spannkräftig das sehnende Herz umfangen,
Als die Linden blühten mit duftigstem Ruch,
Kam zur Sommerfrische ein Hauptstadtbesuch;
Es nahm in der gastlichen Mühle Quartier
Beim Birkengeheg in Waldfreunds Revier
Ein Rector, weit als Gelehrter bekannt,
Mit Tochter, Wilhelmina genannt.
Die war ganz ein ächtes Hauptstadtkind,
Ein Wildfang, pikant, sehr weltlich gesinnt,
Schier ein wenig frivol – sprach gebildet, sprach fein,
Auch manchmal kräftig ins Blaue hinein.
Aber wenn grazios ihre Scherze sie machte,
So recht von Herzensgrunds Tiefe auflachte
Und den blonden Schwall des Gelocks rückstrich,
Dacht mancher herzklopfend an »Du« und an »Ich«.

Als der Forstwart zum stadtfeinen Fräulein sich fand,
Leis unbewußt Neigung zu Neigung entstand,
Die äußerte sich, ein magnetischer Fluch,
Anziehend, abstoßend im Widerspruch.
Zwar wollten sie täglich nicht viel sich entbehren,
Doch viel an sich meistern, belehren, bekehren;
Und als der Urlaub zur Endung kam,
Ihr Geplauder kritische Wendung nahm.

Sie schwärmte in enthusiastischem Dunst
Für südlichen Himmel, italische Kunst;
Vielleicht daß als fernes Motiv dabei leise
Den Gedanken obschwebte die Hochzeitreise.
Er sprach: »Was scheeren mich Pinien und Palmen?
Im Latschengestrüpp, im Wildheu der Almen,
Ueberall, allüberall ists künstlerisch schön,
Man muß nur richtig zu schauen verstehn!
Ja man könnt im Revier hier, würd's einer bezahlen,
Ein ganz Belvedere zusammen malen.«
»In der Kunst gibts eben«, warf spöttisch sie hin,
»Einen niederen und einen höheren Sinn.–«
Item, ein Wörtlein das andere gab,
Man reiste nicht ohne Verstimmung ab
Und ahnte selbzweit noch nicht, daß ein Zwist
Sich entfaltender Neigung Anzeichen oft ist.
Als jedes zu Hause, kam jedem die Reue;
Sie schmollte, und Waldfreund brummte, der treue:
»Statt Rache zu nehmen mit strafendem Eisen
Will ich mein Wort durch die That ihr beweisen,
Ich zeichne ein Album, Granatelement!
Vom Schratbergrevier, daß sie reuig erkennt,
Daß Unsereinen man nicht braucht zu zobeln,
Noch ihm einen niederen Sinn abzuhobeln!«
Gesagt und gethan! Stets ist es zu loben,
Verstimmung der Liebe in Kunst zu vertoben.
Ein strammer Reviergang gab ihm den Plan
Zum ganzen zwölfblättrigen Album an,
Denn ihr Antlitz, rothweiß wie Pfirsichblüte,
Konnt' er doch nicht vergessen in Groll wie in Güte.
»Ich will«, schrieb er damals, »zusammen mich raffen
Und eine Reihe von Waldscenen schaffen,
Bald freundlich, bald ernst, wie empfänglich Gemüth
Sie erfaßt, wenn poetische Stimmung ihm blüht,
Wenn der Wanderer frühestens auf sich macht
Und im Wald verbringt einen Tag, eine Nacht.
Vorüber am baum- und staffagelosen Moor
Gehts im Frühlicht frisch zum Waldeingang empor.
Am sickernden Wasser ein Vögleinpaar singt,
Wenn durch tiefstes Dickicht der Sonnenstrahl dringt.
Heiß naht der Mittag; in schwüler Ruh
Deckt welkes Laub ein alt Jagdschloß zu,
Dann Gewittertoben, deß schwerer Gang
Im Windbruch sich zeigt den Tannberg entlang;
Felsöde Unwirthlichkeit, rauh und wild,
Mildert wildblühenden Rosenstrauchs Bild;
Vor der Sonne Untergang wüthet ein Brand . . .
Ihre letzten Strahlen vergolden das Land,
Und das Reh zieht zur Ruhe . . . zum Abendsterne
Tönt klagender Unkenruf in der Ferne,
Und des Holzhauers Axt stört die Mitternacht,
Die dem Wanderer Nachtruhe im Moos hat gebracht.
Nun weckt die Sonne am zweiten Tag
Bei der Waldmühle höheren Herzensschlag,
Und getröstet kehrt, hoffend auf Minne und Glück,
Zu Schratimbergs traulichem Heim er zurück.

Nach Lieblichem Rauhes, Bewegung nach Ruh,
Der Tagzeit entsprechend Lichtwirkung dazu,
Sei jegliches Bild mit begleitendem Wort
Als ein Ton in der Gegensätze Accord
Zum Ganzen gereiht! . .«

                                        So war es geplant,
So kündets im Zwickbuch ein Durcheinand
Von Skizzen, Entwürfen und Strichen in Stift,
Notizen, Gedanken und Verseschrift . . .
Hier Studien von Bäumen, Waldinn'rem und Rohr –
Dort bricht wie ein Springquell die Dichtung hervor
Dem Gegenstand gleich, bald phantastisch in Form,
Bald lyrisch und weich, den Klingreim als Norm.

In dieser Art Schaffens ein Zauber ruht,
Weil die friedliche Streitfrage auf sich thut:
»Sind die Bilder der Dichtung Illustration?
Gab der Maler dem Dichter die Inspiration? . .«
Vielleicht daß ein Späterer, melodisch beschwingt
Die Waldfreundstimmung in Noten noch bringt.
Doch entscheidet nun selber, die Blätter zur Hand,
Und vernehmt, was geschrieben im Zwickbuche stand.


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