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Der heimliche König der Armenier.

Aus dem Gesandschaftshotel in Pera ging ich, der Sicherheit wegen als Türke gekleidet, zum Hafen hinab, um mich einzuschiffen, am liebsten sogleich! Denn den unirten, katholischen, oder abgefallenen Armeniern stand eine schreckliche Verfolgung bevor, wie man heimlich hier flüsterte. Ich aber, als Reisender, war so glücklich, allem Unangenehmen aller Völker an ihrem Orte, allen Leiden und Bußen der Zeit aus dem Wege gehen zu können. Selbst das Schauderhafte der Natur hatte ich geflohen, in vielen Jahren sogar keinen Todten gesehen und darum wie in einer Art Paradies auf der Erde gelebt. Und auf das Leben in der Türkei, wo es nur darum so barbarisch zugeht, weil Jeder ein gleichsam vogel-freier Unter-Than oder kleiner Freikönig ist und sein will, mußte mir mein Vaterland so gut wie ein Himmelreich dünken. – Es ist ein elendes Gefühl: umkehren, heimreisen! Es liegt darin der Beweis der Täuschung, daß man hierher, wo man sich durch irgend einen Sturm der Leidenschaften oder der Begier hat verschlagen lassen, nicht gehöre; daß man einen der kostbarsten Theile des herangebildeten Lebens, wenn nicht verschwendet, doch nicht der Heimath zugewendet habe. Daß er also gewissermaßen verloren sei, das liegt in dem: Umkehren, Heimreisen!

Noch aber liegt auch das Schwere des Verlustes darin, Alles das auf lange – auf Wiederkommen und Wiedersehen, wahrscheinlich aber auf immer dahinten zu lassen, was wir durch Augen und Sinne, Herz und Gefühl in der Fremde erworben. Und so kam es mir vor, als wandele ich auf Eis, das plötzlich aufthaue, berste und mich in kalte Fluthen versinken lassen werde! Denn wie und was ich hier gewesen, so blieb ich – bis auf die trostlose, wesenlose Erinnerung – hier ja zurück. Und so fühlte ich einige Verzweiflung und machte die Augen zu vor der gegenwärtigen Pracht, die mir vom Herzen abfiel und mir zu dem ward, was sie mir künftig sein würde – zu Dunst! zu Traum! In dem Umkehren, Heimreisen lag aber auch das Neuempfinden der Heimath! des himmlischen Stromes von lauter glücklichen Menschen, wie der Unglückliche glaubt; alle glücklich ohne ihn, ja Einige eben darum recht glücklich, daß Er nicht bei ihnen war! Das that mir wohl, ob ich gleich unglücklich war, wie es mir in der Heimath gedünkt, wie ich jetzt Jahre lang vergessen und nun erst wieder zu werden wähnte, wenn ich nach Hause gekehrt! Darum seufzte ich, als ich, im Hafen unter den gedrängt am Strande sich wiegenden schwarzen Schiffen herumfahrend, endlich auf meine Frage die Antwort vernahm: »Nach Venedig! – in acht Tagen!« – Ich stieg nun hinauf. Das Schiff war mir recht; neu genug, klein genug, um nicht in allem furchtbaren Wetter offene See halten zu müssen, sondern leicht überall auch an flache Küsten beizulegen. Wer ein großes Schiff zur Reise wählt, wagt sein Leben doppelt. Der Capitain sagte mir, er sei nur für die Reise gemiethet, das Schiff zu führen, gab mir also den mit Bleistift geschriebenen Namen – Masca – des Armeniers, der das Schiff mit Ladung sende, um mit ihm selbst Nolo und Nutrimento – Fracht und Kost – für mich, meinen Maler und meinen Diener zu bedingen.

Ich stieg wieder hinauf in die Stadt, ich fand die Gasse, das Haus; das Thor stand offen. Ungefähr drei Schritte zurück in dem Halbdunkel des Flures stand ein Mädchen mit klugem, durchdringendem Blick, dem ich kaum sagen durfte, ich sei kein Türke! Sie sahe mich an, sie lächelte mich an, als verberge sie ein anderes Gefühl unter diesem Lächeln, das meine Augen an ihre bannte. Unter diesem Anblicken ward ich nur wie im Traum der ganzen schönen Gestalt inne, von der diese großen schwarzen Augen der Kern waren. Ihr liebliches Haupt trug einen vollen, üppigen Kranz von feuerfarbenen Nelken. Stirn, Antlitz und Hals schimmerten vor Weiße, wie das Blatt der Lilie silbern schimmert im Sonnenschein; ihr langes Kleid war weiß, und die Arme und der Leib bis unter die Hüften mit einem meergrünen Oberkleide bedeckt; breite goldene Armbänder glänzten um das Handgelenk. Ich, so gewohnt solcher Schönheit und so kalt dabei, wie mir das Schicksal zum Troste gegeben, mußte doch auch lächeln; sie lachte nun, ich lachte; das Verdoppelte ihr die Ausgelassenheit, und am Ende lachten wir beide, daß wir weinten und kaum Athem hatten. Sie hielt sich dann an mich, und ihre Hand hatte meine gefaßt.

Ich durfte die Tochter des Hauses voraussetzen, hatte aber ganz vergessen, warum ich in dies Haus gekommen, als plötzlich ein junger Armenier wüthend neben uns stand. Er hatte alle Fassung verloren, und zwar so sehr, daß er nicht wußte, durch welche Worte, durch welche That er seinem Zorne Luft machen sollte. Und so hielt er sich nur selbst an der Brust. Das Mädchen aber lachte ihn gutmüthig und schelmisch an, und so floß aus seinem Munde nur der Name »Chiorli!« mit einem Tone, mit einer Gluth, als sei die ganze Seele des Menschen: Liebe, Eifersucht, Rache, Zärtlichkeit, Blut und Leben in dieses Wort geschmolzen. Er riß ihr rücklings den Nelkenkranz aus dem Haar und stürmte damit fort auf die sonnenerhellte Straße.

Und mit jener Offenheit und Naturtreue, die den hiesigen Mädchen eigen ist, sprach sie, der Bewegung ihrer hochathmenden Brust nicht mächtig, auf italienisch zu mir: Der will mein Liebhaber sein? Der will mein Mann werden? mein Herr und Gebieter? – Aber sehen Sie, so wahr ich jetzt mein Halsband zerreiße, das soll er nicht!

Sie griff schon mit dem Händchen zwischen der Kehle und der Schnur hinein, sie spielte aber nur mit derselben und sprach: ich bin schon so entschlossen, und Ihnen brauche ich keinen Beweis zu geben, lieber Herr. Soll mich Niemand Anders sehen, als Otremba, und immer Otremba, so lange ich hübsch bin; nicht wahr, das wäre Unrecht? Man denkt ja doch im Herzen dabei, was man will! Nun, was wollen Sie denn bei mir?

Auf meine Antwort, daß ich meiner Abreise wegen hierher – zu ihr gekommen, sah sie einen Augenblick zur Erde und bot mir dann den Arm, sie hinauf zu führen. Droben im Zimmer stellte sie mich ihrer Mutter vor, indem sie mir schelmisch erst alles einzeln abfrug und einzeln ihr sagte: Wer? woher? wohin? wie alt? unverheirathet? und so weiter. Dann aber blieb sie mit verschlagener Miene vor mir stehen, als wenn sie mich angeführt hätte, und sprach: mein Oheim ist nicht zu Hause!

Das holde Wesen gefiel mir; aber ich mochte sie zu – getrost angesehen haben, denn sie setzte hinzu: er werde bald kommen, oder wenn ich lieber ihren Nacken als ihr Gesicht sehe, werde sie gehen, ihn zu holen.

Und so setzte sie sich erst einen Kranz auf vor ihrem Spiegel – der liebenden, zärtlichen Mutter, die sie küßte; und so war sie fort wie ein Gewölk.

Das ist ein venetianisches Plaudertäschchen! und die Griechen haben Osterfreiheit, die steckt an! sagte mir die Mutter, die einen Shawl um den Kopf, übrigens aber, getreuer als Chiorli, armenische Kleidung trug. Der vorsichtigen Weise zufolge, nie Reichthum zu zeigen, war alles Geräth im Zimmer höchst einfach. Gesegnetes Venedig! fing sie dann die Unterhaltung an, aus welcher ich erfuhr, daß sie mit ihrem Manne bis vor fünf Jahren in Venedig gelebt und, als er gestorben, mit ihrer zwölfjährigen Tochter hierher gezogen, um ihrem Bruder die Wirthschaft zu führen. Der aber wolle jetzt heirathen, und erwünschte Nachrichten aus Venedig könnten sie wohl vermögen, wieder dorthin in ihr Haus zu ziehen, mit der Tochter und um der Tochter willen. Wo die Kinder ihr Nest bauen, da wird die Heimath der Eltern – wenigstens der Mütter, der Wittwen! schloß sie.

Also Chiorli sollte nach Venedig heirathen; und ich bedauerte den armen Otremba, den sie verschmähte. Ich hatte meinen Korb von meiner angebeteten Schönen daheim empfangen, zwar vergoldet aus den Händen ihres Bruders, meines edlen, vortrefflichen Freundes, aber doch immer Korb genug; ich war am Tage vor ihrer Verlobung mit meinem Nebenbuhler in alle Welt gereist und war mit meinem Entschlusse sehr wohl zufrieden. Das Gegenwärtige übt den allgewaltigen Zauber der Naturerscheinung über das Herz, je sicherer, je gefühlvoller es schlägt, wenn uns nur die Natur vor den Augen erst wahrhaft lebendig geworden. Dem Reisenden macht die eigene Beweglichkeit, der Verlust an jedem Morgen, das Neue, Wechselnde an jedem Tage, der reizende, überraschende Gewinn an jedem Abend sich endlich lebendig, empfundener, als das im Innern – wie im Grabe ruhende Vergangene! Wir vergessen sogar, warum wir uns entfernt durch die Ferne selbst! So leben wir wieder mit dem Lebendigen, es lebt in uns rein und beschwichtigend. Kurz, gewiß kann ich versichern, ich hatte auch jetzt, dieser Chiorli gegenüber, meine Clara rein vergessen, bis Clara als Chiorli leibhaftig wieder vor mir stand! und der fortstürmende Otremba war Ich!

Chiorli kam wieder. Der Oheim war nicht aufzutreiben gewesen, nicht in der Schreibstube, nicht in dem nahen Magazin! und ihn suchen zu lassen, sei vergeblich und in Geschäften ihm unangenehm! Und so werden Sie, leider, morgen wohl wieder sich herbemühen müssen! schloß sie fast lachend. – Am liebsten zu Tisch! bat die Mutter.

Ich entschuldigte mich mit meinem Reisegefährten, einem Maler; aber das bewog sie nur, auch ihn einzuladen.

Am andern Mittag fand ich den Armenier, einen Mann in abgetragenen, feinen, schwarzen Kleidern nach unserem Schnitt. Seine Gesichtsfarbe dunkel, große Adlernase, feuriges Auge, schlau aufmerksam, aber zugleich furchtsam, demüthig, nur von Geschäften sprechend und nur auf Gewinn bedacht; daher ich ihn schon gewann, daß ich von seiner Forderung nicht handelte, sondern noch obendrein gute Trinkgelder versprach. Er schien dem Otremba sehr geneigt, der, mir befremdlich genug, auch zu Tische geladen war, zum Zeichen, daß die armenischen Männer so wenig von dem wissen, was ihre Weiber, Töchter und Frauen heimlich im Herzen haben und – um zu eigener Herrschaft in ihrem Leben zu gelangen – betreiben, als wir andern Franken im Grunde davon wissen, die wir zuletzt auch nur Ja- oder Nein-Herren sind.

Otremba stellte mir seinen älteren, unlängst von der armenischen Colonie in London zurückgekehrten Bruder Basilaky vor, eine hohe, edle Gestalt, wie sie nur das Morgenland hervorbringt; denn ein heiliges, seliges Alterthum duftete gleichsam um sie und aus ihr, wie uralter Paradiesesduft um die neue gegenwärtige Ceder. Solches Feuer, und so kühl! solches Wohlwollen, und so gleichgültig! und wenn es auch nicht unmerklich war, doch hinlänglich von Würde gesteigert, um das reinste Vertrauen zu diesen Zügen des erhaben schönen Antlitzes zu fassen, und doch wiederum scheu vor dem in sich beruhenden Wesen zu schweigen. Zu einem Patriarchen fehlte ihm nichts als das Alter; denn auf seiner, ich möchte sagen heiligen, Stirn thronte ruhige Kraft; hinter diesen machtvollen, gütigen, ja gnädigen Augen flammte ein großes Bewußtsein, und die leise Wehmuth, die in den Lippen wohnte, erschien nur als mildes Lächeln. Die ganze Gestalt war wie in ernstes Sinnen verloren, und sichtbar gleichsam unsichtbar, nicht geheimnißvoll und doch nicht zu durchschauen. –

Chiorli hielt den Fluß ihrer Rede sehr an, da auch ein armenischer Bischof zugegen war, und ließ ihre Augen nicht frei ergehen; und ich durfte annehmen, dieser Basilaky habe für seinen Bruder Otremba bei Masca um Chiorli ein Wort – verloren.

Bei Tische ward als Neuestes erzählt, daß man diese Nacht die armenische Kirche habe in Brand stecken wollen; dann, daß acht Franken wegen Münzung falscher Paras – zur Beobachtung des Anstandes und der Auszeichnung – gehangen worden. Wir sind ja die privilegirten Falsch- oder Schlechtmünzer, bemerkte der Wirth. Wir gleichen Geizhälsen, die immer sammeln und nie je einen Gebrauch von unseren Schätzen machen –

– können und wollen, setzte Basilaky hinzu.

»Ein schönes Weib in ewiger Finsterniß!« lächelte Chiorli.

Ich lobe mir Venedig! sagte die Mutter.

Wir arbeiten nur auf Vermögen, aber wir arbeiten! fuhr der Wirth fort, und während der Arbeit leben wir, wachsen heran, lernen, verheirathen uns, erziehen wieder Kinder, und während dieser Zeit genießen wir alle Erdenfreuden, haben Sonne, Mond und Sterne, die alte Erde und unseres alten Gottes altes Wort. Vermögen ist das, was bei uns – in der Einbildung – den einzigen Unterschied macht, ohne ihn zu geben von Außen, denn wir sind auch reich im Geheimen. Die Geistlichen ausgenommen – nicht wahr, Herr Bischof? – hat Niemand bei uns Rang und Titel, und leider haben wir Besiegten keinen Titel als Raja, und wir Erbarmungswürdigen haben keinen Prinzen, Marchese, Grafen oder nur Edelmann; leider sind wir eine Heerde Schafe, nicht ohne Hunde – –

Doch ohne Hirten! seufzte die Mutter, aus dem tiefen Bewußtsein eines ganzen unterdrückten Volkes.

Aber einen König haben wir doch! meinte Chiorli naiv versichernd.

Die Mutter sah sie betreten und scharf an und sprach, um ihr Richtung zu geben: Freilich, den Sultan!

Ach, der! seufzte Chiorli, der ist nur Hoheit, nicht Majestät; und wie zittert und bebt schon mein Herz, ihn und seine Macht zu sehen, wenn die Köpfe in den Nischen der hohen Pforte stehen! Schauerlich-schön! O wenn unser König auch so sichtbar walten könnte! –

Gott sei Dank, das könnte, das würde er nicht! sagte die Mutter – wenn er wäre!

Hast Du mir nicht einmal gesagt, daß unser Vater Schahnasjan – –

Bist Du nicht eine eitle Thörin!

Hab' ich nicht einmal weißes Papier verbrannt, wo dann auf dem noch zusammenhaltenden Aschenblatt goldene oder silberne Schrift und Buchstaben funkelten? Ward ich deswegen nicht eingesperrt damals!

»Wie jetzt!« sprach mit verhaltenem Zorn der alte Masca. Schon seit Chiorli das erste und freilich entscheidendste Wort darein gesprochen, hatte er sie fast mit den Augen durchbohrt. Der Bischof hatte ihm unterdeß in die Augen gesehen, aber Chiorli mir, und die meinigen irrten schüchtern umher und hefteten sich an Basilaky, der ruhig und schweigsam saß und – – mit dem Messer spielte! Ich hatte von der alten hier aufgeregten Sage gereizt schon fragen wollen: Also es giebt einen heimlichen König der Armenier? Ein heimlicher König! Was doch die Welt in ihrem Verlauf hervorbringt! was sie verbirgt! Was sie noch alles hervorbringen und verbergen wird! – Jetzt dacht' ich das blos aus, und kaum. Denn Chiorli ward blaß von den Blicken; noch gefaßt stand sie auf, aber nun weinte sie leis und vermochte kaum sich zu entfernen. »Heydèh!« (Gehe) murmelte Masca nur zwischen den Zähnen.

Aber Otremba, von der seiner Geliebten, wenn auch noch so leise angethanen Kränkung gereizt und erbittert, stand auf und überwarf sich in heftiger Rede mit ihrem Oheim, der ihm nur kurz antwortete: Lasse das gut sein, Otremba, Du vertheidigst nicht Deine Braut, denn nun soll sie es nimmermehr werden!

Ich kann nicht beurtheilen, was geschehen wäre, wenn Basilaky nicht seinem Bruder mit den Augen gewinkt; und so führte er das hochroth-glühende Mädchen fort, das ihm durch Zuhaltung der Thür aber wehrte zu folgen. Er setzte sich dann düster. Die Mutter eilte der Tochter nach, ganz demüthig und erschrocken.

So ist es, wenn Weiber – ich meine nicht »Frauen« bei Tische sind! nahm Masca das Wort. Mir aber, als Fremdem, als Abreisendem, glaubte er einige Worte sagen zu müssen: Daß die Sache unschuldig sei, selbst wenn sie wäre. Denn, stellen Sie sich doch vor, wer wäre Er – also, als ein Geheimniß. Selbst ohne leere Würde! weniger im Aeußern als der Bohnenkönig am heiligen Dreikönigsfeste! oder als der Negerkönig, der König von Kongo, den der wirkliche sichtbare König gebaren und auf offenem Markte und zur Kirche aufziehen läßt mit allen Schwarzen. Was ist das mehr als ein Jammer eines das Vergangene aufträumenden Volkes?

Aber doch eine Macht! und der Gedanke ist die größte, sprach ich; denn er sahe mich an und nöthigte mich so, etwas zu meinen. Und, setzte ich hinzu, auch die Türken und diese vor allen, sie, die aus Gleichgültigkeit oder Klugheit, wenn nicht aus Menschlichkeit, allen Heiden oder Ungläubigen, selbst denen aus Rom erlauben, geruhig im Lande zu leben, zu thun und zu treiben, was sie wollen; sie würden sich solche Carneval- und Osteraufzüge gefallen lassen, als vermeinte Maskeraden, als bloße Dudelsackfreuden – die doch das Volk zusammenhalten.

Das griechische! meinte der Bischof. Armenier brauchen keine armenischen Behörden. Christus ist der Mann, der die Welt vorbereitet hat und fortbereitet, eine beständige, sichtbare Vormundschaft entbehren zu können und den Haß der Religionen zu verlöschen. Gleichviel, unter wem wir leben – (nur nicht wie), Ackerbau treiben, uns davon nähren, ob das Land auch uns nicht gehört! Der wahre Besitzer aller Lande ist und bleibt – so Gott will – immer Gott der Herr, der dem den Segen giebt, der ihn durch Fleiß gleichsam auf sich niederzieht und erbittet. Denn Arbeit ist das lebendige Gebet. Und dann, Handel mit dem, was wir zu viel, oder was die Türken haben. Denn recht betrachtet, wie es ist, sind wir Armenier die Hände der Türken, ihre Köpfe, ja selber ihr Herz. Dafür sind sie unsere Magen, Beine, Säbel, Pferde, Pistolen, Kanonen, ja unsere Mauern, die das Reich gewiß noch lange beschützen werden, darin wir zu Hause inne wohnen und Miethe bezahlen; wir wohnen gesammelter als die Juden. Ja, so ist unsere Gewalt, unser Reichthum, unser wahres, menschliches Lebensglück weit größer, als wenn wir ein christliches Volk sein sollten, sich eigen, genöthigt, durch Barbaren sich morden zu lassen, oder sie zu ermorden, mit einem Wort: Krieg zu führen. Wir sind erhaben über die Gemeinheiten des Lebens. Wir haben die leeren Namen der Welt nicht. Wir bauen keine Festen, keine Schiffe. Wir wohnen, wir leben, wir sind glücklich als Christen und würden das unter jedem anderen Herren sein. Denn das ist die Größe des Christen, daß er selbst als Sklave größer und freier ist als sein Herr!

In diesem Augenblicke trat ein armenischer Geistlicher mit dem Sakristan ein, stand ehrfurchtsvoll an der Thür und meldete erst auf Befragen, daß sie den unirten Mann ergriffen, der heute Nacht ihre Kirche in Brand stecken wollen.

Basilaky sprach nur leise dazu: Das Arge verhindern könnte sogar ein heimlicher König nicht, ob auch vielleicht eher und leichter, wenn es durch lebenden Rath, durch lebende Warnung geschieht, wenn das Volk nie weiß: wo er erscheint und wer es ist.

Und wahrlich! ich empfand eine Art Schauder und Ehrfurcht, als sitze er mit zu Tische.

Der Bischof freute sich nicht, sondern schwieg, ernster Gedanken voll. Dann befahl er, ihn herzubringen, ehe er abgeliefert würde. Denn die Hauptstadt ist der Richtplatz des Reiches, und Gott sei Dank wir Rajas sind der Mühe überhoben, unsere eigenen Henker zu sein. Wir haben Sklaven, sprach er lächelnd zu mir. Das ist der Mächtigste, der Anderer Kraft, Eigendünkel, Begierde, Haß und Liebe zu Dienern seines Willens machen kann.

Die Männer entfernten sich ehrerbietig.

Bald werden hier Wunder zu sehen sein von des heimlichen Königs Macht, wie viel tausend Schergen und Diener er hat, selbst Große, Reiche, Mächtige, ja den Mächtigsten, sprach Otremba jetzt, von dem Vorfall in Rache versetzt.

Freilich! Christus, der ewige König, ist mit uns! sprach der Bischof, einen kleinen, goldenen Christus küssend; unser Volk hat nur einen Halt: seinen Glauben, nebst seiner Sprache und seinen Sitten, welche drei die Grundlage eines jeden Volkes ausmachen, nicht das Eigenthum des Bodens. Wir haben nur einen Feind, ihn, der unser Volk von seinem Glauben, also von seinen Sitten, und zuletzt von seiner Sprache zu Gott und sich abwendig zu machen nicht müde wird.

Der wird hier seine Macht verlieren! und furchtbar! trotzte Masca.

Bleiben Sie hier, sprach Otremba zu mir, und Sie werden unsern König sehen, wie den Engel Michael mit dem Schwert, und Niemand wird ihm entrinnen.

Er meint den offenbaren, nur heimlich wirkenden König aller Völker und der Erde, lächelte der Bischof.

Den zuerst und immer! versetzte Otremba erröthend.

Bedauern Sie uns! sagte nun Masca, mit Thränen in den Augen. Unser Reich ist untergegangen! Wer hat das, wer kann das vergessen? Ein König ist so eine erhabene und erhebende Sache, ein solcher beruhigender Trost der Herzen, eine so herrliche Sonne der Augen, nicht nur der Seele für jedes Volk, daß er wahrlich noch lange bei einem besiegten Volke hinter der Thür steht, wie die Wittwen von ihrem Manne sagen. Und so lebt er, leider als Schatten, fort; denn schon alle guten und großen Könige siegreicher, kraftvoller Völker regieren noch viele Jahre lang unsichtbar, öffentlich das Volk, nicht nur durch Gesetze, sondern schon durch ihr Bild, als Geist, und ich glaube, daß man jetzt erst glaubt: Kaiser Joseph ist todt, von dem die Einbildungskraft des Volkes eben aus jenen Gründen fabelte: er lebe nach seinem nur Scheinbegräbniß. Es ist gräßlich, ohne König zu leben. Ohne Gerichtshöfe mit allen ihren Beiständen! Wir haben leider keine Aufzüge, keine Soldaten, nicht einen Pfeifer, nicht eine Trommel, keine Majestät, die Krieg und Frieden schließt, Gesetze giebt, Abgaben erhebt, noch einen Para ausgiebt. Wir sind grenzenlos unglücklich. Aber – aber –

– die Noth lehrt erfinderisch sein, willst Du nicht sagen, nahm der Bischof das Wort. Können wir nicht kriegen, so leben wir in Frieden mit uns und andern; bekommen wir täglich nicht neue Gesetze, so halten wir auf das eine alte, welches wir haben vom ewigen Gesetzgeber. Haben wir keine Geschichte, je nun, so ist das ein vollständiger Beweis, daß das Volk lebt und nicht unsere Könige. Denn es giebt noch keine Volkesgeschichten, nur Thronengeschichten.

Armentrost! sagte Otremba. »Die verlorene Herrlichkeit« hießen unsere ersten stillen oder heimlichen Könige = Ichabod! Dann, als ihr Geschlecht ausstarb, hießen sie: »Sohn des Scepters« = Ben-Schebeth; und nun, nun wir uns in das neue Reich gefunden, nun heißen sie nicht einmal Meïr-Netib »die Erleuchter des Weges,« sondern sie sind es.

»Sind?« – frug ich überrascht; denn durch das Wort war der heimliche König zugestanden und sehr verzeihlich zugestanden, ja gerühmt von einem feurigen, ehrgeizigen, jungen Manne, dessen stolze Seele es nicht ertrug, daß er, die Seinigen und vor allem sein Volk so elend unter Barbaren untergegangen sein sollte, ohne wenigstens sein Edelstes, Höchstes – seinen König bewahrt zu haben, wie ein Palladium, den Krondiamanten oder Prinzregenten; und ohne die Hoffnung, die vielleicht nahe Hoffnung vor einem – durch einen, durch seinen König glücklichen – Fremden ausgesprochen zu haben: daß ihr König wie ein Magnet mit Gewalt von ihm abgerissene Feilspäne wieder um sich versammeln könne, oder wie ein Erdgeist wiederum auftauchen.

Aber die Uebrigen waren verlegen und schweigend entrüstet über das Zugeständniß. Sie standen auf und traten bei Seite. Otremba blieb in Verwirrung und sagte mit leiser, leiser Stimme: jetzt bin ich gestorben, denn ich bin schon so gut wie todt. – Drei haben mich gehört. Vielleicht wird es ihnen geschenkt. Vielleicht. Ich meine das Leben.

In meinem Leben nun kein Freund von Geheimnissen, ja ein strenger Feind davon: irgend etwas Schlechtes zu wissen, ja, nur anzuhören, weil die Seele eine Harfe für Engel ist, oder für – gute Menschen, hätte ich mich gern angestellt, nichts verstanden, nichts beachtet zu haben. Doch wie sollten diese klugen Männer nicht denken: »Der Kluge glaubt, daß der Andere noch klüger ist.« Es ließen sich aber gegründete Zweifel aufstellen, die ich fast in Angst um Otremba ergriff. Es war gewiß keine Minute vergangen seit jenem gefährlichen »Sind,« als ich, und in der That ungläubig, sprach: Dem Fremden wird sehr viel aufgebürdet, der Reisende trägt Rosenschnee nach Hause, der unterweges aufthaut. Am warmen Heerde daheim erst merkt er, wie oft er sich willig getäuscht. Denn daß Sie mich nicht täuschen wollten, das seh' ich ja und danke Ihnen sehr.

Masca nickte mit dem Kopfe. Der Bischof hörte schlau, wie ich fortsprach: Zwar hab' ich schon von dem heimlichen König – das Wort sprach ich sehr leise – gelesen. Aber nur schon ein heimlicher Schneider, ohne Wappenscheere, also ohne Kunden und Arbeit, ist das ein Schneider? Und ein heimlicher König, ist das einer für sich, oder für das Volk?

Basilaky trat nun auch zu mir und sah mich sehr mild an, und sein Blick schien doch noch ganz etwas anderes fern zu betrachten?

O ich bedauere den armen, fuhr ich fort, von dem Niemand eine Gnade erbittet, der nichts geben, nichts vergeben, keinem sogar das Leben schenken kann, ohne daß es verborgen bleibt, wer es gethan! der nichts unter seinem Namen ausfertigen lassen darf. Denn das ist doch der Lohn und die Ehre für die schwere Beraubung am menschlichen Leben: ein König auch zu heißen und also zu sein. Keine Geschichte von ihm, keine Anekdote! nur wenn er todt ist, ist er allein von allen Menschen nicht weniger, als er lebendig war – todt, und kein Bild auf Gold, auf Silber oder Kupfer erhält seinen Schatten, weil er kein Wesen hatte. Also sich ist er nichts! und was ist er dem Volke?

Ich bestreite beides, entgegnete zu meiner Verwunderung mir jetzt sanft Basilaky. Sehen Sie an sich, daß es nicht gut, oder doch überflüssig ist, wenn ein Fremder um ihn weiß, weil er nicht glaubt, was jedem Armenier wie ein Mährchen nur als Kinde erzählt wird. Wie denn gewiß jeder noch so vernünftige Mensch sich selig priese, wenn er wieder so glauben könnte wie ein Kind, und das glauben! wenn er wieder in das Reich der Mährchen könnte, in welchem er damals lebte. Nun – – einem Armenier ist »Er« ein wahrer König im Sinn, im Herzen und Wirken; nur um so zauberhafter, gewaltiger, weil ihm alles Aeußere fehlt, indem »Er« also in seinem Sein und Thun allein sich als König empfindet. Wollte Gott, jeder Mensch bildete sich ein: so ein König zu sein, wie ja jeder – wenigstens göttlichen Geschlechtes sein soll; und wollte Gott, jeder dächte, spräche und handelte für sich und gegen alle so königlich.

Wunderbar! sprach ich. Sie also gestehen mir jetzt zu, was die andern so streng leugneten, dessen Ahnung sie schon unterdrückten und an dem stolzen Mädchen bestraften, gewiß nun auch dem feurigen Otremba vergeben.

Lassen Sie das! entgegnete er gleichgültig. Und finden Sie lieber die Sache für uns in unserer Lage nothwendig und überhaupt nicht so fremdartig! Es ist bei uns – nur ohne das schönste Glück – ungefähr wie bei Ihnen: nur der ganz ausgezeichnet Gute und ausgezeichnet Schlechte lernt seinen König kennen durch Belohnungen oder Strafe; allen Uebrigen ist er so gut wie unsichtbar; und die unmittelbare Sichtbarkeit gehört selbst nicht zum Wesen Gottes, der doch der gewaltigste König ist, den jeder glaubt, und glücklich ist, wenn er seinen Willen thut. Der Mond, ohne glänzend, noch voll zu erscheinen, bewirkt eben so gut Ebbe und Fluth, und ist doch der Mond; und was wir von der Sonne sehen, ist ihr Geringstes. Ihre Kraft besteht in ihrem verborgenen Wirken. Ein Reich ist überall ein Geisterreich; und der Drang und das Bewußtsein, zu einem gewissen, in Gedanken, nie sichtbar darzulegenden Ganzen zu gehören, macht ein Volk. So sind wir Armenier; so haben wir ein Reich, einen König.

Möglich! sprach ich.

Gewiß, sprach er. Die Natur hat das schon ähnlich. Der Weisel der Bienen kommt selten und nie aus seinem Stocke, die Bienen selbst bedecken ihn und halten ihn warm. Er giebt dem Volke die Stimme. Er kann nicht reden, er hat die Blumen da draußen vielleicht nicht gesehen – und als wenn er es geheißen, fliegen die Arbeitsbienen und Wasserträger hinaus und haben ihren eigenen Verstand, und gebrauchen ihn selbst, wie sie ihre geschickten Füße zu Händen gebrauchen. Und so, doch nur so geht Alles – sie wissen und sehen – alle arbeiten selber im Stock eines fremden Herrn für sich, sie nähren sich, sie pflanzen sich fort; und sie sind nur leidend, wenn sie nicht arbeiten können und keinen König haben.

Doch wie kommt man an ihn?

Umgekehrt. Wir stellen ihn uns als einen gewaltigen, das Land durchreisenden Censor von Rom, dem jeder gehorcht, vor. Ist er nirgends zu sehen und zu hören und ist doch, so ist er überall, und niemand ist vor ihm sicher.

Und seine Räthe?

Weiß ein Weisel besseren Rath als die Stimme der Bienen? Wohlfeilem Rath folgt jede gern, da niemand einen Para Abgaben an ihn zahlt.

Der arme Mann!

Sagen Sie: er ist reich! denn er kann seinem Bruder sogar nicht ein Mädchen zur Frau werben. Die Seinigen sind und gelten nichts. Er kann sogar seiner Mutter keinen Scudo schenken – – er hat keinen!

Das erschütterte mich; denn das Edelste glaubt man am liebsten. Und doch war ich froh, daß das anscheinend milde Gespräch – das mir aber, wie viele Thaten nicht, eine bange Ahnung von Nachwirkungen zurückließ – jetzt zu Ende war. Denn da man indeß den Verbrecher gebracht, begleiteten Masca und Basilaky den Bischof hinaus. Statt ihrer kam endlich die Mutter wieder, die für ihre Tochter gebeten und Verzeihung erhalten von Masca. Das belebte Otremba wieder; und während er neubegeistert auf und abging, erwartend, daß Chiorli wieder erscheine, sagte mir mein fast tauber Maler – der also kaum ein Wort gesprochen, noch verstanden, – jetzt seiner Kunstliebe folgend, ins Ohr: wir haben viel junge, wie Mädchen schöne, nur bei weitem noch schönere Türken hier gesehen – aber dieser Otremba, welch eine Stirn, welche Augen, wie edel das Antlitz, die ganze Gestalt! Und wie verschönt durch Liebe und wieder durch Leiden in dieser Liebe, wie Gold in der Morgensonne, wie ein Schleier um die Traube, wie Duft und Thautropfen um die Aloeblüthe! Bewegen Sie ihn, daß er sich von mir malen läßt; schon sein Bild ist ein Schatz, geschweige sein Wesen. Chiorli ist blind!

Sie ist keine Malerin, sondern ein Weib – wie Clara, gab ich zur Antwort. Aber ich erwirkte ihm die Erlaubniß, und zwar sollte es hier im Hause geschehen, wie ich dem armen Nachgenossen meiner Pein, dem düsterer gewordenen Otremba, gern einzurichten suchte, damit er seiner Spröden doch nahe sei.

Die vermeinten acht Tage bis zur Abreise verlängerten sich aber bis aufs Ungewisse. In dieser Frist wurde Otremba's Bild gemalt, der sehr gern ruhig saß, um sich von der Geliebten recht anschauen zu lassen. Denn wenn sich ein Mädchen nur einmal recht in das Anschauen eines Jünglings vertieft, oder sich verliert, wie man sagt: so hat sie sich verloren in ihm, und es geschieht ihr, als schlage sein Wesen Wurzel in ihrem Herzen. Selbst die gleichgültigste Bildung tritt ihr hervor als Natur, vor deren Eindruck und Zaubergewalt keine Rettung ist. Und wenn sie vollends diesen schönen Otremba schön fand, so mußte sie weinen, statt seiner; sie mußte zu seinen Knieen sich hinschmiegen – wenn er es nicht ihr zuvor that, da er sich kaum auf den Füßen vor ihr hielt. Aber sie wußte Rath. Sie sah ihn nicht an! oder sie war gar nicht im Zimmer, und sie und ich, wir wandelten indeß im Garten. Ich merkte ihr den Verdruß ab, daß niemand sie zum Malen gefunden, und ihre Rathlosigkeit und Bitterkeit gab mir ein zauberhaftes Naturspiel, wenn ich bei ihr eine Bitte wagte – zu Gunsten Otremba's. Wenn er dann fort war, und ich mit ihr vor seinem Bilde stand, woran der Freund noch malte, und sah, wie sie gleichgültig war, mußte ich über die Frauen erstaunen! Aber ich fand mich wohl in ihrem Herzen, ihrem naturverliehenen, immer reizenden Eigensinn zu recht! und dennoch mußte ich etwas unverschämt – wie ein Reisender endlich wird und werden darf – dem mir lieb gewordenen Otremba einst, als wir allein waren, zum Troste sagen: Nicht blos die Frauen wollen schön sein, auch die Männer. Und die schön sind, werden bewundert darum, als der Natur gelungene, durch und durch gesunde, erquickende Wesen. Aber glücklich zu werden und glücklich zu machen – das hoffe kein Mann und kein Weib durch Schönheit! Die Liebe ist mit der Schönheit in ewigem Kampfe, und die Liebe ist ewig die Siegerin. Nur wenn die Schönheit den einen findet, der sie liebt, dann beglückt sie ihn unaussprechlich, und die Natur selbst feiert dann in ihnen ihr höchstes, seligstes Fest. Und wo sie ihn nicht findet – daß heißt bei allen, allen unzähligen Andern, da nutzt sie nichts, da verwirrt sie nur, sie klingt an, oder spricht den Himmel an, aber hat und bringt ihn nicht!

Die Schönheit kann aber nicht, wo sie will, sich Liebe hervorrufen, und so trägt die Schönheit nicht die Kraft, glücklich zu werden und glücklich zu machen, wie ein Talisman in sich. Und so werden täglich tausend Liebende glücklich, während die Schönheit wie eine nicht geglaubte oder unverehrte Göttin einsam dasitzt und ihren eigenen Werth verkennt, verwünscht; denn auch die Schönheit ist ein selbstständiges Gut, wie der Blitz ein himmlisches Feuer, auch wenn er nicht zündet. Und nun, o Schöner, bewahren Dich die Götter vor Stolz, vor Ueberheben über die blinde, verächtliche Menschheit, wie Du nun Dich empfindest. Aber auch vor dem Gefühl des Unwerthes! denn die Geliebte kann nie Dich verachten; sie beseufzt vielleicht oft im Stillen, daß sie Dich nicht liebt. So wie Dich, kenne ich viele schöne Männer, die selbst von Männern bestaunt dasitzen in der Einsamkeit, die Götter der Welt zu sein – zu verdienen glauben, aus Einbildung nie glücklich waren und – Eingebildete nie glücklich machten. Es wäre auch geradezu abscheulich von der Natur, wenn ein Schönes – wie ein Komet durch die Welt zieht – durch das Menschengeschlecht wandeln dürfte und wie ein Magnet alle Nägel aus dem Schiffe des Lebens an sich zu ziehen vermöchte, wodurch es einzig zusammenhält. Mehr wundert mich, daß Du liebst ohne Gegenliebe – das scheint mir wiederum ungerecht von Deiner Geliebten.

Ganz verdüstert entgegnete aber Otremba: Halten Sie mich für keinen unbescheidenen Schmeichler, daß ich Mann dem Manne gegenüber ihnen ansehe und sage: Ihnen ist das geschehen, was mir erst geschehen soll. Die Weisheit ist ein öder Ersatz für das Glück, bei den wenigen guten Menschen. Tausende bleiben einfältig nach dem Unglück, und das verlorene Glück vergällt ihr Herz und verdumpft ihren Sinn. Darum will ich lieber versuchen, glücklich zu werden! Ein wenig Zwang den Weibern anthun, ist ihnen oft selber sehr nützlich; was sie nicht gern geben – vergeben sie lieber! Ich will meine Geliebte gern um Verzeihung bitten: daß sie mein ist, ganz wie sie da ist mit Seele und Leib auf Lebenszeit. Viel vergiebt sich leichter als eine Kleinigkeit, etwa ein Kuß – die Mädchen sehen selbst die nutzlose, fruchtlose Kühnheit ein; denn in der Vergebung eines Großen, Unherstellbaren und Unwiderruflichen empfindet die Verzeihende die eben so große Kühnheit des liebenden Feindes, und so groß die Verwogenheit war, so groß erscheint ihr der eigene Werth! Groß, wichtig, himmlisch, einzig muß sich ein Mädchen erscheinen, um sich und alle ihre Schätze – wegzuwerfen. Was wenig oder nichts werth scheint, das behält jede betrübt mit Schmerzen! Und ich achte Chiorli so hoch, hoch über Alles, was ich außer ihr kenne; so hoch, daß ich nicht leben mag ohne sie!

Die letzten Worte beruhigen mich wieder über Sie, mir sehr werth gewordener Otremba! bedeutete ich ihn.

Ich bin auch sehr ruhig und sehr entschlossen, erwiederte er. Ihr Vater hat sie bei ihrer Geburt mit jenem jungen Knäbchen schon in der Wiege verlobt, nach der unsinnigen Sitte unseres Volkes. Aber als er gestorben, hat er sie frei gegeben, weil er ein selbstständiges Gemüth in ihr erkannt – weil solche Verlöbnisse durch des Einen oder des Andern tödtlichen Fehltritt ins Grab, oder wegen anderer Verwandlungen in den Häusern, gewöhnlich sich selbst auflösen. Aus Liebe zu ihrem Vater will sie nun doch seinen früheren Willen erfüllen, und der spätere, weisere Vater gilt ihr nichts! Ich glaube aber, der Jugendgespiele in Venezia ist ihr schon lieb geworden. Da irrt sie gewiß wieder und schenkt nun Empfindungen und Gefühle der Jungfrau an einen Knaben zurück in vergangene Jahre, weil er seine Kinderfreuden mit ihr getheilt; und so thut sie, ohne zu wissen, ob er jetzt, als Kaufmann, nicht blos ihre Schätze so reizend findet, um sie mit denselben in den Kauf zu nehmen, da sein Grund sehr schwanken soll. Wie sie heut ist, sinneverwirrend schön – so kennt er sie nicht. Und von allen Andern erkenne nur ich sie allein; er nicht! Ich opfere freudig Alles für sie und würde nichts gethan zu haben glauben, wenn ich sie besäße! Er nicht! Denn, hören Sie wohl! er liebt schon, und welches Mädchen? hören Sie wohl! meine Schwester Remete! und welches Mädchen liebt ihn wieder? – meine Schwester Remete! Und welches Mädchen würde sich zu Tode schämen und grämen? – meine Schwester! und wer würde über die herrliche Tochter sich zu Tode grämen? – meine Mutter! Wissen Sie, was einem Armenier seine Mutter ist, seine Schwester, sein Blut! Wem von uns beiden soll Chiorli nun gehören? Ihm nicht! – Also mir, mir!

Zu der Liebe Glück gehören zwei, gab ich ihm ernst zu bedenken. Wird das Weib nicht glücklich durch den Mann, so ist der Mann unglücklich schon durch das Unglück des Weibes.

Wenn ich nun aber vollkommen glücklich bin durch sie? – Sie müßte kein Weib sein! sprach er mit trotzigem Vertrauen; aber er brach in Thränen aus und bat: Verurtheilen Sie mich nicht, daß ich meine Schwester, meine Mutter liebe! daß ich Chiorli liebe, daß ich an die hingebende Herzensgüte und den göttlichen Adel eines Mädchens, einer geliebten Jungfrau, einer schönen Gestalt, wie die ihrige, glaube! und felsenfest! Hätten die Frauen diese göttlichen Tugenden nicht, so wären sie nichts. Fast Alle zeigen und bewähren sie später im Leben als Mütter; und sollten sie nicht schon in einer Jungfrau schlummern, selbst gerade, weil sie noch nicht das Wort: »ein Kind – mein Kind« – über die Lippen bringen kann, während das Herz ihr bald zerspringt von alle der Fülle der Seligkeit, die in dem Worte: »ein Kind! – mein Kind!« liegt, auch für sie! und ja so bald!

Er hatte mir das Herz weich geredet, und ich ließ ihn gehen, wie mich! Wie gewaltsam aber Otremba die Worte: »ein wenig Zwang anthun« gemeint und »wie viel die Frauen vergeben,« – das ward in einigen Tagen klar, als Chiorli Erlaubniß bekommen, nach Scutari mit uns zu fahren, das sie noch nicht gesehen. Zum Schutz war ihr der Mutter Schwester, eine noch junge armenische Nonne, zugesellt, die Vergunst haben, überall hinzugehen und so fromm zu sein, als es ihnen das eigene Herz gebietet – in dem offenen Kloster der Welt, wo es allein ein Verdienst haben kann.

So stiegen wir Vier denn unbedenklich in ein am Tage vorher von Otremba bestelltes Boot mit vier Türken zum Rudern. Daß diese vor den beiden unverschleierten Frauen ihre Augen niederschlugen, schien ganz in der Ordnung; daß sie nicht mit uns sprachen, auch mir nicht antworteten, war gleichfalls in ihrem Charakter. Daß uns der Strom des Meeres ein ziemliches Stück unterhalb der Südseite der Stadt am jenseitigen Ufer hinuntergedrückt, ließ sich noch entschuldigen. Das lange, schmale, gefährliche Boot, worin die größte Ruhe Bedingung des Lebens war, trug vorn eine rothe Fahne, die Otremba wie zum Spiel des Windes aufgesteckt. Als wir aber dem Ufer auf 800 Schritte genaht, und hinter den Büschen ein Reiter mit zwei Handpferden erschien, sah ich Otremba in die Augen, der sie niederschlug und über und über glühte. In dem Augenblicke, wo ich ihn kühn zur Rede stellen wollte, fühlte ich mich rücklings gefaßt und geworfen und, wie ich mich auch in dem schwankenden, oft flüchtig wasserschöpfenden Boot sträubte und wand und wehrte – dennoch gebunden, und lag nun mit dem Gesicht in den blauen, schweigenden Himmel gekehrt, während Chiorli und die Nonne nicht über die That sowohl zürnten und schrieen, als aus Furcht vor dem, wozu sie der Eingang war!

Otremba beschwor sie, ruhig zu sein; er bat Chiorli, vor ihr hinknieend, ihm zu vergeben und sie nur anzuhören. Die Nonne aber schlug ihm keck ins Gesicht und befahl auf türkisch den Ruderern, umzukehren!

Chiorli stand trotzig athmend und bleich hinter ihr; die Farbe auf ihren Wangen wechselte schnell, ihr Auge schmolz in Thränen und schaute nach Rettung zum Himmel; aber sie senkte es trostlos, und nun erschien ihr der Himmel drunten in den Fluthen und drunten die Rettung. So gleichgültig sie mir bisher erschienen, so war sie doch ein menschliches Wesen, ein Weib, ein schönes Weib, und gerade jetzt so schön, so edel und herrlich, wie ein Weib nur jemals auf Erden erscheinen kann: hassend, aber aus Liebe; fürchtend, aber um ihre Mutter; das Leben liebend voll der reizendsten Ansprüche darauf, aber entschlossen, dies Leben, diesen schönen Leib wie eine Chrysalide abzustreifen, hinzuwerfen und als Psyche, als ein Engel davon zu schweben.

Fahre noch einen Shawl lang näher zum Ufer, Otremba, sprach sie, – und ich wiege den Kahn um!

Und so auf dem Sitz stehend und von der Nonne vertreten, wollte sie kein Wort von ihm hören und seufzte nur: O meine Mutter! du wirst sogar ohne den schmerzlichen Trost sein, dich über deine Tochter auszuweinen und sie zu begraben!

Otremba ließ die Ruderer halten. Das Boot stand. Und im Angesichte dreier Städte mit Hunderttausenden bevölkert, dennoch hülflos, mußte Chiorli ihn wenigstens anhören, wozu die Nonne ihr rieth.

Daß diese vier Verkleideten meine Freunde sind, darf ich nicht erst sagen, sprach er stammelnd vor Leidenschaft; sehet ihren Haarwuchs (die jungen, kräftigen Männer nahmen, das zu beweisen, ihre Turbans einen Augenblick ab)! dort stehen meine Pferde, die uns, so Gott will, weit hinein in das Land tragen, wo niemand uns kennt. Dort sollst Du mein sein, o Chiorli! Niemand weiß es ja dort, daß Du mein Weib geworden – hier schämst Du Dich meiner vielleicht. In diesem seidenen Beutel ist mein ganzes Vermögen – ich bin reich, und doch arm ohne Dich. Mein Bruder weiß nur, daß ich seine Handlung verlasse. Dieser Fremde hier wird bestätigen, daß ich Dich gezwungen, mit mir zu gehen, daß Du nicht mit mir geflohen! Die Nonne auch wird es sagen, und daß sie Deinen Ruf rettet, schenk' ich ihr hier diese kostbaren Ringe! hier, siehe sie an, ob sie echt sind.

Er reichte ihr die Ringe hin, in der Meinung, sie sei ihm gewogen, oder sie erst zu gewinnen; und wirklich besah sie die fromme Schwester mit düsterem Blick und hatte den schönsten schon angesteckt.

Chiorli aber riß sie ihr aus den Händen und warf sie ins Meer. Und die Nonne sprach schnell einige Worte zu Chiorli.

Die meisten Reisenden nehmen aus dem Morgenlande von den Frauen nur ein Bild mit, wie von mechanisch-künstlichen Puppen, von schönen Augen, oder Gesichtern – selten werden sie ihnen lebendig. Hier aber erblickte ich nicht nur Leben, sondern die Jungfrau erschien mir als ein himmlischer Geist, voll Adel und Würde im Innern wie im Aeußern, gleichsam in Schönheit gebadet. Sie fing meiner Seele an zu leben, auf mich und in mir zu wirken. Schon lange zwar hatt' ich gebrütet, wie ich in meiner Lage ihrer Freiheit beistehen könne, aber ich war und blieb auch jetzt auf das Wort beschränkt. Doch richtete ich mich mit den gebundenen Händen auf die gebundenen Füße und drohte Otremba mit beiden Fäusten, alles Unglück der Erde, alle Rache des Himmels auf ihn herab beschwörend – aber er rieth mir fast spöttisch zu Ruhe, denn er merke wohl, daß mir Chiorli günstiger sei, als ihm.

Ich erröthete.

Uebrigens könne er mir zum Troste sagen: daß sie nun wirklich versprochen sei und nach Venedig zu schiffen gedenke mit ihrer Mutter, wo seine Remete verderbe! Daß Chiorli die Seine nicht werden wolle, das würde er gut sein lassen, aber auch dann nur erst, wenn er müsse; aber jetzt müsse er nicht! Daß ein Anderer aber sie je besitzen solle, das sei ihm unerträglich, und er berufe sich keck auf das aufrichtig gestandene Gefühl jedes nicht aus Holz geschnitzten Liebenden. Und so befahl er, ans Land zu setzen.

Meine Erinnerung besiegte mich; aber wie diejenigen Menschen, die Unrecht haben, meist am aufgebrachtesten sind und am meisten toben, indeß die mit dem Rechte im Herzen am ruhigsten sind, oder gar schweigen: so tobte ich, wiewohl vergeblich, gegen ihn.

Dagegen warf ihm Chiorli nun gelassen vor: daß er sie nicht liebe, nur sich! wie könne er sie sonst von ihrer Mutter hinwegreißen, die ohne sie leben und sterben solle. Wäre ihre Mutter nur mit, dann – –

Dann? frug Otremba entzückt. Wir steigen ans Land, wir begeben uns in ein Haus, ich schicke hinüber: Du seist krank geworden, mein Engel – die Mutter kommt und dann –

Dann! wiederholte jetzt Chiorli und sah ihm mit düsterem, aushaltendem Blick in seine immer freudestrahlenden Augen.

Alle schwiegen. Das Boot legte an. Sie stiegen aus. Ich war losgebunden; wir setzten uns unter mildrauschende Lärchenbäume, unzählige Nachtigallen schlugen, und die drei Pferde kamen herbei. Otremba sagte dem Führer einige Worte und sandte dann zwei seiner Freunde in eines der nächsten der fernen Häuser. Chiorli aber lag wie betäubt mit dem Haupte der Nonne im Schooß. Ich begehrte zurück zu schiffen mit den zwei zurückgebliebenen Freunden; aber Otremba traute mir nicht, daß ich der Mutter nicht die Wahrheit verrathe. Die fromme Schwester kam herbei. Während wir nun darum streiten, wer die Mutter der Chiorli holen soll, bleibt Otremba, den Blick nach dem Meere, wie ein Marmorbild stehen, die Lippen beben ihm, seine Füße zittern und mit ausgestreckten Armen sinkt er in das Gras. Ich sehe hinaus – da steht das entschlossene Mädchen im Kahn, der schon unerreichlich im Strome des Meeres dahin saust! Der Strick, den sie heimlich gelöst oder abgeschnitten vom Baum, schleifte nach auf den Wellen· Sie selber stand, das Gesicht von uns abgewandt, eine Ruderschaufel mit beiden Händen die Quere haltend. So glitt sie schweigend hin auf den murmelnden Wassern, ein ängstlicher und doch auch freudiger Anblick.

»Schön! – hochpreislich!« sprach die innerste Seele in mir, die, wie in jedem Menschen, Gefahr und Tod nicht erwägt, ja nicht kennt und sich himmlisch freut, wenn sie ein Wesen gewahrt, das unsterblich lebt, so recht mitten in dieser vergänglichen, bang sich bedrängenden Welt. Ja, ich will ganz aufrichtig sagen, wie ich mich empfand in diesem, den Goldgrund des Lebens aufwühlenden, Gedankensturme. Mit einem nur jetzt verzeihlichen Entzücken übersah' ich, daß kein Schiff, kein Nachen da drunten schwebe, die sie erreichen – kein Schiff nachsegle von oben, das sie einholen und aufnehmen könne – daß sie also verloren sei, daß der Kahn gewiß, in Nacht und Wind einsam dahingerissen, irgendwo da drunten an einen Felsen geworfen, zerschelle und sie nun versinke und still nun dahin treibe, schön und todt, errettet und doch auch geprüft bis zum ernstesten Worthalten! Denn der Himmel fordert mit Recht allen guten Glauben an ihn von uns, aber die Menschen scheinen durchaus keinen Glauben bei ihm zu genießen, und er fordert in der Schlacht unerbittliche Beweise vom Muthe der Krieger durch ihren Tod, und selten geht eine große That ohne scheinbares Unglück zu Ende. Aber der Thäter derselben wird durch dies scheinbare Unglück erst wirklich der Glückliche, ja der Selige, und rasch auf Engelsarmen zum Himmel getragen. Und so sind oft gerade die besten, weichherzigsten Menschen am übelsten zufrieden, wenn ein solches Unglück sich nicht vollendet, wenn die schöne, kranke, einzige Tochter einer frommen Mutter nicht stirbt; wenn ein Retter nicht umkommt, oder ein anderes Unglück bei einem Haare vorübergeht. Denn wenn den Menschen als sterblichen Mitgenossen des Lebens auch schaudert, so reißt sich doch vor ihm zugleich der Himmel auf; eine Engelshand hat zwar hinab gelangt, doch das edle Haupt nicht ergriffen, das Heilige, Große, Erhebende nicht erfüllt – gleichsam die Glocke des Himmels nur mit leisem Finger zu leisem Klange berührt, nicht zu erschütterndem Hall! Der Mensch ist göttlich, unsterblich – sonst wäre er rasend, so zu denken, wie selbst das gemeine Volk denkt und gern hört, das Alles als Geschichte oder als Mährchen hochherzig vollendet und ausführt, was die Wirklichkeit nur gemein beschlossen.

Wenn ich mich nun auf ein Pferd schwang, in das Meer stürzte, das Boot fing, sie, die Bewunderte, ans Ufer zog: so konnt' ich zwar sie retten, aber ich konnte auch dabei, ich weiß nicht wem? – vielleicht dem schönen, herrlichen Mädchen zeigen, daß ich mehr als ein Mensch war, oder werden könne, wenn ich, wie wahrscheinlich, umkam. Sie könnte um mich weinen! das hatten solche himmlische Augen auf Erden noch nicht gethan, sie konnte mich lieben im Tode; – hatte Otremba nicht gesagt, daß sie heimlich mir wohler wolle als ihm? Und aus nie vollendeter Sehnsucht, aus erwachender Liebe, kurz aus Menschlichkeit stürzt' ich ihr nach auf dem schleunig ergriffenen Rosse. Aber ich war ihr am Ufer vorausgesprengt, und hineingeschwommen erwartete ich sie, wie sie daher auf mich zukam.

Aber auch Otremba nahte auf dem anderen Pferde jetzt seitwärts im Meer der Entflohenen. Jetzt war der Kopf des Pferdes an ihrem Boot, aber sie stieß es mit dem Ruder hinweg; es brauste und schnaufte. Er trieb es gewaltsam hin, es gewann, aus eigenem Trieb, sich zu retten, durch die Anstrengung aller Kräfte, fast nur mit den Hufen der Vorderfüße den Bord, und so hängend, schwamm es am Boot mit fort. Chiorli rang die Hände, in Otremba's Gewalt zu fallen. Sie drohte ihm, was ihr leicht war, ihn selbst in die Wellen zu stoßen, wenn er nicht gelobe, sie frei zurückkehren zu lassen. Aber der Liebende, jetzt erzürnt und das Aeußerste wagend, antwortete nicht und gelobte nicht und rief nur: Ein Thor, der von Weiberthränen sich rühren läßt! Er erreichte den Rand des Bootes mit der rechten Hand, verließ den Rücken des Pferdes, gelangte dann hinein zu ihr, hob ihm die Vorderfüße aus, und es sank rückwärts, tauchte unter, kam wieder empor und suchte das Ufer. Otremba hielt Chiorli umfangen. Aber umsonst. Denn kraft- und athemlos – sank er an ihr langsam herab, bis er im Kahn liegend mir nicht mehr erschien. Jetzt waren sie mir nahe. Aber ich, mit dem Gesicht schon die Zeit her zur Stadt hinauf gewandt, sahe eine Feuersbrunst in Pera aufsteigen, gerade in der Gegend, wo wir alle wohnten. Wie die goldgefüllte Blume, die Königin der Nacht, nur in der Nacht blüht in voller Schönheit, so erlangen die purpurnen Flammen ihr ganzes, furchtbar schönes Dasein nur in der Finsterniß; der Mond am Himmel, den sie auslöschen durch ihre Kraft, machte sie nur grauser. Jetzt aber, im klaren Sonnenscheine, fuhren die Flammen nur wie bleiche Geister empor und blieben doch in immerwährendem Verschwinden. Desto fürchterlicher erschien die schwarze Brandrauchsäule, braunroth besäumt, gegen den blauen, heiteren Himmel wie ein ungeheurer glühender Stamm, der droben eine breite, schwarze Baumkrone trug; und die sich stellende, ruhende Wolke lag schwarz wie eine große Satanshand voll zermalmter Habe der Menschen, und noch immer davon sichtbar anschwellend, über der brennenden Stadt. Das Prasseln und das Geschrei scholl schrecklich so leis und so dumpf herüber, und im Meere hing das Ufer gespiegelt, und der Flammenbaum mit der Krone ins Meer gepflanzt, und die habevolle Satanshand verkehrt im Meere sich bergend und kühlend; und droben und drunten quoll der Rauch auf uns zu und floß wie ein Lavastrom des Himmels – und der Unterwelt.

Feuer! schrie ich das düstere Mädchen an. Schaue nur! Du gehörst noch Menschen, und Menschen gehören noch Dir.

Sie schaute um. Und der Anblick überwältigte ihre Seele. Zurück, zurück! sprach sie angstvoll. Und mir nun erlaubte sie stumm, sie zu retten. Jetzt! und mit ihr sogar ihn. Mit Mühe ergriff ich den Strick, emporgeschrieen und mit Widerstreben half Otremba im Boot wie ein Träumender rudern, und nach einiger Zeit erreichten wir weit unterhalb unserer ersten Landungsstelle das Ufer.

Hier stand schon die Nonne, die, den Rosenkranz in den Händen, Gebete sprach; wahrscheinlich erst Hülfsgebete, jetzt Dankgebete, in denen sie sich nicht stören ließ durch unsere Ankunft, sondern während derselben in das Boot stieg, sich zu Chiorli setzte, die darin blieb, und sie umarmte. Das Feuer, dort so schädlich, gewiß angelegt und noch größeres Unheil anlegend, hatte einen wohlthätigen Einfluß hier in der Ferne geübt. Die vier in Türken verkleideten Armenier, durch gleiche Gefahr gesammelt, empfingen uns schon hier drunten; das Abenteuer war von dem Androhen wirklichen Verlustes bei ihnen zu Schaum geworden – sie stürzten auf die Ruder. Der Führer der Pferde, die er wieder ergriffen, ward kaum mit einem Worte bedeutet, und so strichen wir schweigend der beklemmenden, aber großen Erscheinung und dem freien Walten des Elements in der Prachtstadt, oder der Stadt nur vorzugsweise genannt, entgegen.

Das nochmalige stille Bekämpfen, Bedenken und Verwirken der Begebenheiten, so wie der Außenwelt, ist nun das Hauptgeschäft des Menschen, und das eigentliche Leben, weil er da mit Freiheit nach seinem Charakter empfindet, wählt, beschließt und glaubt, glücklich oder unglücklich zu sein. In solchen Stunden thut das Herz seine wahren Thaten; wie er vorher gut war, kommt jetzt ihm zu gut; wie er sich nicht beherrschen gelernt, so macht er sich selbst und andere dann gleichsam mechanisch unglücklich; denn in späten Tagen ist er nur sein eigener Bote, der in dieser Stunde seine Aufträge empfing! So behält ein Schwert fortan seine Weiche oder Schärfe, die ihm in jener glühenden Stunde gegeben wurden. Otremba schien erweicht, Chiorli gehärtet. Leider war ich hier ein Menschenkenner! Ich wußte, wie beiden zu Muthe war. Mir war so geschehen, wie dem Otremba; Clara hatte mir so gethan, wie Chiorli – und welche Menschen in dieselbe Gluth versetzt sind, von denselben Empfindungen und Gedanken erfüllt, ob hassend oder liebend, an derselben Lage, Noth oder Schicksal Theil nehmen, die kennen einander und erkennen andere wieder in anderer Zeit! Und so vergab ich ihm, daß er aus Vorsicht mich unthätig gemacht, wie ich es gethan hätte, wenn ich dadurch meine Geliebte vermeint zu erwerben; und wie ich sie nicht erlangt, und er nicht, tröstete ich ihn, nahe zu ihm gerückt, aus meinen Erfahrungen: Hat ein Mensch geliebt, so hab' ich geliebt. Ich konnte keine Zeit, keine Zukunft ohne die Einzige denken – und doch leb' ich in schon geraumer Entfernung ohne sie; und ich kann jedem unglücklich Liebenden zum Troste sagen, und jeder eitlen oder befangenen Schönen zum Aerger, daß ich erst Tage lang – und alle Monden, alle Wochen immer mehrere Tage lang, alle Unbill, die mich betroffen, vergessen – rein vergessen, daß meine Clara mir nicht in der Welt war. Soll das blos die wahre, die einzige Liebe sein, die glühend, aber unerwiedert doch fortglüht; schmachtend, aber verschmäht fortschmachtet, und ohne alles andere Gefühl, ohne Selbstgefühl, das Herz verzehrt, so meine ich doch: das ist nicht die wahre Liebe, weil sie einseitig und hoffnungslos ist, sondern es ist die unglückliche! die aus sich selbst das schön und gut macht, was sie liebt, unbekümmert um die Erkenntniß des Gegenstandes und die Erfahrung von ihm. Nur in der Täuschung ist Unglück. Aus dem Unglück aber darf und soll der Mensch sich retten, wenn auch nicht aus der Liebe; so sage ich doch: der Mensch soll nicht Liebe erzwingen wollen, sondern fremden Willen ehren, und bestimme er das schwächste, schwankendste Geschöpf oder – Mädchen! und denken soll jeder, sobald er kann, daß man im Leben liebt, um des Lebens willen; daß man den Zustand, wo man im Herzen so selig war, fortbewahren kann – so lange man kann, und jeder kann es und wird es, so lange ihm nichts nöthiger, herrlicher, lebendig erscheint. Aber auch das soll er denken, daß der Gegenstand unserer Neigung sich oft bis zum Unkenntlichen verändert, wenn nicht ganz verwandelt, daß mit dem ferneren Leben unsere Gefühle wechseln, und daß man aus dem Grunde meist sehr unklug den Gegenstand seiner Liebe flieht – wie ich that und nun hier bin – weil man alsdann auch ihn nicht wechseln sieht, nicht sieht blässer, älter, reizloser, ja reizlos werden. Und das Alles wäre doch auch geschehen, wenn wir ihn erworben. –

Glauben Sie, daß Sie mir leid thun! sprach Otremba, mir die Hand drückend; nichts beklagenswerther und des Glückes würdiger, als die Weisheit, welche die Tochter des Unglücks ist! die weiß ganz besondere Künste, das Glück zu Wasser zu machen. Am trüben Tage spricht sie: die klare Sonne wäre ja auch untergegangen! und wenn ihr alle Blumen verblühten, spricht sie: sie waren ja Erde! Aber, o Herr, das Schwebende, das zwischen dem Handumwenden das Duftige, Würzige im Vorübersäuseln des Luftstromes, während wir auf schwankendem Schiffe am glücklichen Arabien der Erde vorübersteuern – das ist's ja allein, was den Namen Leben verdient. Setze mich mitten in einen großen See, der unter mir unmerklich ausläuft in unerforschliche Tiefen, – und nur Menschen und Freuden umher, die mit mir allmälig sinken in die immer nackter und öder aufsteigenden Ufer, und ich will denken: ich lebe! Denn der unter uns sich verlierende See ist das Leben! Aber die Weisheit, die Tochter des Unglücks, sitzt schon in dem Schlamm des Bodens, allein mit ausgeweinten, freilich nun trockenen Augen, und glaubt doch heimlich, die Wasser werden hervorquellen und sie erheben, wo sie gleich ist – anderen Menschen. Die wahre Weisheit ist die Mutter der reinen, schönen Menschenfreuden, ihre Spenderin und Bewahrerin. Ich – ich bin nicht gemacht, ein Unglück und ein solches Unglück zu tragen, nicht aus Schwäche, sondern Stärke des Gefühls, des vorempfundenen Besitzes; nennt es Neid, Angst, Rache, Verzweiflung – nur vergeßt nicht den Namen Liebe dabei!

Die Sache war also noch nicht aus, sie drohte nur erst mit Unglück, und wahrlich! selber dem Brande gegenüber verlor ich nicht die Neigung, den Brand in seiner Brust zu löschen.

Näher gekommen, sahen wir, daß unsere Wohnungen nicht brannten, nur die anderer unbekannter Menschen! Und so konnt' ich Otremba noch eins zu erwägen geben: Sehet, diese Chiorli da, schlage ich das Auge nieder, wenn sie mich anblickt? erröth' ich? schlägt mein Herz, wenn sie mit lieblichen Lippen zu mir spricht? – Ich unterscheide sie nur von anderen Menschen wie eine Knospe von allen anderen Knospen – ihr Duft, ihr Werth ist mir unbekannt, und wenn sie aufblühte – mir aufblühte, sie würde mir nur eine Rose sein, wie Tausende in einem Sommer auf Erden verblühen. Sehet, und so ist das größte Uebel, wenn man seine Geliebte nicht erlangt, nur dieses, daß uns das Herz abblüht, sich schließt im Frühling unseres Lebens, als wär' es schon Herbst, und daß dann alle anderen schönen Weiber uns reizlos und gleichgültig werden, ein undankbares, freudeloses Geschlecht – denn unsere Liebe war freilich eines lebenslänglichen Lohnes durch ihre Person werth – ein Geschlecht, das zwar ohne Schuld ist an unserem Leid, doch nicht mehr beachtet! – wie mich selbst Chiorli nicht reizen kann, wie ich sie nicht schön und ihre Liebe nicht absonderlich finden kann!

Chiorli, die schon vorher ihr Gesicht gegen die Flammen gewandt, sahe bis zu diesen gewiß gehörten Worten düster vor sich hin, und ihr Blick flog jetzt gleichgültig an mir vorüber.

Otremba aber, der unter seiner Chiorli sich kein fremdes, ungeliebtes Mädchen vorgestellt, meine Ansicht also nicht gefaßt hatte, lachte laut und sprach: Wenn nur dieses das größte Uebel ist, sie nicht mehr schön zu finden, so bin ich damit ganz königlich zufrieden!

Besorgt um ihn frug ich nur noch, ob er nichts zu befürchten habe, daß er wieder mit herüber gekommen? Aber er antwortete nur: welche Frau wird hier ihre Abenteuer erzählen! Stambul ist das Carthäuserkloster der Liebe. Und die Nonne behält ja den Ring.

Wir legten mit Mühe im Hafen an, wo wir hörten, die Wohnungen der echten Armenier seien in Asche gelegt von den abtrünnigen Armeniern. Wir verließen die vier Gefährten und wanden uns durch das Gedräng und Getümmel der Menschen nur langsam die Straßen hinauf. Der Wind hielt das Feuer von dieser Häuserreihe ab, und selbst Rauch und Gluth war wenig beschwerlich. So brachten wir, Otremba und ich, die beiden Frauen glücklich nach Hause. Zum Abschied bat er nur um einen Blick, eine Hand von Chiorli. Sie reichte sie ihm, doch sprach sie dazu mit gezwungenem Gleichmuth: aber zum Abschied auf immer, auf Nimmerwiedersehen! – dabei sah sie ihm, die Lippen nur leicht zu Spott verziehend, ins Auge.

So ihre Hand haltend, blickte er von ihr zur Seite, eine Erscheinung im Auge, über welche bei uns ein Land in Entsetzen gerathen wäre, und die ganze Bevölkerung einer Stadt die Flucht ergriffen hätte. Hier aber blieb Alles in seinem gefaßten und unter allen Umständen bewahrten Schweigen. Die Menschen, welche die Straße füllten, traten still auf die Seite. Keiner rief, für den Andern besorgt: vorgesehen! oder: aufgeschaut! So entstand nur immer ein kurzer leerer Raum vor den zwei schwarzen, mit verbundenem Munde einherschreitenden Männern, die in einer verschlossenen, mit grüner Leinwand bezogenen, länglichen Kiste einen Pestkranken in Gewahrsam trugen. Der Arme war gewiß ein französischer Offizier der letzten Armee gewesen und lag in der Hitze des Fiebers; er commandirte laut und mit äußerster Anstrengung, als sollte ein Ort gestürmt werden, den er zu vertheidigen hatte.

»Macht Euch fertig! – schlagt an! – Feuer! – Ah! – Wer hat nach mir geschossen? – ich falle! ich bin todt! – Nur fort! – Schlagt an! – Feuer!« – und unter barbarischen Flüchen auf seine Leute, die schlecht ihre Schuldigkeit thaten, ward er vor unseren Augen vorüber getragen. Otremba aber redete jetzt zu unserem Erstaunen zu dem commandirenden Offizier und schrie ihm laut zu: »Nur zu! hinein! ich folge! Wir folgen Alle! Macht euch fertig! – schlagt an! – Feuer! Wasser! Luft! Erde!« – und wie schwindlich ging er immerfort hinter den schwarzledernen, vermummten Trägern, so weit unser Auge reichte. Wir sahen ihn noch in der Ferne, als wir hinauf geeilt waren und die Fenster aufgerissen, bis er von dem, hinter dem Getragenen sorglos wie eine Springfluth schnell wieder zusammenschlagenden und dahin wogenden, Volke gedeckt verschwand.

Wir sprachen nicht. Ich nahm Abschied auf immer von Allen und von Chiorli, denn übermorgen war die Abfahrt bestimmt. Und leise sagte ich nur zu Chiorli: Sie haben einen Unglücklichen gemacht! – und eine Thräne an den Wimpern sprach sie kaum hörbar: »und noch keinen Glücklichen!« Ich forschte bescheiden und heimlich an ihren Augen – aber die waren mit den schönen, großen Augenliedern bedeckt, – nur leicht und unsicher, wie zum Aufschlagen, – aber die Sterne regten sich und zuckten darunter.

Das schien denn abgethan und so bleiben zu müssen. Der Reisende ist eines Menschen Schatten; er scheint an einem Orte gegenwärtig, theilnehmend, liebevoll, handanlegend – und seine Seele ist vorwärts, rückwärts und schwebt nur in dem Tage, der den Eingebornen, Festbeharrenden ein wirklicher ist. Ihm ist er ein Traum, weil er weiß, daß er ihm künftig einer sein wird. Er scheint zu begehren – er empfängt, und er kann es nicht gebrauchen. Er scheint zu verschmähen, und sein Herz hat nie etwas Besseres gekannt, und seine Seele stöhnt innerlich schwer und klagt Himmel und Erde an, die so reich, so gnädig sind, anstatt daß er sich selbst anklagte. Kurz, wer sein ganzes Herz von Grund aus und vielleicht auch für Zeitlebens zerstören will, wem das Schöne gleichgültig, das immer wieder Aufgegebene, Verlorene wichtig werden soll – der reise auf lange, und anstatt Inhalt zu bekommen, hat sein Gemüth den Gehalt verloren, und seine Seele hängt wie ein goldenes, aber zerrissenes Kleid aus allen Rosengesträuchen und Marktplätzen der Fremde herum, wie in einer großen Trödelbude.

Ueberall bin ich nun gern der Erste – und der Letzte, bei allen sogenannten Gelegenheiten, die es mir sind, um die Menschen und das Erdenleben kennen zu lernen. So war ich denn auch der Erste auf dem Schiffe, das außer dem Hafen, der Spitze des Seraï gegenüber vorlag. Um mir eines der kleinen Kämmerchen auszusuchen, die so groß wie ein tiefer Brodschrank sind, stieg ich hinab in das große gemeinschaftliche Zimmer. Eine Seitenthür stand offen. Da stand schon ein wunderschönes Mädchen in Reisekleidern, den Kopf gesenkt, den Finger an der Unterlippe haltend, in Betrachtung eines Inneren, denn ihre Augen waren geschlossen. In dem Halbdunkel sah ich ihr schönes Profil, wie im Abenddämmer, aber ich traute meinen Augen nicht – und selbst überrascht und sie überraschend, sprach ich, die mir zum ersten Male aufsteigende Eitelkeit unterdrückend, auch mit unterdrückter Stimme nur halblaut: Chiorli! – Sie blieb ungeregt stehen! aber sie lächelte jetzt, immer noch mit geschlossenen Augen; Röthe übergoß ihre blendend weiße Wange, sie wendete sich ab, und ich sah nur den reizenden Nacken, das lockige, schwarze Haar. Der Anblick war allein eine ganze Reise werth.

Ich fühlt' es – auch ich war erröthet und wahrlich! ohn' es zu wollen, wie denn der Mensch nicht ableugnen noch abweisen kann, daß er eben so viel gelebt wird, als lebt. Aber unser Inneres unbetrachtet, geschieht eine unübersehliche Menge kleiner und großer Begebenheiten, tritt eine solche unzählbare Schaar Dinge aller Art, von Jugend auf und immerfort, von Außen uns an und entgegen und wirkt auf uns ein, daß unsere Seele alles gleichsam mitsingen und mitspielen muß, wie die große Weltuhr uns anspielt; und der Inhalt unseres Lebens ist sonach ein fremder, uns heimlich und leise zugeflüsterter, aber er ist nicht so ganz fremd – er ist göttlich! Wie wir nun den ziehenden Strom von Melodieen verstanden haben, so nun zwar ist unser Gehalt, unser Werth, so Gott will, aber auch voll Schwäche, Eitelkeit und Selbstsucht. Wer das besser weiß, dem gönn' ich's von Herzen. Ich wenigstens erröthete noch einmal – und jetzt that ich es gleichsam, – als Chiorli's Mutter hervortrat, mich begrüßte und sprach: wir reisen mit Ihnen! Das zweite Schiff geht zu spät, die Armenier fliehen, die Krankheit, die Allverderberin, ist ausgebrochen, und Chiorli ist nun eine Braut!

Wohl erst in Venedig, entgegnete Chiorli; und mit einem unerklärlichen Lächeln ging sie an mir vorüber und hinauf, die Reisegefährten ankommen zu sehen.

Das that ich nach meinen Geschäften auch. Der Tag war wundervoll, der Himmel glänzte, das Meer schimmerte und spiegelte in seinem blauen Spiegel die Stadt, die goldenen Spitzen der Thürme, die Cypressen – und doch hatte die Erde so etwas Betrübendes, Weichstimmendes, Nichtiges! Denn die Stadt schien und war doch nur – ein Nest! ein großer Khan! denn zum Beweise kamen in Booten aus allen Gegenden der Stadt: hier ein alter Jude, dort eine einsame alte Frau, dort Mann und Frau und Kind – unglückbange Armenier, die ausflogen aus dem Nest, wie sie das Leben drängte, über dem Meer ihr Glück, ihr Leben und ihre Heimath zu suchen. Alle kamen still, stiegen stumm herauf und wandelten durcheinander auf dem Verdeck, jeder in sein Schicksal und seine Hoffnungen versenkt, bunt zusammengewürfelt. Wer aber auch in den letzten Minuten kam – das war Otremba mit seinem Bruder. Sie legten an, sie stiegen herauf. Chiorli kam erst wieder hervor – vor Schreck zitternd, hatte sie sich verborgen – als der Bruder der Mutter versichert: Otremba komme nur, Abschied zu nehmen, sie um Verzeihung zu bitten, ihr ein Andenken zu bringen und, wenn es vergönnt sei, sie noch einmal auf Erden zu sehen.

Welchen andern Eindruck aber würde Otremba's Erscheinung auf uns gemacht haben, wenn wir schon damals gewußt, daß der verschmähte, verwogene junge Mann mit gebrochenem Herzen und zerstückten Sinnen erst bewußtlos, dann mit einem tödtlichen Entschlusse dem im Wahnsinn der Krankheit laut commandirenden Franzosen bis in die... Sterbeanstalt gefolgt war! Daß er dann aber, mit frevelnder Wendung, die schöne Geliebte aus unbesieglichem Neid, in welchen sich seine vergällte Liebe verwandelt, keinem Andern gönnen wollte! Wie Mancher hätte vielleicht das reichste, schönste Mädchen doch nicht zum Weibe genommen, wenn sie – ohne ihn – nicht eines Andern geworden wäre. Das ertragen Halbliebende nicht, und Ganzliebende am schwersten. Hier sollte diese Mißgunst, durch die Personen und Umstände verstärkt, eine Ehe zerstören. Ihm war kein anderes Mittel geblieben, einen Andern nicht unaussprechlich selig mit ihr, bei ihr zu wissen. Auch machte er durch diese Auskunft seine Schwester Remete glücklich! So hatte er sich um ein großes Geschenk, wie Romeo vom Apotheker, Gift verschafft, die Pest, die er in eine Baumwollennuß verschlossen, vorsichtig verwahrt und, auf die weibliche Eitelkeit trauend, schlau und fast unfehlbar angewandt hatte.

Und nun war er im Schiff! Aber der Unwissende ist der Ruhigste; und so waren es wir.

Otremba stand stumm und mit furchtbarem Ausdruck und wiederum wie ein Halbtodter neben seinem aufrichtig ihm wohlwollenden Bruder. »Der arme Mensch!« sprach die geschmeichelte Mutter. – Und ihr zeigte Otremba jetzt in einem kleinen, rothen, mit Baumwolle gefütterten Kästchen zwei große, große längliche Perlen in Gold gefaßt zu Ohrringen. Ja, sprach die Mutter, solche hat noch Chiorli zum Brautschmuck gewünscht und um sie gehandelt, aber Jemand hat sie ihr ausgekauft.

Der Jemand war ich! meldete sich Otremba – um ihr eine Freude zu machen! Möchte sie meiner dabei gedenken!

Nun mußte Chiorli herzutreten. Sie that kaum einen Blick auf die Perlen, keinen auf Otremba. Erst, als sie andere Frauen gelobt, geschätzt, und als ich ihr leis mit den Augen winkte: da nahm sie das kleine Kästchen, aber nur, um es aufzuheben und hinunter zu tragen – und kam nicht wieder.

Otremba gab mir indeß einen Brief an seine Mutter, den ich ausdrücklich nur selber erst überreichen sollte – wenn ich es könnte. Ich versprach ihm das als sein Freund! Darauf wartete er lange vergeblich auf Chiorli mit immer steigendem Haß, immer verzweifelterem Schweigen, und murmelte endlich nur die Worte: Ich habe schon Recht! Es mag so sein! – Thränen stürzten aus seinen Augen, er eilte hinweg, aber entweder vergessend, wo er war, oder mit Willen, schritt er hastig durch den wie eine Thür noch offenen Theil des Bordes – ins Meer. Alle schrieen laut auf. Es ward Bewegung. Da kam auch Chiorli; sie sahe hinab. Otremba, bis an die Brust im Wasser, hielt sich mit beiden Händen an den Rand eines der Boote, so daß nur sein Kopf uns erschien. Er gewahrte die Geliebte; er starrte sie an; so blieben sie lange. Da ließ er – immer die Augen auf sie geheftet – langsam beide Hände los, und so sank er gerade, mit aufwärts gewandtem Gesicht und immer noch offenen Augen, in dem klaren Wasser noch lange sichtbar – ins Meer, und als er verschwunden war, schrieen erst Alle – bisher wie gebannt – nach Hülfe.

Bei schon gelichtetem Anker und blähenden Segeln gab der Capitain so viel Zeit, ihn zu retten, was den Matrosen nur gewöhnliche Anstrengung kostete, die eines mit ausgeschütteten Löffels wegen im Hafen auf den Grund des Meeres tauchen. Und so legten sie den wassertriefenden Otremba in den Kahn, in welchem ihn schon sein Bruder ängstlich und jammernd erwartete. Im Schiff war keine Hülfe; und so ruderte das Boot, schnell und stumm wie ein Fisch, zur Stadt. Uns entführte der Wind und der Strom in den heiligen Hellespont, der einst Leander's Leiche gewälzt. Noch waltet die Liebe! Und die Welt ist keinen Athemzug älter geworden seit jenen Jahrtausenden.

So mußte Alles kommen, daß eine gründliche Veränderung in mir vorgehen, ein neues Leben aus dem Kern meines Daseins aufschlagen konnte, oder doch, daß ich mein altes Leben und Lieben und Leiden vergessen, rein vergessen konnte. Chiorli war zwei Tage nicht erschienen. Jetzt hatten wir in der Troas, in Khumkalessi, angelegt, um das Schiff bei dem Consul richtig zu machen. Wir gingen indeß in das heitere Gefild. Nicht fern saßen die Frauen – und Chiorli; ich las den Homer. Aber nun glaube das Jemand oder Niemand – Schiller's Siegesfest, das ich auf die letzten Gesänge der Ilias als Dessert am Mahle des Alterthums genoß, überbot den alten Sänger mir spätem Wanderer hoch, leidvoll hoch, durch die aus ihm selbst gesogene Wehmuth, mit welcher der Neue das Alte anschauen muß. Ich war außer mir. Und nun die Worte:

                   

Darum laßt uns heute leben!
Morgen können wir's nicht mehr;

welche Kraft gaben sie mir. Ich weinte mich aus. Chiorli trat einsam zu mir und frug, was mir sei? was ich lese? Nun mußte ich ihr die Worte übersetzen, sie sahe mir lächelnd dabei in die Augen, und auf diesem Gefilde der Vergangenheit stand sie, blühend, zauberisch schön, begabt mit aller Herrlichkeit der uralten Natur, mit allen Wundern des Himmels im Herzen. Das überwältigte mich geheim. Ich errieth sie noch nicht, sonst war' ich verschwebt vor Entzücken; ich errieth mich noch nicht, sondern ich stand nur auf – wozu sie mir noch freundlich die Hand bot – und verließ sie, in die Gebüsche wandelnd.

Vielleicht glaubte Chiorli von diesem Tage an, ich liebe sie; und wie reine, edle Liebe lieber gar nicht erscheinen und sich kundgeben will, als eben auch rein und edel, konnte sie denken, ich wolle meine Liebe verbergen, weil sie Braut sei, und mich verachten müsse, wenn nur ein sehnender Blick mich verrieth. Und verachtet wolle ich nicht sein! Die Ehre ist das Element der Liebe, in dem sie nur leben kann; sie ist gleichsam ihr Herz – es setzt nur einen Pulsschlag aus, und sie stirbt auf ewig. Und wenn sie mich liebte, mußte ihr eben auch Alles daran liegen, daß ich schwiege. Wenn ich aber dann litt, verdiente das aus Dankbarkeit für die Anerkennung ihrer Schönheit all' ihren Trost durch Milde der Seele und Nahen dieser ihrer schönen Gestalt. Und darin lag doch wieder der heimliche Wunsch, geliebt zu sein, der mit der Ehre besteht. Wenn ich sie nicht liebte, liebte sie mich. Wenn ich sie liebte, liebte sie mich nicht. So hob sie doch wieder die Liebe in mir auf, wenn sie nun auf der ruhigen Fahrt auf dem Meere doppelt freundlich gegen mich war! mit mir die Sonne untergehen sah und den Mond auf, und in heiteren Gesprächen in meiner Nähe verweilte, bis unser Haar feucht geworden vom Nachtthau, und die Mutter – nicht ihr rief, sondern nur still herzutrat und sie am Kleide heimlich zupfte. Und doch konnte das sinnige Mädchen nicht lassen, in ihre »gute Nacht« an mich einen Spott, eine Schlauheit und einen Reiz zu legen, die mich zwangen, noch eine Stunde bei Sternenlicht hin und her zu gehen, oder in das Meer zu blicken, wie es um die immer unruhige, immer strebende Brust des Schiffes feurig leuchtete, und das Feuer fort floß, verrauschte und erlosch. Wie viel Mal schlief ich so ein!

Wie ich nun vorhin sagte, daß wir gelebt werden, daß die Natur in fortwährender Verwandlung wenigstens gewiß den Einschlag in das Gewebe, in unser Leben giebt, und daß sie durch die eiserne Bestimmung: was wir in die Empfindungen aufnehmen, meinetwegen ihm unterliegen oder obsiegen sollen, auch meist dadurch bestimmt: wie wir empfinden sollen, indem sie geheim in unserem Innern auch die Kette der Geister hält und gewebt hat – so erfuhr ich aufs Neue. Denn allein im Menschen kann sie Neues hervorbringen, nicht in der Außenwelt; und eine Thräne, über unser eigenes Schicksal geweint, kann etwas in der Welt ganz Neues, nie so Dagewesenes sein.

An einem Morgen waren wir um das Vorgebirge Malea geschifft, und in Gottes herrlichstem Sonnenscheine, in seiner reinen, herrlichen Welt befanden wir uns auf einmal mitten – unter Klephten. Seeräuber! scholl es dumpf im Schiffe. Unsere zwei beklagenswerthen eisernen Kanonen wurden geladen. Die Männer eilten hinunter, die Gewehre wurden von den Wänden gerissen, geladen, die Säbel umgeschnallt, und so waren wir entschlossen, barbarischer zu sein, als die Barbaren, die in neun oder zehn Mistiks mit rothen Segeln uns umschwebten, dem Anscheine nach ruhig, wie Fischer, die emsig nach ihrem Gewerbe aus waren. Wir Männer eilten auf das Verdeck und legten uns mit klopfendem Herzen und flammenden Augen lauernd und harrend leis auf den Bauch. Die Frauen hatten vor Angst sich eingeschlossen, namentlich auch Chiorli's Mutter, die man dringend zu einem anderen Weibe begehrt, das vor Schreck die Schiffsmannschaft durch ein kleines Kind vermehren wollte. Der Capitain rief mit dem Sprachrohr die Boote an und frug: warum sie das Schiff umzögen. Keine Antwort. Sie hielten sich auf ihren Stellen, und der flaue Wind trieb uns langsam in ihren Halbkreis. Zum Kampf war ein Augenblick Zeit – Chiorli hatte ich nicht gesehen. Sie war gewiß allein, ohne Rath, ohne Trost! Und wirklich, sie lag in ihrem Zimmerchen allein, das Gesicht in die Kissen gedrückt, aus tiefer Brust nur stöhnend. Ich setzte mich zu ihr auf den Rand des Bettes, ich legte die Hand auf ihr Haupt voll innigen Bedauerns solchen schönen Wesens, das so jung nun das Schönste – seinen Kopf, verlieren sollte, – denn gewiß wurden wir wenigen Männer überwältigt, gewiß wurde dann, wie unser aller, ihr weißer Nacken auf den Bord des Schiffes gelegt; ein Säbelhieb, wie gewöhnlich, und in das Meer stürzt das liebliche Haupt mit noch offen zum Himmel stehenden Augen, und nach stürzte der junge, herrliche Leib, blutbespritzt, noch die Hände zum Gebet gefaltet. Ich sah es, ich schrie auf und bedeckte mein Gesicht mit meinen Händen.

Als mir die Besinnung wieder gekommen, fühlt' ich eine heiße Hand, die meine Hände leis wegzog. Ich blickte hervor. Chiorli's Antlitz war mir in dem Dämmer nah, ihre Augen schwammen himmlisch feucht in dem großen Weiß. Sie hatte sich aufgesetzt, sah nieder und lispelte nur: Du kommst! Und kommst in solcher Gefahr zu mir? – Sie biß mit den Zähnchen leicht auf die Lippen, sie wollte lächeln, und doch flossen ihr Thränen über die Wangen. Sie glühte mich an, ein Feuerglanz, eine Lichtgewalt überströmte mich, und durch meine Augen Seele, Haupt, Brust. Da bannte die Kraft, der Reiz und die Schönheit der Erscheinung mich, und füllte mein Herz mit unvergessenem Schauder der Jugend, der ersten Liebe! Und hier war ja erste Liebe. Sie schloß nun die Augen, wie der Himmel sich schließt, sie sank langsam zurück, und aus welchem Gefühl – ich weiß es nicht, sank mein Haupt ihr nach, meine Lippen sanken und ruhten unbewegt auf ihren, und auch die ihren regten sich nicht und küßten nicht, und doch bildeten sie aus Naturdrang, leis schwellend und sanft sich wölbend, meinen Küssen ein geheimes, himmlisches Rosenbett. Ihre Arme umwanden fest, o wie fest meinen Nacken. Aber meine Lippen ruhten, und wie ich das Zucken ihres Mundes empfand, richtete ich mich empor, meines Lebens gedenkend und ihres Lebens. Und so hatt' ich sie mit emporgehoben; und ihr Gesicht an meiner Brust verborgen, sprach sie laut zu sich selbst in ihrer Muttersprache, denn jetzt sprach ihr Herz, ihre tiefste Seele aus ihr. Unter leisem Drucke der umschlingenden Arme aber sagte sie mir die zwei Worte zu mir: »Sultanum! – Effendum!« – Also nannte sie mich ihren Herrn und Gebieter, denn das bedeuten die Worte. Du, Du liebst mich! fuhr sie fort, – ach! das wußt' ich ja, seit ich Dich sahe – und nun, nun darf ich Dir sagen – ich – ich bin keine Braut, wenn Du nicht willst, – und bin eine, – wenn Du willst. Das flüsterte sie kaum hörbar. Wer hat bei solcher Neigung sein Herz in der Gewalt, seine Züge, seine Geberden – Lippen und Arme! Wen entzückt nicht immer solche Göttererscheinung, solche Offenbarung reiner Liebe, eines ganzen Himmels gleichsam, solches Feuer, das über ihn ausgeschüttet wird, er verdiene es, oder verdiene es nicht, er verlange es stürmisch, oder seine strenge Seele stoße in der innersten, geheimsten Empfindung es von sich – wie ich! Strahlt doch selber das kalte Meer den Glanz und die Kraft der Sonne zurück, und ihr Strahl dringt durch das kalte Element warm und hell bis in seinen dunkeln Grund und belebt und befruchtet die kühlen, geheimen, wunderbaren Blumen des wie hierher in die stille, räthselhafte Tiefe versunkenen, hier fortblühenden Paradieses! Himmlische Stunde, die von den Sternen gekommen! Aber nur durch solche Gefahr, und von Bosheit der Menschen da draußen um uns bereitet. Nur furchtbare Momente geben göttliche Gefühle, reißen schlummernde, große Geheimnisse in uns auf, von welchen einst ein glückliches, gutes Geschlecht nichts wissen, nichts ahnen wird. Aber ich meine, – es wäre doch Schade darum, denn um diese wird es ärmer sein! Ich genoß sie noch in voller Allmacht.

Ueber uns erscholl dumpf Scharren und Stampfen der Füße, und verworrene Stimmen durcheinander. Das Bewußtsein der Kraft und der Pflicht des Mannes rief mich hinauf. Denn wenn ich auch zu meiner Vertheidigung kaum die Hand an den Griff des Schwertes gelegt –so war ich doch unter Menschen! Menschen in Noth und Gefahr! und das bloße allgemeine Gefühl, ein Mensch zu sein, glühte mich auf, selbst für Fremde, Ungewürdigte, wenn auch nicht Unwerthe, freudig zu sterben. Ich wollte mich ihr entreißen. – Nur noch ein Wort im Leben! sprach sie mit einer Zauberkraft, die, aus der innersten Tiefe der Natur hervorbrechend, mich bannte wie eine Stimme vom Himmel in endloser Wüste den Erdenpilger ergreifend. – Ehe dies Haupt denn hinsinkt, ehe die Augen erlöschen, die Lippen erstarren, sollen sie Dir noch sagen: daß ich Dich liebte. Es hilft Dir nichts und mir nichts mehr, nichts weiter! ach! nichts weiter. Aber vielleicht liegt in einem langen Leben, einem endlosen Lieben, einem langen, holden Beisammensein in immer verwandelten Jahren unter tausend neuen Bezügen bis in das Alter, bis in den Tod, doch zuletzt wie zuerst nichts Anderes, als das ewige innere Gefühl: ich liebe dich! Nimm denn damit vorlieb! Und wie man ein feines, feines Schleierkleid in eine Hand zusammenfassen und, wiewohl zerknittert, verdorben, es Jemandem schenken kann, so schenke ich Dir zusammengefaßt und werthlos meine Liebe! und in diesem Kusse mein Leben! Lebst Du, bewahre es fort, beides! beides! –

Und wirklich gab sie mir wie träumend die Hand, als wäre sie voll von dem Schleier, und bot mir den Kuß, aber vor Angst nur den kleinen, lieblichen, offenen Mund, wie ein kleines, rosiges Kind!

Da krachte über uns laut ein Kanonenschuß. Das Schiff stand einen Augenblick. Sie erschrak, aber in dem Schreck war sie ganz erhoben über die Welt, sie fühlte sich einsam – einsam, weil sie nun glücklich war, und glücklich – glücklich, weil sie einsam war. Und horch, da weinte neben uns ein Kind! ein jetzt geborenes! und in diese Scene fiel sanft, unschuldig und göttlich, wie reiner Blüthenstaub in die Brandung des stürmischen Meeres, sein erster Lebenslaut! wie eine junge Nachtigall ihre erste, zarte Stimme unter einem schweren Gewitter versucht. Chiorli horchte wie außer sich auf das Kind. Sie hob vor Entzücken die Hand, in den großen Augen die Thränen haltend – sie sahe mich an und erröthete – und nun trieb sie mich fort, hastig und doch in sich hinein lächelnd, ganz wieder sie selber, das vorige Wesen, und ein neues, noch schöneres! Sie durchdrang eine Hoffnung! und welche Hoffnung!

Schnell und gedrängt in Minuten geschahe das Alles.

Ich war außer mir über ein Glück – das allgewöhnliche, aber unaussprechliche Glück fast aller Menschen, das mir nicht zu Theil werden sollte auf Erden, am wenigsten von Chiorli. Jetzt, von ihr gehend, hielt ich mir vor Wehmuth über die gehörte Stimme des neugeborenen Kindes die Ohren zu! Ich begegnete Chiorli's Mutter, die mir, freudelächelnd und Thränen in den Augen vor Furcht zugleich, entgegentrat, mich segnete zu dem Gange, mir nachsah und schaudernd zur Tochter eilte. Ihr Lächeln hatte mein Herz zerrissen, und ich sank an den untersten Stufen der Treppe hin, zu schwach, zu entfernt in der Seele von allem Menschenwesen, um da hinaufzusteigen vor Mörder als Mörder. Doch Chiorli war Braut! Hätte mir das Einer an Clara, ohne daß sie noch meine Verlobte war, gethan, was mir geschehen war von ihr, ich hätte ihn fordern müssen auf Tod und Leben! Und nun hatte ich das mir selber angethan, ich hatt' es geduldet von Chiorli! Es überfiel mich bittere Scham wie einen Verbrecher, und brennende Reu', es zu rächen an mir, mich zu rächen an mir, riß mich empor, voll vom Entschluß, zu fallen im Kampf, denn es lag noch ein Edles in ihm zugleich, die Hülfe zur Rettung der Andern – und der Braut! des einzigen Wesens, das mich auf Erden geliebt. Das war doch was werth! und gewiß, ich empfand mich zum ersten Male wie ein anderer Mensch, ja so gut und so werth wie Einer und Alle – denn welches schöne Wesen hatte mich geliebt und liebte mich noch und weinte unverhohlen und laut über mich, wenn ich dahin war. Und dann durfte sie mich ja beweinen! einen Augenblick! Die Macht der Lebendigen war von mir gewichen, ihrem Bräutigam Eintrag zu thun – denn ich war nur ein Schatten, ein Traum ihr im Herzen, einen Augenblick! Dann war sie auch ein Schatten. Ich stürmte hinauf ins Licht der Sonne.

Da hatte die Scene sich schnell verändert. Alle sahen mit wiederbelebten freudigen Blicken in kurzer Entfernung einem Schiffe entgegen, das, um das Cap Matapan herum gesegelt, blos durch seine ferne Erscheinung uns Retter geworden. Die mit vielen und starken Ruderern bemannten Boote stoben hierhin und dorthin, einige nach der Insel Cythere – Cerigo – zu, andere nach der Insel Kranaë, wo einst Paris nach dem Raube der Helena zuerst mit ihr ausgeruht. Mein Gefühl, zwar noch lange nicht solcher Art, machte mir jenen alten Tag so neu, so lebendig, die treulose That des Verführers so klar – selber das schönste Weib so bedauert-gering, daß ich nun mir verhaßt war.

Unter allen den Frohen, die das Schiff mit einem: »Du sollst leben!« – »Wir sollen leben!« – mit jubelndem Rufe begrüßten, war ich der einzige Traurige. Aber es sollte bald noch eine Seele traurig sein! Es konnte nicht fehlen, daß wir mit dem herangekommenen Schiff uns besprachen, und nach den ersten Erzählungen und Erklärungen theilten sie sich auch mit: wer auf den beiden Schiffen die Ueberfahrt mache. Denn unsere Rettung ward dem Neugeborenen und vor allen der Braut zugeschrieben, nach dem frommen Aberglauben dieser Morgenländer. Und die Braut war – Chiorli! und drüben auf dem Schiffe stand der Bräutigam! der sie selbst abzuholen gekommen, weil sie sich erst auf dem zweiten Schiffe, das in vier Wochen segeln sollte, nach Venedig einschiffen wollen. Nun war sie da, er hier; und nach kurzen Unterhandlungen ward drüben ein Boot ausgesetzt, Sachen wurden hinabgelassen, ein junger Mann sprang fröhlich hinein, hörte kaum die Abschiedsworte der verlassenen Reisegefährten. Lächelnd stand er im nahenden Boot, kletterte hastig herauf in das Brautschiff, die Mutter umarmte ihn und zog ihn hinab zu Chiorli. – Aber sie war krank von dem Schreck und hatte sich eingeschlossen. Und betrübt ging der junge, gar wackere, nur etwas stolze Bräutigam auf dem Verdeck umher und musterte sich und uns. Mich aber, der über Bord gelehnt hinaus in die See sah – mich beachtete er nicht.

Die schrecklichsten Verlegenheiten sind nach zwei, drei Tagen keine, oder unbedeutend. Das Schlimmste dabei ist immer die eigene Angst, die Unruhe und Scham des Schuldbewußtseins; wir dürfen nur schlechter, gemeiner von der Welt und von uns denken, den Sarkasmus des Gewissens hinnehmen, und wir edlen Menschen sind nach einer fluchtähnlichen Reise von ein paar Tagen, oder gänzlicher Zurückgezogenheit, worin wir uns so viel wie möglich zerstreuen, wieder die alten, gediegenen, eisenfesten Seelen! Und wenn es nicht so wäre – welcher Engel wollte ein Mensch sein! oder gar, welcher Mensch ein Engel! – Nun schon selbst auf der Reise – konnt' ich nicht noch eine Reise machen! Ich suchte also die Gesellschaft – der Einsamkeit, aller Menschen vertrauter, mütterlicher Freundin, die nicht wie der Schatten zum Menschen kommt, wenn er im Licht wandelt, sondern sich wie Licht zu ihm gesellt, wenn er in Schatten gestellt ist. Bei ihrem Licht und im Umgange mit ihren Geistern brachte mein Geist heraus: Jeder Mensch wird im Leben einmal geliebt, und Jeglicher liebt einmal! Und allen Beiden ist wohl, wenn die Natur dies nur durch zwei Wesen bewirkt. Geschieht es aber durch drei, so sind sie alle drei unglückliche Menschen; und hier den neuen Bräutigam, trotz seiner Sicherheit, dazu gerechnet: Sechs wenigstens nicht Glückliche. Man bemitleidet gewöhnlich einen Ungeliebten nicht eben so sehr, weil er eines gewissen Eigensinnes und Mangels an Fassung und Kraft, die Augen über die übrige Welt aufzuthun, einer Verblendung und Selbstsucht meist zu beschuldigen sein möchte; und weil heftig sich Liebende und in der ersten Bezauberung Vereinte später im Sommer und Herbste des Lebens gar nicht so gesegnet erscheinen, wie der Frühling es anfing – wie auf eine goldene, purpurne Morgenröthe ein regniger Tag folgt. Aber man thut doch Unrecht. Dem nicht Wiedergeliebten entgeht im gewissen Sinne das ganze Leben, die Erde mit allen ihren Schätzen, die sie für den Menschen hat – weil er sie nicht aus der einzigen Hand empfängt, nicht an dem einzigen Herzen genießt, von der und an dem sie ihm erst das gewesen wären, was sie sein können – göttliche Gaben! Seine Freuden sind abgegriffene Schmetterlingsflügel, seine Güter Gemälde, die man einem Blinden schenkt; sein Leben ein Schlaf im Vaterlande, das er, wie Odysseus, nicht erkennt; und wenn er dereinst im Himmel erwacht, wer weiß, ob er auch diesen erkennt, aus Abgewöhnung der Gedanken und der Gefühle von Glück, aus erworbener Nichtachtung solcher gabenreichen, schönen Welt. Hier sollt' ich nun Alles empfangen aus der Hand der Liebenden! Die Natur bot mir Ersatz! Aber – o Natur, das weißt du ja – ich war kein Liebender! Der Glaube trennte uns nicht; sie zum Weibe zu nehmen, war möglich, war leicht, war süß – aber ich hätte alle Tage, alle Abende diese Chiorli nun meine Clara geheißen, oder, um glücklich zu sein, träumen müssen: Chiorli gewähre mir all' ihr Holdes in Clara's Gestalt – und dann lebte nur diese mir. Oder ich mußte träumen: Clara liebe mich nun als dieses reiche schöne Wesen – anders war kein Glück für mich, es war ein Traum, und der Traum war ein Unglück, er war ein Betrug an dieser – Braut, und weil sie Braut war, ein offener Raub an dem Bräutigam und ein heimlicher Raub an dem armen Otremba. Und doch fühlt' ich mich jetzt wieder recht unglücklich, und ich sprach zu mir die Ergießung eines Dulders:

Sonne stehe still!

                   

    So kurz nur soll das Leben sein?
Das sagt nur Ihr, leere Thoren;
Habt nur ein Glück verloren,
Es überkomm' Euch eine Pein –
Wie lang, unendlich bang und lang
Wird Euch das schnellste Leben sein!
Wem nicht die liebende Seele verschmachtet
Von Thränen umnachtet,
Von Wehmuth durchfacht,
Der hat nicht die Sonne zum Stehen gebracht.

    Wie oft bin ich verzweifelt, gestorben
Sogar im Traum! – und doch, und kaum
Hatt' ich ein neues Leid erworben,
Welch Leben warf das in mich ein!
Das Leid, es wollte bezwungen sein,
Und es ward besiegt, und die Seele vergnügt!
Die Freude hätte mich nicht berührt –
Durch Leid ward ich zur Welt zurück geführt.
Die Lust ist nur ein augenblicklich Haben,
Im Schmerz liegt reich die Ewigkeit begraben.

    Verzage darum kein armes Herz!
Auch seine Wonne hat der Schmerz,
Die himmlischste-längste – der bängste!
Und wenn uns Alles flüchtig und nichtig
Die Brust durchschauert – der Schmerz, er dauert.

    Lang schwebt' ich und lebt' ich
Gereizt von Euch, o ihr Erdenmächte –
Da flohen die frohen,
Mit Schwalbenflügeln, die Tage und Nächte;
Nun Unaussprechliches ich leide die Fülle –
Da steht mir wieder die Sonne stille!

Chiorli und ich mieden uns nun Tage lang. Ihr holdes Geständniß, das nur ein Vermächtniß sein sollen, war nun ein Verrath – da sie leben geblieben! Wie sollte sie mir nun erscheinen? Fortan so leben, wie wir uns verstanden – das ging nicht. Vergessen – das war unmöglich. Und so blieb nur Schweigen übrig und Gleichgültigkeit. Ich war meiner mächtig – nicht geworden, sondern geblieben; auch sie schien es wieder. Manchmal, wenn ich an einem Ende des Schiffes saß, von der untergehenden Sonne beglänzt, und sie an dem andern, mit aufgestützter Hand – sahe sie durch die Finger unmerklich nach mir. Aber ich mochte ihr nicht so golden erscheinen und rückte in die Schattung der Segel. Oder wenn wir an klaren Quellen, frisches Wasser an den Küsten ladend, ausgestiegen waren, sahe sie in die klare Fluth und sahe mich; und ich sahe in die klare Fluth und sahe sie ohne Regung der Augen – aber die ihren waren feucht, und sie ließ die Thräne auf jeder Wange mir sichtbar stehen. Und kam der Bräutigam und hielt ihr von rückwärts die Augen zu, um sie rathen zu lassen, wer es sei, der sie necke, da lachte sie wieder, wie einst die fröhliche, übermüthige Chiorli und ließ sich von ihm umarmen und blieb so – als reizendes Bild für meine Seele. Aber ich sahe, wie verlegen, zur Erde, bis die schöne Gruppe sich aufgelöst, und sie nun mit düsterem Gesicht die Einsamkeit suchte, und auch ihr vielleicht »die Sonne stille stand.« Denn manchmal nahm sie das kleine Kind auf ihre Arme oder auf ihren Schooß – und sie schliefen Beide so ein!

Glücklich – um das Wort zu gebrauchen – erreichten wir Venedig, und die schlimmsten von allen Tagen waren die achtzig Tage großer Quarantaine im Hafen von Malamocco, von wo aus Chiorli's Mutter mit den Eltern des Bräutigams die Hochzeitfeier besorgte, so daß das Brautpaar gleich an dem andern Tage der Freiheit zur Kirche ziehen sollte. Da ich jetzt noch zu ihnen gehörte, so sollte auch ich das Fest helfen verherrlichen. Die mitgebrachten zwanzig prachtvollen Shawls – des armen Juden, die er aus seiner blechernen Büchse packte, alle unsere Kleider und Habseligkeiten hingen und lagen in den Gemächern umher, und Jeder hatte jeden Vormittag die Pflicht auf sich, mit dem Guardian Stück für Stück mit eigenen Händen anzurühren, damit, wenn ja noch eines derselben die Pest mitgebracht, wir zuerst und allein hier in der ummauerten Feste daran stürben. Diese Balgerei mit den todten Hüllen der Menschen ist nun das einzige Fest in dem traurigen Aufenthalt. Alles berührten wir – nur das kleine, rothe Kästchen mit den großen Perlenohrringen von Otremba, das uneröffnet auf dem Hinterfenster von Chiorli's Zimmer stand, in das ich zuweilen kam, blieb als unbeachtet, ja werthlos für sie, auch unberührt. Bei dem Austritt aus diesem Fegefeuer der Reisenden mußten wir, wie bei dem Eintritt, nun wieder uns Mann für Mann vor die Aerzte – jetzt etwas näher im Boote gereiht – stellen, und uns mit den flachen Händen in die Dünnung und unter die Arme schlagen: Unsere Zeit war aus, Alles also richtig, und auch das rothe Kästchen frei, eine Stadt oder ein Heer zu verderben, wie es verwandt ward!

Ich hatte gleich bei der Ankunft in die Heimath geschrieben, an meinen Freund, den Bruder meiner Geliebten, Clara. Ich konnte annehmen, daß er ihr den Brief vorlesen würde, schon weil er so sehr schön vorlas, und weil er, ärgerlich über sie, daß sie mich ausgeschlagen und ein lackirtes Mannsbild geheirathet, ihre weibliche Eitelkeit gewiß dadurch würde kränken wollen, daß ich noch lebe, also ihr zu Ehren, nicht aus Verzweiflung gestorben. So hatte ich aus einer heimlichen Rache, könnte ein Anderer meinen, aber in Wahrheit nur von dem Flusse der Gedanken hingerissen, ein treues Bild von dem armenischen Mädchen, meiner Reisegefährtin, in dem Briefe entworfen nicht nur, auch mit Farben und eingesogener Gluth des Morgenlandes ausgemalt. Da das Mädchen nun so schön war, so war das Bild unmöglich häßlich; und da ich wußte, was ich wußte, so hatte ich gewiß durch Ausdrücke und Wendungen, selbst durch das, was ich verschweigen wollen, so wie durch gewaltsames und unverständliches Abbrechen der Worte – dennoch ein Verhältniß räthselhaft hingestellt, welches ein Mädchen, eine vorige Geliebte, leicht, vielleicht noch mit Verdruß erräth! Was aber zweifelhaft geschienen, mochte der brave Freund als entschieden ihr dargestellt haben, besonders da ich bei Chiorli's Gemälde auch ihrer Einfassung, ihrer Mitgift von einmalhunderttausend Zechinen in Golde nur oberflächlich gedacht.

Indem ich nun eben mit Chiorli im schönsten Putz und ihrer Mutter aus der Gondel steige, – der Bräutigam war noch zurück, um die Sachen sicher nachzubringen – steht mein Freund und seine Schwester Clara mit einem etwa vierjährigen Mädchen an der Hand, wie hergezaubert vor mir. Sie sahen mich an, aber kannten mich nicht; denn ich trug noch türkische Kleidung, weil das Maßnehmen in der Quarantaine eine unerlaubte Sache war. Und Clara sprach zu dem Bruder gewandt: Es ist doch eigen, daß in dem blassen Gesicht eines jeden Türken so eine stille Wehmuth liegt, ein solcher Adel. – Sie wollte noch mehr sagen, aber ich mein Lob nicht länger hören, sondern trat keck auf sie zu und sah ihr, vielleicht wunderlich genug, ins Gesicht. Und ihr Schreck ward nach und nach Spannung, die Spannung Ruhe, und die Milde ein Lächeln. Aber um nicht Freude zu verrathen, verschwieg sie, als sie ihn wußte, gezwungen meinen Namen, den nun der Freund laut aussprach. Dann erklärte er flüchtig: »Auf der Reise nach Italien – weil seine Schwester Wittwe sei, verweile er schon vier Wochen mit ihr in Venedig, habe erst gestern meinen Brief von zu Hause nachgesendet erhalten – und da ich mit dem schönen armenischen Mädchen gekommen, also so schön getröstet und bewahrt sei für alle Zukunft, habe auch seine Schwester eingewilligt, mit ihm zu kommen, um mich in meinem Fegefeuer zu besuchen.« Ich spielte den Genesenen. Verwandelt mocht' ich wohl sein und aussehen. Denn ich hatte tausendfache Ursache, schon durch Chiorli, – mit der Natur zufrieden zu sein, und so vergab ich ihren Menschen nun auch, auch Clara – die ja wieder freie Hand hatte – die sie wir, sonderbar mit meinen Gedanken zusammentreffend, jetzt wirklich reichte. Auch ihr kleines Jüngferchen, Clementine, mußte mir ein Händchen geben, die dem fremden Manne, der ihr so eigenwunderbar und sehnsüchtig in die Augen sah und bei geschlossenen Lippen seufzte, gar lieblich unverstanden mit offenen Lippen nachseufzte und sich an der Mutter verbarg. Ja, wenn ich von menschlichen Dingen und ihren offenbaren Geheimnissen – den Frauen und Mädchen nur Einiges richtig gelernt, so durfte ich mir getrauen, aus dem holdverschämten und verschämt holden Wesen des Kindes mir das Epignosticon zu stellen: dieses Kindes Mutter habe mich im Herzen heimlich geliebt, mich vorgezogen, und nur weltliche Dinge haben sie mir entrissen, oder doch entzogen und verschleiert – bis nun mit dem Wittwenschleier! Vielleicht ward dieser Traum auch nur ein Traum, wie sie kein Liebender los wird, weil er nur von ihnen getröstet und umgaukelt erst einschlafen kann.

Ich hatte Chiorli indessen fortwährend an meinem Arme gehalten, den ihren fest an mich gedrückt – vielleicht weil ich Clara nicht weiter berühren, nicht an mich drücken konnte; aber das liebe Mädchen, das so lange, lange kein Zeichen auch nur der leisesten Gunst von mir gesehen oder empfangen, mißverstand die in mir heimlich fortwaltende alte Natur und drückte leise, leise meinen Arm wieder, unter dem kostbaren Tuch voll Blumen, an die Stelle ihres Herzens, daß ich schauderte, seufzte und in die Lippen biß, so weh that mir ihr Glück! Sie sahe mir in die Augen, mit Augen wie schwarze Sonnen, voll einer Gluth, die wie Licht gleichsam überwallte; wie wenn die Sonne so eben aus der Verfinsterung der Mondscheibe wieder mit silberhellem Rande hervortritt, der rein ist wie zuvor. Und aus meinen eigenen Worten bei jener Scene im Kahn mit Otremba, um meine Verhältnisse wissend, vielleicht auch aus Forschungen von dem Maler, frug sie mich leis: Ist diese – jene, die Du geliebt hast? – Dabei fielen ihre Blicke wie ein verzehrender Feuerregen auf die wie davon erröthende Clara, während Chiorli selbst blässer und blaß ward, aber in ihrem Antlitz richtete sich gleichsam ein Stolz auf, wie der kalte Schatten eines Gedankens ihrer Seele, die mich bedauerte. – Denn Clara, die in den wenigen Jahren unglaublich verloren, fast dürftig, verblüht, und noch in der Jugend schon beraubt ihres Jugendschmuckes vor ihr stand, schien ihr jetzt mein Unglück, wenn ich sie besäße! Dagegen erschien sie sich mein Glück; wie sie im Herzen empfand, daß sie selbst mich beglücken wolle und könne – wenn ich nicht blind bliebe, wie ich gewesen bis jetzt, bis hier! In den Stolz, der ihre Lippen noch hielt, mischte sich deutlich ein Lächeln, das über die Furcht erhaben war, von Jemand, den sie liebe im Grunde des Herzens, nicht wieder geliebt zu sein. Mein Freund hatte das schöne Wesen, im Reize der unbekannten, wunderbar alten, heiligen Ferne, voll nur geahnter Seligkeit und Schönheit, stillschweigend betrachtet; und laut meines Briefes glaubte er mir nun, wie er sie sahe und mich sahe, Glück wünschen zu müssen, als Bräutigam zu dieser Braut, die endlich mein Herz gefunden, die ich mir auserwählt als das Liebenswürdigste, das meine Seele gewünscht! – Ich lächelte ihn an. Und so wünschte er nun auch Chiorli das beste Glück, das sie gewiß in mir gefunden, und sie sei fähig, alle Schulden des Lebens an mich zu bezahlen!

Vielleicht hatte er seine Schwester seit ihres Mannes Tode nun mir geneigter gemacht; seine vergebliche Mühe verdroß ihn nun, und so waren seine Worte heimliche Stiche für mich und Vorwürfe für Clara.

Chiorli aber, entweder wirklich betäubt von solchen und laut ausgesprochenen Worten, oder selbstvergessen wieder in ihre vorige lange gehemmte Schalkheit zurückfallend, oder ihre Wehmuth verbergend, neigte sich auf abendländisch vor ihm und wandte das Gesicht nach ihrer Mutter, die allerlei Nöthigstes auf dem Arm, erst jetzt ausgestiegen, herzukam. Diese hörte kaum, daß die Fremden meine besten Freunde wären, und nichts Anderes in den Gedanken, als ihrer Tochter morgende Hochzeit – als sie den Freund, Clara und ja auch die kleine Tochter auf Morgen zu ihrer Chiorli Hochzeit einlud.

Und Chiorli lachte wieder laut, wie das erste Mal, als ich sie sahe, nahm der Mutter von den Sachen ab, und dann hinter Clara getreten, sah sie mir so düster mit aushaltendem Blick ins Gesicht, daß ich Zuflucht suchte in Clara's Augen. Jetzt, nachdem diese Clara, in ihrer Gestalt, diese Chiorli in ihrer, den Athem fesselnden Gestalt als meine Braut, meine liebende und geliebte, glückliche und beglückende Braut gesehen und den Worten und dem Anscheine nach dafür annehmen mußte – jetzt war die Zeit gekommen, ihr wieder getrost ins Auge zu sehen! In meinem Blick lag nun, was sie daraus empfinden wollte oder mußte, das Gefühl der vergänglichen Welt – der wandelbaren Liebe selbst der liebendsten Männer – das Gefühl der Fülle des Trostes der Liebe und Schönheit, von welchen die Welt gleichsam überläuft wie ein Becher – das Gefühl der flüchtigen Schönheit – der Vergeblichkeit, das Neue an das Alte zu knüpfen, das Herz wieder aufzuhauchen wie eine verblühte Rose – das Gefühl des Verlustes auf immer von dem, was man einmal wirklich verloren, was man von sich gestoßen – ja selbst der heimlichen Rache für das größte Herzeleid, und wodurch? durch das größte, nun erst gefundene, nun erst erkannte Glück, Liebe, Schönheit – Alles, wie sie es nichtmehr besaß! ja ich konnte es denken, sie mußte es denken, wie sie es nie besessen, weder gewährt, noch empfangen.

So konnte sie denken und dachte vielleicht. Mir aber waren die Thränen näher. Jedem erscheint eine alte Geliebte – ich meine eine frühere – wie ein einst, im Paradiese der Jugend, worin auch wir einst lebten, klar angeschauter Traum. Ja gespensterhaft! als unser voriges eigenes Selbst, als das, was wir waren, fühlten, sehnten, da wir schön fanden, was uns einzig lieb und theuer war! Unser ganzes Gemüth, ja unsere Welt steht mit ihr wieder leibhaftig, wie in der Wiederkehr aller Dinge, noch einmal aufgeschaffen vor uns. Aber nur einen Augenblick, wie ein Blitz! Denn unser späteres Leben bricht mit seinen Wolken und Donnern wieder über uns herein, und wir sehen sie und empfinden uns nun, wie sie ist und wie wir sind. Und in so fern wir besser, größer an Geist und Herzen, oder darüber hinaus und kalt, gewiß aber immer durch des ferneren Lebens Entfaltung verwandelt sind, erblicken wir sie nun mit Scham und Beschämung; jetzt Beschämung vor uns, und als wir ihr in jenen elysischen Tagen entgegentraten, schämten wir uns vor ihr als Sterblicher, ob sie auch in uns den Unsterblichen erkennen werde? Jetzt erkannte ich in ihr die Sterbliche, und mein Geist sprach leise zu mir: Nur die Liebe macht schön, und darum ist schön, was wir lieben; nicht was schön ist, lieben wir. Clara war nun, wie die Welt sagt, wieder – vacant; aber auch ihr Herz? war es nicht erfüllt mit den süßesten und herrlichsten Erinnerungen des Lebens, beladen, ja beschwert mit seinen großartigen, heiligen Schmerzen, die es auf immer, vielleicht auf ewig geweiht, bedingt und sich eigen gemacht! O wie wenig delicat sind doch so Viele, wie unreinlich in ihrer Seele, wie leicht befriedigt vom Schein der edelsten Güter, welche die Wenigsten kennen, sonst würden sie nur das Himmlisch-Neue, unter ihrer Schöpfung desselben kaum von der reinsten Hand der Natur Berührte würdigen, zuerst zu berühren! Denn schon trägt der jämmerlichste Mensch nicht eine getragene Blume am Busen – es sei denn aus Liebe. Und hatte ich mich Chiorli's nicht werth gehalten, so verwirrte mich die letzte Bedingung wieder! Ich war aufs Aeußerste zerstreut, was die Freunde entschuldigten, vor denen ich zwei Minuten schweigend gestanden – und Chiorli zog mich fort.

Im Quartier der Armenier holte uns die Hausgondel über den Canal in das palastgroße, mit Kränzen geschmückte Vaterhaus der Braut – in welchem ich wohnen sollte. Chiorli sprang hastig die Stufen im Portal hinan, blieb wie bezaubert stehen, riß einen Kranz ab, blickte mich an, hing ihn wieder auf und verlor sich dann singend in den hallenden Obergemächern.

Bei Tische, wo wir alle versammelt waren, erzählten die Eltern des Bräutigams, welche so gut wie schon Besitz von dem Hause genommen, worein ihr Sohn geheirathet, unter anderem Neuen der Stadt, daß eine Braut einen andern Geliebten, und der Bräutigam eine andere Geliebte gehabt – daß sich die Braut der Mutter entdeckt, mit dem andern Geliebten die Nacht vor der Hochzeit entflohen, sich ihm vermählt, dann zurückgekehrt sei, wodurch zwei Paare glücklich geworden. – Chiorli trat mir unter diesen Worten immer heftiger und wie winkend wiederholt mit der Zehe auf meinem Fuß, streifte dann mit den Augen an mir vorüber und sprach zu dem Allen nur: So! als wenn sie sich verwundere. Mir aber bedeutete das So als Zeichen: »Also!« oder: »So wollen wir thun.« – Mir stieg das Blut ins Gesicht, ich trank wiederholt von dem weichlichen, anwidernden Prosecchowein aus Triest, den Bräutigam bedauernd – laut meiner Erfahrung; und durch den Wein vielleicht zuerst widerlich angeregt, gedachte ich der Worte:

Wo du die Schönheit schaust, da suche nie Treue, nie Liebe!
Denn der Gott vertheilt Alles an Alle gerecht.
Liebend, schön und treu – das wäre dem Manne zu hohe
Wonne! schon Eins der Drei macht dich, o Seele beglückt.
Stolz macht Schönheit, wer sie besitzt! – Dir gnüge das Anschau'n;
Liebe berauscht; es gilt Treue so viel wie sie all'!

Ich erkannte aber nicht, daß ihre Untreue nur Treue an mir war! Denn seit mich meine Geliebte verschmäht, die mir heute vollends allen Lebensmuth gebrochen, setzte ich keinen Werth mehr auf mich; ich galt mir gleich, und so wähnte ich, müsse ich Allen gelten. Doch mein Wesen fing an, sich zu widersprechen, denn aus Furcht, kein rechtschaffener Mann zu bleiben, bedrückte mich der Palast: Mir war darin angst und bange, nur die einzige Nacht wollte ich noch bestehen, und außer demselben, etwa lustfahrend in der hellen Mondnacht, in einer Gondel schlafen. Denn da Chiorli mir so viel geboten, mir so viel – sich selber – so nahe gelegt durch jenes Zeichen, nun war ja der Schritt des Mannes zu thun an mir! Und morgen, ach! morgen war sie mir verloren. Verloren? frug ich mich selbst überrascht, von dem wahren, aufrichtigen Menschen im Menschen.

Unter dem Vorwand, den Brief an Otremba's Mutter und Schwester abzugeben, fuhr ich wirklich zu ihnen. Denn es hatte ja erst geschehen sollen, wenn ich die Stadt beträte.

Sie bewohnten ein kleines Haus allein. Der Saal war unverschlossen, das Wohnzimmer offen, aber die Alte schlief. Vor ihr standen zwei Schüsseln; eine voll klarer Glasperlen, die andere voll goldener. Zwei Ruthen mit den seidenen Fäden, um sie aufzureihen, mit welchen sie in die Menge Perlen hineinstechen und die getroffenen in die Höhe heben und im Heben auf die Schnüre hinabschütteln, wie ich die fleißigen Mädchen mit niedlichen Händen aufreihen gesehen, lagen daneben. Sie nährten sich also kümmerlich. Die Tochter war gewiß in dem Nebenzimmer, denn es regte sich einmal dort und war wieder still. Da ich mich heut als ein besonders ehrlicher Mann fühlte, so setzt' ich mich leise nieder. Neben mir auf dem Tische lag eine Mandoline, und in den Drahtsaiten steckte ein neues, sichtbar von Weiberhändchen geschriebenes Gesangstück. Die Jalousieen waren zwar zu, doch die Abendsonne brach golden durch die Spalten. Ich legte endlich Otremba's Mutter den Brief in den Schooß und wollte wieder entschleichen. Darüber erwachte die Alte; und nach der ersten Befremdung und den Begrüßungen, da ich ihr gleich willkommen und lieb war, weil ich ihren Sohn gesehen, lobte sie ihn und beklagte ihn. Wie Otremba seine Schwester, meine gute arme Remete liebt, und sie ihn wieder, das kann eine Mutter nur freuen! sprach sie. Desto weher hat ihm gewiß Chiorli's Halsstarrigkeit gethan, weil Chiorli nun Remete den Mann wegnimmt. Denn Chiorli's Bräutigam und meine Remete sind sich heimlich gut, aber sie ist ihm zu arm, oder seinen Eltern. Und so hat er ihnen gefolgt. Seit er aber nach Chiorli geschifft, hat sie kaum eine Nacht geschlafen und schläft dann manchmal bei Tage, wie jetzt eben einmal, das arme Kind! Und noch sind wir morgen zur Hochzeit geladen! Wird das der Bräutigam ertragen? Wird es Remete überstehen? Um so einer leichten Ursache willen hat sich Chiorli ihm widersetzt! Er hat mir's geschrieben.

– Ich mußte fragen. –

Die Mutter der Chiorli hat beim Oelpressen der schönen Jungfrau ein wenig heißes Oel in den Nacken gegossen; sie eilt, nachzusehen, sie entkleidet ihr die weißen Schultern, die Thür ist offen geblieben, und Otremba, der indeß gekommen, der sich wieder zurückziehen will, erblickt den Nacken und die Schultern des schönen Mädchens entblößt, denn sie hat von ihm abgewandt gestanden, und nur die Mutter hat seinen Namen erschreckt gerufen. So ist er verschwunden, und Haß hat seit dem Tage ihr Herz statt der früheren Neigung erfüllt. Sollte er denn nun nicht ihr Mann werden? Ist das nicht Eitelkeit oder Scham eines Kindes, das sich darüber nicht tröstet? Otremba hätte Remete dann ausstatten können; er hätte gehabt: seiner alten Mutter in ihren letzten Tagen seine ersten zu vergelten! Aber mir ist es nicht um mich – nur um ihn und Remete! –

Ich hörte nun, wie viel des treuen Bruders, des guten Sohnes Herz bewegt. Während die Mutter nun den Brief las, fand ich ein ins Italienische übersetztes, altes, deutsches Lied, wovon jedoch nur immer die erste Zeile beibehalten war, in Remete's Saiten:

                   

Was ich liebe, weiß nur ich! –
Ist es solch urjunges Leben,
Wie nur Götterhände weben,
Ew'ger Liebe Geist in sich,
Von der Schönheit Pracht umgeben,
Daß ich schaudern muß und beben –
Was ich liebe, weiß nur ich! –

Wen ich liebe, weiß nur ich! –
Und ich darf es Keinem sagen,
Jeder würde mich verklagen,
Wie Er grausam selber mich!
Ach, mir hilft kein Muth, kein Wagen,
Schweigend läßt Er mich verzagen –
Wen ich liebe – weiß nur ich.

Wie ich liebe, weiß nur ich! –
Können's Nachtigallen schlagen,
Kann so heiß die Sonne tagen,
Glüht der Stahl so schmerziglich?
Kann's der alte Himmel sagen?
Kann ich's weinen, kann ich's tragen –
Wie ich liebe – weiß nur ich.

Das holde, blasse Mädchen kam jetzt herein, sie, die einen Verschmähenden liebte, geheimnißvoll mit aller Kraft des alten Himmels – unglücklich liebte. Sie erröthete, als sie das Blatt in meiner Hand sah, als hätt' ich in ihrem Herzen gelesen, und ich legte es hin. Die Mutter aber ließ uns nicht Zeit zu einem Worte, sondern sprach zu ihr: »Dein Bruder hat nun auch den Verstand verloren! Ich arme Mutter! Hier steht's! Er sagt: Du sollst es wissen, zu Deiner Genugthuung: Er, er habe Chiorli getödtet, vergiftet! Alles Andere kaum erwogen, sei ihm unmöglich gewesen, sie, sie irgend einem Anderen zu gönnen. – Und Chiorli lebt ja! Also –« Sie konnte vor Thränen nicht mehr, und streckte ihre Hände nach der Tochter. Das schöne Wesen kniete aber zu ihr und verbarg das Gesicht in ihren Schooß und weinte still, und die Mutter über sie gebeugt, still. Und still entschlich ich, unvermögend hier Trost und Auskunft zu geben, und verschlief und verträumte die mondhelle Nacht, bis die Wellen wieder purpurn glänzten vom Morgenroth, gewiegt in der Gondel; und noch die Träume nachempfindend, betrat ich wieder, die Brust erleichtert und doch verzagter, den alten Palast.

Am Vormittag kam Chiorli's Mutter in völligem Putz zu mir Einsamen herauf. Sie sahe mich mit besonderen Blicken an, indem sie die Lippen zusammenpreßte. Hatte die Tochter sich ihr entdeckt? Aber sie bat nur um Otremba's Bildniß, das Chiorli seiner Mutter und Schwester zeigen oder schenken wolle – wie ich wolle. Remete sei schon unten, die Mutter auch; denn Chiorli habe nicht geruht, bis sie gekommen, und sei sogar selbst nach ihnen gefahren und habe gewartet, bis sie sich angezogen. Zuletzt aber habe Remete doch ihre guten Kleider wieder abgelegt und sei in ihren täglichen gekommen und habe sich bedungen, sich vor Niemandem sehen zu lassen, und die Braut nur anputzen zu helfen. Chiorli habe bis gegen Morgen kein Auge geschlossen, sei nur halbentkleidet im Zimmer öfter unruhig umhergegangen, wie sie über sich die kleinen Füßchen gehört, und wie die Sonne endlich aufgegangen, habe sie begonnen zu weinen. Und freilich bewegt bei einer Braut sich das ganze Gemüth! sprach sie; ich weiß ja, wie mir gewesen! Das Leben soll nun ein Ernst werden. Scherze, Spiele, Hoffnungen, Wünsche sollen aufhören, es zu sein. Aus dem ganzen Frühling der Jugend ist nur Eine Blume geworden, alle Männer sind ihr zu Einem Manne geschmolzen. Sie wird nur hoffen und wünschen dürfen, was er hofft und wünscht; nur arbeiten, ja sogar nur denken, was er im Leben betreibt; seine Unzufriedenheit mit allen Andern wird hauptsächlich ihr eigenes Unglück sein. Sie wird nur scherzen, um ihn zu erheitern! sie wird nur spielen, um die Kinder zu beschäftigen; sie wird nur singen, um ihnen den Schlaf zu versüßen! Was sie gelernt hat, weiß sie nur, um es die Töchter wieder zu lehren; was sie kann, muß sie ohne Ueberdruß tagtäglich thun. Ich weiß nicht, was in dem allen für ein Unglück liegt – aber die Braut weint doch. Und vor Ahnung: welch neues Glück ihr bevorsteht, zittert sie und glüht und – weint wiederum auch. Ich habe noch keine Braut gesehen, die nicht geweint, wenn sie gut war, und sei es auch nur vor Dank an Vater und Mutter, und vor Dank an den Vater im Himmel, der einen solchen wunderbaren Tag hat über ihr aufgehen lassen, und Chiorli's Herz ist schwer! schwer! Meines auch! Besonders davon, daß unser Vater den Tag nicht erlebt, er einsam da drunten liegt, und wir hier oben ohne ihn so allein das Leben beschicken sollen! Aber die Mädchen küssen und drücken sich drunten im Zimmer fast um das Leben, verzeihen einander Alles unzählige Male und glühen im Gesicht wie vom Feuer, und Alles liegt indeß unbeachtet um sie her und glänzt zum kindischen Anfassen schön; aber ihnen ist, als wäre erst morgen, übermorgen oder über das Jahr erst Hochzeit. Und nun erst das Bild wird wieder aufhalten! Chiorli sagte zu Remete: Sie wisse nun erst aus eigener Erfahrung, wie weh sie Otremba gethan, wie ihm müsse gewesen sein, oder noch! Darum wird sie zu stiller Genugthuung für ihn – das sei nur Ihnen vertraut – auch seine Ohrringe, die kostbaren Perlen anlegen; sie stehen schon bereit.

Ich ließ das natürlich, aus Unwissenheit des Schrecklichsten, gut sein. Ich zog mich an, ging und ließ Otremba's Bild in der Merceria in einen passenden, goldenen Rahmen fassen und überbrachte es dann selbst. So waren einige Stunden verflossen, denn ich hatte auch meinen Freund und Clara mit ihrem Töchterchen, Clementine, abgeholt. Sie und das Mädchen hatten von selber Zutritt in das Brautzimmer, und ich – durch das Bild. Chiorli stand abgewendet am Fenster, zu welchem die freundlichste Sonne hereinschien – Remete war eben im Begriff, das rothe Kästchen zu öffnen, nahm nun hastiger die Perlen an den Goldringen heraus, reinigte sie mit der Baumwolle, worin sie gelegen, die sie dann auf das offene Fenster warf, und vor Eile zitterten ihr die Hände, als sie die Ohrringe des Bruders als letzten vollendenden Schmuck seiner verlorenen Braut einhing, die ihr sanft das Köpfchen hinhielt. Das Kind war, um sie im Antlitz zu sehen, leis ans Fenster geschlichen. Das Alles bedenkend, Stunden und Zeiten und Wandel, hatte ich Fassung nöthig. Denn die Braut wendete sich nun um und trat uns entgegen. Chiorli war nun in ihrem blendenden Putz – welch herrliches Weib! Ich mußte sie liebenswürdig finden zum ersten Mal. So hatte ich sie nie gesehen! Und so stolz, so ernst! Sie wußte, wie schön sie sei, aber sie sah mich nicht an! Sie blickte nur düster auf Otremba's Bild, das seine Mutter und Schwester sich hielten und vor Thränen in den Augen kaum deutlich gewahren mochten; während dessen aber wußte Chiorli, daß ich nur sie betrachtete, um, träfe mich ihr Blick, ihr mild in die Augen zu sehen. Aber um sich nicht merken zu lassen, ihr sei nun wie Otremba zu Muth, sahe sie ihn nicht an, sondern nur seine Schwester Remete, bis sie das arme Mädchen umarmte, die zu ihr in dem Schmucke lispelte: »Ich verderbe Dich!« – Chiorli aber erwiederte, bitteren Sinn in die gemessenen Worte legend: »Mich nicht! ich bin es schon. Ich aber habe Dich verdorben! Ich! « – dabei aber sahe ihr Auge auf mich, als sage es: »Du, Du hast mich, Du hast uns verdorben!« – Sie wandte es aber gleichgültig und lächelte dann, ruhig stehend und mild vor sich hinblickend. Remete's Hingebung, selbst ihr Eifer, die Braut ihres Geliebten zu schmücken, indeß sie schmucklos daneben stand, ihre Güte und Fassung tröstete mich, und ich pries die herrliche Jungfrau selig – denn wenn ihr jetzt nichts geschehen, was konnte diesem kostbaren Wesen jemals geschehen! Was war ihr der Tod gegen diesen Tag des Lebens.

Selbst als der Bräutigam in das Zimmer gekommen, hielt sie es noch eine Zeitlang aus, dann fing sie an, roth zu werden und entschlich in ein kleines Nebenzimmer. Durch sein Eintreten aber war Luftzug entstanden – die Flocke Baumwolle wollte vom Fenster entfliegen, und Clara's Töchterchen fing sie schnell in der Luft. Ob Clara aber nun wohl endlich merkte und sah, daß ich nicht der Bräutigam war: so getraute sie sich doch nicht, ein Wort der Verwunderung zu äußern, weil sie die Antwort von mir befürchten mußte: – Ich habe jetzt blos gescherzt, aber Du einst nicht! Du hast Ernst gemacht, darum ist mir das Leben so ernst – Sie fühlte sich geschmeichelt durch meine behauptete Hagestolzendornenkrone, hätte sie lieber in Rosen oder Myrte verwandelt, wenn sie noch die vorige Zauberin gewesen, und war so huldreich gegen ihren ersten Liebhaber – wie eine junge Wittwe.

Den Gebräuchen nach mußte nun Chiorli vor der Trauung von allen unverheiratheten Mädchen Abschied nehmen und, bedeutsam genug, auch von allen Jünglingen – und in ihrer Zerstreuung ging sie, zuerst Abschied zu nehmen von ihrem Verlobten! Da ein solcher Scherz wohl sonst von ihr zu erwarten gewesen, so nahm er ihn auch jetzt dafür an, als nehme die Jungfrau, die er nie mehr wieder sehen würde, von ihm Abschied vor ihrer Verwandlung. Ich war Remete nachgeschlichen. Ich setzte mich neben sie. Sie schlug die Augen schmerzvoll auf, sie ließ mich ihre Stirn fühlen – sie brannte; und so an mich gelehnt, schlief sie mir leicht in den Armen ein. Chiorli kam nun leis und trat vor mich. Ich soll von Ihnen Abschied nehmen, flüsterte sie; nun wohl, so nehme ich denn von Glück und Leben Abschied, nicht von Dir! Und lasse die Todten nicht sterben! Denn lerne doch Eins, du kühles Herz, von einer jungen Zauberin: Was man verloren hat, das liebt man, auch wenn es vorher nur so wenig uns werth war, als etwa Ich – Dir! Dabei verneigte sie sich, Unaussprechliches ausdrückend. Sie küßte Remete auf die Stirn, dann streiften ihre Lippen auch meine Stirn. »Abschied nehmen ist immer erlaubt, selbst von der Sünde. – Nun ist es geschehen!«

Und so war es geschehen.

Der lärmende, fröhliche Zug war kaum fort, als Otremba's Mutter ihre Remete nach Hause brachte, weil sie ihr ernstlich krank schien. Da ich nun unverheirathet bleiben wollen in der Wahrheit, so dachte ich mich jetzt wenigstens im Geist als Bräutigam in die Kirche an den Altar, selbst an Chiorli's Seite; und zugleich hier im Palast auf dem Saale auf- und abgehend, betrachtete ich, wie im Monde oder in der Sonne sich begebend, die Anstalten zur Hochzeitfeier, die wunderlich-eifrigen Eltern, die behenden Diener und Dienerinnen, die mit Silberzeug besetzte prachtvolle Tafel, das lodernde Feuer auf dem Heerde der Küche; ich verstand kaum die Sprache der sich untereinander bedeutenden Menschen, so seltsam und mährchenhaft, so wunderlich und gleichsam außerweltisch, außer aller Zeit sich begebend, und doch wiederum auch so lieblich erscheinend und so unleugbar war alles da, selbst die großen Spiegel in den offenen Zimmern, die Blumen und Kränze und das weiße, geheimnißvolle Brautbett – so verzaubert war ich.

Aber wer ist das, der die Marmortreppe heraufwankt, an dem Geländer schwankend? frug ich mich selbst. Und wäre es Nacht gewesen, so hätte ich geglaubt – Otremba's Geist erscheine zu Chiorli's Vermählung und starre so düster zur offenen Thür der Brautkammer hinein das Brautbett an; wie man sagt, eine Wöchnerin, die gestorben, kehre alle Abenddämmerungen zurück, sehe nach ihrem Kinde in der Wiege, küsse und segne es leis und verschwinde dann wieder. Aber dieser Otremba verschwand nicht. Dagegen trat mit Ernst im Antlitz die hohe Gestalt seines Bruders Basilaky mich an, und ehe er sprach, frugen seine schwarzer, düsteren Augen in den meinen. – Gott sei Dank! hier ist Hochzeit, hier lebt man! rief Otremba wie außer sich, und umarmte seinen Bruder Basilaky, der ihn still an sich drückte; dann umarmte er auch mich. Jetzt ist Alles gut, sprach er, habe sie doch, wer sie habe, wenn sie nur lebt! Wir sind zu Lande gereist, noch im Ankommen – ich suchte meine Schwester, meine Remete und meine Mutter, wir trafen sie nicht; Niemanden durfte ich fragen, ob wir gleich nichts besonderes Neues hörten, so eilten wir brennend hierher, um – –

Sie eilten! bemerkte ich; wenn ich Sie recht verstehe, kommen Sie doch zu spät!

Basilaky, der noch, ehe ich gesprochen, seinen Bruder angesehen, worauf dieser plötzlich geschwiegen, sagte mir nun mit gezwungener Fassung: Ich eilte nur so, um meinen Bruder ferner lieben zu können, um selbst nicht so unglücklich zu werden, daß ich ihn strafen müsse – als Oberhaupt der Familie.

Nun laßt mich fröhlich ausruhen! ich bin wieder ein Mensch! sprach Otremba mit dem freudigsten Ausbruch des Dankes zum Himmel, der in seinen Augen lag. Dann setzte er sich in einen Armstuhl, schloß die Augen und hatte die Hände gefaltet.

Der arme Mensch ist todtenmüde, wollen wir leiser sprechen! sagte mir nun Basilaky. Noch ist sein Geschäft nicht aus: das gute Geschäft erst zu thun, hat er nun noch Gelegenheit; aber jeder Augenblick Zögerung kann ihn und durch ihn mich doppelt unglücklich machen, mich! und wie sehr unglücklich, können Sie von mir nicht ahnen. Sie können uns im Stillen behülflich sein! darum hören Sie!

Seit Chiorli fortgeschifft, war mein Bruder wie rasend; doch er war krank, und in der Verwirrung verrieth er, glücklicherweise nur mir, Dinge, die ich auf leises Nachforschen an den Orten, die er gewagt zu betreten, bestätigt fand! Als nun in der Hauptstadt Alles eingeleitet war, als es gefährlich ward, dort ein unirter Armenier zu sein – die wir nicht sind – riefen mich andere Geschäfte hierher, und ich frug ihn lächelnd: ob er mitreisen wolle? Er rang mit dem Wagniß noch einmal, er folgte. Unterweges erkrankte ich schwer, wahrhaftig auch nur über die Schrecken und Leiden anderer, einst doch auch unserer Brüder – nun pflegte er mich brüderlich! Aber die Ungeduld riß ihn fort, das brennende Herz; und mit Flügeln der Reue und Liebe flog er fort in verwirrten Gedanken. Erst, als er einem Armenier begegnet, ist ihm eingefallen: sein Bruder liege krank ohne ihn darnieder! so ist er umgekehrt. Ich erstaune, ihn wieder zu sehen, als er wieder eintritt, da der Mond mir ins Zimmer schien. Ich bin leidlich genesen, nun treib' ich ihn fort. Und in räthselhaften Worten und Gefühlen uns unterhaltend, die Jeder von uns verstand, sind wir hierher geflogen – wie Schnecken, für unsere Hast, und geschlichen – wie flüchtige Schwalben, für unsere Ermattung. Und – mit welchen Augen habe ich und er nun hier die Stadt angesehen!

Welche Gefahr Basilaky gemeint, wie das Alles zusammenhing, welche Freude und Hoffnung er noch hatte, ward mir erst nach und nach klar, als Otremba in ziemlich gleichgültigem Tone mich ersuchte, ihm zu seinem Geschenke, zu den Perlen, wieder behülflich zu sein. Chiorli habe sie gewiß nicht geachtet, er habe vergessen, seiner Schwester dergleichen mitzubringen, und so sei ihm dadurch geholfen und ihr kein Schade geschehen; auch wolle er sie gegen ein besseres Hochzeitgeschenk vertauschen.

Drinnen im Brautzimmer steht das rothe Kästchen, erwiederte ich ihm; und nun selbst in der Seele schwer betroffen, setzte ich nur bedrückt hinzu: Aber Sie irren, wenn Sie glauben, Ihre Gabe sei Chiorli nicht werth geworden. Umstände ändern die Ansichten, selbst die Neigungen; und da das Leben eine beständige Veränderung von Außen ist, verwandelt sich auch unser Inneres so lange wir leben – und Chiorli's Geschick ist verändert – zu Ihren Gunsten.

Ich zittere! stammelte er.

Freuen Sie sich immer, fuhr ich fort. Chiorli hat Ihre Schwester und Mutter selbst abgeholt, um die arme Remete – der sie selbst ja wiederum weh gethan, ohne es zu wollen – zu trösten, ihr wenigstens ihre Liebe zu zeigen. Chiorli trägt in der Trauung Ihre Perlen –

O Himmel! stöhnte Otremba mit einer Bewegung, die mich tief ergriff, weil ich sie für den Ausdruck des Glückes, von ihr geliebt zu sein – des nun zu späten, fruchtlosen Glückes hielt; darum sagt' ich ihm weiter:

Und Ihre Schwester Remete hat ihr die Ohrringe anlegen müssen; aber den Anblick des Bräutigams ertrug die gute Seele nicht – die Mutter hat sie krank, sehr krank nach Hause gebracht. Ich dächte, Sie müßten der Gondel begegnet sein.

Beide Brüder antworteten hierauf kein Wort; sie sahen sich nicht an, sie waren nur blaß geworden, wie Marmor, und schienen auch nicht zu athmen, bis Otremba nach vorwärts sank, Basilaky ihn hielt und in die Arme schloß. Und so blieben sie stumm, Einer an des Andern Halse sich gleichsam verbergend, bis nach langer Zeit Otremba nur leise ächzte: »die Schwester!« und Basilaky flüsterte: »Chiorli! – die Mutter!« dann stieß er ihn heftig hinweg; und seiner nicht mächtig, sank Otremba taumelnd hin, und Basilaky setzte ihm den Fuß auf den Nacken, zu mir, dem Erstaunten sprechend: Fremdling! Du weißt nicht, was der Bruder seinem Bruder gethan! denn Du kennst mich nicht, ach! und er hat nicht mich gekannt.

Diese Scene hätte nun Aufsehen im Hause erregt, wenn nicht die Meisten aus Erwartung in den Fenstern gelegen, und wenn man nicht gerade jetzt voller Freude gerufen: Sie kommen zurück! sie bringen die junge Frau! Und nun schickten sich alle zu den Ceremonieen an. Aber – erfuhren wir sogleich von einem voraus heraufeilenden Diener: man hatte die Braut aus der Gondel gehoben; sie war am Altare vor Schwäche und Betäubung umgesunken, der Priester hatte nicht vollenden können, der Bräutigam war nach dem Arzt. So war sie denn da, und ward nun langsam die Treppe hinaufgeführt, in dem lieblichen Schmucke so blaß, so verwandelt. Wir hoben Otremba schnell auf, denn er war vor ihr dumpf auf dem Antlitz liegen geblieben. Sie sah ihn, sie frug nicht; und mit unhemmbarer Kraft und erschreckender Wuth drückte er, trotz der schreienden, wehrenden Mutter, die still es duldende Braut an sich, eine lange Umarmung lang. Dann ließ er sie los, und mit unaussprechlich klagendem Blicke ihr herrliches Wesen langsam überschauend, sagte er, ihre Hand ergreifend, mit brechender Stimme: Du bist todt! Deine Perlen waren vergiftet! von mir!

Die Mutter starrte ihn an, keines Wortes mächtig. Der Glaube der Mutter besiegte die Tochter. Chiorli zuckte mit der Hand, aber er hielt sie fest, und so wollte sie nur mit der andern nach einer Perle greifen, um sie abzureißen; aber sie behielt die Hand wie vergessen am Halse, bis ihr dieselbe allmählig herabsank.

Aber tröste Dich! fuhr er fort; Du bist schon gerächt! Remete ist hin! das Schicksal hat den von mir aus Neid geschleuderten Pfeil nach meiner Schwester gerichtet, also nach meinem Herzen tausendfach. So geschehe, ach! so geschieht jedem Frevler, wie mir. Gehe zu Bett, meine Braut, die Erde ist das schönste Brautbett für mich und Dich! Aber kalt. Mich friert! –

Und wirklich zitterte er vor Frost, während er Chiorli in das Brautbett führen sah und die Thür hinter ihr sich schließen. Da brach er in Thränen aus. Chiorli hatte mir die Hand reichen wollen zum ewigen Abschied; aber sich besinnend, daß sie mich damit sich nachreiße, sie schnell zurückgenommen und mir nur leis und lächelnd gesagt: Nun erst hätte ich sprechen sollen – nicht damals im Schiff.

So war sie geschieden! Ich hätte vor ihr hinknieen mögen, und ihr letzter Blick erkannte mich wohl, wie ich selbst mich nicht kannte. Nach einiger Zeit ließ sie nur bitten, ihren Otremba ja nicht zu verrathen! – Ja, sie war liebenswerth! Ja, nun liebte ich sie! Nun liebte ich wieder, ja vielleicht zum ersten Mal. Und, was auch die Andern, die Brüder, der Bräutigam, die Eltern, die Mutter, jedes nach seinem Verhältniß, seines Herzens Vermögen und seiner Seele Ermessen gefühlt und gelitten – ich, ich litt gewiß am meisten, ganz Unaussprechliches.

Von der Bestürzung, der Angst und Furcht und Verwirrung im Hause nach dem ersten Schreck und den Erklärungen, nur das äußerlich Erscheinende sagen zu wollen, wäre unmöglich. Der Bräutigam wollte Otremba ermorden und stach mit einem Dolche nach ihm; vielleicht nicht so sehr um Chiorli's willen, als seiner geliebten und verschmähten Remete; aber Otremba war ja ihr Bruder! und dieser Gedanke wohl hatte die Kraft seines Armes zur Hälfte gelähmt. Und was mir das Wunderbarste war: Basilaky hatte dem Rächer nicht in den Arm gegriffen. Otremba freute sich über sein rinnendes Blut. Das an drei Seiten von Wasser umgebene Haus hatten wir aus Menschlichkeit geschlossen, und es war zu einem Geheimniß geworden. Basilaky kämpfte einen schweren Kampf mit sich selber. Wir wollten, um Otremba zu retten, ihn für verwirrt ausgeben, was er nicht nur schien. Aber wir hatten ihn nicht in Verwahrsam genommen; so war er ans Fenster getreten, hatte Volk versammelt, seine Schuld laut ausgeschrieen und den Kopf vor Angst an die Mauer gestoßen. Trotz dem war er noch für schuldlos zu erklären, seine Erhaltung beruhte auf uns – auf mir! und noch war er sicher. Doch Einige von den vielen, nun in den Zimmern des Palastes vertheilten und wie gefangenen Hochzeitgästen waren gleich anfangs heimlich entflohen (zu welchen Clara mit ihrem Bruder und ihrem Kinde gehörte), und so war denn am Abend das Haus rings bewacht mit Bewaffneten, ja einige Rasende brachten Feuerbrände herbei, um es mit uns zu vertilgen; sie deckten schon das Nachbarhaus ab, woraus alle Bewohner ausgezogen, und eine Viertelstunde lang, bis ihnen gewehrt wurde, standen wir eine jahrelange Höllenangst aus; denn den Flammen entfliehend, fielen wir unter den Schüssen der Hüter der Stadt und mußten das loben.

Die Nacht verging was man erbärmlich nennen darf. Den zweiten Tag roch die ganze Stadt nach Theriak, den man überall kochte. Wohl zwanzig der kühnsten Aerzte hatten den erfreulichen Muth, uns fern gegenüber eine Weile stehen zu bleiben, und die hülfreiche Beeiferung, den Finger an die Nase zu legen, oder wohl gar zu schnupfen. So kamen bei uns denn türkische Mittel zu Ehren: Gelassenheit und Ergebung; oder wir gebrauchten christliche: allerhand Segen, Reliquien und Amulete, die einige fromme Seelen uns an Steine gebunden in die Fenster geworfen. Auf diesem Wege dann kamen zuletzt an officiellen Stangen auch officinelle oder sogenannte wirkliche Mittel.

Gegen den dritten Abend, hörten wir von einem Steine – war Remete gestorben. Darauf versammelte Basilaky einen Rath oder heimliches Gericht von einigen alten Armeniern in einem verschlossenen Zimmer. Mein Diener, ihrer Sprache mächtig, hatte gehorcht und vertraute mir aus der kurzen, aber wahren Tragödie die erhorchten Worte: »Wenn Du mußt – und Du mußt, lasse mich von Sagiani erwürgen« (so hieß der Bräutigam) – – – »Dir vor Allen habe ich wehe gethan, das Herzeleid: mich, Deinen Bruder, zu richten!« – – – »Laß mich zur Mutter zu kommen versuchen, und komme ich um – dann brauchst Du die Arme der Welt zu Deinen« – – –

Darauf war es lange still gewesen, denn nur Otremba habe allein lauter gesprochen. Als die Brüder Abschied genommen, sei er davon geschlichen.

Durch diese Mittheilung erhielt nun jenes Gespräch am Tische bei Chiorli's Mutterbruder zu Constantinopel Wahrscheinlichkeit des Inhalts. Und wirklich kam Otremba in der Abenddämmerung, nahm von mir Abschied, indem er sagte: er gehe zu seiner verlassenen Mutter; er nahm Abschied von Chiorli – er brachte die Ohrringe; er ging in das Brautzimmer, stand eine Weile gedankenvoll, suchte darauf nach der Wolle, legte dieselbe dann in das Kästchen, fügte die Perlen hinein und steckte es zu sich. Dann ging er allein hinunter in die Flur des Hauses. Ich ging in den einsamen, mit noch gedecktem Tische stehenden Speisesaal und trat an das Fenster. Otremba öffnete drunten die Thür – man rief ihn an: Halt! Zurück! oder Du bist des Todes! er bestieg die Gondel, er stieß sie hervor in den Canal, ein Schuß fiel, – er fehlte – Otremba ruderte fort in der Richtung nach der Mutter Wohnung – ein lautes Geschrei erscholl, Schüsse fielen dichter auf ihn, er strengte sich an, zu entkommen, bis er getroffen in die Gondel sank, und auch da noch nicht sicher, nahm er, schon schwer verwundet, seine Zuflucht unter das schwarze Dach der Gondel, und darin, wie in seinem Sarge, commandirte er erst laut, dann immer schwächer, wieder wie jener Unglückliche: »Feuer! Geladen! Schlagt an! Feuer! ich bin todt! nur zu! macht euch fertig!« – – dann erstickte sein dumpfes Ach – ein Schrei aus Chiorli's Fenster – und es war droben und drunten still.

Ich hatte die Ballen fest in die Augen gedrückt und mich abgewandt. Jetzt eilt ich mit hastigen Schritten hinweg. Da hatte Basilaky neben mir gestanden! der strenge, hohe Mann weinte leis. Ich darf nicht weinen und weine und klage auch nicht! flüsterte er. So fallen bald Tausende dort – auch meine Brüder! meine Schwestern! O Vergeltung! Auch was ein Volk fehlt, büßen die Könige; auch so ist das Wort wahr; und ich möchte schwören: was die Menschheit fehlt, betrübt die Gottheit. Das Schicksal hört einst auf, wenn alle Menschen das Gute wollen und sicher es zu thun vermögen; nicht eher! – Und mit gefalteten Händen sprach er dazu: Dein Reich komme!

Ich war erschüttert, ging und legte nun selbst mich hin, denn länger widerstand ich nicht mehr, meine Kraft war gesunken und mein erstes Wort auf dem Lager war: »Amen!«

 

*

 

Meine Chiorli, dacht' ich in den letzten mir bewußten Gedanken, stirbt nur mir, gleichsam zur Strafe, weil ich mir untreu geworden! sie stirbt, weil sie Otremba verschmäht, keines Opfers fähig! und nicht, wie sonst so oft und schön geschieht,– weiblich erfleht, da ihr Dasein ihr noch einen andern Werth haben, einem Anderen werth sein sollte. Und meiner ersten Geliebten, der Clara, holdes, unschuldiges Kind verlischt wieder wie eine in den Ocean der Elemente geschneite Flocke! Und das Alles, weil auch Clara ohne jenes schöne, himmlische – weibliche Erbarmen mich in die Fremde gejagt. Sonst kam ja Alles nicht so. – »Laß die Todten nicht sterben!« – sagt' ich mir immer vor, wer sie vergißt, wer sie nicht mehr liebt, dem sterben sie erst; sonst sind sie nur todt für sich, und noch kaum; denn sie umschweben uns, leben und streben mit uns fort, sie genießen in uns das schöne Leben fort und schauen aus unseren Augen noch leibhaftig die herrliche Welt, und gewiß, wenn ja nur der Geist lebt. Laß Dir die Todten nicht sterben! Und dazu gehört nur Deine Liebe.

Durch den auf Basilaky's ergangenen Wunsch sogleich zu uns geeilten armenischen Arzt war ich bei meiner Jugendkraft zwar leiblich, nach langem, genesen. Aber ich wußte noch lange kaum, wo ich war. Dazu trug die mir von der erduldeten Hitze zurückgebliebene Schwäche, fast Blindheit, der Augen das Ihrige bei. Denn ich konnte wie ein Adler, ohne verblendet zu werden, in die Sonne sehen und nahm nur das Hellste außer ihr kaum wie dicht umflort wahr. Auch blieb mir die Welt mit Allem, was auch sonst gesprochen oder Laut gehabt, in einem tiefen Schweigen. Der Zustand von Abgeschlossenheit aber war mir sehr angenehm für mein Herz. Daß mir nun – meinen obigen Worten nach – auch Chiorli nicht gestorben, glühte die Liebe zu ihr fast unerträglich voll und reich in meiner Seele – seit ich sie verloren, wie sie mir selbst prophezeit, seit alle menschlichen Rücksichten und Bezüge gelöst waren, und unser aller Sinn, durch die herben Geschicke erweicht, sich gefügt; und wer von uns noch lebte, nun mild, gönnend und menschlich dachte, nicht mehr in den Eigensinn der Jugend gebannt, durch welchen sie Alles streng und stolz verschmäht, was nicht auf ihre Weise entstanden, nicht auf ihren Willen, nicht an dem Tage, wo sie es sehnte! Dies kindische und doch wieder so schöne, lebenskeusche Gebaren war durch die Gewalt der Außenwelt gebrochen.

Aber gerade darum litt ich nun Anderes: ich büßte das in den vorigen Tagen verschmähte Glück – ich liebte Chiorli! Ich hatte einst in F. a. M. ein schönes Weib gekannt, die treu und streng die Liebe eines andern jungen, herrlichen Mannes, eines Haupt-Mannes in jeder Art, verschmähte. Er erschoß sich. Nun war ihr das Herz erweicht, sie verfiel in wachen Traum, in nüchternen Schlaf, in verständigen Wahnsinn; denn sie war und lebte in Allem wie zuvor, nur daß des Geliebten Geist ihr erschien! selbst am Tage; daß er mit ihr in die einsamen Weinberge schwebte, mit ihr im Nachen auf dem Strome fuhr. Ich selbst war oft mit gefahren, ob ich gleich Niemanden gesehen. Aus Schauder verließ ich die arme, brave Frau. – Nun fühlte ich selbst den Schauder, denn ich hatte kaum eines Abends an jene Unglückliche gedacht – als mir Chiorli erschien. Ich blieb ohne Bewegung; ich wollte schreien und konnte nicht, ich zitterte und starrte sie an. Sie lächelte. Sie reichte mir die Hand. Im Gefühl meiner Schuld sank ich vor der blassen Gestalt hin, aber ich verbarg mein Gesicht vor Furcht an der Erde, unfähig, ihre Kniee zu umfassen und wohlwissend, die Gestalt sei nur Duft und Schein. Als ich mich endlich aufrichtete, war das milde Gebild verschwunden mit leisem Ach. Und doch glaubt' ich, sie lebe! sie sei da! sie wandle wieder im Reiche der Sonne! Denn Sterben ist ein so Unbegreifliches, ein solches Wunder in den alltäglichen Wundern, daß schwer und kaum noch je ein Mensch überzeugt gewesen, sein Liebstes sei gestorben; er träumt und wähnt es nur fort, bis er selber unbegreiflicher Weise und ohne sein Wollen und Wissen und ohne sein Zuthun nachstirbt, in die Erde gesenkt wird, und bei den Lebendiggebliebenen, bei den Spätergeborenen todt heißt. Und ein Todter, der wirklich wieder da wäre und umherginge, hätte weniger Bedenklichkeiten zu beseitigen, weniger Mühe, uns zu bereden, er lebe, als wir, ihm zu beweisen, er sei todt oder todt gewesen. Deswegen erwartete ich zuversichtlicher dieselbe Stunde, wo sie mir erschien, gefaßt, sie anzureden. Aber sie blieb aus, bis ich eines Abends die Sonne untergehen sah vom Markusthurme, und mein mühsam sich anstrengender Blick an den eisigen, hohen, gethürmten Gipfeln der tyroler Gebirge hing, die golden und rosig glänzten in alle dem Duft und den Wolken umher. Ich blickte noch einmal mich um, denn der Vollmond sollte kommen – da stand Chiorli vor mir. Ich blieb stehen, ich sahe sie an, sie mich. Ihr Antlitz war verklärt, und mit sanfter Stimme, die wie aus dem Abendsäuseln kam, tröstete mich der holde Geist: Ich lebe! Du liebst mich – nun ist mir wohl. Alles ist überstanden. Nun also konnten wir Eins sein, Eins werden. Darum war Alles gut für uns. Nur fasse Dich, liebes Herz. – Ich sank ihr an die Brust, die Gestalt wich nicht, aber ich empfand keine Umarmung; ihre Lippen küßten mich, aber die Küsse waren nur himmlisches Hauchen. Selig und verzweifelt floh ich den dunkeln, stufenlosen Gang in den Mauern hinab, und mir war, als verfolge sie mich und rufe und erreiche mich hülfreich, aber als ich hinaustrat drunten unter die Lichter, verschwand sie unter den Menschen.

Von nun an verkehrte sie länger mit mir, sie weilte länger und zärtlicher, endlich verschwand sie mir auch nicht, als die Mutter am Abend dabeisaß, und es schien mir, als sähe die Mutter sie auch, aber ich scheute und schämte mich, sie zu fragen, Chiorli anzusehen oder ihre Hand zu halten (wie ich that, wenn ich mit ihr glaubte allein zu sein), damit die Mutter meine Blicke in die leere Luft, meine Worte an eine unsichtbare Gestalt nicht für Geberde und Treiben eines Wahnsinnigen halten sollte! Denn sie lächelte oft mich an, oder hatte die Augen feucht – und die Gestalt weinte dann gar und verschwand mir verdunkelt von meinen Thränen. Und so mußte ich mich der Mutter entdecken, und sie gestand mir, sie sehe sie auch! Nun ward ich irre an mir, noch mehr aber an der ganzen Welt, als ein alter Armenier, oder mein Arzt mir einst sagte: Alle wahren Ehen wären Ehen der Seelen oder Geister; blos körperliche wären ärger, als keine; es gäbe auch Ehen zwischen Menschen und Geistern; schon Phantasieen bei Tage und Träume bei Nacht bewiesen das oft, und alle Gedankensünden bestätigten das; der Mensch dürfe sich das, besonders in allen bedrückten Zeiten und Lagen hochherrliche, Recht nicht verkümmern: in Gedanken edle Thaten zu thun, sonst würden fast alle Armen und Einfältigen ohne die guten Werke sein, die den Himmel erwürben. Chiorli habe mich immer geliebt, und ich liebe sie jetzt, – die Liebe wolle ihr Recht und behalte es wirklich im Geist.

In diesem Sinne nun ging ich mit Chiorli um, und wie ich war, war sie! sie duldete, sie erwiederte das: Nur glücklich wolle sie mich wissen, so sehr sie vermöge, mich glücklich zu machen, und sie scheue nicht Himmel, nicht Hölle, geschweige Menschen! Sie war mir nun da, wenn ich an sie dachte, sonst nicht; bald konnte ich ihr selber rufen – und sie erschien. Zuletzt schimmerte mir auch ein Schein von ihr seitwärts oder in der Ferne, auch wenn ich nicht mit voller Seele an sie dachte, und der Schein zwang mich wieder dazu.

Ich schwärmte und träumte nun seltsam. Ich träumte von einem Priester in goldenen Gewändern, der sie mir zum Weibe gab; Chiorli versprach, mich nie zu verlassen und Freud' und Leid mit mir zu theilen, so lange Gott ihr erlaube, um mich zu sein. Dann saßen wir an der großen, von Silbergeschirren glänzenden Tafel unter halbbekannten Hochzeitgästen, und Remete's Mutter begrüßte uns weinend. Blumenkränze schmückten den Saal, Geister durchschwebten ihn wie Töne der Flöten und Hörner, Geister flammten darin als Lichter golden und himmelblau und grün, und durchbeizten die krystallenen Kronleuchter mit Farben aus Aladin's Höhle. Unsichtbare Wesen hatten das Brautbett wieder hingestellt; Engel, schön wie Mädchen, geleiteten uns in das heimliche, heilige Zimmer und verloschen oder entschwebten, und auf jedem verschwindenden Antlitz stand noch ein Lächeln. – O wunderlicher Tag! wunderbare Nacht! Selige Morgen, selige Abende darauf, ein beständiger, nicht verschwindender Zauber, als bliebe ein breiter, rosiger Blitz, der den Himmel aufgethan, nun fest und leuchtend stehen, wie ein tausendfacher Regenbogen von Milchstraßen am Tage, sonnensilberhell! azurblau! smaragdgrün, wie die ersten Blätter der Bäume im Frühlingsglanz! – Und so war jeder Tag, und die Menschen nannten ihn jetzt Sommertag, dann Herbsttag, Wintertag! wiederum Frühlingstag! Mir – war ein Tag schön wie der andere, eine Nacht selig wie die andere, Alles gleich lieblich, liebewerth und geliebt: Menschen, Kinder, Blumen, Gewölk, Bettler, Sonne, Früchte, Mond, Weinreben, Ulmen, Mandelblüthen und Sterne, wie wenn in der Levante nach prachtvollem Sonnenuntergange endlich eine Bläue duftig Himmel und Erde, Meer und Schiffe gefärbt, oder wie mit einem Schleier bezogen. Ein Monochrom der ewigen Liebe.

So lebt' ich lange, lange – ich weiß nicht wie lange. Da ward mir immer banger zu Muth, immer ängstlicher, weher im Herzen. Denn Chiorli, die ich zuletzt wie eine Madonna mit dem Kinde auf Goldgrund von Mantegna gemalt, fast deutlich erblickt, blieb mir nun Nächte, Tage, dann wochenlang aus! mir ward peinlich, gräßlich vor Furcht in der Verlassenheit, der Einsamkeit! Ich erblickte sie wohl wieder, aber immer nebliger, leichter, duftiger jedesmal, und durch ihren Nebelschleier auch jedesmal sie selbst banger, besorglicher, liebender, weinender. Ich hatte keine Ruhe mehr. Im Hause erschien sie mir zuletzt gar nicht, nicht am Tage, nicht in der Nacht, weder im Abend- noch Morgendämmer.

Also es war ihr Geist gewesen! Der Mutter Antworten verstand ich nicht, oder sie kränkten mich; mir däuchte, als zerrisse der laute Schall dieses Geschreies – wie mir nun ihre Rede vorkam – mein Ohr. Ich suchte Chiorli auf dem Markusthurme, sie erschien mir nicht! – Vielleicht käme sie zu mir draußen auf dem Meere? – Ich fuhr mit demselben wohlgekannten Schiffer hinaus in der Gondel im Zauberglanze des Mondes, wenn die Meeresfläche schimmerte, schweigsam und nur hingehaucht wie ein Traum – ich starrte in die sanften, unaussprechlich blinkenden Dämmer der verflossenen, anhauchenden Ferne – es regte sich nichts! keine Möwe täuschte mich! Ich blieb bis über Mitternacht! Die Geliebte blieb aus. Ich kehrte zurück. Ich schlief in Kleidern den Morgen, den Tag, bis in den neuen Abend im bequemen Sessel, aufgelehnt mit dem Kopfe auf die Arme, mit denen ich auf dem großen runden Tische ruhte.

So fand ich mich wieder. Ich richtete mich auf, so wohl, so frisch und klar! Die Lampe brannte hell, wie sonst, und doch so eigenhell! als verständ' ich ihr Licht wie deutliche Rede. Auf dem Tische saß in seinem Hemdchen, weiß wie ein kleiner Engel, ein liebliches Kind, ein Knäbchen mit lichten Härchen, rosigen Wangen, blauen Augen, die mich groß ansahen. Mein Gott! sprach ich und stand auf. Chiorli's Mutter hielt das Kind mit beiden Armen umfaßt. Ich frug sie, wo ich sei, ob ich lebe, wache, ob ich ein anderer Mensch, ob ich das Kind hier geworden. Sie antwortete nicht, sie weinte nur; und wie mir schien vor Freuden. Sie stand auf, sie hob das Kind unter den Aermchen, mit welchen es nach mir langte; so schwebte es mit einsinkenden und aufstemmenden Füßen nach mir. Es konnte nicht reden, aber es schrie vor Lust; es richtete sich an mir auf, es wankte, ich umfing es, und sein Kindergesicht drang gleichsam warm und zart in mein Gesicht, seine Augen glänzten vor meinen Augen, und wie ich es wunderlich ansah, verwunderte es sich und langte zurück nach Chiorli's Mutter.

Wo ist Chiorli? frug ich mit Herzklopfen.

Die Alte sahe einen Augenblick verlegen nieder. Wie hat Sie mein Kind geliebt! sprach sie dann. Sie waren gesund und – wohl, nur ohne daß sie es wußten! Kein Mensch ahnte Ihr Geheimniß. Sie liebten die lebende Chiorli, ohne daß Sie es wußten – nur das war mein Bedenken! – Ach, wenn Sie es jetzt, jetzt es nicht wissen, dann war Chiorli's Liebe und Leid, ihr Opfer und Alles, Alles vergebens!

Ich weiß! Ich weiß Alles, Alles noch jetzt, und werde es ewig nie vergessen! o möchte mir ewig so sein! oder einmal wieder so! ewig! antwortet' ich ihr und frug dann zagend: Sind wir Beide es allein? oder sind wir drei durch das Kind? oder vier? – sind wir es nicht mehr? oder noch? –

Da nahm die Mutter die Lampe und schlich mit dem Kinde auf dem Arm mir voran in das kleine Nebenzimmer, wo ich Remete zum letzten Male gesehen, wo Chiorli von mir geschieden in ihrem Schmuck. Still! sprach die Alte leis, vor dem Divan stehen bleibend, sich neigend und horchend. Sie schläft noch! Das gute Kind hat sich bald die Augen ausgewacht und geweint, daß Sie, wie der Arzt zwar sagte, zur Heilung, – auch vielleicht zum Tode, wie Chiorli meinte – sie diese letzten Tage nicht mehr sahen! Sie fürchtete, daß sie Sie nun auf immer verloren – wieder verloren! Doch Gott sei Dank –

Sie leuchtete hin. Und ein jugendlich schönes Weib, in voller Blüthe der reizenden Glieder, lag sanft gelöst vom Schlummer vor mir, ihr edles, liebliches Gesicht halb gegen die Mauer gewendet, aber kein Leid in den Zügen, nein ein süßes Lächeln um die feinen Lippen. Ihre Arme waren bloß, ihre Hände gefaltet. Ich konnte kaum sehen vor Thränen. Mein Herz jauchzte. Was ich jetzt empfand vor diesem Weibe, dieser Mutter, die selbst, um mich nur im Traum zu beglücken, ihr wahres Leben dahingegeben und es ferner gethan, so lange mich noch mein Leid, meine Krankheit befangen – das hatte ich nicht einmal geahnet in jener ersten Liebe. Welche Schönheit, welche Liebe und Seligkeit der großen, herrlichen Welt hinter jenen, von Nebel umschleierten, engen, dumpfen Tagen der ersten Liebe gelegen – das sah ich nun, und es war nicht zu fassen! Wer unglücklich geliebt hat, der danke doch allen Göttern! Er allein hat gelernt, zu lieben und Liebe zu schätzen. »O ich Thor, ich Unglücklicher!« sprach ich laut.

Und mit weicher, zaghafter Stimme sprach darauf die Mutter: Chiorli will wieder gehen, und gern, und wenn Sie es ihr vergönnten – mit dem Kinde – wenn es Sie reut. Sie wird Ihnen ewig dankbar sein! Sie waren so verlassen, so elend! Sie begehrten sie so! Selbst von mir! Wir wußten erst selbst nicht, wie Ihnen war, als Chiorli genesen. Nur der Arzt – sagte zu spät – –

Ich sahe sie düster an.

Chiorli hatte sich aufgerichtet. Er weiß – sagte ihr leise weinend die Mutter. Da sprang sie auf, ihre Arme erdrückten mich bald, ihre Küsse waren nur Einer. Sie entriß der Mutter das Kind, sie zeigte, sie gab es mir, ich erfuhr, ich nannte seinen Namen. Es hieß Thurstan – wie ich. Und wie ich sie das erste Mal gesehen, so war sie wieder; das fröhliche, schelmische, durch und durch heitere Wesen; aber sie war mehr geworden – ein glückliches Weib! Denn das glücklichste Geschöpf auf Erden kann nur eine Mutter sein; und dies sehen und fassen nur macht den Mann erst glücklich. Wir erzählten uns bis an den Morgen – von der armen, für uns hinüber geschlummerten Remete; von Sagiani, dem Bräutigam, der nach dieser seiner Geliebten im Herzen erlittenen Verluste entflohen sei; auch von Basilaky, der seinen Bruder Otremba nicht verschont und vor Gram fast vergangen und heimgekehrt sei, vor Allem aber von unserm Verhältniß. Wir klagten und lachten. Und Chiorli sprach: Unser Kind einst sollte zum größten, zum heimlichen Könige werden, denn er ist der Sohn von einem Geist – und der bin ich! Dabei den Mittelfinger auf die Brust gesetzt, sah sie mich seltsam und groß an.

Und ich drückte sie an mich und sagte: Du hast recht; denn Du bist ein Geist der Liebe!

 

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