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[Der Gekreuzigte]

Die Welt ist schaffbar, ein Kind mit großen Anlagen, eine große Anlage in Kinderhänden.

Männer giebt es, welche die Menschheit heilig spricht, nicht eine auf Zeit privilegirte Rotte hie und da. Also die Asche von Sanct Huß war erst vor fünf Jahren von den Bütteln der, ihren Untergang fürchtenden katholischen Klerisei in den Rhein geschüttet worden. Rienzi, der das gute Reich in dem unverbesserlichen Rom zu stiften gemeint, war vor 66 Jahren erstochen und gehangen. Der Sultan Bajesid, der Blitz, der dem Timurleng wie zur Falkenjagd entgegengezogen, war in der Erde erloschen und abgekühlt; und wie ihn Timur in eisenvergitterter Sänfte mit sich umhertragen lassen, so trug ihn jetzt in festerem Kerker die Erde schon zum siebenzehnten Mal um die Sonne. Aber auch der Eroberer und Verwüster von Asien, Timur, war nicht mehr lahm, sondern die Erde trug auch ihn mit sammt seinem schweren Grabmal, wie unter zuschauenden Augen von fremden stillen Kindern, zum fünfzehnten Male ihren Eiweg um die Sonne, nicht einmal wie eine kleine todte Made im frischen Apfel. Am heutigen Morgen aber lagen viele Tausend noch warme Leichen um den Berg Tabor in Böhmen; sie bluteten noch aus ihren Wunden, wie aus kleinen Purpurquellen; es waren in ihrem Taumel in der Nacht hingeführte Oestreicher, Katholiken, die unter ihrem Anführer, dem abtrünnigen Ulrich von Rosenberg, im Versuch der Erstürmung des Berges Tabor gefallen waren, den Nicolaus von Hussinecz, der treuste Freund und Rächer und Erhalter der Lehre des verbrannten Huß, als die natürliche Veste der Hussiten mit siegreicher Tapferkeit vertheidigt hatte.

Davon wußten aber die Drei Männer nichts, die jetzt gegen Sonnenaufgang in Kleinasien auf dem Wege von Aidin nach Smyrna oder Ephesus ritten; obgleich der Geist auch hier thätig, ja sehr aufgeregt war, sich ein bessres Dasein zu schaffen. Alle Drei waren als Kaufleute verkleidet, aber alle Drei ganz ausgezeichnete Männer, deren Jeder einen andern Entwurf, eine andere, den beiden Begleitern feindliche Absicht in seinem Kopfe verbarg. Der Jude, der große Rabbi Torlak Hu Kemali, kannte den neben ihm reitenden bulgarischen Königssohn und jetzigen Statthalter von Ssaruchan, Sisman nicht; und Sisman kannte den griechischen Theologen, aber sogenannten Tollogen Korax nicht, der des Kaisers von Konstantinopel, Manuel, türkischer Hofdolmetsch und allgemeiner Gesandte – katholischer Apokrisiarius – war. Keiner aber hielt den Andern für einen wirklichen Kaufmann, und die Klugheit der Reisegefährten aus ihren Augen lesend, glaubte auch Jeder selbst nicht recht, daß ihn die Andern für einen Kaufmann hielten, wie sie einander gesagt hatten, als sie sich zufällig vor dem Thore der Stadt auf dem Wege getroffen, sich eingeholt hatten, oder überholt worden, und nun in der vorsichtigen Kurzsylbigkeit der ersten Bekanntschaft durch die wundervoll schönen Saatfelder und von Kameelen beweideten grünen Auen dahinritten, indem ihre Gestalten lange Schatten der hinter ihnen aufgehenden Sonne vor ihnen herwarfen.

Wie sie so auf dem thaufunkelnden, mit kleinen Blumen geschmückten Teppich hinzogen, kam es Allen zugleich vor, als steige hinter ihnen ein Gewitter auf und murre. Sie hatten aber doch kurz zuvor kein Wölkchen gesehn.

Jetzt klang es wie nächtliches Rauschen der See, das der Küstenwind in das Land weht. Aber es setzte nicht aus, wie das mit Wogengetöse beladene Windesrauschen, sondern es rauschte und dröhnte fort.

Sie wandten ihre Pferde um, sahen sich an und horchten. Nun rieselte es silbern in das Dröhnen am Himmel; es schurrte und schleifte, als wetzten tausend unsichtbare Schnitter da droben ungeheure Sensen mit riesenhaften Schleifsteinen in ihren Händen; oder als wären die Wolken große eherne Flügel geworden, die sich aneinander rieben und wetzten und klirrten und schwirrten. Aber es war kein Wölkchen zu sehen.

Jetzt pfiff es in den vorigen immer wachsenden schwellenden Klang des Rauschens, ja Brüllens der Wogen der See; es gellte darein wie Sausen des Sturms an scharfen Ecken der Felsen und Thürme.

Aber es war kein Sturm; denn kein Staub wehte auf, weder in der Nähe noch in der Ferne. Und doch tobte und dröhnte und hallte es fort, und deutlich näher und furchtbar.

Jetzt verwandelte sich der erschreckende Hall, wie ein Schlachtruf von einer Million sich anschreiender Streiter, in ein gewaltiges Sausen und Brausen, wie vor einem Erdbeben.

Aber die Erde blieb so ruhig liegen, kein Baum schütterte, kein Wipfel wankte; nur die Pferde sogar schnauften mit weit geöffneten Nüstern dem unsichtbaren Feinde entgegen. Sie waren auf dem Durchgehen, und die Reiter hielten sie nur mit Gewalt davon ab, nicht plötzlich umzukehren, und klopften sie beruhigend auf den Hals.

Jetzt sahen sie deutlich eine breite, breite feurige Wolke vor der Sonne, welche sie wie ein rother Mond durchschien. Die Wolke legte sich immer gewaltiger aus, wie sichtbare, gewitterwolkengroße blutige Schwingen eines unsichtbaren Vogelleibes, und zugleich stieg sie höher heran und überzog den Himmel immer heulender, schwirrender, rauschender.

Da erschraken die weidenden Kameele mit ihren jungen Kameelkälbern vor dem Getöse, das über sie heulend heranzog wie Schloßenwetter; sie gingen durch, um dem Schrecken zu entrinnen; sie kamen auf dem Wege daher im entsetzlichen Galopp, ihre Kälber hinterdrein so gut sie konnten; der Schreck dieser von Natur schon ihnen furchtbaren Thiere steckte die Pferde an, so gut wie alle Vögel groß und klein. Verworrene, ängstlich schreiende Züge von Raben, Krähen, Tauben, Sperlingen, Staaren und wilden Schwänen, Kranichen und Enten flirrten und schwirrten daher und rissen einander in eine große Flucht nach Abend mit fort. Die Vögel der Flur und der Haine standen auf, zogen mit und flogen eben so ängstlich schreiend den Reitern in Schwärmen über die Köpfe. Die Pferde waren nicht mehr zu erhalten, sie wandten sich scheu und gingen mit ihren Reitern durch, auf dem Wege jedoch, den sie hatten nehmen sollen. Das weiße Pferd des vielleicht am meisten furchtsamen Griechen, des Tollogen Korax voran; hinter ihm das falbe Pferd des Rabbi Torlak Hu Kemali, und zuletzt das schwarze Pferd des tapfern Renegaten Sisman. So flogen sie durch die bei ihnen vorbeigesprengte Heerde Kameele noch einmal, während ein noch schnelleres Pferd eines dahinten gewesenen Reiters sie alle überholte, indem er ein Wort rief, das sie ihm in der reißenden Flucht nicht verstanden.

Aber endlich holte die furchtbare Wolke sie selber ein. Sie schüttete nicht Regen, Steine oder Schloßen über sie aus, sondern Reiter und Pferde waren in einem Augenblick von wimmelndem Grün und Roth bedeckt. Die Pferde konnten die Augen nicht aufmachen, gingen auf einmal langsam und blieben bald gar stehen; die Reiter konnten den Mund nicht aufthun, um nur auszurufen: »Heuschrecken!« so schneite und flockte es grüne lebendige Flocken herab. Die Sonne hatte sich verfinstert, als wäre sie, kaum aufgegangen, wieder untergegangen. Der Weg hinter ihnen, vor ihnen, die weiten Auen, die grünen Saaten, die Sträucher und Bäume, die Weinstöcke, Wiesen, die Steine, die Häuser am Wege, die Felsen, sogar der Bach und der See, an welchem sie jetzt verschnauften; Alles war mit einer handdicken wimmelnden grünen und rothen Decke bedeckt, wie der Schnee im Winter Flur und Wald und Dorf mit seinem großen weißen Tuche verhüllt. Der Schnee ruht aber still, wo er gefallen ist; hier aber regte sich alles mährchenhaft und gespensterhaft; denn auf einmal schien eine ganze große Cypresse wieder fortzufliegen und – wie zu Staub geworden, sich in die Lüfte umher zu zerstreuen; das Laub schien auf einmal von den Ulmen zu springen; die Rinde von dem Stamme; die Blumen und das Gras von den Wiesen; ja die ganze grüne Wiese erhob sich auf einmal in die Luft – wenn die Wanderheuschrecken noch nicht gut genug gelagert, sondern nur von der unzähligen Menge auf widerwillige Gegenstände gedrückt, sich noch zu einem kurzen Weiterfluge erhoben. Trotz dem aber, daß die Erde von ihnen bedeckt war, war neben und über allen Gegenständen die Luft noch von ihnen erfüllt, und gleichsam wie mit Oberwinde zog das droben fliegende Heer noch über das gelagerte Heer weiter, um unbesetzten Raum zu finden, und die grüne Wolke schwirrte und klang und tosete, Menschen und Thiere bestürzend.

Mit Mühe und Noth gelangten sie athemlos endlich in ein kleines Karavanserai, das auf einer Anhöhe lag, von wo aus mehre Dörfer zu übersehen waren, und eines derselben ganz nahe am Fuße des Hügels sich mit seinen Feldern und Wiesen ausbreitete. Sie waren geistesmüde geworden, länger auf dem Wege zu reiten, wo die Pferde in Heuschrecken wie in seichtem grünen Sumpfwasser wateten und jeder Hufschlag eine Hand voll der regen Halbkäfer zerstampfte, so daß von ihrem Fleische die Füße der Pferde bis an die Fesseln blutroth waren. Sie stiegen ab, führten sie in den großen hohen leeren Stall, und streiften sich den lebenden Pelz von Kopf, Schulter, Armen, Leib und Beinen, und sahen wieder wie menschliche Wesen aus.

Das war doch eine lächerliche Reiterei! eine lächerliche Furcht! sprach der Renegat Sisman, der Sandschakbeg oder Statthalter.

Wie denn lächerlich? frug Torlak, der Jude. Ich möchte weinen vor Rührung; denn mir werden alle unsre alten Geschichten wahr, wenn ich hier wieder die Heuschrecken sehe! Mir ist so Jesaiasisch, so Habakukisch zu Muth, so Nahumisch und Hoseaisch zu Herzen, wie ihr Männer gar nicht begreifen könnt; denn ihr seid gegen uns nur junges Volk, Abkommen, Ableger! Wie heut die Heuschrecken fielen, so regnete es einmal Manna. So gewiß ich die Heuschrecke hier an ihren rothen Beinen halte, so gewiß ist einmal kein Mensch gewesen – und dann Einer geworden, ein Paar! So gewiß ist er aus dem Paradiese gejagt worden, worin wir nun alle nicht sind, und nicht mehr hinein mögen!

Nicht so gewiß daraus verjagt, entgegnete der Tolloge Korax, der Gesandte, als daß Ihr überall verjagt worden; denn Ranises warf den Anführer der Aussätzigen der Hyksos, den Osarsiph, oder Moises aus Araxis; der Babylonier Euch aus Judäa, und der grobe Römer zuletzt aus Jerusalem; solche Dinge sind grob, zu grob!

Rabbi Torlak hielt ihm seine jetzt reine Hand hin, mit dem rührendsten Ausdruck eines Menschengesichtes auf Erden und sprach dann: Wir nun wissen, was grob ist! Ihr alle sollt es erst erfahren, und du, mein Grieche, zuerst! Keine 40 Jahr, so werdet ihr auch aus Konstantinopel geworfen! Du wirst noch grade stark genug sein, den Bettelstab zu tragen.

Also, sprach Korax erröthet, bedeuten die Heuschrecken hier jetzt etwas Anderes als Konstantinopels Fall! Aber was? Alles ist etwas selbst; alles bedeutet aber auch etwas, denn es hat eine Wirkung; und über den natürlichen Wirkungen und dem Gange der Erde schwebt der Mensch mit seinem Geiste, mit der Offenbarung Johannis.

Hungersnoth werden sie bringen; Noth bringt Aufstand – und Krieg bedeuten sie, Krieg! sprach der Renegat.

Aber Torlak lächelte und sprach: Den Krieg darf nichts mehr bedeuten, denn er hört ja nicht auf! Die täglich aufgehende Sonne wäre also allein die richtige Kriegsprophetin! Und ist Asien nicht verwüstet genug? Ist Timur nicht hier gezogen? Hat er nicht Pyramiden genug aus Männer-, Weiber- und Kinderschädeln erbaut? Hat er nicht seines Gefangenen Bajesid's Bitte, anscheinend mit eines Eroberers frömmster Ueberwindung, erfüllt – nach China zu ziehen, und nicht die rechtgläubigen Osmanen ganz auszurotten, durch seine hohe Gegenwart; aber in Wahrheit, um sie durch sich selber sich gänzlich vertilgen zu lassen! – Und haben nicht wirklich die Söhne Bajesid's mit den Knochen der übrigen Türken nun erst recht Krieg geführt um die Trümmer des Reichs? und eine Herstellung auf den alten Fuß ist erst die unsinnigste Verwüstung, ist die Eroberung des Todes. Waren nicht Drei solcher Tode in Menschengestalt? War nicht der älteste Prinz Suleiman, den der Großwesir Ali Pascha aus Timur's Schlacht am Berge Stella nach Westen gerissen, Ein Tod zu Adrianopel? War nicht Prinz Mohammed, den die Emire nach Osten gerettet, der zweite Tod zu Amasia? War nicht der Prinz Jesus, der nach Karaman entflohen, der dritte Tod zu Brusa? War nicht Prinz Musa, der seinen Vater, den Blitz, im Sarge heim brachte, sogar ein vierter Tod? Sie waren, wie wir nun wissen! Die schrecklichste Zeit haben wir erlebt; Wunderdinge haben wir gesehn vor unsern Augen! Verschlang nicht Einer den Andern? Hat nicht vergebens Prinz Suleiman, von seinem armen Bruder Kasim begleitet, diesen und die Schwester Fatima dem Kaiser von Konstantinopel als Geisel übergeben und eine Nichte des Kaisers geheirathet? Hat nicht vergebens Prinz Jesus auch eine vornehme Griechin geheirathet – um falsche Freunde zu haben! Und verschlang nicht der lebende Sultan Mohammed zuletzt den Letzten? Erst zog Mohammed nur gegen den Bruder Jesus in Brusa; und als er geschlagen war, wollte er mit ihm theilen; als er aber geschlagen hatte, mußte Jesus nach Konstantinopel entfliehen in das allgemeine Asyl. Mohammed nun, als Herr von Brusa, erhielt seinen Bruder Musa vom Fürsten von Kermian ausgeliefert, und schenkte ihm das bloße liebe Leben. Jesus kam wieder mit Hülfe von Suleiman in Adrianopel, kam geschlagen noch einmal wieder, und wieder geschlagen noch einmal wieder. Zuletzt verscholl Jesus, aber er soll noch leben.

Sollte auch Der noch leben? frug Korax.

Auch Der? fragst du; sprach Sisman. Also lebt noch ein anderer Verschollener der fünf Brüder?

Korax hörte gespannt nach einer Antwort. Torlak versagte sie aber durch die Worte: Musa aber gewann den weisesten Scheich und schriftgelehrtesten Mann im Lande, den klugen Bedreddin Simawnaoghli, und machte ihn zum Heeresrichter; dafür half Simawnaoghli dem Musa, seinen Bruder Suleiman in Adrianopel zu verschlingen. Dann ward Musa erschlagen, sein Sohn an unsern jetzigen Einen Herrn und Sultan Mohammed ausgeliefert und hingerichtet; die Tochter aber, als nichts bedeutend wie Weiber, am nichtigen Leben gelassen und zu ihrem besondern Hausvergnügen an einen kleinen Statthalter verheirathet. Da ist aber am Hofe des Kaisers Manuel in Konstantinopel ein gewisser Geistlicher, ein zuverlässiger Schelm, der alles Aufgetragene, Gutes und Schlechtes, mit vollkommener Schlauheit gut ausführt – er heißt nur im Volk der Tolloge Korax – – durch dessen Vermittelung ist nun auch Kasim seinem Bruder, dem Sultan ausgeliefert und von ihm der Augen beraubt worden, so daß er am hellen Mittag noch ungefähr vermuthet, wo etwa die Sonne steht! Seine Schwester ist sein Auge. Ich hab' ihn gesehen in seinem Palaste, und der Sultan kommt, ihn nun auch freundlich zu sehen; denn ein Blinder ist kein Nebenbuhler, nicht um eine Nadel, geschweige um den Thron. Da nun Timur's Söhne, Chalil und Schahroch, mit seinen Enkeln um die Fetzen seines Reichs streiten, und da auch der letzte Bruder des Sultan Mohammed, der Prinz Mustapha verschollen ist, so seht ihr selbst, daß die Heuschrecken unmöglich Krieg bedeuten!

Wenn Mustapha lebt, dann gewiß! sprach Korax, bei dem, als einem Griechen, jeder Thronnebenbuhler des, in Europa auf Kosten der Griechen sich eingeschwärzten verhaßten Sultans, das größte Recht hatte. Und Mustapha lebt! denn daß er gestorben sei, wäre offenbar worden, da ja keine Gefahr mehr für ihn gewesen! Aber, sagte er, schlau-horchend, wo er lebt, das weiß Niemand!

Niemand? frug Torlak Hu Kemali; und als ein ehrlicher Mann, der nicht vermuthete, was ihm das Wort bald kosten könnte, setzte er hinzu: Wir hören: Mustapha lebt an der stets zur Flucht offenen Küste von Ephesus, oder doch dort in der Gegend.

Der heimliche Abgesandte Korax lächelte, froh, wie er meinte, über die Dummheit der Menschen. Denn nun wußte er näher das Ziel seiner, auf gut Glück unternommenen Reise.

Während dieses Gespräches hatten sie schon immer ein Auge auf einen Mann gehabt, der sich im Schatten des Säulenganges, der im Hofe an dem Karavanserai umherlief, seinen Teppich hingebreitet, ein nur eine Spanne hohes rundes Tischchen herbeigeholt und jetzt eine Schüssel frisch gerösteter Heuschrecken darauf gestellt hatte. Sie erkannten jetzt, näher getreten, den Reisenden, der unterwegs in der Flucht der Kameele so schnell an ihnen vorübergejagt war. Sein Kopf, sein Gesicht, seine Farbe, sein Körperbau bezeugten, er sei ein Inder, und seine Kleidung, er sei ein Maghe. Sisman aber sah mit Verdruß, daß er eine besonders gestaltete einfache Mütze mit einer Blume, statt des Dülbend, auf dem Kopfe trug, und sprach zu seinen beiden Reisegefährten: Seht, da ist ein Anhänger der neuen Lehre! Seht an dem Fremden aus der Ferne, wie weit sie sich schon verbreitet hat! Es ist zum Erschrecken! Da sitzt auch ein Armer, ein Derwisch, neben dem Maghen und trägt schon dieselbe Mütze! Ein Religionskrieg ist es, den ich meine! Ein Religionskrieg ist nahe, ist da! Kein anderer Krieg wird bei uns das Volk ergreifen und steht uns bevor, als ein Religionskrieg. Ja, ein noch schlimmerer: ein Mönchskrieg! ein Priesterkrieg! Denn es ist zum Erstaunen, sprach Sisman jetzt grade an den Rabbi Torlak Hu Kemali selbst gewendet, als wenn er ihn kennte; da ist in Magnesia ein Jude, mit Namen Torlak Hu Kemali, ein ausgezeichneter Mann seines, wie Kletten unter dem Weizen, so unter den Völkern wuchernden Volkes, ein tiefer Forscher und Kenner der alten ursprünglichen Geheimlehre der Juden, der wahren Kabala; dieser hat eine solche Gewalt und Macht über alle Priester und Derwisch-Orden der Türken erlangt, sogar über die Derwische des großen frommen Derwisch Postinpusch, daß sie Leib und Leben für seine neue Lehre lassen! So auch die Juden! So auch die Galiläer (die Christen)! Diese drei Arten Menschen, in allen Dingen, in allen Sitten und Gebräuchen so verschieden, und sonst sich so feind, sind durch Ein Wort eins und einig, und drohen ein mächtiges Volk zu werden, ja sie sind schon eine Macht!

Sie drohen? frug Torlak mit Gelassenheit.

Freilich, sie drohen nicht, versetzte Sisman.

Sie werden bedroht? frug Torlak leise.

Ich weiß nicht, entgegnete Sisman.

Aber seine Lehre, des Torlak's neue Lehre? sagtest du! sprach Torlak. Sie ist auch nicht die Lehre des berühmten großen Scheichs und Gesetzgelehrten des Heeresrichters Bedreddin Simawnaoghli... der auch...

Wessen denn also? frug Sisman. Das ist doch kein Geheimniß!

Und Torlak sprach mit ernster Anerkennung seines Freundes: Vor der Bai von Smyrna lagert das Vorgebirge Karaburnu; im Schooß des Meerbusens, dem Eilande Chio gegenüber, erhebt sich auf breiten Unterbergen der hohe Berg Stylarios, bebaut mit vielen menschenvollen Dörfern; in deren einem wohnt der einfache Landmann Böre, dessen Lehre ist die neue Lehre! Lange in der Gefangenschaft Timur's mit Weib und Kindern und Brüdern, hat er sie nach seiner Zurückkunft aus Indien gelehrt, als die Erfahrung des Unglücks und des Glücks aus solchen elendesten Zeiten der Unterdrückung und Noth der Menschen. Aber eine neue Lehre ist sie nicht; nichts wahrhaft Gutes ist neu, nichts wirklich Neues wäre gut. Die Lehre ist alt, so alt wie der Mensch und das erste Hauswesen; das viel neuer, und jünger, ja nur dem großen Hauswesen nachgebildet ist und sein kann. Daraus ist sie als Wort mit einer glücklichen großen Bemächtigung seiner Seele heraufgeschöpft.

Böre, der Dede Sultan, oder der Herr und Vater, sagt nicht, wie die Diebe sagen: »was dein ist, ist mein,« sondern er sagt aus vollem Herzen wie ein Vater: »was mein ist, ist dein; denn die Menschen und alle ihr Gut gehört Gott, wir haben es nur zum Gebrauch, und zum Geben ist der schönste Gebrauch der Dinge. Die gute Seele des Einen gehört dem Andern.«

Wir wollen sehen, sprach Sisman, und trat mit Torlak und Korax jetzt nahe an den kleinen Tisch des Derwisches und des Maghen, der so eben den Saft aus zerschnittnen Citronen auf die lieblich duftende seltene Speise zur Würze drückte, und sagte, um ihn zu prüfen, bloß die Worte: »Ich bin hungrig.«

Da standen die Männer auf, baten sie niederzusitzen, überließen ihnen die Schüssel, die kleinen runden platten Brote und den Krug zum Trinken, wie Kinder vor den Aeltern aufstehen, gingen bescheiden und freundlich hinweg und besorgten sich andere Speise. Die drei Männer aber setzten sich, schon der Sonderbarkeit wegen, und aßen unter der jetzt beginnenden seltsamsten und furchtbarsten Tafelmusik, die jemals ein Ohr gehört. Sie horchten lange; dann sprach Sisman bedauernd: Das sind die Einwohner der Dörfer, die, um den Lärm eines Gewitters, des größten Feindes der Heuschrecken, zu ersetzen, mit ihren Geräthen, den Kesseln, Wannen, Fässern, Krügen, Töpfen, Becken und Pfeifen und Trommeln lärmend und tobend durch ihre Felder und Wiesen ziehen, um die unbarmherzigen Gäste davon zu verscheuchen! Kommt, laßt uns sehen!

Sie standen auf, und traten mit dem Maghen und dem Derwisch auf eine freie Stelle, von wo sie Schwärme von Mädchen und Knaben, Männern und Frauen, alten Weibern und Greisen heulend und rufend und lärmend mit vergeblicher Anstrengung umherziehen sahen. Denn ihre höllische Musik reichte nicht weiter, als um da, wo sie grade zogen, einen kurzen nahen Flug der verhungerten Gäste zu bewirken. So sahen sie mehre Züge der Einwohner ganzer Dörfer, deren ermüdete Arme und Kehlen aber nach und nach abließen zu tosen, und dafür anfingen, Heuschrecken in die Gefäße zu raffen, als einen im voraus gesandten Ersatz beinahe für die gesegnetste Ernte von ihren Feldern und Bäumen. Aber wie ein Wanderer um die Mittagsstunde durch einen Wald geht, den zahllose Raupen verwüsten, neugierig stehen bleibt und mit Verwunderung ein grauenvolles Schnarpen und Fressen und Nagen hört, und ein Geräusch am Boden von der fallenden Losung der Raupen wie von herabrieselndem kleinen mehlweißen weichkörnigen Hagel, so hörten sie das Geräusch so zahlloser, laut schnurpend zu Mittag fressender Heuschrecken.

Wie sie so standen, kam ein langer hagerer Mann, nach seiner Mütze und seinem Rocke, ein Bekenner der neuen Lehre des Dede Sultan, nach seiner übrigen Tracht aber erkennbar ein Wahrsager im Volke, gedankenvoll und mit gesenktem Haupt auf sie zu. Als er jetzt plötzlich in ihrer Nähe erst aufsah und sie erblickte, wurzelte sein Blick auf ihnen fest; er erschrak sichtbar, so daß er seine Hände erhob; in seinem Gesicht zuckte ein Zug des Bedauerns, dann des Abscheus. Er wendete sich ab, um wieder zu gehen, als Sisman ihn frug: Was hast du gesehen?

»Mit Leichen rede ich nicht;« sprach der Alte.

Sisman frug lachend: Wer sind wir?

»Fünf Leichen;« antwortete der Wahrsager, selber blaß.

Wir leben wie du! sprach Torlak.

»Aber nicht so lange!« entgegnete der selbst überraschte Mann. Und wie um seiner ihm gewordenen Anschauung gewisser zu sein, ergriff er die linke Hand von Jedem nach der Reihe, sah ihnen in den Handteller; betrachtete sie genau an mehren Stellen des Leibes, und sprach zuletzt nur die Worte: »Bestellt euern Sarg, Leichen!«

Die fünf Männer, alle von entschiedenem Wesen, wollten lachen, aber es gelang ihnen nicht; denn das Wort hatte einen Bann über sie ausgesprochen, welchen ein Ungläubiger, also Abergläubiger am wenigsten von sich abwirft, und der Gläubige schwer, weil er nicht weiß, wie viele in der Welt von allen den Wundern er noch zu glauben hat, und die Zukunft jeglichem in einem noch nicht hervorgehobenen dunkelen Lande liegt. Der Theologe frug also zuerst: Wie siehst du mich?

Und der Wahrsager zeigte mit dem Finger in die Erde, und sprach: »Mit ausgerissenen Augen, im Kerker, in Ketten, todt.«

Korax stampfte mit dem Fuß auf den Boden, schüttelte sich unwillig und trat hinweg.

Demnach frage ich dich: Wie siehst du mich? frug der tapfere Sisman.

»Ein Schwert in der Brust;« antwortete der Wahrsager: »mich däucht, es hält es ein Kind, ein Knabe!«

Ein Kind! ein Knabe! Kein Mann? sprach Sisman; du lügst! Männer, er lügt! und sein Gesicht glühte vor Scham.

Darum frage ich dich: Und wie siehst du mich? frug der Maghe.

Und jener antwortete: »Mit einem Haufen Steine bedeckt, und weiße Hände werfen noch immer dazu.«

Also Weiberhände! sprach der Bedrohte zu sich. Das wäre möglich, wenn sie rasend sind. Aber bringe ich ihnen die Wuth? nein doch, die Freiheit!

Der Derwisch schlich sich hinweg, um nicht die Art seines Todes zu wissen.

Nooman! du bist feig! rief ihm der Maghe nach.

Wie aber siehst du mich? frug Torlak.

Der Wahrsager machte aus seinem Strick eine Schlinge, legte sie sich um den Hals, hing den Kopf zur Seite und sprach mit rollenden Augen: »So!«

Hat das aber alles 30 Jahre Zeit? ... 20?... doch 10?... 5 Jahre? frug Torlak. Ich bitte dich, sage nur 3 Jahre! In 3 Jahren ist viel geschehen!

Der Wahrsager aber sprach: »Die Sonne wird nicht einmal wieder gerade auf dieser Stelle stehen bis – –« Er unterbrach sich plötzlich selbst vor Schrecken; denn sein Blick war auf die Dörfer in der Ebene vor ihnen gefallen, und er sagte: Eilt doch zu Hülfe! die Dörfer brennen! alle, die Straße entlang!

Er wollte entrinnen. Aber Sisman hielt ihn fest, schüttelte ihn, wie einen im Schlafe Redenden, der erwachen soll, und sagte ihm herrisch: Gehe nicht hinab! – Du verbrennst sonst mit! setzte er, ihn zu erschrecken, hinzu.

Ich? frug der Mann verwundert. Sich selber sieht Keiner! sprach er dann kleinlaut, und furchtsam vor den zornigen Augen des ihm unbekannten gebieterischen Mannes. Sisman aber war eben so sehr überrascht von der Rede, wenn der Wahrsager nicht durch einen Verräther davon Kunde erhalten, daß die Dörfer in dieser Nacht alle weggebrannt werden sollten, durch welche in diesen Tagen Schaaren von Bekennern der Lehre des Böre, oder »des Dede Sultan«, nur hindurchgezogen, und über Nacht, als die besten Menschen, freundlich aufgenommen worden waren. Er selbst; als Statthalter von Saruchan, hatte den Befehl zu dem Brande gegeben, nach der rasenden Meinung der Türken: die Strafe ist eine Abschreckung, und je schrecklicher, desto heilsamer. Der Maghe, mit Namen Mogholbai, zog jetzt sein Pferd aus dem Stalle, um weiter zu reiten, indem er auch den Derwisch Nooman ermahnte, ihm zu folgen. Denn der Maghe hatte wahrgenommen, daß ganz hinten auf der Straße, die sie zurückgelegt hatten, wohl einige Hundert Akindschi, die wilden Reiter und Senger der Türken, auf das Karavanserai zugeritten kamen. Sisman frug ihn, ob er nicht warten wolle? oder wohin er so eile?

Da sagte der Maghe Mogholbai offen und frei und begeistert: »Zum Herrn und Vater! zu Böre! Ein neuer Stern ist aufgegangen, der ihn bedeutet! Von ihm sagen uralte Worte! denn jeder vernünftige Geist ist älter als die Berge und die Wasser, geschweige als Noah, das Kind der jungen Erde. Uralte Zeichen weisen jetzt klar auf Böre! Ich will die Perle sehen, die, seit so viel Tausend Jahren verborgen im Meere der Zeit gewachsen, jetzt reif an das Ufer des Tages gespült ist! Ich will das heilige Weib, die Muschel, sehen, die ihn getragen, die Blume, die ihn geblüht, seine Mutter, die Nilufer heißt, und wirklich auch ein Lotus ist! Ich will sein Weib sehen, das er für werth gehalten, mit ihr zu wohnen, und ihr seinen Geist anzuvertrauen, wie die Sonne der Erde, wie der Sämann die Saat, zu junger Pflege, zum Baue des neuen menschlichen Gehäuses. Sein Knabe soll schön sein wie der Tag, und seine Tochter schön wie die Sonne. Aber wissen will ich, ob er auch wirklich der rechte Vereiniger aller Gläubigen ist, ob seine Seele die Seele des großen heiligen Masdek ist, des Masdek, des allergrößten göttlichen Menschen, dem gehorsam vierzigtausend Priester in der Schlacht mit Chosroes Nuschirwan fielen. Denn Mokannaa ist er nicht, der seine Sendiki mit weißen Kleidern und rothen Gürteln von aller Zucht entband. Böre aber bindet jeden an seine Lehre und Zucht, und fordert nur das von Allen, was Allen gemeinschaftliche Lehre und Zucht sein kann und sein muß; er wägt endlich die Menschen und fordert die Frucht des Glaubens: das Thun; und die Frucht alles Thuns, das Geben, das Mittheilen. Darum will ich nur wissen, ob er vielleicht nicht Babek ist, der kindlich-gute und heitere Stifter der fröhlichen Leute im Lande, der Churemmije; Babek, dem alles frei und gleich war, durch den jeder alle Güter des Andern mit besaß wie er, selber die Weiber. Und fehlt dem Böre die Freiheit der Weiber, so will ich sie einführen von seinem Berge aus über die Lande und Meere.

Ziehe in Frieden! sprach Sisman schadenfroh; Niemand muß auf halbem Wege stehen bleiben; kehre nicht um, bis du sein Werk vollkommen gemacht hast, das dadurch auch dein Werk ist! – Im Herzen lachte er aber schon über das Gelingen, oder über ein noch Besseres, über die gestiftete Uneinigkeit und die Spaltung durch des Maghen rasende, unausführbare, unmenschliche, unmännliche und unweibliche Lehre. Sisman wußte aber nicht, daß schon der Großwesir Bajesid-Pascha in Amasia den durchziehenden Maghen zu diesem Werk, »die Weiber zu Gemeingut zu machen« nicht gedungen und bestochen, – denn Mogholbai war undingbar und unbestechbar – aber in geheimer Unterredung doch dafür noch mehr begeistert hatte. So zog er denn dahin, und der Derwisch mit ihm.

Sisman lachte ihm nach. Und Rabbi Torlak Hu Kemali sprach: O kleiner David, du Mann Gottes, sende doch deinen Nathan! und Salomo, du großer Mann so vieler Weiber, gieße doch den Geist deiner bittern Predigt, deiner Erfahrungen über ihn aus! – Aber was red' ich! Alle lüsterne Männer sind nur Weiber-Habsüchtige! nicht Weiber-Mittheilende! und alle lüsterne Weiber sind nur Männer-Habsüchtige! nicht Männer-Gebsüchtige!

Es gibt solche Männer und solche Weiber sehr viele, selber bei uns am Hofe zu Konstantinopel, versetzte Korax, die da glauben: der Mann wird auf allen Straßen zusammengelesen, und die Frau in Anderer Häusern.

Laß ihn nur zu den rechtschaffenen Weibern gehen! Ein wahrhaft klarer Sinn, ein liebendes Herz ist unverführbar! Die Redlichen können ja nicht einmal das weggeben – was sie besitzt! sprach Torlak; ich borge ihm meinen Rücken nicht zu dem Gange! Ich wünsche, ihn dort gesund zu sehen und zu sprechen.

Dort? bei Böre, dem Dede Sultan? frug Sisman.

Torlak bückte sich nach einer Heuschrecke, um sein Erröthen natürlich zu machen, und sprach: »Ich will dort trockene Weinbeeren kaufen;« und war darüber noch mehr erröthet.

Und ich Feigen und Oel; gab Sisman an.

– Und ich Samoswein, in Tzschesme, und Chier: log Korax dazu. Wir reisen also den Weg zusammen, mit Gunst.

Keiner von ihnen reisete gern mit den Andern; aber sie hatten sich mit Reden verfangen, und wußten nun wirklich nicht, ob sie vor dem Wanderschwarm der Tschigerka, oder nach demselben reisen sollten. Sisman aber, der lieber die Stimme des Volkes in den verbrannten Dörfern hören wollte, beredete die Reisegenossen, erst morgen aufzubrechen, besonders da ihre alten Pferde von der schrecklichen langen Flucht sich kaum erholen konnten. Denn alle Drei, reiche Männer, hatten, um desto weniger erkannt zu werden, von Ansehen ganz erbärmliche Thiere gewählt, die aussahen wie die drei Rosse aus der Offenbarung Johannis.

Sie hörten jetzt die wilde Rotte der Akindschi, denn sie kam mit gellendem Gesange heran; sie erblickten den bunten Zug, und Torlak sprach aus Ueberzeugung, nicht nur aus Ahnung: Diese armen Menschen bringen selten was Gutes! Wer doch aus aller Noth sich lösen könnte! Seht hier die Heuschrecke! Ich halte sie zuletzt nur noch an Einem Fuße – die Gefangenschaft ist ihr unerträglich – sie apfelt sich den rothen Schenkel aus – da hat sie mir ihn in den Fingern gelassen – sie selber schwirrt glücklich-frei mit den blutrothen Flügeln von hinnen zu ihrem Volk!

Die Akindschi sattelten und zäumten ihre Pferde ab, die darauf unter den hohen Thurm der Wasserleitung sich in große Haufen zusammendrängten, mit den Mäulern den Wasserstaubbach aus der Luft schlürften und den ganzen Leib sich beregnen ließen. Die Reiter füllten das Karavanserai, und stellten Spieße, Säbel und Pfeile und Bogen hin. Manche aßen; manche schliefen im Schatten und warteten bis eine Stunde nach Sonnenuntergang. Da brachen sie auf. Und nicht lange nachher sah Sisman, Torlak und Korax das erste Haus des ersten griechischen Dorfs in Feuer aufgehen, und hörten den Lärm und das Geschrei von Männern, Weibern und Kindern, vermischt mit dem Geblök von Schaafen, mit dem Gemecker verbrennender Ziegen, dem Gequik unrettbarer Schweine und dem Gebrüll der Rinder.

»Mein Jesus!« sprach Sisman sonderbar jetzt als Türke, aus der Zeit, da er noch ein Christ gewesen, und ward über und über roth.

Du siehst ja mit zugemachten Augen! sprach Korax zu ihm; aber dort geht in dem Dorfe dahinter auch Feuer auf!

Sisman ging um zu schlafen, wie er vorgab; es sei ihm nicht wohl. Das sehen wir, sprachen die Andern; du siehst selbst in dem Flammenscheine ganz blaß aus! Lege dich nieder!

Er ging. Sie aber blieben fast die ganze Nacht auf, und sahen die ganze Reihe der Dörfer in Feuer aufgehen; sie hörten aus der Ferne den Lärm nicht, aber der lange Zug der aus dem aufgequalmten Rauche gebildeten Wolken glühte still von der Glut und zeigte die Menschenthat im Spiegel des Himmels.

Mit Sonnenaufgang brachen sie nach Philadelphia auf, nachdem sie den staunenswerthen Anblick des Aufflugs und Fortfluges der Wanderheuschrecken genossen, und lange der, den Himmel bedeckenden, feurigen, sausenden, schrillenden, bubbernden Wolke nachgesehen, welcher am Morgenrande der Erde dann leise und ganz allmälig das alte Himmelblau nachdrückte und die Stelle des Schreckens mit Ruhe und Schönheit einnahm. Der Weg war nun frei, aber die Erde war weit und breit verwüstet, so wie von Schloßen zerschlagen. Aber es hing kein zerschmettertes Laub mehr an einem Baume, sondern die Haine sahen aus wie von Raupen kahl gefressen, oder als wäre plötzlich aus dem warmen Sommer öder Herbst und schwarzgrauer starrender Winter geworden. Kein Baum zeigte mehr ein grünes Blatt; keine Wiese hatte mehr eine Blume, nur einen Grashalm aufzuweisen; auf keinem Acker wogte mehr eine Aehre. Auf die Weide getriebenes Vieh stand müßig. Die wenigen bei ihren Jungen zurückgebliebenen Vögel sahen sich überrascht an, ihre Nester hingen offen da, an alle Welt verrathen; sie pickten auf der Erde, und die Kinderliebe hielt sie in dieser Wüste gebannt, und ließ sie nicht der Flügel gedenken.

Schweigend kamen die drei Reiter in das erste verbrannte Dorf. Sie hatten es durchritten, aber keinen Menschen gesehen, nur hier und da eine Katze in den ausgebrannten Fenstern, oder eine in Federn gebratene Henne, oder aus der Glut herabgefallene Tauben.

So zogen sie den Vormittag über durch sieben leere Dörfer, bei deren Anblick der Statthalter Sisman nur die traurige Gnüge hatte, zu sehen: Was Er könne; oder die traurige Gewißheit, was er als Renegat, als Türke nun müsse. Darum schwieg er auch, als sie im letzten Dorfe einen düstern, halsstarrigen alten Mann nicht fern vom Wege, unter einem kohlschwarzen Apfelbaume mit noch wenigem schwarzen Laube, sitzend fanden. Jetzt war die Reihe zu erschrecken an Rabbi Torlak. Denn auf seine Frage, wohin alle Einwohner gezogen wären, erwiderte der alte Mann: Der Michaloghli, der die Rotte führte, hat uns verkündigt: wir würden gestraft, weil wir die Anhänger des neuen Glaubens so gut bewirthet hätten. Da seht den Dank für Gastfreundschaft! Da seht, was die Heuschrecken gethan! Hier war kein Bleibens. Darum sind nun die Leute alle gerade zum Böre gezogen auf seinen Berg am Meere.

Der alte Türke saß an der Erde und gab sich die großväterliche Mühe, aus einem Häufchen Knochen und Asche vor seinen Füßen die kleinen Gebeine seiner im Leben ihm lieb gewesenen Enkel zu sondern, ehe er sie begrübe. Als die beiden, jetzt hinlänglich großen Särgchen dazu, standen zwei Bratpfannen voll Blumen hinter ihm. Zu seiner Linken lag ein kleineres geschwärztes Haupt; zu seiner Rechten ein größeres, eines Mädchens schmaleres Haupt. Dann lag noch das Gestelle der Brust, das Rückgrat und ein Arm-Rohr bei dem Einen; bei dem Andern zwei Fußröhren. Er blickte auf diese Andeutungen zweier Kinder, und paßte noch hin und wieder einen mit Freuden gefundenen Theil in die leere Stelle. Die Sonne beschien ihn schweigend bei seinem frommen Werke, dessen Zustandebringung ihm leider die Asche versagte.

Weinte der alte Vater nicht, weinte die Sonne nicht, so wurden Torlak die Augen feucht, der an seine Kinder zu Hause gedenkend, zu Sisman sprach: Wenn doch die Sonne reden könnte! wenn doch eine Wolke nur einmal ein Wort spräche! die Menschen würden sich dann sicherer fühlen, und mehr Halt haben als an dem redenden Menschen. Indessen was meinst du, das auch diese kleinen zwei schwarzen Buchstaben, diese zusammenbuchstabirten Kinder dem Verstehenden sagen? Sie sagen: »Ist es nicht plump und faul, Menschen, die ein Neues wollen und leben, todt zu schlagen, statt sich die schöne Mühe zu geben, sie in das Volk einzupassen.«

Du sprichst von Böre, entgegnete Sisman. So viel ich mir denken kann, handelt es sich nicht um Ihn und die Seinen, oder es handelt sich um sie nur, als eine Gelegenheit für Andre! Asien soll wieder werden. Da sind so viele Herren, denen Timur wiedergegeben, was ihnen die vorigen Padischahe genommen mit dem Recht der Gewalt: das einzig bestehende Recht; diese wieder eingesetzten Herren hat Mohammed wieder aus seinen, oder den doch einmal sein gewesenen Ländern geworfen. Wir haben alles miterlebt; soll ich dir den Fürsten von Karaman erst nennen; den Fürsten vom weißen Hammel; den Fürsten vom schwarzen Hammel; den Ewrenosbeg mit seinen fünf Söhnen; die Söhne des Beglerbeg Timurtasch, und den Verräther Dschuneid, der sein Smyrna und Ephesus niemals vergißt, ob er gleich jetzt den Hämus bewacht; soll ich dir den verborgenen Bruder des Sultans, den Mustapha nennen; oder den vor allen gefährlichen Glaubensvollmond, den Scheich und Heeresrichter Bedreddin von Simaw, der mit der Richterwürde, mit Pfründen und Schätzen beschenkt, doch jetzt aus Nicäa entwichen ist, und große Dinge sinnt und bewirken kann, wenn er will. Und er will! Der Sultan Mohammed, sagt man, wird kein Jahr mehr leben, und sein Sohn Murad ist ein Knabe von zwölf Jahren. Was kann da alles geschehen! Nimm nun eine Wage, deren Schalen die Schädel der beiden weisesten Menschen sind, lege in die eine die Asche eines Thrones, oder gar die Asche des Sultans; in die andere Schale die Asche dieser Kinder, ja von hunderttausend Kindern von jedem doch ein Stäubchen; lege, wenn es geht, die Asche ganzer Städte hinein, so wirst du finden, daß ein Sultan doch sehen wird: wie die Asche der Kinder federleicht in die Luft schnellt! Böre ist nur ein Schwert, das aber ein Rasender fassen kann, und nach welchem schon zwanzig furchtbare Arme greifen!

Um nicht zu verrathen, daß er im Sinne führe, den Prinzen Mustapha nach Konstantinopel zu schleppen, sagte Korax kein Wort und freute sich nur auf die neue große Verwirrung der Türkenheit.

Torlak aber sprach seufzend zu Sisman's Worten: So ist denn Niemand unschuldig auf Erden! Wir haben gestern den Hofdolmetscher und allgemeinen Gesandten oder katholischen Apokrisiarius des Kaisers Manuel, den Tollogen Korax getadelt. Heute ehre ich ihn, daß er sein Vaterland sucht zu erhalten, durch List und Trug sogar. Denn erschiene hier Gott und verhieße mir: Du und die Deinen, ihr sollt wieder ein Vaterland haben, wenn du dort den Berg in kleinen Sandkörnern hinwegträgst, jedes Körnchen einzeln drei Tagereisen weit, und dann noch den Fluß austrinkst – und so lange sollst du leben bis du das alles gethan hast – so fange ich sogleich an, die erste Handvoll zu trinken, und trage das erste Sandkorn hinweg! Aber Geduld! es giebt ein Vaterhaus auch für uns Juden, wenn die Andern nicht zu sehr, als auf ihr Vaterland darauf pochen und wenigstens mit uns leben, wie ihr, liebe Männer, im Karavanserai! Und die ganze Erde ist nicht mehr, als das Nacht- oder Taglager für die Reihen des wandernden Menschengeschlechts! –

Torlak stieg ab, und trank nach der Sitte seines Volkes, mit der hohlen Hand geschöpftes Wasser aus dem Flusse, wie auf das Wohl eines endlich für die Seinen möglichen Vaterlandes, worin sie leben können, ganz so wie sie sind.

Sie verließen den armen Großvater unter seinem abgebrannten dürren Baume sitzend, und gelangten vor Nacht in das alte vorchristliche Philadelphia, in die uralte Stadt der »Liebe der Brüder« oder der »Bruderliebe.« Es war die Vaterstadt des Korax, die er seit achtzehn Jahren gemieden hatte, weil er, um sie vor Timur zu retten, ihm ihre reichsten und angesehensten Männer zur Bezahlung der Brandschatzung angegeben und ausgeliefert hatte, wodurch er sie, bei Weigerung oder Unmöglichkeit, den hohen Betrag zu bezahlen, in einen schmählichen Tod gestürzt hatte. Er ritt daher nur langsam den beiden Gefährten nach, dachte jedoch: Achtzehn Jahre machen ein Kind in der Wiege ganz unkenntlich, einen jüngern Mann zu einem nie gesehenen alten Mann; eine Stadt ist in achtzehn Jahren fast neubesetzt, die Knaben sind Männer, die Männer sind Greise, die Greise sind todt. Selber die Häuser werden mich in diesem erbärmlichen Anzug und Aufzug nicht kennen! Die Sonne kann zum Glück nicht reden! – So strich er sich den vollen schwarzen Bart in die Höhe, und ritt, wie er meinte, von Gott maskirt mit der Maske des Alters, getrost in das Thor ein.

Da quoll ihnen ein dumpfer Lärm entgegen. Die Straße war voll Griechen, Türken und Juden, Männer und größere Knaben; Weiber und Mädchen aber standen auf den platten Dächern der Häuser. Die Bewegung aber ging hinauf zu nach dem freien Platze vor der Moschee. Dort wollten sie einkehren. So ritten sie, als Reisende, als Gäste heilig, in dem vor ihnen leerwerdenden Raum langsam hinter den Menschen, und sahen, wie hier ein Schmied mit dem Hammer in der Hand seinen Ambos verließ und sich dem Volke anschloß; wie dort wieder ein Böttcher das Faß, das er so eben pichte und aus dem Feuer und Dampf quoll, schnell mit dem Boden bedeckte, es stehen ließ und mit seinem Schlägel davoneilte. Weiterhin zog ein Kaufmann geschwind den rothseidenen Faden vor seine Ladenthür, zum Zeichen, daß der Herr nicht da sei, wickelte das andere Ende um den dazu bestimmten eisernen Nagel, und eilte mit einigen Schneidern fort, die von ihren erhöhten Sitzen gesprungen.

Auf dem Platze breitete sich die von allen Seiten wie Bäche hinzugeflossene Menge des Volkes aus. Ueber die Köpfe hinweg sahen sie, daß Viele ein großes Feuer angezündet hatten. Andere rissen die Haufen der Länge nach aufgeschichteter, geschälter, weißer Pfähle auseinander, die zusammen wohl dreitausend Stück betragen mochten. Einige schleppten sie sogleich selbst nach dem Feuer; andere stellten sich dabei an, und beluden bloß die Abträger damit. Die Pfähle hatten alle an der Spitze einen dünnen fingerlangen eisernen Schuh, eine eiserne Spitze, und es waren augenscheinlich und Allen bekannte Pfähle, lebendige Menschen darauf zu spießen. Die angefertigte große Zahl derselben deutete auf eine große Züchtigung. Wie sich aber die künstlich und göttlich mit ihren Jahresringen gewachsenen Bäumchen unschuldig hatten fällen und zum schändlichsten Marterholz spitzen und vorschuhen lassen, so ließen sie sich auch jetzt, wie vor Freude über ihren Tod, knatternd verbrennen, und gaben, wie von Märtyrern gefabelt wird, hier wirklich eine wie heilige Flamme von sich. Ein Türke lief mit einem Brande von dem Scheiterhaufen schnell nach der Moschee seines Propheten, um sie in Brand zu stecken, aber selber Griechen und Juden rannten ihm nach, so daß sie die Pantoffeln verloren, holten ihn ein, rissen ihn nieder, zerstießen die Fackel am Boden, und traten im Eifer die Glut mit den bloßen Socken aus. Sie kamen dann jammernd zurück und hoben die Beine vor Schmerz, worüber sie ausgelacht wurden.

Sisman bedauerte nur die Kosten dieser Pfähle, deren Bestimmung er wußte. Korax bedauerte, daß die Moschee nicht war angezündet worden und der Vorwand zu einem Religionskriege erloschen war. Torlak wußte noch nicht recht, ob er, so still und ärmlich er auf seiner elenden Falbe saß, doch nicht eigentlich der Herr der Stadt sei, durch die Gesinnung ihrer Bewohner. Denn wie er jetzt sah, waren die armen Abgebrannten aus den Dörfern längs hin an der Straße, hier mit Weib und Kindern ganz nahe um die Moschee her auf bloßer Erde gelagert; denn ihre Tracht war anders als die der Einwohner von Philadelphia, die doch nicht mit solchen kleinen Bündeln und ihren kleinen Kindern unter freiem Himmel würden gelegen haben.

Näheres Licht aber gab den drei Reisenden die Erscheinung einer wilden Schaar von Weibern der Stadt, unter denen auch Türkinnen waren, woraus hervorging, daß sie zum Aeußersten gereizt sein mußten. – – Ist das erhört! schrien sie mit heruntergezogenen Mundtüchern. Unser Geschmeide will man uns nehmen! Halten wir etwa nur so albern darauf wie der Pfauhahn auf seinen Schweif voll Augen, oder sind etwa unsre paar Fingerringe, Ohrringe, Stirnbänder, Armbänder, Halsbänder und Leibgürtel, so gut sie jede hat, nicht das Einzige, was der Sultan nicht erben darf? Sind sie nur nicht grade das, was wir, wenn wir verstoßen oder geschieden werden, nicht wieder herausgeben müssen! Eher geben wir die Augen aus dem Kopfe, als unsre paar Steine! eher die Zähne aus dem Munde, als unsre paar Perlen! Ist Weiberberauben die neue Lehre des Dede Sultan! Ein schöner Herr Vater! Ein Räuber, ein Mörder ist er, der Böre! Er ist der Didschal, der Anti-Mohammed! Das wäre ein schöner Mehdi! der verschwundene Imam, der zu Ende der Welt vor dem jüngsten Tage soll wiederkommen. Nehmen sie uns unsern Schmuck, dann mag der jüngste Tag kommen, die Welt ist dann doch für uns aus! –

Vom Kranze des Minarets der Moschee schrie zwar ein Derwisch herab in die Menge, aber Niemand verstand ihn von dem hohen Thurm aus der Luft vor dem Lärm drunten, und er ballte jetzt nur die Faust drohend herab, dann wieder brach er die Hände über dem Kopfe.

Vernünftiger hatte es ein anderer festgläubiger Türke angefangen zum Volke zu reden; er hatte ein abgeladenes Kameel ergriffen, war in einen der beiden leeren großen Körbe zur Seite desselben gestiegen und fing an zu schreien. Aber auch in den Korb gegenüber war ein Derwisch gestiegen, der noch ärger schrie, so daß Niemand ein Wort von Beiden verstand, und das Volk sah nur, wie Beide, mit dem Leibe wie in einem Brunnen steckend, mit den Armen fochten, einander bei den Bärten faßten und einander zu überwältigen und auf die Erde zu stürzen rangen.

Da kam von der andern Seite her noch ein Dromedar mit einer wandelnden Kanzel und ihrem Redner, von einem handfesten Manne geführt. Es war der Derwisch Nooman, der Bekenner Böre's. Er wußte, was vorgefallen war, und sprach:

Ihr Weiber, liebe Schwestern! Ihr seid so klug in allen Dingen – laßt euch doch diesmal nicht auch dumm machen von falschen Verführern! Was sagt Böre? Er sagt: Was mein ist, das ist dein, weil das Meine Gottes ist, dem Ich und Du und Alle und Alles gehört. Ist das also Einer der Seinen, der nimmt! ungegeben nimmt! Denn eben die Freude des Gebens sollt ihr ja selber haben! Die Räuber, die euch als seinen Bekennern das Eure geraubt, sind hergeschickte verkleidete Türken! Reißt sie herbei! Dreschet sie aus! Ihr seid klug und wißt zu fragen und zu sagen, ihr Weiber von Philadelphia! Hört, was ich sah auf dem Berge: Ein Bekenner des Herrn und Vaters aller Dinge brachte sein ganzes Vermögen dem Böre dar, und legte es freundlich und freudig zu seinen Füßen. Da wies Böre mit stiller Hand seine müßigen unbestimmten Gaben so freundlich als ernst zurück, damit er auch nicht einmal in den gutmüthigen Irrthum der ersten Nazareer oder Jesuaner verfalle: in die Gemeinschaft der Güter, und sprach: »Die besten Verwalter von Allem sind Alle. Von jedem Dinge ist Jeder gleichsam der beste Vater, jede die beste Mutter, Bewahrerin und Vertheilerin. Bewahre, mehre, verwalte jeder das ihm Verliehene, Gold und Gut, Leib und Geist, so ist es am besten verwaltet. Theile mit Dem, der da selber Dich und das Deine wahrhaft bedarf, ohne Rückhalt, ohne Ansehn des Menschen. Das ist das göttliche Thun, zugleich Liebe, und die Liebe zugleich Segen und Leben!« – So spricht Böre! Noch kein Prophet ist gekommen, den Reichen zu helfen! Keiner will den Reichen helfen und beistehen, ihnen rathen und dienen. Sie sind die Verhaßten in allen Landen. – Böre ist der Helfer der Reichen wie der Armen! Ihr Alle sollt die Güter des Lebens haben. Mittheilen erfordert aber grade das Haben, das Arbeiten, den Fleiß, den redlichen Erwerb! Denn unredlich-erworbenes Gut ist ein Verbergen und Hehlen desselben. Ich soll nicht darben, wie mein Nachbar nicht; aber er soll fleißig sein wie ich. Ich soll ihn nicht beneiden, Neid ist Diebstahl mit Augen und Herzen; er soll mir nichts nehmen, sondern geben, was ich bedarf; wie ich und alle ihm geben, was er bedarf. Nur der Faule paßt in kein Reich, am wenigsten in das Reich der Guten, denn er mißbraucht sie und macht sie hart und mit Recht. Und das ist schrecklich. Haltet alle Menschen für eure Kinder, wie eure Kinder; denn der Geist, aus dem ihr seid, ist Aller Vater. – Und ihr seid die fleißigsten, besten, klügsten Weiber im Lande! Also die Rotte der Räuber herbei, damit euer Ohr sich überzeugt, und euer Gemüth ruhig wird über eure Habe, über die nur euer Herz der Herr ist. –

Den Weibern war ein Stein vom Herzen. Sie wollten fortstürzen, als der Derwisch von dem andern Kameele schrie: Dort bringen sie die falschen Räuber geführt! – Und der Türke aus dem andern Korbe auf demselben Kameele schrie: Es sind Bekenner des Böre! So ist Er! so sind alle! Wer alles geben muß, was – der Andere haben will, der ist morgen ein Bettelmann! eine Bettelfrau! die muß in Lumpen gehen, die muß verhungern!

Und der Derwisch in dem Korbe an der anderen Seite seines Kameels sprach wieder dagegen: Ja, wenn ihr nicht der Dritte gäbe, was sie bedarf, was er hat!

Zu was das Herumzetteln der Sachen, der ewige Trödel! sprach der Türke wieder. Behalte Jeder, was er hat, und halte die Hand fest zu! Volk von Philadelphia, im Walde wachsen nicht genug Bettelstäbe für euch und eure Kinder! Ihr Weiber werdet genug zu weben haben bloß und allein zu Bettelsäcken! Gebt den Zehnten von Allem, so sagt der Prophet, den ihr euch untersteht zum Narren zu machen! Gebt, wem ihr wollt, nicht Jedem, wer haben will!

Der Derwisch schlug ihn dafür wieder ins Gesicht, daß er niesete und blutete und schweigen mußte.

Dem Sandschakbeg Sisman war es zwar lieb gewesen, daß die Stadt schon so weit verwirrt und aufgeregt worden war durch schlauen Einfluß, daß die Behörden nun Vorwand genug hatten, »die grimmigen Thiere der Macht« zu gebrauchen. Als er aber die einzeln in den Häusern ergriffenen abgesandten türkischen Verführer und Unruhstifter auf Böre's Namen, die eine Rotte von etwa 20 Mann ausmachten, von Handwerkern aller Art herbeischleppen sah und ihrer Verschwiegenheit nicht traute, da ward ihm bange, daß sie ihn doch wohl erkennten! Er suchte sich aus dem Gedränge zu ziehen, aber er war mit seinem Pferde wie eingemauert in Menschen. Nicht einmal absteigen konnte er mehr, wie Korax aus vergeblicher Vorsicht gethan hatte. Denn dadurch war Korax grade neben einen jungen Seiler zu stehen gekommen, der ihn lange angesehen hatte und jetzt, nicht wie nur erst fragend, sondern wie schon versichert, zu ihm sprach: Wie! bist du nicht Korax! He! Leute, Korax ist da! Wir haben ihn hier! das ist er! Hier Dieser! Du hast meinen Vater auf das Verzeichniß der Reichen gesetzt, und Timur hat ihn als Geisel der Brandschatzung genommen und verbrannt! vor meinen Augen verbrannt, weil er nicht so viel bezahlen gekonnt. Müßte ich nun ein Henkersdiener sein und Stricke drehen für mich und meine alte Mutter, ohne dich, Verräther! Aber gut, ich will dir einen Strick drehen, der dich kitzeln soll, daß dir der Athem vergeht! He komm, Böttcher, auch dir hat er den Vater verbrannt! Wer den Mächtigen Anleitung und Gelegenheit giebt zum Bösen, der thut es selbst, du Hund! Aber warte, es werden noch mehr arme Söhne durch dich lebendig verbrannter reicher Väter kommen! He! – rief er in die Menge, Zaddick! – Berkuk! – Tulnu! Bibar und Kilaun! Wo seid ihr? Verbrennt nicht den letzten Pfahl – wir brauchen ihn, den Tollogen Korax zu spießen, lebendig, versteht sich, wie er unsere Väter lebendig verbrannt hat!

Es kam aber jetzt vor dem neuen Verhör zu keiner Ausführung, während welchem der Seiler und der Böttcher nur ihren ergriffenen Feind festhielten.

Die Rotte »der höflichen Bettler« des Schmuckes der Weiber ward dem Derwische auf dem Dromedar gegenübergestellt. Und während er sie prüfend betrachtete, betrachtete Sisman ihn und sah, daß es Nooman, derselbe Derwisch war, der in dem Karavanserai ihm seine Speise sogleich überlassen hatte und aus Frömmigkeit oder Sicherheit des eigenen Lebens dem Wahrsager aus dem Wege gegangen war. Der Derwisch Nooman fand zwar, daß die Männer nur Einen Rock anhatten, wie die Bekenner des Böre, weswegen die Griechen sie auch die Monochitonen oder die Leute mit Einem Rocke nannten; auch die Böre-Mütze trugen sie, und jeder eine Blume oder doch ein grünes Blatt daran; aber ihre Gesichter zeigten nicht die Züge solcher Menschen, die aus gutem Herzen sagen: Was mein ist, ist dein! Sie schienen ihm verkleidete Leibwachen, hieher gesandt, Böre's Lehre zu verdrehen und ihn und die Seinen im Volke verhaßt zu machen. Aber hier war die Berufung auf den lebendigen Lehrer oder Propheten möglich, und frei und nahe. Sie standen trotzig da, nicht heiter und mit einem beinahe göttlichen Muth und Vertrauen des Volkes, das des unaussprechlichen Glückes, des gegenwärtigen und nahen begeisternden Wunders genoß, daß ihr Lehrer, Freund und wie allmächtig erscheinender Prophet lebt, mit ihnen wacht und schläft, dieselbe Sonne, dieselben Gestirne sieht, täglich neue herrliche Worte aus dem Quell seines Geistes über sie ausgießt, sie freundlich ansieht und mit ihnen und ihren Kindern redet.

Das Volk hatte den Derwisch Nooman stillschweigend zum Richter in dieser Sache bestellt; es erkannte ihn dafür an durch Harren auf seinen Ausspruch; und er befahl den Ergriffenen, alles Gut der Frauen aus ihren Bündeln in den Korb auf der andern Seite des Dromedars zu legen. Sie kamen einzeln alle nach einander und thaten das gelassen, als wären sie nur einem Lehrer der Ihren gehorsam. Sie füllten den Korb damit an, und er ward noch gehäuft voll. Jedes Weib sollte nachher von den ausgebreiteten Sachen sich das Ihre zurücknehmen, ohne daß Irrthum oder Unterschleif dabei zu befürchten war; denn es gibt nicht den kleinsten Ring einer Frau, den sie nicht wenigstens drei, vier Nachbarinnen gezeigt hat, und welchen diese nicht in gutem Gedächtniß, wie in einem unsichtbaren Schmuckkästchen behalten. Darauf frug er die Männer: Seid ihr Bekenner des Böre?

– Sie nickten mit den Augenbrauen. –

Kennt Ihr Böre?

– Sie nickten. –

Hat er blaue oder schwarze Augen?

Da sprach ein Theil: »schwarze!« ein Theil: »blaue!«

Also Ein blaues und Ein schwarzes! sprachen die Weiber fröhlich.

Singt oder sagt einmal das feierliche Gedicht auf seine Geburt, das Mewlud! verlangte der Derwisch.

Einige stimmten das Mewlud auf den Propheten Mohammed an. Sie wußten die Worte des Gesanges auf Böre's Geburt nicht, und verstummten.

So betet das einzige Gebet des Böre! forderte der Derwisch Nooman und half ihnen ein mit dem Anfang: ...... »Seliger Geist ... du bist ....

Das Volk machte schon Raum, um Steine aufzunehmen und die falschen Männer zu steinigen, als Einer derselben den Statthalter Sisman erblickte, erkannte und mit nach ihm ausgestreckten Händen bat: »Sisman! o Sisman! hilf uns auch nun! Wende dich nicht weg, du bist es!«

Die ganze Rotte schrie jetzt: »Hilf uns nun auch! Sandschakbeg!« Das Wort Sandschakbeg, der Name Sisman, die Entdeckung des nächsten Urhebers dieser schädlichen, schändlichen Falschheit fesselte der Menge aus verschiedenen Gefühlen auf kurze Zeit die Zunge.

Endlich sprach Einer: Sind wir nicht Narren, das Maul zu halten vor offenbarer Schandthat an uns! Wenn wir nun die Menschen gesteinigt hätten, wer trüge die Schuld? Wer hätte da sollen gesteinigt werden? – der Sisman!

Dazu ist noch Zeit! riefen Viele.

Brüder – wenn er es ist! warf Einer ein. Fragt ihn doch!

Du bist ein ehrlicher Esel! tadelte ihn ein Anderer; wenn er es ist, ist er da ehrlich wie du? Sagt er nicht: Nein! – und ist er es nicht, sagt er nicht auch nein! Du Schaafskopf! Hole nicht aus mit der Hand! Der Schaafskopf macht dir Ehre!

Du thust mir leid, o Königssohn – nahm jetzt der Derwisch Nooman das Wort, indem er sich im Korbe des Dromedars so nahe zu Sisman auf seinem Pferde wandte, daß sie sich mit der Hand berühren konnten – Du thust mir leid, daß du hier nicht wagen darfst, deinen Namen zu nennen! und deinen Vater! Was sagt der Jesuaner, der du warst, zu dem Muhammedaner, der du scheinst und heißest? So ist Herrendienst! so ist sein Vaterland verlieren! sein Reich! Aber dein Vater war feig, daß er sich und dir bei lebendigem Leibe das Leichentuch um den Hals band, mit dir aus dem festen Nikopolis an der Donau schlich wie ein Gespenst und als ein Todter sich dem Ali-Pascha ergab, um das Leben zu retten. Aber du bist ein guter Sohn! Denn hört es, ihr Andern, rief er jetzt laut, als dieser Sisman mit seinem Vater, dem Kral, in den Kerker geworfen war, und als die Mörder kamen, ihm den Vater an seiner Seite im Schlaf zu ermorden, da erstach er den Einen und der Andere stach ihm zur Vergeltung beide Wangen durch und durch! Seht die zwei rothen Narben, worauf kein Bart wächst – die Narben machen ihm Ehre! Aber daß er sein Leben rettete durch ein Renegatenleben, daß er ein Scherge ward, um ein Scherge zu bleiben, das macht ihm Schande! Habt Mitleid mit einem Mann, der in Schande lebt! Er ist ein elender Mann! Fürchtet die Rache eines Menschen, den ihr beschämt habt! Und fürchtet noch Einen – er hat einen wüthenden Sohn, den Sisman-Aga, der sich doch nicht mehr zum König, zum Kral der Bulgarei wüthen wird! Habt Mitleid mit einem Vater, der einen schlechten Sohn hat! –

Um dem christlichen Königssohn, der zum Türkensklaven geworden war, das Leben zu retten, was glücklich gelungen schien, hatte Nooman solche Worte gebrauchen müssen. Er hatte aber dabei nicht vorsichtig zugleich – wenn es möglich war – an die Rache des hier beschämten Menschen – an Sisman gedacht, der ihm jetzt seinen schon heimlich ergriffenen Candschar mit Gewalt in den offenen Mund stieß, daß die Spitze hinten zum bloßen Nacken herauskam und blutig zu sehen war.

Der Mund des armen Derwisch biß, wie ein selbständiges für sich handelndes Wesen in das Heft des Messers, so daß es Torlak nicht herausziehen konnte, oder seinem getreusten Nooman so wehe zu thun nicht vermochte, wie durch Gewalt geschehen wäre. Kein Tropfen Blut floß. Die Wunde war durch den Stahl verstopft. Nooman schnarrte einige unverständliche Laute gegen seinen Freund Torlak, drückte ihm die Hände und sah ihm wehmüthig in die Augen, während seine Unterzähne wie vor Frost anfingen heftig an das Eisen zu klappern. Jetzt erhob er die Hände zum Himmel, sah unverwandt in die Bläue und seine scheidende Seele betete das Gebet Böre's, wie aus der eigenthümlichen Lage seiner Arme dabei als gewiß anzunehmen war. Er vergab also nicht etwa nur seinem Mörder, er war sich reiner bewußt, denn sein Gebet sagte zu Gott:

»Seliger Geist, du bist. Du bist, so ist Alles sicher ge-
»borgen und selig mit dir, so bin ich, so lange du bist. Sei du,
»ist mein einzig Gebet. Du bist alles, Leben und Liebe. Du
»hast alles, Sonne, Mond und Gestirne. Du giebst alles, Al-
»len, dich selbst; du giebst mir auf Erden Mutter und Vater,
»Jugend und Freude, Gemahl und Kinder und Alter und
»Grab. Wie du bist, laß mich sein; wie du liebst, lieben; wie
»du giebst, geben. Was dein ist, ist mein; was mein ist, sei
»dein, allen den Deinen mein Brot, mein Gewand, mein Leib
»und mein Leben. Mein Leben ist deines, deine Liebe sei mein,
»so lange du lebest und liebest, du seliger Geist.«

Jetzt richtete er sich hoch auf; brach dann wie ein Blüthenbaum, stürzte über zur Erde, und wenn er nicht schon todt war, schlug er sich todt. Denn er zuckte nicht mehr.

Jetzt war das Volk nicht zu halten. Es riß Steine auf, die Weiber griffen nach dem Dromedar mit ihrem eigensten Eigenthume, und führten es glücklich schreiend aus dem Gedränge. Stimmen riefen voll Rache: »Platz um Sisman!« Die Menge drängte von ihm zurück, und Korax nahm die Verwirrung wahr, ließ sein elendes Pferd im Stiche und wand sich fort durch die gährenden Menschen. Da fielen die ersten Steine um Sisman, der seinen Leib mit dem todten Nooman deckte, ihn aufraffte und wie einen Schanzkorb fest vor sich hielt und wendete.

Torlak wünschte um alles in der Welt nicht, daß der Statthalter oder überhaupt nur Ein Mensch von Böre's wahre oder für wahr auszugebenden Bekennern ermordet würde. Aber da war mehr kein Mittel, als sich dem Volk zu erkennen zu geben. So stellte er sich selbst wiederum vor seinen todten Freund Nooman, erhob die Hände nach der Weise der Bekenner des neu-uralten Glaubens des Böre und rief mit lauter Stimme: »Steinigt nicht euern Vater Torlak! Ich bin euch Torlak.«

Der Name Torlak wirkte wie ein Zauberschlag auf das Volk. »Bist du Torlak!« riefen die Nächsten. »Torlak ist da!« riefen sie in die Menge hinter sich aus. »Torlak Hu Kemali ist da!« wiederholten die Stimmen. »Das ist er! Das thut er! So sieht er aus! – Ja, er ist es! Das ist unser Vater und Freund, das ist der Ali des Propheten Böre, unseres Dede Sultan!« –

Vor allen die Juden waren außer sich und warfen sich in scheuer Ferne auf die Knie oder auf das Antlitz. Die Türken streuten Staub auf ihre Häupter, zum Zeichen ihrer Verehrung. Die Christen legten den Kopf auf die linke Schulter, zum Zeichen, daß ihr Leben ihm gehöre. Torlak aber hielt sich die Hände vor sein Gesicht aus Scham über das arme, einmal fröhliche Volk.

Dann nahm er seine Hand weg und frug mit sanfter Stimme: Ihr habt mich nicht gesteinigt? Warum wolltet ihr diesen steinigen? Ist er ein Andrer als ich? Von Jemand Anderem? Gehört er einem Andern? Ihr wißt: Wir gehören Alle nur Einem! Wir sind nur Einer. Weil jener eben nur dies nicht erkannte, darum tödtete er unsern Freund, den armen Nooman, der auch ein Königsurenkel war, der Letzte von seinem arabischen Stamme. Aber weil Sisman dies nicht erkannte, wollt ihr auch, doch grade gemahnt und aufgeschreckt dadurch, es verkennen? Ist das ein Grund, ein Schluß: Weil er tödtete, wollt ihr ihn tödten? Friede mit ihm! Friede mit euch! Und habt ihr die Pfähle genommen – obgleich sie zum Spießen von Menschen bestimmt waren – gebt sie wieder!

Da antwortete Einer: Das haben unsere Widersacher gethan, um uns als ungehorsames, widersetzliches Volk zu brandmarken, uns, die wir doch nur Gott als Herrn im Herzen, im Hause und im Lande klar mit Augen sehen, und jedem Menschen dienen, also auch dem Sultan.

Nein! sprach ein Türke, wir haben es gethan, weil die Marterhölzer uns selber schreckhaft dalagen! Denn seit Timur Tausende von Menschen, als Igel zusammengerollt, lebendig begraben lassen, seitdem glauben wir Alles im Lande, und sind kopfscheu ja – pfahlscheu! Ehe so viel Pfähle nur wieder beschlagen werden, ehe muß man uns mit Stricken hängen, denn solche Herren haben keine Geduld! Vor acht Tagen sind erst Leute zu Böre durch unsere Dörfer gezogen, denen wir eine Mahlzeit gegeben, und dort sitzen wir Alle schon abgebrannt! Mir sind zwei kleine Kinder verbrannt! O Herr, wegen eines Bissens Brot, den sie mit Kindern getheilt haben! Schreibst du einmal an Gott, schreib' doch das mit in den Brief!

Er weiß es schon! sprach Torlak erschüttert.

Nun, so hoff' ich, er wird uns ferner helfen! sprach der Mann.

O Vertrauen, wanke nicht! sagte Torlak zu sich selbst. O Menschen, sterbt nur nicht an Ohnmacht! weder an geistiger noch an leiblicher Ohnmacht! Aber auch graue Haare stehen noch lange! geschweige Kinderhärchen! Der Mensch hat nie sich selber umgestürzt; ganz unermüdlich baut er fort an sich! Nichts Vergangenes ist zu bedauern, nichts Altes ist mehr wichtig noch auszubessern. Gott ist ewig jung, alle Tage jung wie ein neugeborenes Kind! und so neu zum Erstaunen, so neu-reich zum Entzücken. Also wir, auch wir, wir Alle. Es muß Alles neu werden! Es wird Alles neu werden! Getrost, auch du, mein Herz!

So zog er jetzt in der frömmsten Stimmung den Candschar seinem getreuen Nooman aus dem Munde, woraus nun erst Blut und Wasser quoll, gab ihn dem Statthalter Sisman als sein Eigenthum wieder, und sagte nur leise das Wort: Sein Leben war nicht dein. Nur was dein ist, kannst du geben. Nur was dir gegeben wird, darfst du empfangen. »Nehmen« ist kein Wort mehr. Aber was mein ist, das ist dein; wenn du sein bedarfst; ich bin Alles, was mein ist, zu sein, zu geben, zu leisten bereit, auch jetzt dir meine Hülfe, die Sicherheit, die du fürwahr zu bedürfen scheinest. Komm' mit mir, in das Nachtlager, und morgen mit mir nach Manissa.

Den todten Nooman übergab er den Derwischen, um ihn nach ihren Gebräuchen zu begraben.

Indessen war schon längst ein anderer noch junger Derwisch sogleich durch die Menge nach dem ganz nahen Hause seiner Schwester Maaraton gedrungen, um ihr zu verkündigen: »Torlak ist da, Torlak Hu Kemali ist da, der Freund des Dede Sultan Böre!«

Diese Schwester Maaraton aber war die unermeßlich-reiche, bezaubernd schöne junge Witwe eines türkischen Kaufmanns. Eben als er das Hochzeitbett besteigen wollen, worin sie, das Antlitz in die Pfühle verborgen, zitternd auf ihn geharret, hatte ihn zu ihren Füßen der Blitz im Menschen, der Schlag, getroffen und erschlagen. So war sie die einzige Erbin des einzelnen Mannes, ohne ein Kind, ohne einen Verwandten, als ihren Bruder Eliah, der aus Frömmigkeit die Armuth erwählt und ein Derwisch vom Orden des noch lebenden Heiligen, Postinpusch, geworden, dem Murad I. in demselben Jahre, als König Ludwig die Kirche zu Mariazell erbaut, zu Jenischehr ein großes schönes Kloster errichtet hatte. So wie ihr Bruder Eliah zur Frömmigkeit sich geneigt, so war sie begeistert für die einfache kindliche Lehre des Böre, der alles Volk der drei feindlichen Brüder jetzt zufiel.

Als Eliah seiner Schwester Maaraton nun gesagt: »Torlak ist da;« blieb sie wie vor der Erscheinung eines Engels stehen. Ihre rasch ausgebreiteten Arme sanken allmälig, ihre Lippen waren geöffnet, aber sie konnte nicht reden; ihre groß aufgethanen Augen staunten wie in eine weite, weite entzückende Ferne, und ihr schönes Gesicht ward mit dem Purpur einer von ihr gesehenen aufgehenden Sonne geröthet, ihre ganze Gestalt bebte, und plötzlich umschlang sie ihren Bruder wie einen endlich gefundnen Geliebten, sie preßte ihn so an die Brust, sie küßte ihn so, dann weinte sie so einen Augenblick. Doch plötzlich stieß sie ihren Bruder zurück und sagte ihm mit Windesschnelle: »Geh, führe ihn her! Fall' ihm zu Füßen, ich falle dir zu Füßen – führe ihn her! –«

So kam denn Eliah jetzt, selber ganz wunderbar verlegen gemacht, ergriff Torlak an der Hand und sagte ihm bittend: »Dein Nachtlager ist dir bereitet – – bei meiner Schwester – – in ihrem Hause. Sieh, es wird Nacht! Gehe mit mir. –«

Torlak faßte aber Sisman an der Hand und ging mit Eliah zu Maaraton. Selber das verlassene Pferd des Korax lief den andern hinterdrein. Torlak rief noch Einen aus der Rotte der Räuber herbei und hieß ihm: »In das Haus, worein ihr mich gehen seht, folgt Alle in einer Weile nach und harrt.« –

Die schöne Wittwe Maaraton sah Torlak hinter dem Gitter ihres Fensters auf ihr Haus zukommen. Von den Stufen des Heiligthums der Liebe hinweggerissen, war sie doch innerlich bereit gewesen, ein Weib zu sein und Mutter zu werden; ihre Glut war in sie zurückgeschlagen, in ihr verhüllt, nicht wie unter Asche, sondern wie aufgebrochene Blumen unter warmem Schnee, so in die Pracht und Fülle der herrlichen Glieder ihres wie marmornen Leibes. Ihre Trauerzeit war zu Ende. Sie war so eben aus dem Bade gekommen, wo die Weiber vor Weibern ihren besten Schmuck sehen lassen und genießen, wie das Auge den funkelnden Thau. In dem abendlich düstern Zimmer schimmerte sie weiß, wie eine Engelsgestalt. Ihre Stellung schon war hinreißend schön. Sie kniete mit dem linken Knie auf einem weichen Kissen, das mit breit gestreifter Seide überzogen und mit starken goldenen Quasten an den zwei sichtbaren Ecken geschmückt, auf einem Tabouret lag, über das ein bunter lachender Teppich gebreitet war, der bis über die Stufe des erhöhten Sitzes herabhing. Auf dem Teppich stand der goldgestickte Pantoffel ihres linken nackten Fußes, den sie in Begierde des Schauens neben dem Kissen ausstreckte, so daß die Zehen gleichsam zwischen den Blumen des Teppichs Wurzeln zu schlagen schienen. Auf der großen Zehe steckte ein Ring mit Rubin, auf der zweiten Zehe ein Ring mit einem Smaragd, und auf der vierten Zehe ein Ring mit einem Diamant. Dann war das Füßchen nackt und nur weiß bis an den Knöchel, von wo nicht eben weite aber schleierfeine weiße Hosen das schöne Weib bis an den Gürtel bekleideten. Zwischen dem knienden linken Schenkel und dem ausgestreckten rechten, hing der um die Hüften hervorkommende, vor ihrem Schooße nur überschlungene schmale, weiße, durchwirkte Lachuri in zwei Zipfeln herab, dessen einer neben ihrem rechten Knie sich wie der bunte Kopf einer Zauberschlange auf das Kissen gelagert hatte. Ihr handbreiter, goldener, mit wenigen, aber sehr großen Edelsteinen besetzter Gürtel umschlang ihren Leib und hielt ein leichtes ganz blasses, wie vom Himmel nur zart-blau behauchtes Obergewand zusammen, das durch ihre gespannten Schenkel vom Gürtel an sich bis hinter die Kniekehlen zurückzog, oberhalb desselben aber über die schöne junge Brust weg sich um den Nacken schlich, die Schulter umwand, wo unter breiten Spitzen hervor die schön gebildeten weißen bloßen Arme aus fein wie Nebel gewebtem Schleier dämmerten, indeß die Edelsteine von den Armbändern um Handgelenk, Mittelarm und Oberarm blinkten, und die fünffache Perlenschnur unter dem bloßen Halse auf der Brust, kaum von ihr unterscheidbar schimmerte. Schwarzes, zu beiden Seiten des Halses heruntergefallenes Haar verbarg die Quelle, woher die Perlenschnuren tropfenweis rieselten, und wohin sie leise liefen. Nur das Ohrgehänge ihres rechten Ohres war sichtbar, denn sie hielt das Köpfchen gewendet, um hinauszusehen. Das thaten aber die Augen mit einer Sehnsucht und Hoffnung, die von dem weißen schönen Gesicht wie zauberisches Mondlicht vom Schnee glänzte. Ihre rechte Hand streckte sie von sich in Erwartung, sich selber Ruhe und Stille gebietend, wie vor einem Wunder. Mit der Linken aber hielt sie sich am Gitter fest, wie um sich selbst vor der Flucht zu fesseln. Ihr langer Schleier hing, zurückgeschlagen, hinter ihr, vom Hinterhaupt bis zu dem nackten Füßchen. – Als die Männer in die Thür gingen, dehnte sich ihre ganze Gestalt und hob sich auf dem gestützten Knie. Dann stand sie plötzlich mitten im Zimmer, als das Entzücken in Weibesgestalt. In ihren leeren Armen preßte sie einen unsichtbaren Geliebten an ihre Brust und hielt ihn so umschlungen, während ihr Köpfchen sich neigte und gleichsam sich in die leere Luft legte, indem sie meinte, es auf die Schulter ihres Freundes zu legen. Ihr Gefühl, ihre Begeisterung, ihre inbrünstige Liebe galten aber nur dem fernen neuen Propheten, dessen Sklavin sie sein wollte, wenn sie nicht mehr, nicht auch noch sein Weib sein könnte. – »O Khadijah, wie selig warst du!« sprach sie jetzt leise, die flache Hand gegen ihre Brust drückend, und meinte die Gattin des Propheten Mohammed. Sie ließ voll Ungeduld die Männer sich ausruhen in ihres Mannes Zimmer, und als Zaddig, der geerbte schwarze Verschnittene desselben, ihr endlich ansagte, daß die kostbarsten für sie bereiteten Speisen zum Abendmahl fertig wären, trug sie schweigend die silbernen Schüsseln selbst auf, goß ihnen das Rosenwasser zum Waschen auf die Hände aus der goldenen, mit Edelsteinen besetzten Kanne, während Zaddig das goldene Becken hielt, trocknete ihnen die Hände ab und diente ihnen als Sklavin. Sisman aber konnte und wollte nicht essen; er ging hinweg und legte sich in der Kammer auf sein Lager, von wo er durch die offene Thür seine Feinde und das Weib sehen konnte. Er beschaute im Stillen seinen Candschar, den Dolch, den Stahl Gottes, der das Wunder gethan, einen Menschen zu Staube zu machen. Vorher ein Christ, dem Namen und den Gebräuchen nach war er auch nur ein solcher gewesen wie sein ganzes Volk und selber die Adligen und Ritter, die fast alle lebten, wie sie wollten: trinkend, schmausend, hausend, plündernd, erwürgend, unzüchtig mit sogenannten gemeinen Mädchen, deren Name und Geschlecht nicht bekannt ist, deren Leben also dem Rohen nur wie das Leben eines Rehes im Walde ist, deren Ehre und Glück nichts bedeutet; ein offenbares Unrecht ließen sie sich im Beichtstuhl vergeben und büßten es ab, indem sie schon wieder auf neue Unthaten sannen. Mit Ehrenbezeigung, Gold und Herrschaft und Aberglauben waren die Pfaffen und selber der höchste Pfaffe zufrieden. Sisman hatte sich also so gut wie gar nicht ändern dürfen, als er ein Türke geworden; im Gegentheil war ihm erst wohl gewesen, als alles das, was bei ihm Laster wenigstens geheißen hatte, ihm jetzt durch das Gesetz geheiligt, erlaubt oder geboten war: seine vier Frauen, die unbeschränkte Zahl schöner Sklavinnen, also der unleidlichste, immer durchbrochene Zwang der Menschen fast überall. Das andere war hier Gebrauch und Sitte: Stolz, Hochfahrenheit, Prunk, Härte, Habsucht, Unterdrückung, Sklavenmachung und Sklavenhaltung, Gewalt und Herrschsucht. In alles dieses hatte er, vollends als ein Königssohn, sich leicht gefunden. Aber eben als Königssohn denn nicht in Eins: in den Gehorsam und die Unterthänigkeit; er hatte sein Ehrgefühl mit unter den Turban genommen; Nooman hatte ihn einen armen Sklaven genannt, einen elenden Mann, einen unglücklichen Vater. Das Wort hatte bei ihm eingeschlagen; und da er sein Schicksal nicht erstechen können, auch sich selber nicht erstechen mögen, da er selbst eben seine bessere Ueberzeugung war, und die Seele, welche die Schande empfand; so hatte er mit einem sehr gewöhnlichen Mißgriff den Menschen erstochen, der nur sein treuer Spiegel gewesen. Diesen hatte er nur zu zerschmettern geglaubt. Aber eine böse That weckt die Seele auf; und vor die seinige traten nun die Bilder der verheerten Dörfer und der zwei kleinen verbrannten Kinder, erschreckender als ein See über einer ganzen, in die bebende Erde versunkene Stadt. Er wälzte sich auf seinem Lager. Er dachte an die Bestimmung der Pfähle; er dachte an den erhaltenen Befehl: heimlich die Lage und Zugänge des Berges Stylarios zu erforschen, um den Böre mit allen seinen Tausenden von Bekennern auszurotten. Er dachte an den todten Nooman, der wahrscheinlich schon begraben, jetzt in der kalten Erde die erste Nacht schlief bei Todtengerippen. Und Sisman kehrte sich wieder auf seinem Lager um. Da sah er, wie jetzt die schöne Maaraton zu den Füßen des Torlak saß, seine Hand in ihren beiden Händchen hielt und mit bezauberten Augen an seinen Augen hing, während er Vieles in ihr Herz redete, das ihm offen war, wie eine Lilie der Sonne. – – »So aber wie du heut hier bist, Anemone (das heißt Maaraton)« – sprach er nicht unwillig, »nehme ich dich aber nicht mit zu Böre! Perlenfischerei, Edelsteinschleiferei, Steinschneiderei, Kolibri- und Straußenjagd, Goldschmiedung, Zobelfang und Biberfang und dergleichen, alles gründete sich nur auf das kindische Wesen der Mädchen und Weiber zum Schein. Worauf aber ist das kindische Wesen gegründet? auf Euch! Denn das Weib hat einen zarten Sinn für Schönheit, und einen wie heiligen Hang zu Mährchen und Wundern; und so bringen die Weiber die schönen wunderbaren Feengebilde der Natur, oder der Arich Anpin, dieses Doppelwesens – Anpin heißt auch Vater und Mutter: Abba und Imma – ihre Feengebilde bringen sie, und noch dazu an ihrem schönen Leibe, als auf dem von selber schon herrlichsten Leuchter der Erde, und als ihren Schmuck noch obendarein, den Menschen vor die Augen: zum Gewahrwerden, Bestaunen und zur Freude. Mit diesen geheimnißvollen Wunderschätzen aus der großen Wunderhöhle der Natur geschmückt, und selber noch schöner als jene Schätze, durch ihre Augen, Haare, Zähne, Brust und Lippen und lächerlich kostbaren Händchen und Finger, stellen die Weiber sich selbst jenen geheimnißvollen schönen Zauberdingen gleich, ja erst recht darüber! Die Natur will erkannt sein, das Weib will geliebt sein; alles zur Ehre und Freude des Or-Ensoph, des Lichtes des ersten einen Wesens, das sich so selbst genießt und mit auf sich gerichtetem Auge beschaut; o du holdes Gefäß zum Ausstrahlen und Ausfluß seiner Herrlichkeit! Aber vernimm mich nun wohl, auch seine Liebe und Güte soll durch eure Augen und euer Herz ausstrahlen, meine gute Maaraton! Böre sagt recht und wohl: Was mein ist, ist dein! Das Wort enthält Alles: auch dein Herz, deine Güte ist des Andern. Du wirst bei ihm aus einer That, aus einem Blicke sehen, was Eigenthum ist! Denn selber ein Kind hält den letzten Bissen Brot gegenüber dem alten magern kranken Hunde, nicht für sein Brot, sondern des Hundes! Du wirst gehorchen. Im Gehorsam liegt nicht die Schande, die Schmach und die Knechtschaft: eines Andern Willen zu thun, sondern das Unglück im Gehorsam ist: eines Andern verderblichen Willen zu thun, der vom Glück dich hinwegreißt! Dort bei deinem und meinem Freunde wird der leuchtende, der selige Geist dir alle Dinge erleuchten, wie die eine Sonne alle Blumen; dir Alles durchsichtig machen, wie sie das Wasser durchsichtig macht. Haben ist gut, Arbeiten ist besser, und Geben das Beste. Hast du keine Speise für die armen Räuber des Schmuckes der Weiber? Wer wird sie heut Abend satt machen, wenn nicht wir, die wir geben, ohne zu unterscheiden, wer da empfängt. Denn es lebt nur Einer. Er lebt uns alle, wir alle leben ihn. Wir unterscheiden nicht Menschen; darum fallen alle bisherigen Anhänger der drei Propheten unserem Freunde zu.« –

Mit einem Worte der Herrin an Zaddig, den schwarzen Verschnittenen, war für die harrenden Männer drunten gesorgt, ob sie gleich wie Viele zumeist erst durch das Wunder bekehrt worden war, daß die Heuschrecken die Bäume und Gefilde der Bekenner des Böre, wie unterscheidend, verschont hatten.

In Sisman bekämpften sich alte und neue Gefühle. Zuerst ergriff ihn Neid über Torlak's Gewalt, die er, wie es ihm schien, bis zum Aeußersten über das schöne, schöne junge Weib hatte; es befiel ihn Verdacht der Gefahr für sein Leben im Hause, da er solche Güte nicht gewohnt war; Grimm nahm ihn ein, daß gerade sein Gehorsam ein Unglück sei; er fürchtete Verrath durch den falschen Korax, bei dessen freundschaftlichstem und vertrautestem Gönner, dem Großwesir Bajesid Pascha; er wollte vor seinem Feinde Alibeg nicht zu Schanden werden, der auf seine Statthalterschaft lauerte; er spiegelte sich vor, daß er seinem Lebensretter Torlak vergeltend wieder das Leben rette, wenn er ihn nicht in die bald belagerten Berge ziehen lasse, ihn also gefangen setze und dazu vor ihm nach Manissa reise; und wie es auch komme, jedenfalls dürfte er sich die größte Belohnung vom Sultan für den höchst wichtigen, ihm gefährlichen Rabbi Torlak versprechen. – –

Die schöne, zärtliche, hoffnungsvolle Maaraton küßte dem Freunde ihres fernen angebeteten Herrn die Hände zur guten Nacht. Dann kam er unbesorgt, neben ihm zu ruhen.

Als er aber bald fest entschlafen und alles im Hause still war, setzte Sisman sich erst auf, horchte lange, erhob sich dann leise, schlich aus dem Zimmer, schritt drunten im Hofe über die Beine der schlafenden Schaar nach dem Stalle, fand sein Pferd, fand eine Thür, führte es mit umwickelten Füßen hinaus und ritt hungrig durch die ruhende Stadt in die von goldenem Sommernachtschein dämmernden Gefilde, den Weg nach Manissa zu, wo er noch treue Türken zu treffen wußte.

Am Morgen wunderte sich Niemand über Sisman's heimliche Flucht, ja sie schien Torlak ein gutes Zeichen. Ein Arger kann Schlimmeres anrichten als bloß entfliehen. Mit Unerträglichkeit des Guten fängt die bessere Besinnung des Menschen an, selber die Liebe beginnt mit Unerträglichkeit des Schönen, am Geliebten, im Liebenden. Sie betrieben ihre Abreise aber im Stillen, und während Torlak in der Stadt die Ruhe befestigte, Manches auf eintretende Fälle im Voraus rieth und die Gedanken ordnete und den Gefühlen Richtung gab, sonderte Maaraton ihre beste Sachen, um sie, auf eine ungewisse, vielleicht blutige und feuerflammige Zukunft hin, in die sicheren Berge mit sich zu nehmen, dahin, wo ihres Herzens und ihrer Sinne Halt, ihre Freude und ihre Hoffnung war.

So schied sie am andern Tage auf Wieder- oder Nichtwiedersehen – aber es war auf Nichtwiedersehen – mit ihrem Bruder Eliah. Ihr getreuer Zaddig führte ihren besten Reichthum auf schwerbeladenen Pferden mit. Rabbi Torlak, auf seiner Falbe, war ihr Führer und Beschützer – bis an die Brücke über den Hermus in Manissa, zu welcher er allein vorausgeritten war, um die Sicherheit in der Stadt zu erforschen. Da ergriffen türkische Wächter den Zügel seiner Falbe, dann ihn; und in wenig Augenblicken befand er sich ganz droben auf dem alten Thurm hinter festverriegelter eiserner Thür.

In seiner Seele lag auch die Natur seines ganzen Volkes, die Natur oder Weisheit des Opossum, vor Uebergewalt sich todt zu stellen, wo die Uebergewalt nicht selbst todt zu machen ist; nicht scheinen selbst da zu sein, wo übergewaltiges Unglück sich geltend machen will, und ruhig harrend und eisern im Sinn, durch Schweigen und Verpassen, jeden Sturm und jedes Gewitter, die Klauen der sich in wilde Thiere verwandelnden Menschen, ja sogar die Zähne des größten Ungeheuers, der Zeit, eitel und nichtig zu machen, und wo und wann alle Andern verwandelt worden oder umgekommen, da und dann selbst unverwandelt, mit unverwüstlicher Kraft lächelnd in den neuen Tag hervorzutreten. Mit solcher Seelenstärke seines Volkes begabt, dachte Torlak jetzt nicht einmal, daß er gefangen sei, noch war er verletzt davon. –

Wer wird sich je über das Schlimmste auch ärgern; zürnen, nur wundern! dachte er; die Gelassenen besiegen die Welt und überdauern Alle; die Kraft zu rechter Zeit an das Mittel gewandt, das die Ursache des Leidens heilt, das ist der Vernünftigen Wuth und Zorn. –

So sah er durch das eiserne Gitter seines Fensters nach seinen Begleitern hinaus. Er sah endlich den treuen Zaddig langsam herbeireiten, aber eilig davonsprengen, als ihn die Wächter drunten wahrscheinlich ergreifen gewollt. Sein Pferd flog wie ein laufender Strauß an der Erde dahin; Reiter verfolgten ihn, ohne ihn zu erreichen, bis hinter den Hügel, wo sich der Strom in Gebüschen verlor. – Ob sich Bruder und Schwester, Eliah und Maaraton, durch die Furt gerettet, ob Zaddig thöricht genug gewesen, durch seine Flucht zu ihnen sie erst zu verrathen, ob er die Reiter verlockt und dann entflohen; wo die Reiter geblieben, ob sie vielleicht im Strome ertrunken oder getödtet worden seien, da sie nicht wiederkamen – er konnte es aus keinem Zeichen abnehmen und legte sich ruhig hin.

Indessen war Sisman nach Smyrna geeilt, wo er in den Tagen seines Aufenthaltes im Stillen wahrnahm, daß das Volk schon auch von Böre's Lehre glühte, entweder um wirklich zu dem Guten zu gelangen, das da bleiben und dauern kann und soll, oder um auch nur aus dem Unglück zu kommen. Denn es war weit und breit, und auch hier ruchbar geworden, daß der Raub und Brand von den Türken hergerührt. Auch »Sisman« ward dazu genannt. Viele Einwohner zogen also nach dem Berge Stylarios, manche als Wallfahrer, manche als Auswanderer. Sisman schloß sich als Derwisch verkleidet den Derwischen an, und unbehindert, da die Menschen einander nicht fragen, wie und warum Einer ein Kluger oder ein Narr geworden? sondern an die bunten Gestalten der Erde gewöhnt, über Mönche, Priester, Soldaten, Reiter, Fußgänger, Reiche und Bettler sich nicht mehr wundern, da jeder im Herzen sich selber bestätigt findet, wenn er seines Gleichen sieht. So zogen sie am Meerbusen dahin, nicht wissend, daß Begeisterung, Muth, Tapferkeit, Feigheit, selber der Glaube nur eine ansteckende Krankheit, oder eine ansteckende Gesundheit ist, die aus der inneren Witterung des Geistes kommt, der eben waltet.

Sisman erschrak, als er die ruhige Macht des herrlichen Berges erblickte. Er ahnete nicht, daß nach wenigen Wochen seine Gebeine da droben in einer der Felsenschluchten begraben sein würden, während die leuchtende Sonne wieder so still darüber leise dahinzöge, als das ewige Weltwunder der lebenden Menschen, und wenn es möglich wäre, ein noch größeres Wunder für die Todten. Alle Fluren bis an den Berg, alle Anhöhen bis an den Gipfel schimmerten köstlich grün; denn ein Sturm hatte die nach dem Berge aufsteigende Heuschreckenwolke ergriffen und jenseit desselben ins Meer begraben, woraus das Volk nach seiner Art, wieder ein Wunder gemacht. Sie gingen aus einem Feigenwald in den andern; von einem Zibebenhügel auf den andern; durch einen Orangenhain in den andern, allmälig hinan durch gesegnete wallende Saaten; jetzt wieder an feuerroth blühenden Granatbüschen hin; jetzt an Aloen, dann im Schatten von hohen Cypressen, von Platanen, von Ulmen, Kastanien und jenen morgenländischen, edleren, zartern Eichen; dann wieder durch wohlbewässerte Haine uralter und junger Oliven, indem ihnen die Quellen des Berges frisch und silberglitzernd entgegenkamen in Blumenufern.

Seine Falschheit beklomm Sisman die Brust, die ihm vom Steigen schon voller war. Er sah manchmal schüchtern auf oder zur Seite; aber Keiner der Begegnenden frug sie, oder frug sie aus; denn hier wohnte das Zutrauen. Auch hielt sich Sisman für sicher, da ihn hier Niemand kannte, Torlak und Maaraton mit ihrem Bruder aber gefangen saßen, wie er meinte, und Korax vielleicht hieher nicht kam, oder zu vermeiden war. Sie fanden in den reizend gelegenen Dörfern bei willigen Menschen, theils mehrere zusammen, theils einzeln, Alle ihr Unterkommen. Denn sie kamen wie gerufen.

Sisman merkte mit Erstaunen, daß hier Ein Geist walte, der seine Erscheinung gegen eine ganze Welt zu behaupten entschlossen war, der die Macht dazu hatte und sie gebrauchte. Das war kein Gewitter in einem kleinen Kinder-Leibe, kein Sturm in einem Glase Wasser, die hier losbrechen sollten! Das waren Anstalten, das ganze türkische Reich zu erschüttern, seine Heere alle zu verschlingen, das ganze kleine verworrene Europa nicht halb, sondern ganz und gründlich zum Vorbild der Erde zu reformiren. Denn der Berg war ein geharnischter Riese, mit dem Felsenrücken an das unwirthbare Meer gelehnt, und sein Leib wimmelte wie ein Haufen sonderbarer großer Ameisen, oder ein riesengroßes Wespennest, von Menschen, die statt des Stachels Lanzen und Speere und Schwerter und Pfeil und Bogen mit kräftigen Armen führten. Um die Lage des Berges zu erforschen, damit er leichter und sicherer erstürmt werden könne, gesellte sich Sisman zu jenen Arbeitern, die hoch hinauf zogen, um seine Brunnen zu reinigen, seine Quellen zu erweitern, und seine kleinen Bäche in eine Vertiefung zu leiten, um dort einen See zu bilden. Die Befehle und Anordnungen, den ganzen Berg Stylarios zu befestigen, gingen alle von dem Heeresrichter Bedreddin aus, und Sisman wunderte sich über die Vorsicht, Voraussicht, Erfahrung und Willenskraft dieses in Asien, Afrika und Europa berühmten Scheichs. Denn als er mit seinen Arbeitsgenossen zu Berge zog, sah er die erste Lage und Reihe der Felsen, auf denen Böre wohnte, unzugangbar gemacht in den Klüften durch hineingewälzte große Steine, Dornengesträuch und gefällte Bäume; die Felsenwände aber unersteigbar und unerstürmbar gemacht durch Abbrechen aller Anhalte und Zerstören aller Standplätze. Ganze lange starke Buchenstämme lagen droben als Walzen, um die Stürmenden reihenweise hinunterzurollen oder zu zerquetschen, und diese furchtbaren Walzen waren an Stricken oder Ketten wieder hinaufzuziehen. Große Haufen Steine lagen auf den Felsstirnen in gemessenen Entfernungen, und Kinder selber konnten sie schon mit den Füßen hinabstoßen und eine ganze Leiter voll Krieger zerschmettern. Bloß auf die Einnahme dieser untersten Naturveste, die 3000 Männer, Weiber und Kinder vertheidigen konnten, rechnete der kriegserfahrene Sisman 6000 ganze tapfere Männer Verlust, von Kopfscheuen aber 10,000. Er schritt daher mißmuthig durch die einzig gangbar gelassene Felsenschlucht, und schlich dann auf der ersten sanft ansteigenden, mit Wohnungen und Gärten bedeckten Hochebene nur mit Scheu an Böre's Gehöften vorüber, die überaus sauber und freundlich einer lieblichen Meierei glichen. Der zweite Felsenwall der Bergveste stieg für Menschen, die sie unter einem Hagel von Felsstücken und unter Strömen siedenden Wassers und brennenden Peches erklimmen sollen, noch grauenhafter empor, so schön sie für das Auge in ihrem Schmucke von Blütenbüschen und Epheu und Lorbeergesträuch erschienen. Dieser höher gelegene, also engere Gurt des Berges ward so eben auch unzugänglich gemacht, wo möglich nur noch sorgsamer und kunstvoller. So früh es am Morgen war, so kamen ihnen doch schon die Jünglinge und Knaben der Bewohner der Unterdörfer mit jungen Stämmen von Buchen, Eichen, Ulmen und Eschen beladen entgegen, die sie zu Lanzen und Spießen ausgehauen.

Da kriechen Ziegen der Heerde gefährlich, wie sollen da Pferde hinan oder Menschen! dachte Sisman, als er einen schönen Knaben sah, der sie hütete. Es war Böre's Sohn, der Knabe Isa oder Jesus.

Zwei Jünglinge fanden noch ein schönes, grades, junges Buchenstämmchen, und jeder wollte es haben. Sie stritten darüber, indem jeder sagte, daß Er es nothwendiger brauche. Da trat ein Dritter vor den hütenden Knaben und frug bescheiden: Sagt nicht der Vater: »Wer etwas nothwendiger braucht, das ist der Streit der Welt; aber die Frage guter Herzen ist: Wer giebt oder läßt dem Andern williger?«

Da schämten sich die Jünglinge vor dem Knaben, und Sisman erröthete seit langer Zeit zum erstenmal wieder. Und in Gedanken bemerkte er kaum den auf der zweiten schmälern, nicht so sanft ansteigenden Hochebene sich anfüllenden See, und die großen Heerden Schaafe und Rinder, und die bebauten Felder, hinlänglich, alles für die Vertheidigung des Berges nöthige Volk jahraus jahrein zu ernähren, so daß an kein Ausdursten und Aushungern desselben zu denken war. Desto mehr erschrak Sisman, als er, auf dem felsenumgürteten Gipfel des Berges angelangt, von seinen Begleitern das Wort vernahm: »Seht, da ist Bedreddin! Böre's Schwert!« –

Er blickte auf, und sah auf einem schwarzen arabischen freundlichen Pferde einen hohen, blassen, ernsten und doch sehr wohlwollenden Mann, ohne allen Schmuck, ohne Schwert, sogar ohne Dolch. Er hatte die Zügel in seinen Ellenbogen fallen lassen und hielt bedenkend seine linke Hand am Kinn, indem er manchmal mit den Fingern am Barte hinunterfuhr bis an seine Spitze. Er schien also ganz zufrieden. Sisman war ihm gegenüber nicht wohl zu Muth. Er fühlte das Gewicht eines überlegenen Geistes, der in alten und neuen Tagen überall schuldlos die Menschen dümmer und willenloser macht, als sie sind und sein sollen, und die ihn erst ganz verstehen, wenn sie von seiner Erscheinung entzaubert sind, wenn er also nicht mehr besonders wirkt. Das Unverstandene beherrscht die Welt, das Verstandene wird beherrscht. Von der Zinne des Berges war eine große reizende Aussicht: zur Rechten drunten glänzte die Bucht von Smyrna wie ein silberner Teich in grünen Ufern; links, zwischen säuselnden Buchen erschien fernhin Ephesus; wieder durch eine blaue Lücke ragte das hohe Samos herein; dann das Meer, und wieder durch eine blaue Lücke, gegenüber das köstliche Chio mit seinem röthlichen Felsengebirge; alles aber, Land und Meer und Inseln und Felsen und Bäume und Hütten, ruhte unter bewegtem lieblichen Morgengewölk, und dieses wieder unter einem entzückenden, Herz und Auge erfrischenden Himmelblau – aber Sisman sah das Schöne alles nur wie im Traum, mit unruhigem Blick. Er arbeitete mit Wuth und sah trotzig zur Erde. Da überlief es ihn wirklich heiß, als er Stimmen jetzt sagen hörte: »Nun seht! Da kommt auch unser Torlak!« –

Er begriff nicht, wie er hier sein konnte; aber ein scheuer, nicht ohne Ursache fürchtender Blick nach dem Manne auf einem kostbaren Pferde neben Bedreddin überzeugte ihn wirklich und preßte ihm das leise Wort aus: »Teufel, es ist Torlak!« – Mit dem Gesicht weggewendet, setzte er sich auf die Erde, bedachte seine Lage und sagte sich heimlich: »Fort! Sisman, jetzt fort! Bedreddin schenkt keinem Solchen wie mir das Leben! Verwünschter Großwesir Bajesid, der vom Timur gelernt, nicht Esel und Narren, sondern sachverständige Männer als Spürhunde auszusenden! Aber ich weiß auch genug! Ich sehe, diese dreifache Bergesveste erstürmen nur zehnmal fünfzehntausend grimmige Thiere der Macht! Und wo noch! Diese Schluchten-Gräber werden von ihnen nicht voll! Die Armen! Aber sie auch zu ermorden, ist schreckliche Arbeit, ihr armen guten Leute auch! Jetzt aber entflieh! schleiche dich fort, und Glück auf den Weg! Ich muß wieder zu meinen verachteten Verächtern, ich muß – sie haben mein Herzblut zum Pfande, meinen Sohn. – Ihr Schlangen!«

Es kamen aber jetzt Esel mit Körben voll Feigen zum Frühstück beladen herauf; Sisman mußte also bleiben und aß in den unvergleichlichen süßen Früchten bittere Galle gegen seine Gebieter, durch die er in solcher Gefahr saß. Dann aber ging er seitwärts mit dem Kruge nach Wasser, schlüpfte aber in die Gebüsche und gelangte mit Lebensgefahr durch die obersten Felsen hinab auf die Ebene darunter, über welche er wie ein Gespenst nach dem mittelsten Felsenkranze des Berges schlich. Da hörte er droben Stimmen rufen; er ging sacht ins Gebüsch, er sah sich um, und erblickte Torlak und Bedreddin am Rande der Zinne und sah, wie Torlak mit der Hand herabdeutete. Er konnte ihn erkannt haben. Doch war er nun schon im Gebüsch. Er wagte sich nicht mehr heraus auf das Freie nach dem Fußpfad, den er verfehlt hatte. Niemand rief mehr, Niemand kam nach. Das trieb ihn aber um so mehr fort, so lange er noch sicher von hier zu entkommen dachte. Er rutschte in einer Wasserbahn hinunter; er griff aber zu rechter Zeit nicht fest genug in die Dornen zur Seite; die Bahn ward jäher, und er stürzte über einen steilen Hang eine Mastbaumhöhe hinab auf den Rasen am Fuße des Felsens.

Seine Lebensretterin war eine daliegende matte tragende Ziege, auf die er fiel und die er erschlug; aber er lag, wie zerbrochen am ganzen Leibe für todt, auf der todten Ziege. Die Vögel in den Gebüschen am Hange waren vor Schreck, wie vor einem großen auf sie stürzenden Raubvogel, mit lautem Geschrei davongestoben. Aber auch Böre's Knabe, der junge Jesus, hatte ihn fallen gesehn und gehört. Er lief hinzu. Die Mutterziege sah ihn mit brechenden Augen für ihre armen Zicklein an und leckte ihm die Hand, und er redete ihr gut zu, und streichelte sie, während er schon die Augen beklagend auf den Verunglückten heftete. Er getraute sich nicht ihn zu rütteln, wenn er noch lebte, und noch weniger, wenn er todt sei! Aber sein Hund Timur beroch ihn und bellte dem Daliegenden vor den Ohren. Diesem Zeichen traute er, hieß dem Timur bei ihm zu bleiben, der sich getreu zu ihm legte, und sprang nach des Vaters Hause, um Männer zu holen, die ihn trügen.

Aber da war kein einziger Mann. So rief er die Mägde. Sie kamen. Er hieß noch einer ein Lager indessen bereiten und den alten Hirten zu holen. Vier trugen ihn, der Knabe hielt den Kopf. Der Hirt renkte ihm auf dem Lager den rechten Arm ein, eh' er erwache, um ihn den Schmerz nicht fühlen zu lassen. Die Dienerin wusch ihm das Haupt und die Brust, und endlich blieb sie allein bei ihm und saß bei ihm.

Als Sisman zuletzt erwachte, wie der Hirt vorausgesagt, weil sein Gesicht vorhin noch die, wie im Schlafe geträumten Schmerzen verrathen, da besann er sich, wo er war, erkannte seine Wärterin leicht auch in ihren einfachen Kleidern, erstaunte und rief: Maaraton! und setzte sogleich hinzu: Maaraton, verrathe mich nicht! –

Es war Maaraton, die, glücklich entkommen, die kürzesten Pfade hierher gelangt war. Sie war unsäglich glücklich gewesen auf dem Wege zu dem von ihr angebeteten Manne. Himmel und Erde erschien ihr da nur eine Auflösung ihres liebevollen Wesens, oder ihre Weibes-Gestalt nur eine Zusammendrängung aller der Liebe und Freude umher. Denn da brütete die Sonne über der lieblichen Erde mit Bergen und Menschen, wie eine große Silberfasan-Gluckhenne auf einem wunderbaren Neste! über allen den Nestern – den Bergen, den Städten, den Dörfern, den Hainen! und in den kleinen Nestern brüteten die Vögel, und in den Hütten hatten die Mütter Freude an den Kindern, die Freude hatten über die Blumen! und die Blumen blühten, unzählige auf den Wiesen, und die Blüten auf den Bäumen, duftend von Liebe, aneinander gedrängt von dem Hauche vom Himmel! Und die dumpfe Rebe ringelte sich bewußtvoll an, um ihre Kinder, die Trauben, zu sichern! und die Blätter des Mohns schlossen sich bewußtvoll schon vor einer dunkeln Regenwolke, um ihre Staubfäden, ihre Mohnkörner-kleinen künftigen Kinder zu schützen! Ihre Liebe war die reinste; denn die Weiber verlieben sich – durch die Rede, den Ruf und den Ruhm – gleichsam mit den Ohren, in das Gebild ihrer Einbildungskraft, in das Alles, was ein Mann zeitlebens ist und noch nachher sein wird; aber die Männer verlieben sich sinnlicher durch die Augen, in die leibliche Gestalt, die gegenwärtige, und ihr Herz wird erst durch des Weibes künftige Güte als Mutter auf künftig gewonnen. Es wäre ihr gleich gewesen, wie Böre ausgesehen hätte, wenn nur kein Tadel, kein Gebrechen an seinem Leibe war, das Mitleid erregte; denn die Liebe hat nur Mitleid, aber Liebe ist nicht Mitleid. Aber an Böre's einfachem Gebild, das zugleich die höchste und die einfachste Erklärung zuließ, war kein Tadel! In sein Haus geführt durch ihren Bruder Eliah, hatte sie sein Weib, lächelnd zwar, doch leicht erröthet, als Dienerin angenommen. Dann hatte sie, zitternd, am Abend erst Böre gesehen .... in dem Schatten eines alten großen Weinstockes oder Weinbaumes, der, mitten in der weiten Laube vor dem Hause stehend, das ganze weite Gitter desselben mit seinen Ranken und Blättern verschattend bedeckte und jährlich einige Tausend köstliche Trauben trug. Da lehrte er, unter wohl hundert jungen Mädchen wandelnd, die künftigen Mütter und Lehrerinnen der Kinder .... da traten zwei Männer herein, wie um ihn etwas zu fragen, zu sagen oder zu bitten .... da trat er ihnen sanft entgegen, sah sie mit seinen klaren, herzerforschenden Augen an, lächelte, reichte ihnen beide Hände hin und sagte: »Gebt mir eure Hand!« Aber wie Löwen durch das Auge des Menschen gebannt, der mit reinem Herzen den leisesten Zug, den Blick und Gedanken nicht erräth, sondern weiß, fallen sie vor ihm nieder und jeder reicht ihm ein Messer dar, womit sie ihn hatten ermorden sollen. Und ohne weitern Verdacht sendet er sie zu seinen Leuten. Da, von seinem Weibe vor ihn geführt, sinkt sie selbst auch so vor ihm nieder, wie eines Verbrechens bewußt – denn sie hat sein Weib, seine Tochter, seinen Knaben, seine Zufriedenheit, sein Nichtsmehrbedürfen, seinen Frieden gesehen! Er blickt bekümmert auf sie, da sie aufschaut; er legt ihr seine Hand auf das Haupt und hält sie lange leichtschwebend darauf. Und Thränen brachen aus ihren Augen; und ihre inbrünstig verlangende Liebe wird allmälig ruhige Glut; die Glut allmälig Verehrung; die Verehrung gelassene Ehrfurcht, und die Ehrfurcht keusch und rein. – Er ist fort. – Blaß steht sie auf, verwandelt, und doch weint sie die Nacht, und am Tage ist sie die Sklavin seines Weibes, die Schwester seiner Tochter; und seinen schönen Knaben, sein junges Bild, betrachtet sie nun erst schweigend; sie fühlt sein Haar an; sie nimmt seine Hand in ihre Hände; sie lächelt; und der Knabe weiß nicht, was sie lächelt, und lächelt doch wieder; und wird doch plötzlich ernst, denn in ihre Augen sind die Thränen getreten.

Und so empört sich jetzt ihr Herz gegen das angemuthete Schweigen des Sisman, das er von ihr durch große Versprechungen erkaufen will; und doch sagt sie bloß: »Es ist nicht nöthig, daß ich rede; diese Männer wissen Alles, auch was geschehen wird. Auch Böre's Mutter, Nilupher, die fast immer schläft, und die Stunde ihres Einschlafens und Erwachens wie die Dauer ihres Schlafes vorhergesagt, sie weiß auch gewiß schon von deiner Nähe, wie die Pflanze vom Regen, wie der Biber von großem Wasser im Sommer, und wie das Fell des Hasen sogar von der Kälte des Winters!« –

Maaraton hatte nicht Unrecht gesagt, daß diese Männer Alles wüßten; aber es war anders und es kam anders.

Denn unterdessen besprachen sich die beiden Männer droben auf dem Berge in vertrauten und schweren Worten, und der Heeresrichter Bedreddin sagte zu seinem Freunde Torlak: »Unser Böre lehrt sein: »Mein ist Dein,« und macht dadurch Alle gleich, Hohe und Niedre, Arme und Reiche; ja die Reichen nur glücklicher noch, er gibt ihnen für ihre Schätze das freieste eigenste Glück; und Niemand soll arm sein, sondern haben, was die Erde und die Menschenseele Gutes hat und genießen kann; und mit Verwunderung sah ich selber der Reichen Begeisterung für ihn! Nur aus Begeisterung kommt alles Gute; und wofür Begeisterung ist, darin ist ein Kern des Guten gewiß. Böre lehrt Geben, und reißt dazu hin wie mit Zauberkraft. Aber wie entwöhnt er die Bedeutenden, die vom Nehmen leben, vom Nehmen? Das Böse ist den Menschen leicht gethan; es den Verwöhnten abgewöhnen, schwer! Die Kunst zufrieden zu sein, in Demuth Alles zu ertragen, Schmach, Armuth, Beraubung und Sklaverei, die ist am Ende nicht groß und führt zu nichts als wieder zu Geduld, aber nie zum rechten Glück. Nur eine verständige kräftige Seele vermag unzufrieden zu sein! Unzufriedenheit hieß seit uralter Zeit der Weg zum Bessern. Wer alles duldet, selber die Unduldsamen, der ertrinkt in der Geduld, der Sklavenseelentugend! Wer aber macht, daß Niemand mit den Unzufriedenen unzufrieden ist? Du weißt, wen ich Niemand nenne: – den Tyrannen. Müssen wir uns nicht vor ihm das Leben schützen? Werden wir nicht in seinem armen Volke, das auch wie Niemand ist, ihm seine Hände abschlagen müssen? Wir! o wir! die wir so still waren und in Ruhe die Guten vereinigten und durch unschuldiger Kinder Lehre vermehrten – wir müssen uns nun vor Gespießtwerden und Verbranntwerden, also wahrlich aus Noth wehren. Das Feuer kann nicht ausgetreten werden, aber Funken. Die Kraft kann nicht eingeengt, nicht todtgemacht werden, aber wohl Eines, ja Vieler Kraft – durch Mehrerer rohe Gewalt! Daher will ich – –«

Daher will Ich – sprach Torlak, in Eifer das Wort nehmend – in das uneinnehmbare schlundvolle Cilizien, um Böre's Wort wie einen Funken in neu aufgestammten Menschen zu sichern. Die Kinder in der Kinderstube in allen Landen glauben Alles der Mutter und dem Vater. Moses hätte die Juden in der Wüste lehren können: das Schwein zu verehren, und das Schwein würde noch heute verehrt. Die Berge sind die Kinderstuben der Menschen. Die Berge machen freie Leute. Die Städte drunten voll Bedrücker und Tand liegen, von den Bergen gesehen, nur wie Ameisenhaufen da, selber die Thürme stecken wie Hölzchen daraus hervor – – die Flüsse mögen so tief nicht sein, denn sie sind ja so kurz; die Seen mögen so groß nicht sein, denn sie schimmern nur herauf wie blaue Augen. Kein Weg ist so weit! Denn du siehst vom Berge den Abreiseort, die ganze Straße und das abendliche Ziel des Wandrers mit einem Male im Morgenglanz. Die reine Bergluft macht die Brust weit und die Seele; das Rieseln und Rauschen der Wasserfälle, das Säuseln und Wehen, der Gesang der Vögel, die wunderbare Stimme des Wiederhalls, die nachbarlichen Gebilde der Wolken, die großen nahen Gestirne, wie die Kinder und Gäste der Berge, und die Einsamkeit – o die Berge machen frei! Aber die Berge beschützen die Freiheit auch! und ein junges Wort, ein neues Volk. Deswegen – –

»Deswegen, sprach Bedreddin, habe ich mich in den Balkan gelagert mit dem mir ergebenen unkenntlichen Volke. Gehe du aber erst von hinnen, nach den Bergen in Cilicien, wenn der Stylarios hier verloren wäre, zur Rettung. Ich aber ziehe erst von euch in mein Gebirge, wenn ihr hier unüberwunden und sicher seid. Denn auf Erden bleibt nichts, oder wird doch den Menschen verkümmert, was der Gewaltige, der Niemand, nicht will. Das Volk lebt seine Tage so hin, mit den Gedanken an seinen Acker, an sein Haus, sein Weib und seine Kinder. Während dessen wird von dem künftigen Niemand ein Netz über das Land geworfen, aus Liebedienern, Sklavenhänden mit Sklavenpeitschen und den »wilden Thieren der Macht« – und mit Ausdauer und List und Trug und Macht Alles eingerissen, was nicht stehen soll; Alles nicht aufgebaut, was die Menschen bauen wollen; denn das Volk ist Sand, und der Herrscher ballt die Kugeln. Ohne daß der Herr mit ihm sei, richtet kein Volk etwas aus. Darum will ich einen Hirten, der mit der Heerde ist, nicht wider die Heerde; und der Sultan ist alt, sein Sohn ein Kind, aber sein Bruder ein Mann, der verborgene Mustapha. Der Kaiser Manuel hat, um Konstantinopel zu retten, den Verwüster Timur dem Sultan auf den Hals gelockt; jetzt möchte der Kaiser, daß wir, wir Drei hier, den Sultan durch unsere Macht überwinden; – Korax, sein Gesandter, war hier, um uns auszuforschen. Ich ließ ihn in Ketten legen. Da beschloß er, sich durch Verrätherei loszukaufen vom Tode und er entdeckte mir, der Sohn des Statthalters Sisman, Sismanaga, sei auf dem Berge, um seinem Vater vom Sultan den Oberbefehl über das türkische Heer zu bringen, das gegen uns heraufzieht. Deine Derwische, noch manche dieselben, die Timur verwandte, um das Land zu gewinnen, berichten, es kommen 10,000. Damit nun Heer nach Heer hier am Berge zerschmettert wird, und nicht alles Volk auf einmal wider uns zieht, so habe ich mich auch klein gemacht und nur 6000 Männer der Unsern entboten, von dem Wege weg, auf dem die Feinde zu uns kommen. Und wenn eine Schaar derselben nach der andern erlegen, wenn alle Krieger aus Europa herüber sind nach Asien, dann bin ich drüben in Europa mächtig und setze den neuen Sultan Mustapha ein. Denn Korax kaufte sich nicht nur mit jener Entdeckung los, sondern er sagte mir schon, ehe dich deine Zeloten aus dem Thurme befreiten, daß Sisman hier sei; ja, Korax hat auch den Mustapha gefunden, wie er Steinsalz für seine Schaafe gekauft und Felle verkauft. Ich hab' ihn voraus zu ihm gesandt und werde ihm folgen nach der Schlacht, wenn ich seine Höhle weiß; auch habe ich dem Korax mehrere Fakire heimlich nachgesandt, damit er uns nicht betrüge. So habe ich Frieden mit den Griechen gemacht. Du aber hast vorhin den Sisman erkannt an seinen weißen Wangenflecken – laß ihn ziehen! Ein feiger Anführer ist das Glück seiner Feinde. Darum lasse den Sohn zum Vater, und Beide frei. Eliah weiß um ihn. In wenigen Tagen ist Schlacht.« –

Bedreddin hatte kaum das Wort gesprochen, als sie schon in der Ferne Schwärme von Menschen heranziehen sahen; Bedreddin mit ernstfrohem Gesicht, aber Torlak seufzte und frug bekümmert: Was wird Böre thun? Wird er den Menschen seine Steine auf die Köpfe geben, und den Tod, der nicht sein ist?

Bedreddin wollte antworten, da stand Böre mitten zwischen ihnen. Er gab Jedem eine Hand und schwieg. Bedreddin und Torlak stiegen aus Ehrfurcht von ihren Pferden, gaben sie an herbeigewinkte Leute und folgten ihm nach seiner Höhle, vor welcher Samos offen wie ein schönes Gemälde lag.

Mit ihm waren zwei Männer; einer, Athanasius, der auch von Korax ausgelieferte Erzbischof von Philadelphia, den Bedreddin vom Christenthum bekehrt hatte, da er als der berühmteste Scheich des Morgenlandes, vor dem Gewaltigen zwar, doch auch gelehrten Timur mit seinen weisesten Männern disputirt, und, nach vergeblicher Anwendung aller Martern an den Erzbischof durch Timur's Henker, ihn überführt hatte, daß nur Ein Gott sei aller Völker; daß Niemand Mehr glauben könne und dürfe als Gott; daß nur ein Blatt, ein Kind neben Gott zu glauben, Abgötterei sei, die den klaren Gott verschleire und verdunkle. Der Andere war ein Mönch aus dem Kloster auf Chio, Turlotas, Böre's Jugendgenosse und sein Gefährte, als er noch Jahrelang einsam auf Samos gelebt und die Welt und sein Herz durchgefühlt und durchgedacht. Diese beiden begeisterten Anhänger Böre's blieben ehrerbietig am Eingang der Felsenhöhle im Schatten der Bäume, während die drei Freunde auf dem grünen Laube darin sich setzten. Böre beharrte im Schweigen, seine Augen aber blickten betrübt auf Samos.

Und Torlak sprach: der Berg füllt sich mit den Deinen, und unsere Feinde kommen. Darum möchtest du lieber wieder in deine Tage dort nach Samos zurück und sein wie du warest! Aber wo wäre da dein Weib? Kam da deine Tochter herauf in die Welt? Sahst du da je deinen Knaben? Lebte dein Wort da in tausend Menschen, als alle die künftigen Menschen? Nimm Eines nun um das Andre! Jeder hat seine Zukunft, über die er sich verwundert, wenn er hineintritt, und doch hat er sie bereitet! Du siehst mich leise tadelnd an, darum sage ich ja gern: Du hast nicht den Krieg bereitet, sondern der Furchtsame, der Sultan, der uns nicht zu beherrschen weiß, oder nicht glaubt uns beherrschen zu können. Die Furcht ist das Unglück überall, und auch das Unglück Derer, die keine Furcht haben, nur ihren Sohn, den Tod, und sein Handwerk, das Tödten. Ist das keine Angst! Ich fühl' es, dir graut das Schwert anzufassen ...

»Siehe,« sprach Böre, »du betrügst Niemand; du nimmst deinem Nachbar nicht seine Feigen, weil finstre Nacht ist; du schlägst den Dummen nicht, du lässest den Blinden nicht den Steg verfehlen; du stößest keinen Schwachen in die Grube; und nun, was Niemand an Einem thäte, kaum ein Verführer der Weiblein oder ein Mäkler, das thun im Kriege Tausende an vielen Tausenden, die vor ihnen stehen im Felde, und thun es an den Kindern derselben auf lange Zeit! und thun es sogar noch mit Freude über Schwäche, Unverstand und Fehler; an ihrer Ueberlist, oder am Schrecklichen selber, mit Freude an ihrer Uebermacht! Ein Redlicher kann nicht siegen! Darum möchte ich wohl hinweg!«

Du willst das nicht, sprach Bedreddin Simawnaoghli. Wir wehren nur den Feinden, den Mördern! Du wehrst sie von Weib und Kind! Oder bliebe deine Seele rein, wenn wir die Mörder erschlügen für die Deinen und dich – wenn deine Hand unblutig schiene, aber unmännlich und unväterlich! Ziehe doch fort mit den Deinen! Lasse uns doch morden und gemordet werden! Das kannst du nicht! und wenn es möglich wäre, daß irgend Jemand mit Haut und Haar lebendig gen Himmel führe – du führest nicht! du gehörst der Welt wie wir andern Menschen. Du bist erschienen »im Thal der Gesichte.« Du mußt dir gefallen lassen, daß das Volk die Wunder der Welt verleiblicht in dir sieht; daß es glaubt, du kannst Alles, wie sogar dein lebendiger Freund Turlotas, der hier draußen harrt, nicht nur sagt, sondern felsenfest glaubt: daß du auf dem Meere wandeln kannst und zu ihm hinüber nach Chio auf dem Meere gewandelt bist. Ergieb dich! ergieb auch deine Seele der Rettung deiner Kinder und alle der Deinen! Wir sind einmal dein, und du hast uns zu den Deinen gemacht. Und du wirst auch sehen, was die Deinen für dich können – sterben! Denn dein Glaube ist ihr Glaube geworden; sie glauben nicht an dich, sondern dir, und glauben mithin das, was Gott glaubt, weil es Gott thut; denn jeder seiner Regentropfen stürzt freudig aus den Wolken, ohne zu unterscheiden: ob er in diesem oder jenem Blumenkelch erquickend erquickt zu sterben scheint, und doch erst recht lebt! Denn »was mein ist, ist dein, es ist euer Aller,« das ist das Wort, das Gott thut. Die ganze Welt kann nichts glauben als Gott, und Gottesglauben ist Selbstüberzeugung, leichter und sicherer als Alles, und einzig nur wahr. Darum sage du nur das Wort: ich will euch beschützen – und sie sind beschützt!

Der Scheich hatte von Herzen geredet und doch erröthete er über seine Schuld, daß er erst wahrscheinlich die Feinde erweckt und herbeigerissen hatte, dadurch, daß er einen andern, einen milden Herrn, einen Statthalter Böre's im Reiche begehrte; was möglicher Weise schon bei der Pforte verrathen oder aus bösem Gewissen vermuthet sein konnte.

Böre schien zu schlafen, das Haupt auf die Brust gesenkt. Seine Tochter, schön wie ein Engel, erschien im Eingang der kleinen Höhle; aber da sie den Vater schlafen sah, wich sie zurück, ob es ihr gleich anzusehen war, daß ein neues Geschehene sie zu dem Vater heraufgeängstiget hatte.

Torlak und Bedreddin standen auf; sie lehnten sich mit dem Ellenbogen an die braune Felswand und der Scheich sprach leise zum Rabbi: Entschuldige mich; und du entschuldigest, wenn du verstehst und einstimmest. Lehren ist nicht Alles! Die Lehre leben ist mehr! Und würde Böre immer bei uns bleiben? Der beste Mensch ist nur ein Blitz! Alle Propheten, so göttlich sie schienen und waren, so sind doch alle hin, und die Erde hat nur ihre Asche, und nur des Menschen Herz hat ihr Wort. Das Wort ist Saat, und die Saat will Sämann und Hüter und Schnitter. Die Völker haben den rechten Sinn, daß nur Eine Macht sei, die göttliche, die geistige, wenn es auch anderwärts scheint, daß auch eine weltliche Macht sei, die sich um die gemeinen Dinge des Menschen bekümmere, um Brot und Friede, um Arbeit und Lehrer. Aber die weltliche Macht ist eben recht geistlich, wie die Mutter auch in der Kinderstube erst recht die Mutter ist, austheilend und waltend. Darum ist uns hier der Herrscher: ein Herrscher in allen Dingen; und das Volk will einen Herrscher aus dem Stamme, unter dem es aufgewachsen ist, unter dem es tausend Leiden ausgestanden, tausend Freuden genossen hat, die es alle seinem Namen zurechnet; das Volk macht sich das Beherrschtsein zur bloßen nichts sagenden Gewohnheit, und denkt nicht mehr an eine Schande oder Ehre des Gehorchens; ja, der neue Herrscher des Geschlechtes denkt selber nicht, daß er durch das Volk gezwungen und beherrscht ist: »es zu beherrschen;» so sehr ist auch in seinem Hause dieser Zwang, ja diese obere Sklaverei, dieses »dem Volke dienen« zur bloßen Gewohnheit geworden. Noch kein Prophet ist König gewesen, denn sie sind zu groß dazu; vielleicht seine Verwandten, seine Nachkommen. Kein Herrscher ist Prophet worden, denn sie sind zu klein dazu; selbst Timur, von dem es Andern leicht schien, war zu klein dazu in Gedanken, zu unrein im Herzen, beschmutzt von der Welt. Aber die Könige sind die Statthalter der Propheten, die Geister und geistigen Herrscher seines Geistes: »gewollt und gethan« in der Welt Gottes, und an allen seinen Erscheinungen ihm selbst. Und auch die Menschen sind seine Erscheinungen – auch die Herrscher, die das erkennen. Darum suche ich für Böre auch seines Geistes Woller und Vollbringer, Einen, den auch das Volk annimmt, wie die Bienen den im Stocke ausgebrüteten Weisel.

Jetzt blickte Aischeh wieder herein nach dem Vater; und da er die Augen aufschlug, stürzte sie zu seinen Füßen und weinte erst lange; und von Kindauf gewohnt, niemals ein heimliches Wort zu reden, Alles zu sagen, was sie dachte, und darum nur zu denken, was sie immer mit Ehren sagen konnte, sagte sie auch jetzt mit Bedauern, doch laut: O Vater, die Mutter ist tödtlich erschrocken über die tausend Menschen, die gekommen sind, die dich preisen, die für dich sterben wollen. Und sie spricht: »Also der Vater hat Krieg gemacht? So ein Mann ist er im Stillen gewesen, der Falsche, der Abscheuliche! O meine Kinder, was habt ihr für einen Vater! Nun sterben wir alle in Schanden! Und als ein Bösewicht wird er gekreuzigt!« – O Vater! sage du es mir anders! Denn auch die Großmutter schweigt, aber ihr Gesicht ist ernst, und sie sieht uns nicht an, um ihre Seele nicht zu verrathen.

So blieb sie mit dem Kopf auf seinen Knieen liegen, während ihn ihre Arme umschlungen hielten. Die beiden Männer fürchteten, daß er nunmehr sich entschlösse, mit seiner Mutter Nilupher, seinem Weibe Beitulis (die Ehre des Hauses), seinem Knaben Jesus, seinem Bruder Salim und seiner Schwester Dilschad (Herzensfreude) nach Samos oder in die Berge von Kreta zu ziehen.

Aber er reichte ihnen seine Hände über die Tochter hinweg und sprach: »Geht hinab und ordnet und sorgt. Der Mann gehört den Seinen, und selbst der kleine Finke wehrt sich im Nest gegen die nach seinen Jungen heraufgewundene Schlange – seht dort drüben am Stamme gleitet sie wieder hinab! Und ein Lehrer ist erst recht der Vater. Ich will euch nicht fehlen.«

Der Scheich Simawnaoghli richtete sich hoch auf und schöpfte seine Brust voll Athem; Feuer brach aus seinen Augen, und als wären die Felsen durchsichtig, sah er umher in dem schönen glücklichen Lande ein glückliches Volk, dessen Leben nicht mehr Erobern war; das von dem Tage an seinen Untergang anfing, an welchem es nicht mehr wuchs von Raub wie ein Drache. Er war eine ungeheure Last los, und die Furcht vor Böre, ohne den er sein Werk nicht beginnen konnte, nach welchem er so glühte, daß er sogar nicht dachte: »Böre ist mein! Er ist in den Strom gerissen!« sondern er sagte ihm nur: Bleibe hier oben; ich sende die Deinen dir nach, und alles Volk, denn wir sind kaum 6000 Männer, die nur den Gipfel behaupten.

So schieden die beiden Heerführer aus der Grotte, und Turlotas zeigte ihnen still hinab in das Meer, wo tief gehende Schiffchen daherkamen, voll Handwaffen, gesandt vom Beherrscher von Chio, von dem Genuesen, den Bedreddin vom Katholiken zum Türken und jetzt zum Bekenner Böre's bekehrt hatte. Er sorgte, daß die Waffen sogleich hier heraufgetragen würden, und stieg dann hinab in die Dörfer, die mit Weibern und Kindern und aller ihrer Habe angekommnen Männer zu ordnen, hinaufzuweisen und zu versorgen.

Torlak aber vergaß nicht, Eliah nach Sisman's Sohne zu fragen, der schwerlich seinen Vater gefunden hätte, obgleich Beide nur durch eine Wand von einander getrennt waren, wenn seine Pflegerin Maaraton nicht um ihn gewußt. Sie ging zu dem Sandschakbeg Sisman; sie verkündigte ihm, daß er frei hinwegziehen könne, damit er vor Angst nicht kränker werde, noch erschrecke, da sie ihm auch sagte: dein Sohn ist da! .... aber auch, Er darf hinwegziehen mit dir!

Sisman weinte. Er hatte sich erholt. Er war aufgestanden gewesen; er hatte die Kinder, die Mütter, die armen bedrängten Menschen gesehen; er hatte sein Leben damit erkaufen gewollt, daß sie ihn auch annähmen als Einen der Ihren; und unentschlossen, was er nun thun solle, da auch sein Sohn bei ihm sei, harrte er, bis Maaraton denselben zu ihm führe.

Das holde, schöne, reizende Weib erschien dem Sohne Sisman's wie ein Engel. Er dachte nicht, er sei gefangen auf Tod und Leben; er dachte nicht an seine Freiheit, als er das Wort von ihren Lippen hörte. Er biß sich nur seine Lippen. Jung, frech, von ungezähmten Leidenschaften, lebte er ganz in der Weise aller Renegaten, oder Apostaten jeder Kirche, die da glauben, es nun recht vor dem Volk an den Tag legen zu müssen, daß sie zu ihm gehören, alle Gebräuche übertreiben und aus vollkommenen Heuchlern vollkommen entartete Menschen werden. Und die Menschen, in die er gerathen und gleichsam verfallen, waren Türken, und so war er ein ausgezeichneter Türke; aber ausgezeichnet durch die unvergleichlichste Selbstsucht, Frechheit, Begierde nach Gold und Weibern, durch Stolz und Schonungslosigkeit, und kecke Ertrotzung seiner Lüste. Er nahm so wenig auf das Leben, das Wohl oder Wohlbefinden eines Pferdes, eines Hundes oder eines Menschen Rücksicht, daß er dem schönsten Mann seine Nase um einen Para abgekauft hätte, wenn dieser sie ihm verkauft und er danach lüstern gewesen. Aber schamlos hätte er ihm doch den Para geboten und die Nase doch von ihm verlangt. Es verdroß ihn aber auch nicht, wenn ein Mann oder ein Weib, die nicht seine Sklaven waren, ihn mit ganz oder halb oder gar nicht verhüllter Verachtung und ruhigem Schweigen zur Ruhe wiesen. Und sollte er morgen geköpft werden, so lebte er doch heut; und heut und jetzt stand ein Wesen vor ihm, wie ihm noch keins gelungen war zu erniedrigen. Er blickte sie lange unverwandt an, hoch aufgerichtet in der Fülle seiner glänzenden Gestalt. Aber ein Weib erräth den Mann auf seinen ersten Blick, seine Sitte oder seine Leidenschaft sieht sie durch seinen sie anleuchtenden Blick, wie durch ein Sehrohr; darum war Maaraton ernst, denn ihr Wille war nicht sein Wille; und als er nur einen Schritt nach ihr hin wagen wollte, gebot ihr demüthigend lächelndes Antlitz ihm Weichen und starre Bescheidung, durch ihre Unnahbarkeit und ewige Ferne für ihn. Und wirklich, er zog den vorgesetzten Fuß sogar zurück. Als sie ihm aber zu folgen befohlen, und er auf dem kurzen Wege eine frisch geschnittene verlorene Kindergerte aufgehoben, und er sie in solchem Reize und Pracht der Glieder vor sich wandeln sah, gab er ihr in seinem verzweifelten Uebermuth und aus trotziger Rache einen heftigen Schlag mit derselben über die rechte Hüfte. Aber sie ging in seines Vaters Thür, betroffen; denn sie sah, daß es Böre's Weib gesehen; sie dachte sich, was diese denken möchte; sie dachte an Böre und verging fast vor Scham.

Der junge Sismanaga lachte, als er seinen Vater sah, der sich wie ein kluger Fuchs gefangen hatte. Doch freute er sich, als er von ihm hörte, daß sie frei wären. Denn er zog aus seiner Brusttasche das seidene Tuch hervor, in welches die Schrift gewickelt war, die ihm vom Großwesir Bajesid Pascha den Oberbefehl über das Heer gegen Böre gab, und las es ihm froh.

Der Vater erschrack. Er küßte das Blatt nicht, er wies es sogar von sich. Du Thor, sprach er zu seinem verwunderten Sohne, du kennst die Türken nicht; diese Schrift ist die Ausfertigung meiner Hinrichtung! denn ich soll hier fallen! umkommen mit den 10,000 Mann, die der Bulgarische Sklave Kelpares, der schlaue Emporkömmling, mir daherführt! Das ist das Werk Alibeg's. Ich falle, und Er ist Statthalter von Saruchan und Aidin – das hier mir zum Lohne verheißen wird! Ich falle, und du bist nur mein Sohn, kein Königssohn; du mußt Wunder thun, um nur nicht ein Hund zu bleiben. Ich bleibe! Bleibe du auch!

Der Sohn aber fiel dem Vater zu Füßen, nicht das Glück für sich und ihn so von sich zu stoßen. Er redete ihm vor, wie tapfer das Heer sein würde, schon aus Wuthbegier nach so vielen schönen Knaben und schönen Weibern!

Maaraton bebte, als sie draußen vor der offenen Thür diese Worte hörte. Sie bebte für sich, für Böre's Weib, für seine Tochter, für seinen Knaben. Aber sie mußte schweigen, ohne zu begreifen, warum man diesen Menschen ziehen lasse?

Sie besprachen sich noch einige Zeit, während welcher selbst Maaraton abgerufen ward, um vor Nacht noch mit allen Andern auf den Gipfel des Berges Stylarios zu ziehen.

Sisman sah das vor seinen Augen schon geschehen. Und sicher durch das von Torlak erhaltene Wort, beschloß er zu bleiben und sandte seinen Sohn zurück, um die wilden Schaaren der Türken herbeizuführen.

So schied der Sohn von der Stelle hinweg; der Vater aber blieb bald ganz allein, hier drunten, aus einem Gefangenen in den Feldherrn der Feinde verwandelt. Doch fand er sogar Vorrath von Lebensmitteln sich hingestellt, und er aß davon mit traurigem Gesicht, sein heißes, entsetzliches Werk bedenkend. Und er hatte Zeit dazu, diese ganze Nacht, in der die Bewohner der Vorberge und die Neuangekommenen in unaufhörlicher schmaler Reihe zum Gipfel zogen – und den folgenden Tag, gegen dessen Neigen seine wilden Thiere der Macht mit Leitern zum Bergersteigen, mit Schlingen, um Gefangene zu machen, und mit Pfählen zum Spießen der Ueberwundenen kamen, und in der Nacht von des Mondes bleichem Lichte beschienen, auf nackter Erde schlafend dalagen wie schon Todte.

Am Morgen glänzte der Berg im Purpurlichte der Sonne. Ueber ihm zogen leichte Wölkchen; auf seinem hellleuchtenden Gipfel wimmelte es von hinaufgejagten Ziegen. Weiter herab schien der Berg wie beschneit; aber es waren die Schaafe und Lämmer. Noch weiter herab weideten die Rinder, Esel und Maulthiere zwischen einer Heerschar von Kindern. Mütter trugen die Säuglinge und Wieglinge jetzt auf den Armen umher, ohne Schirm als das Dach eines Baumes, ohne Schatten als die Wand eines Gesträuches oder einer Felsennase; und umher lagerten die Alten und die Weiber. Vier tausend Männer standen zum Schutze der obersten Zinnen des Berges bereit. Aber Tausend bewachten unter Bedreddin auch noch den Rand der mittelsten Felsenburg; und das letzte Tausend vertheidigte unter Torlak den engen Hohlweg durch die Felsenschlucht herauf von der untersten Bergebene, wo sonst Böre und jetzt Sisman wohnte. Doch ehe die Sonne aufgegangen, lag schon der fünfte Theil der Schläfer jetzt wirklich todt in und unter der Schlucht; aber die Andern standen dafür auch jetzt auf der schmalen Mittelebene, die schroffen Felsen des Gipfels nun über und. vor sich.

Nun schleppten sie Leitern heran und herauf; sie maßen sie und die untere glatte jähe Wand der Felsen; sie banden zwei, drei Leitern zusammen, die kaum noch auf den zur Noth betretbaren Abhang reichten; und den Säbel im Munde bestiegen ganze Reihen Türken die mit Pfählen unterstützten gefährlichen Treppen, damit Einer den Andern hinauftriebe und hielte, und die Obern immer die Untern dann wieder heraufzögen. Aber da rollte von oben ein mächtiger Stein herab, rauschte und brach wie ein Bär durch das Gestrüpp, setzte dann auf das Gestein auf, that einen gewaltigen Sprung und fiel dann auf die Leiter voll Menschen, die mit ihnen einbrach, indem er einige durch seine sausende Wucht erschlug und erquetschte, die übrigen aber zerbrachen vom Sturze sich Arme und Beine; aber noch rollte der unaufhaltsame Stein, seine Ruhe suchend, unter die Schaaren der drunten dicht gedrängten Streiter; und sich durch sie Bahn brechend, legte er die Reihe derselben auf seinem Wege zerquetschend um, wie eine ungeheure Kegelkugel die Kegel hinlegt. Dann ruhte er blutig, und die er berührt hatte, lagen auch blutend; diese schreiend, jene brüllend; andere wimmernd und versuchend sich aufzurichten und wieder hinsinkend; andere stumm für die folgenden Tage der Erde. Und so that nicht nur Ein Stein; sondern zehn, zwanzig, hundert, tausend, die droben durch Knaben vom Hange gewälzt, drunten einen, zehn auch zwanzig Menschen erschlugen und aus wilden Thieren einer zeitlichen Macht in plötzliche heilige Todte verwandelten. Wenn aber nach dem Herabrollen eines solchen steinernen grimmigen Thieres – worein die Noth der Bedrängten den unschuldigen Felsblock der reinen Natur verhext hatte – und nach einem neu angerichteten furchtbaren Unglück das laute Gebrüll des wüthenden Schlachtlärms einige Zeit innehielt, da hörte Sisman von droben das laute Klageschrei der Männer und Weiber und Knaben; ja, er sah, wie sich Viele die Augen zuhielten, um das ihnen ausgepreßte und mit schwerem Herzen doch angerichtete Elend nicht zu sehen. Und wenn er nicht schon mit seiner Seele auf Seiten seiner armen edeln Feinde gewesen wäre, so hätte ihn der rohe Hohn seines Sohnes vollends besiegt, der immer an seiner Seite bleibend, jetzt zu ihm sprach: »Vater! höre nur, sie beklagen uns! welche Niederträchtigkeit von dem Gesindel! Jetzt klatschen sie gar in die Hände, daß unsere erhitzten Leute reihenweis stehen und das Wasser trinken, das sie hier aus den Quellen gesammelt haben. Vater, sie sind verrückt! Aber wohlan, laß wieder den Hohlweg, den Eingang zum Gipfel stürmen! An dem einen Orte müssen die Steine wieder alle werden, wie drunten; sie können nicht alle hinzu. Und bleiben auch 5000 Centner Türkenfleisch in dem Schlunde liegen, das andere hat noch Hände und Spieße und Säbel genug! Die Pfeile reichen nicht hinauf oder schießen nur einem paar vorwitziger Jungen die Augen aus. Während aber der Hohlweg gestürmt wird, suchen wir selbst mit den rüstigsten Männern einen Pfad hinauf, den sie für unersteiglich erachtet, und nicht so bewachen! Vater, folge! Die Meisten leben ja mehr für Vermeidung der Schande, als für Erlangung der Ehre. Und für uns fällt das Beides zusammen.«

Der Ort, den Sisman, der Sohn, schon gewählt hatte, gab Hoffnung der Ersteigung, wenn sie unbemerkt geschähe, und war grade der, wo droben am Rande Böre mit seinem Weibe Beitulis und seinem Knaben Jesus mit Maaraton saß, während seine Mutter Nilupher in der Grotte weich gebettet und von seiner Tochter Aischeh behütet lag. Böre, selbst unverwundet, verband seinem Bruder Salim den Arm, als sie den Maghen Mogholbai zu ihm hertrugen, der mit einem Pfeile seitwärts in das Ohr geschossen war.

Während Torlak nun mit jenem, seinem Volke eigenen unüberwindlichen Widerstande gegen alle Welt, beharrlich und glücklich den Steig zum Gipfel vertheidigte, und während längs an den Felsen umher gestürmt ward, so mancher Türke schon fast auf die Zinne gelangte, aber hinuntergeschleudert, oder mit einem Stocke oder einer Krücke hinuntergestoßen und daran sich anklammernd den Feind und die ganze Reihe auf seinem Steig nachklimmender Freunde zugleich mit hinab in die Tiefe riß – indessen stieg Sisman mit seinem Sohn, von den tapfersten Männern gefolgt, mühselig doch glücklich empor.

Jetzt nahmen drei erwachsene Knaben, nicht allzuweit von Böre, den hemmenden Stein vorn unter einem großen am Abhange liegenden Block hinweg und wälzten ihn über die Klippe; sie bekamen von ihm den Zug hinab und glitten darüber und mit ihm hinaus; ihre Mütter aber erfaßten sie rasch an den Kleidern, und, ihre Kinder nicht loslassend, stürzten sie Alle zusammen hinunter. Alle umher sahen jammernd nach. Da tauchte Sisman's Kopf über die Zinne, dicht neben ihm einen Schritt tiefer sein Sohn. So eben wollte der Vater mit dem Knie festes Land gewinnen, als ihn der Knabe Jesus sah – erstaunte, aber das neben ihm liegende Schwert ergriff, drei Sprünge that, es zur Rettung des Vaters dem sich emporstreckenden Sisman grade in die nackte Halsgrube stach, und es nachdrängte mit seinem ganzen Gewicht. In demselben Augenblicke hing dem Knaben aber auch die von Sisman's Sohne geworfene Schlinge schon um den Hals. Sein Vater stürzte zur Seite hinunter; der Sohn, der Alle nun droben schreien hörte, sie herbeistürzen und sich entdeckt sah, riß Böre's Knaben mit sich hinab als seinen lebendig Gefangenen, und eilte, unterstützt von den Untern, so schnell er vermochte, den gräßlichen Weg zu den Seinen.

Kein Mensch rollte Steine nach, aus Furcht, den Knaben zu tödten; kein Mensch stieg von oben hinunter ihm nach, denn das war vergeblicher Muth, da jeder Einzelne zuerst an den Füßen zu greifen und jedenfalls mit in die Tiefe zu reißen war. Die Augen seiner Mutter aber starrten dem Knaben nach; die Augen des Vaters und hundert Augen der blaßgewordenen Männer und Weiber, die alle dabei die linke Hand vor die Stirn hielten. Böre aber rief dem Sismanaga voll Besorgniß nach: »Nur langsam! nur sicher! mein Bruder; jeder von euch ist sonst des Andern Tod! – Sei getrost, mein Sohn, Gott ist bei dir!« – Und als sie drunten verschwunden waren, zog er sein Weib vom Abgrund hinweg und übergab sie der Maaraton, die der Mutter Kniee umschlang und dann mit einem solchen wehmüthigen Blicke an Böre's Augen haftete, wie selten in der Welt möglich ist, und wie nur ein bescheiden und ehrerbietig liebendes Weib ihn auf ihren unglücklichen Freund und Gebieter aus ihren Augen strahlen zu lassen vermag. Es war der Silberblick der Liebe im Feuer des höchsten Schmerzes.

Dafür ward auch der rings umher laut schallende Ruf: »Böre's Sohn ist gefangen!« das Unglück der Türken. Die Männer Böre's drangen durch den bisher den Aufklimmenden nur verwehrten Engweg jetzt unaufhaltsam hinab, Torlak an der Spitze. Er besetzte drunten den Hohlweg, der auf die unterste Schanze führte, somit waren die Türken alle abgeschnitten, die tapfern Derwische ließen Keinen mehr hinab; und Bedreddin drängte die verworren sich ballenden Feinde, mit den Seinen immer an der Felswand zur Rechten hinweg nach einem tiefen Abgrunde hin, in dessen Schlunde sie wollend oder unwillig alle vor Nacht noch schlafen gehen mußten, einmal schrecklich für allemal. Denn sie hatten sich nicht ergeben; so oft Torlak auch innegehalten, so oft hatten sie nur desto wüthender angegriffen. Nur Einige hatten sich in den See gestürzt, Einige über die untere Felswand, aber entkommen war Keiner.

Endlich nach langer Zeit entdeckte Maaraton's durchdringendes Auge zwei Reiter in schon beträchtlicher Ferne, einen mit rothem Kleide und Turban; einen kleinen in weißem Kleide in bloßem Kopfe. – »Sisman Aga mit dem Knaben!« rief sie, die Hände ringend.

Ach, er ist schon lange zu weit! Er ist nicht mehr zu erreichen! Er schleppt ihn in das feste Schloß Hypsile am Meerbusen zwischen Samos! sprach Böre's Bruder Salim. Das ist unser Unglück!

Böre's Weib Beitulis lag vor Schrecken ohne Bewußtsein da; ihr einer gelber Schuh war ihr vom Fuße gefallen und lag umgekehrt, mit der Sohle oder gleichsam dem Rücken oben. Maaraton hatte sich zu ihr gesetzt und den auf dem harten Felsen ruhenden Kopf der unglücklichen Mutter sich auf den Schooß gelegt. Der Vater Böre saß ihr zu Füßen, indem er mit beiden Händen sein Gesicht bedeckte. Und schon flog ein Vogel herbei auf den nahen Baum und sang sein fröhliches Abendlied. Auch drunten ward es gemach nun still; das Getöse der Menschen war verstummt; nur bisweilen erscholl noch ein lauter Ruf. Die Sonne ging unter. Es sprechen freilich Alle in allen Landen, sie haben die Sonne gesehen; sie haben das Werden des Abends gesehen, wie die Abendröthe wird; wie aus dem Abendschein der Nachtschein wird; wie am nächtlichen Himmel die Sterne heraustreten an ihrer bisher vom Licht verfinsterten Stelle; sie wollen den Abendstern gesehen haben – und wie der Abendstern nun der Morgenstern wird, und wie der goldene Nachtschein goldene purpurne Morgenröthe wird, und die alte Sonne neu gebiert. Und freilich haben Viele geglaubt, das gesehen zu haben. Aber wie der nördliche schwarze Rabe im Süden der blaue und rothe Ara ist, und der nördliche kleine Zeisig auf den canarischen Inseln der goldene Canarienvogel, und die Senfstaude im Morgenlande ein Senfbaum – so hat auch Keiner die Pracht des Abends und der heiligen Dämmerstunde, die Stunde des Melkens, mit ihren anstaunbar großen, klaren, lichtverströmenden Sternen gesehen, der sie nicht im Morgenlande gesehen! Und diese alte gewohnte Pracht erschien auch heute hier wieder über den Leidenden in heiliger Stille und wahrhaft himmlischem Frieden. Rosen und Gold, und Grün und Purpur, und Veilchenblau und Braun in der glühendsten Kraft blühten und verblühten in den Gewölken, die zu Blumen geworden waren, den ganzen Himmel wie einen Zaubergarten bedeckten, und ihre Farben flohen von ihnen in das helle Abendroth, in das Abendgold, das zum hellen breiten goldenen Nachtschein ward. Und als zwei große Gestirne so klar und so leuchtend am Himmel heraustraten, so daß sie selbst einen sanften Schatten von den Gestalten warfen, da traten auch jetzt Torlak und Bedreddin herauf auf die Felsen zu ihrem Freunde.

Sie waren müde. Sie setzten sich. Sie hatten nur wenig dazu beitragen dürfen, die gewohnte Ordnung einfacher Leute herzustellen, die mehr darüber erstaunt gewesen, was sie gethan hatten und was sie zu sein geschienen: empörte Menschen, die zur Vertheidigung ihres Lebens so viele Tausend anderer Menschen auf schreckliche Weise von sich gewehrt; als sie über die wiedereintretende Ruhe sich wunderten. Und so waren sie wieder froh das, was sie immer gern geblieben wären. Ohne einen Befehl dazu hatten sie die nicht Todten unter den Todten mühsam hervorgezogen und waren noch beschäftigt damit. Die Weiber leuchteten ihnen mit brennenden Fackeln in die finstern, schon nächtlichen Schluchten; und wo noch eines Wimmernden Stimme und eines Menschen Ruf nach menschlicher Hülfe schwach an ihr Ohr drang, da war ein Freuderuf, ein Eilen, ein Hindrang, ein Bedauern um den Gefundenen, ein Beistand wie um den einzigen Bruder. »Der Mensch sich selbst überlassen, von keinem habsüchtigen Tyrannen, von keinem wahnsinnigen Priester aufgehetzt, ist das friedlichste, edelste Wesen auf Erden« – hatte Bedreddin gesagt, und war gerührt mit Torlak nun heraufgekommen, um hier nicht zu trösten, sondern zu helfen. Hülfe ist der beste Trost. Böre's edles, schönes Gesicht war ruhig, als er es vor ihnen enthüllte; nur den Zeigefinger hielt er, mildlächelnd, lange ihnen drohend vor.

Aber da erwachte Beitulis vom Schooße der Maaraton und setzte sich plötzlich auf. Sie starrte auf den umgekehrten Pantoffel; sie knirschte mit den Zähnen; und als Türkin schon auch die Sitte kennend, daß ein ehrbares Weib vor dem Kadi nur, stumm vor der angesonnenen Schmach, ihren Pantoffel umzukehren braucht, um von ihrem unnatürlichen Manne geschieden zu werden, schrie die Mutter des schönen Knaben Jesus jetzt laut, und forderte dann, ihren Mann anfassend: Gib mir nun auch meinen Sohn wieder, so wie er war, wie er ist! Jeder sei zuerst der Vater, der Mann! Dann sei er, was er will. Dann sei du auch ein Prophet! O worein sind wir armen stillen Leute verfallen! Und der arme Junge, hat er nicht auch schon gemordet! Ach, und so ist er gefangen – und von dem abscheulichen Sohne des Sisman! Ach, wäre der Knabe nur häßlich, sein Gesicht vom Wolfe zerkratzt, hätt' er nur wenigstens Ein Auge! einen Buckel! Aber er ist ohne Fehl! und meine Freude ist nun mein Gram! mein Gram mein Tod! O ihr Männer, helft! helft!

Da sprach Torlak zu ihr weich: Mutter! ich bin ein Vater! doch das ist dein Böre auch; nur sieht er Alles göttlich an und ist mit Allem zufrieden. Aber ist Gott selbst mit uns Menschen allen zufrieden? Er läßt wohl jede, doch einmal geschehene That gut sein, aber nicht jeden Thäter schlecht bleiben! Er lenkt das böse Werk zum Guten und fügt und richtet es ein, und will durchaus, daß jeder Mensch erkenne: Gott wohne und lebe in ihm; was Gott nicht thäte, soll kein Mensch auch thun; und was Gott thäte, soll der Mensch auch thun. Aber sei ruhig! ich bin ein Jude, und wir Juden haben die Kunst vollkommen gelernt, mit den argen Menschen unzufrieden zu sein, und diese Unzufriedenheit ist unser Halt, unsere Kraft im Unglück, bis sie sich dennoch dereinst in unser Glück verwandeln muß, weil die Menschen gewiß einst zufrieden werden, wozu nur ein wenig Verstand, ein wenig Güte mehr, ein wenig Blindheit weniger gehört. Hoffe noch! o Mutter. Ich würde sogleich selbst ausgezogen sein, das Schloß zu stürmen und unsern lieben Knaben zu befreien. Aber zuerst ist das gegen Böre's Willen, der kaum darein gewilligt, uns zu vertheidigen; und doch sagt Bedreddin: die beste Vertheidigung ist der Angriff selbst zu rechter früher Zeit. Dann hätte Sisman's Sohn dein Kind ja doch noch weiter hinaus zur See entführen können, wenn wir bestürmten! Und siehe: Wir haben seinen todten Vater! So wird der Sohn doch einen Knaben für des Vaters Leichnam geben! Darum habe ich den auf einem Baume gefangenen Kelpares mit dem rüstigen, redlichen Verschnittenen Zaddig auf unseren besten Rossen dem Knabenräuber nachgesandt. Vor Mitternacht sind sie dort, nach der Morgensonne vielleicht schon zurück.

Ach! seufzete Beitulis, der Sisman hat den Vater im Stiche gelassen, todt oder lebendig.

Wir haben auch Gold geboten! entgegnete ihr Bedreddin. Oder glaubst du nicht, daß die Unseren gern Alles darbringen werden, was sie haben, und welcherlei Dinge er fordern kann, um Böre's Sohn auszulösen! Hat der Knabe nicht den Vater und dich und Maaraton zunächst vor dem raschen Ueberfalle errettet, da ihr beschäftigt waret mit Verwundeten, kniend an der Erde, oder hinwegsahet. Hat er nicht ihres Lehrers Wort gerettet? Sieben Menschen wissen einen Schatz oder einen heilsamen Quell, und die sieben Wissenden kommen Alle um, von Räubern erschlagen; kommt da nicht der Schatz oder der Quell um, für die andern Menschen, so frisch auch der Quell an seinem Orte so fortquillt! Und Andere, wenn sie auch davon hörten, sie haben den Eifer nicht! Denn alles Gute ist der Saat gleich; Alles, was dauern und wachsen soll, bedarf der Auferstehung! Ohne seine Auferstehung in Anderer lebendige Herzen lebt Keiner fort, so herrlich und göttlich er war. Die Auferstehung ist erst das rechte Leben! Die Auferstehung fordern auch wir mit Recht. Aber Glück und Segen gehört auch zur Auferstehung des Menschen, wie die Gunst des Wetters für jegliches Saamenkorn; und alle Körner, alle Worte stehen nicht auf ohne Acker und Menschen; gewiß aber nicht das Saamenkorn, von dem die Welt den Keim in der Erde zertritt! Wir wollen uns also nicht zertreten lassen, am wenigsten unsern Lehrer Böre! Denn nur das lebendige Wort lehrt und kann nur auf Erden auferstehen, wie es nur für die Erde geboren wird; im Himmel und für den Himmel bedarf es nicht Geburt, nicht Tod, noch Auferstehung; denn in der Stille und Tiefe lebt beharrlich das Licht, von dem wir Menschen nur Blitze sind. –

Aber, sprach Torlak, den guten, für Andre lebenden Männern, die in der reinen Höhe des Geistes wohnen, welche zwar die Zukunft heißt und in ihnen schon da ist – soll ja ihr, sich selbst unbeachtendes wirksames Leben nicht schwer sein, nicht erst recht schwer gemacht werden aus Neid, aus Geiz, aus Unverstand und Härte! O, ich weiß, unsere Maaraton gibt alles ihr Gut mit Beeiferung hin, um Böre eine Freude zu machen, geschweige ihm einen Kummer auf die lange Lebenszeit zu ersparen, und einen solchen Kummer, den ihm sein Weib hier nie vergibt, den die Tochter noch hundertmal heimlich beweint! Auf ihre Liebe hin habe ich durch Zaddig großes Lösegeld von ihren Schätzen versprochen. – Hab' ich zu viel gethan? frug er Maaraton, und reichte ihr lächelnd die Hand.

Wohl zu wenig! sprach Maaraton. Sie empfand ihre ganze Liebe für den von Allen fast angebeteten Mann; doch es regte sich auch das Verlangen nach ihm mit Macht, und während sie auf die blasse Beitulis niedersah, stieg ihr der Gedanke auf: »wenn sein Weib stürbe ..... wenn ich den Knaben erlöst hätte .... wenn Friede wäre .... ach, und wenn ich seine Mutter würde!«

Sie scheuchte den Gedanken fort, indem sie mit der Hand zum Schein einen Nachtschmetterling von sich wehrte; denn sie empfand nun Böre's Herz, wie es leiden würde um sein verlornes Weib! und sein geliebter Knabe um die redliche Mutter! Sie hielt sich eine Hand über die Augen, die sie fest zusammendrückte; und ohne eine Thräne zu vergießen, weinte ihre Seele doch tief erschüttert.

Beitulis stand plötzlich auf und verlangte nach ihrer Tochter Aischeh. Seid ruhig, sprach sie, ich verschweige bis Morgen. Wenn aber mein bekümmertes Gesicht redet, meine Träume die Nacht, und meine verweinten Augen am Morgen, vergebt das einer Mutter. Sie küßte ihrem Manne die Hände, und sie gingen Beide wieder in ihre unversehrte Wohnung hinab, die Sismanbeg aus dankbarem Herzen, so gut wie alle andere Wohnungen, zu verschonen gewußt hatte. Maaraton ging aber in die Grotte, um bei Böre's Mutter Nilupher zu bleiben und die Tochter zu ihrer Mutter Beitulis hinabzusenden.

Nur die Kinder schliefen in dieser Nacht. Ihre Aeltern aßen erst für den vergangenen Tag. Diese pflegten die Verwundeten; jene saßen bei ihren Todten, die durch Pfeile und Steinwürfe der Türken, sogar auch durch in der Hitze verfehlte Würfe ihrer eigenen Leute, oder durch Hinabsturz von den Felsen umgekommen waren. Wenn die Todten alle, unausgeplündert und anständig in ihren Kleidern in der Felsenschlucht durch hochhinein geschüttete, sie fest bedeckende Erde begraben wären, sollten die aus der Ferne zu Hülfe gekommenen Freunde wieder jeder an seinen Ort heimkehren; so hatte Bedreddin gesagt. Die zum Spießen herbeigeführten unzähligen, mit Eisen beschlagenen Pfähle sollten auf den Gipfel des Berges, in die Höhlen geborgen werden für die Zukunft; für die Zeit, die gewiß käme, und die er wünschte nach seinem weiten Entwurf. Dann solle Jeder wie im tiefsten Frieden an seine Arbeit gehen.

Die bloßen Worte der Männer, an welche das Volk glaubt, sind demselben Befehle. Und so geschah Alles getreu am folgenden Tage, an dem der zu Sismanaga nach dem Schlosse Hypsile gesandte Kelpares nicht wiederkehrte, denn er sollte frei sein wie jeder Gefangene; aber auch Maaraton's treuer Diener Zaddig kam nicht zurück.

Am folgenden Abend erst kam der Grieche Korax, der sogleich zu Bedreddin ging. Und auf dieselbige Nacht noch beredeten sie ihren Weg zu dem Prinzen Mustapha, den er als Schaafknecht in einer großen Schaafhöhle in doppelter Menschengestalt gefunden, aber von Zweien nicht den Rechten zu erkennen vermocht, da die beiden Schaafknechte einander sehr ähnlich sähen, und deren Einer dem Andern noch mehr zur Verbergung diene. Und er selber kenne den wahren Sohn des Sultans nicht. –

Ehe sie noch zu Fuß hinweggingen, entdeckte Korax auch noch dem Torlak, daß er einen Traurigen, wie er nun wisse, den Diener Zaddig, am Wege sitzend gefunden, der ihm auf viele wohlmeinende Fragen endlich sein Leid geklagt und vertraut habe, daß Sismanaga den Leichnam seines Vaters nicht einzulösen begehre, und daß sie ihn im Meere oder im Lande oder gar nicht begraben möchten, da er ihn unglücklich gemacht habe. Böre's Knaben Jesus aber wolle er austauschen gegen Maaraton, nur gegen Maaraton. Aber auch dazu gebe er nur drei Tage Frist; und zwar also: wenn sie am ersten Abend, wenn der Mond aufgehe, nicht an dem Bache sei, so werde er des Knaben linke Hand seiner Mutter senden; käme Maaraton auch am zweiten Abende nicht, so würde er des Knaben Zunge senden; und käme sie auch noch am dritten Abende nicht, so würde er des Knaben Kopf senden; und zum Beweise, daß er entschlossen sei Wort zu halten, sende er sogleich des Knaben rechtes Ohr mit. – Nun, hatte Zaddig dem Korax gesagt, könne er seine Gebieterin nicht dem häßlichen Wüthrich überliefern, so große Geschenke und gute Tage er ihm auch versprochen habe. Er werde ihr also den Lösepreis verschweigen und auch allen andern, damit ihr kein Schwacher zurede, oder kein Starker sie ihm mit Gewalt hinschleppe. In Zweifel und Mißtrauen gegen sich selbst, ob er seiner Gebieterin Maaraton gegenüber nicht werde in Thränen ausbrechen müssen, oder dem Vater Böre zu Füßen fallen, oder der Mutter Alles verrathen, wenn sie das Ohr schon jetzt, dann die Hand, dann die Zunge ihres Knaben erhalten werde, habe er lieber gar nicht zurückkehren wollen und gewiß schon den Knaben um seine Hand gebracht. Es habe ihn aber mit Gewalt zum Berge Stylarios wieder zurückgezogen, und er wolle versuchen, ob er auch des Knaben Zunge verschweigen könne, und warten, ob wirklich die Hand erst kommen würde? Und erführe Maaraton ja, daß Sie nur den Knaben erlösen könne, so sei sie ja selber Frau genug, und möge dann für sich reden; und wenn sie auch wirklich zu gehen willens sein möchte, dann wäre es immer noch Zeit, sie zu bitten mit ihrem Bruder Eliah; sogar noch auf ihrem entsetzlichen Wege sie aufzufangen, doch lieber jetzt in der ruhigen Zwischenzeit, bis neue Feinde den Berg anzugreifen kommen, sie weit in ein fremdes Land zu führen.

Bedreddin aber hatte noch schnell in der Nacht den Eliah geweckt, und ihm alles vertraut; aber Eliah wieder seiner Schwester Maaraton, die auf ihrem Lager aufsitzend blaß wie der Tod geworden war, und ohne ein Wort, ohne Ach, ohne eine Thräne nur, wieder zurückgesunken vor ihm lag. Der Bruder sah bei dem goldenen Flimmern des Nachtscheins schweigend ihr unverhülltes Gesicht, das Düsternheit befiel, und ihre Züge drückten eine Bitterkeit aus, so bitter, als ihr auf einmal aus sanftem Schlafe und reinem Traume das ganze Leben geworden war. Denn von dem Bruder sanft berührt, um sie zu erwecken, und immer wieder innehaltend, um sie schlafen zu lassen und leise hinwegzugehen, hatte sie sich kaum besonnen, daß sie auf der Erde war; und mit dem Wachwerden des Bewußtseins und der Augen war ihr auch das Herz wach geworden, und sie hatte sogleich gefragt: »Ist ihm ein Unglück geschehen?« und meinte ihres Herzens stillen Freund, sie meinte Böre, als wenn keinem Menschen sonst ein Unglück geschehen könne, oder sie kein anderes anfechte und rühre. Und so hatte sie das herzzerreißende Unglück betroffen, das wie entsetzliches Gift aus wenigen eingehauchten Worten sie jetzt wie todt auf ihr Lager gestreckt. In einem Anfalle von Mönchs- oder Männerverdruß, die Schwester zu versuchen, setzte er ihr die Spitze seines noch beibehaltenen Wehrdolches grad auf das klopfend Herz, und sie fühlte sie kaum, als sie ihm, dennoch erschreckt und besorgt, in den Arm griff, ob er gleich der Bruder war, und ihn zum Weinen rührend bat: »O, ermorde mich nicht! Mein Leben hat einen unaussprechlichen Werth!«

Du willst also gehen? ... sprach Eliah und trat von ihr zurück.

Da sprang sie auf, sie sank ihm zu Füßen, sie lehnte ihre gewundenen Hände an sein Kniee, ihr Gesicht an die Hände, und so über ihr stehend hörte er die leisen Worte des gefolterten Weibes: »Also soll ich nicht gehen! O, rathe mir, Bruder, und sage du selber zu mir, wie meine Seele zu mir sagt: Gehst du nicht, so bist du beschimpft und elend vor dir; du bist schlechter, liebloser als alle Menschen hier! Und gehst du, so bist du elend und beschimpft. Ach, und o Himmel, ich bleibe .... oder ich gehe .... ich hab' ihn verloren, meine Seele hat ihn verloren. Jetzt darf ich glauben, ihm, ihm zu gehören.«

Nun weinte sie und blieb dann eine lange Zeit still, während der Bruder sich nicht regte; nur eine Hand hatte er, sich ein wenig neigend, auf ihr Haar gelegt. –

Was auch geschehen soll, eilt! es eilt! sprach er endlich. Der Knabe ist die einzige Beute des Feindes. Wenn er zerschnitten würde, gehörte dem Sismanaga nur der fünfte Theil, etwa eine Hand und ein Fuß. Vier Theile behält er dem Sultan vor! Aber wie bringen wir schnell das an ihn? Und der Gewalt widersteht der Wüthende mit Gewalt – er ermordet das Kind vor den Augen der Häscher und sich. Aber welchen Lohn würde er für den Knaben vom Sultan verdienen! – wie wüthend begehrt er also dich, armes Weib! Und dennoch will ich sogleich zu dem Schändlichen eilen, vorher aber Torlak fragen, ob er nicht auch meint, daß wir von deinem auf dem Berge wohlgeborgenen Schatze das Schönste gleich mitnehmen, um ihm den Knaben abzukaufen! Ich denke, ich nehme einen goldenen Fisch voll Edelsteine; einen großen silbernen Fisch voll persischer goldener Tomans und zwei goldene Vögel voll großer Perlen ....

Nimm noch mehr! sprach Maaraton im Aufstehen; du gehst doch vergebens! setzte sie aus dem Gefühle ihres Werthes weiblich hinzu, ohne verdrossen zu scheinen. Der Bruder aber drückte sie an sein Herz, und die Geschwister lagen sich bang und treu in den Armen und weinten um einander. –

Eliah ließ ihr vor Hast des Wegganges den Dolch an der Erde. Er konnte sich nicht überwinden, seine Schwester zu tödten. Er wünschte und verwünschte, daß sie sich selber tödte – und dann wollte er die Todte dem aus der Ferne durch seine Begier zu ihrem wahren Mörder gewordenen Lüstling hinbringen zum Schreck; vielleicht zur Rührung und zum Lösegelde für den Hand- und Zungenlosen Knaben.

Maaraton stieß mit dem Fuße an den Dolch; er blinkte, sie hob ihn auf; sie lächelte ihn an; sie setzte sich jetzt selbst die Spitze wieder auf das Herz. Aber sie lächelte nur dazu und schleuderte ihn wie eine starre Otter hinaus in die Nacht. – Des armen Knaben Vater sagt, sprach sie bei sich, was mein ist, ist Dein. Nur das will ich ihn fragen: »ist auch mein Leib mein? unzweifelhaft mein? So mein! Gehört eines Weibes Leib dem Weibe? Kann sie ihn Jedem schenken, der sie begehrt, ja liebt? « – Ach, da fange ich mich selbst .... ich gehöre Ihm ganz mit Leib und Seele! und wenn Er auf meine Frage »Nein« sagt, o dann ehrt er mich im Stillen! Dann ist er eifersüchtig, wie er es sein kann – und ach, dann liebt er mich heimlich sich unbewußt in seiner Redlichkeit! .... Und wenn Er »Ja« sagt – – – dann bin ich schon hin – dann gehe ich hin, dann sterb' ich lebendig, ihm zur Freude, zur Rührung! Dann weint Er um mich!

Und in stiller Wehmuth vergoß sie jetzt häufige Thränen, mit Schauder der nächsten Nacht gedenkend, und wachte den Morgen heran.

Torlak aber konnte kaum seine edelste Freude verbergen, als ihm Eliah von der Drohung des Sismanaga erzählte, daß dieser schon angefangen hatte, den schönen Knaben zu verunstalten, ihn also nicht achtete und bewahrte. Er stand auf; er half dem Eliah zur schnellen Abreise mit den reichen Geschenken, wofür Sisman zehn der allerschönsten Sklavinnen kaufen konnte; er sah dem Forteilenden seufzend nach und ging zu dem Vater des Knaben, der aber schon hinaus zu den Feigenbäumen gegangen war, und fand nur die Tochter Aischeh vor, der er die Ursache der Angst seines Herzens unmöglich verschweigen konnte. Und die Tochter ging schweigend hinweg zum Vater, und er folgte ihr langsam von ferne.

Er sah ihn, wie er der ionischen Weise gemäß, jetzt Ringe mit rother Farbe dicht unter den Aesten solcher wilden Feigenbäume zog, die nie selbst Früchte tragen, sondern nur Mücken hervorbringen, welche die Feigen der andern Bäume anstechen, die dadurch köstlich reifen und süßen; über diese farbigen Ringe kriechen aber nicht die Feinde der zur Ernte schöner herrlicher Feigen so nöthigen Mücken. Sein Weib Beitulis half ihm bei dem Geschäft nun heute schon statt des Knaben. Sie hielten aber jetzt inne, denn es war ein türkischer Reiter herangesprengt, dessen Pferd Zaddig hielt. Der Reiter aber war von Sismanaga gesendet, stand jetzt vor Böre und nahm aus seiner ledernen Tasche ein gläsernes verbundenes Gefäß voll von weißem Wein, in welchem eine schwimmende Knabenhand sich bewegte, und etwas einem Tulpenblatt Aehnliches, das Zaddig, Torlak und Aischeh mit Schrecken erkannten und sahen. Zaddig hatte also schon den Tag der Zunge versäumt, und dieser Abend war der letzte.

Der Reiter setzte voraus, der Vater Böre wisse schon Alles, reichte der Mutter das Gefäß hin und sagte nur trocken: »Morgen früh bring' ich eures Sohnes Kopf, wenn die Maaraton nicht heut' Abend bis Mondaufgang zu seiner Erlösung selbst bei Sismanaga ist. Hier sind die Beweise, daß er Wort hält.«

Die Mutter und die Schwester hielten sich an den Vater.

»Maaraton soll ihn auslösen? Die arme Maaraton!« sprach Böre langsam. »Wie sind doch alle Kinder geliebt von ihrem Vater und ihrer Mutter überall, und doch scheinen sie nur ihnen allein zu gehören und ihnen allein übergeben, zu Sorge und Rettung und was sie bedürfen. Denn so sehen es Alle, sind es Alle durch lange Zeiten gewohnt, daß Jeder nur für die Seinen sorgt, dieser in diesem Hause, Jener in jenem. Aber jeder Mensch ist allen Menschen übergeben wie seinem Vater, seiner Mutter und seinen Geschwistern. Und fühlen und thun das Alle, o welche Noth drückt dann noch Einen? Wem wird da nicht geholfen? O erscheine, du leuchtender, seliger Geist! Aber Einer soll nicht Schaden leiden um den Andern. Maaraton's Haupt um des Knaben Haupt ... ich verlangte nur das auch nicht. Aber das Weib darf nur den Leib mit der Seele geben. – Gott ist bei dir, mein Sohn! o, mein Sohn, du verlangst nicht einer Sklavin Schande um eines Sklaven Leben; und wäre der Sklave du. Wen der Herr lobt, dem thun seine Wunden wohl, statt zu schmerzen! – Ach, ich muß weinen.

Und er erhielt sogleich noch mehr Veranlassung dazu. Denn sein Weib Beitulis, wirklich die Ehre des Hauses, war tödtlich getroffen von der Schmach und dem Unglück ihres Kindes durch den bulgarischen Barbaren. Ihr Mutterherz war zerrissen. So schon erschüttert von alle dem Mord und Graus, der um ihres Mannes willen verübt worden war, den sie in den Träumen der Nacht blutig im Blute waten, Becher mit Thränen trinken und dann vor ihren Augen ihr in die Erde zerfließen gesehen – erlag ihr Leib den Gefühlen der Seele, die wie eine verzweifelte Gefangene die Saiten der Zither zerreißt und das schöne Gefäß des Wohllauts schreiend zerschlägt. Ihr Mann selbst hatte ihr jetzt die letzte Hoffnung durch seinen edeln festen Sinn benommen. Ihr Knabe war nicht zu retten, und diese Klarheit verscheuchte ihren Geist aus der Welt und er floh. Er hielt ihr Gebild nicht mehr aufrecht, er bewegte ihre Arme nicht mehr. Sie sank, von Böre ergriffen, sanft zur Erde. Da starrten ihre Augen noch auf das sonnenhelle Gefäß mit der sich regenden Hand, sie beugte sich vor, der Reiter hielt ihr, sogar gutmüthig, das Gefäß ganz nahe hin.

So verging ein stiller Augenblick. Da fuhr sie empor. Sie leuchtete vor Freude. Sie breitete ihre Arme noch einmal aus. Sie wollte reden. Ihre Stimme erstickte. Sie fiel, von dem neuen Schrecke der Freude getroffen, plötzlich zu Boden. Und noch aus der Sterbenden Munde tönten die drei Worte: – »Das ist nicht« –

Der Tod hemmte ihre Rede in der Brust und nahm sie mit hinab in die Tiefe der Geister. Aber aus dieser Tiefe noch leuchtete ihre Seele herauf, und unaussprechliches Entzücken nahm ihr Antlitz an, und in einem seligen Lächeln versteinten ihre Züge still und schön wie Marmor.

..... »Nun sein Weib todt ist .... nun sollst Du – gehen? Maaraton! ...« sprach eine, Andern unhörbare Stimme zu Maaraton, wie hinter ihr.

Und sie kehrte sich um, sah Niemand in ihrer Nähe und ward feuerroth und zitterte.

Die Tochter war untröstlich. Sie hielt der Mutter Hände fest, so fest, als vermöchte Kindesliebe die Sterbenden im Leben zu fesseln, da kein liebendes Herz noch jemals geglaubt hat, es sei ein Mensch gestorben. Und der Vater sagte zu ihr: »O, mein Kind, unser Menschenglück ist nun aus, unser Haus ist zerstört. Doch weil kein Mensch den Tod zu glauben, nur zu träumen vermag, darum ist kein Tod. Aber, o Mutter der Kinder, ich segne dich nicht! Wer ist so frech die Todten zu segnen, denn sie sind selig, und dieses Weib hier gewiß! Du aber habe Dank, o Geist, der du in ihrer wunderbaren Gestalt bei mir gewesen bist und bei uns gewohnt hast mit deiner Redlichkeit, Sorgfalt, Liebe und alle deiner Güte! Habe Dank! und Thränen und Liebe, so lange ich hier deiner gedenke!« –

Wohl aber hatte er das Geheimniß durchschaut, womit sie gestorben war .... mit der Ueberzeugung: daß die Hand nicht ihres Jesu Hand war .... also auch nicht die Zunge seine Zunge. Denn es ist eine besondere, fast unglaubliche Eigenschaft guter Menschen, daß sie auch die bösen Gedanken der Bösen kennen, als hätten sie selber zeitlebens nur Böses gedichtet. Aber, da Reden nichts helfen, nichts ändern konnte, so schwieg Böre auch. Er half sein Weib aus ihrem Garten, von ihren Bäumen und Blumen auf immer hinweg, zum letztenmal in das Haus tragen. Er besorgte, daß ihr hoch oben auf dem Gipfel des Berges ihr Grab bereitet werde. Er ließ den Reiter und sein Roß versorgen, und entließ ihn ohne ein Wort, mit einem Händedruck als Dank für seine Mühe. Dann ruhte er lange. Darauf tröstete er die Verwundeten; und als die Mädchen wieder versammelt waren, lehrte er sie wieder das Leben auf Erden.

Maaraton hatte das Schicksal der Mutter mit angesehen, den Vater mit angehört. Beitulis war nun todt. Aber nun war ihr Böre erst heilig. Zaddig hatte ihr sein Wort gesagt: er möge des Knaben Haupt nicht um ihr Haupt. So war sie hochgeehrt! Sie war ein selbständiges Wesen, ein freies, glückliches; und wie der Mensch nur über das Glück Anderer die seligsten, heißesten Thränen vergießt, so übt auch nur der Glückliche die reinsten, schönsten Thaten; zum Beweise, daß das Unglück keine wahre Macht über Menschen hat. – Sie war entschlossen: sie ging. Aber heimlich vor Allen. Sie kleidete sich sauber an. Sie ging Abschied nehmen von den ihr lieben Orten; sie setzte sich noch unter Böre's Bäume; ja sie setzte sich mit unter die künftigen Mütter und einzigen wahren Lehrerinnen der Herzen des neuen Menschengeschlechtes, unter die Jungfrauen, die er lehrte, und weinte still vor Gnüge, während sie seiner Tochter Hand in ihrem Schooße hielt. Sie schloß ihre Augen, als wenn sie schon fern von ihm wäre; und um in der Ferne ihn sich leibhaft vorstellen zu können, schlug sie dann plötzlich ihre Augen auf und lernte seine klaren Augen, seine Stirn, seinen Mund auswendig. Dann drückte sie ihre Augen zu, als wenn sie seine Gestalt in der Seele gefangen hätte und entschlich ihm, ohne aufzublicken. So lebte er fort und immer fort in ihr. Aus Garten schlich sie in Garten, aus Hain in Hain, von Feld zu Feld mit klopfendem Herzen; ja, sie verbarg sich oft lang in ein Blütengebüsch. Sie hatte sogar ihren Bruder Eliah vergessen; sie erschrak, und doch vermochte sie nicht umzukehren! So gelangte sie weiter und weiter. Dann begegneten ihr schon unbekannte Menschen. Sie frug nach dem Wege; sie konnte nicht irren. Und lange vor Abend erblickte sie schon das Schloß fern über den Bäumen. Dann sah sie mit Erschrecken den breiten tiefen Bach und den Steig, an welchem Sismanaga sie finden und sich holen wollte .... setzte sich seitabwärts vor demselben unter dichtes Tamarindengebüsch und bat Gott, sie ja nicht einschlafen zu lassen, bis der Mond aufginge, bis der Knabe käme!

Der Abend sank und Gewölk verhüllte den Himmel; es ward düster und düsterer; feiner, sanfter Regen sprühte; es war so einsam, so still, so schaurig. Sie fing an sich zu fürchten, wenn es ihr dünkte, sie höre Schritte; und dann noch mehr, wenn Alles wieder so still war. Und wie das Herz des Weibes ist, sie sehnte sich zuletzt, daß Sismanaga käme. Sie hatte dem zurückkehrenden türkischen Reiter zugeflüstert: »Ich bin Maaraton! Ich komme.« Und doch erschien er nun nicht, noch nicht! Und doch war der Mond gekommen und wieder verschwunden.

Da hörte sie Hufschlag von Pferden hinter sich; und – auch von drüben zum Bache her. Ihr treuer Zaddig kam auf Bedreddin's Rosse ... er war es, denn er rief ihren Namen mit Angst ... und sie entfloh vor ihm über den schmalen Steg hinüber, wo eben auch Sismanaga hielt, den Knaben vor sich auf dem breiten Sattel und Diener zur Bedeckung. Zaddig schrie. Aber Sismanaga stieg ab; sie ergriff den Knaben und zog ihn zur Erde. Der Bulgar Sisman wendete sie gegen die Hellung am Himmel und sah ihr nah in das Gesicht, von dem er den Schleier riß, damit er in der Dunkelheit nicht mit ihr getäuscht werde, und sie mußte ihm ihren Namen sagen, um sie an ihrer Sprache zu erkennen. Sie wendete sich von ihm. Sie drückte den Knaben an ihr Herz, sie erdrückte ihn fast, sie küßte ihn, sie erhob seine wirklich verstümmelte, kurze, mit einem weißen Tuche verbundene Hand, sie frug ihn: so haben sie dir gethan? – Ach, wenn du wüßtest ... und wollte sagen: daß deine Mutter schon über dein Unglück gestorben ist .... doch sie verschwieg das. Und der Knabe klammerte sich furchtsam an sie an und lallte mit der verstümmelten Zunge zum Erbarmen. Sismanaga hob sie auf sein Roß; aber sie schrie nach Zaddig, der erst herüberkommen mußte, den Knaben noch empfing, sorgsam hinüberführte, ihn auf das Pferd hob, sich hinaufschwang und mit ihm in die Nacht hinaus nach dem Berge jagte.

Als Maaraton aber auf dem Schlosse angekommen war, sprang ihr der Hund des Knaben, Timur, entgegen; und der Knabe, der sie zu Tische zu bedienen mit Waschkanne und Waschbecken, das weiße feine Tuch über der Schulter, kam, war Böre's Kind, der Knabe Jesus, mit seinen beiden Ohren, seinen beiden Händen; und als er sie erkannte, ließ er vor Schreck und Freude Becken und Kanne fallen, warf sich ihr um den Hals und frug bewegt sie nach dem Vater und nach der Mutter.

Sie war also gräßlich betrogen. Sie verstand nun das Entzücken auf dem Antlitze seiner gestorbenen Mutter, und das Lächeln, und konnte nun ihr letztes Wort ergänzen: »Das ist – nicht meines Knaben Hand! Er lebt!« – Und das entzückte sie in ihrem Elende. Sie ertrug sogar das Gelächter des eintretenden Sismanaga, der ihr sagte: Der aufgefangene Knabe, den ich dem Böre gesandt, ist ein Teufel. Er hat nicht den Ort verrathen wollen, wo Prinz Mustapha ist. Darum ist ihm mit Recht so geschehen – zu meinem Nutzen, du Engel! Aus Furcht thut ein Weib Alles, sogar aus Furcht für Andere. –

Maaraton aber erröthete über ihre Liebe. Sie war hier zur Nacht mit einem ungestümen jungen Manne allein, aber sie hatte keine Furcht, sie hatte ihren Dolch und ihren entschiedenen Willen bis zum Tode, wenn er nöthig wäre; bis zum Tödten, wenn es nöthig wäre. Und doch seufzte sie tief und schwer: »die Gunst der Großen ist die Schande der Niedrigen.«

Und sie erhielt Recht.

Der arme Knabe aber, den der treue Zaddig zum Berge Stylarios gebracht und sich selbst und die Andern traurig mit ihm und durch ihn getäuscht hatte, war dennoch ein großer Schatz. Denn schlau, listig, und älter als er schien, war er der heimliche Bote zwischen dem verborgenen Prinzen Mustapha und Mirtsche, dem Fürsten der Wallachei. Torlak und der türkische Erzbischof Athanas, von den Griechen nur Satanas genannt, erbarmten sich seiner, verbanden und pflegten ihn, und sahen ihm ab, daß ihm das Herz von etwas noch mehr bedrückt war als von seinem Schicksale. Er verstand zwar alle Fragen, aber er konnte nicht reden, und schreiben fast gar nicht; er legte mit Steinen zwar große Buchstaben zusammen; aber die Schrift war nicht zu erkennen. Deutlicher machte er sich durch die morgenländische, der Blumensprache ähnliche Zähnsprache, wobei die Frauen Gelegenheit haben und suchen, ihre schönen Zähne zu Liebeszeichen zu machen. Torlak verstand diese Sprache, aber der Knabe entdeckte sich nicht. Endlich fand der Erzbischof, der früher ein Schneider gewesen war, in seinen aufgetrennten Kleidern ein Schreiben, worüber sie erschraken. – Der schändliche Korax! der schändliche Korax! rief der Erzbischof- und Schneider-Apostat einmal über das andere. Aber der Knabe kann ja noch gehen! noch hören! er hat noch Augen! das hat Sismanaga vergessen. Er soll uns nun führen!

Freilich, sprach Torlak Hu Kemali, die Griechen könnten mit einem glücklichen Schlage noch ihr ganzes Reich wiederbekommen, wenn es ihre eigenen herrschsüchtigen Despoten nachher sich einander auch wieder entrissen. Prinz Mustapha ist ein großer Fang für den Kaiser! Bedreddin ist ein großer Fang für den Sultan! Und Beide will Korax mit einem Zuge ins Netz, um bei Türken und Griechen der Freund zu scheinen. Vielleicht sind Mustapha und Bedreddin schon in seiner Gewalt!

Ein Grieche verräth den andern, sprach Athanas, denn wie Mirtsche hier schreibt, hat der Michael Phyllis, ein Grieche aus Ephesus, der alle Sprachen und alle Laster versteht, ihm den Korax verrathen.

Das Böse führt den Verrath als Heilung mit sich, sagte Torlak. Doch es eilt! Wir müssen ihn retten, ihn haben! Die Derwische berichten, daß ihnen der Tschausche an den Großweser mit der Nachricht der verlorenen Schlacht begegnet; und andere berichten, daß neue wilde Thiere der Macht aus Lydien und Phrygien, wohl fünf mal fünf Tausend, heranziehen, vom neuen Statthalter von Phrygien, Alibeg, geführt. Doch sie berichten auch, wie groß Dede Sultan im Volke erscheint, wie wunderbar! »In der letzten Schlacht ist er allein nur auf den Berg getreten, hat seine Zauberhand erhoben – und die Steine haben sich losgerissen, hinuntergestürzt und die Türken zermalmt und begraben und sind dann liegen geblieben als ihre Denksteine!« Das Volk sieht klar und wahr durch alle Mittel hindurch! Das Volk sieht, wie eines Zauberers Kind, nur den Geist, der die Kräfte bewegt; und in der That hat nur Böre's Geist in und mit Andern die Steine bewegt, und so hat Böre ein Wunder gethan, wie auch nur alle die alten Propheten, keinen ausgenommen. An großen Männern entdeckt erst die Welt die Wunder der Natur; und das ungeheure Wunder: daß sie geboren wurden; das Wunder: daß sie lebten; und das Wunder: daß sie starben, und Alles, was sie von diesen in Wahrheit fast unglaublichen, immer unerklärlichen göttlichen Dingen nur erträumen können; das schreiben sie Alles dem erschienenen Geiste selber zu; in diese heiligen Schleier des Lebens wickeln sie das Menschenkind! Aber das Scepter der Einbildungskraft gehört der Vernunft und nicht dem Glauben. –

Und ist nicht Bedreddin auch so lange dem genuesischen Herrn von Chio, dem ungesäuerten Katholiken, erschienen, bis er ihn zu sich geladen hat, um ihn zu bekehren! sprach der Erzbischof-Apostat noch mit jenem unermeßlichen und unverlöschlichen Katholikenhasse der Griechen, die geduldig auf die unermeßliche Freude und die Gerechtigkeit Gottes harren, daß der Patriarch von Rom gestürzt wird. – Und die Bekehrung ist leicht, fuhr er fort; denn des Katholiken Glaube hatte ein Loch bekommen, wodurch er die Priester gesehen, welche vorgeben: mehr Macht selbst als Gott und gegen Gott zu haben, und täglich den Leib seines Sohnes schaffen und opfern zu können! Und auf dieser gotteslästerlichen Macht der Priester beruht doch die Macht nur der Kirche. O Jammer! Man kann mit Recht an dem Verstande Europa's zweifeln, noch vor der Hand. Aber gewiß nicht nach der Hand, die diese Geflechte zerreißen wird. Ich war doch wenigstens ein echter Gesäuerter! Doch nun kenn' ich kein Wunder als Gott, den immer Unmittelbaren! Ist Gott allgegenwärtig, so ist er überall unmittelbar, und das verändert die Welt.

Sie wurden unterbrochen. Denn die Abgeordneten von Nymphäon, Mesaulion, von Priene, ja von Milet und Knidos in Karien, deren Archonten den Beschluß gefaßt hatten: mit ihrer ganzen Stadt sich zu Böre's Lehre zu bekennen, kamen jetzt von ihm und sprachen verlegen unter einander.

Nun, lieben Männer, frug sie Torlak, was hat euch Dede Sultan gesagt?

Ein Gleichniß; antwortete ein würdiger alter Mann.

Das lautet?

Und der Alte sprach: Böre sagte zu uns: »Ein Herr sandte einen Riesen aus, ihm für seinen kranken Sohn Dictampflanzen zu bringen. Als er aber heim kam, lud er von den Kameelen alles Unkraut der Wälder und Felder ab, ja er schleppte noch einen großen Baum hinter sich her. Nur einen Stengel Dictam trug er im Munde. – Ein andermal sandte er ihn nach einem jungen Lamme; und der Riese brachte ihm die jungen Lämmer, die alten Böcke, die Wolfshunde, die Wölfe, den Hirten, und das Thor des Schaafstalles trug er auf den Schultern. – Wieder sandte er den Riesen nach Meerspinnen, und der Riese brachte ihm Alles, was er gefangen hatte, Polypen, Seekrebse, Schildkröten, allerlei Fische, und selber die jungen Haifische, die das Netz zerrissen – – –

Habt ihr das verstanden? frug sie der Erzbischof-Apostat. Seht, fuhr er fort: Der Vater ehrt euch, und er will nicht in gemachte schreckliche Fehler fallen. Ihr wißt ja, Konstantin der Große, das heißt der große Unüberlegte, hat den großen Fehler gemacht, daß er sagte: »mein ganzes Reich ist christlich.« Mit diesem edeln Namen bedeckte er nun die Heiden! in dieses fromme Gewand ließ er alle Einwohner seines Reiches, die Guten zwar, aber auch alle Trunkenbolde, Ehebrecher, Habsüchtige, Neider, Räuber und Rächer kriechen! selber seine wilden Thiere der Macht! seine Henker und Scharfrichter, die in keine Gemeinschaft der Christen gehören, die alle erst draußen sein mußten; aber da sie drinnen blieben, die Gemeinschaft Derer zerstörten und aufhuben, die in ihrem Herzen, Gewissen und Leben allein den Namen verdienten; womit der große Unbesonnene wie mit einem Wolkenbruche, mit einem Donnerschlage, mit einer Macht, die sich für größer hielt als Gottes Allmacht, mit Einem Namen taufte; die Religion zur Prunk- und Staatsreligion machte, alle Laster und Lasterhafte weihte, vielleicht beschämte! Aber gewiß schob er das Reich, das er meinte, auf Jahrtausende hinaus, bis Alle das wirklich sind, was sie heißen, oder aber er verpfuschte das Leben des neuen Kindes ganz auf immer. Denn die Zeit des Wuchses jeder Saat ist wichtig und ganz einzig für sie. Wir aber wollen auf das Gute nicht bis zum jüngsten Tage warten! Unser jüngster Tag ist morgen! Heut! Der Kern und die Frucht von aller Lehre und Predigt für die Außenwelt ist – das Geben! das Mittheilen! Damit fangen wir an und dürfen von Menschen hoffen, also auch vom Volke, daß es durch die Gewohnheit zu geben und zu helfen auch innerlich göttlich gesinnt werde, Gott sehe in der Welt und Gott fühle im Herzen und Geist. Lernt nur Böre's Gebet! Lehrt nur Böre's Gebet! Dann seht ihr mit Gottes Augen und gebt mit Gottes Herzen, so daß Jeder Jedem Alles gibt. Geben, sich selber Allen geben, ist die Göttlichkeit Gottes. Nur wer so denkt und lebt, ist unser, und sei unser in allerlei Volk! Wo Jemand geboren ist, von wem, mit welcher Weisheit, Kunst und Geschicklichkeit, ja mit welchen Fehlern oder Gebrechen, von wie viel oder von wie wenig er lebe, das macht keinen Unterschied für uns. Keinen zu unterscheiden ist die Sendung des guten Gemüthes. Und seid fleißig, damit ihr habt! Seht doch, wie die Winde unermüdlich sind, und die Wolken Tag und Nacht! Seht, wie fleißig der Herr ist, der ohne auszuruhen an den Aehren des Feldes und an den Früchten der Bäume arbeitet! So hat er genug! So nur kann er geben! – Und hat Dede Sultan euch weiter nichts gesagt?

Ja, antwortete der alte Vater: Wir sollen, wie überall geschieht, auch bei uns ausrufen lassen: »Welcher Türke da sagt, daß Jesus nicht Gott gefürchtet, der ist ruchlos.« ... Er entschuldigt selbst die Christen und hofft noch von ihnen! sprach der Erzbischof-Apostat leise zu Torlak; wo Gott nicht gefürchtet wird, da ist er nicht.

Darauf schieden die Männer, und die beiden Freunde beurlaubten sich bei Böre, wo sie auch den, für die gebrachten Fische und Vögel mit dem kostbaren Eingeweide freigegebenen Eliah, den Bruder der Maaraton, den Mönch Turlotas und Böre's Bruder Salim und ihre Mutter fanden, die jetzt wieder wohl war, nur bekümmert wegen der herbeiziehenden neuen Feinde. Aber Torlak sagte: Ihr habt jetzt von 10,000 Erschlagenen die Waffen; an den untern Felsenrand rollt nur die von dem mittleren Felsen gestürzten Steine! die vom obersten gestürzten an den Rand des mittleren; und droben brechet ihr neue! Eliah, Turlotas und Salim stehen fest, und wir kommen bald wieder und bringen Bedreddin!

Ach, seufzete die Alte, vielleicht findet ihr ihn noch, aber wiederbringen werdet ihr ihn nicht. Er glaubt die Welt zu kennen, und baut auf sie! Nur wer die Welt nicht achtet, der vollbringt das Gute. –

In Begleitung von sechs auserlesenen, zuverlässigen Männern, die ihre Waffen verborgen führten, ritten Torlak und Athanas nun den ganzen Tag rasch immer an der Küste entlang, das Meer zur rechten Hand, nach Ephesus zu. Den tapfern stummen Knaben, dem sie aber darum nicht völlig trauten, hatten sie angebunden auf seinem Pferde, und die Zügel desselben noch angebunden an die Pferde zweier ihm zur Seite reitenden Männer. Den Brief von Mirtsche, dem Fürsten der Wallachei, trug Torlak bei sich; dem Knaben hatte er zur Ankunft bei dem verborgenen Prinzen-Schaafknecht ein Blatt mit den Worten gegeben:

»Die Männer, die ich dir bringe, o Emir, sind zuverlässige Leute, und daß ich treu bin, siehe und höre an mir.«

So gelangten sie erst in sinkender regniger Nacht in eine einsame Gegend am Meere. Links zog sich ein hoher Felsen hin; rechts war der Steinweg eng und an manchen Stellen von den Wellen der Brandung bespült. Vor Nacht blickten sie oft nach der See, ob nicht irgend ein Schiff oder ein Boot vom Lande hinausgestochen und eile? Aber sie sahen keins und fürchteten, zu spät gekommen zu sein. Nur der heftige Wind stand günstig, denn er wehete stark von der See landeinwärts. Jetzt erkannte der Knabe trotz der Finsterniß gegen den durchschimmernden Himmel einen alten verwachsenen Baum am Strande, und winkte zu halten. Er stieg ab; sie stiegen ab, und er führte sie links an die Felswand, in der, hinter einem großen davorliegenden, von droben herabgestürzten Felsblock, ein enger Eingang in eine Höhle sich aufthat. Gegen den nächtlichen Himmel gewandt, machte er mit seinen beiden kleinen Fäustchen das Zeichen des Feuerschlagens. Und während die Männer theils die übermüdeten Pferde hielten, theils an den Strand gespültes Meergras und kleines Geäst zusammenlasen, ging Torlak und Athanas mit dem Knaben in die Höhle.

Sie ist nicht groß, schloß Torlak, denn unsere Tritte tönen nicht wieder. – Sie ist nicht hoch, flüsterte Athanas, denn ich habe mich an den Kopf gestoßen! – So standen sie still, das Feuer erwartend. Da vernahm der Erzbischof-Apostat ein leises Schnarchen; und einen Wolf fürchtend, und schon seine glühenden Augen sehend, bekreuzte er sich im Finstern aus alter Gewohnheit. Ein Wolf! sprach er und zog Torlak nach dem Ausgang der Höhle und trat schon selber hinaus. Torlak aber hörte – es stöhnte .... er harrte; .. es redete im Schlaf .... er trat näher, er stieß an Füße. Er fühlte – nach ihnen ... sie waren um die Knöchel gebunden; es war ein Mann. Er tappte an dem Leibe hinauf. Die gebundenen Hände des Liegenden waren zum Gebete gefaltet. Er lag auf Seegras. Ein Krug stand neben ihm. Es redete wieder im Schlafe ... es war des Scheichs Bedreddin Stimme. – Er wollte rufen. Da brüllte ihn plötzlich eine furchtbare Stimme an, und eine schwarze Gestalt fuhr auf Torlak zu und faßte ihn. Er entriß sich ihr. Vor Schreck und vor Freude über seinen wiedergefundenen Freund sprang er hinaus zu dem Erzbischof, und rief: Er ist hier! Wir haben ihn wieder!

Sie Alle aber wußten nicht, welche fürchterliche Zwischenzeit sie fast versäumten über dem Erwarten des Anbrennens des Feuers; denn der rohe Wächter Bedreddin's hatte Befehl, ihm den Kopf abzuhauen, wenn er entdeckt würde, oder wenn man ihn fortschleppen wolle; denn der Kopf des furchtbar und groß und wichtig gewordenen Scheichs war noch seinen hohen Preis werth. Der Wächter aber war halb im Schlafe. Er starrte einen Augenblick hinaus ... er sah die fremden Männer, fuhr zurück und zerhieb jetzt – den Wasserkrug.

Da stürzten sie herein mit dem leuchtenden Feuer. Bedreddin hatte sich aufgesetzt. Der Wächter, ein handfester roher Seemann, fiel sie an, um sie hinauszutreiben, und zwischen den Säbelhieben nach vorn gegen sie, hieb er auch rückwärts nach Bedreddin, der sich auf der Erde jetzt fern von ihm wälzte. Endlich ward der Wüthende gebändigt und mit den Stricken gebunden, die man von des Gefangenen Händen und Füßen gelöst. Damit er aber auch dann Nichts verrathen könne, wenn seine Gesellen kämen, trugen sie ihn an einen entfernten Ort, wohin sie der Knabe führte, und er selber stopfte ihm mit seiner rechten Hand noch unvermuthet ein Tuch in den Mund, damit er nicht Hülfe schrie.

Jetzt umarmten sich die Freunde herzlichfroh. Dann gab Torlak dem Erlösten den Brief zu lesen. Es muß ein Schiff hier wo liegen, sagte Bedreddin, das auf mich und den Emir Mustapha lauert, das uns Beide haben will. Ich bin aber noch da; und so ist Mustapha auch noch nicht fort, und Korax noch hier, mit dem ich zugleich von Räubern überfallen und gebunden ward, damit die Schuld nicht auf ihn käme! Ihn trugen sie fort – also zum Schein! Mich hierher. Meine Speise ist: gebratene frische Seefische; mein Trank ist Wein von der Insel Zea. Es sind also gedungene Seeräuber. Aber wohlan nun zum Emir Mustapha, daß wir ihn retten!

Da führte sie der Knabe einen beschwerlichen wilden Steig nun in Sturm und Regen den Felsen hinauf, auf das Gewölbe der großen Höhle; denn indem sie droben fortschritten, klangen ihre Tritte dumpf und hohl. Jetzt hieß er sie in dichtem Gebüsch warten und deutete ihnen: nicht zu erschrecken. Er selber stieg wieder hinab, ging drunten längs an den Felsen hin, dann um die Ecke, wo der Eingang der Höhle war, und sie hörten bald darauf dreimal an verschiedenen Orten eine Nachteule schreien. Das war also ihr Zeichen. Sie harrten still. Da rasselte es dicht vor ihren Füßen. Ein schwarzer Mund that sich auf. Ein Kopf fuhr daraus empor. Aber er zog sich sogleich zurück, und die eiserne, oben mit Stein gedeckte Thür verschloß sich wieder rasselnd mit dem Riegel. Da kam der Knabe athemlos. Er klopfte auf eine besondere Weise mit den Füßen. Der Mund that sich endlich wieder auf, eine Hand streckte sich hervor und der Knabe gab ihr Torlak's Zeilen in die Finger. Jetzt erschien von drunten Licht auf einer jählingen, engen, in Stein gehauenen Wendeltreppe. Als der erschienene Mann gelesen, winkte er; Torlak stieg mißtrauisch rasch noch vor dem Knaben hinab, darauf Bedreddin, Athanas; und der Knabe zuletzt verriegelte wieder. Sie folgten dem hastigen Führer drunten in der von gewiß dreitausendjährigem Gebrauche braunschwarz verräucherten, eigen duftenden, warmen großen Höhle, zuerst durch die jungen schlafenden Lämmer. Sie stiegen über die Hürden und gingen vorsichtig durch die wiederkäuenden Schaafe; dann durch die Hürde der Stähre; die Hürde der Ziegen; dann durch den Raum der wohl vierzig großen gelben Wolfshunde, immer dem Feuer näher, immer in Hellerem, bis nach dem Eingang, dessen brüchige Decke von vielen hölzernen Säulen gestützt war. Auch gewahrten sie an der Seite droben, wie an die Wand gehangen, eine Art großes Vogelbauer von Latten, gewiß das Harem des Prinzen-Schaafknecht; denn durch die Ritzen derselben erschien sichtbar im Scheine des Lichtes ein rosiges Mädchengesicht. Ueberall hingen den Hirten hier nöthige Waffen umher, und wohl sechs ermunterte Knechte saßen halbaufgerichtet auf ihrem Lager und schielten die nächtlichen Gäste mit finstern Augen an.

Nur zwei, einander sehr ähnliche kraftvolle Männer gingen umher und brachten den Gästen köstliche gelabte Schaafmilch auf hölzernen Tellern, Karoben und Feigen, sogar alexandriner große Datteln und frisches Wasser zum Trinken. Bedreddin hatte den Sultan Bajesid, den Blitz, gesehen, und er entschied sich sogleich, daß der eine, größere Hirt, sein Sohn der Emir Mustapha sei. Während sie aßen und tranken, gab ihm Torlak den Brief vom Fürsten Mirtsche, worüber der Sultanssohn vollkommen gleichgültig blieb. Aber an Etwas verrieth er sich doch – an der Rache. Er ging und raffte mit starken Armen einen im Dunkeln schlafenden Mann auf, trug ihn herbei, stellte ihn derb auf die Füße und band den Erwachenden mit einem Stricke an eine der hölzernen Säulen; dann pfiff er den Wolfshunden, die über ihre vorgespannte Leiter sprangen, ihn umwedelten und auf sein Wort lauerten. –

»Ich bin ja Korax, dein Freund, dein Retter!« rief der Angebundene, seiner Schuld sich bewußt. Er sah verzweifelt umher, sah und erkannte die Männer, rief Bedreddin bei Namen, Torlak und Athanas, und bat sie flehend um Hülfe. Der zweite Mustapha hielt ihm einen Feuerbrand und den Brief vor die Augen. –

Ich bin verrathen! verkauft! verleumdet! Hab' ich dich gefangen, Bedreddin? Und so ist alles Lug; rief er. Scheuche die Hunde nur fort! sie zerreißen mich sonst – bat er leiser. Wer ist Zeuge gegen mich?

Mit dieser Aufforderung hatte er sein Spiel verdorben, denn wie Torlak hätte ihm auch Bedreddin vergeben. Der schlaue Knabe aber bedeutete seinem Gebieter zu harren, sprang fort und brachte die Männer mit dem gebundenen Seeräuber. Der Hirt errieth, und frug diesen: Wer hat dich gedungen? Und scheu zu reden, wies der Seeräuber bloß auf Korax.

Bedreddin bat, ihn nicht mit Hunden zerreißen zu lassen. Darauf ließ ihm der Hirt eine Schlinge um den Hals legen, schwenkte einen zum Wolle-Wiegen an der Säule befindlichen Arm hervor, und machte Anstalt, ihn selber zu hängen, wie manche Sultane ihre eigenen Scharfrichter waren.

Auch vom Galgen bat ihn Torlak los. Dafür wurden die Füße des Korax in ein Loch zwischen zwei Bretter geklemmt, und zwei Knechte schlugen auf seinen Fußsohlen einen Stock nach dem andern entzwei. Korax aber gab keinen Laut von sich. Nur zuletzt gestand er, gleichsam sich selbst, den einzigen Fehler, den er jemals begangen zu haben glaubte, und stöhnte jammernd:

»Nur daß ich dir Konstantinopel überliefern wollte, wenn du Sultan wärst, Emir Mustapha, um Statthalter zu werden, um alle meine Feinde zu Schanden zu machen, das Einzige war von mir schlecht-Griechisch! Das leid' ich geduldig! – Bitte nur für mein Leben, Bedreddin! Ich bin des Kaisers katholischer Apokrisiarius, sein allgemeiner Gesandter! Ich kann dem Emir noch Vieles thun!«

Bedreddin bat, und Korax ward, gebunden wie er war, wieder an seinen Ort in's Dunkle gelegt.

Die beiden Mustapha aber redeten abgesondert heimlich mit einander. Ihr Zufluchtsort hier war nun Mehrern bekannt, verrathen, sie konnten nicht hier bleiben. Sie waren entschlossen, diese Nacht noch zu Mirtsche in die Wallachei zu fliehen und Bedreddin mitzuführen. Ihre Knechte waren alle ihnen auf den Tod ergebene, vornehme Türken, die mit sollten. Ihre ganze Heerde wollten sie dem gebundenen Seeräuber versprechen und vielleicht auch lassen, wenn er sie – anstatt an einen falschen Ort oder in einen Hinterhalt – sicher in das geankerte kleine Schiff führte, wo sie sich der andern, jetzt schlafenden Seeräuber bemächtigen wollten. Nur einige ihrer Knechte sollten, wegen eines indeß möglichen Ueberfalles, indeß hier in der Höhle bleiben.

Sie riefen Torlak zu sich, und er gab willig zu den Andern seine mitgebrachten sechs Männer, um sich des kleinen Schiffes zu bemächtigen. Dem Räuber wurden die Füße losgebunden; statt des augenblicklichen Todes wählte er die Hoffnung auf die Heerde und die Schaar zog still in die Nacht hinaus. Der falsche Prinz Mustapha, Dösme Mustapha, führte sie an. Der wahre Sohn des Sultans Bajesid aber, ein wüthender Bekenner und Eiferer des Propheten Mohammed und ein unversöhnlicher Feind aller Feinde desselben, besonders der Christen, setzte sich indessen in's Einsame zu Bedreddin.

Du bist also der Scheich Bedreddin Simawnaoghli! sprach er zu ihm. Ich sollte dich verehren, dir dein Kleid küssen, als Gesetzlehrer unsers Propheten, als Mitschüler des großen Dschordschani in Aegypten, als ein durch Seid Husein von Achlath in die erhabene Mystik der Ssofi Eingeweihter – aber du bist ein Bekenner der Lehre des Narren Böre! – Antwort!

»Ich habe schon diese Lehre dem Sohne Berkuk's, dem jetzigen Sultan Ferruch von Aegypten, als dessen Erzieher, für künftige Tage gelehrt. Sie ist sein und mein,« antwortete ruhig Bedreddin.

Ihr seid Beide vom Scheitan! du und Böre! Ihr seid verworfen sammt euerm Gesindel, im Divan meines Bruders Mohammed, dem der barmherzige Gott das Leben verkürze! Nun zieht der Großwesir Bajesid Pascha, den zu enthaupten ich mir von dem barmherzigen Gott als einzige Gnade tagtäglich erbitte, gegen euch her mit Hunderttausenden! Seht ihr nicht, daß ihr das Reich zum Feinde habt?

»Nicht das Volk! wie du wissen wirst; antwortete ruhig Bedreddin. Alle Priester, alle Ackerleute, alle Armen, ja alle Reichen nun fallen uns zu! Und ist der Sultan uns Feind – so sei du unser Freund ... und sei Sultan!«

Mustapha lachte höhnisch und sprach: Ich? – Ich kenne deine Macht, deine mächtigen Freunde, den Assabeg, den Träger der Fahne des Propheten; den Beglerbeg Michaloghli, und Jakub, den Sohn Firusbeg von Angora – und Sultan will ich sein! Aber ist Einer Sultan, Herr der Rechtgläubigen, der euer Freund ist? Lieber will ich der letzte Türke sein! Mein Vater, der Blitz, sagte, was ich heut selbst denke: »Von dem Altare der Peterskirche zu Rom soll mein Pferd Hafer fressen,« und nur der eiserne Mann, der Timur, lockte ihn ab. Wer seid ihr, was thut ihr – ihr reißt keine Kirche ein! Ja, ihr ruft aus: die Nazareer oder Jesuaner fürchten Gott! Ihr Frevler! Ihr laßt die Synagogen stehen! ... selber die Moscheen! als wäre das Alles nur Spielzeug der Kinder – ihr fallt von Niemanden ab ... sogar nicht von Muhammed, dem Propheten Gottes!

Und Bedreddin antwortete ruhig: »Du sagst die Wahrheit, o Emir: Wir fallen von keinem Menschen ab – wir fallen allen Menschen zu! Wir ergreifen sie alle in ihrem Kern: im Voraugensehen Gottes. Thun sie wie Er, sagen sie freudig wie Er, »was mein ist, ist dein;» dann erwarten wir geduldig den Verlauf der Wasser der Welt! Dann lassen wir geduldig alle Gebräuche der drei Rotten nach und nach, geschlechterweise absterben, bis zu den drei menschlichen ewigen Festen: der Geburt, der Hochzeit und des Todes.«

Ich darf als künftiger Herr und Beschützer der Gläubigen nicht länger bei dir sitzen, sprach Mustapha, ich darf kein Wort mehr mit dir reden! ... aber wo vertragen sich indessen die drei Rotten so? frag' ich als Schaafknecht.

– »Nun, die drei Rotten, sprach Bedreddin, hier freilich ... keine trauet der andern; jede hält sich für klüger und besser; jede verachtet die andere und beschädigt sie, wo sie weiß und kann. Sie wollen einander nicht verstehen. Und jede übt auch nicht Gerechtigkeit an ihrer eigenen, trotz Beten, Tempeldienen und Almosengeben! Alle wollen haben, keiner will nicht einmal sagen: »O wäre doch nicht Alles mein!« Aber im glücklichen Arabien, in Yemen, wo ich war, da leben die drei Rotten schon so, wie ich meine. Als ich in Yemen war, in Loheiha, Lodeida, vor allem in Sana, o Herr, was hab' ich gesehen! das schönste Land der Erde; die schönsten Menschen; das schönste Weib; den schönsten Mann; der dort noch lebt wie der ursprüngliche unverwandelte Adam Kadmon. Der vollkommen gesunde Mensch ist auch vernünftig, gelassen, in sich zufrieden; weiter will er nicht reich sein; er will nicht Andere stören in Leben und Glauben, denn er weiß, was Glück ist. Da leben in enger Nähe die wandelnden Ruinen der alten Glauben frisch und wie neu beisammen: da lebt der Abendschatten des Sabäers; der Parse, der die Sonne anbetet, und so ist die Sonne auch heilig; da lebt der Baniane, der die Kuh anbetet, und so ist die Erde, die gute Kuh, heilig; da lebt der Hindu in seinen Geheimnissen; da lebt der Jude noch in seinem Traum von Judäa und Jeruschalaim; da lebt der Nazareer im Traum von Nazareth; da lebt der Kiselbaschi noch im Traume des Paradieses, der Klarsehende, der Nichts in der Welt für sein hält, voll inniger Scheu der Kinder, die der Vater in eine Zauberhöhle voll Schätze geführt! Ja, dort sehen sie klar, wem eigentlich selber alle Steine der Tempel gehören – sie borgen sogar ihre Tempel weg an andre Bekenner anderer Götter; selber der Türke borgt seine Moschee weg, damit der Baniane darin die göttliche Kuh verehre, und eine Procession von Kühen mit goldenen Hörnern, mit Priestern vermischt, den Tempel durchwandle, während die heiligen Priester die Thüren und Wände, und selber den Namen Allah mit Wedeln voll heiligem Weihwasser der Kuh besprengen. Es war zum Weinen rührend. Nichts menschenwürdiger als Menschenduldung. –«

Ich bin bis zur Wuth gerührt! zürnte der Prinz-Schaafknecht, knirschte mit den Zähnen und sprach dann: Noch Eins! Ihr seid die schlausten Füchse auf Erden! Wenn du Allen giebst, erkennst du da einen Feind? einen Ungläubigen? ... Nein; und mit keinem Ungläubigen: keinen, keinen Propheten! So sind sie denn Alle todt! –

»Ja! aber wir bedürfen noch tausend Propheten! Gott hat den Menschen noch nicht fertig, nur seine Gestalt erst.« –

Und wenn jeder Reiche mittheilt, dann ist, wie kein Armer, kein Reicher mehr! Und was ist ein Land ohne reiche Leute! Sie sind unsre Hamster, nach denen wir graben! Ihre Häuser sind die Bienenkörbe, die wir ausschwefeln, und verdientermaßen; denn wer erwirbt Reichthum? das wissen wir Herren recht wohl! Und käme bei Euch ja ein Reicher auf, der würde verachtet und gesteinigt! Und nun das Allerärgste: Wer nur Gott ehren will, wie wird der einen Menschen ehren als Herrn? O ihr Schlangen! Ihr bekümmert euch um keinen Herrn! Und bin ich nicht Herr über Leben und Tod, Herr über alle Habe und Gut im Leben und im Tode des Volkes, sprich selber: bin ich der Herr? bin ich das Alles, was ein Herr sein kann! Und Herr soll ich doch sein! Herr will ich sein! Da will ich doch lieber Schaafknecht bleiben mein Lebenlang, und Schaafe hüten statt Menschen, hinter denen ich als Hirt herzotteln soll, wie sie immer sind und werden, wo sie stehen bleiben, oder wohin sie weiter wollen! Was wäre das für eine Zeit, wo ich nicht Länder erobern, Sklaven und Sklavinnen machen, Tempel in Moscheen verwandeln und strafen, köpfen, spießen, kreuzigen kann. Eure Sache streitet mit den gewöhnlichen Menschen, die es sich gar nicht besser wünschen als in ihrem Schlamme so fortzuwühlen. Und kommt Einem ein Stolz ein, so wünscht er seine Schweine zu Pferde zu hüten. Siehe doch zu, wie sie sind! O wie lob' ich da selbst meinen Feind, den Großwesir Bajesid Pascha, um sein Wort: »Nur so gewöhnlich lasterhafte Menschen lassen sich gut beherrschen; je mehr Schwachheiten, je mehr Eitelkeit und Unverstand, desto besser. Wem man mit vorgespiegelten Ehrenpelzen, goldenen Fischen, Roßschweifen, schönen Weibern und Pferden nicht beikommen kann, das ist ein gefährlicher Mensch, denn er ist klug; der hat gelernt sich selbst zu beherrschen.« ...

»Erzürne dich nicht, o Emir! dein Gesicht sei weiß! sprach Bedreddin mit dem Gefühl seines Werthes. Du hast nur als Sultan der Schaafe gelernt. So bleibe das!«

Mustapha mäßigte sich mit Gewalt, denn der ihm günstige Volksaufstand um Böre konnte seinem Bruder das Leben kosten; Bedreddin war ein vollkommener Heeresrichter, der ein Heer aus der Erde stampfte und gestaltete, er bedurfte ihn ... und er konnte ihn nachher täuschen. Darum sagte er: Komme mit! auf der Seereise ist es heimlich, da bekehrst du mich! – und das ganze Land! denn du weißt: Ein großer Narr macht viele kleine.

Der Scheich getraute sich ihn zu bekehren, wenn er ihn nur hörte; doch blieb er Böre getreu, auch als er, gleichsam als der allerverderblichste Verräther, jetzt gegen Mustapha laut behauptete: »Böre werde den Berg auch gegen das ganze türkische Heer vertheidigen ... wenn es nicht in der Nacht stürme, wo es wie unsichtbar würde.«

Und Korax, der dies hörte, merkte sich zu möglichem Verrath an den Großwesir das Wort: »In der Nacht müßt ihr stürmen.«

Mustapha aber beschloß, Bedreddin zu rauben; rief den Knaben mit seinem Namen Weitohu und flüsterte ihm einen Auftrag ins Ohr. Es war Gift vorräthig, auch Schlafmittel. Und der Knabe brachte für die drei Gäste Becher mit Wein, von welchem Mustapha, als Anfang seiner Bekehrung, auch trinken wollte. Mustapha aber roch erst in seinen Becher und schlug den Knaben, der ihm den Becher auch mit Schlaf gewürzt hatte, so schwer an das wunde Ohr, daß es blutete, Weitohu sich den zur Seite gebeugten Kopf hielt und schweigend zur Erde sah. Darüber vergoß Mustapha mit Willen seinen Wein, führte den Knaben hinweg und stieg auf der Leiter in sein Harem.

Bedreddin sah dem Undankbaren an dem treuen Knaben seufzend nach; aber er, als Priester, widerstand nicht der Bekehrungssucht der Priester, vor Allen einen Fürsten und Herrn zu bekehren, einen Hirten, der seine ganze Heerde nachzieht. Die Augen fielen ihm zu. Torlak und Athanas schnarchten schon, von dem schlafmachenden Weine bezwungen, und lagen zuletzt wie todt.

Nur Korax wachte vor Schmerzen wimmernd. Und so sah er nach einiger Zeit die Schäferknechte mit fröhlicher Botschaft des genommenen Schiffchens kommen; er sah sie die von Mustapha ihnen aufgeladenen, verborgen gewesenen Schätze auf und davon tragen, und nach andern Dingen wiederkommen; er sah endlich Mustapha selbst zwei schlanke verschleierte Mädchen oder Weiber, jede an einer Hand fortführen; er hörte, wie die Hunde ihm nachwinselten und nachheulten, die er noch mit der Faust bedrohte, so daß sie einen Augenblick schwiegen und dann nur desto lauter heulten. Endlich sah er, wie noch Einer zurückkam und vielleicht aus Neid über den neuen reichen Herrn der Heerde und der Höhle, oder auf des gewesenen Schaafknechts Befehl, die Brände vom Feuer riß und sie an die hölzernen Stützen der den Einsturz drohenden mächtigen Felsendecke des Vorhofs der Höhle legte, frisches Holz zulegte und das Feuer recht schürte, und hörte ihn eilend und lachend davongehn. –

Nun blieb drin Alles still. Nur die Hunde heulten fort. Nur der Sturm tobte draußen fort. Das Feuer loderte fort, und verzehrte am Boden den Fuß der Stützen, und leckte an den dürrtrockenen Schaften empor. Korax schrie, so laut er vermochte. Kein Torlak hörte ihn, kein Erzbischof war zu wecken. Er selbst war gebunden; er wälzte sich zu ihnen, er biß an der Schulter in ihre Kleider und rüttelte sie wie ein Hund; keiner schlug ein Auge auf! Er biß in ihre Bärte und zausete sie mit den Zähnen – sie schnarchten fort. Jetzt brüllte er ihnen in die Ohren, sie hörten nicht; er zwickte sie mit den Nägeln der gebundenen Hände, sie gähnten nicht einmal. Er versuchte aufzustehen, aber er war in der That wie zerschlagen; er fiel, und so glücklich, daß er das Feuer der Einen brennenden Säule mit bloßen Händen zerstören konnte, aber was half das? Die Decke krachte schon nach einiger Zeit. Er wiederholte alle seine Versuche an den Schläfern; er wollte sich aus der Höhle wälzen, aber ein schmaler Damm von Feuer eines querhingeworfenen Stammes lag vor. Endlich ergab er sich, daß er von der einstürzenden Felsendecke mit den drei Andern erschlagen würde und seine Augen stierten in die Gefahr empor – da erschien der neue Herr der Höhle; aber er lief wie rasend, die Heerde hinauszutreiben – und die Hunde fielen ihn an und hielten ihn fest.

Endlich nach langer entsetzlicher Zeit erschien der Knabe. Er sah. Er zog den schlafenden Torlak an der Schulter hinaus vor die Höhle, dann den Erzbischof, ja er ließ den hülfeschreienden Korax nicht liegen. Dann erlöste er seinen neuen Herrn und löschte mit ihm das Feuer durch Kübel voll Milch.

Torlak und Athanas aber verschliefen den Morgen, die Nacht und noch zwei Tage und Nächte, während dem Knaben seelenangst war. Endlich erwachten sie selbst. Das erste Wort Torlak's war: »Bedreddin!« Aber der Knabe wies ihm auf die hohe See hinaus. Torlak weinte. Der Erzbischof weinte. Sie erriethen die That des falschen Mustapha. Sie erfuhren Alles. Sie weinten um Böre. Denn ohne Bedreddin, von der ganzen Macht der Türken überzogen, ging seine Sache, seine Lehre, er selbst vielleicht schmählich unter. Sie verließen den Korax, sie dankten dem Knaben und dem Herrn der Höhle für ihr Leben, und jeder mit drei leeren Pferden zur Seite, ritten sie unaufhaltsam, hungrig, müde-gähnend, zitternd dem Berge Stylarios zu.

Sie kamen zu spät. Der Berg war zwei Tage lang gestürmt worden von Alibeg. Aber sie sahen jetzt bei Sonnenuntergang Flüchtlinge .... er war nicht erstürmt; sie athmeten auf und ritten langsam dem in Purpur und Golde der Wolken leuchtenden schützenden Riesen entgegen. Endlich sahen sie auch, wie er wimmelte von Menschen; sie hörten dann auch das Summen der vielen tausend Stimmen; auch sie wurden erkannt, und durch jauchzende Reihen von Männern und Weibern und Kindern ziehend, gelangten sie weinend vor Freude zum Vater Böre, der blaß vor tiefem Schmerz über die ausgestandenen und wie nachblutenden Leiden ihnen stumm die Hand gab. Denn zwanzig, dreißig, tausend Todte bedeckten den Berg.

Die großen Schaaren herbeigezogener Vertheidiger hatten vergönnt, das mittlere Felsenbollwerk des Berges zur Schlachtbank zu wählen, ja dazu genöthigt; denn der Gipfel hatte die Menge nicht gefaßt. Alibeg war nur mit wenigen Reitern nach dem großen Magnesia entflohen, und Dede Sultan war Herr auf weit und breit über den größten Theil von Kleinasien. Denn da war kein Feind als in den Vestungen, aber lauter Freunde im Lande, lauter schon im Herzen Ergebene oder nun durch den Sieg Besiegte in ihrer Seele. Das nun auch auf der Erde gewaltige Ansehen des Vater Böre hatte das Volk eingenommen, es hatte seine Stärke willig vergessen und wie es seine Gedanken und Gefühle gefangen gegeben, so gab es auch seinen Leib und seine Hände auf, anders als sie im Geiste des Wortes »was mein ist, ist dein,« zu regen.

Nun, als die vielen Todten mühsam und redlich begraben, die Verwundeten liebreich besorgt waren, und ehe die Schaaren wieder in die ruhige Heimat zogen, versuchte der Maghe Mogholbai, erst im Stillen unter den Männern und Jünglingen, dann an allen Orten lauter und laut, schon von einer Schaar Anhänger unterstützt und dreist gemacht, seine Vervollkommnung der Lehre Böre's durch seine Erklärung dazu: »Auch mein Weib ist dein.« – »Eines jeden Weib ist eines Jeden Weib.«

Endlich als der Maghe eines Tages unter ihnen stand, kam eine Schaar erhitzter, erzürnter, verzweifelter Weiber ihm auf den Hals, eine Schaar von Knaben und Mädchen zum Hülfegeschrei mitschleppend.

Nun gilt es! sprach er getrost zu sich. Sie setzten ihn zu Rede. Er war aber von seiner Verwundung ins Ohr taub geworden, und antwortete den Weibern verkehrt und sie, noch mehr erbosend. Um sie zu beruhigen, wollte er ihnen immer Recht geben, und nickte bloß mit dem bloßen Kopfe zu allen ihren Fragen und Sagen.

»Also, schrie Eine, du willst, du, der kein Weib hat, daß ich jedem Narren gehören soll, dem ich gefalle?«

– Er nickte. –

»Du willst, schrie eine andere, schön gewesene Frau aus Smyrna, daß alle Liebe aufhören soll in der Jugend, von der wir in den Dichtern lesen! Medschnun und Leila, und aller der süße Gram, die Begeisterung, die ein schönes Mädchen einem Jüngling einflößt, daß er sie nur allein begehrt, oder lieber sterben will und wirklich stirbt ohne sie – die schöne Sehnsucht der Jugend ist Alles Narrheit gewesen, Narrheit! Narrheit ist das Glück gewesen, wenn Zwei sich gefunden, und zeitlebens sich Treue gehalten, weil sie mit einander zufrieden gewesen? Narrheit, also Narrheit – –

– Er nickte wieder. –

Schon Zwei hatten sich vor Zorn stumm weggewendet, als nun eine Dritte ihn frug: »Also du willst die Kinder abschaffen für die Väter? Sie sollen keines kennen, also keins haben? Den Vätern willst du die Liebe zu ihren, zu ihren, ihren Kindern abschaffen, wie eine alte Mütze; hast du denn Kinder? hast du eins geliebt?«

– Er nickte wieder. –

»Du Narr, rief sie; und kein Kind soll mehr sagen können: lieber Vater! kein Kind soll seinen Vater mehr lieben – also Niemand, und die Heerde Männer soll sein wie eine Heerde Maulesel auf dem Felde – das willst du wohl! He! rede! Nicht wahr?«

– Ja! Ja! sprach er und nickte wieder. –

Sie ward wie rasend, rief die Kinder herzu und schrie: »Der will Euch Euern Vater ermorden, Eure Brüder, Eure Schwestern – – Sie sollen blind werden über Euch! Ihr sollt sie nicht mehr sehen! Auf, steinigt den Hund, den Maghen! Willst du anders reden, oder sollen wir dich steinigen? Sollen wir?«

Und der arme taube geängstete Mann nickte wieder mit dem kahlen Kopfe, so daß den Männern umher bange ward, aber sie fürchteten sich vor ihren Weibern.

»Nun frage ich ihn die Hauptsache!« schrie eine angesehene, aber ganz buckelige Frau, die auch nur Ein Auge hatte: »He, du alter Junggeselle, du verrückter langer Affe, wenn nun die paar Hübschen oder Schönen von uns Weibern gleich weg sind wie warmer Chalwa – [ * ]Eine Leckerspeise der Türken, aus Sesam und Honig gebacken.: wer nimmt denn die Häßlichen? He, Wer, etwa du? Und alle in Ewigkeit! So ein Narr ist einzig! Und wer behält und ernährt denn die alten Weiber? Die sollen wohl betteln gehn! He!

Sie hatte das, ihm immer näher tretend, endlich ganz nahe in sein rechtes Ohr geschrien, darauf er so deutliche Worte noch hörte, und er rief ihr jetzt wieder ganz nah ins Gesicht: Freilich, freilich, ein Weib mit einem solchen Kameelrücken, wie du hast, dem weiß ich keinen Rath, als, als – – die will Niemand – – das muß ich noch überlegen – –

Damit hatte er die Eine völlig rasend gemacht, sie warf einen tüchtigen Stein auf ihn, daß er taumelte. Die andern an ihrer Ehre, ihrer Liebe und ihrem Fortkommen in der Welt auf das Blut gekränkten Weiber reizten die Kinder, ihre Steine auf ihn zu werfen, und es hagelte Steine auf ihn, so daß er hinsank und Hülfe schrie.

Die Männer sprangen darein. Aber aus Zorn gegen diese nun, als lachende lüsterne Beschützer ihres Todfeinds, fing die empörte Menge Weiber im Kreise an, Steine zu werfen, bis die Männer flüchteten; bis der Arme todt war, zehnmal für einmal todt; und bis sie ein großes Todtenmal von Steinen zu seinem Gedächtniß ihm aus Steinen gehäuft. Dann gingen sie stumm mit den Kindern hinweg und schämten sich ihrer That. Denn Dede Sultan kam, und Torlak mit Torlotas und Athanas.

Die Männer erzählten ihm den Hergang beschämt; sie baten für ihre Weiber und meinten: Wer Recht hat, kann ja sanft sein und bleiben! Aber es ist ja doch einmal geschehen!

Böre aber frug die Männer düster: Wer von euch allen will sein Kind vertauschen gegen ein anderes, oder es weggeben gegen zehn Kameele? Wollt ihr nicht? Und läßt das euer Vaterherz nicht zu, so bewährt doch auch euer Mannesherz, und bewahret und ehrt euer Weib, das ihr liebt. Wer aber noch ein andres Weib begehrt, dem hat ja kein Weib gefallen, der hat ja keins geliebt, sonst könnt er ein andres nicht mehr begehren; der ist ein Gleichgültiger oder ein Lüstling. Was mein ist, ist dein; was aber dein werden soll, muß mein gewesen sein. Das Weib aber ist Gottes und der Mann ist Gottes, des Geistes. Und jeder Geist ist sein eigen. Die Liebe ist keine Aufopferung, sondern erst die rechte Erleuchtung unseres Geistes. Nicht das Weib ist dem Mann, nicht der Mann ist dem Weibe das Ziel, sondern Beider Ziel ist das Leben des Menschen. Aber nur Ein Mann und Ein Weib können ein Mensch werden und werden ein Mensch, wie aus Stahl und Stein das Feuer, wie aus Erde und Sonne die Rose. –

Laßt das ausrufen! hier und im Lande! befahl Torlak an die Klügsten; auch unsere Derwische sollen das predigen! Böre aber entließ das Volk vom Berge, jeden in seine Heimath.

Darauf ward eine große, wundersam rasch blühende Zeit über Kleinasien weit hin; und wenn nichts geschah, als daß die von Timur's grausamem Schwert den Menschen geschlagenen, nachblutenden Wunden heilten, so geschah durch Dede Sultan das wie Bestellte, das von den Vorsehungsgläubigen Anerkenntniß und Bewunderung verdient. Denn das Elend hatte Böre zum Denken und Reden getrieben. Die Derwische, die Mönche und Priester und die Rabbinen richteten aus den drei verachteten und sich verachtenden Rotten einen wünschenswerthen Zustand, ein heiteres Reich an.

Da kam der schöne Herbst; da kam Murad, der künftige Sieger bei Warna und auf dem Amselfeld, noch als Knabe unter Leitung des Großwesirs Bajesid Pascha, mit dem ganzen europäischen und asiatischen Heere für ihren Propheten Mohammed begeisterter Türken. Der erfahrene Großwesir, der die Schlacht bei Angora gegen Timur, ohne Bajesid des Blitzes Geiz und Trotz gewonnen hätte, pflanzte Mohammed's Fahne auf der schönen großen, grünen Ebene bei Smyrna in die Blumen; dann brach er auf, Alles ohne Schonung mit Feuer und Schwert verwüstend, den Berg Stylarios zu belagern und zu erstürmen. Und am ersten Abend fuhr eine große Sternschnuppe, feurige Strahlen versendend, über den Berg und zerging, und in den Glauben des Heeres sendete Gott einen Pfeil gegen den Ungläubigen; Böre war also gerichtet und unermeßliches Jauchzen erscholl.

»Habt ihr das Zeichen gesehen? rief der 90jährige Derwisch Postinpusch, ein so magerer, dürrer Greis wie Johannes, der Vorläufer – Böreklüdsche ist erst 37 Jahr alt, er hatte also noch nicht die 40 Jahr, die ein wahrer Prophet ja haben muß! Darum ist er Euer, und wär' er wie Dsengischan wunderbar von einer Jungfrau geboren; ja was erst ein rechtes Wunder wäre, hätten ihn sogar zwei Jungfrauen geboren! Ich werde ihn euch bekehren und hierher vor eure Augen führen; hier sollt ihr sehn, daß er ein Mensch ist wie ihr, und Blut hat wie ihr. Ihr sollt sein Blut sehen.« –

Achtundzwanzig Tage nach dieser schönen Himmelserscheinung kam ein türkischer Massaghli, ein Erzähler im Volke, in seiner besondern Kleidung todtenmüde an das Thor des Schlosses Hypsile, worin Maaraton lebte mit Böre's Knaben. Er wußte, daß Sismanaga, gewöhnlich nur der Chakan genannt, in den Sturm gezogen und nicht hier war. Ehe ihm aufgethan ward, hatte er sich an die Pfoste gelehnt und war halb eingeschlafen. Sichtbar war er schwer an der Stirne verwundet, so tief er auch den Turban gedrückt, seine Sinne schienen nicht nur zerstreut, sondern verworren. Erst dadurch, daß er dem Hüter sagte, er sei Eliah, der Bruder der Maaraton, ward er in ihr Zimmer geführt, denn sie hatte seine Stimme erkannt.

Als er sie wiedersah, blieb er starr vor ihr stehen und besann sich lange Zeit. Sie bestaunte ihn, daß er einen Turban trage.

»Ja, sprach er, ich bin ein Mährchenerzähler geworden, liebe Schwester; aber mein Turban ist mir nicht auf den Kopf festgenagelt, wie dein Sisman Chakan vielen der Unsern gethan hat.«

O was macht Er! frug sie mit niedergeschlagenen Augen schwerseufzend, doch fast zärtlich und dringend.

»– Er? – – Er? – – Er? Wen meinst du?«

Nun Ihn! Ihn, den Einen!

»– Ach, da waren Viele!«

Ich meine .... Böre.

»– Böre? Böre? frug er, sie groß ansehend, Ja, der war auch da.«

Mein Gott, wie bist du?

»– Ja, ja, meine Schwester! Ich bin, wie Gott will; wie Gott will, sind wir Alle, auch du und Böre.«

O was ist geschehen! rief sie händeringend. Aber sie meinte auch, ihr Bruder bedürfe der Stärkung; und nun holte sie ihm Wein und ihr köstlichstes Eingemachtes.

Er setzte sich auf ihren Divan, fast fallend, und sie fütterte ihn wie ein Kind und tränkte ihn. Darauf durchglühte ihn Feuer. Es drängte ihn zu erzählen, und auch zu schlafen. Er besann sich wieder, und was er bedachte, quoll wie Selbstgespräch von seinen Lippen. Ihr ahnete das Schrecklichste, und sich davor fürchtend, kniete sie vor ihn und legte ihr schönes, seit so lange kummerblasses Gesicht zwischen seine Knie in die Gewande.

»– O, es waren viel Hochzeiten auf dem Berge, begann er wieder; auch Beschneidungen; alles in seiner gewöhnlichen nichtsnutzigen Weise; auch viel Begräbnisse, das kann ich sagen – Böre hat seine liebe Tochter Aischeh an einen Goldschmied in Ephesus noch zuvor verheirathet.«

.... Noch zuvor? flüsterte sie.

»– Ja, eh der Großwesir kam, der beste Mann von der Welt, der betteln gegangen ist für seines geschlagenen Sultans Kind! Freilich er wollte den alten todten Propheten Mohammed retten, und wir den neuen lebendigen. Er mochte meinen, daß ohne Mohammed keine Türken mehr sind, und daß Mohammed so groß und breit und lang geworden ist wie das türkische Reich! Aber für uns zu fechten kamen Tausende aus dem Lande, ja weit und breit aus den Inseln Samos und Chios und Lesbos. Da rieth Einer dem Böre, er sollte die Pest in das Lager der Türken bringen, und trug eine Beule in der Ziegenblase schon mit sich. Böre aber vergrub sie selbst mit bloßen Händen zu Aller Wunder. Dafür beschenkten uns die Türken heimlich mit ungesunden Rindern und Schaafen auf dem eng gewordenen Berge. Ja, Alibeg hatte, vor der vorletzten Schlacht ohne Brot, am besten freilich den Vater Böre um Mehl gebeten. Alle riethen ihm ab, den Feinden zu geben, aber ich führte funfzig Maulthiere mit voll gedrückten Säcken hinab ins Lager. Dafür gingen 6000 Türken die Nacht zu uns über. Dafür gewannen wir damals die Schlacht. Dafür ließ der Großwesir 3000 Verräther zu uns jetzt übergehen, die bis zum letzten Augenblick auch wirklich ihre eigenen Leute mit Steinen zerschmetterten, bis auf das letzte Zeichen, wo Böre's Haus in Flammen aufging. Aber ich sage dir, grüne Bäume brennen schlecht, es war reine rechte Luft in dem Feuer! Da war die ganze Nacht viel zu sehen! Der Berg war grell erleuchtet, Alles ward verwüstet bis an das unterste Bollwerk. Ich schwöre, Torlak hat drunten von der Hitze geschwitzt. Ich langte immer mit der Hand hinunter, um ihm den Schweiß abzutrocknen, aber ich konnte wahrhaftig nicht so weit langen! Nimm es mir ja nicht übel, liebe Schwester! Bist du es denn? Sieh mich doch einmal an! Erzähle du nun weiter, es wissen es ja nun alle Leute! Aber ich bin ja der Mährchenerzähler! Also! doch das muß ich sagen, ich hätte gar nicht geglaubt, daß funfzig tausend Menschen so lange hungern konnen wie Einer! Und einer dem andern zum Beispiel. Die Gedärme lernten reden oder doch murren im Leibe, aber ich selber, und Keiner hat gemurrt. Aber freilich die Kinder schrien ohne alle Schande! Dann hätte ich nicht geglaubt, daß die Weiber gar nicht müde würden, bloßes liebes Wasser zu kochen! und Pechsuppen, die ganze Nacht und viele Nächte! Und den armen Leuten auf der Leiter brannten die Köpfe davon, daß sie umherrannten wie Irrlichter, nur daß die Irrlichter nicht so schreien! Dann hätte ich nicht geglaubt, daß dieselben Leute der Unsern nach vierzehn Tagen auf dem mitteln Felsenbollwerke Platz hätten, die alle drunten kaum Platz hatten! Oder daß ein Mensch den andern kann unbegraben lassen, wenn er nicht Zeit hat. Noch unglaublicher war die Falschheit des Berges, der sich des Nachts heimlich ein Loch auf seinem Gipfel recht mitten im Leibe graben ließ; wenn ich auch glaubte, daß der Grieche Korax dem Großwesir rathen konnte »er möchte nur immer des Nachts stürmen,« wahrscheinlich weil die Steine des Nachts nicht sehen. Bedreddin soll das gesagt haben, aber das glaube ich nicht, denn vom Balkan bis zum Stylarios kann Niemand rufen, und der Rath allein ward unser Verderben. Wie aber Leute alle ihre Schätze in Höhlen verbergen können, die in drei Tagen alle werden todt sein, das muß man mit angesehen haben, um es nicht für ein Geisterstück zu halten! Und daß die schönsten Jungfrauen und Frauen sich selber ihr schönes Gesicht in Dornensträuchern zerkratzen können, ja mit ihren Nägeln entstellen, weil sie über ihre Schönheit und Jugend weinen, das darf ich vollends erst Keinem erzählen! Und wie sie zittern vor der Gefangenschaft, wie sie Brüder und Kinder an das Herz drücken können, wie sie blaß aussehen können; das kann nur einer wissen, der noch lebt! Und wie viele in Eine Höhle gehen! mehr wie Schaafe, und wie wenig Speise sie mitnehmen, bis das Gewitter vorüber ist über den Berg, das ist grade zum Lachen!«

Maaraton zitterte immer heftiger, sie hörte nur noch wie im Traum, oder wie eine lebendig Begrabene, und wagte keinen Laut, kaum einen Athemzug.

»– Nun, Schwester! Maaraton! Du lachst ja nicht. Nun warte, ich will dich doch zum Lachen bringen! Denn solche lange, lange Gesichter, den Mund weit offen, stelle dir vor, die die Leute auf dem unüberwindlichen Gipfel des Berges machten, als die Dreitausend Teufel auf einmal in die Schaar der kleinen unschuldigen Kinder mit ihren Säbeln fielen und sie in Stücken hieben, damit die Mütter herbeiliefen, und als sie auch die in Stücken hieben, damit die Männer herbeiliefen von den bestürmten Zinnen hinweg; und das alles bei gräßlichem Fackelschein, so etwas – – ja was wollte ich doch sagen, nein, weinen! nein doch, lachen! ja lachen!«

Und nun lachte er hellelaut, und Maaraton schluchzete vor Weinen.

»– Das war aber noch nicht so lächerlich, fuhr er fort, als da deines Sisman Kopf aus der Erde fuhr! Und dann er selber ganz, und eine ganze Rotte ganz nahe bei Böre, dessen Schwester der Sisman gefangen nahm, die ihm Turlotas in den Armen erstach, daß er sich wunderte; und wie Böre, unser Dede Sultan, hinzusprang und lebendig gefangen ward von deinem Sisman, zur Rache für den ermordeten Vater durch seinen Sohn – – ich schwöre es dir, da versank der Berg in die Erde! Ich weiß nicht wie tief – ist das nicht zum Lachen? Aber die Wolken mußten mit versunken sein; denn der Donner rollte darin furchtbar und ich erstickte fast. Da schlug mir eine Keule vor die Stirn. Da erstickte ich ganz. Es war so Alles aus. Denn wenn alle Männer, Weiber und Kinder und Böre's ganze junge Mütterschule vor Grimm in Stücken gehauen wird, so daß die Morgensonne keinen Menschen mehr stehen, alle nur liegen sieht, und mich selber todt dort unter den Todten, da ist wohl alles aus! Aber nein, ich kann nicht lügen – morgen kreuzigen sie ja in Ephesus erst den Vater Böre. Der lebt also noch! Ja, mir ist so, als wenn ich auch aufgestanden wäre, als alles hinab war vom Berge. Ich habe mich auch bei dem Raben bedankt, der von dem unzähligen Schwarme der Adler und Geier und Raben allein grade mir die Augen aushacken wollte, aber erst an der Brust anfing. Das macht munter, liebe Schwester! Und wenn man dann des Nachts im Scheine des vollen Mondes auf dem öden, stillen, heiligen Berge steht, über sechs mal zehntausend Todten und an seine einzige lebende Schwester Maaraton denkt, da muß man zu ihr! Und nun bin ich da!« –

Lebendig gefangen! sprach Maaraton jetzt wieder, die sinnlos so lange gelegen wie todt, und von zuckenden Schmerzen aufgeschreckt.

»– Ja, und morgen gekreuziget;« setzte Eliah hinzu.

Da raffte sie sich auf voll Begeisterung. Schlafe, mein Bruder! Ich gewinne den Wächter! Er muß seinen Sohn noch sehen! Mit dem Morgensterne nach Ephesus!

Sie bedachte. Sie ging. Sie beschickte Alles, und glücklich.

Nach Mitternacht kam sie wieder; Eliah war gestärkt; sie fühlte himmlische Kraft; sie führte Böre's Knaben; der Wächter entfloh mit ihnen, und mit der Morgenröthe sahen sie Ephesus.

»Gestern ist er gemartert worden, sprechen Weiber unter dem Thor, und verspottet, wie ein Mensch nur verspottet werden kann. Aber er hat doch gesagt: »Ich sehe vor Augen, Gott ist der Geber aller Dinge, was sein ist, ist unser, was mein ist, ist dein. Wer das nicht sagt und thut, der kennt Gott nicht. Nie wird eine Lehre bestehen ohne dies Wort. Leugnet ihr Gott nicht, so verleugn' ich mein Wort nicht.« – Dabei ist er geblieben. Jetzt ist er schon an das Kreuz geschlagen. Das Kameel kommt gleich hier zum Thore, darauf sein Kreuz gebunden ist. Sie führen ihn zur Schau durch alle Gassen und Winkel der Stadt herum. Das wird lange dauern! – Ich kann den Mann nicht leiden sehen, ich gehe in meinen Weinberg Trauben lesen.« – – –

Und ich, sprach die Andere, gehe Thymianbüsche mit dem Haken aus den Felsen loswurzeln, damit sie bis morgen zum Kochen trocken sind. Guten Morgen! –

»Noch Eins! seinem Bruder Salim haben sie schon den Kopf abgeschlagen. Die Derwische aber haben sich vor Böre's Augen freudig in ihre Schwerter gestürzt und haben gerufen: »O Vater, eile!« so sagte mein Mann.«

So schieden Jene.

Die Geschwister Eliah, Maaraton und der Knabe blieben wie versteinert im Thore stehen. Da kam auf prächtigem Rosse der Knabe Murad, der Sohn des Sultans, geritten und hielt; und bald kamen auch Führer mit dem Kameel, das den gekreuzigten Böre trug. Murad ritt nahe zu ihm hin, mit der Bewunderung der Jugend.

»– Sprich: Mohammed ist Gottes Prophet!« sagte er fast bittend zu dem todtblassen, aber getrosten Böre am Kreuz, »und du sollst mein Lehrer, mein Chodscha sein!«

Und mit leise bebender, doch getroster Stimme antwortete ihm Böre: Mein Kind, verleugnest du auch deinen Vater? .... Nicht? So laß mich Gott bekennen, wie er wahrlich ist, wie du wahrlich auch sein solltest. Doch sei redlich, halte Wort auch den Feinden! Du wirst müde werden zu herrschen, wie über solche Menschen nur zu herrschen ist. Gedenke mein. –«

Da wandte sich Murad, Thränen im Auge.

Böre's Knabe aber schrie laut: Vater! o mein Vater! Niemand aber hörte es in dem Getöse als nur der Vater; und er blickte, so lange er konnte, mit freundlichem Antlitz in die bangen großgeöffneten Augen seines Kindes.

Sie folgten ihm nach, bis an eines Goldschmieds Laden, worin sie ein Weib für todt hineintrugen. Der Knabe erkannte seine Schwester Aischeh, und sie gingen in das Haus.

Dort blieben sie bis an den Abend. Eliah war ausgegangen, um Salim's Kopf zu kaufen, und brachte den Verhüllten. Auch Böre's Mutter war aus ihrer Höhle vom Berge gekommen. Und in schmerzlicher Stille erwarteten sie bei einander den Untergang der Sonne, wo die Menschen hinweg waren von seinem Leichnam auf der Stätte, wo die Gefangenen gerichtet worden. Vielleicht konnten sie ihn erkaufen und begraben. Die drei Weiber gingen zum Kreuze, und furchtsam und zagend sprach Eliah: O ihr Weiber, ihr habt den größten Muth im Leben und im Tode; der Mann weicht feig, wo seine Kraft und Hülfe aufhört; er geht selber von seinem wimmernden Kinde, von der gestorbenen Frau hinweg; und wo es der Engel bedarf, da erscheint noch ihr Frauen mit eurer Sorge, Treue und Liebe, gewiß aber mit euern Klagen und Thränen! Jetzt möchte ich ein Engel, ein Weib sein!

Doch schlich er nach, wie besinnungslos, mit Salim's Kopf im Sacke; und Maaraton's Wächter folgte wiederum ihm. Der Knabe war eingeschlafen, und Niemand wollte ihn wecken.

Sie traten zitternd nahe. Sie sahen den Gekreuzigten. Ein großer, reiner, leuchtender Regenbogen wölbte sich über ihn – er lebte noch. Die Leichname seiner Treuen lagen um ihn zum Fraß für die Hunde. Zwei Hüter desselben schliefen. Den Dritten, den Führer der Andern erkannte Eliah als seines Nachbars Kind aus Philadelphia, und sie erkannten und grüßten einander mit großer Freude.

Böre's Mutter, Tochter und Maaraton, die ihr Gesicht entschleiert hatten, knieten vor Wehmuth zu ihm hin, dann sahen sie zu ihm auf.

Und er sagte mit weicher Stimme zu ihnen: »Lebt, und seid getrost! Ich aber sage euch, ihr Lieben, ich werde nicht auferstehen; sie treten das Saamenkorn todt. Doch die Auferstehung ist nur das Leben für die Erde. Viele, die auferstanden sind, vergehen wieder nach und nach, und verschwinden aus der Welt, wie dort der Regenbogen still vergeht. Wo Gott nicht selbst erscheinen will, da gräbt kein Mensch ihn aus den Herzen; und wo er erscheint, da erscheint er in seiner Pracht und Herrlichkeit. Und Gott wird auferstehn! und alle Propheten Gottes werden verschwinden, denn sie sagten nur von Ihm. Und mit Gott erscheinen alle göttlichen Geister wieder!.... Meine Mutter, habe Dank, daß du mich geboren hast!.... Meine Schwester, daß du mich redlich beweinst, und du, o Maaraton, o Maaraton, daß du mich geliebt hast.« –

Er schrie laut. Dann stöhnte er: »Gott erscheint – ich muß von hinnen.« –

Da verwandelte sich sein Gesicht. Er schloß die Augen, er schloß den Mund; seine Nase spitzte sich, seine ganze Gestalt streckte sich aus, daß das Kreuz leise knisterte. – Sein Antlitz überzog dann Ruhe, Milde, himmlische Freundlichkeit, zuletzt Ernst und hohe Majestät. Der Mond stieg wie eine Rose aus dem duftigen Meer empor, und trat leis hinter sein Haupt in seiner Schönheit und seinem Frieden.

Nach einer langen feierlichen Zeit der Stille bat Eliah seinen Jugendgespielen um den Todten. Er gab ihm ein reiches Geschenk, auch für die Schlafenden. –

»Ich soll seinen Kopf bringen;« entgegnete der Freund. –

Da zeigte ihm Eliah das Haupt seines Bruders Salim. Er glich ihm nothdürftig, doch für die Pforte gnüglich. Sie suchten auch Salim's Leichnam, und in der späten Dämmerung trug Eliah mit Maaraton's Wächter den vom Kreuz Genommenen an den Meeresstrand in eine leere Fischerhütte, wo Kähne und Boote sich auf den Wogen schaukelten. Morgen wollten sie ihn in Samos begraben, wo er einst als Einsiedler gelebt. Dort blieb sein Grab in Frieden.

Die Weiber wollten bei ihm wachen, aber nur Maaraton vermochte es. Sie saß neben ihrem Freunde; sie küßte die Stelle seines Herzens; sie küßte seine Stirn. Sie träufelte Balsam von Mekka in seine Wunden, als ob es ihm noch wohlthun, ob es ihn noch heilen könnte. So träumte sie liebend und lächelte voll Wehmuth. Aber auch sie entschlief zuletzt.

Als sie am Morgen erwachte, war Böre hinweg.

Sie entsetzte sich, sie rief, die Erwachten riefen. Er war hinweg. Sie suchten. Er blieb weg.

Maaraton warf sich an seine leere Stelle auf die nackte Erde. Nur Ein Zeichen erschien ihr. Eine Männerhand, als wenn sich Jemand aufgestützt, war am Boden abgedrückt.

Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Aber einige Fußtapfen, wie von Zweien, gingen in die Hütte. Sie standen voll perlenfunkelndem Thau.

Sie enträthselten nichts. Die Mutter und die Tochter schieden in die Stadt; Maaraton nach Samos hinüber mit ihren Begleitern.

Aber auch dort erschien ihr nirgend ein Zeichen. Es war so, und blieb so. Sie wohnte in seiner Zelle in der Hütte auf dem Berge, und alle Morgen, alle Abende glänzte sie nun, wie über und über golden, der heitere, ihr heilige Berg Stylarios an.

Da kam nach langen Tagen der Mönch Turlotas wieder von Chios herüber, noch mit dem rothen Male seiner Wunde auf der Stirn, nach Samos, wo Böre wieder leben, oder noch leben sollte; wie alle Bewohner des Festlandes und der Inseln glaubten, und heimlich und laut und froh verkündigten. Er fand sie an seiner Statt. Von ihm erfuhr sie, was weiter geschehen war, und was ihm der junge Grieche Dukas, der Gesandte des Herrn von Lesbos, mit Schadenfreude und übelverhehltem Spott erzählt hatte: »Torlak, der mit 3000 Derwischen im Gewühl der Eroberung nach Böre's Ergreifung an der Seite des Meeres vom Berge geflohen war, um ein neu Geschlecht in den Schlünden von Cilizien zu erziehen, ist bei Magnesia mit vielen Tausend Juden, tapfer alle wie Juda, zertrümmert worden und nur mit Einem Freunde gefangen. Er soll über seinen Henker erschrocken sein, der zuvor ein Zeichendeuter und Wahrsager im Volke gewesen war. Alle Derwische, Fakire, freiwillige Arme und Alle, die nur das Wort erzählt: »Was mein ist, ist dein,« sind von dem, Kleinasien durchwüthenden Heere des Großwesirs noch mit den Pfählen vom Berge Stylarios gespießt worden. Bedreddin hat ohne den Emir Mustapha sich mit dem ganzen türkischen Heere auf den Wiesen bei Seres schlagen müssen und ist auf einen Ausspruch des Ssofi Mewlana Seid gehangen worden. Dann .... dann ist Mustapha, der Schaafknecht, aufgestanden, hat den Großwesir Bajesid Pascha geschlagen und enthaupten lassen, und ist dann selber in Thessalonich gefangen und nach Konstantinopel geführt worden. Auch den zweiten falschen Mustapha hat Kineit darauf mit der Keule erschlagen. Der Kaiser Manuel hat aus Konstantinopel den kleinen fünfjährigen Mustapha als Thronnebenbuhler ins Volk gestellt; den hat der neue Sultan, Murad, sein Bruder, erschlagen. Der Tolloge Korax ist aber bei der Belagerung der Stadt von Phyllis verrathen worden, daß er sie, für die Statthalterschaft in der eroberten Hauptstadt, den Türken hat in die Hände spielen wollen. Die Augen sind ihm ausgerissen worden; da ist er im finstern Kerker gestorben.« –

Maaraton wußte genug. Der Berg Stylarios lag wieder ruhig und unnachgefragt. Dorthin zog sie mit ihrem Bruder Eliah, der alle ihre Schätze wiederfand. Sie baute ihres Freundes Haus, wie es gewesen war. Selber der alte Weinstock war wieder grün geworden, aus jungen Reben. Der Berg war ihr ein Altar. Droben im hellen Mondenglanze sitzend, war ihr Nichts vergangen, denn ihr Herz besaß noch Alles.

Da kam sie eines späten Abends verstört und zum Tode erschrocken herab in das Haus. Eliah hörte aber kein Wort mehr von ihr, als den ersten Ausruf: »Böre! Böre!« –

Sie starb. Jung und schön, ein Gefäß der reinsten Liebe und Aufopferung, legte er sie, ihrem Willen gemäß, in das Grab neben Beitulis, auf dem Gipfel des Berges Stylarios; und gleichfalls ihrem früheren Willen gemäß, in den aus Stein gehauenen Sarkophag, geräumig genug für beide Frauen, eine bleierne Tafel mit der Inschrift:

– »Böre's Weib Beitulis und Maaraton.« –

So konnte, ihrem Wunsche gemäß, doch wenigstens ein später Wanderer, der das alte ihm heilige Grab öffnete und die Tafel läse, denken: »Auch Maaraton ist Böre's Weib gewesen;« oder er konnte sogar ihre Gebeine für Beitulis Gebeine halten.

– So ist die Liebe. –



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