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Das Wort

Ja – ja! Nein – nein!

»Eure Rede sei Ja – ja! Nein – nein! Was darüber ist, ist von Übel.« Die Weisheit und die Wahrhaftigkeit der Sprache, des Mittels, Gedachtes zum verständlichen Ausdruck zu bringen, sind in diesen ewigen Worten des größten Lehrers der unbelehrbaren Menschheit besiegelt. Wie hoch stände das vernunftbegabte Geschöpf, das an Unvernunft seinesgleichen sucht, unter den andern der Not und der Notdurft gehorchenden irdischen Wesen, wenn es die menschlichste aller göttlichen Vorschriften unverbrüchlich zu befolgen gelernt hätte! Wahrlich, alles Übel in der Welt geht vom Wort aus, seinem Mißbrauch, seiner Vergeudung. Alle Lüge stammt aus dem die Grenzen seines Zweckgebrauchs überschreitenden Wort. Seht euch um auf allen Gebieten eurer Tätigkeit, schaffende Erdenbürger: im Verkehr der Völker wie dem der einzelnen, im Erwerbsleben, in der Verwaltung, in der Geschichtsschreibung, der Rechtsprechung, der Erziehung, der Lehre herrscht das üble, das verderbliche Übermaß des Wortes, die Wortemacherei, das Geschwätz. Und euer Gefühlsleben, wie ist es entstellt, gefälscht, entwürdigt durch das unangemessene, das übertriebene, das unlautere Wort!

Armes argloses Kind, das du zum Selbstbewußtsein zu erwachen verflucht bist im geschändeten, schändlichen Wort, dem entarteten Wort, das das Gesetz der echtbürtigen Rede übertritt: Ja – ja! Nein – nein!

Geräusch, Laut und Wort

Das Liebenswürdige an den Tieren ist, daß ihre Äußerungen des sogenannten Inhaltes entbehren, nicht wie die der mit Vernunft und Rede begabten Menschen Worte, sondern nur Geräusch oder Laut sind. Der Mensch spricht, das heißt, er drückt durch vielfältige Mittel, das Werkzeug von Kehlkopf, Gaumen, Zunge und Lippen, in Gehörzeichen sein Denken aus. Darin besteht sein Vorzug, der ein Makel ist. Denn dieses Denken ist fast niemals von Belang, geschweige von Wert: dennoch aber vernehmen die, an die sich das nur zu geläufige Wort wendet, mehr als die damit verbundene Luftbewegung, das Geräusch der Stimme. Sie hören und verstehen durch Übung und Gewohnheit das nichtige Geschwätz, das der Mensch dank den mit Sinn, vielmehr mit Unsinn erfüllten Worten mitteilt. Die Lautgeräusche der Tiere – mit Ausnahme vielleicht des Bellens, das bis zur Belästigung zu übertreiben der Hund erst als sein verderbter Genosse vom Menschen gelernt hat – sind durchaus gefällig: das Quaken der Frösche wie das Zirpen der Grillen, das Flöten der Amsel wie das Schlagen der Lerche, das Blöken der Rinder wie das Grunzen der Schweine, das Brüllen des Löwen wie das Wiehern des Pferdes, das Gurren der Tauben wie das Summen der Bienen, das Meckern der Ziegen wie das Klappern der Störche, das Schnarren der Heuschrecke wie das Zwitschern der Meise, gar der schluchzende Gesang der Nachtigall oder das Krähen des Hahnes. Selbst so unangenehme Töne wie das Krächzen der Krähen, das Zischen der Schlange oder der schrille Schrei des Pfauen entbehren des eigentlichen Störenden, weil alle diese Laute sich nicht an die Vernunft wenden, nicht Aufmerksamkeit beanspruchen, nicht verstanden, nur vernommen werden. Ihr Eindruck ist rein sinnlich, aber, als von lebendigen Wesen stammend, nicht gleich dem Lärm des vom Menschen gemachten Unwesens, der Maschine, sinnlos, sondern als der Urlaut des Geschöpfes mit unbegreiflich unbegriffenem Sinn erfüllt, an Gott gemahnend und das Paradies, daraus die Sprache, unlauter und zum Ungehorsam, zur Sünde verführend im Munde der sich ihrer anmaßenden Schlange, den törichten Menschen samt seiner armseligen Errungenschaft, der Erkenntnis, vertrieben hat. Erst auf dem Umweg über die Demut des Künstlers, den geistgetriebenen Dienst am Wort gelangt der Mensch vom Mißbrauch zu veredeltem Gebrauch der Sprache. Und in den holden Lauten der Liebe, wenn das Herz der Mutter überquillt in seliger Sorge um ihr Kind, ertönt wieder der Urklang des Geschöpfes.

Sprechen und Hören

Nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen (und was sich auf diese Fertigkeiten als sogenannte Bildung aufbaut) sollte der Mensch erlernen (soweit er's überhaupt erlernt), sondern, was er meist versäumt, weil er's zu können meint: Sprechen und Hören. Die wenigsten nämlich können das. Sprechen ist nicht die Geläufigkeit der Zunge, überkommene Laute zu mehr oder minder notwendigen Mitteilungen zu verbinden, sondern die Kunst, sich deutlich und gefällig auszudrücken, dem, was man sagen will, wahrhaftige und eigentümliche Gestalt zu geben. Hören aber heißt nicht nur Schallwellen als Worte vernehmen und damit Begriffe verbinden, sondern mit Aufmerksamkeit, Verständnis und Urteil, eindrucks- und vorstellungsfähig ins Bereich des eigenen Denkens gelangen zu lassen, was sich an einen mit dem Wunsche wendet, beachtet zu werden. Die Menschen schwatzen meist unnützerweise, sie reden »herum«, können aber nur selten sprechen. Wer vermag es, einen Vorgang anschaulich zu erzählen, sich in überlegtem Zusammenhang von Grund und Folge zu einem Gegenstande zu äußern, die eigene Meinung außer Frage zu stellen, eine fremde zu widerlegen? Damit ist nicht etwa gesagt, daß man Reden halten solle. Nichts ist lästiger im Verkehr als der Redner, der Mann, der über alles, was ihm im Gespräch unterkommt, einen Vortrag hält, am Worte bleibt, das er sich nicht nehmen läßt, wohl gar die Stimme erhebt und lauter weiterspricht, wenn ein anderer ihn höflich zu unterbrechen versucht. Ein Gespräch ist nicht Anlaß zum Selbstgespräch, sondern soll Wechselrede entwickeln. Ein allgemeines Gespräch zu lenken, ist eine Aufgabe, die Takt und Geschicklichkeit, Herrschaft über das eigene, nicht selten den Ton angebende und in ihn zurückleitende wie das fremde, ausbiegende Wort voraussetzt, also eine hohe gesellschaftliche Fähigkeit, die nur Übung zur Entfaltung bringt. Geselligkeit, die des allgemeinen Gesprächs ermangelt, verfällt; sie hält sich durch geistlose Mittel mühsam über versumpfter Niederung, jenem Zustand, da man sich kaum mehr verstohlen gähnend fragt, warum man eigentlich beisammen bleibe, sondern in Stumpfheit ausharrt, bis die nicht mehr zu überschreitende Stunde schlägt.

Zum Sprechen gehört das Hören. Zuhören ist unter Umständen eine Geduldprobe, jedenfalls ein Entgegenkommen, eine dem Selbstgefühl abzugewinnende Verbindlichkeit, zählt also zu den Umgangsformen. Aber es ist mehr: es ist, mit Feingefühl und Empfänglichkeit betrieben, eine Kunst. Denn gut zuhören heißt richtig mitdenken, fremdem Gedankengang sich geschmeidig unterwerfen, nicht ohne den (gelassen im Zaum zu haltenden) Wunsch, das Joch – das nicht als drückend empfunden werden darf – abzuschütteln, selbst aufzuerstehen in eigener entgegnender Gedankenäußerung.

Sprechen und hören zu können, ist unerläßlich für jedermann, der unter einigermaßen gebildeten, das heißt geistiger Formung nicht entratenden Menschen sich bewegt.

Es gibt sicherlich Wichtigeres, in menschlicher Gemeinschaft Unentbehrliches. Aber zu dem, was jene Beweglichkeit bedingt, gehört die Vervollkommnung von Fertigkeiten, die recht eigentlich den Menschen ausmachen. Es hat tüchtige, ja bedeutende Menschen, Führer der Menschheit gegeben, die weder lesen noch schreiben konnten, aber nicht der geringste Teil ihres Meistertums bestand darin, daß sie zu sprechen wußten und zu hören verstanden.

Die Sprache

Die Sprache, die Gabe der Rede ist dem Menschen zum vernehmlichen und verständlichen Ausdruck seiner Empfindungen und Gedanken verliehen. Die Fähigkeit zu sprechen ist ihm angeboren, wenn sie auch, wie das Aufrechtstehen und Vorwärtsgehen, erlernt, das heißt durch Beispiel und Übung zu willkürlicher Tätigkeit gebildet und entwickelt werden muß. Forschung nach dem Ursprung der Sprache führt nicht zur Feststellung ihres Anfangs, wie überhaupt im Endlichen als dem unauflöslichen Zusammenhang von Ursache und Wirkung Besinnung auf Beginn aussichtslos bleiben muß. Die Sprache ist – daran können die scharfsinnigsten Untersuchungen nichts ändern – so alt wie der Mensch.

Eine unübersteigbare Kluft scheidet den vernünftigen und selbstbewußten Menschen von seinen Brüdern, den unvernünftigen Geschöpfen. Nur die Liebe vermag sie zu überwinden, den Einklang wiederherzustellen, der ihre Grundtöne geheimnisvoll verbindet. Das Tier, so sehr es sich als Einzelwesen dem ihm geneigten Menschen nähern mag, bleibt nach unerklärlichen Naturgesetzen Gattung, übereinstimmender Gesamtausdruck seiner Stufe. Nur der Mensch ist, geistbestimmt, Person. Sprache als Redegewalt ist Gabe, Begabung, aber auch Schöpfung des Sprechenden. Der Mensch schafft nicht im eigentlichen Sinn aus dem Nichts. Das ist Gott dem Schöpfer vorbehalten. Auch das unter den Geschöpfen höchststehende kann nur am Gegebenen wirken, gestaltend schaffen. Rede ist schöpferische Sprachgewalt. Ihre Macht, in hell und dunkel, weich und hart aus der Brust ertönenden Lauten, die sich zu Worten, verständlichen Lautverbindungen zusammenfügen, wie sie hinwiederum in den eindeutigen Zeichen der Schrift als Wortbilder den Sinn der Wortgebilde spiegeln, ist unendlich.

Am Anfang, denn im Unbedingten, bei Gott ist Anfang, am Anfang war das Wort. Gott sprach: Es werde, und es ward, was werden sollte nach dem allmächtigen Willen. Das ist das schaffende, das Wort des Lebens, dasselbe, das, nach den ahnungs- und bedeutungsvollen Worten der Gewißheit im Eingang des Johannesevangeliums, in der Zeit Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat. Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, aber wenige haben sie erkannt.

Dieses urgewaltige Wort der Weltschöpfung hallt fort in allem, was mehr als Sprechen, Aussage ist, was wahrhaftig Sprache, Aussprache heißt. Arm und erbärmlich ist das Lallen der Notdurft, das nach Sprache ringt. Reich und erhaben aber ist das schöpferische, das Wort der Wahrheit. Was ist Wahrheit? fragt der Ungläubige, der Zweifler am schaffenden Wort. Tor, Wahrheit ist nicht dies und das, sondern alles, was ist, weil es ist. Wahrheit ist nicht Inhalt, sondern Ausdruck. Du gelangst nie zur Wahrheit, die irgendwo, am Ende auf dich wartet, sondern du bist immer und überall in ihr, die alles ausmacht.

Wahrheit und Sein ist eins, und das Wort ist wie ihr Schöpfer so ihr Zeuge. Sei nur wahrhaftig, rede wahr – Eure Rede sei Ja-ja, Nein-nein –, sprich sie aus! Die Wahrheit antwortet auf deine Wahrhaftigkeit.

Das sind Worte, alles sind Worte! Ja, es ist wahr: alles, was wir sagen, sind Worte. Wir haben nichts Besseres, nichts anderes. Das, was aber über allem Wort ist, das Wort der Wahrheit selbst, ist uns nicht gegeben. Die Worte lügen. Aber sie lügen nur, wenn wir sie lügen machen. Sie sind falsche Zeugen, wenn wir ihnen nicht den Geist der Wahrheit einhauchen, der ihr Leben ist.

Das Schicksal der Sprache

Die Sprache, als Ausdruck nicht nur der Berufenen, sondern auch des dem vorwaltenden Einfluß gefügigen »Umstands«, der durch Amt und Stand, Verkehr und Bedürfnis überhaupt auf die Verlautbarung des Gedachten angewiesenen Menge, entwickelt sich, dank der unablässigen Bemühung der Vorsprecher, bis zu einer allgemeinen Höhenlage, die nur anhalten kann, wenn ihrer fortdauernden Pflege nicht die um sich greifende Verwahrlosung entgegenwirkt. Diese aber ist dem Einbruch der Unbefugten in das engere Gebiet der Schrift und der Rede als einer kunstmäßigen Übung vorzuwerfen. Während in ehrerbietigen Zeiten, Zeiten der Ordnung, also der Ungleichheit als Stufenbau, die wie mit Vernunft so mit Sprache als allgemeiner Menschlichkeit Begabten den zu Sprache besonders Berufenen deren Gestaltung und Ausbildung im Bewußtsein des eigenen Unvermögens überließen und für diese gebotene Zurückhaltung die reifen Früchte der Sprachzucht als gedeihliche Geistesnahrung mühelos ernteten, hat die Unordnung oder törichte Angleichung des Ungleichen die Schranken der Sprachgehege umgestürzt: die Sprache ist vogelfrei und der Verwüstung durch die Stammler überantwortet.

Von der Sprache

Sprache ist schöpferisch. Im Besitz und Gebrauch der Mehrzahl übernommen, verkalkt, erstarrt sie. Alles, was die Menge an sich bringt, wird ihresgleichen: massenhaft, ausdruckslos. Aber sobald ein einzelner, Berufener sie ergreift, erwacht sie, besinnt sich. Indem sie sich ihm, der sie erfaßt hat, hingibt, gewinnt sie liebend ihre ganze Ausdrucksmacht zurück, legt, fruchtbar, Zeugnis ab von ihrem Erzeuger.

Sprache ist Sinngebung. Wäre sie nur Bezeichnung, hätte alles Ausgesprochene gleichen Wert. Daß dem nicht so ist, daß der Ausdruck Bedeutung hat, erweist immer wieder der große Schriftsteller und seine (dauernde) Wirkung. Der Ausdruck belebt sich im empfänglichen Leser. Denn das Werk will empfangen werden.

Das Wort

»Am Anfang war das Wort.« Nicht die Tat. Im Wort, nicht in der Tat »offenbart sich« Gott. Die Tat, verstummt, verschweigt ihn. Aber da sie mehr ist als Tat: Schöpfung, Ausdruck, enthält sie seinen, des Schöpfers, Sinn. Wir dürfen ihn, den dunklen, deuten. Jede Schöpfung erneuert das göttliche Wort »Es werde«! Und das Gewordene, das Werk, bezeugt seinen Schöpfer.

Stil

Stil ist Sicherheit und Eigenart des schriftlichen Ausdrucks. Sprachrichtigkeit ist seine Voraussetzung, pflichtgemäße Reinheit seine Tugend, Klarheit sein nicht hoch genug zu veranschlagender Vorzug. Wahrhaftigkeit, das ist unbedingte, unnachgiebige Ehrlichkeit in der Darbietung notwendiger und zu Ende gedachter Gedanken, echter und drängender Gefühle, also der geistigen und seelischen Wirklichkeit, die immer auch als Wahrheit wirkt, ist das moralische, Einklang, das ist volltönende Verbindung der in Silben, Wörtern und Sätzen durch das geübte Auge dem Gehör vermittelten Laute das musikalische Gesetz seiner Vollkommenheit, die Selbstvollendung bekundet. Größe des Stils hängt von der Größe der Seele, Wärme von der Größe, das ist der Fülle des Herzens, ab, die beide dem Geiste dienen. Denn Stil als Ausdruck ist durchaus Geist.

 

Stil ist Wesensausdruck. In der Kunst Ausdruck des Schöpferischen im Geschaffenen, der Schöpfung. Man wäre versucht zu sagen: notwendiger Ausdruck. Aber es gibt willkürlich gesteigerten Stil (Manier). Er widerstreitet dem Begriff nicht. Ob er auch den überzeugenden Eindruck hindert oder beirrt.

Somit wäre Stil etwas Verhältnismäßiges, Bedingtes. Aber eben wie wir unter Rasse schlechthin, dem Rassigen (»Er hat Rasse«) etwas als Eigenschaftlichkeit an sich, nicht nur als durch Eigenschaften zu bestimmende Art zu sein verstehen, so ist Stil an sich (»Er hat Stil«), genau genommen, eine Wertaussage, die Feststellung einer Vollendung, einer Vollkommenheit, die Stufen oder Grade ausschließt. Es gibt verschiedene Stufen oder Grade von Gescheitheit, nicht aber von Stil in diesem absoluten Sinn (ebensowenig von Rasse, so verstanden).

Stil hat, wer Persönlichkeit ist, einmaliges, in sich als Einheit geschlossenes Dasein. Stil hat, was, ebenso einmalig, als eine Raumgröße, eine Zeitfrist sich, Gegenstand oder Abschnitt, abhebt von andern Dingen oder Zeiten. Wir sprechen vom Stil eines Degengriffs, einer Wanduhr, dem Stil der Hochrenaissance, des Empire. Stil eines Schriftstellers ist der ihm eigentümliche Ausdruck einer (künstlerischen oder wissenschaftlichen) Mitteilung durch Schriftworte. Man sagt von einem Schriftsteller, daß er Stil habe, wenn der ihm eigentümliche Schriftausdruck Selbstvollendung bekundet.

Stil läßt sich heranbilden, entwickeln, aber nicht eigentlich erlernen. Er ist der Gegensatz vom Handwerksmäßigen, der Fertigkeit (Routine). Er setzt, beim Schriftsteller wie bei jedem anderen Schöpfer, ursprüngliche Beziehung zu seinem Mittel, der Sprache, voraus. Ohne völlige Herrschaft über das Wort ist Stil unmöglich. Nur der Meister hat Stil. Und als Meister, das heißt mit der Anwartschaft darauf, einer zu werden, wird man geboren.

Vom guten Stil

Man ist bei uns seit geraumer Zeit des Gefühls für den guten schriftlichen Ausdruck verlustig geworden. Allzu massenhaftes Geschreibe hat es allmählich abgestumpft, und die Muster werden eben deshalb kaum mehr gelesen. Der Stand des Schreibstils ist insbesondere durch die nur zu oft von Unzuständigen bestrittene Zeitungsschreiberei herabgekommen. Aber auch die Schule legt leider längst nicht mehr gebührendes Gewicht auf die Heranbildung zulänglichen, geschweige denn trefflichen Gebrauchs der Schriftspräche. Immer wieder begegnet der an den Umgang mit Vollendetem Gewöhnte einer geradezu verblüffenden Begnügsamkeit des gemeinhin gültigen Urteils über Stilleistung. Man bewundert und preist Schriftsteller um ihres angeblichen Könnens willen, die dem empfindsamen Kenner auf den ersten Blick als stümpernde Macher, mühselige Stammler sich erweisen, ja, es werden als Meister Schreiber hinaufgelobt und von der Lesermenge als solche gläubig hingenommen, die wegen unheilbarer Unfähigkeit, die Sprache zu behandeln, füglich als abschreckende und lächerliche Zerrbilder dem allgemeinen Spott auszuliefern wären.

Freilich: solches Verfahren setzte das eben voraus, was verlorengegangen, zerstört worden ist: jenes allgemeine oder wenigstens verbreitete Gefühl für das Gesetzmäßige, das eine literarische Kultur ausmacht. Der schlechte Autor hat es leicht: ein ihm aus irgendeinem Grunde gewogenes Urteil Urteilsunfähiger läßt sich immer durchsetzen, es braucht nur mit einigem Lärm sich zu betätigen. Der Leser nimmt alles hin. Ja, es ist vielleicht das sicherste Kennzeichen der allgemeinen Verwahrlosung, daß nicht etwa, was einen Umschwung immerhin möglich machte, nur das Schlechte, sondern Schlechtes und Gutes nebeneinander sich zur Geltung bringen mögen. Wahllosigkeit ist schlimmer als ausgesprochenermaßen übler Geschmack. Wer z. B. eine der wimmelnden elenden Übersetzungen fremdsprachiger Meisterwerke fühllos für das ihm dargebotene Unding zu genießen imstande ist – und Hunderttausende der sogenannten gebildeten Kreise sind es imstande –, dessen literarischer Gaumen ist stumpf für die gediegene Wiedergabe fremder Sprachschöpfung; diese hat demnach keine Aussicht, sich gegenüber der unwürdigen zu bewähren: es merkt ja niemand, daß sie sich davon unterscheide.

Gut schreiben heißt stark und geschmeidig, richtig, klar und in dem eigentümlichen Rhythmus schreiben, der der Persönlichkeit des Schreibenden die sie kennzeichnende geistige Haltung – nicht so sehr Züge als Ausdruck – verleiht. Man schreibt nicht für das Auge, sondern für das Ohr. Es sind Gesetze des Maßes, genauer: des Zeitmaßes, die sich im Stil aussprechen. Man lese Prosa des großen französischen Jahrhunderts, des 17., und vergleiche damit deutsche Prosa derselben Zeit. Man vergleiche französische Prosa vom Ende des 18. Jahrhunderts mit jener wunderbaren, die mit den Provinciales Pascals sogleich die Höhe erreicht hat. Wer nicht Gehör für derlei Entwickelungen und die Zwei= und Mehrstimmigkeit einer Zeit besitzt, dem ist nicht zu raten, der verdient das Lesefutter, das ihm verabreicht wird.

Kritik

Kritisieren heißt sich mit einem Eindruck durch Gründe auseinandersetzen. Als Äußerung eines einzelnen, in und mit sich selbst Zusammenhängenden ist jede Kritik notwendigerweise persönlich. Der Terminus »objektive Kritik« kann füglich nur in dem Sinne gültig bleiben, als er gewolltes Zurückdrängen der für eine »Persönlichkeit« entscheidenden Merkmale des betrachtenden und seine geordneten Betrachtungen anderen vermittelnden Subjektes bezeichnen soll.

Kritik unterwirft das zu Kritisierende abschätzend prüfender Einsicht. Wörtlich, wohlgemerkt: unterwirft. Sie durchschaut, zeigt auf, erklärt, entwickelt. Genetisch reproduziert sie, wiederholt verdeutlichend. Sie ist ausgestattet mit der Kenntnis des Materials, seiner gewinnsicheren Handhabung. Sie leuchtet an den Wurzeln einer Schöpfung entlang in die Dunkelheit des Unbewußten. Sie ist besonnen, durchaus unbefangen – insoweit also etwa »objektiv« –, unbestechlich. Ihre ritterliche Art bestimmen weder Liebe noch Haß.

Man hat namhafte Vertreter einer eigenartigen, stark persönlich gefärbten Kritik aus ihrer gleichsam leidenden Impotenz zu erfassen versucht. Gehemmte Schöpfer hat man sie mit einer abkürzenden Formel genannt. Hier möchte im Gegenteil dem Schöpfertum des Kritikers das Wort geredet werden. Richtig bleibt: er reproduziert. Aber ist sie nicht Kunst, die sichere Grazie des kaltblütig mit dem geschliffenen Handwerkszeug »spielenden« Gestalters? Und eine andere als die gestaltende, also künstlerische Kritik erkenne ich nicht an. Reporter-Inhaltsangabe ist nicht Kritik.

Mit sich selbst kokettierende Spiegelkritik sei hier nicht beschönigt. Kritik dient der Kunst. Die Scharlatane der Kritik weichen dem eigentlichen Kampf aus. Sie umgehen die Aufgabe, indem sie sich immer wieder an ihrem Anblick – aus der Entfernung – stärken. Die Scharlatane der Kritik verschaffen sich aus der Sensation der Gefahr eine künstliche Berauschtheit.

Kritik aber fordert Nüchternsein, Entsagung. Nur der Besitzende kann entsagen, sich etwas versagen. Armut gibt dunkle Begierden gedemütigt auf. Der Kritiker hat sich zu opfern. Er muß die demütig=stolze Kraft der Entselbstung ausbilden. Um so stärker wächst er, der allmählich sich mit fremdem Inhalt Füllende, zu gesättigter Siegerhoheit auf. Jetzt entscheidet sein gefestetes Ich-Sein. Er hat sich ganz einnehmen lassen, um erneuern zu können. Jeder Übersetzer muß Kritiker sein. Er erfüllt sich, nachdem er sich seiner selbst entäußert, gleichsam luftleer gepumpt hat. Er wächst, sich erfüllend mit dem andern. Und ein vollendeter Übersetzer – Nachdichter – sei der Kritiker.

Ironie und Witz

Ironie ist geistiges Gehaben, eine durchgängige Haltung des Geistes, und zwar das dem als Persönlichkeit sich kundgebenden Geist eigentümliche Vermögen, die Eindeutigkeit der Aussage aufzuheben, schweben zu machen und im Schweben, also im Bodenlosen, ohne Standfläche zu erhalten. Witz dagegen ist ein Verfahren, eine geistige Machenschaft, die darin besteht, dem Auszusagenden einen bestimmten Schliff zu erteilen, eine blitzende Einseitigkeit herauszustellen. Ironie erfaßt und umfaßt den Gegenstand, die Aussage oder die Darstellung: er verfällt ihrer Luft, atmet sie aus. Witz ist ein an der Aussage als Auswuchs wirkender Auftrieb, eine Blase des willkürlichen Geistes, Ironie dient, auf ihre Weise, der Wahrheit, indem sie in Zweifel zieht, gefährdet, also behutsam macht, zu Verteidigung stählt oder ihr anmaßendes Gegenteil ihr zur Selbstverdeutlichung gegenüberhält; Witz, eine Entstellung der Wahrheit, lügt. Ironie ist die dem Geist notwendige Befreiung vom niederziehenden lastenden Erbe an ungeprüfter Voraussetzung, ein lockender Weg zum Wesen. Witz ist die dem Geist verderbliche Eitelkeit der Übertreibung des Unwesentlichen. Ironie ist Adel der Wehmut, Witz Dünkel der Wollust des Geistes.

Zur Naturgeschichte des Literaten

Woran erkennt man den Literaten? Ich möchte am liebsten sagen: daran, daß er tot auf die Welt kommt. Aber das scheint kein genügendes Erkennungsmerkmal zu sein. Mir freilich steigt der fatale Modergeruch sofort in die Nase, wenn ich das Buch eines Literaten aufschlage. Aber andre haben vielleicht chronischen Stockschnupfen. Also muß ich deutlicher werden.

Es gibt Menschen, die jedes Wort, das sie verwenden, beleben, und andre, die jedes Wort umbringen, vielmehr nur Wortleichen zuwege bringen. Das sind Literaten. Kein Wort ist »an sich« lebendig oder tot. Worte sind Instrumente, auf denen man muß spielen können. Darauf kommt alles an. Nun, Literaten können nicht »spielen«; anderseits tun sie nichts als »mit Worten spielen«, doch dies ist nicht Musizieren, sondern Jonglieren: sie bringen die Worte willkürlich und zwecklos aus ihren natürlichen Verbindungen und stiften Unordnung. Dann sind sie befriedigt oder tun so. Literaten tun immer so. Oder auch so. Der Dichter nimmt die Worte, und sie bewegen sich und leben. Der Literat nimmt gleich darauf dieselben Worte, und sie fallen um und verwesen stinkend. Das ist der Unterschied.

Noch einer: der Dichter will immer etwas ausdrücken; die Worte verstehen ihn und dienen ihm willig. Alle Worte wollen ihm dienen. Da hat er immer nur wieder zu wählen. Der Literat will nur schreiben. Er überläßt es den Worten, etwas gesagt zu haben. Die Worte aber schwätzen durcheinander. Das ist der Unterschied. Noch einer: der Dichter kann sich nie verleugnen. Er ist in seinen Worten immer zu Hause; ein Literat ist nie da. Man sucht ihn vergeblich in seinen Worten. Man findet darin jedermann. Diese Worte sind wie ein Hotelzimmer. Es erwartet immer jemand, und es war immer einer vorübergehend darin gewesen. Jeder Literat könnte jedes Literaten Bücher geschrieben haben. Es ist ganz gleichgültig, welcher Literat dieses oder jenes Buch geschrieben hat. Das Buch weiß nie, wer es geschrieben hat. Viele Literaten schreiben immer die Bücher anderer Literaten. Deshalb loben einander alle Literaten. Es kann einer ja nicht wissen, ob er nicht das Buch des anderen geschrieben hat.

Von der Verantwortlichkeit des Schriftstellers

Der Schriftsteller ist der Spender oder, gröber gesagt, der Verschleißer des Geistes. Er hat, wenn er seinen Beruf als Berufung begreift, die höchste Verantwortlichkeit. In seiner Wirksamkeit sind Leben und Tod nebeneinander gelagert. Segen kann von ihm ausgehen und Gift. Das tödlichste aber unter den vielen Giften, die ihm zur Verfügung stehen, ist die Lüge. Lüge ist dem Worte, diesem dem Gedanken durch Übereinkunft und Herkommen als Mittel zur Verständigung untergeschobenen Lautzeichen, eingeboren. Die unausgesetzte Bemühung des wahrhaftigen, das ist des Menschen, der sein selbständiges, gutwilliges Denken in dessen Ausdruck überwacht und überprüft, ist darauf gerichtet, die Worte, die er verwendet, zu entgiften, das heißt, von jeder Zweideutigkeit, jedem Ungefähr zu reinigen und genau und gerecht, also unterscheidbar und ausschließlich dem anzupassen, was er unbedingtermaßen und wie er es sagen will. Nur der Schriftsteller, der sich diesem von ihm selbst errichteten Gesetz durchaus unterwirft, verdient den Ehrentitel eines Dieners am Worte, das ist am Geiste, der das Wort erst in Wahrheit schafft. Jedes Wort, auch das älteste, gebräuchlichste, muß vom Geist in Wahrheit geschaffen werden. Sonst nimmt die in ihm steckende Lüge ihren Aufstieg bis in seine Spitze.

Stifters Stil

In der Vorrede zu den »Bunten Steinen« (1852) hat Stifter seine Sonderart – er empfand sie und hat sie bewußt gepflegt – gewissermaßen zu rechtfertigen, sich insbesondere gegen den Vorwurf zu verteidigen unternommen, daß er »nur das Kleine bilde«. Er lehnt den Namen eines Dichters ab. Er legt »seinen gesprochenen Worten« die »Absicht« bei, »gleichgestimmten Freunden eine vergnügte Stunde zu machen, ihnen allen, bekannten wie unbekannten, einen Gruß zu schicken und ein Körnlein Gutes zum Baue des Ewigen beitragen«, eine im Grund unkünstlerische Einschätzung, die jedoch dem Ethos dieses milden Humanisten entspricht.

Ihm ist die Kunst »nach der Religion das Höchste auf Erden«, aber eben deshalb ist er nicht so vermessen, seine Schriften für Dichtungen zu halten. Er habe – und dies ist das Entscheidende – bei seinen Arbeiten »überhaupt nie im Sinne gehabt, Großes oder Kleines zu bilden«, sondern sei »von ganz anderen Gesetzen geleitet« worden.

Es sind also nicht so sehr andere als dichterische Zwecke, die er sich beimißt, lehrhafte etwa, sondern er kann sich nicht als einen »Bildner«, einen Künstler, gelten lassen; das, was er als Schriftsteller vollbringt, sind nicht dichterische Taten, immerhin aber etwas, »dem nicht alle Berechtigung des Daseins abgeht«. Es ist der gute Wille, der sein Tun rechtfertigt, der gute Wille, dem – so empfindet sein bescheidener Stolz – die gute Wirkung nicht versagt bleibt. Diese moralische Ästhetik fügt sich passend in die moralische Weltanschauung Stifters, dem »das Gesetz der Gerechtigkeit«, die »Kräfte« leitet, »die nach dem Bestehen der gesamten Menschheit hinwirken«, »das Gesetz der Sitte, das will, daß jeder geachtet, geehrt, ungefährdet neben dem anderen bestehe, daß er seine höhere menschliche Laufbahn gehen könne, sich Liebe und Bewunderung seiner Mitmenschen erwerbe«, ein anderes Gesetz als das der Natur, ebenso »menschenerhaltend« wie dieses »welterhaltend«. Innerhalb dieses Sittengesetzes sieht Stifter denn auch sein schriftstellerisches Wirken beglaubigt.

Wir werden, wenn wir den Schriftsteller Stifter künstlerisch betrachten wollen, bei aller Achtung vor seiner sittlichen Weltanschauung ein andres als das in solcher Gegenüberstellung gegen das Naturgesetz – die z. B. der Anschauung Goethes von der Analogie zwischen Natur- und Sittengesetz geradezu widerstreitet – einigermaßen schwankende Sittengesetz als Maß verwenden müssen, ein Gesetz, das nicht dem sittlichen, sondern dem künstlerischen Menschen gilt, das Gesetz der Kunst. Denn die Kunst, als Kunst mit künstlerischem Blick erfaßt, ist nicht die mehr oder minder hochragende Staffel an der Leiter, die zur Vollendung des sittlichen Menschen hinanführt, sie ist, als menschliche Leistung, Schöpfung, das ist unmittelbare, freie Gestaltung eines andern als des vom Naturgesetz beherrschten wirklichen Lebens, sie ist, als Ergebnis solcher Leistung, selbst eine lebendige Wirklichkeit eigener Natur, Sein, ein in sich ruhender Zusammenhang, der, eben als Ergebnis menschlichen Schöpfertums, dem menschlichen Geiste überschaubar, als Ganzes faßlich ist; die Welt, in der er selbst Geschöpf ist, vermag der Mensch nicht zu erkennen, wohl aber diese seine eigene Schöpfung. Und nur nach ihren immanenten Gesetzen ist diese Welt zu beurteilen, will man ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen. Das Gesetz, das über der Natur waltet, beherrscht sie, die Kunst, nur insofern, als es den Menschen, ihren Schöpfer, in seiner Wesensart bestimmt. Wie das Naturgesetz den Menschen überhaupt beherrsche, das ist uns verschlossen. Er steht als Geschöpf unter seinem Walten gleich jedem andern. Dennoch ist die Tatsache der Kunst als einer gleichsam aus sich selbst freischwebenden Wirklichkeit »höherer« Art unzweifelhaft. Sie, diese eine, nur sich selbst gleiche, ist immer wieder Erkenntnis und Ziel des künstlerischen Menschen. Sein Beitrag zu ihr, der sich, wesensgleich mit ihrem Ganzen, in sie unverlierbar ergießt, stammt aus seiner menschlichen Natur, ist also von den unbekannten Gesetzen abhängig, die diese beherrschen.

Aber wie dieser Beitrag sich als innerer Zusammenhang und durch die »Persönlichkeit« bestimmter Weg innerhalb der Wirklichkeit der Kunst darstellt, das ist eine Tatsache, die nicht nach sittlichen Überzeugungen und psychologischen Erfahrungen, sondern nur mit künstlerischem Urteil erfaßt und gewertet werden kann: es ist das, was wir künstlerischen Stil nennen. Stil in diesem Sinne ist mehr als der sinnlich wahrnehmbare Ausdruck durch das Mittel der jeder Kunstleistung eigentümlichen Technik. Er ist eine seelisch-geistige Einheit künstlerischer Ausdrucksamkeit (Potenz), die als solche einen einheitlichen, von andern unterschiedenen künstlerischen Eindruck bewirkt. Rembrandts Stil ist mehr als seine Mal- und Zeichentechnik, er ist das, was in seiner Kunst, in der flüchtigsten Skizze wie im vollendeten Gemälde, die Persönlichkeit Rembrandt als das einmalige, immer wieder erlebbare Erlebnis Rembrandt zum Ausdruck bringt. Der nur sinnliche Teil davon, die äußerliche Form, das was beim Dichter »Schreiben« heißt, ist als eine Fertigkeit, ein Können, erbildbar, ja bis zu einem gewissen Grade der Nachahmung zugänglich, erlernbar. Können ist Kunst von außen betrachtet, Gestaltungsfähigkeit, die sich als Gestalt kundgibt. Von innen, vom Wesen des Stils her erwogen und erkannt, ist es, das Können, Akzidenz. Können entscheidet nicht über Stil. Alfred Kubin z. B. hat als Zeichner Stil, das ist einheitliche Eigentümlichkeit, ohne der zeichnerischen Technik völlig zu genügen. Ricarda Huch »kann« ausgezeichnet schreiben, ermangelt aber des Stils in jenem höheren Sinn; ihr hochentwickeltes Können, mit dem sich Wissen und Geist in ungewöhnlichem Maße verbinden, täuscht über die Tatsache hinweg, daß hier ein kümmerlicher Ansatz zu künstlerischer Persönlichkeit sich längst in Fertigkeit erschöpft hat. Jean Paul »kann« schreiben, wie es niemals jemand unter Deutschen sonst vermocht hat, aber dieses unvergleichliche Können ist nicht Fertigkeit, sondern Natur, Gnade, er ist der geborene Schriftsteller, wie Sterne; der große Dichter, den er bedeutet, ist eins mit dieser Wundergabe, sein Stil umfaßt unübertreffliche Vollendetheit des Schreibens wie Rembrandts Stil unübertreffliche Vollendetheit des Malens und des Zeichnens umfaßt.

An Stifter ist zu zeigen, wie einer ein großer Schriftsteller sein kann, ohne schreiben zu können.

Was ihn, den künstlerische Einsicht neben Raimund und Nestroy als den dritten der großen österreichischen Dichter stellt – Grillparzer ist deshalb nicht groß zu nennen, weil er als Dramatiker den klassizistischen Epigonen in sich nicht wie Kleist durch den einzigartigen sprachlichen Ausdruck der merkwürdigen Persönlichkeit hat überwinden können –, was Stifter als Prosaisten in die erste Reihe, neben Goethe, Kleist und Keller hebt, ist die zu unnachahmlicher Einheit gediehene Eigentümlichkeit, in schlichter Anschaulichkeit, die in ihrer ruhigen Treue wahrhaftiger Wiedergabe der gesammelten Vorstellung dennoch von innigem Empfinden schwingt, die Natur und darin das aus ihrem Zusammenhang unentrinnbare Menschenleben als eine Wirklichkeit künstlerischen Wesens so darzustellen, daß wir von dem starken Rhythmus dieser Gesetzlichkeit unwillkürlich mit emporgehoben und schwebend in der reinen Atmosphäre erhalten werden.

Drei Elemente seiner menschlichen Eigenart dienen der psychologischen Grundlegung dieser künstlerischen Wirksamkeit. Denn wie sich aus dem zu künstlerischer Schöpfung berufenen Menschen die in ihrem Wesen eindeutige Wirklichkeit der Kunst entfaltet, das ist Sache der Persönlichkeit, die sich aus letzten Endes unentwirrbaren, nur an ihren Früchten zu bemerkenden Elementen der durch Vererbung gegebenen Anlagen (Charakter) und der durch Amalgamierung der Erfahrung hinzugebildeten Erlebensart (Temperament) unbewußtermaßen auferbaut, nach dem Gesetz, nach dem der Mensch »angetreten«, seiner Stelle im unendlichen Zusammenhang gemäß, die niemand kennt, weil dieses Ganze des Weltplans niemand zu überschauen vermag.

Stifter, ein Kind des Böhmerwaldes, Sohn einfacher Landleute, aufgewachsen unterm mächtigen Eindruck einer stellenweise in ihrem Wildwuchs urweltlich großartigen, durchaus starken Natur und von frühauf seinen im weitesten Sinne des Wortes beschaulichen Neigungen überlassen, ist ein Augenmensch wie Goethe und Keller. Er erblickt mit Entdeckerneugier und Beobachteraufmerksamkeit, erfaßt scharf jede Einzelheit, jeden Zug im Erblickten und behält das genaue Bild deutlich in Erinnerung. Diese zwei Faktoren, die urwüchsige Natur als erster und nachhaltiger Eindruck des Objekts und das lebhafte und sorgfältige Schauen als stärkste Äußerung des Subjekts, sind entscheidend für seinen Stil. Er ist sein ganzes Leben lang nicht von der Natur gewichen, der er, herangewachsen, zunächst und immer wieder als Landschaftsmaler sich hingab, und zwar von der Natur seiner Heimat, die in ihrer ursprünglichen Wirkung durch nichts noch so innig Erfaßtes verdrängt werden konnte, und er hat, wovon die Leidenschaft zum Malen, wie bei Goethe und Keller, beredtes Zeugnis ablegt, die Welt stets als Sichtbarkeit und auf das eindringlichste erlebt. Dazu kommt die für den Schriftsteller entscheidende literarische Beeinflussung durch den großen Darsteller der nordamerikanischen Waldesurwelt, Cooper, der dem Naturell des werdenden Dichters sich als Wahlverwandter ergab.

Aber Stifter ist weiter ein Mutterkind (wie fast jeder große Dichter), das ist ein Kind, dessen Seelenbildung sich vornehmlicher, wenn nicht ausschließlicherweise von der Mutter herschreibt. Stifter nennt seine »herrliche Mutter« einen »unergründlichen See von Liebe«, er glaubt ihr den »Grundton seines Gemütes« zu verdanken. Den so tief gehenden Einfluß der Mutter verstärkt die Großmutter von Vatersseite, sie vermittelt, gottesfürchtig und wunderselig, dem Kinde die Welt der Bibel wie die der Märchen. Diesen weiblichen Elementarmächten, die seine fromme Innigkeit bedingen, gesellt sich als literarische, freilich erst in reiferem Alter, aber bei dem unverbildeten Landkinde noch frühzeitig genug, um zu den grundlegenden gezählt werden zu dürfen, Jean Paul, der Künder des Unaussprechlichen, der Magier der verborgensten Heimlichkeiten der Seelentiefe.

Und zum dritten ist es die Wissenschaft, insbesondere, wieder im Einklang mit den zwei konstituierenden Faktoren seines Wesens, die Naturwissenschaft, die seinem Drang nach Bildung, dem Hunger des begabten und lerneifrigen Dörflers nach Ausgestaltung seiner aus ärmlicher Kleinwelt emporbegehrenden Vielfalt spendend entgegenkam. Stifter ist immer ein beflissener Schüler geblieben, das heißt, er hat stets seine Kenntnisse zu vermehren getrachtet und sie sozusagen übersichtlich gesammelt, aneinandergereiht und hinwiederum lehrhaft auseinandergelegt, während etwa Jean Paul, auch ein Vielesaufnehmer, die ihm sich bietenden Ergebnisse der Wissenschaft sogleich als Mittel verwendete, gleichsam roh verschlang, um sie in das Blut seines Lebens, die schriftstellerische Zirkulation zu verwandeln. Bei Jean Paul wird alles, was er erfährt, verdauter Ausdruck, Stifter bleibt es »Ding«, Eindruck als Gegenstand des Ausdrucks. Auch Goethe ist »Sammler«, aber er sammelt nicht Dinge und Kenntnisse um ihrer selbst willen, sondern als Beispiele für die Idee ihres Zusammenhangs, ihm sind sie Zeichen eines Sinns, der sie durchdringt.

Stifters Stil als Dichter drückt alle diese in seinem Charakter zusammengefaßten Eigentümlichkeiten als Einheit aus. Es ist ein an der Natur mit dem Auge haftender, das Erschaute innig aufnehmender, gelehrig-lehrhaft es auseinanderlegender Stil der gemächlichen Nacheinanderfolge, zugleich eine Folgerichtigkeit, die sich immer wieder aufmerksam ihre Glieder selbst bestätigt. Hierin liegt die Sonderart dieser gewissermaßen ihre Mittel ständig überprüfenden Dichtung, die ihres vollen Eindrucks nur in der zeitlichen Entfernung der zusammenfassenden Erinnerung ihres Genießers sich versichert.

Stifter ist ein kurzsichtiger Dichter: er bringt sein Auge ganz nah hinan an das Objekt und merkt ihm jede Faser ab. Ebenso stellt er es dar, aufzählend, addierend oder besser anfertigend: er läßt es durch Benennung seiner Bestandteile als Beschreibung entstehen. Das ist nicht Naturalismus, kaum Realismus im engen literarhistorischen Sinne, denn der Realist, der im Gegensatze zum Idealisten, ihrem Verflüchtiger, die Wirklichkeit der Welt aufzufangen, zu bannen bestrebt ist, gibt sie wieder, »wie sie ist«, während Stifter, am einzelnen so lange verweilend, bis er es in seinem Vorstellungsgehalt für dieses Mal, von diesem seinem besondern stimmungbestimmten Seelenstandpunkt aus erschöpft hat, zerlegend an ihr entlang blickt und sie hinwiederum also sammelnd im genau erwogenen Ausdruck zusammenfügt, eine Art von Stilisierung, die von seiner niemals durch Übung bemeisterten Unfähigkeit zum Schreiben herrührt, vergleichbar jenen echten Primitiven in der Malerei, die stilisiert wirken, weil sie nicht malen können, sondern nur mit Malermitteln in ihrem künstlerischen Streben zum bildhaften Ausdruck ihrer innern unerlösten Malernatur nach Regeln hantieren.

Schreiben können heißt, für den Vorstellungsgehalt eine neue, die literarische Form finden, ihn seinem Sinn gemäß in den eben jetzt und eben hier im syntaktischen Zusammenhange notwendigen begrifflichen Ausdruck übersetzen, so zwar, daß dieser Zusammenhang von jedem Punkt aus verhältnismäßig von sich selbst sprachlich überzeugt. Es ist ein Vorgang eigentümlicher rhythmischer Gesetzlichkeit, der sprachliches Gehör und Vorstellungsübersicht voraussetzt, aber in seinen Grundzügen erlernbar ist und innerhalb dieser Erlernbarkeit von vielen zur Routine, ja zur Virtuosität ausgebildet werden kann. Mit Wahrhaftigkeit und Unmittelbarkeit zugleich schreiben zu können, ist eine Gabe, die Erfülltheit und Geformtheit der jeweils zum Ausdruck verlangenden Vorstellungsmasse bedingt und den Dichter ausmacht, auch den vergleichsweise häufigen Dichter einer einzigen Dichtung, des einzigen in ihm ganz zu wesenhaftem Ausdruck gereiften Vorstellungserlebnisses. Der Unterschied zwischen dem großen Schriftsteller, der »schreiben« kann und dem anderen, der, obwohl er im Schreiben es bis zum höchsten Grade gebracht hat, dem künstlerisch Urteilsfähigen nicht als großer Schriftsteller zu gelten vermag, liegt in der Tatsache der schriftstellerischen Persönlichkeit und ihres notwendigen Stils, für die es aber, wie gesagt, keineswegs auf jene in diesem Verhältnis unwesentliche Technik ankommt.

Stifter »kann nicht schreiben«, da es ihm nicht gelingt, seinen literarischen Ausdruck als ein in sich selbst sicheres und im syntaktischen Zusammenhang des schriftstellerischen Gefüges notwendigerweise dem Vorstellungsgehalt adäquates Glied des neuen Formdaseins hinzusetzen, und es gelingt ihm nicht, weil seine Art, den einzelnen Eindruck gewissermaßen wörtlich in den Ausdruck zu übersetzen, der Überschau über den vom literarischen Ausdruck in ein Ganzes zusammenzufassenden Eindruck entbehrt. Er tastet mit seinem infolge dieses kurzsichtigen Unvermögens außerhalb des syntaktischen Zusammenhangs irrenden literarischen Ausdruck an dem ins Dichterische zu übertragenden Vorstellungsinhalt, ein Sammler, entlang und verzeichnet ihn in Begriffen als gewissenhafter, ja pedantischer wörtlicher Übersetzer, wobei es ihm vor lauter Peinlichkeit, nur ja genau den Gegenstand seiner Vorstellung mit seinem Ausdruck zu treffen, immer wieder zustößt, daß er – abgesehen von einer Überfülle an idiomatischen »gesprochenen« Worten und unbehilflich stolpernden ungebildeten unmittelbar neben steifen angelesenen Buchwendungen – teils ganz unmögliche Wortungetüme erfindet (»Afterheiten«, »Zeichnungsbuch«, »Gerüstung«, »herjährig«, »Erlernungen«, »Handelsverweser«, »Entbehrnis« usw.), teils in armselige, jede Anschaulichkeit, die doch dadurch erstrebt wird, ausschließende Wiederholungen verfällt oder den konkreten Vorstellungsgehalt ratlos in seiner Begriffswütigkeit in ein zerblasenes Schema verflüchtigt. Niemals dirigiert er seine Eindrücke zu Tonmassen, literarischem Zusammenklang, sondern er stickt sie einzeln auf einen literarischen Kanevas, der zwar, ihm unbewußt, in seiner Einheitlichkeit sich aus seinem dichterischen Stil ergibt, aber nur zu oft, vielmehr immer wieder eine literarisch eindruckslose Fläche weist, leere Stellen, die wie klaffende Pausen den kaum erhebenden Klang unterbrechen. Zumal am eigentlich Konstruktiven des Syntaktischen macht sich diese Leere um so peinlicher bemerkbar, als Stifter die Sicherheit im Grammatischen – von jenen Idiotismen abgesehen – sowohl was die Wortformen wie die Satzfügungen betrifft, in auffallendem Maße gebricht: es starrt das technische Gerüste, das der ausdrucksame Fluß der Diktion am gut geschriebenen Werke – etwa bei Goltz oder Raabe – geschmeidig in seine Formensprache hüllt, hilflos in dürftiger Nacktheit empor. Aber sein Stil, die unerschöpfliche urtümliche Kraft seiner dichterischen Vollnatur, macht, daß trotz all dieser offenbaren Unzulänglichkeit, die manchmal geradezu lächerlich anmutet – so insbesondere im »Nachsommer« und den späteren Erzählungen, wo der alternde Sonderling, von Goethes typisierendem Altersstil verführt, immer mehr am stockenden Hin- und Hertreten im platt Begrifflichen sich gefällt – die läuternde Wirkung einer klaren künstlerischen Atmosphäre sich beim geduldigen Leser unfehlbar einstellt.

Dieser Stil ist wirklich nicht »nur« – so möchte man Stifters Selbstbescheidung in der eigenen Einschätzung seiner Schriften gegen seine Meinung und doch im Sinne seines Ethos deuten – dieser scheinbar, an der Oberfläche des Technischen so mangelhafte, innerlich aber so vollkommene Stil ist wirklich nicht »nur« der eines »Bildners«, eines Künstlers, der im Bilden Genüge findet; er hat eine höhere als die Macht des bildnerisch Vollendeten, nicht etwa in einem unkünstlerischen, dennoch aber in einem ethischen Sinne verstanden, er trägt »zum Baue des Ewigen ein Körnlein bei«, er veredelt die menschliche Selbstbesinnung, wie jede Begegnung mit dem Wahrhaftigen und Reinen die Menschen auf ihr Tiefstes, das Göttliche, verweist. Und ist nicht dieses Göttliche, diese seligste Selbstbetätigung der Freiheit des Seelischen inmitten der bedrückenden Übermacht des Naturgesetzes, der unerfindliche, dennoch in seiner Wahrheit alles Wirkliche überstrahlende Mittelpunkt der großen Kunst?

Wo immer man Stifter aufschlagen mag – dessen literarische Entwicklung von den ersten üppig blühenden Studien bis zu den letzten Erzählungen, als deren lauterstes Juwel »Der fromme Spruch« in geschliffener Klarheit leuchtet, bis zu dem großartigen »Witiko«, dem einzigen monumentalen historischen Roman der Deutschen, immer auf ihren eigenen Bahnen, sie vertiefend, verläuft, indem die seraphische Gefühlsweite der jugendlichen Empfindsamkeit sich ins beruhigt Nahe, nicht Enge innerlicher Unendlichkeit zusammenzieht – wo immer man ihn aufschlägt, diesen wahrlich Unerschöpflichen, weil im Ausdruck seiner selbst als Bildner niemals sich Vollendenden, wird man diesen Eindruck sich bestätigen: er hat seine beschränkten schriftstellerischen Mittel zum sicheren Bewältigen der literarischen Aufgaben selten nur – in einigen Schilderungen von Landschaften und Naturvorgängen – zu versammeln vermocht, er hat niemals wie Jean Paul, wie Balzac, wie Cervantes, wie Sterne schreiben können, so daß Schreiben als eine Naturgewalt uns überwältigt, ungeprüft von sich selbst überzeugend: aber er hat trotzdem auf dem mühseligen Umweg über die genau hintereinander strichelnde Wiedergabe des mit reiner dichterischer Seelenkraft erfaßten Gegenstandes dank dem zu unnachahmlicher Einheit geschlossenen Stil seiner Persönlichkeit draußen, jenseits des Brennpunkts des Genießereindrucks eine Wirkung erzielt, die in ihrer großartigen Stille zum Sein beruhigten Werdens Ewigkeitscharakter hat. Und diese Stille ist das Kunstempfänglichen sich immer wieder beseligend offenbarende Geheimnis der der Freiheit entstammenden höheren Wirklichkeit.


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