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Die Schlaguhr

Klemm, Senior in Buchaus Armenhaus,
Uhrmacher Klemm, kann sich vor Glück nicht fassen,
Ein Briefchen kam. Er soll aufs Schloß hinaus.
Die Frau Baronin hat ihn rufen lassen.
Neugier umschwätzt ihn, leise, grob und gröber.
Stumm wirft er sich in seinen besten Staat.
Ein Wetter ist's, ein Wind, ein Schneegestöber,
Kein Telegramm jagt man gern auf den Draht.

Was aber ist das ihm? Auf seinem blassen,
Verwelkten Antlitz liegt ein flottes Rot.
Die Frau Baronin hat ihn rufen lassen!
Zur Hälfte kaum ißt er sein trocknes Brot.
's wär wegen einer Uhr! Und eilig! Eilig! – –
Seit wieviel Jahren ist das nicht geschehn!

Dem Sturm ist heiliges Silberhaar nicht heilig.
Und ihm kein Sturm! Ihm heut kein Flockenwehn!
Wildatmend schlägt sich einer mit dem andern.
Im Torweg hat der Nord ihn fast erstickt.
Sein Mantel tanzt, sein Haarschopf hüpft im Wandern.
Sein Herz, sein morsches Uhrwerk, tickt und tickt.
Zu allen Taten meldet sich's erbötig.
Ach, mit der Arbeit schwand sein Bestes hin.
Hat wohl die Uhr im Turm den Doktor nötig?
Oder der Schloßfrau seine Genferin?
Er repariert sie alle oft im Traum,
Kennt alle, weiß, aus wessen Hand sie stammen.

Die Schloßfrau steht schneeweiß im roten Raum.
So greis, so weiß, wie aller Schnee zusammen.
Müd grüßt sie ihn. Mit schlankem Finger nur
Gibt sie der alten Kammerfrau ein Zeichen.
»Meister, es ist die alte Kinderuhr –«
Flüstert die bange im Vorüberschleichen.
Ein Blick voll Gram blitzt zu dem alten Mann,
Und leiser Schauer schüttelt das Figürchen.
Das Rollpult draußen knarrt. Voll Würde dann
Kehrt sie zurück mit einem goldnen Ührchen.
Kein Licht im Zimmer. Dämmrung senkt sich schwer.
Durchs Fenster blicken die beschneiten Büsche.
Der greise Damenfinger weist: »Hierher!«
Wie glänzt das Ührchen auf dem roten Plüsche!
Wie seltsam glänzt es! Aber mehr, viel mehr
Glänzen drei alte, stille Augenpaare.
Durchs graue Zimmer wandeln fünfzig Jahre.
Ja, fünfzig Jahre ist es heuer her.
Im Bette lag der Jungherr fiebermatt,
Wachszart, und hatte in den Schmerzenstagen
Kein Ding so lieb und ließ die Schlaguhr schlagen,
Ließ die zwei Ritter auf dem Zifferblatt
Die Schwertlein dröhnend an die Glocke tönen:
Kling! Kling! Das gab so scharfen, hellen Klang.
In seinen Händen, seinen kinderschönen,
Wachsfeinen lag das Ührlein stundenlang.
Es schlug des Leben letzte lange Stunden.
In welchen Qualen gingen sie herum!
Aus starren Händchen hat man's ihm entwunden.
Seit jener Stunde war die Schlaguhr stumm.
Sie stand. Der Meister hat dran nichts vermocht,
Wieviel er dran probiert in stillem Grausen.

Wie jetzt die rauhen Stürme wieder brausen!
Wie hart das Schneegesträuch ans Fenster pocht!
Drei Menschen tauchen wie aus tiefem Grunde
Die Zeiten auf. Die Frauen tippen sacht
Das Ührchen an. Und wie aus einem Munde
Flüstern sie: »Klemm, die Uhr schlug letzte Nacht!«
»Sie schlug?«
»Gewißlich wahr!«

Aus weißem Kleide
Und weißen Locken nickt die Edelfrau.
Und jede sagt es klar, sie hätten's beide
Gehört, zwölf leise Schläge, ganz genau.
Kein Zweifel! Aus dem alten Pult erklang es.
Klemm soll doch in des Ührchens Uhrwerk schaun.
Sie könnten es nicht öffnen.
Langes, langes,
Erwartungsvolles Schweigen bannt die Fraun.
Ein Fichtenast kratzt draußen an die Mauer.
Da öffnet Klemm das Ührchen, mühsam nur.
»Unmöglich!« ruft er wie befreit. Voll grauer,
Jahrzehntealter Spinnweb ist die Uhr.
Kleine und kleinste Rädchen fest umsponnen!
Ein Spinnchen spann daran sein Leben aus! –
Der alte Meister stampfte tief versonnen,
Sehr reich belohnt zurück ins Armenhaus.
Die Frauen sind in Tränen ausgebrochen.
In milde Tränen, feinsten Lebenstau.

Zwölf Tage haben sie es noch besprochen,
Das Wunder. –

Dann verschied die Edelfrau.

*

 


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