Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5.

Es war an demselben Abend.

Will Morton hatte eine kleine Verkleidung angelegt und betrat als eleganter Nichtstuer eine der bessern Tanzdielen Neuyorks. Der Eingang war taghell erleuchtet und beständig fuhren Autos vor, denen Herren und Damen entstiegen, um in der ebenfalls strahlend erhellten Halle zu verschwinden. Lachen und Kichern ertönte. Aus dem Innern vernahm man die Töne einer Jazzbande. In Neuyork kann man sich zur Nachtzeit ebensogut amüsieren wie in andern Weltstädten, vielleicht noch ein bißchen besser.

Als Will Morton, der ebenfalls im Auto ankam, den kreisrunden, prächtig dekorierten Tanzsaal betrat, war der Betrieb in vollem Gange. Auf einer Empore saßen die Musiker und entlockten ihren manchmal sonderbaren Instrumenten ebenso sonderbare Töne, die aber das zahlreiche Tanzpublikum förmlich elektrisierten. Man sah viel schöne Frauen, nackte Schultern, blitzende Brillanten, wenn sie auch nicht immer echt waren, erhitzte Gesichter und sprühende Augen.

Morton war hier gut bekannt, aber er selber wurde heute doch nicht erkannt. Er schob sich blasiert durch die lachende, springende Menge und nahm dann schließlich an einem Seitentischchen Platz, um sich einen Drink zu bestellen. Eine lachende Schöne kam dicht an ihm vorüber und schlug ihm auf die Schulter.

»Komm, tanz mit mir,« meinte sie keck.

Er erhob sich sofort und trat mit ihr in die Reihen der Tanzenden. Aber während er mit ihr im Foxtrott dahinwackelte, sagte er leise Worte zu ihr, wobei beide scheinbar lachten.

»Du kennst mich nun, Sylva,« versetzte Morton. »Ich bin hier, um einen schweren Fall aufzuklären. Es soll nicht Dein Schaden sein, wenn Du mir etwas dabei behilflich bist.«

»Sagen Sie mir nur, was ich tun soll, Mister –« wisperte die zuerst etwas erschrockene Schöne.

»Pst! Keinen Namen,« wehrte er wählend der Tanzerei ab und lachte, als habe ihm seine Tänzerin soeben einen brillanten Witz erzählt. »Dort drüben in der kleinen offenen Loge sitzt ein Gentleman. Er hat zwei Deiner Kolleginnen bei sich. Sie scheinen alle bereits stark animiert zu sein. Kennst Du den Namen des Kavaliers?«

Er deutete nur mit den Blicken die Richtung an.

Sylva hatte hingeblickt.

»Das ist der feine Norbert,« flüsterte sie dann. »Seit acht Tagen zeigt er sich hier und wirft das Geld mit vollen Händen hinaus. Was er ist, weiß ich nicht. Vielleicht hat er eine Bank irgendwo ausgeraubt und vertut das Geld hier in Neuyork.«

»Ist das alles, was Du weißt?«

»Alles. Bei meiner Ehre!« beteuerte das Mädchen.

»Schwöre mir lieber bei etwas anderem, Sylva,« lachte Morton. »Der Tanz geht zu Ende. Du wirst Gelegenheit finden, Dich zu dem feinen Norbert in die Loge zu setzen. Er wird es nicht schief nehmen. Frech seid Ihr ja alle. Dann suche Weiteres herauszubringen. Ich will wissen, wo er logiert, ob er etwa vorhat, abzureisen oder mit wem er sonst außerhalb der Tanzdiele verkehrt. Du bist ein schlauer Kauz, Sylva, also mache Deine Sache gut. Der Lohn ist nicht gering. Ich werde Dich nachher schon wieder zu finden wissen.«

Der Tanz war zu Ende und Morton entließ seine Dame, die bald darauf tatsächlich in der bezeichneten kleinen Loge erschien, wo ein noch junger, eleganter Kavalier schon stark angeheitert zwischen zwei mondänen weiblichen Erscheinungen lehnte. Aber Sylva, die sehr hübsch war, mußte trotzdem Gnade vor seinen Augen gefunden haben, denn schon saß auch sie am Tischchen.

Eine halbe Stunde später tauchte Sylva wieder neben Morton auf. Ganz unauffällig wisperte sie ihm zu. »Norbert Hamilton nennt er sich. Will Bankier sein und fremd in Neuyork. Ich glaube ihm weder das eine noch das andere. Seine Wohnung gibt er im Cliftonhotel an. Aber auch das ist ganz sicher nur eine Finte. Er scheint verdammt schlau zu sein. Ich konnte nichts weiter herausbringen.«

»Schon gut,« nickte Morton lachend. »Vorläufig genügt es, daß ich den Gentleman im Auge behalten kann.«

Er reichte Sylva als Vorschuß ein zusammengefaltetes Papier, das sie schnell und unbemerkt im Busenausschnitt verschwinden ließ.

Morton begab sich wieder auf seinen Beobachterposten, den er aber wiederholt wechselte. Inzwischen war es ziemlich spät geworden. In der kleinen Loge, die der feine Norbert Hamilton innehatte, ertönte kreischendes Gelächter. Sylva war wieder erschienen und setzte sich sogar auf die Knie des eleganten Kavaliers.

»Er ist es,« sagte sich Morton. »Aber wie kriege ich ihn in die Falle?«

Ein Glücksumstand sollte ihm dazu verhelfen.

Ein älterer, ebenfalls sehr elegant gekleideter Herr schob sich durch das Gewoge der Tanzenden. Er schien jemand zu suchen und stutzte als er den feinen Norbert in der Loge erblickte.

Will Morton hatte den neuen Ankömmling nicht aus den Augen gelassen. Er kannte dieses bartlose Gesicht mit den energischen Zügen, in denen neben Tatkraft auch Schlauheit zu lesen war.

Es war der Generaldirektor eines großen Fabrikkonzernes, der in der letzten Zeit mit Mac Clifford viel genannt wurde. Es hieß, daß es zwischen den beiden großen Vereinigungen zu einem heimlichen Konkurrenzkampfe gekommen war, der von beiden Seiten mit allen Mitteln geführt wurde. Die Oeffentlichkeit erfuhr freilich nur Bruchstücke, doch Morton wußte mehr davon. Wie kam dieser sonst so unnahbare Generaldirektor dazu, in der Tanzdiele unter all den frivolen Leutchen aufzutauchen und ganz besonders, wie stand er zu dem feinen Norbert? Das war interessant genug!

Ganz unbemerkt drängte er sich in die Nähe der kleinen Loge, in der lautes Lachen erscholl. Dazwischen tobte die Jazzbandmusik wie besessen.

Soeben tauchte der ältere Besucher unter dem schmalen Eingang der Loge auf. Sein Gesicht war zorngerötet, seine scharfen, vernichtenden Blicke waren auf den eleganten dunkelhaarigen Kavalier gerichtet.

Das Lachen in der Loge erstarb mit einem Schlag.

Will Morton sah, wie der feine Norbert Sylva zurückschob, wie er sich aufrichtete und einige heftige Worte an den Eindringling richtete. Verstehen konnte der Detektiv diese Worte leider nicht.

Es schien sich nur eine ganz kurze Unterhaltung zwischen den beiden Männern abzuspielen. Die Laune des feinen Norbert war ersichtlich dahin. Er trat zu dem Generaldirektor und dieser wies die Mädchen, die ziemlich verblüfft der Szene folgten, barsch zurück, warf eine größere Banknote auf den Tisch, winkte einem Kellner, der sich davon bezahlt machen sollte und verließ darauf mit dem feinen Norbert die Loge. Mit finsterem Gesicht folgte ihm der Elegant, die Lippen aufeinandergekniffen, trotzig wie es schien.

Sie gingen nach dem Vorraum und ließen sich ihre Mäntel geben. Morton war ihnen gefolgt. Niemand schöpfte gegen ihn Verdacht. Auch er forderte seinen Ueberrock. Das konnte nicht auffallen. Beim Umhängen pfiff er ein frivoles Liedchen.

»Ich suche Sie schon den ganzen Abend,« hörte er abgerissen den ältern Herrn sagen. Es klang scharf, drohend. »Nun kommen Sie!«

Der feine Norbert sagte nichts, er zuckte nur die Schultern. Beide verließen die Halle. Morton schob sich ihnen pfeifend nach, stellte sich draußen aber in den Schatten. Der Generaldirektor winkte. Ein Auto, das in kurzer Entfernung wartete, fuhr heran und nahm die beiden Herrn auf, um sich ebenso rasch wieder zu entfernen.

In diesem Moment schoß Morton aus dem Schatten hervor und sprang auf ein Auto zu, das soeben angekommen war und zwei Besucher ablud. Einige Worte zu dem Chauffeur genügten. Auch Morton sprang ein und der Wagen sauste dem ersten Auto nach, blieb aber doch in einiger Entfernung. Es ging nach dem Villenviertel, dem Westen Neuyorks. Der Verkehr ebbte ab, die Straßen mit ihren schönen Häusern und schweigenden Vorgärten und Parks wurden einsamer, ruhiger.

Morton wußte nun, wohin die Fahrt des feinen Norbert ging. Er zog die Schnur und ließ halten. Das erste Auto bog in kurzer Entfernung um eine Ecke, um in eine Seitenstraße einzufahren.

Der Detektiv entlohnte seinen Chauffeur, schien sich dann aber eines andern zu besinnen, gab dem Manne neue Anweisungen und schritt zu Fuß weiter. Mit Absicht wählte er dabei die Schattenseite der Straße. Langsam folgte ihm das Auto.

Der erste Wagen hatte vor dem Eingang eines schönen Parkes halt gemacht. Es war ziemlich spät. Die beiden Herren stiegen aus. Der ältere öffnete das Gitter, gab dem Chauffeur des Autos einen Wink und der Wagen drehte ab, entfernte sich nach der andern Seite. Still lag jetzt die Straße.

Die beiden Männer waren in dem dunkeln Vorpark einer vornehmen Villa verschwunden.

Wenige Minuten später stand Will Morton an dem Gitter und las die Aufschrift eines Bronzeschildes. Generaldirektor Joe Sampson.

Er nickte zufrieden. Dann sah er sich rasch um. Es war niemand in der Nähe. Er schritt das Gitter ab, fand einen Baum, dessen einer Ast sich ziemlich weit dem Gitter näherte. Als ausgezeichneter Turner war es ihm ein leichtes, sich mit Hilfe dieses Astes über das Gitter zu schwingen und jenseits abzuspringen. Ohne Aufenthalt schlüpfte er durch die dunkeln Taxushecken und näherte sich der Villa. Es gab auch hier eine der üblichen Terrassen und in dem Zimmer dahinter brannte Licht.

Will Morton überlegte nicht lange, sondern kletterte auf diese Terrasse und drückte sich vorsichtig unter das eine Fenster. Er schielte in das erleuchtete Innere des Zimmers und sah dort die beiden Männer, die er verfolgte. Eine heftige Szene schien sich zwischen ihnen abzuspielen. Sogar die einzelnen Worte konnte Morton vernehmen. Es waren Vorwürfe schärfster Art, die der Generaldirektor Sampson dem feinen Norbert machte und dieser antwortete verbissen, mit schneidender Stimme.

Zwanzig Minuten, nicht länger währte die seltsame Unterredung, von der der Detektiv genug gehört hatte. Als sich der feine Norbert zum Verlassen des Zimmers anschickte, von einem drohenden Zuruf Joe Sampsons begleitet, sprang Morton katzengleich über die Terrasse und sauste durch den Garten. Schon stand er wieder am Gitter, kletterte auch dort hinüber und tat einen kurzen Signalpfiff. Ein Auto, dasselbe, das ihn herausbrachte, näherte sich. Er ließ es im Schatten halten und sprang zu dem Chauffeur. Was zwischen ihm und dem Chauffeur jetzt in Blitzesschnelle geschah, war nicht zu erkennen. Aber gleich darauf glitt eine dunkle Gestalt vom Führersitz und verschwand im Schatten der nächsten Bäume. Dann wartete der Chauffeur offenbar ganz ruhig auf das Weitere.

Das Gitter wurde aufgerissen und wieder zugeschlagen. Der feine Norbert, der wahrscheinlich einen Schlüssel besaß, trat auf die Straße. Langsam setzte sich das Auto in Bewegung, als wolle es nach dem Innern der Stadt zurückfahren. Der elegante Kavalier bemerkte es und winkte.

»Sind Sie frei, Chauffeur?« fragte er, als der Wagen herankam.

»Jawohl Sir,« erwiderte der Chauffeur.

»Fahren Sie mich nach der Holiwoodstreet 25!«

Der feine Norbert stieg ein und sofort fuhr das Auto in scharfem Tempo davon. Während der Fahrt zog der Insasse einmal die Schnur. Ihm fiel auf, daß der Wagen eine falsche Richtung nahm. Aber der Chauffeur schien das Zeichen nicht zu hören. Er fuhr nur umso rasender weiter.

Plötzlich hielt er mit einem Ruck den Wagen an, sprang ab und öffnete den Schlag.

»Zum Henker, Mann, haben Sie denn nicht mein Zeichen bemerkt?« schrie heftig der aussteigende Kavalier. Im gleichen Moment stutzte er, sah sich um und tat einen heisern Schrei. Er hatte erkannt, daß er sich vor dem Eingang des Polizeigebäudes befand. Blitzschnell griff er in die Tasche, aber der Chauffeur kam ihm zuvor.

»Lassen Sie gut sein, Mister,« sagte der Chauffeur. »Es wäre zwecklos. Hände hoch – oder – –!«

Ein Browning richtete sich auf den völlig Ueberraschten.

»Wer – sind Sie denn?« keuchte er.

»Wenn es Sie interessiert, Will Morton, mein Bester,« lautete die Antwort. »Ich habe mir gestattet, ein Weilchen die Rolle des Chauffeurs zu spielen, um Ihre Ueberführung in das Polizeigefängnis zu vereinfachen. Also bitte – –!«

Und als der feine Norbert eine weitere verdächtige Bewegung machte, hatte sich Morton – der ganz einfach im letzten Moment sich den Mantel des Chauffeurs umgehangen und dessen Stelle eingenommen hatte, mittelst eines Jiu-Jitsugriffes der beiden Arme des Kavaliers bemächtigt und schon klirrten die Stahlfesseln an dessen Handgelenken.

Wenige Minuten später saß der überrumpelte Kavalier in einer Polizeizelle. Will Morton hatte wieder ein kleines Meisterstück ausgeführt.

*

Am frühen Morgen erlebte Neuyork eine neue Sensation. Joe Sampson, der einflußreiche, fast gefürchtete Allgewaltige vom Bangtonkonzern, war wegen Verdacht der Beihilfe eines Verbrechens verhaftet worden. Die Vernehmungen waren im vollen Gange und eine ganze Anzahl von Firmen größerer Industriewerke wurden als in den Skandal verwickelt genannt. Will Morton hatte eine ungeheure Korruption in den höheren Geschäftskreisen aufgedeckt, indem er blitzschnell zugriff, ehe die Sache verdunkelt wurde. Und am Abend desselben Tages wußte man auch schon, wer den rätselhaften Tod Mac Cliffords verschuldete. Der zuerst verhaftete Kavalier, genannt der feine Norbert, hatte ein umfassendes Geständnis abgelegt, da er einsah, daß ein Leugnen zwecklos war. Morton hatte ja doch seine nächtliche Unterredung mit Joe Sampson belauscht. Bei einer Gegenüberstellung bequemte sich auch der aus allen seinen Himmeln gestürzte Generaldirektor Sampson zu einem gleichen Geständnis.

Die Sache lag nun völlig klar. Der feine Norbert war in Wirklichkeit kein anderer, als der für tot gehaltene einstige Bankier Ferd Brockers. Er hatte damals, durch Mac Clifford total ruiniert, Selbstmord begehen wollen, brachte die letzte Nacht aber in einem Spielklub zu und verließ völlig blank gegen Morgen das Lokal in Gesellschaft eines eben zugereisten jungen Deutschen, der in Neuyork noch gar nicht bekannt war. Auch dieser junge leichtsinnige Mann hatte alles verloren, stand am Ruin.

Plötzlich krachte ein Schuß und mit zerschmettertem Gesicht brach der junge Mann tot zusammen. Da kam Ferd Brockers ein seltsamer Gedanke. Er wollte es angesichts dieses schrecklichen Todes noch einmal mit dem Leben versuchen, entnahm dem Toten dessen Brieftasche, raubte die Papiere und schob seine eigenen in die Tasche, die er wieder dem Toten in den Rock steckte. Dann flüchtete er, trieb sich unter dem Namen des Toten, den man als Ferd Brockers beerdigte, ein paar Jahre außerhalb Neuyorks umher, sank immer tiefer und kehrte endlich wieder zurück. In all dieser Zeit hatte ihn ein unauslöschlicher Rachedurst gegen Mac Clifford beseelt, der in seinem Eigentum wohnte und eine junge Frau heimgeführt hatte.

Die Gelegenheit zur Vergeltung kam ihm bald. Er wendete sich an den Generaldirektor Sampson, von dem er wußte, daß er einer der schärfsten Gegner Cliffords war und machte diesem gewissenlosen Manne einen seltsamen Vorschlag. Er wollte Mac Clifford, der ihn ja gar nicht einmal persönlich kannte, eine Anzahl hochwichtiger Verträge und Fabrikgeheimnisse entwenden und sie an Sampson ausliefern. Damit erhielt dessen Konzern sofort die Uebermacht und der Einfluß Cliffords war gebrochen. Sampson haßte seinen Rivalen und er ging auf den Handel ein. Zunächst erhielt Brockers große Summen zur Vorbereitung, die er aber meist in leichtsinniger Gesellschaft durchbrachte. Endlich ging er ans Werk. Er wußte Mac Clifford durch geheimnisvolle Mitteilungen zu bewegen, daß er ihn des Nachts ganz allein in Cliffords Arbeitszimmer empfing. Brockers, der sich einen falschen Namen zugelegt hatte, bot seinem Feinde an, ihm hochwichtige Fabrikgeheimnisse des Bangtonkonzerns auszuliefern. Die Zusammenkunft fand statt, niemand wußte darum. Als aber Mac Clifford sich umwendete, um seinem Stahlschrank die vereinbarte Vorschußsumme zu entnehmen, wofür Brockers die wichtigen Papiere liefern wollte, kam diesem ein rascher, blitzartiger Gedanke. Er trug schon immer für alle Fälle ein Fläschchen mit einem starken narkotischen Gift bei sich und schüttete den Inhalt so schnell Mac Clifford in das Gesicht, daß dieser nicht einmal mehr einen Schrei ausstoßen konnte. Er kannte als früherer Eigentümer des Hauses alle Geheimnisse desselben. Er selber hatte den Geheimschrank in der Mauer anlegen lassen. Er entnahm der Tasche des besinnungslos vor ihm Liegenden das Notizbuch mit der Angabe des eingestellten Schloßnamens und ebenso den Schlüssel. Dann erst merkte er, daß seine Dosis zu stark gewesen war. Mac Clifford war tot. Einem weitern Gedanken folgend, schob Brockers den Leichnam in den Mauerschrank, schloß ab und wollte gerade den Stahlschrank öffnen, um die in demselben aufbewahrten Dokumente an sich zu nehmen, als ihn ein Geräusch erschreckte. Irgendwo ging eine Tür. Von panischem Schrecken erfaßt – es war Lawrence, der durch die Korridore gegangen war – sprang er durch das geöffnete Fenster und entwich.

Erst später beruhigte er sich, als man lediglich das Verschwinden Mac Cliffords meldete, nannte sich einen Dummkopf und setzte nun jene dem Leser bekannte zweite Komödie ins Werk, indem er sich als Harry Dirksen bei Mistreß Clifford einführte. Er mußte unbedingt in den Besitz der Dokumente kommen. Der Streich gelang, wie wir wissen. Er besaß nun die wichtigen Papiere und sollte sie Joe Sampson abliefern. Aber sein Leichtsinn packte ihn wieder, er zögerte, hielt Sampson hin und gedachte erst noch eine besonders große Summe zu erpressen. Inzwischen vergnügte er sich auf seine alte Weise. Da traf ihn ein neues Mißgeschick. Eines Morgens entdeckte er, daß ihm sämtliche Dokumente gestohlen wurden. Ein junger Mann, der neben ihm wohnte, mußte ihn heimlich beobachtet haben und in Abwesenheit Brockers holte dieser ihm Unbekannte die sämtlichen Papiere.

Dieser Unbekannte war kein anderer als Philipp Hogdan, der ihn bereits Tag und Nacht beobachtet und verfolgt hatte.

Hogdan ahnte das Verbrechen und brachte Gladis alle die geraubten Dokumente zurück, berichtete, wie er in den Besitz derselben kam und durch Gladis erfuhr auch Morton um die Vorgänge. Das Weitere war dann Sache des Detektivs. Philipp Hogdan wurde zwar verhaftet, doch sollte diese Haft nicht allzulange währen.

Aus der nächtlichen Unterredung zwischen Brockers und Sampson erfuhr der Detektiv den ganzen verbrecherischen Plan. Sampson hatte, da ihm die Sache zu lange dauerte, Brockers in der Tanzdiele aufgespürt, ihn nach seiner Villa genommen und dort rechnete er mit dem Verbrecher ab. Er erfuhr dabei, daß Brockers die Dokumente gar nicht mehr besaß, sie gerieten heftig aneinander, warfen sich gegenseitig ihre Schandtaten vor und schließlich versprach Brockers nunmehr nicht mehr zu ruhen, bevor er nicht den Burschen gefunden habe, der ihn bestahl. Noch einmal vertraute ihm Sampson, der selber zu stark belastet war, als daß er energisch gegen Brockers vorgehen konnte.

Da kam die blitzartig erfolgte Verhaftung der beiden Schuldigen und ihr Geständnis.

Joe Sampson wurde am zweitnächsten Morgen tot in der Polizeizelle gefunden, Brockers aber kam vor die Schranken des Gerichts und erhielt eine langjährige Zuchthausstrafe. Die wichtigen Dokumente waren dank des gewagten Zugreifens Philipp Hogdans wieder im Besitz Gladis', der Erbin Mac Cliffords. Der Bangtonkonzern brach zusammen.

Es war selbstverständlich, daß Philipp Hogdan schnellstens entlassen wurde. Seine Unschuld stand fest.

Er zog sich in sein einfaches Quartier zurück, doch nicht lange, dann rief ihn Gladis, die von seinen Leiden tief erschüttert war und in ihm nun den treuen Freund wieder erkannt hatte. Einst hatte sie ihm gezürnt, glaubte ihn hassen zu müssen, weil er sich bei dem Tod ihres Vaters zurückzog und es so ermöglichte, daß Mac Clifford sie heimführen konnte. Nun aber wichen langsam die schweren Schatten der Vergangenheit.

Es war eine feierliche, tieferschütternde Stunde, als die beiden in dem schönen Hause Clifford wieder zusammentrafen. Ueberwältigt von seinen Empfindungen stürzte Philipp Hogdan der noch immer geliebten Frau zu Füßen. Gladis neigte sich mit Tränen in den Augen über den Jugendgeliebten und flüsterte weich: »Wir haben viel Schmerzliches erdulden müssen, Philipp, aber wir sind jung und das Leben liegt vor uns. Laß uns wieder treue Freunde werden – wie einst!«

Er sah sie mit feuchten Augen an und lächelte. Die Zukunft sollte alle Schatten verwehen, die ein dunkles Geschick über sie beide breitete. Die Hoffnung blieb und an dieser rosigen Hoffnung erstarkte er von neuem.

»Für immer der Deine, Gladis!« sagte er bebend.

*

Inspektor Bardsley machte tagelang ein Gesicht als hätte er Essig verschluckt als ihm Mortons neuer Erfolg gemeldet wurde.

Hol ihn der Teufel! fluchte er dann noch einmal im stillen. Der Mensch hat mehr Glück wie Verstand!

Es war jedoch anzunehmen, daß er daran selber nicht recht glaubte.

.

Verantwortlicher Redakteur:
Georg Streicher, Heidenau-Nord.

 


 << zurück