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Siebenter Theil.
Epilog.

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Epilog.

Wenn wir uns über das Leben Alberts und Consuelo's nach ihrer Heirath die treuen und ausführlichen Documente, die uns bisher geleitet haben, hätten verschaffen können, so könnten wir ohne Zweifel noch einen langen Roman aus der Erzählung ihrer Reisen und ihrer Abenteuer bilden.

Aber lieber, ausharrender Leser, wir können Dich nicht zufrieden stellen; und Dich, ermüdeter Leser, bitten wir nur noch um einen Augenblick Geduld. Macht uns, Beide, keinen Vorwurf, kein Verdienst daraus; die Wahrheit ist, daß die Materialien, mit deren Hülfe wir, wie wir es bis jetzt gethan haben, die Ereignisse dieser Geschichte hätten zusammenstellen können, seit der romantischen Nacht, welche die Vereinigung unsrer beiden Helden bei den Unsichtbaren eingeweiht und gesegnet sah, zum großen Theil uns nicht mehr zu Gebote stehen.

Sei es, daß die von ihnen im Tempel geleisteten Gelübde sie verhindert haben, sich in ihren Briefen gegen ihre Freunde auszusprechen, sei es, daß ihre Freunde, die selbst dem geheimnißvollen Bunde angehörten, in den Zeiten der Verfolgungen es für angemessen hielten, ihre Correspondenz zu vernichten, wir bemerken sie nur noch wie hinter einer Wolke unter dem Schleier des Tempels, oder unter der Masse der Adepten.

Wenn wir ohne Prüfung den dürftigen Spuren ihres Daseins, welche in unsern handschriftlichen Ueberlieferungen sich finden, folgen wollten, so würden wir uns häufig verirren; denn widersprechende Beweise zeigen uns Beide auf mehreren geographischen Punkten zu gleicher Zeit oder zu gleicher Zeit verschiedenen Richtungen folgend.

Doch wir errathen leicht, daß sie freiwillig zu diesen Irrthümern Anlaß gaben, da sie bald einer geheimen, von den Unsichtbaren angeordneten Unternehmung ergeben, bald genöthigt waren, sich mit tausend Gefahren den Nachforschungen der Polizei zu entziehen.

Ueber das Leben dieser Seele in zwei Personen, welche sich Consuelo und Albert nannte, können wir nur sagen, daß ihre Liebe ihren Gelübden treu blieb, aber das Geschick grausam die Versprechungen nicht hielt, die sie ihnen in jenen begeisterten Stunden, welche sie ihren Sommernachtstraum zu nennen pflegten, gegeben zu haben schien.

Doch waren sie nicht undankbar gegen die Vorsehung, welche ihnen dieses kurze Glück in aller seiner Fülle gegeben hatte und die mitten in ihrem Unglück in ihnen das von Wanda verkündigte Wunder der Liebe fortsetzte. Mitten im Unglück, im Leiden und der Verfolgung trat ihnen immer diese süße Erinnerung entgegen, welche in ihrem Leben wie eine himmlische Erscheinung, wie ein mit der Gottheit eingegangener Vertrag, zum Genuß eines besseren Lebens dastand, nach einer Periode der Mühseligkeit, der Prüfung und der Opfer.

Uebrigens wird für uns in dieser Geschichte Alles so dunkel, daß wir nicht einmal entdecken konnten, in welchem Theil Deutschlands jenes Zauberschloß lag, wo im Tumult der Jagden und Feste ein in unsern Documenten ungenannter Fürst der socialen und philosophischen Verschwörung der Unsichtbaren zum Vereinigungspunkt und Hauptführer diente.

Dieser Fürst hatte von ihnen einen symbolischen Namen erhalten, welcher, wie wir nach tausend Mühen, um die Chiffer zu errathen, der sich die Adepten bedienten, glauben müssen, entweder Christophorus war, Träger Christi, oder auch Chrysostomus, goldener Mund. Der Tempel, wo Consuelo verheirathet und eingeweiht wurde, hieß der heilige Graal und die Mitglieder des hohen Raths die Templisten; romantische Sinnbilder von neuem den alten Sagen des goldenen Zeitalters der Ritterschaft entlehnt.

Alle Welt weiß, daß nach diesen heiteren Fictionen der heilige Graal in einem geheimnißvollen Heiligthum, in einer, den Sterblichen unbekannten Grotte verborgen war. Dort bewahrten die Templisten, die erlauchten Heiligen des Urchristenthums und seit jener Zeit der Unsterblichkeit geweiht, die kostbare Schaale, deren sich Jesus bedient hatte, um das Wunder des Abendmahls einzusetzen, als er mit seinen Schülern das Ostermahl feierte. Diese Schaale enthielt ohne Zweifel die bald durch das Blut, bald durch die Thränen Christi dargestellte himmlische Gnade, eine göttliche Flüssigkeit, kurz eine eucharistische Substanz, über deren mystische Natur man sich nicht näher ausspricht, deren Anblick aber hinreicht, um moralisch und physisch umgewandelt, für immer vor Tod und Sünde geschützt zu sein.

Die frommen Paladine, die nach furchtbaren Gelübden, entsetzlichen Bußübungen und Thaten, vor denen die Erde erzitterte, sich dem ascetischen Leben des irrenden Ritters weihten, hatten zum Ideal am Ende ihrer Wallfahrten den heiligen Graal zu finden. Sie suchten ihn in den Eissteppen des Nordens, in den Sandwüsten Armorica's, in den Wäldern Deutschlands. Um diesen herrlichen Preis zu gewinnen, mußten sie Gefahren trotzen, ähnlich denen im Garten der Hesperiden, Ungeheuer, die Wuth der Elemente, barbarische Völker, Hunger, Durst, selbst den Tod überwinden.

Einige dieser christlichen Argonauten entdeckten, wie man sagt, das Heiligthum und wurden durch die göttliche Schaale neu geboren; aber sie verriethen niemals dieses furchtbare Geheimniß. An der Stärke ihres Armes, an der Heiligkeit ihres Lebens, an ihren unbesieglichen Waffen, an der Verherrlichung ihres ganzen Wesens erkannte man ihren Triumph; doch sie überlebten eine so glorreiche Einweihung nur kurze Zeit, sie verschwanden unter den Menschen, wie Jesus nach seiner Wiederauferstehung und gingen von der Erde in den Himmel über, ohne den schmerzlichen Uebergang des Todes zu erleiden.

Das war das magische Symbol, welches sich in der That dem Werke der Unsichtbaren passend anschloß. Mehrere Jahre lang bewährten die neuen Templisten die Hoffnung, den heiligen Graal allen Menschen zugänglich zu machen. Albert arbeitete ohne Zweifel sehr wirksam an der Verbreitung der Hauptideen der Lehre. Er stieg bis zu den höchsten Graden des Ordens; denn wir finden das Verzeichniß seiner Titel, woraus hervorgehen könnte, daß er Zeit hatte, sie zu erwerben. Nun weiß Jeder, daß man einundachtzig Monate bedürfte, um sich nur zu den dreiunddreißig Graden der Freimaurerei zu erheben, und wir glauben überzeugt zu sein, daß man dann noch weit mehr brauchte, um die unbegrenzte Zahl der geheimnißvollen Grade des heiligen Graal's durchzumachen.

Die Namen der Freimaurergrade sind jetzt kein Geheimniß mehr, doch wird es Manchem nicht unangenehm sein, wenn wir einige hier erwähnen, denn sie geben ein ziemlich gutes Bild von der Begeisterung und der heitern Phantasie, welche bei ihrer stufenweisen Einsetzung waltete.

Lehrling, Gesell und Meister, geheimer Meister und vollkommener Meister, Secretär, Probst und Richter, englischer Meister und irländischer Meister, Meister in Israel, erwählter Meister der Neun und der Fünfzehn, erwählter Meister des Unbekannten, erhobener erwählter Ritter, Oberbaumeister, Großschotte der heiligen Loge, oder erhabener Maurer, Ritter vom Schwert, Ritter des Orients, Fürst von Jerusalem, Ritter des Orients und Occidents; Rosenkreuzer von Frankreich; Heredom und Kilwinning, Großpriester oder erlauchter Schotte, Architekt des heiligen Gewölbes, Priester des himmlischen Jerusalems, Fürst der Freimaurerei oder Meister ad vitam, Noachite, Fürst des Libanon, Chef des Tabernakels, Ritter der ehernen Schlange, Fürst der Gnade, Großcommandeur des Tempels, Sonnenritter, Patriarch der Kreuzzüge, Großmeister des Lichts, Ritter Kadosh, Ritter des weißen und schwarzen Adlers, Phönixritter, Ritter der Morgenröthe, Ritter der Argonauten, Ritter des goldnen Vließes, erhabener Fürst des königlichen Geheimnisses, erhabener Meister des leuchtenden Ringes Mehrere dieser Grade gehören verschiedenen Logen und verschiedenen Zeiten an. Einige fallen vielleicht in eine spätere Zeit als die, von denen wir sprechen. Wir überlassen die Berichtigung den gelehrten Probirern. In manchen Logen waren mehr als hundert Grade, glaube ich. &c. &c.

Neben diesen Titeln, oder wenigstens neben den meisten von ihnen finden wir andere noch weniger bekannte Titel, die dem Namen Albert Podiebrad's in einer weniger lesbaren Chiffer, als die der Freimaurer angefügt sind, z. B. Ritter von St. Johann, erhabener Johanniter, Meister der neuen Apokalypse, Doctor des ewigen Evangeliums, Erwählter des heiligen Geistes, Templist, Areopagite, Magier u. s. w. Wir sind erstaunt, hier einige der Titel zu sehen, welche im voraus von Weishaupt, dem Stifter des Illuminatismus, entlehnt scheinen könnten; doch diese Eigenthümlichkeit ist uns später erklärt worden und bedarf keiner besondern Aufklärung für unsere Leser am Schlusse dieser Erzählung.

Mitten unter dem Labyrinth unbekannter aber wichtiger Thatsachen, die sich auf die Arbeiten, auf den Erfolg, auf die Zerstreuung und scheinbare Ausrottung der Unsichtbaren beziehn, wird es uns sehr schwer, von fern dem abenteuerlichen Stern unsres jungen Paares zu folgen. Doch wenn wir das Fehlende durch eine vorsichtige Auslegung ersetzen, so ist Folgendes ungefähr der geschichtliche Abriß der Hauptereignisse ihres Lebens. Die Einbildungskraft des Lesers wird dem Buchstaben zu Hülfe kommen und wir zweifeln nicht, daß die besten Entwickelungen diejenigen sind, welche der Leser an der Stelle des Erzählers für sich selbst macht So erscheint uns die Geschichte des Johannes Kreyßler als der fesselndste und wunderbarste Roman Hoffmann's. Da der Tod den Verfasser überrascht hat, ehe er sein Werk vollenden konnte, so schließt das Gedicht in den verschiedenen Phantasien auf tausend verschiedene Arten, die einen immer phantastischer als die andern; wie ein schöner Fluß bei seinem Ausfluß sich in zahllose Arme theilt und in tausend launenvollen Bächen m dem goldnen Sande der Küste sich verliert..

Wahrscheinlich begab sich Consuelo, als sie den heiligen Graal verließ, an den kleinen Hof von Bayreuth, wo die Markgräfin Wilhelmine, Friedrichs II. Schwester, Schlösser, Gärten, Kioske und Wasserfälle im Geschmack des Grafen Hoditz zu Roswald, obgleich weniger kostbar und prachtvoll besaß; denn diese geistreiche Prinzessin war ohne Mitgift an einen sehr armen Fürsten vermählt worden und es war noch nicht lange, daß sie Kleider hatte mit einer anständigen Schleppe und Pagen, deren Röcke nicht fadenscheinig waren.

Ihre Gärten, oder, um ohne Bild zu sprechen, ihr Garten lag in einer wunderschönen Landschaft und sie machte sich das Vergnügen, in einem antiken Tempel, ein wenig im Geschmack der Pompadour, eine italienische Oper zu halten. Die Markgräfin war eine große Philosophin, das heißt, eine Voltairianerin. Der junge Erbprinz, ihr Gemahl, war sehr eifriger Vorstand einer Freimaurerloge. Ich weiß nicht, ob Albert in Verbindung mit ihm stand und ob sein Incognito von den Brüdern geheim gehalten wurde, oder ob er sich von diesem Hofe fern hielt, um seiner Gattin etwas später nachzureisen.

Wahrscheinlich hatte Consuelo eine geheime Mission daselbst. Vielleicht lebte sie auch, um die Aufmerksamkeit, welche sie überall auf sich zog, von ihrem Gatten abzulenken, in den ersten Zeiten nicht öffentlich mit ihm. Ihre Liebe hatte damals wahrscheinlich allen Reiz des Geheimnisses; und wenn die Oeffentlichkeit ihrer durch die Bruderweihe der Templisten geheiligten Verbindung, ihnen angenehm und belebend geschienen hätte, so war das Geheimniß, mit welchem sie sich anfänglich in einer heuchlerischen, verderbten Welt umgaben, ihnen ein nothwendiges Schild und eine Art stummer Protestation, in welcher sie ihren Enthusiasmus und neue Kraft schöpften.

Mehrere italienische Sänger und Sängerinnen machten zu jener Zeit das Entzücken des kleinen Hofs von Bayreuth. Die Corilla und Anzoleto waren da, und die inconsequente Primadonna entflammte von neuer Liebe für den Verräther, den sie noch vor kurzem allen Furien der Hölle geweiht hatte. Aber Anzoleto bemühte sich, während er die Tigerin liebkoste, vorsichtig und mit geheimnißvoller Schüchternheit Gnade bei Consuelo zu finden, deren, unter so vielen geheimen und tiefen Offenbarungen gewachsenes, Talent alle Nebenbuhler verdunkelte.

Der Ehrgeiz war die herrschende Leidenschaft des jungen Tenors geworden. Er liebte also weder die keusche Consuelo, noch die feurige Corilla; er schonte beide nur, bereit sich an Diejenige scheinbar anzuschließen, welche ihn in ihr Gefolge aufnehmen und helfen könnte, sich vortheilhaft bekannt zu machen.

Consuelo bezeugte ihm eine ruhige Freundschaft und hielt mit ihrem guten Rath und den gewissenhaften Zurechtweisungen nicht zurück, die seinem Talente eine höhere Entwicklung geben konnten. Aber sie fühlte bei ihm keine Verwirrung mehr und die Milde ihrer Verzeihung offenbarte ihr selbst, wie vollkommen sie sich von ihm losgetrennt habe. Anzoleto täuschte sich darüber nicht. Nachdem er mit Nutzen den Unterricht der Künstlerin angehört und mit scheinbarer Rührung die Rathschläge der Freundin vernommen hatte, verlor er die Geduld mit der Hoffnung und sein tiefer Groll, sein bittrer Unmuth zeigten sich wider seinen Willen in seiner Haltung und seinen Worten.

Inzwischen scheint die junge Baronin Amalie von Rudolstadt mit der Prinzessin von Culmbach, der Tochter der Gräfin von Hoditz an den Hof von Bayreuth angekommen zu sein. Wenn man einigen indiscreten oder übertreibenden Zeugen glauben darf, wurden jetzt von den vier Personen, Consuelo, Amalie, Corilla und Anzoleto, kleine, ziemlich sonderbare Dramen aufgeführt.

Als die junge Baronin den schönen Tenor unvermuthet auf den Brettern der Oper in Bayreuth sah, sank sie in Ohnmacht. Niemand dachte daran, dieses Zusammentreffen von Umständen zu bemerken; aber Corilla's Luchsauge hatte auf der Stirn des Tenors ein besonderes Strahlen befriedigter Eitelkeit wahrgenommen. Er hatte seine Effectstelle verfehlt, denn der mit der Ohnmacht der jungen Baronin beschäftigte Hof hatte den Sänger nicht beklatscht; und statt zwischen den Zähnen zu murmeln, wie er es immer in solchem Falle machte, schwebte um seine Lippen ein unzweideutiges Lächeln des Triumphs.

– Sieh! flüsterte die Corilla Consuelo mit erstickter Stimme zu, während sie in die Coulisse ging, er liebt weder Dich noch mich, sondern die kleine Thörin, die seinetwegen eben eine Scene gemacht hat. Kennst Du sie? Wer ist sie?

– Ich weiß nicht, antwortete Consuelo, die nichts bemerkt hatte; ich kann Dich aber versichern, daß weder sie, noch Du, noch ich ihn beschäftigen.

– Wer denn sonst?

– Er selbst, al solito! erwiederte Consuelo lächelnd.

Die Chronik fügt hinzu, daß am andern Morgen früh Consuelo in ein verstecktes Boskett des Schloßgartens gerufen wurde, und mit der Baronin Amalie ungefähr folgendes Gespräch hatte.

– Ich weiß Alles, soll ihr die Letztere mit erzürnter Miene gesagt haben, ehe sie Consuelo nur erlaubte, den Mund zu öffnen. Er liebt Sie! Sie, Unglückliche, Geißel meines Lebens, die mir das Herz Albert's und das seinige entrissen hat.

– Das seinige, Gnädigste, ich weiß nicht …

– Verstelle Sie sich nicht, Anzoleto liebt sie, Sie ist seine Geliebte, Sie war es in Venedig und ist es noch …

– Das ist eine schändliche Verleumdung oder eine unwürdige Vermuthung von Ihnen, gnädiges Fräulein.

– Es ist die Wahrheit, sag' ich Ihr. Er hat es mir diese Nacht gestanden.

– Diese Nacht? O, gnädiges Fräulein, was höre ich? rief Consuelo, erröthend vor Scham und Kummer.

Amalie brach in Thränen aus und als es der gutmüthigen Consuelo gelungen war, ihre Eifersucht zu beruhigen, erhielt sie wider ihren Willen das Geständniß dieser unglücklichen Leidenschaft. Amalie hatte Anzoleto auf dem prager Theater gesehen, und war von seiner Schönheit und seinen Erfolgen berauscht worden. Da sie nichts von der Musik verstand, hatte sie ihn ohne Zögern für den ersten Sänger der Welt genommen, um so mehr da er in Prag sehr viel Beifall fand.

Sie hatte ihn als Gesanglehrer zu sich gerufen, und während der alte Baron Friedrich, ihr armer Vater, durch Unthätigkeit gelähmt, in seinem Lehnstuhl schlief und von wüthenden Meuten und sterbenden Ebern träumte, war sie der Verführung erlegen. Langweile und Eitelkeit hatten sie ins Verderben gestürzt.

Von dieser vornehmen Eroberung geschmeichelt, hatte ihr Anzoleto, der sich durch ein Scandal in die Mode bringen wollte, eingeredet, sie habe alle Anlage die größte Sängerin ihres Jahrhunderts zu werden, das Künstlerleben sei ein irdisches Paradies und sie habe nichts Besseres zu thun, als mit ihm zu fliehen, und auf dem Hay-Market-Theater in den Opern Händels aufzutreten. Anfangs hatte Amalie den Gedanken, ihren alten Vater zu verlassen, mit Abscheu verworfen; doch als Anzoleto Prag verließ und eine Verzweiflung spielte, die er nicht empfand, gab sie in einer Art Betäubung nach und entfloh mit ihm.

Ihre Bezauberung dauerte nicht lange; Anzoleto's Unverschämtheit und die Rohheit seiner Sitten, sobald er nicht mehr den Verführer spielte, ließen sie bald in sich zurückkehren. Mit einer Art Freude sah sie sich, drei Monate nach ihrer Flucht, in Hamburg verhaftet und nach Preußen geführt, wo sie, auf Verlangen der sächsischen Rudolstadt, geheimnißvoll nach Spandau eingekerkert wurde; aber die Buße war zu lang und zu hart. Amalie wurde der Reue eben so schnell überdrüssig als der Leidenschaft; sie seufzte nach der Freiheit, den Bequemlichkeiten des Lebens und den Rücksichten für ihren Rang, deren sie so plötzlich und grausam beraubt war.

Mitten unter ihren persönlichen Leiden hatte sie kaum den Schmerz über den Verlust ihres Vaters gefühlt. Mit ihrer Freiheit erfuhr sie endlich alles Unglück, das ihre Familie betroffen hatte; doch da sie nicht wagte, zum Stiftsfräulein zurückzukehren und die bittere Langweile eines Lebens voller Vorwürfe und Predigten fürchtete, hatte sie um den Schutz der Markgräfin von Bayreuth gebeten, und die damals in Dresden sich aufhaltende Prinzessin von Culmbach hatte sich erboten, sie zu ihrer Verwandten zu bringen.

An diesem philosophischen und frivolen Hofe fand sie die liebenswürdige Duldsamkeit, deren Modelaster damals die einzige Tugend der Zukunft machten. Doch als sie Anzoleto wiedersah, erlag sie dem diabolischen Einfluß, den er auf die Frauen auszuüben wußte, und gegen den selbst die keusche Consuelo so viele Kämpfe bestehen mußte.

Der Schrecken und der Schmerz hatten sie anfangs in das Herz getroffen; als sie aber nach ihrer Ohnmacht, um Luft zu schöpfen, allein während der Nacht in den Garten gegangen war, hatte sie ihn, von ihrer Aufregung kühn geworden und mit einer durch die unter ihnen besiegten Hindernisse aufgeregten Phantasie getroffen. Jetzt liebte sie ihn wieder, sie erröthete und entsetzte sich darüber und gestand ihrer frühern Gesanglehrerin mit einem Gemisch weiblicher Scham und philosophischer Keckheit ihren Fehler.

Es scheint gewiß, daß Consuelo durch eifrige Ermahnungen den Weg zu ihrem Herzen fand und sie bestimmte, auf die Riesenburg zurückzukehren um in der Einsamkeit ihre gefährliche Leidenschaft zu ersticken und die letzten Tage ihrer alten Tante zu erheitern.

Nach diesem Abenteuer wurde der Aufenthalt in Bayreuth Consuelo unerträglich. Die stürmische Eifersucht der Corilla, die immer thöricht und im Grund des Herzens immer gut, sie mit Rohheit beschuldigte und den Augenblick nachher zu ihren Füßen lag, ermüdete sie außerordentlich.

Anzoleto seinerseits, der sich eingebildet hatte, sich für ihre Verachtung rächen zu können, wenn er bei Amalien den Leidenschaftlichen spiele, vergab es ihr nicht, die junge Baronin der Gefahr entzogen zu haben. Er spielte ihr tausend feindliche Streiche, um sie zu verhindern, zu rechter Zeit auf der Scene zu erscheinen, nahm mitten in einem Duett ihre Rolle, um sie herauszubringen und durch seine eigne Sicherheit und Gewandtheit, dem unwissenden Publicum glauben zu machen, als wenn sie sich irre. Wenn sie mit ihm spielte, ging er auf die rechte, statt auf die linke Seite, suchte sie zum Fallen zu bringen, oder nöthigte sie, mit den Statisten in Berührung zu kommen.

Dieser boshafte Muthwille scheiterte an Consuelo's Ruhe und Geistesgegenwart; doch weniger unempfindlich war sie, als sie bemerkte, daß er die unwürdigsten Verläumdungen gegen sie verbreitete, und von den müßigen großen Herren, in deren Augen eine tugendhafte Schauspielerin ein Phänomen war, das eben so unwahrscheinlich schien als es einen langweiligen Anblick bot, gehört wurde. Sie sah die Wüstlinge jedes Alters und Standes sich um sie drängen, und da sie an die Aufrichtigkeit ihres Widerstandes nicht glauben wollten, sich mit Anzoleto aus einem Gefühl feiger Rachsucht und wilden Zornes vereinigen, ihren Ruf und ihre Ehre zu vernichten.

Diese grausamen und schändlichen Verfolgungen waren der Anfang eines langen Märtyrerthums, das die unglückliche Primadonna während ihrer ganzen theatralischen Laufbahn heldenmüthig ertrug. Jedesmal, wenn sie mit Anzoleto zusammentraf, erregte er ihr tausend Kummer, und wir müssen mit Betrübniß gestehen, daß sie in ihrem Leben mehr als einen Anzoleto traf. Andere Corilla's quälten sie mit ihrem mehr oder weniger heimtückischen oder rohen Neid und ihrer Bosheit; und von allen diesen Nebenbuhlerinnen war die erstere immer noch die am wenigsten boshafte und am meisten einer guten Herzensregung fähig.

Aber was man auch von der Bosheit und der eifersüchtigen Eitelkeit der Schauspielerinnen sagen mag, so fand doch Consuelo, daß wenn ihre Laster in dem Herzen eines Mannes Eingang fanden, sie es noch weit mehr herabwürdigten und ihn seiner Rolle in der Menschheit noch weit unwürdiger machten. Die anmaßenden, der Ausschweifung ergebenen Edelleute, die Theaterdirectoren und die von den Berührungen mit solchem Schmutz eben so verworfenen Zeitungsschreiber; die schönen Damen, neugierige und fantastische Gönnerinnen, die sich leicht imponiren ließen, aber bald erzürnt wurden in einem Mädchen » de cette espèce« mehr Tugend zu finden als sie besaßen und besitzen wollten; das oft unwissende, fast immer undankbare und parteiische Publikum endlich; das waren eben so viele Feinde, gegen welche die strenge Gattin Liverani's mit unaufhörlicher Bitterkeit zu kämpfen hatte.

Beharrlich und treu in der Kunst wie in der Liebe, wich sie nie zurück und verfolgte ihre Laufbahn, fortdauernd in der Wissenschaft der Musik, wie in der Uebung der Tugend wachsend; oft in dem dornenvollen Ringen nach Erfolg scheiternd, oft auch durch verdiente Triumphe sich erhebend, trotz Allem die Priesterin der Kunst bleibend, mehr als selbst Porpora es erwartet hatte, und immer neue Kraft aus ihrem religiösen Glauben und unendlichen Trost in der glühenden und ergebenen Liebe ihres Gatten schöpfend.

Das Leben dieses Gatten, obgleich mit dem ihrigen parallel laufend, denn er begleitete sie auf allen ihren Wanderungen, ist mit dichterem Schleier verhüllt. Man darf annehmen, daß er sich zum Sklaven des Glückes seiner Gattin nicht machte und sich nicht zu der Rolle eines Buchhalters für die Einnahmen und Ausgaben ihres Berufs hergab.

Consuelo's Stand war übrigens nicht sehr gewinnbringend. Das Publikum belohnte damals die Künstler nicht mit der wunderbaren Freigebigkeit, die unsere Zeiten auszeichnet. Die Künstler bereicherten sich hauptsächlich durch die Geschenke der Fürsten und Großen, und die Frauen, welche aus ihrer Stellung Vortheil zu ziehen wußten, erwarben schon Schätze; doch Keuschheit und Uneigennützigkeit sind die größten Feinde für das Vermögen einer Frau vom Theater.

Consuelo erndete viel Achtung, manche Begeisterung, wenn zufällig die Bosheit ihrer Umgebung sich nicht allzusehr zwischen sie und das wahre Publikum stellte; aber sie gewann nichts durch Galanterie und die Schmach krönte sie nicht mit Diamanten und Millionen. Ihre Lorbeeren blieben fleckenlos und wurden ihr nicht von interessirten Händen auf die Bühne geworfen. Nach zehnjährigen Mühen und Reisen war sie nicht reicher als zur Zeit, wo sie ihre Laufbahn begann; sie hatte es nicht verstanden zu spekuliren, noch mehr, sie hatte es nicht gewollt: zwei Bedingungen, unter welchen der Reichthum die Arbeiter keiner Classe wider ihren Willen aufsucht.

Außerdem hatte sie die oft bestrittene Frucht ihrer Mühen nicht zurückgelegt; sie hatte sie fortdauernd in guten Werken verwandt und in einem insgeheim einer thätigen Propaganda geweihten Leben hatten ihre Hülfsmittel sogar nicht immer ausgereicht; die Centralregierung der Unsichtbaren hatte zuweilen beigesteuert.

Welchen wirklichen Erfolg hatte die eifrige und unermüdliche Pilgerfahrt, die Albert und Consuelo durch Frankreich, England, Spanien und Italien machten? Für die Welt war er nicht sichtbar und ich glaube, man kann erst zwanzig Jahr später durch Folgerungen die Wirksamkeit der geheimen Gesellschaften in der Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts auffinden.

Hatten diese Gesellschaften in Frankreich größern Erfolg als im Schooße Deutschlands, das sie erzeugt hatte? Die französische Revolution antwortete mit einem energischen Ja. Doch die europäische Verschwörung des Illuminatismus und die gigantischen Ideen. Weishaupt's zeigen auch, daß der göttliche Traum des heiligen Graal nicht aufgehört hatte, seit dreißig Jahren die deutschen Phantasien in Bewegung zu setzen trotz der Zerstreuung oder der Vernichtung der ersten Adepten.

Alle Zeitungsblätter sagen uns, daß die Porporina mit großem Beifall in Paris in den Opern Pergolese's, in London in Händel's Oratorien und Opern, in Madrid mit Farinelli, in Dresden mit der Faustina und der Mingotti, in Venedig, Rom und Neapel in den Opern und Kirchenmusiken Porpora's und der andern großen Meister sang.

Alle Schritte Albert's sind uns unbekannt. Einige Billets von Consuelo an Trenck oder an Wanda zeigen uns diese geheimnißvolle Person voll Glauben, Vertrauen, Thätigkeit und mehr als ein anderer Mensch in der Kraft eines klaren Geistes bis zu einer Zeit, wo gewisse Documente uns völlig mangeln. Folgendes ist in einem gewissen Kreis von Personen, die jetzt fast sämmtlich todt sind, über Consuelo's letztes Auftreten auf der Bühne erzählt worden.

Es war in Wien um das Jahr 1760. Die Sängerin konnte ungefähr dreißig Jahr alt sein; sie war, wie man sagt, schöner als in ihrer ersten Jugend. Ein reines Leben, geistig ruhige und körperlich mäßige Gewohnheiten hatten sie in der ganzen Fülle ihrer Anmuth und ihres Talents erhalten. Schöne Kinder begleiteten sie, doch ihren Gatten kannte man nicht, obwohl das öffentliche Gerücht behauptete, sie habe einen, und sei ihm unwiderruflich treu geblieben.

Nachdem Porpora mehrere Reisen in Italien gemacht hatte, war er wieder nach Wien gekommen und ließ eine neue Oper auf dem kaiserlichen Theater aufführen. Die zwanzig letzten Jahre dieses Meisters sind so dunkel, daß wir in keiner seiner Biographien den Namen dieses letzten Werkes haben auffinden können. Wir wissen nur, daß die Porporina darin die Hauptrolle mit einem unbestreitbaren Erfolg darstellte und den ganzen Hof zu Thränen rührte. Die Kaiserin geruhte zufrieden zu sein.

Aber in der Nacht, die diesem Triumphe folgte, erhielt die Porporina, durch einen unsichtbaren Boten, eine Nachricht, die sie mit Schrecken und Bestürzung erfüllte. Schon um 7 Uhr des Morgens, das heißt, in dem Augenblick wo die Kaiserin durch den treuen Diener gemeldet wurde, den man den Frotteur Ihrer Majestät nannte (weil sein Amt wirklich darin bestand, die Persiennen zu öffnen, Feuer zu machen und das Zimmer zu frottiren, während Ihre Majestät nach und nach munter wurde), zeigte sich die Porporina, die mit Geld und guten Worten alle Hüter der geheiligten Zugänge gewonnen hatte, an der Thür des kaiserlichen Schlafzimmers.

– Mein Freund, sagte sie zum Frotteur, ich muß mich der Kaiserin zu Füßen werfen. Das Leben eines rechtlichen Mannes ist in Gefahr; die Ehre einer Familie compromittirt. Ein großes Verbrechen wird vielleicht in wenig Tagen begangen, wenn ich nicht sogleich Ihre Majestät sehe. Ich weiß, Sie sind unbestechlich, ich weiß aber auch, daß Sie ein edler, großherziger Mann sind. Jedermann sagt es; Sie haben viele Gnadenbeweise erhalten, welche die stolzesten Herren nicht zu verlangen gewagt hätten.

– – Himmlische Güte! Sehe ich Sie endlich wieder, werthe Herrin? rief der Frotteur, die Hände faltend und seinen Federwedel zu Boden fallen lassend.

– Karl! rief Consuelo ihrerseits. O Dank Dir, Gott! ich bin gerettet. Albert hat selbst in diesem Schloß einen guten Engel.

– Albert! Albert! fragte Karl, ist er in Gefahr, großer Gott? Dann schnell herein, Signora, sollte ich auch fortgejagt werden … Und Gott weiß, daß ich meinen Platz nicht gern einbüße, denn ich thue dann und wann wohl Gutes und diene unserer heiligen Sache mehr, als ich es anderwärts thun könnte … Aber Albert! Still! die Kaiserin ist eine gute Frau, wenn sie nicht regiert, fügte er mit leiser Stimme hinzu. Treten Sie ein, man muß glauben, ich hätte Sie nicht gesehen. Der Fehler mag auf die schurkischen Diener zurückfallen, die nicht werth sind, einer Königin zu dienen, denn sie sagen ihr nur Lügen vor!

Consuelo trat ein, und als die Kaiserin ihre schlaftrunkenen Augen öffnete, sah sie sie kniend, wie nieder geworfen vor ihrem Bett.

– Wer ist das? fragte Marie Theresia, die Fußdecke mit einer angewöhnten Majestät, die nichts Gezwungenes mehr an sich hatte, über ihre Schultern werfend und sich in der Nachthaube und auf dem Kissen so stolz und furchtbar erhebend, als wenn sie auf einem Throne gesessen hätte, mit dem Diadem auf dem Haupte, und den Degen an der Seite.

– Gnädigste Frau, antwortete Consuelo, eine demüthige Unterthanin, eine unglückliche Mutter, eine verzweifelnde Gattin bittet kniend Ew. Majestät um das Leben und die Freiheit ihres Gatten. «

In diesem Augenblicke trat Karl ein und stellte sich sehr erstaunt.

– Unglückliche! rief er, Entsetzen und Wuth trefflich spielend, wer hat Ihnen erlaubt, hier einzutreten?

– Ich freue mich, Karl, sagte die Kaiserin, über Deine Wachsamkeit und Treue. In meinem Leben ist mir so etwas nicht begegnet, mit solcher Unverschämtheit aufgeschreckt zu werden!

– Eure Majestät sage ein Wort, erwiederte Karl keck, und ich bringe diese Frau vor Ihren Augen um!

Karl kannte die Kaiserin sehr genau; er wußte, daß sie gern vor Zeugen die Erbarmensvolle spielte und daß sie selbst vor ihrem Kammerdiener sich als große Königin und großherziges Weib zeigen mochte.

– Das ist zu großer Eifer! antwortete sie mit einem majestätischen und zugleich mütterlichen Lächeln. Geh, und laß die arme Frau sprechen. Sie weint. Ich bin bei keinem meiner Unterthanen in Gefahr. Was wollen Sie, Madame? Ei, ei, Du bists, schöne Porporina! Du wirst Deine Stimme mit so heftigem Schluchzen verderben.

– Gnädigste Frau, sagte Consuelo, ich bin seit zehn Jahren vor der katholischen Kirche verheirathet. Ich habe mir keinen einzigen Fehler gegen die Ehre vorzuwerfen. Ich habe rechtmäßige Kinder, und erziehe sie in der Tugend. Ich wage also …

– In der Tugend, das weiß ich, antwortete die Kaiserin, doch nicht in der Religion. Du bist tugendhaft, wie man mir gesagt hat, gehst aber nie in die Kirche. Doch sprich. Welches Unglück hat Dich betroffen?

– Mein Gatte, von dem ich mich nie getrennt habe, ist jetzt in Prag, begann die Bittende, und ist, ich weiß nicht durch welche schändliche Machination, verhaftet, in einen Kerker geworfen und angeklagt worden, einen Namen und einen Rang sich anzumaßen, der ihm nicht gebührt, sich eine Erbschaft aneignen zu wollen, kurz ein Intrigant, ein Betrüger, ein Spion zu sein, deshalb des Hochverraths angeklagt und zu: ewigem Gefängniß, vielleicht bereits zum Tode verurtheilt.

– In Prag? Ein Betrüger? fragte die Kaiserin ruhig. Ich habe eine solche Geschichte in den Berichten meiner geheimen Polizei gelesen. Wie nennt sich Ihr Mann? Denn Ihr tragt nicht den Namen Eures Gatten.

– Er heißt Liverani.

– Das ist's. Nun, liebes Kind, es thut mir sehr leid, Dich an einem solchen Elenden verheirathet zu wissen. Dieser Liverani ist wirklich ein Glücksritter oder ein Narr, der, Dank einer vollkommenen Aehnlichkeit, sich für einen Grafen Rudolstadt, der vor länger als zehn Jahren gestorben ist, ausgiebt. Die Sache ist begründet. Er hat sich bei einem alten Stiftsfräulein von Rudolstadt eingeschlichen, deren Neffe er zu sein behauptet und deren Vermögen er gewiß an sich gebracht hätte, wenn die alte kindisch gewordene Frau im Augenblick, wo sie ihr Testament zu seinen Gunsten machen wollte, nicht von rechtlichen, ihrer Familie ergebenen Leuten von ihm befreit worden wäre. Man hat ihn verhaftet und daran sehr wohl gethan.

Ich begreife Deinen Kummer, kann aber hier nicht helfen. Man leitet den Proceß ein. Wenn es anerkannt ist, daß dieser Mensch, wie ich es gern glauben möchte, geisteskrank ist, wird man ihn in eine Heilanstalt bringen, wo Du ihn sehen und pflegen kannst. Aber wenn er, wie ich fürchte, ein Betrüger ist, dann muß man ihn etwas strenger verwahren, um ihn zu verhindern, die wahre Erbin der Rudolstadt, eine Baronin Amalie, wie ich glaube, die nach einigen jugendlichen Verirrungen, im Begriff ist, sich mit einem meiner Offiziere zu vermählen, im Besitz zu stören.

Ich glaube gern, Mademoiselle, daß Sie um das Betragen Ihres Mannes nichts weiß und über seinen Charakter im Irrthum ist: sonst würde ich Ihre Bitte sehr unpassend finden. Doch ich beklage Sie zu sehr, um Sie demüthigen zu wollen … Sie kann sich entfernen.

Consuelo sah, daß sie nichts zu hoffen hatte, und daß sie Liverani's Sache noch schlimmer machen würde, wenn sie versuchte seine Identität mit Albert von Rudolstadt nachzuweisen. Sie erhob sich und wankte bleich und einer Ohnmacht nahe der Thür zu. Maria Theresia, die ihr mit forschendem Blicke folgte, hatte Mitleid mit ihr, rief sie zurück und sagte mit weniger schroffem Tone:

– Sie ist sehr zu beklagen. Das alles ist nicht Ihre Schuld, ich sehe es wohl. Beruhige Sie sich und schone Sie sich. Die Sache soll genau untersucht werden; und wenn Ihr Mann sich nicht selbst ins Verderben stürzen will, so werde ich dafür sorgen, daß man ihn als wahnsinnig behandelt. Wenn Sie mit ihm sprechen kann, so gebe Sie ihm davon einen Wink. Das ist der einzige Rath, den ich Ihr geben kann.

– Ich werde ihn befolgen und segne Eure Majestät dafür. Aber ohne Ihren Schutz vermag ich nichts. Mein Gatte ist in Prag verhaftet und ich bin am kaiserlichen Theater in Wien engagirt. Wenn Eure Majestät mir nicht einen Urlaub zu gewähren und einen Befehl zu übergeben geruht, um mit meinem Gatten, der in strenger Haft ist …

– Sie verlangt viel! Ich weiß nicht, ob Herr von Kaunitz Ihr den Urlaub geben will und ob es möglich ist, Sie am Theater zu ersetzen. Wir werden das in einigen Tagen sehen.

– In einigen Tagen? … rief Consuelo, ihren Muth wiederfindend. In einigen Tagen ist es vielleicht nicht mehr Zeit! Ich muß sogleich fort!

– Genug, sagte die Kaiserin. Ihre Beharrlichkeit wird Ihr verderblich werden, wenn Sie sie vor weniger ruhigen und nachsichtigen Richtern als ich es bin, zeigt. Geh Sie, Mademoiselle.

Consuelo eilte zum Kanonikus und übergab ihm ihre Kinder, indem sie ihm ankündigte, daß sie verreise, und die Länge ihrer Abwesenheit nicht bestimmen könne.

– Wenn Du sie für lange Zeit verlässest, um so schlimmer! antwortete der gute Greis. Ueber die Kinder beklage ich mich nicht. Sie sind gut erzogen und werden für Angela eine Gesellschaft sein, denn sie langweilt sich doch ein wenig bei mir.

– Hören Sie! nahm Consuelo das Wort, die ihre Thränen nicht zurückhalten konnte, nachdem sie ihre Kinder noch einmal an ihr Herz gedrückt hatte; sagen Sie ihnen nicht, daß meine Abwesenheit lange dauern wird, aber erfahren Sie, daß sie vielleicht eine ewige sein kann. Vielleicht warten meiner Schmerzen, von denen ich mich nicht wieder erhole, wenn Gott kein Wunder zu meinen Gunsten thut. Bitten Sie für mich und lassen Sie meine Kinder bitten.

Der gute Kanonikus versuchte es nicht, ihr ihr Geheimniß zu entreißen; doch da sein friedliches unbesorgtes Gemüth nicht leicht den Gedanken eines Unglücks ohne Rettung zugab, suchte er sie zu trösten. Als er sah, daß es ihm nicht gelang ihr Hoffnung einzuflößen, wollte er ihr Herz wenigstens über das Schicksal ihrer Kinder beruhigen.

Lieber Bertoni, sagte er im herzlichsten Tone zu ihr, indem er trotz seiner Thränen eine heitere Miene anzunehmen sich bemühte. Wenn Du nicht wieder kommst, so gehören Deine Kinder mir, bedenke das wohl! Ich übernehme ihre Erziehung. Ich werde Deine Tochter verheirathen; das wird Angela's Mitgift ein wenig schmälern, sie aber auch fleißiger machen. Aus den Knaben aber, das sage ich Dir gleich, mache ich Musiker!

– Joseph Haydn wird diese Last theilen, erwiederte Consuelo, die Hände des Kanonikus küssend, und auch der alte Porpora wird ihnen wohl noch einigen Unterricht ertheilen. Meine guten Kinder sind gelehrig und verrathen Fassungskraft; ihr materielles Dasein beunruhigt mich nicht. Sie werden eines Tages ehrlich ihr Leben gewinnen können. Aber meine Liebe und meine Lehren … Nur Sie können meine Stelle bei ihnen ersetzen.

– Und das verspreche ich Dir, rief der Kanonikus; ich hoffe lange genug zu leben, um sie noch Alle im Leben festgestellt zu sehen. Ich bin noch nicht zu stark, und mein Bein ist noch immer fest. Ich bin erst sechszig Jahr alt, obgleich früher die schändliche Brigitta mich alt machen wollte, damit ich mein Testament machen sollte. Nun, liebe Tochter, Muth und Gesundheit! Reise und komm wieder! Der gute Gott ist mit den ehrlichen Leuten.

Ohne sich weiter um ihren Urlaub zu bekümmern, ließ Consuelo Postpferde kommen. Aber im Augenblick, wo sie in den Wagen steigen wollte, wurde sie vom Porpora zurückgehalten, den sie nicht hatte sehen wollen, weil sie den Sturm ahnte und der erschrak als er sie im Begriff zu reisen sah. Er fürchtete, trotz ihrer Versprechungen, die sie mit zerstreutem, gezwungenen Wesen gab, sie würde zur Oper des folgenden Tages nicht wieder zurück sein.

– Wer Teufel denkt daran, mitten im Winter aufs Land zu gehen? sagte er mit einem, halb durch das Alter, halb von Zorn und Furcht hervorgebrachten nervösen Zittern. Wenn Du heiser wirst, so ist mein Erfolg hin und das wäre schön! Ich begreife Dich nicht. Wir haben gestern gesiegt, und heute willst Du reisen!

Dieser Streit ließ Consuelo eine Viertelstunde verlieren und gab der schon aufmerksam gewordenen Theaterdirection Zeit, die Behörde in Kenntniß zu setzen. Ein Piket Uhlanen ließ wieder abspannen. Man bat Consuelo wieder in ihre Wohnung zu gehen und umgab das Haus mit Wachen um ihre Flucht zu verhindern.

Das Fieber ergriff sie. Sie bemerkte es nicht und fuhr fort in einer Art Wahnsinn in ihrem Gemach auf und abzugehen, nur mit düstern, stieren Blicken auf die zornigen Fragen Porpora's und des Directors antwortend. Sie legte sich nicht nieder und brachte die Nacht im Gebet zu. Am Morgen schien sie ruhig und ging auf Befehl in die Probe. Ihre Stimme war nie schöner gewesen, aber sie litt an Zerstreuungen, die den Porpora entsetzten.

– O verfluchte Heirath! o höllische Thorheit der Liebe! murmelte er im Orchester, auf sein Klavier aufschlagend, als wollte er es zerbrechen.

Der alte Porpora war noch immer derselbe; er hätte gern gesagt: Alle Liebhaber und Ehemänner der Welt mögen eher sterben als meine Oper!

Am Abend machte Consuelo ihre Toilette wie gewöhnlich und betrat die Bühne. Sie begann zu spielen und ihre Lippen bewegten sich … Doch kein Ton drang aus ihrer Brust, sie hatte die Stimme verloren.

Das Publikum erhob sich in Masse in stummem Staunen. Die Höflinge, welche nach und nach von ihrem Versuch zur Flucht hörten, erklärten es für eine unerträgliche Caprice. Auf jeden neuen Versuch der Sängerin folgte Geschrei, Hohngelächter, Beifallgeklatsch. Sie versuchte zu sprechen und konnte kein Wort hören lassen. Doch blieb sie auf dem Theater, stehend und düster, ohne an den Verlust ihrer Stimme zu denken, ohne sich durch den Unwillen ihrer Tyrannen gedemüthigt zu fühlen, stolz und ergeben gleich einem zu einer ungerechten Strafe verurtheilten Unschuldigen und Gott dankend, daß er ihr dieses plötzliche Gebrechen gesandt habe, das ihr erlaube, das Theater zu verlassen und sich zu Albert zu begeben.

Man schlug der Kaiserin vor, die widerspänstige Künstlerin in Verhaft zu schicken, damit sie ihre Stimme und ihren guten Willen wiederfände. Ihre Majestät war einen Augenblick lang zornig gewesen und man glaubte ihren Beifall zu gewinnen, wenn man die Schuldige mit Schmähungen überhäufe. Doch Maria Theresia, die wohl zuweilen Verbrechen zugab, aus denen sie Gewinn zog, ließ Andere nicht gern ohne Noth leiden.

– Kaunitz, sagte sie zu ihrem Premierminister, laßt dem armen Geschöpfe eine Erlaubniß zur Abreise ausstellen, und es sei nicht mehr davon die Rede. Wenn das Verschwinden der Stimme eine Kriegslist ist, so ist es doch wenigstens ein Zeugniß der Tugend. Wenig Sängerinnen möchten eine Stunde des Triumphes einem Leben ehelicher Liebe aufopfern.

Mit den nöthigen Vollmachten versehen, reiste endlich Consuelo, zwar noch immer krank, doch ohne es zu fühlen. Hier verlieren wir abermals den Faden der Ereignisse.

Albert's Proceß hätte ein berühmter Rechtsfall werden können, man machte einen geheimen daraus. Wahrscheinlich war es im Grunde ein ähnlicher Proceß wie der, den zu derselben Zeit Friedrich von Trenck anfing, fortführte und endlich nach langjährigem Kampfe verlor. Wer würde heutzutage in Frankreich die Einzelnheiten dieser ungerechten Sache kennen, wenn Trenck selbst nicht Sorge getragen hätte sie zu veröffentlichen und seine heftigen Klagen dreißig Jahre seines Lebens hindurch zu wiederholen?

Aber Albert ließ keine Schriften zurück. Wir sind also genöthigt, uns zur Geschichte des Freiherrn von Trenck zu wenden, weil auch er einer unserer Helden ist und vielleicht werfen seine Verlegenheiten einiges Licht auf das Unglück Alberts und Consuelo's.

Kaum vier Wochen nach der Versammlung des heiligen Graal, eines Umstands, über welchen Trenck in seinen Memoiren das tiefste Geheimniß beobachtet hat, ward er wieder ergriffen und in Magdeburg eingeschlossen, wo er die zehn schönsten Jahre seiner Jugend in einem abscheulichen Kerker zubrachte, auf einem Stein sitzend, der schon im Voraus die Aufschrift trug: Hier ruht Trenck! und mit achtzig Pfund schweren Eisen beladen.

Jedermann kennt dieses berühmte Unglück, die gehässigen Umstände, die es begleiteten, z. B. die Hungerqualen, die man ihn achtzehn Monate lang ertragen ließ und wie man auf Kosten seiner Schwester ein Gefängniß für ihn bauen ließ, um diese durch Verarmung dafür zu bestrafen, daß sie ihm ein Asyl gegeben hatte, seine wunderbaren Versuche zur Flucht, die unglaubliche Energie, die ihn nie verließ und durch seine chevaleresken Unklugheiten vereitelt wurde, seine kunstreichen Arbeiten im Gefängniß, die herrlichen Ciselierarbeiten, die er mit einer Nagelspitze auf zinnerne Becher machte und deren allegorischer Charakter und Sinnsprüche so tiefsinnig und rührend sind Man zeigt noch manche in einigen Privatmuseen Deutschlands.; endlich seine geheimen Verbindungen mit der Prinzessin von Preußen, trotz aller Hindernisse; die Verzweiflung, die diese erfaßte, die Sorge, die sie nahm, sich durch eine ätzende Flüssigkeit, die ihr fast das Augenlicht raubte, häßlich zu machen, den beklagenswerthen Zustand, in den sie freiwillig ihre Gesundheit brachte, um der Nothwendigkeit einer Vermählung zu entgehen, die entsetzliche Umwandlung, die ihren Charakter traf; endlich diese zehn Jahre, die aus Trenck einen Märtyrer, aus seiner erlauchten Geliebten ein altes, häßliches, boshaftes Weib, statt eines Engels an Sanftmuth und Schönheit machten, wie sie es vor kurzem noch gewesen und im Glücke hätte immer sein können Man sehe bei Thiébault das Portrait der Aebtissin von Quedlinburg und die sonderbaren Aufschlüsse, die beigefügt sind..

Das Alles ist historisch, doch hat man sich nicht genug daran erinnert, wenn man Friedrich des Großen Portrait entwarf. Dieses von nutzlosen, raffinirten Grausamkeiten begleitete Verbrechen ist in dem Gedächtniß des philosophischen Despoten ein unvertilgbarer Flecken.

Endlich wurde Trenck, wie man weiß, durch Vermittelung Maria Theresia's in Freiheit gesetzt, die ihn als ihren Unterthan reclamirte; und dieser verspätete Schutz wurde endlich durch die Sorgfalt des Kammerfrotteurs Ihrer Majestät, ebenfalls unsers Karls, für ihn gewonnen. Ueber die sinnreichen Intriguen dieses edelmüthigen Plebejers bei seiner Souveränin liest man in den Memoiren der Zeit manches Interessante und Rührende.

In den ersten Jahren von Trenck's Gefangenschaft war sein Vetter, der berühmte Pandure, das Opfer viel verdienterer, aber nicht weniger gehässiger und furchtbarer Anklagen auf dem Spielberg an Gift gestorben. Kaum war Trenck, der Preuße, frei, als er nach Wien ging, um die ungeheure Hinterlassenschaft des österreichischen Trenck in Anspruch zu nehmen.

Doch Maria Theresia war keinesweges der Meinung, sie ihm zu geben. Sie hatte aus den Thaten des Panduren Nutzen gezogen, sie hatte seine Gewaltthätigkeiten bestraft, sie wollte auch seinen Raub an sich reißen, und that es wirklich. Wie Friedrich II., wie alle große, gekrönte Geister, machte sie sich, während der Glanz ihrer Rolle die Massen blendete, kein Gewissen aus jenen Ungerechtigkeiten, von denen Gott und die Menschen am Tage des Gerichts Rechenschaft fordern und die eben so schwer in der einen Wagschaale, wie die officiellen Tugenden in der andern wiegen werden.

Eroberer und Fürsten, vergeblich verwendet Ihr Eure Schätze zum Baue von Tempeln, Ihr seid deshalb nicht weniger gottlos, wenn auch nur ein einziges Stück dieses Geldes durch Blut erkauft ist. Vergeblich unterwerft Ihr ganze Raçen durch die Macht Eurer Waffen: die durch den Zauber des Ruhms verblendetsten Menschen werden Euch einen Vorwurf daraus machen, wenn Ihr auch nur einen Menschen, einen einzigen Grashalm kaltblütig zertreten habt.

Die noch blinde und wankende Muse der Geschichte gesteht fast ein, daß es in der Vergangenheit große, nothwendige und zu rechtfertigende Verbrechen gäbe; aber das unverletzbare Gewissen der Menschheit protestirt gegen ihren eigenen Irrthum, indem sie wenigstens die Verbrechen tadelt, die zum glücklichen Erfolg großer Ereignisse nutzlos sind.

Die habgierigen Pläne der Kaiserin wurden bewundernswürdig unterstützt durch ihre Beamten, die schmutzigen Agenten, die sie zu Verwaltern des Vermögens des Panduren ernannt hatte, und die leicht bestechlichen Richter, welche über das Erbrecht den Ausspruch thaten. Jeder hatte seinen Antheil an der Beute.

Maria Theresia glaubte den des Löwen zu gewinnen; sie irrte sich aber. Vergeblich schickte sie einige Jahre später die untreuen Mitschuldigen dieser großen Betrügereien auf die Galeeren; sie konnte die vollständigen Güter des Panduren nicht wieder erhalten. Trenck war ruinirt und erhielt niemals Gerechtigkeit.

Nichts läßt uns besser Maria Theresia's Charakter erkennen, als dieser Theil von Trenck's Memoiren, wo er seine Gespräche mit ihr über diesen Gegenstand erzählt. Ohne die Achtung gegen die königliche Würde aus den Augen zu setzen, die damals für den Adel eine Art von Gottesdienst war, läßt er uns die Gefühllosigkeit, die Heuchelei und die Habgier dieses großen Weibes ahnen, die in sich eine Menge Contraste vereinigte, einen eben so großartigen als kleinlichen, ebenso naiven als verderbten Charakter, wie alle schöne Seelen im Kampfe mit der Verderbniß der absoluten Macht, dieser Ursache jedes Uebels, dieser unvermeidlichen Klippe, an welcher alle edle Gefühle zu scheitern bestimmt sind.

Entschlossen, den Kläger nicht zu unterstützen, geruhte die Fürstin oft, ihn zu trösten, ihm Hoffnung zu machen, ihm ihren Schutz zu versprechen gegen die schändlichen Richter, die ihn plünderten, und endlich nahm sie den Schein an, in der Aufsuchung der Wahrheit gescheitert zu sein, in dem Labyrinth dieses unendlichen Processes sich nicht zurecht finden zu können, und bot ihm zur Entschädigung einen dürftigen Majorsrang und die Hand einer alten, häßlichen, frömmelnden und galanten Dame an.

Auf Trenck's Weigerung erklärte ihn die ehetolle Kaiserin für einen Narren, einen anmaßenden Menschen, sie wisse nicht, wie sie seinen Ehrgeiz befriedigen solle, und wandte ihm den Rücken, um sich nicht mehr mit ihm zu beschäftigen.

Die Gründe, welche man hervor hob, um das Vermögen des Panduren zu confisciren, hatten sich nach den Personen und Umständen verändert. Manches Tribunal entschied: der, unter einer infamirenden Anklage verstorbene Pandure wäre nicht fähig gewesen ein Testament zu machen; ein anderes: wenn es auch ein gültiges Testament gäbe, so wären es doch die Rechte des Erben, als preußischer Unterthan, nicht; ein drittes endlich behauptete: die Schulden des Verstorbenen hätten die Nachlassenschaft bei weitem überstiegen u. s. w. Man erhob Beschwerden auf Beschwerden, verkaufte manchesmal die Gerechtigkeit dem Kläger, gab sie ihm aber nie Wir geben hier, um nicht mehr darauf zurückkommen zu dürfen, dem Leser die fernem Lebensschicksale Trenck's. Er ward in Dürftigkeit alt, verwandte seine Thatkraft auf die Herausgabe von Journalen, die für seine Zeit eine sehr starke Opposition bilden und flüchtete, mit einer Gattin seiner Wahl vermählt, Vater zahlreicher Kinder, seiner Meinungen, Schriften und wahrscheinlich auch seiner Verbindungen mit den geheimen Gesellschaften wegen verfolgt, in einem schon vorgerückten Alter nach Frankreich. Er wurde hier mit der Begeisterung und dem Vertrauen der ersten Zeiten der Revolution aufgenommen. Aber bestimmt, das Opfer der verhängnißvollsten Irrthümer zu werden, ward er in der Schreckenszeit als verdächtig verhaftet und auf das Schaffot geführt. Er betrat es mit großer Festigkeit. Kurz vorher war er auf der Bühne verherrlicht und dargestellt worden in einem Melodrama, das die Geschichte seiner Gefangenschaft und seiner Befreiung schilderte. Er hatte mit Entzücken die französische Freiheit begrüßt. Auf dem Todeskarren sagte er lächelnd: »Das ist wieder eine Comödie!«.

Um Albert zu berauben und zu ächten, brauchte man solche Kunstgriffe nicht und die Raubgier befriedigte sich wahrscheinlich ohne solche Umstände. Es genügte, ihn als todt zu betrachten und ihm das Recht zu nehmen, zur Unzeit wieder ins Leben zu treten. Albert hatte wahrscheinlich keine Ansprüche erhoben. Wir wissen nur, daß zur Zeit seiner Verhaftung das Stiftsfräulein Wenceslawa in Prag gestorben war, wohin sie sich einer heftigen Augenkrankheit wegen gewendet hatte.

Als Albert erfuhr, daß sie dem Tode nahe sei, konnte er der Stimme seines Herzens nicht widerstehen, die ihm befahl, seiner theuren Tante die Augen zuzudrücken. Er verließ Consuelo an der österreichischen Grenze und eilte nach Prag. Es war das erste Mal, daß er seit seiner Verheirathung Deutschland wieder betrat. Er schmeichelte sich, eine zehnjährige Abwesenheit und eine gewisse Vorsicht in der Bekleidung würde ihn vor dem Wiedererkennen schützen, und er näherte sich seiner Tante ohne großes Geheimniß. Er wollte ihren Segen gewinnen und durch einen letzten Beweis der Liebe und des Schmerzes die Einsamkeit wieder gut machen, in der er sie hatte lassen müssen.

Das fast blinde Stiftsfräulein wurde nur von dem Ton seiner Stimme betroffen. Sie gab sich keine Rechenschaft von ihren Gefühlen, überließ sich aber dem Instinkt der Zärtlichkeit, welche bei ihr das Gedächtniß und die Thätigkeit der Vernunft überlebt hatte. Sie drückte ihn in ihre altersschwachen Arme und nannte ihn ihren geliebten Albert, ihren für immer gesegneten Sohn.

Der alte Hans war todt, doch die Baronin Amalie und eine Frau aus dem Böhmerwalde, welche bei dem Stiftsfräulein diente und die früher bei Albert selbst Krankenwärterin gewesen war, staunten und erschraken über die Aehnlichkeit dieses angeblichen Arztes mit dem jungen Grafen. Es scheint jedoch nicht, daß ihn Amalie erkannt hätte; wir wollen sie nicht für mitschuldig an der Verfolgung ansehen, die erbittert über ihn ausbrach.

Wir wissen nicht, durch welche Umstände eine Masse von Agenten, die halb Magistratspersonen, halb Polizeispione waren und mit deren Hülfe der Wiener Hof die unterworfenen Nationen regierte, aufmerksam gemacht wurden. Gewiß ist nur, daß das Stiftsfräulein in den Armen ihres Neffen kaum den letzten Athemzug gethan hatte, als dieser verhaftet und über seinen Stand und seine Absichten befragt wurde, die ihn an das Bett der Sterbenden gebracht hätten. Man verlangte sein Doctordiplom zu sehen; er besaß eines in gehöriger Form; doch man bestritt seinen Namen Liverani und manche Leute erinnerten sich, ihm an andern Orten unter dem des Trismegistus begegnet zu sein.

Man klagte ihn an, das Amt eines Quacksalbers und Zeichendeuters geübt zu haben. Man konnte nicht beweisen, daß er für seine Kuren je Geld erhalten hätte. Man stellte ihn der Baronin Amalie gegenüber, und das war sein Verderben. Durch die Nachforschungen, denen man ihn unterwarf, erzürnt und aufs Aeußerste getrieben, des ewigen Verbergens und der Verkleidung müde, gestand er in einer belauschten Unterredung seiner Cousine, daß er Albert von Rudolstadt sei. Amalie erkannte ihn wahrscheinlich in diesem Augenblicke wieder; doch durch ein so sonderbares Ereigniß zu Boden geschmettert, sank sie in Ohnmacht. Von jetzt an nahm die Sache eine andere Wendung.

Man wollte in Albert einen Betrüger erkennen; doch um eine jener nie zu beendenden Fragen, die beide Parteien ruiniren, aufzubringen, beharrten einige Beamte von der Art derjenigen, die Trenck seines Vermögen beraubt hatten, den Angeklagten dadurch zu compromittiren, daß sie ihn in seiner Aussage, er sei Albert von Rudolstadt, unterstützten.

Es erfolgte eine lange Untersuchung. Man rief Superville's Zeugniß auf, der, wahrscheinlich ohne bösen Willen, sich weigerte, an seinem Tode auf der Riesenburg zu zweifeln. Man befahl die Ausgrabung seines Leichnams und fand in seinem Grabe ein Skelett, das man leicht am Tage zuvor hatte hinein legen können. Man überredete seine Cousine, daß sie mit einem Abenteurer zu thun hätte, der sie ihres Erbes berauben wolle. Wahrscheinlich erlaubte man ihnen nicht mehr, sich zu sehen. Man erstickte die Klagen des Gefangenen und die eifrigsten Reclamationen seiner Gattin hinter den Ringen und Qualen des Gefängnisses. Vielleicht waren sie krank und dem Tode nahe in getrennten Kerkern.

Sobald der Prozeß einmal angefangen war, konnte Albert nur durch die Wahrheit seine Ehre und die Freiheit wieder erlangen. Doch mochte er seine Verzichtleistung auf die Erbschaft so viel betheuern, als er wollte, vergeblich gelobte er alle seine Ansprüche seiner Cousine zur Stunde abzutreten; man wollte den Prozeß verlängern und verwirren, und das war nicht schwer, sei es nun, daß die Kaiserin getäuscht wurde, sei es, daß man ihr den Glauben beibrachte, die Einziehung des Vermögens sei eben so wenig zu verwerfen, als die des Panduren.

Zu diesem Zwecke suchte man mit Amalien selbst Streit, man kam unter der Hand auf das Skandal ihrer Flucht zurück; man hob ihren Mangel an Frömmigkeit hervor und bedrohte sie ins Geheim, sie in ein Kloster einzuschließen, wenn sie ihren Rechten auf eine strittige Erbschaft nicht entsagte. Sie mußte es thun und sich mit der Erbschaft ihres Vaters begnügen, die durch die ungeheuren Kosten, welche sie für einen Prozeß bezahlen mußte, zu dem sie gezwungen worden war, sehr zusammenschmolz.

Endlich wurden das Schloß und die Besitzungen der Riesenburg von Staatswegen confiscirt, sobald die Agenten, Advocaten, Richter &c. von dieser Beute fast zwei Drittheile ihres Werthes im Voraus für sich weggenommen hatten.

Das ist unsere Ansicht über diesen geheimnißvollen Prozeß, der fünf oder sechs Jahre dauerte und in Folge dessen aus besonderer Huld der Kaiserin Albert als ein gefährlicher Geisteskranker aus den österreichschen Staaten gejagt wurde. Von dieser Zeit an ist es ziemlich gewiß, daß den beiden Gatten ein unbekanntes und immer dürftigeres Leben zufiel. Sie nahmen ihre jüngsten Kinder mit sich. Haydn und der Canonicus weigerten sich zärtlich, ihnen die ältesten mit zu geben, die unter den Augen und auf Kosten dieser treuen Freunde erzogen wurden.

Consuelo hatte unwiderruflich ihre Stimme verloren und es scheint nur zu gewiß, daß die Gefangenschaft, die Unthätigkeit und der Schmerz um die Leiden, welche seine Gefährtin erlitt, Albert's Vernunft von Neuem erschüttert hatten. Doch scheint es nicht, daß ihre Liebe weniger zärtlich, ihr Geist weniger stolz, ihr Leben weniger rein geworden wäre.

Die Unsichtbaren waren durch Verfolgungen zerstreut. Das Werk war besonders durch die Charlatane, die auf den Enthusiasmus der neuen Ideen und auf die Liebe zum Wunderbaren speculirt hatten, vernichtet worden. Von Neuem als Freimaurer in den Ländern der Intoleranz und des Despotismus verfolgt, mußte sich Albert nach Frankreich oder England flüchten. Vielleicht setzte er hier seine Propaganda fort; doch wahrscheinlich nur unter dem Volke, und wenn seine Mühen fruchtbringend waren, so machten sie doch kein Aufsehen.

Hier ist eine große Lücke, wo unsere Phantasie nichts ergänzen kann. Doch noch ein authentisches und sehr ausführliches Document läßt uns um das Jahr 1774 das Paar im Böhmerwalde herumirrend finden. Wir wollen dieses Document, wie es uns zugekommen ist, abschreiben. Es ist für uns das letzte Wort über Albert und Consuelo; denn von ihrem fernern Leben und ihrem Tode wissen wir durchaus nichts.

Brief Philo's
an
Ignaz Joseph Martinowicz,
Professor der Physik an der Universität Lemberg.

Fortgerissen von seinem Sturmwind, wie die Trabanten eines Philo: Wahrscheinlich der berühmte Freiherr von Knigge, im Orden der Illuminaten unter dem Namen Philo bekannt.

königlichen Gestirns, sind wir Spartacus Bekanntlich war das der Beiname Adam Weishaupt's. Wird wirklich hier von ihm gesprochen? Alles läßt daran glauben. über die schroffen Fußsteige und durch die einsamsten Waldungen des Böhmerwaldes gefolgt. O, Freund, warum warst du nicht bei uns! Du hättest vergessen in dem silbernen Bett der Ströme Kiesel aufzulösen und wechselsweise die Adern und die Gebeine unsrer geheimnißvollen Mutter, der terra parens, zu untersuchen. Das glühende Wort des Meisters gab uns Flügel; wir überschritten die Schluchten und die Gipfel, ohne unsere Schritte zu zählen, ohne die Abgründe zu unsern Füße zu erblicken, die wir beherrschten, ohne am Horizont die ferne Lagerstätte aufzusuchen, wo wir die Ruhe des Abends finden sollten.

Niemals hatte uns Spartacus großartiger und von der allmächtigen Wahrheit durchdrungener geschienen. Die Schönheiten der Natur wirken auf seine Phantasie wie die eines großen Gedichts und bei den Blitzen seines Enthusiasmus verläßt ihn sein Geist gelehrter Forschungen und geistreicher Combinationen niemals ganz. Er erklärt den Himmel und die Gestirne, die Erde und die Meere mit derselben Klarheit und Ordnung, welche in seinen Abhandlungen über das Recht und die dürren Angelegenheiten dieser Welt herrschen.

Doch, wie wächst sein Geist, wenn er allein und frei mit seinen auserwählten Schülern unter dem gestirnten Himmelsbogen oder Angesichts der die Sonne verkündenden Feuer der Morgenröthe Zeit und Raum überschreitet, um mit einem Blick das Menschengeschlecht im Ganzen und Einzelnen zu umfassen, um das wandelbare Geschick der Reiche und die mächtige Zukunft der Völker zu durchdringen!

Du hast ihn auf seinem Lehrstuhl gehört, diesen jungen Mann mit dem klaren Wort; warum hast du ihn nicht auf den Bergen gesehen und gehört, diesen Mann, in dem die Weisheit den Jahren zuvoreilt und der unter den Menschen seit der Kindheit der Welt gelebt zu haben scheint!

Angekommen an den Gruben Cuttenberg's begrüßten wir das Land, welches die Thaten des großen Ziska sah, und beugten uns noch tiefer vor den Schlünden, die den alten Märtyrern der alten Nationalfreiheit zum Grabe dienen. Hier beschlossen wir uns zu trennen, um nach allen Richtungen zu gleicher Zeit unsere Forschungen und Erkundigungen auszudehnen. Cato Ohne Zweifel Xavier Zwackh, welcher Hofrath und weil er eines der vorzüglichsten Häupter des Illuminatismus war, mit Verbannung bestraft wurde. ging nach Nordosten, Celsus Bader, Illuminat und Leibarzt der verwittweten Kurfürstin von Bayern. nach Südosten, Ajax Masserhausen, Illuminat und Rath in München. folgte der Richtung vom Niedergang nach dem Ausgang, und der allgemeine Sammelplatz war Pilsen.

Spartacus behielt mich bei sich und beschloß, dem Zufall nachzugehen, weil er, wie er sagte, auf eine gewisse geheime Inspiration, auf das Glück rechne, das uns leiten werde. Ich wunderte mich ein wenig über dieses Aufgeben der Berechnung und Ueberlegung; es schien mir mit seinen methodischen Gewohnheiten nicht verträglich.

– Philon, sagte er zu mir, als wir allein waren, ich glaube wohl, daß Menschen wie wir, die Diener der Vorsehung hienieden sind; aber meinst du, ich halte diese mütterliche Vorsehung, durch welche wir fühlen, wollen und handeln, für thatlos und verächtlich? Ich habe bemerkt, daß du von ihr mehr begünstigt bist, als ich; deine Pläne gelingen fast immer. Vorwärts also, ich folge dir und glaube an dein zweites Gesicht, dieses geheimnißvolle Licht, welches unsere Väter des Illuminatismus, die frommen Fanatiker der Vergangenheit, arglos anriefen!

Es scheint wirklich, als hätte der Meister einen prophetischen Ausspruch gethan. Vor dem Ende des zweiten Tags hatten wir den Gegenstand unsrer Nachforschungen gefunden und ich wurde ungefähr auf folgende Weise das Werkzeug des Geschicks.

Wir waren an den Saum des Waldes gekommen und der Weg theilte sich vor uns in zwei Arme. Der eine vertiefte sich eilend in das tiefer gelegene Land, der andere folgte den sanften Abhängen des Gebirgs.

– Welchen schlagen wir ein? fragte mich Spartacus, indem er sich auf eine Felsentrümmer setzte. Ich sehe hier bebaute Felder, Wiesen und dürftige Hütten. Man hat uns gesagt, er sei arm, er muß bei den Armen sein. Erkundigen wir uns bei den demüthigen Hirten des Thales.

– Nein, Meister, antwortete ich, auf den Wege am Gebirge hinzeigend: Ich sehe zu meiner Rechten schroffe Hügel und die Einsturz drohenden Mauern eines alten Schlosses. Man hat uns gesagt, er sei Dichter, er muß die Ruinen und die Einsamkeit lieben.

– Auch sehe ich, erwiederte Spartacus lächelnd, Hesperus, weiß wie eine Perle, an dem noch rosigen Himmel über die Ruinen des alten Schlosses heraufsteigen. Wir sind die Hirten, welche einen Propheten suchen und der wunderbare Stern geht vor uns her.

Bald hatten wir die Ruinen erreicht. Es war ein mächtiger Bau, zu verschiedenen Zeiten gebaut; aber die Spuren der Zeit Kaiser Carls lagen neben denen der Feudalzeit. Nicht die Jahrhunderte, sondern die Hand des Menschen hatte erst vor Kurzem diese Vernichtung herbeigeführt.

Es war noch heller Tag, als wir die andere Seite eines trocknen Grabens hinaufklimmten und unter das verrostete und unbewegliche Fallgitter hindurchdrangen. Das Erste, was wir sahen, war ein mit seltsamen Lumpen bedeckter Greis, der auf den Trümmern am Eingang des Hofes saß und mehr einem Menschen der Vergangenheit, als der jetzigen Zeit glich; sein Bart, welcher die Farbe vergelbten Elfenbeins hatte, fiel auf die Brust herab, und sein kahler Schädel glänzte, wie die Oberfläche eines See's in den letzten Strahlen der Sonne.

Spartacus erzitterte, näherte sich ihm eilig und fragte ihn nach dem Namen des Schlosses. Der Greis schien uns nicht zu hören; er starrte uns mit den glasigen Augen an, die nicht zu sehen schienen. Wir fragten ihn nach seinem Namen; er antwortete uns nicht; in seinen Zügen lag der Ausdruck einer träumerischen Gleichgültigkeit, doch zeigten sie nicht den Ausdruck des Blödsinns; in seiner sokratischen Häßlichkeit lag jene Art Schönheit, die aus einem reinen, heitern Gemüthe kommt. Spartacus drückte ihm ein Geldstück in die Hand; er hielt es ganz nahe an seine Augen und ließ es fallen, als wenn er nicht wüßte, was er damit machen sollte.

– Ist es möglich, sagte ich zum Meister, daß ein Greis, des Gebrauchs seiner Sinne und seiner Vernunft gänzlich beraubt, fern von jeder Wohnung, mitten im Gebirg also verlassen sei, ohne einen Führer, ohne einen Hund, um ihn zu leiten und an seiner Statt zu betteln?

– Nehmen wir ihn mit uns und führen wir ihn zu einem Nachtlager, sagte Spartacus.

Doch als wir ihn aufrichten wollten, um zu sehen, ob er sich auf seinen Beinen halten könne, winkte er uns, ihn nicht zu stören, indem er einen Finger auf seine Lippen drückte und mit der andern Hand in den Hofraum deutete. Unsere Blicke wandten sich nach dieser Seite; wir sahen Niemand, doch sogleich wurden unsere Ohren von den Tönen einer Violine getroffen, voll Kraft und außerordentlicher Richtigkeit.

Ich habe nie einen Künstler seinem Bogenstrich eine solche Innigkeit und Fülle geben hören, nie eine so innige Uebereinstimmung der Saiten des Gemüths mit denen des Instruments vernommen. Die Melodie war einfach und erhaben. Sie glich in nichts dem, was ich in unsern Concerten und auf unsern Theatern gehört hatte. Sie durchdrang das Herz mit einem frommen und zugleich kriegerischen Gefühl.

Wir, der Meister und ich, sanken in einer Art Entzücken nieder und sagten uns durch unsere Blicke, daß hier etwas Großartiges und Geheimnißvolles vorgehe. Die Augen des Greises waren von einem unbestimmten Glanz, gleich dem der Ekstase, erhellt. Ein seliges Lächeln umschwebte seine welken Lippen und zeigte hinreichend, daß er weder taub, noch gefühllos sei.

Nach einer kurzen und göttlichen Melodie trat tiefe Stille ein und sogleich sahen wir aus den Ruinen einer uns gegenüber liegenden Kapelle einen Mann von reifem Alter hervortreten, dessen Aeußeres uns mit Achtung und Rührung erfüllte. Die Schönheit seines ernsten Gesichts und die edlen Verhältnisse seines Wuchses bildeten einen scharfen Contrast mit der Mißgestalt und den rohen Zügen des Greises, welchen Spartacus mit einem bekehrten und getauften Faun verglich.

Der Violinspieler trat gerade auf uns zu, sein Instrument unter dem Arm und seinen Bogen in einem ledernen Gürtel. Weite Beinkleider von grobem Stoff, Sandalen, welche den antiken Cothurnen glichen und ein Ueberwurf von Schafpelz, gleich denen, welche unsere Bauern an der Donau tragen, gaben ihm den Schein eines Hirten oder eines Landmanns, doch seine weißen und feinen Hände zeigten einen Mann, der den rauheren Arbeiten nicht gewidmet war. Es waren die Hände eines Künstlers, so wie auch die Anständigkeit seiner Kleidung und der Stolz seines Glückes gegen seine Dürftigkeit zu protestiren schienen und die häßlichen, erniedrigenden Folgerungen von sich wiesen.

Der Anblick dieses Mannes ergriff den Meister. Er drückte mir die Hand und ich fühlte, wie die seinige zitterte.

– Er ist's, sagte er zu mir. Ich wußte nicht, daß er Musiker war; aber ich erkenne sein Gesicht, ich sah es in meinen Träumen.

Der Violinspieler kam auf uns zu, ohne weder Verlegenheit noch Ueberraschung zu zeigen. Mit wohlwollender Würde erwiederte er den Gruß, den wir an ihn richteten und sagte, sich dem Greise nähernd:

– Wohlan, Zdenko, ich gehe, stütze Dich auf Deinen Freund.

Der Greis bemühte sich aufzustehen, der Musiker erhob ihn in seinen Armen und sich zu ihm herabbeugend, als wolle er ihm als Stock dienen, leitete er seine wankenden Schritte, indem er seinen Gang nach dem seinigen mäßigte. In dieser kindlichen Sorgfalt, in dieser Geduld eines edlen und schönen, noch lebhaften und kräftigen Mannes, der unter dem Gewicht eines in Lumpen gehüllten Greises langsam dahinschritt, lag wo möglich noch etwas Rührenderes, als die sorgliche Aufmerksamkeit einer jungen Mutter, die ihren Schritt nach den ersten, ungewissen Schritten ihres Kindes abmißt.

Ich sah die Augen des Meisters sich mit Thränen füllen und auch ich wurde bewegt, als ich abwechselnd unsern Spartacus, diesen Mann voll Genie und Zukunft und diesen Unbekannten betrachtete, in welchem ich dieselbe Größe, im Dunkel der Vergangenheit begraben, ahnete.

Entschlossen, ihm zu folgen und ihn zu fragen, ohne ihn aber von der frommen Pflicht, die er erfüllte, abwendig machen zu wollen, schritten wir in einer kurzen Entfernung hinter ihm her. Er wendete sich nach der Kapelle, aus der er hergekommen war und blieb bei seinem Eintritt stehen und schien die gebrochenen Gräber zu betrachten, welche mit Dornengebüsch und Moos bedeckt waren. Der Greis war niedergekniet, und als er sich erhob, küßte sein Freund eines jener Gräber und wollte sich mit ihm entfernen.

Erst jetzt sah er uns neben sich und schien erstaunt, doch sein glänzender und ruhiger Blick verrieth kein Mißtrauen. Und doch schien dieser Mann schon mehr als ein halbes Jahrhundert zu zählen und sein dichtes graues Haar, das sein männliches Gesicht umgab, hob den Glanz seiner großen schwarzen Augen immer mehr hervor. Sein Mund trug einen unaussprechlichen Ausdruck von Kraft und Einfachheit. Man hätte sagen mögen, er besäße zwei Seelen, die eine voll Enthusiasmus für die himmlischen Dinge, die andere voll Wohlwollen für die Menschen hienieden.

Wir suchten nach einem Vorwande um ihn anzureden, als er plötzlich sich in Gedankenrapport mit uns setzte durch Naivität einer außerordentlichen Herzlichkeit.

– Sie haben mich diesen Marmor küssen sehen, sagte er zu uns, und dieser Greis hat sich auf diese Gräber niedergeworfen. Nehmen Sie das nicht für Beweise einer Götzendienerei. Man küßt das Gewand eines Heiligen, wie man auf der Brust das Pfand der Liebe und der Freundschaft trägt; die Reste der Todten sind nur ein verbrauchtes Gewand. Wir treten es nicht gleichgültig mit Füßen; wir bewahren es voll Achtung und wenden uns voll Schmerz von ihm.

O, mein Vater, o, geliebte Verwandte! Ich weiß wohl, daß Ihr nicht hier seid und diese Inschriften lügen, wenn sie sagen: Hier ruhen die Rudolstadt! die Rudolstadt sind noch Alle lebendig und wirksam in der Welt, nach dem Willen Gottes. Unter diesem Marmor liegen nur Gebeine und Formen, an denen das Leben sich offenbart und die es verlassen hat, um andere Formen zu bekleiden.

Gesegnet sei die Asche der Vorfahren! gesegnet das Grab und der Epheu, der sie bekränzt! gesegnet die Erde und der Stein, der sie beschützt! Doch gesegnet vor Allem sei Gott, der zu den Todten gesagt hat: »Erhebt Euch und geht wieder ein in meine befruchtende Seele, wo nichts stirbt, wo Alles sich erneuert und reinigt! «

– Liverani oder Ziska Trismegistus, finde ich Dich hier wieder auf dem Grabe Deiner Ahnen? rief Spartacus, von einer himmlischen Gewißheit erleuchtet.

– Weder Liverani, noch Trismegistus, noch selbst Johannes Ziska! antwortete der Unbekannte. Schattenbilder haben meine unwissende Jugend belagert; aber das göttliche Licht hat sie verschlungen und der Name der Ahnen ist aus meinem Gedächtniß entschwunden. Mein Name ist Mensch und ich bin nichts mehr, als die andern Menschen.

– Eure Worte sind voll tiefen Sinnes, aber sie zeugen von Mißtrauen, erwiederte der Meister. Vertraut diesem Zeichen; erkennt Ihr es nicht wieder?

Und sogleich gab ihm Spartacus das Zeichen der oberen Grade der Freimauerei.

– Ich habe diese Sprache vergessen, sagte der Unbekannte. Ich verachte sie nicht, aber sie ist mir nutzlos geworden. Bruder, beschimpfe mich nicht durch den Glauben, ich mißtraute Dir. Ist nicht auch Dein Name Mensch? Die Menschen haben mir niemals wehgethan, oder wenn Sie es thaten, so weiß ich es nicht mehr. Es war also ein sehr beschränktes Uebel, auf Kosten eines unendlichen Glücks, das sie sich gegenseitig geben können und für das ich ihnen im voraus Dank wissen muß.

– Ist es möglich, Mann der Tugend, rief Spartacus, daß Du in Deinem Begriff und in Deinem Gefühl des Lebens die Zeit für nichts achtest?

– Die Zeit ist nichts und wenn die Menschen die göttliche Wesenheit mehr bedächten, würden sie eben so wenig, als ich nach Jahren und Jahrhunderten zählen. Was kümmert den, welcher so in Gott lebt, daß er der Ewigkeit gehört, den, welcher immer gelebt hat und nie aufhören wird zu leben, was kümmert ihn etwas mehr oder weniger Sand im Glase der Sanduhr? Die Hand, welche sie umdreht, kann eilen oder erstarren; die, welche den Sand liefert, hält niemals an.

– Du willst sagen, der Mensch kann vergessen, die Zeit zu berechnen und zu messen, aber das Leben dringt immer in Fülle aus dem Schooße Gottes? Ist das Dein Gedanke?

– Du hast mich verstanden, junger Mann. Doch ich habe einen schönern Beweis der großen Mysterien.

– Der Mysterien? Ja, ich bin von Weitem hergekommen, um Dich zu befragen und bei Dir mich zu unterrichten.

– Höre denn, sagte der Unbekannte, indem er den Greis auf ein Grab niedersetzen hieß, der ihm mit dem Geist eines kleinen Kindes gehorchte. – Dieser Ort begeistert mich auf besondre Weise, und hier in den letzten Strahlen der Sonne und während des bleichen Erscheinens des Mondes will ich deinen Geist zur Erkenntniß der höchsten Wahrheiten erheben.

Unsere Herzen schlugen hoch auf vor Freude bei dem Gedanken, endlich nach zweijährigen Forschungen und Mühen, diesen Magier unserer Religion, diesen tiefsinnigen und kräftigen Philosophen gefunden zu haben, der uns den Ariadnefaden geben und uns den Ausgang aus dem Labyrinth der Ideen und Begebenheiten der Vergangenheit zeigen sollte.

Doch der Unbekannte ergriff seine Violine und begann mit Begeisterung zu spielen. Sein kräftiger Bogenstrich ließ die Pflanzen erzittern, wie vom Abendhauch bewegt, und die Ruinen hallten wie von einer menschlichen Stimme wieder. Sein Spiel trug einen ganz besondern Charakter religiösen Enthusiasmus, antiker Einfachheit und hinreißender Gluth. Die Melodien waren bei ihrer energischen Kürze von majestätischer Großartigkeit.

In diesen unbekannten Liedern sprach nichts von Sehnsucht oder Träumerei. Es waren gleichsam Kriegshymnen und sie führten vor unsern Augen triumphirende Heerschaaren, mit Bannern, Helmen und den geheimnißvollen Insignien einer neuen Religion vorüber. Ich sah die Massen der Völker unter einer und derselben Person vereinigt. Kein Tumult in den Reihen, eine Gluth ohne Wahnsinn, ein stürmisches Gefühl ohne Rachlust, die menschliche Thätigkeit in all ihrem Glanze, der Sieg in all seiner Milde und der Glaube in all seiner göttlichen Hingebung.

– Das ist herrlich! rief ich, als er fünf oder sechs dieser bewundernswürdigen Lieder feurig gespielt hatte. Das ist das Te Deum der verjüngten und versöhnten Menschheit, die dem Gott aller Religionen, dem Lichte aller Menschen dankt.

– Du hast mich verstanden, Kind! sagte der Musiker, indem er den Schweiß und die Thränen trocknete, die über sein Gesicht rannen; und du siehst, die Zeit hat nur eine Stimme, um die Wahrheit auszusprechen. Betrachte diesen Greis, er hat eben so gut wie Du verstanden, und siehe, er ist um dreißig Jahre jünger geworden.

Wir betrachteten den Greis, an den wir fast nicht mehr gedacht hatten. Er war aufgestanden, ging mit Leichtigkeit umher und schlug mit seinem Fuße auf der Erde Takt, als wollte er, wie ein junger Mann, aufspringen und fortlaufen. Die Musik hatte in ihm Wunder bewirkt. Er stieg mit uns den Hügel herab, ohne sich auf irgend einen von uns stützen zu wollen.

Als sein Schritt langsamer wurde sagte ihm der Musiker:

– Zdenko, soll ich Dir den Marsch des großen Procop's spielen oder die Fahnenweihe der Horebiten?

Aber der Greis gab ihm durch ein Zeichen zu verstehen, daß er noch Kraft habe, als wenn er gefürchtet hätte, ein himmlisches Heilmittel zu mißbrauchen und die Begeisterung seines Freundes aufzureiben.

Wir schritten dem Dörfchen zu, das wir im Grunde des Thales zu unserer Rechten gelassen hatten, als wir den Weg nach den Ruinen einschlugen.

Unterwegs fragte Spartacus den Unbekannten:

– Du hast uns unvergleichliche Melodien hören lassen und ich habe erkannt, daß Du durch dieses herrliche Vorspiel unsere Sinne zu der Begeisterung erheben wolltest, die in Dir überfließt; Du wolltest Dich selbst exaltiren, gleich den Wahrsagerinnen und Propheten des Alterthums, um endlich die Orakel auszusprechen, bewaffnet mit aller Kraft der Inspiration und voll des Geistes des Herrn. Sprich also jetzt. Die Luft ist ruhig, der Steig leicht, der Mond erhellt unsere Schritte. Die ganze Natur scheint in Andacht versunken, um Dich zu hören, und unsere Herzen dürsten nach Deinen Offenbarungen. Unsere eitle Wissenschaft, unsere stolze Vernunft demüthigt sich unter Deinem glühenden Wort. Sprich, der Augenblick ist gekommen.

Doch der Unbekannte weigerte sich, sich zu erklären.

– Was soll ich Dir sagen, das ich Dir nicht schon so eben in einer schönern Sprache gesagt hätte? Ist es meine Schuld, wenn Du mich nicht verstanden hast? Du glaubst, ich hätte zu Deinen Sinnen sprechen wollen, und doch sprach meine Seele zu Dir! Was sag' ich? Die Seele der ganzen Menschheit sprach durch die meinige zu Dir. Ich war wahrhaft begeistert. Jetzt bin ich es nicht mehr. Ich bedarf der Ruhe. Du würdest dasselbe Bedürfniß empfinden, wenn Du Alles in Dir aufgenommen hättest, was ich aus meinem Wesen in das Deinige überführen wollte.

Es war Spartacus unmöglich, diesen Abend etwas weiter zu erhalten. Als wir die ersten Hütten erreicht hatten, sagte der Unbekannte zu uns:

– Freunde, folgt mir nicht weiter und sucht mich erst morgen wieder auf. Ihr könnet an die erste beste Thür klopfen. Ueberall seid Ihr willkommen, wenn Ihr die Sprache des Landes sprecht.

Wir brauchten das wenige Geld, mit dem wir uns versehen hatten, nicht sehen zu lassen. Die Gastfreundschaft der böhmischen Bauern ist der alten Zeiten würdig. Wir wurden mit ruhiger Heiterkeit und bald mit liebreicher Herzlichkeit aufgenommen, als man hörte, daß wir die slavische Sprache ohne Schwierigkeit reden konnten. Das Volk in diesen Gegenden hegt noch gegen Jeden Mißtrauen, der es mit deutschen Worten anredet.

Wir erfuhren bald, daß wir uns am Fuße des Gebirgs und des Schlosses der Riesen befanden, und nach diesem Namen hätten wir uns wie durch Zauberei in die nördliche Kette der Karpathen versetzt glauben können. Doch man sagte uns, daß einer der Vorfahren der Familie Podiebrad seine Burg in Erinnerung eines Gelübdes so getauft hätte, das er im Riesengebirge gethan hätte. Man erzählte uns auch, wie die Nachkommen Podiebrad nach den Unglücksfällen des dreißigjährigen Krieges ihren Namen vertauscht und den der Rudolstadt angenommen hätten; die Verfolgung ging damals so weit, daß selbst die Namen der Städte, der Ländereien, der Familien und Individuen germanisirt wurden. Alle diese Sagen leben noch in dem Herzen der böhmischen Bauern.

So ist denn der geheimnißvolle Trismegistus, den wir suchten, wirklich derselbe Albert Podiebrad, der vor 25 Jahren lebendig begraben, und der, man hat nie erfahren, durch welches Wunder, dem Grabe entrissen wurde, lange Zeit verschwand, dann 10 oder 15 Jahr später als Fälscher, Betrüger und besonders als Freimaurer und Rosenkreuzer verfolgt und eingekerkert ward; es ist derselbe berühmte Graf von Rudolstadt, dessen seltsamer Proceß sorgfältig unterdrückt und dessen Identität nie hat gerichtlich bewiesen werden können.

Freund, vertraue also den Inspirationen des Meisters; Du zittertest, als Du uns nach dunkeln und unvollständigen Offenbarungen einem Manne nachforschen sahest, der wie so viele andere Illuminaten der frühern Zeit, ein unverschämter Glücksritter oder ein lächerlicher Abenteurer sein konnte. Der Meister hatte recht gerathen. Aus einigen zerstreuten Zügen, aus einigen geheimnißvollen Schriften dieser seltsamen Person hat er einen Mann voll Geist und Wahrheit, einen schätzbaren Hüter des heiligen Feuers und der heiligen Tradition des früheren Illuminatismus, einen Adepten des uralten Geheimnisses, einen Lehrer der neuen Auslegung geahnet.

Wir haben ihn aufgefunden und wissen jetzt mehr über die Geschichte der Freimaurer, über die berühmten Unsichtbaren, deren Arbeiten und Dasein sogar wir in Zweifel zogen, über die alten und neuen Mysterien, als wir aus den Versuchen, die verloren gegangenen Hieroglyphen zu entziffern oder durch die Befragung früherer Adepten gelernt hatten, die von der Verfolgung aufgerieben und von Furcht niedergedrückt waren. Wir haben endlich einen Mann aufgefunden und werden mit jenem heiligen Feuer zurückkehren, das einst aus einer Bildsäule von Thon ein verständiges Wesen, einen neuen Gott, den Nebenbuhler der alten, lichtscheuen und sinnlosen Götter machte. Unser Meister ist der Prometheus. Trismegistus trug die Flamme in seinem Herzen und wir haben ihm schon genug entrissen, um Euch Alle in ein neues Leben einzuführen.

Die Erzählungen unsrer guten Wirthsleute hielten uns um den ländlichen Heerd ziemlich lange wach. Sie hatten sich um die Urtheilssprüche und legalen Zeugnisse nicht bekümmert, welche Albert von Rudolstadt in Folge eines Schlagflusses seines Namens und seiner Rechte verlustig erklärten. Die Liebe, mit welcher sie seiner dachten, der Haß gegen die Fremden, diese österreichischen Räuber, welche nach der Verurtheilung des rechtmäßigen Erben sich in seine Güter und sein Schloß theilten; diese schamlose Zersplitterung dieses großen Vermögens, von dem Albert einen so schönen Gebrauch gemacht hätte und vor Allem der Hammer der Zerstörer, der mit Erbitterung diese alte Burg niederriß, um die Materialien zu dem niedrigsten Preise zu verkaufen, gleich gewissen von Natur zerstörenden und entheiligenden Thieren, die das Bedürfniß fühlen die Beute, die sie nicht mit sich nehmen können, zu besudeln und zu verderben; das Alles reichte hin, daß die Bauern des Böhmerwaldes einer poetisch wunderbaren Wahrheit vor den Behauptungen einer gehässigen Vernunft der Sieger den Vorzug einräumten.

Fünfundzwanzig Jahre sind seit dem Verschwinden Albert Podiebrad's verstrichen und Niemand in dieser Gegend hat an seinen Tod glauben wollen, obwohl ihn alle deutsche Zeitungen zur Bestätigung eines ungerechten Urtheils verkündigt, obwohl die ganze Aristokratie des Wiener Hofes über die Geschichte eines Narren verächtlich und mitleidig gelacht hat, der sich wirklich für einen wieder auferstandenen Todten hielt.

Und so lebt denn seit acht Tagen Albert von Rudolstadt in diesen Gebirgen und geht jeden Abend in den Ruinen des Schlosses seiner Väter, um zu beten und zu spielen; und seit acht Tagen erkennen ihn alle Männer, die alt genug sind, um ihn in seiner Jugend gesehen zu haben, in seinen grauen Haaren an und beugen sich vor ihm, wie vor ihrem wahren Herrn und alten Freund. In dieser Erinnerung und in dieser Liebe, welche die Leute für ihn hegen, liegt etwas höchst Bewundernswürdiges; nichts in unserer verderbten Welt kann eine Idee von der Sitteneinfalt und den edlen Gefühlen geben, die wir hier getroffen haben.

Spartacus ist von Ehrfurcht davon durchdrungen und fühlt sich um so mehr davon ergriffen, als eine kleine Verfolgung, die wir von Seiten dieser Bauern erleiden mußten, uns ihre Treue für das Unglück und ihre Dankbarkeit nur bestätigten.

Die Sache ist folgende: Als wir mit Anbruch des Tages aus der Hütte treten wollten, um uns nach dem Violinspieler zu erkundigen, fanden wir von einem Haufen schnell zusammengebrachter Bewaffneter alle Ausgänge unsers Nachtlagers besetzt.

– Verzeiht uns, sagte mir der Hausvater ruhig, daß wir alle unsere Verwandten und Freunde mit ihren Dreschflegeln und Sensen herbeigerufen haben, um Euch wider Euren Willen hier zurückzuhalten. Diesen Abend werdet Ihr frei sein.

Als wir über diese Gewaltthätigkeit staunten, fuhr unser Wirth mit ernster Miene fort:

– Wenn Ihr ehrliche Leute seid und die Freundschaft und Treue begreift, so werdet Ihr uns nicht zürnen. Seid Ihr dagegen Schurken und Spione, nur hierhergeschickt, um unsern Podiebrad zu verfolgen und fortzuführen, so werden wir es nicht dulden und Euch nicht eher fortlassen, bis er weit genug entfernt ist, als daß Ihr ihn erreichen könntet.

Wir begriffen, daß während der Nacht diesen Anfangs so gesprächigen, ehrlichen Leuten das Mißtrauen gekommen war und konnten ihre Fürsorge nur bewundern. Doch der Meister war in Verzweiflung, diesen schätzbaren Hierophanten, den wir mit so vieler Mühe und mit so wenig Aussicht auf Erfolg gesucht hatten, aus den Augen zu verlieren. Er beschloß, in freimaurerischen Chiffern an Trismegistus zu schreiben, ihm seinen Namen und seinen Stand zu nennen, seine Pläne anzudeuten und seine Rechtlichkeit aufzufordern, um ihn dem Mißtrauen der Bauern zu entziehen.

Wenig Augenblicke, nachdem dieser Brief in die nächste Hütte gebracht worden war, sahen wir eine Frau kommen, vor welcher die Bauern achtungsvoll ihre mit bäuerischen Waffen versehenen Reihen öffneten. Wir hörten sie murmeln: Die Zingara! die Zingara des Trostes! Und bald trat diese Frau mit uns in die Hütte, schloß die Thür hinter sich und begann uns durch die Formeln und Zeichen der schottischen Maurerei mit gewissenhafter Strenge zu prüfen.

Wir waren sehr erstaunt, eine Frau in diese Mysterien eingeweiht zu sehen, welche, so viel ich weiß, keine Andern jemals besessen hat, und die imposante Miene, der prüfende Blick derselben erfüllte uns mit einer gewissen Achtung, trotz des augenscheinlich zigeunermäßigen Anzugs, den sie mit der Bequemlichkeit trug, welche die Gewohnheit giebt. Ihr gestreifter Rock, ihr großer gelbbrauner Mantel, der in antikem Faltenwurf über ihre Schultern geworfen war, ihr rabenschwarzes Haar, das auf der Stirn gescheitelt und mit einer Binde von blauer Wolle festgebunden war, ihre großen, feurigen Augen, ihre Zähne, weiß wie Elfenbein, ihre gebräunte, aber feine Haut, ihre zarten Hände und, um ihr Porträt zu vollenden, eine ziemlich schöne Guitarre, die an einem Bande unter ihrem Mantel hing, Alles an ihrer Person und in ihrer Tracht kündigte gleich beim ersten Anblick das Geschlecht und den Stand einer Zingara an.

Da sie sehr sauber gekleidet war und ihr Betragen eine große Ruhe und Würde verrieth, glaubten wir, sie sei die Königin des Lagers. Doch als sie uns gesagt hatte, sie sei die Gattin des Trismegistus, betrachteten wir sie mit noch höherem Interesse und noch größerer Aufmerksamkeit. Sie ist nicht mehr jung, und doch kann man nicht sagen, ob sie eine Person von vierzig Jahren, von Strapazen aufgerieben, oder von funfzig Jahren mit wunderbar erhaltener Schönheit ist. Sie ist noch schön und ihr zierlicher, schlanker Wuchs zeigt noch eine so edle Haltung, eine so züchtige Anmuth, daß, wer sie gehen sieht, sie noch für ein junges Mädchen halten müßte.

Als die anfängliche Strenge ihrer Züge sich gemildert hatte, fühlten wir uns nach und nach von dem Zauber durchdrungen, der in ihr lebt. Ihr himmlischer Blick und der Ton ihrer Stimme rührte unser Herz wie eine himmlische Melodie. Was diese Frau auch sei, die rechtmäßige Gattin des Philosophen, oder eine edle Abenteurerin, die sich in Folge einer glühenden Leidenschaft ihm angeschlossen hat, wenn man sie sieht und sprechen hört, kann man nicht glauben, daß irgend ein Laster, irgend ein entehrender Trieb ein so ruhiges, so offenes und gutes Wesen habe beflecken können.

Im ersten Augenblicke waren wir erschrocken unsern Weisen durch rohe Bande herabgewürdigt zu finden. Wir bedurften lange Zeit, um zu entdecken, daß er in den Reihen des wahren Adels des Herzens und Geistes eine poetische Geliebte, eine Schwesterseele der seinigen gefunden hätte, um mit ihm die Stürme des Lebens zu bestehen.

– Verzeiht meiner Furcht und meinem Mißtrauen, sagte sie zu uns, als sie ihre Fragen beendigt hatte. Wir sind verfolgt worden, wir haben viel gelitten. Dank dem Himmel, mein Freund hat das Gedächtniß des Unglücks verloren; nichts kann ihn mehr beunruhigen oder Leiden bringen. Doch ich, die Gott zu seinem Schutze ihm beigesellt hat, ich muß mich an seiner Statt beunruhigen und neben ihm wachen. Eure Züge und der Ton Eurer Stimmen beunruhigen mich mehr noch, als diese Zeichen und Worte, die wir ausgetauscht haben. Denn man hat die Mysterien sehr mißbraucht und es giebt eben so viel falsche Brüder als falsche Lehrer. Wir sollten durch menschliche Klugheit berechtigt sein, nichts und Niemand mehr zu glauben; doch Gott bewahre uns vor einem solchen Grad des Egoismus und der Gottlosigkeit!

Die Familie der Gläubigen ist zwar zerstreut; es giebt keinen Tempel mehr, um im Geist und in der Wahrheit anzubeten. Die Adepten haben den Sinn der Mysterien verloren; der Buchstabe hat den Geist getödtet. Die göttliche Kunst ist unter den Menschen mißkannt und profanirt; doch, was thut das, wenn der Glaube nur in Einigen besteht? Was thut es, wenn das Wort des Lebens nur in einem Heiligthum aufbewahrt wird? Es wird wiederum hervorgehen, es wird wiederum sich in der Welt verbreiten und der Tempel vielleicht durch den Glauben der Canaaniterin und dem Scherflein der Wittwe von Neuem erbaut werden.

– Wir suchen eben dieses Wort des Lebens, antwortete der Meister. Man spricht es in allen Heiligthümern aus und es ist wahr, man versteht es nicht mehr. Wir haben es mit Eifer gesucht, wir haben es beharrlich in uns getragen und nach jahrelangem Arbeiten und Nachdenken, haben wir die wahre Auslegung zu finden geglaubt. Deshalb kommen wir, von Eurem Gatten die Heiligung unsers Glaubens, die Bekehrung von unserm Irrthum zu verlangen. Laßt uns mit ihm sprechen. Bewegt ihn, daß er uns höre und uns antworte.

– Das hängt nicht von mir ab, antwortete die Zingara, und noch weniger von ihm. Trismegistus ist nicht immer inspirirt, obgleich er jetzt unter dem Zauber poetischer Träume lebt. Die Musik ist seine gewöhnliche Manifestation. Selten sind seine metaphysischen Ideen klar genug, um sich von Aufregungen des exaltirten Gefühls zu sondern. Zur Stunde würde er Euch nichts Befriedigendes sagen können.

Sein Wort ist für mich immer klar, für Euch aber, die Ihr ihn nicht kennt, würde es dunkel sein. Ich muß Euch das voraus sagen, nach der Meinung der von der kalten Vernunft geblendeten Menschen ist Trismegistus wahnsinnig; und während das poetische Volk dem göttlichen Virtuosen, der es bewegt und entzückt hat, demüthig die Gaben der Gastfreundschaft darbringt, wirft der gemeine Haufe dem herumziehenden Rhapsoden, der mit seiner Begeisterung die Städte durchzieht, ein Almosen zu.

Aber ich habe unsere Kinder belehrt, daß man dieses Almosen nicht aufnehmen dürfe, oder daß man es nur für den gebrechlichen Bettler aufheben müsse, der neben uns hingeht und dem der Himmel den Geist verweigert hat, die Menschen zu bewegen und zu überreden. Wir bedürfen das Geld des Reichen nicht, wir betteln nicht; das Almosen erniedrigt den, der es empfängt, und verhärtet den, der es giebt. Alles, was nicht Austausch ist, muß in der künftigen Gesellschaft verschwinden.

Unterdeß erlaubt uns Gott, meinem Gatten und mir, dieses Leben des Austausches zu üben und also zu dem Ideal uns zu erheben. Wir bringen die Kunst und den Enthusiasmus den Gemüthern, die fähig sind, die eine zu fühlen und dem andern nachzustreben. Wir nehmen die Gastfreundschaft des Armen an, theilen sein bescheidenes Lager und sein frugales Mahl; und wenn wir ein grobes Kleid bedürfen, verdienen wir es durch den Aufenthalt von wenigen Wochen und Musikunterricht in der Familie.

Wenn wir vor der stolzen Wohnung des Burgherrn vorüberziehen, singen wir unter seinem Fenster, da er eben so gut unser Bruder ist, wie der Hirt, der Ackersmann und der Handwerker, und entfernen uns ohne Belohnung; wir sehen ihn wie einen Unglücklichen an, der uns nichts geben kann, und so reichen wir ihm ein Almosen.

Kurz wir haben das Künstlerleben realisirt, wie wir es verstehen; denn Gott hatte uns zu Künstlern gemacht und wir mußten seine Gaben benutzen. Wir haben überall Freunde und Brüder in den untersten Reihen dieser Gesellschaft, die sich zu erniedrigen glauben würde, wenn sie uns unser Geheimniß abfragte, rechtschaffen und frei zu sein. Jeden Tag erhalten wir neue Jünger der Kunst, und wenn Unsere Kraft erschöpft sein wird, wenn wir nicht mehr unsere Kinder tragen und ernähren können, so werden sie uns ihrerseits tragen; und wir werden von ihnen ernährt und getröstet werden.

Sollten unsere Kinder uns fehlen, sollten sie durch verschiedene Bestimmungen von uns entfernt werden, so würden wir es wie der alte Zdenko machen, den Ihr gestern gesehen habt, und der, nachdem er vierzig Jahr lang durch seine Legenden und Gesänge alle Bauern der Umgegend entzückt hat, in seinen letzten Jahren von ihnen wie ein verehrter Freund und Herr aufgenommen und gepflegt wird. Mit einfachen Neigungen und mäßigen Gewohnheiten, mit der Liebe zur Wanderung und der Gesundheit, die ein den Absichten der Natur gemäßes Leben giebt, mit der Begeisterung für die Poesie, dem Mangel böser Leidenschaften und besonders mit dem Glauben an die Zukunft der Welt, glaubt Ihr, daß man thöricht sei, ein Leben wie das unsrige zu führen?

Doch Trismegistus wird Euch vielleicht durch die Begeisterung irregeleitet erscheinen, wie er mir es einst durch den Schmerz schien. Aber wenn Ihr ihm ein wenig folgt, so werdet Ihr vielleicht erkennen, daß nur die Thorheit der Menschen und der Irrthum der Institutionen die Männer des Genies und der Erfindungskraft als wahnsinnig erscheinen lassen.

Ja, kommt mit uns, begleitet uns diesen ganzen Tag, wenn es sein muß. Vielleicht kommt eine Stunde, wo Trismegistus geneigt ist von etwas Anderem als Musik zu sprechen. Man darf nicht in ihn dringen, es kommt von selbst zu gehöriger Zeit. Ein Zufall kann seine früheren Ideen wieder erneuen. Wir reisen in einer Stunde. Unsere Gegenwart hier kann auf das Haupt meines Mannes neue Gefahren herbeiziehen. Ueberall anderwärts kommen wir nicht in die Gefahr, nach so vielen Jahren der Verbannung wieder erkannt zu werden.

Wir gehen durch den Böhmerwald und dem Lauf der Donau entlang nach Wien. Das ist eine Reise, die ich früher gemacht habe, und mit Vergnügen wieder verfolge. Wir wollen zwei unserer Kinder, unsere Aeltesten besuchen, die wohlhabende Freunde bei sich behalten wollten, um sie unterrichten zu lassen, denn alle Menschen werden nicht als Künstler geboren und Jeder muß im Leben auf dem Wege gehen, den die Vorsehung ihm vorgezeichnet hat!

Das sind die Aufklärungen, die diese seltsame Frau, von unsern Fragen gedrängt und von unsern Einwürfen oft unterbrochen, uns von der Lebensweise gab, die sie dem Geschmack und den Ideen ihres Gatten gemäß angenommen hatte. Wir nahmen freudig das Anerbieten, das sie uns machte, ihr zu folgen, an; und als wir mit ihr aus der Hütte traten, hatte die Bürgergarde, die sich gebildet hatte uns aufzuhalten, ihre Reihen geöffnet, um uns fortgehen zu lassen.

– Wohlan, Ihr Kinder! rief die Zingara mit ihrer vollen, harmonischen Stimme, Euer Freund erwartet Euch unter den Linden. Es ist der schönste Augenblick des Tages und wir halten das Morgengebet mit Musik. Vertraut diesen beiden Freunden, fügte sie hinzu, mit ihrer schönen, natürlich theatralischen Gebährde auf uns deutend; sie gehören zu uns und wollen uns wohl.

Die Bauern eilten uns schreiend und singend nach. Im Gehen sagte uns die Zingara, daß sie und ihre Familie noch diesen Morgen das Dörfchen verlasse.

– Wir dürfen es nicht sagen, fügte sie hinzu; eine solche Trennung würde zuviel Thränen hervorrufen, denn wir haben hier viel Freunde. Aber wir sind hier nicht in Sicherheit. Ein alter Feind kann zufällig vorbeikommen und Albert von Rudolstadt in dem Zigeunerkostüm erkennen.

Wir kamen auf dem Platz des Dörfchens an, ein grüner Rasenplatz, von herrlichen Linden umgeben, welche zwischen ihren ungeheuern Stämmen demüthige Hütten und launenvolle von den Heerden gewählte und breitgetretene Fußsteige sehen ließen.

Der Ort schien uns wie bezaubert im ersten Licht der aufsteigenden Sonne, die den Smaragdteppich der Wiesen erglänzen ließ, während die silbernen Nebel des Morgens sich an den Seiten der Gebirge in die Höhe zogen. Die beschatteten Orte schienen noch etwas von der bläulichen Helle der Nacht bewahrt zu haben, während die Gipfel der Bäume sich mit Gold und Purpur säumten. Alles war rein und hell, Alles schien uns frisch und jugendlich, selbst die alten Linden, die mit Moos bedeckten Dächer und die weißbärtigen Greise, welche lächelnd aus ihren Hütten traten.

Mitten auf dem freien Platze, wo ein schmales krystallhelles Bächlein, sich theilend und im Laufe wachsend, hinrann, sahen wir Trismegistus von seinen Kindern umgeben, zwei reizenden kleinen Mädchen und einem Knaben von fünfzehn Jahren, schön wie der Endymion der Bildhauer und Maler.

– Das ist Wanda, sagte uns die Zingara, die älteste ihrer Töchter uns vorstellend; die jüngste heißt Wenceslawa; unser Sohn hat den geliebten Namen des besten Freundes seines Vaters erhalten und heißt Zdenko. Der alte Zdenko hat für ihn eine große Vorliebe. Ihr seht, er hat meine Wenceslawa zwischen seinen Füßen und die andere auf seinen Knieen. Aber er denkt nicht an sie; seine Augen sind auf meinen Sohn gerichtet, als könne er sich nicht satt an ihm sehen.

Wir betrachteten den Greis. Zwei Ströme von Thränen rollten über seine Wangen und sein knochiges von Runzeln durchfurchtes Gesicht trug den Ausdruck tiefer Seligkeit und Verzückung, indem er den Jüngling, den letzten Sprossen der Rudolstadt betrachtete, der freudig seinen Slavennamen führte und neben seinem Vater stand, eine von dessen Händen in der seinigen haltend.

Ich hätte diese Gruppe malen mögen, Trismegistus neben ihnen, sie wechselsweise mit zärtlichen Blicken betrachtend, während er seine Geige stimmte und seinen Bogen prüfte.

– Seid Ihr es, Freundes sagte er, unsern ehrfurchtsvollen Gruß erwiedernd. Meine Frau hat Euch also aufgesucht? Sie hat recht gethan. Ich habe Euch heute viel Gutes zu sagen und werde glücklich sein, wenn Ihr mich hören wollt.

Er spielte dann die Violine noch mit größerm Ausdruck und Majestät als am vorigen Abend. Wenigstens war unser Gefühl, durch die Berührung mit dieser ländlichen Versammlung, die bei dem Anhören der vaterländischen Balladen und der heiligen Hymnen der alten Freiheit vor Vergnügen und Begeisterung erzitterte, noch stärker und inniger bewegt.

Die Aufregung zeigte sich in diesen männlichen Gesichtern auf verschiedene Weise. Die Einen hielten, verzückt gleich Zdenko in den Traum der Vergangenheit, den Athem an und schienen diese Poesie einzusaugen, wie die durstige Pflanze, welche begierig die Tropfen eines wohlthuenden Regens trinkt. Andere ballten, bei dem Gedanken an die Leiden der Gegenwart zu heiliger Wuth fortgerissen, die Faust und schienen, unsichtbare Feinde bedrohend, den Himmel zum Zeugen ihrer entehrten Würde, ihrer geschändeten Tugend anzurufen. Man hörte Schluchzen und Wüthen, wahnsinnigen Beifall und Schreie der Raserei.

– Freunde, sagte Albert zu uns, als er schloß, seht diese einfachen Menschen! sie haben vollkommen verstanden, was ich ihnen habe sagen wollen; sie fragen nicht, wie Ihr es gestern thatet, nach dem Sinn meiner Prophezeiungen.

– Du hast doch nur zu ihnen von der Vergangenheit gesprochen, sagte Spartacus, nach seinen Worten begierig.

– Vergangenheit, Zukunft, Gegenwart! welche eitle Spitzfindigkeiten! erwiederte Trismegistus lächelnd; trägt der Mensch nicht alle drei in seinem Herzen, und ist sein Wesen nicht aus diesem dreifachen Elemente gebildet? Aber da Ihr durchaus Worte haben müßt, um Eure Ideen auszusprechen, so hört meinen Sohn, er wird einen Hymnus singen, zu dem seine Mutter die Musik und ich die Verse gemacht habe.

Der schöne Jüngling trat mit ruhigem, bescheidenem Wesen mitten in den Kreis. Man sah, daß seine Mutter, ohne zu glauben, daß sie einer Schwäche huldige, sich gesagt hatte, es sei ihr Recht und vielleicht auch ihre Pflicht, die Schönheit des Künstlers zu ehren und zu pflegen. Sie kleidet ihn mit einer gewisser Sorgfalt, seine schönen Haare sind wohl gekämmt und die Stoffe seiner ländlichen Kleidung von hellerer Farbe und feinerem Gewebe als die der übrigen Familie.

Er nahm sein Barett ab, grüßte seine Zuhörer mit einem Kuß, den er im Allgemeinen mit seinen Fingern Allen zusandte, den hundert ähnliche Küsse mit Herzlichkeit erwiederten und nachdem seine Mutter auf der Guitarre ein Vorspiel mit einem von der Weise des Südens eigenthümlich erfüllten Spiele vorgetragen hatte, begann er, von ihr begleitet, folgende Worte zu singen, die ich für Dich aus dem Slawischen übersehe und wozu ich Dir gern auch die Musik hinzugefügt hätte:

Die gute Göttin der Armuth.

Ballade.

Goldgeschmückte Pfade, grünende Haiden, Lieblingsschluchten der Gemsen, große mit Sternen bekränzte Gebirge, wandernde Ströme, undurchdringliche Wälder, lasset, lasset sie vorüber, die gute Göttin, die Göttin der Armuth!

Seit die Welt besteht, seit die Menschen geschaffen sind, durchwandert sie die Welt, wohnt sie unter den Menschen, wandert sie singend umher, oder singt sie arbeitend, die Göttin, die gute Göttin der Armuth!

Einige Menschen haben sich vereinigt, ihr zu fluchen. Sie haben sie zu schön und zu heiter, zu lebendig und zu kräftig gefunden. Entreißt ihr die Flügel, sagten sie, geben wir ihr Fesseln, beugen wir sie durch Mißhandlungen, sie leide, sie gehe unter, die Göttin der Armuth!

Sie fesselten die gute Göttin, sie schlugen und verfolgten sie, konnten sie aber nicht entwürdigen; sie retteten sich in die Gemüther der Dichter, in die Seelen der Bauern, in die Seelen der Künstler, der Märtyrer, der Heiligen, die gute Göttin, die Göttin der Armuth!

Sie wandelte länger umher als der ewige Jude; sie ist weiter gereist als die Schwalbe; sie ist älter als der Münster in Prag und jünger als das Ei des Zaunkönigs; sie hat sich weiter ausgebreitet als die Erdbeere im Böhmerwald, die Göttin, die gute Göttin der Armuth!

Sie hat viele Kinder, und sie lehrt ihnen das Geheimniß Gottes; sie hat zum Herzen Jesu auf dem Gebirge; zu den Augen der Königin Libussa, als sie sich in einen Bauer verliebte; zum Geiste des Johannes und Hieronymus gesprochen auf dem Scheiterhaufen in Konstanz; sie weiß davon mehr als alle Doctoren und Bischöfe, die gute Göttin der Armuth!

Sie weckt immer das Größte und Schönste, was man auf Erden sieht, sie bebaut die Felder und reinigt die Bäume; sie führt, die schönsten Lieder singend, die Heerden; sie sieht die Morgenröthe tagen und empfängt das erste Lächeln der Sonne, die gute Göttin der Armuth!

Sie baut aus grünen Zweigen die Hütte des Holzschlägers und giebt dem Wildschütz das Auge des Adlers; sie erzieht die schönsten Kinder und macht den Pflug und die Hacke leicht in den Händen des Greises, die gute Göttin der Armuth!

Sie begeistert den Dichter und macht die Geige, Guitarre und Flöte unter den Fingern des herumziehenden Künstlers beredt; sie trägt ihn auf ihren leichten Fittig von der Quelle der Moldau zu denen der Donau; sie kränzt seine Haare mit den Perlen des Thaus und läßt für ihn die hellsten und größten Sterne leuchten, die Göttin, die gute Göttin der Armuth!

Sie unterrichtet den geschickten Handwerker und lehrt ihn den Stein behauen, den Marmor glätten, Gold und Silber, Eisen und Kupfer verarbeiten; sie macht unter den Händen der alten Matrone und des jungen Mädchens den Flachs weich und fein wie das Haar, die gute Göttin der Armuth!

Sie stützt die vom Sturm erschütterte Hütte; sie schont das Harz der Fackel und das Oel der Lampe; sie wirkt das Brod der Familie und webt die Kleider des Winters und Sommers; sie ernährt und erhält die Welt, die gute Göttin der Armuth!

Sie hat die großen Schlösser und die alten Kathedralen gebaut; sie trägt den Säbel und die Muskete; sie führt Kriege und Eroberungen; sie sammelt die Todten, pflegt die Verwundeten und verbirgt die Ueberwundenen, die gute Göttin der Armuth!

Du bist ganz Sanftmuth, Geduld, Kraft und Erbarmen, o gute Göttin! Du umfassest alle deine Kinder in heiliger Liebe, und giebst ihnen Milde, Glauben, Hoffnung, o Göttin der Armuth!

Deine Kinder werden einst aufhören, die Welt auf ihren Schultern zu tragen und für ihre Mühen und Arbeiten belohnt werden. Die Zeit ist nahe, wo es weder Reiche noch Arme mehr geben, wo alle Menschen die Früchte der Erde genießen und auf gleiche Weise der Wohlthaten Gottes sich freuen werden, aber du wirst in ihren Hymnen nicht vergessen werden, o gute Göttin der Armuth!

Sie werden sich erinnern, daß du ihre fruchtbringende Mutter, ihre kräftige Amme, ihre streitbare Kirche warst. Sie werden Balsam auf deine Wunden gießen und dir aus der verjüngten, Wohlgerüche duftenden Erde ein Lager bereiten, wo du endlich ruhen kannst, o gute Göttin der Armuth!

Bis zu diesem Tage des Herrn, Ströme und Wälder, Berg und Thäler, Haiden, die Ihr von kleinen Blumen und Vögeln wimmelt, Heerstraßen mit goldnem Sande bestreut, die Ihr keine Herren habt; lasset, lasset sie vorüber die gute Göttin, die Göttin der Armuth!

Denk dir diese Ballade in den schönsten Versen einer sanften naiven Sprache, die für die Lippen der Jugend gemacht scheint, einer Melodie angepaßt, die das Herz ergreift und die reinsten Thränen entlockt, eine seraphische Stimme, die mit trefflicher Reinheit und einem unvergleichlichen Ausdruck singt; und das Alles in dem Munde des Sohnes von Trismegistus, des Zöglings der Zingara, des schönsten, offensten und bestbegabten Kindes der Erde!

Wenn du dir als Rahmen einen ernsten Kreis männlicher, offener, malerischer Gestalten mitten in einer Landschaft von Ruysdal und den Strom denken kannst, den man nicht sah, der aber aus der Tiefe des Thals seine frische Melodie mit dem fernen Geläut der Ziegen auf dem Gebirge herübersandte, so wirst du unsere Bewegung und den unaussprechlichen poetischen Genuß begreifen, in dem wir lange versenkt blieben.

– Jetzt, lieben Kinder, sagte Albert Podiebrad zu den Dorfbewohnern, haben wir gebetet und nun zur Arbeit! Auf! in die Felder; ich werde mit meiner Familie im Walde Begeisterung und Leben aufsuchen.

– Du kommst zum Abend wieder? riefen die Bauern.

Die Zingara winkte ihnen herzlich zu, was sie für ein Versprechen nahmen. Die beiden kleinen Mädchen, die weder von dem Laufe der Zeit, noch von dem Wechsel der Reise etwas verstanden, riefen mit kindlicher Freude: »Ja! ja!« und die Bauern zerstreuten sich.

Der alte Zdenko setzte sich auf die Schwelle der Hütte, nachdem er mit väterlicher Sorge darauf gesehen hatte, daß die Jagdtasche seines Pathen mit dem Frühstück der Familie gefüllt werde. Dann gab uns die Zingara ein Zeichen, ihr zu folgen und wir verließen, den Spuren unserer wandernden Musikanten nachgehend, das Dorf.

Wir mußten eine Schlucht hinansteigen. Wir, der Meister und ich, nahmen Jeder eines der kleinen Mädchen auf den Arm und das war für uns eine Gelegenheit, Trismegistus anzureden, der bisher unsere Gegenwart nicht bemerkt zu haben schien.

– Ihr seht mich ein wenig trüb gestimmt, sagte er zu mir. Es wird mir schwer, die Freunde zu täuschen, die wir verlassen, und jenen Greis, der mich liebt und uns morgen auf allen Steigen des Waldes suchen wird. Aber Consuelo hat es so gewollt, fügte er auf seine Frau deutend hinzu. Sie glaubt, es sei für uns gefährlich, länger zu verweilen. Ich kann mich nicht überreden, daß wir irgend wem jetzt noch Furcht und Neid einflößen. Wer sollte unser Glück begreifen? Aber sie behauptet, wir zögen dieselbe Gefahr auch auf die Häupter unserer Freunde, und, obgleich ich nicht weiß wie, gebe ich dieser Rücksicht doch nach.

Uebrigens ist ihr Wille stets der meine gewesen, wie der meine stets der ihrige war. Wir kehren diesen Abend nicht in das Dörfchen zurück. Wenn Ihr, wie es scheint, unsere Freunde seid, so kehrt Ihr zur Nacht, wenn Ihr genug mit uns gegangen seid, zurück und erklärt ihnen das. Wir haben ihnen kein Lebewohl gesagt, um sie nicht zu betrüben, Ihr werdet ihnen aber sagen, daß wir wieder kommen werden.

Was Zdenko betrifft, so braucht Ihr ihm nichts zu sagen als » Morgen!« Sein Gedanke geht darüber nicht hinaus. Alle Tage, sein ganzes Leben ist für ihn morgen. Er hat den Irrthum der menschlichen Begriffe abgelegt. Seine Augen sind der Ewigkeit geöffnet, in deren Geheimniß er im Begriff ist sich zu vertiefen, um darin die Jugend des Lebens wieder zu gewinnen.

Der eigenthümliche Irrsinn des Trismegistus brachte auf seine Gattin und seine Kinder eine merkwürdige Wirkung hervor. Weit entfernt sich vor uns zu schämen, weit entfernt, darüber sich selbst zu betrüben, hörten sie jedes seiner Worte mit Ehrfurcht an, es schien sie fanden in seinen Orakeln die Kraft, sich über das gegenwärtige Leben und über sich selbst zu erheben. Ich glaube, man würde den edlen jungen Menschen, der so begierig auf jeden Gedanken seines Vaters lauschte, sehr erstaunt und erzürnt haben, wenn man ihm gesagt hätte, es seien Gedanken eines Narren.

Trismegistus sprach selten und wir bemerkten auch, daß ihn, ohne eine unabweisbare Nothwendigkeit, weder seine Gattin noch seine Kinder dazu aufforderten. Sie ehrten gewissenhaft das Geheimniß seiner Gedanken und obgleich die Zingara die Augen unaufhörlich auf ihn gerichtet hielt, schien sie für ihn doch weit mehr die Zudringlichkeiten als die Langeweile des Alleinseins, in das er sich versenkte, zu fürchten. Sie hatte seine Krankheit studirt; ich bediene mich dieses Wortes um das der Narrheit nicht mehr aussprechen zu dürfen, das mir noch widerwärtiger ist, wenn es sich um einen solchen Mann und einen so achtungswerthen und rührenden Gemüthszustand handelt.

Beim Anblick dieses Trismegistus habe ich die Verehrung begriffen, welche die Bauern, große Theologen und große Metaphysiker ohne es zu wissen, und die Völker des Orients für die Menschen hegen, die dessen beraubt sind, was man die Fackel der Vernunft nennt. Sie wissen, wenn man durch eitle Bemühungen und grausamen Hohn diese Abstraction des Geistes nicht stört, so kann sie ein Organ der göttlichsten Poesie werden, statt in Wuth oder thierischen Stumpfsinn auszuarten.

Ich weiß nicht, was aus Trismegistus werden würde, wenn seine Familie sich nicht gleich einem Walle der Liebe und Treue zwischen ihn und die Welt stellte. Aber wenn er in diesem Falle seinem Wahnsinn unterliegen sollte, so wäre es nur ein Beweis mehr, daß man Kranken seiner Art und allen Kranken, welcher Art sie auch sein mögen, Achtung und liebende Sorge schuldig ist. Das erinnert mich an den schändlichen Vorwurf, den die Katholiken den Taboriten machten, das Abendmahl den Kindern und Narren zu reichen.

Diese Familie schritt mit einer Leichtigkeit und Behendigkeit fort, die unsere Kräfte bald erschöpft hätte. Selbst die kleinen Kinder würden, wenn man sie nicht durch das Tragen verhindert hätte, sich anzustrengen, den Raum verschlungen haben. Man könnte sagen, sie seien zum Wandern geboren, wie der Fisch zum Schwimmen. Die Zingara erlaubt ihrem Sohne nicht die Kleinen auf seinen Armen zu tragen, obgleich er den besten Willen dazu hat, ehe er nicht seinen Wachsthum vollendet und seine Stimme jene Periode überstanden hat, welche die Sänger die Mause nennen. Sie erhebt diese schlanken, vertrauenden Geschöpfe auf ihre kräftige Schulter und trägt sie so leicht, wie ihre Guitarre. Die physische Kraft ist eine der Wohlthaten dieses Nomadenlebens, das für den armen Künstler, wie für den Bettler oder für den Naturforscher zur Leidenschaft wird.

Wir waren sehr ermüdet, als wir über die rauhesten Steige an einen wilden, romantischen Ort kamen, der Schreckenstein genannt. Wir bemerkten, daß Consuelo bei der Annährung an diese Stelle ihren Gatten mit größerer Aufmerksamkeit beobachtete und näher bei ihm ging, als wenn sie eine Gefahr oder ein peinliches Gefühl gefürchtet hätte. Doch nichts trübte die stille Heiterkeit des Künstlers. Er setzte sich auf einen großen Stein, der einen dürren Hügel beherrscht.

Der Ort hatte etwas Entsetzliches an sich. Die Felsen thürmen sich unordentlich über einander und zerschmettern fortwährend die Bäume unter ihrem Fall. Diejenigen der Bäume, welche widerstanden, haben ihre Wurzeln über dem Boden und scheinen sich mit diesen knotigen Gliedern an den Felsen anzuklammern, den sie mit sich hinabzureißen drohen. Das Schweigen des Todes herrscht in diesem Chaos. Die Hirten und Holzschläge entfernten sich voll Schrecken von ihm und die Erde ist von den Ebern durchwühlt. Auf dem Sande sieht man die Spuren der Wölfe und Gemsen, als wenn die wilden Thiere versichert wären, hier eine Zuflucht gegen die Menschen zu finden.

Albert saß lange in träumerischem Nachdenken versunken auf dem Steine, dann wandte er seine Blicke auf seine Kinder, die zu seinen Füßen spielten, und auf seine Gattin, die, vor ihm stehend, in seinen Gedanken zu lesen suchte. Plötzlich erhob er sich, warf sich vor ihr auf die Knie und sagte, seine Kinder mit einem Winke um sich versammelnd, tiefbewegt zu ihnen:

– Werft Euch vor Eurer Mutter nieder, denn sie ist der den Unglücklichen vom Himmel gesandte Trost, sie ist der den Gutgesinnten verheißene Friede des Herrn!

Die Kinder knieten um die Zingara her und bedeckten sie weinend mit Liebkosungen. Auch sie weinte, während sie sie an ihren Busen drückte, bewog sie dann sich umzuwenden und ihrem Vater dieselbe Huldigung zu bringen. Spartacus und ich, wir hatten uns mit ihnen niedergeworfen.

Als die Zingara gesprochen hatte, erwies der Meister auch Trismegistus seine Huldigung und ergriff den Augenblick, um ihn mit beredten Worten anzurufen und um Aufklärung zu bitten, indem er ihm Alles erzählte, was er studirt, nachgedacht und gelitten hatte, um sie zu finden.

Ich dagegen, ich blieb wie verzaubert zu den Füßen der Zingara. Ich weiß nicht, ob ich dir sagen darf, was in mir vorging. Diese Frau konnte gewiß meine Mutter sein; und doch, ich weiß nicht welch ein Zauber noch jetzt von ihr ausgeht. Trotz der Achtung, die ich für ihren Gatten hege, trotz des Entsetzens, mit dem mich schon der Gedanke in diesem Augenblicke erfüllt hätte, ihn zu vergessen, fühlte ich, wie meine ganze Seele mit einem Enthusiasmus ihr zuflog, den weder der Glanz der Jugend, noch der Zauber des Reichthums je mir eingeflößt haben.

O könnte ich ein Weib finden, das dieser Zingara gliche und ihm mein Leben weihen! Doch das hoffe ich nicht und jetzt, wo ich sie nicht mehr sehe, fühle ich in meinem tiefsten Herzen eine Art Verzweiflung, als wenn mir offenbart worden wäre, daß kein anderes Weib für mich auf Erden lebt, das ich lieben kann.

Die Zingara sah mich nicht einmal. Sie hörte auf Spartacus und ward von seiner glühenden aufrichtigen Sprache betroffen. Auch Trismegistus ward davon gerührt. Er drückte ihm die Hand und ließ ihn neben sich auf dem Stein des Schreckensteins niedersetzen.

– Junger Mann, sagte er zu ihm, du rufst alle Erinnerungen meines Lebens wieder in mir auf. Ich glaubte mich selbst sprechen zu hören, in dem Alter, das du jetzt hast, als ich eifrig nach der Wissenschaft der Tugend bei den vom Alter und Erfahrung geprüften Männern forschte. Ich hatte beschlossen, dir nichts zu sagen. Ich mißtraute nicht deinem Geiste oder deiner Rechtlichkeit, aber der Naivetät und der Gluth deines Herzens. Ich fühle mich übrigens nicht fähig in eine Sprache, die ich einst gesprochen habe, die Gedanken zurück zu übersetzen, die ich mich seitdem gewöhnt habe, durch die Poesie der Kunst, durch das Gefühl auszudrücken.

Dein Glaube hat gesiegt, er hat ein Wunder bewirkt und ich fühle, daß ich zu dir sprechen muß. Ja, fügte er hinzu, nachdem er ihn schweigend einen Augenblick lang, der uns ein Jahrhundert dünkte, denn wir zitterten, diese Inspiration bei ihm vorübergehen zu sehen, betrachtet hatte, ja, ich erkenne dich jetzt! Ich erinnere mich deiner; ich habe dich gesehen, dich geliebt, ich habe mit dir in einer andern Phase meines frühern Lebens gearbeitet. Dein Name war groß unter den Menschen, aber ich habe ihn nicht behalten; ich erinnere mich nur deines Blicks, deines Worts und dieser Seele, von der die meinige sich nur mit Schmerz losgerissen hat.

Ich lese jetzt besser in der Zukunft als in der Vergangenheit, und die künftigen Jahrhunderte erscheinen mir oft eben so glänzend von Licht, als die Tage, die ich noch in dieser Form von heute zu leben habe.

Nun, ich sage dir, du wirst groß noch in dieser Zeit sein und Großes thun. Du wirst getadelt, gehaßt, verläumdet, angeklagt, beschimpft, verfolgt, verbannt werden … Aber deine Idee wird unter andern Gestalten dich überleben und du wirst die Gegenwart mit einem furchtbaren Plane, mit ungeheuren Entwürfen in Bewegung setzen, die die Welt nicht vergessen wird und die vielleicht dem socialen und religiösen Despotismus den letzten Stoß geben werden.

Ja, du hast Recht, deine Wirksamkeit in der Gesellschaft zu suchen. Du gehorchst deiner Bestimmung, d. h. deiner Inspiration. Das klärt mich auf. Was ich fühlte, als ich dich hörte, was du mir von deiner Hoffnung hast mittheilen können, ist ein großer Beweis der Wahrheit deines Berufs.

Geh also, wirke und arbeite. Der Himmel hat dich zum Organisator der Zerstörung gemacht; zerstöre, löse auf, das ist dein Werk. Man bedarf des Glaubens zum Niederreißen, wie zum Aufbauen.

Ich, ich habe mich freiwillig von den Pfaden entfernt, denen du dich hingiebst; ich hatte sie als schlecht erkannt. Sie waren es wahrscheinlich nur zufällig. Wenn wahre Diener der Sache sich berufen fühlen, sie von neuem zu versuchen, so beweist das, daß sie wieder gangbar geworden sind.

Ich glaubte, es sei von der offiziellen Gesellschaft nichts mehr zu hoffen und man könne sie nicht reformiren, wenn man in ihrem Schooße bleibe. Ich habe mich außer sie gestellt und verzweifelnd von dem Gipfel dieser Verderbniß das Heil auf das Volk herabsteigen zu sehen, weihte ich die letzten Jahre meiner Kraft, um direct auf das Volk zu wirken. Ich habe mich an die Schwachen, Armen, Unterdrückten gewandt und ihnen meine Lehre unter der Gestalt der Kunst und Poesie gebracht, die sie verstehen, weil sie sie lieben.

Es ist möglich, daß ich zu sehr den guten Instinkten mißtraut habe, die noch in den Männern der Wissenschaft und der Macht wirken. Ich kenne sie nicht mehr, seit ich mich, abgeschreckt von ihrem gottlosen Skepticismus und ihrem noch gottlosern Aberglauben, mit Abscheu von ihnen gewandt habe, um die am Herzen Einfältigen aufzusuchen. Es ist wahrscheinlich, daß sie sich geändert, gebessert, unterrichtet haben.

Was sag ich? Es ist gewiß, daß die Welt seit fünfzehn Jahren fortgeschritten ist, daß sie sich gereinigt hat und gewachsen ist, denn alles Menschliche strebt unaufhörlich nach dem Licht, und Alles verkettet sich, das Gute wie das Böse, um sich zum göttlichen Ideal zu erheben.

Du willst Dich an die Welt der Gelehrten der Patricier und Reichen wenden; Du willst durch Ueberredung die Gleichheit herstellen; Du willst durch den Zauber der Wahrheit selbst die Könige, Fürsten und Prälaten verführen. Du fühlst in Dir dies Vertrauen und diese Kraft gähren, die alle Hindernisse übersteigt und alles Alte und Verbrauchte verjüngt.

Gehorche, gehorche dem Hauch des Geistes! setze fort und erweitere unser Werk, nimm unsere auf dem Schlachtfeld, wo wir überwunden worden sind, zerstreuten Waffen wieder auf.

Darauf entspann sich zwischen Spartacus und dem göttlichen Greise ein Gespräch, das ich Zeit meines Lebens nicht vergessen werde. Denn es geschah jetzt ein Wunder. Dieser Rudolstadt, der anfangs nur durch die Töne der Musik, wie einst Orpheus zu uns hatte sprechen wollen, dieser Künstler, der uns sagte, er habe die Logik und die reine Vernunft seit lange schon gegen das Gefühl vertauscht; dieser Mann, den schändliche Richter für einen Wahnsinnigen erklärt hatten und der überall als solcher galt, erhob sich gleichsam durch die göttliche Liebe und Menschenfreundlichkeit von neuem und wurde plötzlich der vernünftigste der Philosophen, so, daß er uns auf den Weg der wahren Methode und Gewißheit führte.

Spartacus seinerseits offenbarte die ganze Gluth seiner Seele. Der Eine war ein vollkommener Mensch, bei welchem alle Fähigkeiten in Harmonie stehen; der Andere glich einem Neophyten voll Enthusiasmus. Ich erinnerte mich an das Evangelium, wo gesagt wird, Christus unterhielt sich auf dem Berge mit Mosen und den Propheten.

– Ja, sagte Spartacus, ich fühle einen Ruf in mir. Ich habe mich Denen genähert, die die Erde regieren, und bin erstaunt über ihre Dummheit, Unwissenheit und die Härte ihres Herzens. O, wie schön ist das Leben, wie schön die Natur, wie schön die Menschheit! Aber was machen sie aus dem Leben, der Natur und der Menschheit! … Und ich habe lange geweint, als ich auf mich, auf die Menschen, meine Brüder, und das ganze göttliche Werk blickte, die Sclaven solcher Jämmerlichen! … Und als ich lange geseufzt hatte, wie ein schwaches Weib, sagte ich mir: Wer hindert mich, mich ihren Fesseln zu entziehen und frei zu leben?

Aber nach einer Zeit eines einsiedlerischen Stoicismus, sah ich, daß ich allein frei sei was nicht frei sein heißt. Der Mensch kann nicht allein leben. Des Menschen Ziel ist der Mensch; er kann nicht ohne sein nothwendiges Ziel leben. Und ich sagte mir: Ich bin immer noch Sclave, befreien wir unsere Brüder … Und ich fand edle Herzen, die sich mir zugesellten … und meine Freunde nennen mich Spartacus.

– Ich habe Dir wohl gesagt, daß Du nur zerstören könntest! antwortete der Greis. Spartacus war ein empörter Sclave. Doch noch einmal, gleichviel. Ordne, um zu zerstören. Es bilde sich eine geheime Gesellschaft auf Deinen Ruf, um die jetzige Gestalt der großen Ungerechtigkeit zu zerstören. Aber wenn Du sie stark, wirksam, mächtig wünschest, so bringe, soviel Du kannst, belebende, ewige Grundsätze in diese zum Zerstören bestimmte Gesellschaft, damit sie anfangs zerstöre (denn um zu zerstören, muß man sein, alles Leben ist positiv) und damit alsdann aus dem Werk der Zerstörung eines Tages hervorgehe, was neu geboren werden soll.

– Ich verstehe, Du beschränkst meine Sendung sehr. Gleichviel: klein oder groß, ich nehme sie an.

– Alles, was im Reiche Gottes ist, ist groß. Lerne Etwas, was die Richtschnur Deiner Seele sein muß. Nichts geht zu Grunde. Dein Name und die Gestalt Deines Werks kann verschwinden. Du kannst namenlos, wie ich, arbeiten und Dein Werk wird doch nicht untergehen. Die göttliche Wagschale ist die Mathematik selbst; und in dem Schmelztiegel des göttlichen Chemikers werden alle Atome nach ihrem wahren Werthe gezählt.

– Weil Du meine Pläne billigst, so unterrichte mich und zeige mir den Weg. Was muß ich thun? Wie muß ich auf die Menschen wirken? Soll ich sie besonders durch die Einbildungskraft fassen? Soll ich ihre Schwäche und ihren Hang zum Wunderbaren benutzen? Du hast selbst gesehen, daß man mit dem Wunderbaren Gutes wirken kann! …

– Ja, doch habe ich auch alles Böse gesehen, was man thun kann. Wenn Du die Lehre genau kenntest, würdest Du wissen, in welcher Epoche der Menschheit wir leben, und die Mittel Deiner Wirksamkeit Deiner Zeit anpassen.

– So lehre mir die Lehre, lehre mir die Methode zu wirken, lehre mir die Gewißheit.

– Du verlangst die Methode und die Gewißheit von einem Künstler, von einem Manne, den die Menschen des Wahnsinns beschuldigt und unter diesem Vorwand verfolgt haben? Du scheinst Dich an den Unrechten zu wenden; frage die Philosophen, die Gelehrten darnach.

– An dich wende ich mich. Sie, ich weiß, was ihre Wissenschaft werth ist.

– Nun, da Du darauf bestehst, so sage ich Dir, daß die Methode mit der Lehre selbst identisch ist, weil sie mit der in der Lehre offenbarten höchsten Wahrheit identisch ist. Und beim Nachdenken wirst Du finden, daß es nicht anders sein kann. Alles beschränkt sich also auf die Erkenntniß der Lehre.

Spartacus dachte nach und sagte nach einem augenblicklichen Nachdenken:

– Ich möchte aus Deinem Munde die höchste Formel der Lehre vernehmen.

– Du sollst sie hören, nicht aus meinem Munde, sondern aus dem des Pythagoras, das Echo selbst aller Weisen: O göttliche Trias! Das ist die Formel. Sie ist es, welche die Menschheit unter allen Bildern, Symbolen und Emblemen durch die Stimmen der großen Religionen ausgesprochen hat, sobald sie sie auf rein geistige Weise, ohne Incarnation, ohne Götzendienst erfassen konnte, wie sie den Offenbarern gegeben war, sie sich selbst zu enthüllen.

– Sprich, sprich. Und um Dich deutlicher zu machen, erinnere mich an einige jener Embleme. Dann nimm die strenge Sprache des Absoluten.

– Ich kann diese beiden Dinge, die Religion an sich, in ihrer Wesenheit, und die offenbarte Religion, nicht trennen, wie Du es wünschest. Es gehört der menschlichen Natur, in unserer Zeit, beide zusammen zu sehen. Wir beurtheilen die Vergangenheit und finden, ohne in ihr zu leben, in ihr die Bestätigung unserer Ideen. Doch ich will mich verständlich machen. Sprechen wir zuerst von Gott. Ist die Formel auf Gott, auf die unendliche Wesenheit anwendbar? Es wäre ein Fehler, wenn sie nicht auf den anwendbar wäre, von dem sie ausgeht. Hast Du über die Natur Gottes nachgedacht? Wahrscheinlich; denn ich fühle, Du trägst den Himmel, den wahren Himmel, in Deinem Herzen. Nun, was ist Gott?

– Das Sein, das absolute Sein. Ich bin, der ich bin, sagt das große Buch, die Bibel.

– Ja, doch wissen wir nichts mehr von seiner Natur? Hat Gott der Menschheit nicht etwas mehr offenbart?

– Die Christen sagen, Gott sei drei Personen in Einer, der Vater, der Sohn und der Geist.

– Und was sagen die Traditionen der alten geheimen Gesellschaften, die Du um Rath gefragt hast?

– Sie sagen dasselbe.

– Staunst Du nicht über diese Uebereinstimmung? Die offizielle, triumphirende Religion und die geheime, geächtete Religion stimmen über die Natur Gottes überein. Ich könnte Dir von den dem Christenthum vorhergehenden Culten sprechen: Du würdest dieselbe Wahrheit in ihrer Theologie verborgen finden. Indien, Aegypten, Griechenland haben den einigen Gott in drei Personen erkannt; doch wir kommen auf diesen Punkt zurück. Was ich Dir jetzt begreiflich machen will, ist die Formel in ihrer ganzen Ausdehnung, unter allen ihren Gesichtspunkten, um an das was Dich interessirt, an die Methode, die Organisation, die Politik zu kommen. Ich fahre fort. Von Gott gehen wir zum Menschen über. Was ist der Mensch?

– Nach einer schwierigen Frage, stellst Du mir eine, die es kaum weniger ist? Das Orakel in Delphi hatte erklärt, daß alle Weisheit in der Antwort auf diese Frage bestehe: Mensch, erkenne Dich selbst.

– Und das Orakel hatte Recht. Aus der wohlverstandenen menschlichen Natur kommt alle Weisheit, wie alle Sittlichkeit, alle Ordnung, alle wahre Politik. Erlaube also, daß ich Dir meine Frage wiederhole: Was ist der Mensch?

– Der Mensch ist ein Ausfluß Gottes …

– Gewiß, wie alle lebende Wesen, weil Gott allein das Sein, das absolute Sein ist. Doch ich hoffe, Du gleichst den Philosophen nicht, die ich in England, in Frankreich und auch in Deutschland am Hofe Friedrichs gesehen habe? Du gleichst jenem Locke nicht, von dem man heutzutage auf die Autorität Voltaire's, der ihn gemein gemacht hat, so viel spricht, du gleichst Herrn Helvetius nicht, mit dem ich mich oft unterhalten habe, noch dem La Mettrie, dessen materialistische Keckheit dem Hofe in Berlin so sehr gefiel. Du sagst nicht mit ihnen, daß der Mensch nichts Besonderes habe, das ihn von den Thieren, Bäumen, Steinen unterscheide.

Gewiß, Gott läßt die ganze Natur leben, wie er den Menschen leben läßt; aber es giebt eine Ordnung in seiner Theodicee. Es giebt Unterscheidungen in seinem Gedanken und folglich in seinen Werken, die sein verwirklichter Gedanke sind. Lies das große Buch, das man die Genesis nennt, dieses Buch, das die gemeine Menge mit Recht für heilig hält, ohne es zu verstehen; Du wirst darin sehen, daß die ewige Schöpfung durch das den Unterschied der Wesen feststellende göttliche Licht geschieht: Es werde Licht und es ward Licht. Du wirst wiederum darin sehen, daß jedes Wesen, das einen Namen nach dem göttlichen Gedanken hatte, eine Gattung ist: creavit cuncta juxta genus suum et secundu, speciem suam. Welches ist also die besondere Formel des Menschen?

– Ich verstehe Dich. Du willst, ich soll Dir eine Formel des Menschen, analog der Gottes geben. Die göttliche Dreieinigkeit muß sich in allen Werken Gottes wiederfinden; jedes Werk Gottes muß die göttliche Natur, doch auf eine specielle Art reflektiren; Jedes, mit einem Worte, nach seiner Art.

– Gewiß. Die Formel des Menschen will ich Dir sagen. Es wird noch lange Zeit vergehen, ehe die heutigen in ihren Ansichten getheilten Philosophen, sich vereinigen, um sie zu begreifen. Doch Einer lebt, der sie schon vor vielen Jahren gefaßt hat. Dieser ist größer als die Andern, obgleich er bei dem gemeinen Haufen unendlich weniger berühmt ist.

Während Descartes' Schule sich in der reinen Vernunft verliert, und aus dem Menschen eine Denkmaschine, ein Werkzeug für Schlüsse und die Logik macht; während Locke und seine Schule sich in der Empfindung verliert und aus dem Menschen eine Sinnpflanze macht; während Andere, die ich aus Deutschland anführen könnte, sich ins Gefühl versenken und aus dem Menschen, in Bezug auf die Liebe einen Egoismus in zwei Personen, in Bezug auf die Familie einen Egoismus zu drei, vier oder noch mehr Personen machen: hat Er, der größte von Allen, angefangen zu begreifen, daß der Mensch das Alles in einer Person, das Alles untheilbar ist. Dieser Philosoph ist Leibnitz.

Er begriff die großen Dinge; er theilte nicht die abgeschmackte Verachtung, die unser Jahrhundert für das Alterthum und das Christenthum an den Tag legt. Er wagte zu behaupten, daß selbst auf dem Misthaufen des Mittelalters Perlen waren. Perlen! Ich glaube es wohl! Die Wahrheit ist ewig und alle Propheten haben sie empfangen.

Ich sage Dir also mit ihm, und mit einer noch stärkern Versicherung als die seinige, daß der Mensch eine Dreieinigkeit ist, wie Gott. Und diese Dreieinigkeit heißt in menschlicher Sprache: Empfindung, Gefühl, Erkenntniß. Und die Einheit dieser drei Dinge bildet die menschliche Trias, entsprechend der göttlichen Trias. Hieraus kommt alle Geschichte, hieraus kommt alle Politik; dort mußt Du sie schöpfen, wie an einer immer lebendigen Quelle.

– Du überschreitest Abgründe, die mein Geist, weniger schnell als der Deinige, nicht so schnell überschreiten kann, nahm Spartacus das Wort. Wie geht aus der psychologischen Definition, die Du mir so eben gegeben hast, eine Methode und eine Regel der Gewißheit hervor? Das frage ich Dich zuerst.

– Diese Methode folgt daraus sehr leicht, antwortete Rudolstadt. Ist die menschliche Natur bekannt, so kommt es nur darauf an, sie ihrem Wesen nach zu bilden. Wenn Du das unvergleichliche Buch, aus dem das Evangelium selbst hervorgegangen ist, wenn Du die Mosen zugeschriebene Genesis verständest, die, wenn sie wirklich von diesem Propheten herrührt, von ihm aus den Tempeln zu Memphis hinweggenommen wurde, so würdest Du wissen, daß die menschliche Auflösung oder die von der Genesis sogenannte Sündfluth keine andere Ursache als die Trennung dieser drei Fähigkeiten der menschlichen Natur hat, welche auf diese Weise ihre Einheit und dadurch ihre Beziehung mit der göttlichen Einheit verlor, in welcher Verstand, Liebe und Thätigkeit ewig vereinigt bleiben.

Du würdest dann verstehen, wie jeder Organisator Noah, den Regenerator, nachahmen muß. Was die Schrift die Generationen Noah's nennt und die Ordnung, in welcher sie sie aufstellt und die Harmonie, die sie unter ihnen begründet, würde dir als Führer dienen. So würdest du zugleich in der metaphysischen Wahrheit eine Methode der Gewißheit finden, um die menschliche Natur in jedem Menschen würdig zu bilden, und ein Licht, um dich über die wahre Organisation der Gesellschaften aufzuklären.

Aber ich sage es dir abermals; ich glaube die gegenwärtige Zeit nicht gemacht zu organisiren: es giebt zu viel zu zerstören. Daher empfehle ich dir besonders, der Methode wegen, dich an die Lehre anzuschließen. Die Zeit der Auflösung ist nahe, oder vielmehr sie ist schon gekommen. Ja, die Zeit ist gekommen, wo die drei Fähigkeiten der menschlichen Natur sich aufs Neue trennen, und wo ihre Trennung dem socialen, politischen und religiösen Körper den Tod geben wird.

Was wird geschehen? Die Empfindung wird ihre falschen Propheten hervorbringen und sie werden die Empfindung verherrlichen. Das Gefühl wird falsche Propheten hervorbringen, und sie werden das Gefühl verherrlichen. Die Erkenntniß wird ihre falschen Propheten herbeiführen und sie werden den Verstand preisen. Die letztern sind die Dünkelvollen, welche Satan gleichen. Die zweiten sind Fanatiker, bereit in das Böse zu versinken, wie nach dem Guten zu streben, ohne ein Kriterium der Gewißheit und ohne Regel. Die Andern werden sein, was, wie Homer erzählt, die Gefährten des Ulysses unter dem Zauberstab der Circe wurden.

Folge keinem dieser drei Wege, welche, getrennt genommen, in Abgründe, der eine in den Materialismus, der andere zum Mysticismus, der dritte zum Atheismus, führen. Es giebt nur einen sichern Weg zur Wahrheit: derjenige, welcher vollkommen der Menschennatur, der nach allen Richtungen entwickelten Menschennatur entspricht. Verlaß ihn nicht diesen Weg, und denke deshalb unaufhörlich über die Lehre und ihre erhabene Formel nach.

– Du lehrst mir hier Dinge, die ich schon geahnet hatte. Aber morgen habe ich dich nicht mehr. Wer soll mich in der theoretischen Kenntniß der Wahrheit und von da zur praktischen führen?

– Es bleiben dir noch andere sichere Führer. Vor Allem lies die Genesis und strenge dich an, ihren Sinn zu erfassen. Nimm sie nicht für ein Buch der Geschichte, für ein Denkmal der Chronologie. Es giebt nichts Wahnsinnigeres, als diese Meinung, die doch überall verbreitet ist, bei den Gelehrten wie bei den Schülern und in allen christlichen Gemeinden.

Lies das Evangelium neben der Genesis und verstehe es durch die Genesis, nachdem du es mit deinem Herzen erfaßt hast. Seltsam! das Evangelium ist wie die Genesis verehrt und unverstanden. Das sind die großen Quellen. Aber es giebt noch andere.

Sammle mit frommem Sinn, was uns von Pythagoras übriggeblieben ist. Lies auch die unter dem Namen des göttlichen Theosophen, dessen Namen ich im Tempel trug, bekannten Schriften. Glaubt nicht, meine Freunde, daß ich diesen hochverehrten Namen Trismegistus selbst gewagt hätte anzunehmen; die Unsichtbaren befahlen mir, ihn zu tragen. Die Schriften des Hermes, jetzt von den Pedanten verachtet, welche einfältig sie für die Erfindung irgend eines Christen des zweiten oder dritten Jahrhunderts halten, schließen die alte ägyptische Weisheit in sich. Ein Tag wird kommen, wo sie, erläutert und ans Licht gestellt, so erscheinen werden, wie sie sind, als kostbarere Denkmale als die des Plato; denn Plato hat hieraus seine Weisheit geschöpft und man muß hinzusehen, er hat die Wahrheit in seiner Republik seltsam verkannt und verfälscht.

Lies also Trismegistus und Plato und diejenigen, welche nach ihnen über das große Geheimniß nachgedacht haben. Unter ihnen empfehle ich dir den edlen Mönch Campanella, welcher gräßliche Qualen litt, weil er träumte, was du träumst, die auf Weisheit und Wahrheit gegründete menschliche Organisation.

Wir hörten ihm schweigen-d zu.

– Wenn ich von Büchern spreche, fuhr Rudolstadt fort, so glaubt nicht, daß ich, gleich den Katholiken, götzendienerisch das Leben in die Gräber einschließe. Ich sage Euch von den Büchern was ich Euch gestern von andern Denkmalen der Vergangenheit sagte. Die Bücher und die Monumente sind Trümmer des Lebens, an denen das Leben sich nähren kann und darf. Doch das Leben ist immer gegenwärtig und die ewige Dreieinigkeit ist in uns und auf die Stirn der Gestirne besser eingegraben, als in den Büchern des Plato oder des Hermes.

Ohne es zu wollen gab ich dem Gespräch eine andere Wendung.

– Meister, sagte ich zu ihm, du sprachst so eben also: Die Dreieinigkeit ist besser auf der Stirn der Gestirne eingegraben … was verstehst du darunter? Ich sehe wohl, wie die Bibel spricht, die Herrlichkeit Gottes leuchten in dem Glanz der Gestirne, doch keinen Beweis des allgemeinen Gesetzes des Lebens, welches du Dreieinigkeit nennst.

– Weil die physischen Wissenschaften, antwortete er mir, noch zu wenig vorgeschritten sind, oder vielmehr, weil du sie noch nicht so tief ergründet hast, als sie jetzt dastehen. Hast du von den Entdeckungen über die Electricität sprechen hören? Ohne Zweifel, denn sie haben die Aufmerksamkeit aller Gebildeten auf sich gezogen. Nun, hast du nicht bemerkt, daß die, wenn es sich um die göttliche Dreieinigkeit handelt, so ungläubigen, so spöttischen Gelehrten, in Bezug auf diese Erscheinungen, dahin gekommen sind, die Dreieinigkeit anzuerkennen? Denn sie sagen selbst, es gäbe keine Electricität ohne Wärme und ohne Licht und umgekehrt; kurz sie sehen hier Drei in Einem, was sie von Gott nicht zugestehen wollen.

Und er begann uns von der Natur vorzusprechen und von der Nothwendigkeit, alle ihre Erscheinungen an ein allgemeines Gesetz zu binden.

– Das Leben, sagte er, ist Eins; es giebt nur einen Lebensakt. Es kommt nur darauf an, zu begreifen, wie alle Einzelwesen durch die Gnade und Vermittelung des absoluten Seins leben, ohne deshalb in dasselbe verschlungen zu sein.

Ich, meinerseits, wäre entzückt gewesen, wenn er sich über diesen Punkt noch weiter ausgesprochen hätte. Doch seit einiger Zeit schien Spartacus seinen Worten weniger Aufmerksamkeit zu schenken. Das geschah nicht, weil er weniger Interesse daran nahm; aber die geistige Spannkraft des Greises konnte nicht immer dauern und er wollte von ihr Gewinn ziehen, indem er ihn auf seinen Lieblingsgegenstand zurückführte

Rudolstadt bemerkte diese Art Ungeduld.

– Du folgst mir nicht mehr, sagte er zu ihm; sollte dir die Wissenschaft der Natur, auf die Weise, wie ich sie verstehe, unnahbar sein? Wenn das deine Gedanken sind, so täuschest du dich. Ich schätze die jetzigen Arbeiten der einzig auf die Erfahrung zugewendeten Gelehrten so sehr wie du. Doch wenn man in dieser Richtung fortgeht, wird man keine Wissenschaft hervorbringen, sondern nur Verzeichnisse von Namen.

Noch dazu bin ich nicht der Einzige, der das glaubt. Ich lernte in Frankreich einen Philosophen kennen, den ich sehr geliebt habe, Diderot, der in Bezug auf die Anhäufungen von wissenschaftlichen Materialien ohne eine allgemeine Idee oft ausrief: Das ist höchstens gleich der Arbeit der Steinhauer, ich sehe aber hier weder ein Gebäude, noch einen Architecten.

Wisse denn, früher oder später wird die Lehre mit den Naturwissenschaften sich beschäftigen; sie wird mit diesen Steinen bauen müssen. Und dann, glaubst du, die Physiker könnten jetzt wahrhaft die Natur begreifen? Können sie sie, von ihnen des lebendigen Gottes beraubt, der sie erfüllt, fühlen und erkennen? Sie nehmen zum Beispiel das Licht für Materie, den Ton für Materie, da doch Licht und Ton …

– Ach, rief Spartacus, ihn unterbrechend, glaube nicht, daß ich deine Anschauungen über die Natur verwerfe. Nein, ich fühle, daß nur durch die Erkenntniß der göttlichen Einheit und der völligen Uebereinstimmung aller Phänomene wahre Wissenschaft möglich ist. Aber du öffnest uns alle Wege und ich zittere bei dem Gedanken, daß du bald schweigen wirst. Ich wünschte, du führtest mich auf einen dieser Wege um einige Schritte weiter.

– Auf welchem? fragte Rudolstadt.

– Die Zukunft der Menschheit beschäftigt mich.

– Ich verstehe, du wünschest, ich soll dir mein Utopien sagen, erwiederte der Greis lächelnd.

– Deshalb bin ich zu dir gekommen, sagte Spartacus, um dein Utopien zu hören, um die neue Gesellschaft kennen zu lernen, die du in deinem Kopfe und in deinem Herzen trägst. Wir wissen, daß die Gesellschaft der Unsichtbaren ihre Grundlagen erforscht und überdacht hat. Diese ganze Arbeit ist in dir gereift, laß uns davon Gewinn ziehen. Gieb uns deine Republik; wir wollen sie versuchen, so weit sie uns realisirbar erscheinen wird und die Strahlen deines geistigen Lichtes werden nach und nach die Welt in Bewegung setzen.

– Kinder, Ihr fragt nach meinen Träumen? antwortete der Philosoph. Ja, ich will versuchen, den Schleier ein wenig zu lüften, der mir so oft vor mir selbst die Zukunft verbirgt! Es wird vielleicht das letzte Mal sein, aber ich muß es heute noch versuchen; denn ich habe den Glauben, daß bei Euch nicht Alles verloren sein wird in den goldenen Träumen meiner Poesie!

Da trat Trismegistus in eine Art göttlicher Verzückung; seine Augen strahlten wie Gestirne, und seine Stimme däuchte uns wie der Orkan. Länger als vier Stunden sprach er und sein Wort war schön und rein, wie ein heiliger Gesang.

Er führte uns mit dem religiösen, politischen und künstlerischen Leben aller Jahrhunderte das herrlichste Gedicht vor, das man sich denken kann. Er deutete alle Religionen der Vergangenheit, alle Mysterien der Tempel, der Geschichte und der Gesetzgebungen; alle Bemühungen, alle Bestrebungen, alle Arbeiter der früheren Menschheit; in dem, was uns todt oder verdammt geschienen hatte, fand er die Elemente des Lebens wieder, und selbst aus der Nacht der Fabel ließ er Blitze der Wahrheit hervorsprühen.

Er erklärte die Mythen des Alterthums; er zeigte in seiner klaren, geistreichen Darstellung alle Bande, alle Berührungspunkte der Religionen unter sich auf. Er lehrte uns die mehr oder weniger von den Gesetzgebern erkannten, mehr oder weniger von den Völkern realisirten wahren Bedürfnisse der Menschheit kennen. Vor unsern Augen errichtete er wieder die Einheit des Lebens in der Menschheit und die Einheit des Dogma in der Religion; und aus allen in der alten und neuen Welt zerstreuten Materialien bildete er die Grundlagen seiner künftigen Welt.

Endlich ließ er die Auflösungen der Continuität, die wir so lange bei unsern Studien festgehalten hatten, verschwinden. Er füllte die Abgründe der Geschichte aus, die uns so erschreckt hatten. Er rollte in einer einzigen unendlichen Spirale jene Tausende von heiligen Banden auf, welche die Mumie der Wissenschaft umhüllten. Und als wir mit der Schnelligkeit des Blitzes das, was er uns mit gleicher Schnelligkeit lehrte, verstanden hatten; als wir das Ganze seiner Visionen erfaßt hatten und die Vergangenheit, die Mutter der Gegenwart, sich vor uns erhob, wie der strahlende Mensch der Apokalypse, hielt er inne und sagte uns lächelnd:

– Jetzt begreift Ihr die Vergangenheit und die Gegenwart. Muß ich Euch auch die Zukunft kennen lehren? glänzt nicht der heilige Geist vor Euern Augen? Sehr Ihr nicht, daß alles Erhabene, was der Mensch gewünscht und geträumt hat, möglich und gewiß ist, aus dem einzigen Grunde, weil die Wahrheit ewig und absolut ist, trotz der Schwäche unsrer Organe, sie zu ergreifen und zu besitzen? Und doch besitzen wir sie Alle durch die Hoffnung und die Sehnsucht: sie lebt in uns, sie existirt zu jeder Zeit in der Menschheit als Keim, der die göttliche Befruchtung erwartet. Wahrlich, ich sage Euch, wir klimmen nach dem Ideale auf und dieses Klimmen ist unendlich wie das Ideal selbst.

Er sprach noch weiter; und sein Gedicht von der Zukunft war so herrlich, als das von der Vergangenheit. Ich wage nicht, es hier niederzuschreiben: ich würde es verderben und man muß selbst unter dem Feuer der Inspiration stehen, um wiederzugeben was die Inspiration geschaffen hat. Ich bedarf vielleicht zwei oder drei Jahre des Nachdenkens, um würdig zu schreiben, was Trismegistus uns in zwei oder drei Stunden sagte. Das Werk des Lebens von Sokrates war die Arbeit von Plato's Leben und das Werk Christi ist die Arbeit von siebzehn Jahrhunderten gewesen.

Du siehst, daß ich, Unglücklicher und Unwürdiger, bei dem Gedanken an meine Aufgabe zittern muß. Ich entsage ihr jedoch nicht. Der Meister kümmert sich um dieses Niederschreiben nicht, wie ich es machen will. Als Mann der Wirksamkeit hat er bereits ein Gesetzbuch verfaßt, das von seinem Gesichtspunkt aus die ganze Lehre des Trismegistus so genau und klar enthält, als wenn er selbst sie sein ganzes Leben lang überdacht und ergründet hätte.

Er hat sich, wie durch elektrische Berührung, dem ganzen Geist, dem ganzen Gemüth des Philosophen assimilirt. Er besitzt es, er bewältigt es; er wird sich dessen als Politiker bedienen: es wird die lebendige und unmittelbare Ueberlieferung sein, statt des zögernden und todten Buchstabens, den ich bedenke. Und ehe ich mein Werk vollbracht habe, wird er die Lehre seiner Schule überliefert haben. Ja, vielleicht vor Ablauf von zwei Jahren, wird das seltsame und geheimnißvolle Wort, das sich so eben in dieser Wüste hören ließ, unter zahlreichen Adepten Wurzel gefaßt haben und wir werden diese ungeheure unterirdische Welt der geheimen Gesellschaft, die jetzt in der Finsterniß wirkt, unter einer neuen Lehre sich vereinigen, eine neue Gesetzgebung empfangen und durch Einweihung in das Wort des Lebens ihre Wirksamkeit wiederfinden sehen.

Wir bringen es dir, dieses so ersehnte Monument, das die Ahnungen des Spartacus bestätigt, die von ihm schon errungenen Wahrheiten heiligt und seinen Gesichtskreis mit der ganzen Fülle eines begeisterten Glaubens erweitert.

Während Trismegistus sprach und ich, begierig und zitternd, einen Laut dieses Wortes zu verlieren, das mir wie eine heilige Musik erklang, zuhörte, verzeichnete Spartacus, Herr seiner selbst in seiner Aufregung, mit glühendem Auge, aber fester Hand und mit einem Geist, der noch offener war, als am Ohr, auf seine Schreibtafel schnell Zeichen und Figuren, als wenn der metaphysische Begriff dieser Lehre sich ihm unter den Formen der Geometrie dargestellt hätte.

Als er an demselben Abend noch sich zu diesen seltsamen Bemerkungen, die mir keinen Sinn boten, wandte, war ich erstaunt, zu sehen, daß er sich ihrer bediente, um mit einer unglaublichen Genauigkeit die Folgerungen der poetischen Logik des Philosophen niederzuschreiben und in Ordnung zu bringen. Alles hatte sich, wie durch Zauberei, in der geheimen Werkstatt des praktischen Verstand-es unsers Meisters vereinfacht und zusammengezogen Bekanntlich bediente sich Weishaupt, ein ausgezeichneter Organisator, dieser materiellen Zeichen, um sein System aufzuzeichnen und schickte seinen fernen Schülern durch Kreise und Linien auf einem kleinen viereckigen Blatt Papier seine ganze Theorie..

Er war noch nicht befriedigt. Die Inspiration schien Trismegistus zu verlassen. Seine Augen verloren den Glanz, sein Körper schien zu ermatten, und die Zingara winkte uns, ihn nicht mehr zu fragen. Doch, eifrig auf die Erforschung der Wahrheit, hörte sie Spartacus nicht mehr und drängte den Dichter mit stürmischen Fragen.

– Du hast mir das Reich Gottes auf Erden geschildert, sagte er zu ihm, seine erkaltete Hand schüttelnd; doch Jesus hat gesagt: Mein Reich ist noch nicht von dieser Welt; und seit siebzehn Jahrhunderten wartet die Menschheit vergeblich auf die Erfüllung seiner Verheißung. Ich habe mich nicht zu derselben Höhe der Beschauung der Ewigkeit erhoben, wie du. Die Zeit stellt sich dir wie Gott selbst unter dem Schauspiel oder der Idee einer fortdauernden Thätigkeit dar, von der alle Phasen zu jeder Stunde deinem exaltirten Gefühl entsprechen. Ich lebe der Erde näher; ich zähle die Jahrhunderte und die Jahres, ich will in meinem eignen Leben lesen. Sage mir, Prophet, was muß ich in der Phase, in der du mich siehst, thun, was wird dein Wort auf mich wirken und was wird es durch mich in dem Jahrhundert wirken, das sich erhebt. Ich will nicht vergeblich vorübergegangen sein.

– Was kümmert's dich, was ich davon wissen kann, antwortete der Dichter; Niemand lebt vergebens; nichts ist verloren, keiner von uns ist unnütz. Laß mich meine Blicke von diesen Einzelnheiten abwenden, die das Herz betrüben und den Geist beschweren. Die Müdigkeit erdrückt mich, weil ich nur einen Augenblick daran gedacht habe.

– Prophet, du hast das Recht nicht, dich dieser Ermattung hinzugeben, nahm Spartacus nachdrücklich wieder das Wort, indem er sich bemühte, das Feuer seines Blicks dem unbestimmten und schon träumerischen Blick des Dichters mitzutheilen. Wenn du dich von dem Anblick des menschlichen Elends abwendest, so bist du der wahre Mensch, der vollkommne Mensch nicht, von dem ein Dichter des Alterthums sagt: Homo sum, et nihil humani a me alienum puto. Nein, du liebst die Menschen nicht, du bist nicht ihr Bruder, wenn du nicht an den Leiden Theil nimmst, die sie in jeder Stunde der Ewigkeit ertragen, und wenn du nicht eilig in der Anwendung deines Ideals ein Mittel dagegen suchst. Unglücklicher Künstler, der sich nicht von einem glühenden Fieber verzehrt fühlt bei dieser furchtbaren und köstlichen Nachforschung.

– Was verlangst du denn von mir? erwiederte der Dichter, seinerseits bewegt und fast erzürnt. Hast du denn den Stolz, der einzige Arbeiter zu sein, und glaubst du, ich schriebe mir die Ehre zu, der einzige Inspirirte zu sein? Ich bin kein Wahrsager; ich verachte die falschen Propheten, ich habe lange genug gegen sie gekämpft. Meine Voraussagungen sind Schlüsse; meine Visionen erhabene Vorstellungen in ihrer höchsten Potenz. Der Dichter ist etwas Anderes als ein Zauberer. Er träumt wohl, während der Andere, dem Zufall preisgegeben, erfindet. Ich glaube an deine Thatkraft, weil ich ihre Macht fühle; ich glaube an die Erhabenheit meiner Träume, weil ich mich fähig fühle, sie hervorzubringen und die Menschheit groß und edel genug ist, um hundertfach und in Masse zu realisiren, was eines ihrer Glieder isolirt hat erkennen können.

– Nun, erwiederte Spartacus, eben das Geschick dieser Menschen verlange ich von dir zu wissen im Namen der Menschheit, die auch in meinem Innern wirkt und die ich vielleicht mit größerer Sorge und Liebe als du selbst im Herzen trage. Ein entzückender Traum verbirgt dir ihre Leiden und ich komme mit ihnen zitternd in jeder Stunde meines Lebens in Berührung. Ich dürste danach, sie zu mildern und möchte sie, wie ein Arzt am Bett eines sterbenden Freundes, aus Unvorsichtigkeit lieber tödten, als ohne Hülfe sterben lassen.

Du siehst, ich bin ein gefährlicher Mensch, vielleicht ein Ungeheuer, wenn du mich nicht zu einem Heiligen machst. Zittere für die Sterbende, wenn du das Heilmittel nicht in die Hände des Enthusiasten legst! die Menschheit träumt, singt und betet in dir. In mir leidet, schreit und klagt sie. Du hast mir die Zukunft eröffnet, aber deine Zukunft ist noch fern, was du auch sagen magst, und es bedarf manches Schweißes noch, um einige Tropfen deines Balsams auf die blutenden Wunden zu gießen. Generationen schmachten und vergehen ohne Licht und ohne Handlung.

Ich, die Person gewordene leidende Menschheit; ich, der Schmerzensschrei und der Wille des Heils, ich will wissen, ob meine Wirksamkeit verderblich oder wohlthuend sein wird. Du hast deine Augen von dem Leide nicht also abgewendet, daß du nicht wissen solltest, daß es besteht. Wo muß ich zunächst hingehen? Was soll ich morgen thun? soll ich die Feinde des Guten durch Sanftmuth oder Gewalt bekämpfen? Erinnere dich deiner lieben Taboriten; sie sahen ein Meer von Blut und Thränen vor sich, ehe sie in das irdische Paradies eingehen konnten.

Ich halte dich für keinen Wahrsager, aber ich sehe in dir einen mächtigen Verstand, eine herrliche Klarheit, trotz allen deinen Symbolen; wenn du sicher die entfernteste Zukunft voraussehen kannst, so kannst du auch noch sicherer den verschleierten Horizont durchbrechen, der die Kraft meines Gesichts beschränkt.

Der Dichter schien die Beute eines lebhaften Schmerzes. Der Schweiß rann von seiner Stirn. Er betrachtete Spartacus bald mit Entsetzen, bald mit Enthusiasmus; ein furchtbarer Kampf drückte ihn nieder. Seine Gattin schlang erschreckt ihre Arme um ihn und richtete stumme Vorwürfe an unsern Meister durch Blicke, in denen sich doch eine achtungsvolle Furcht aussprach.

Nie habe ich Spartacus' Macht mehr gefühlt, als in diesem Augenblicke, wo er mit seinem fanatischen Willen nach Rechtlichkeit und Wahrheit die Qualen dieses mit der Inspiration kämpfenden Propheten, den Schmerz dieses stehenden Weibes, das Entsetzen ihrer Kinder und die Vorwürfe seines eigenen Herzens beherrschte. Ich zitterte selbst und fand ihn grausam. Ich fürchtete die schöne Dichterseele in der äußersten Anstrengung brechen zu sehen und die Thränen, die in den schwarzen Augenwimpern Consuelo's hingen, fielen bitter und brennend auf mein Herz.

Plötzlich erhob sich Trismegistus, stieß Spartacus und die Zingara von sich, winkte den Kindern, sich zu entfernen, und erschien uns wie verklärt. Sein Blick schien in einem unsichtbaren Buche, unendlich wie die Welt, geschrieben in Lichtcharaktere an dem Gewölbe des Himmels zu lesen.

Er rief:

– Bin ich nicht der Mensch? … Warum soll ich nicht sagen, was die menschliche Natur verlangt und also auch verwirklicht? Ja, ich bin der Mensch: Also kann ich sagen, was der Mensch will und was er wirken wird. Wer die Wolke aufsteigen sieht, kann den Blitz und den Orkan voraussagen. Ich weiß, was ich in meinem Herzen trage und was daraus hervorgehen wird. Ich bin der Mensch und stehe in Bezug mit der Menschheit meiner Zeit. Ich habe Europa gesehen und kenne die Stürme, die in seinem Schooße grollen …

Freunde, unsere Träume sind keine Träume; ich schwöre es bei der menschlichen Natur. Diese Träume sind nur Träume in Bezug auf die gegenwärtige Gestalt der Welt. Doch wer hat die Macht, der Geist oder die Materie? Das Evangelium sagt: Der Geist weht, wohin er will. Der Geist wird wehen und das Angesicht der Welt verändern. In der Genesis steht geschrieben: der Geist wehte über die Wasser, als Alles Chaos und Finsterniß war. Die himmlische Schöpfung ist ewig. Schaffen wir denn, das heißt, gehorchen wir dem Hauch des Geistes. Ich sehe Finsterniß und Chaos! Warum sollten wir in der Finsterniß bleiben? » Veni creator spiritus.«

Er unterbrach sich und begann von Neuem also:

– Kann Ludwig XV. gegen dich kämpfen, Spartacus? … Friedrich, Voltaire's Schüler, ist nicht so mächtig als sein Meister … Und wenn ich Maria Theresia mit meiner Consuelo vergleiche! … Aber welche Lästerung!

Er unterbrach sich von Neuem:

– Wohlan, Zdenko, mein Sohn! Du, der Nachkömmling der Podiebrad, der du den Namen eines Sklaven führst, bereite dich, uns zu unterstützen. Du bist der neue Mensch: Welche Partei wirst du ergreifen? Wirst du mit deinem Vater und deiner Mutter oder mit den Tyrannen der Welt seufzen? In dir ist die Kraft, jugendliches Geschlecht! Wirst du die Sklaverei oder die Freiheit befestigen? Sohn Consuelo's, Sohn der Zigeunerin, Pathe des Sklaven, ich hoffe, du wirst mit der Zigeunerin und den Sklaven sein. Ohnedem verläugne ich dich, ich, der Sprosse von Königen.

Er fügte hinzu:

– Derjenige, welcher zu behaupten wagte, das göttliche Wesen, welches Schönheit, Güte und Macht ist, wird sich nicht auf der Erde verwirklichen, das ist Satan.

Er fügte ferner hinzu:

– Und wer zu behaupten wagen sollte, das menschliche Wesen, geschaffen nach dem Bilde Gottes, wie die Bibel sagt, und das Empfindung, Gefühl, Erkenntniß ist, wird sich nicht auf Erden realisiren, das ist Cain.

Er blieb einige Zeit stumm und begann dann von Neuem wieder:

– Dein kräftiger Wille, Spartacus, hat eine Verschwörung hervorgebracht … Wie schwach sind die Könige auf ihren Thronen! … Sie halten sich für mächtig, weil sich Alles vor ihnen beugt … sie sehen nicht, was sie bedroht … Ach, Ihr habt den Adel und ihre Bewaffneten, die Bischöfe und ihre Geistlichkeit gestürzt; und Ihr haltet Euch für sehr stark! … Aber was Ihr gestürzt habt, war Eure Kraft; nicht Eure Mätressen, Eure Höflinge, noch Eure Abbés werden Euch vertheidigen, arme Monarchen, eitle Schattenbilder … Eile nach Frankreich, Spartacus! Frankreich wird bald zerstören … es bedarf deiner … lauf, sage ich dir, eile, wenn du an dem Werke Theil nehmen willst … Frankreich ist vor allen Nationen dazu bestimmt. Schließ dich an den Erstgebornen des Menschengeschlechts an, mein Sohn … Ich höre über Frankreich die Stimme des Jesaias ertönen: »Erhebe dich, sei erleuchtet; denn dein Licht ist gekommen und die Herrlichkeit des Ewigen ist auf dich herabgestiegen; und die Völker werden zu deinem Lichte wallfahrten.« Das sangen die Taboriten von Tabor herab: Jetzt ist Frankreich Tabor!

Er schwieg einige Zeit. Seine Züge trugen den Ausdruck des Glücks.

– Ich bin glücklich, rief er, gepriesen sei Gott in der Höhe, wie das Evangelium sagt, und Friede den Menschen auf Erden! … Die Engel singen das; ich fühle mich gleich den Engeln und möchte mit ihnen singen … Was ist denn geschehen? … Ich bin noch immer mitten unter Euch, meine Freunde, ich bin noch immer bei dir, meine Eva, o, meine Consuelo! Da sind meine Kinder, die Seelen meiner Seele. Aber wir sind nicht mehr in den Gebirgen Böhmens; auf den Trümmern des Schlosses meiner Väter. Es scheint mir, ich athme das Licht und freue mich der Ewigkeit …

Wer von uns sagte denn noch so eben: O, das Leben ist schön, die Natur ist schön, die Menschheit ist schön! Aber er fügte hinzu: Die Tyrannen haben das Alles verdorben … Tyrannen! es giebt keine mehr. Der Mensch ist dem Menschen gleich. Die menschliche Natur ist verstanden, anerkannt, geheiligt. Der Mensch ist frei, gleich und Bruder. Es giebt keine andere Definition des Menschen. Keine Herren, keine Sklaven mehr …

Hört Ihr den Ruf: Es lebe die Republik! Hört Ihr diese unzählbare Menge, die Freiheit, Bruderliebe, Gleichheit verkündet … Ach, es war die Formel, die in unsern Mysterien mit leiser Stimme verkündigt wurde und die Adepten der hohen Grade theilten sie nur einander mit. Es ist also kein Geheimniß mehr nöthig. Die Sacramente sind für alle Welt, der Kelch für Jedermann! wie unsere Väter, die Hussiten, sagten.

Aber plötzlich brach er, ach! in heiße Thränen aus:

– Ich wußte wohl, die Lehre war noch nicht weit genug vorgedrungen! … Nicht genug Menschen trugen sie in ihrem Herzen, oder faßten sie mit ihrem Geiste! …

– Welches Entsetzen! fuhr er fort, Krieg überall! und welch ein Krieg!

Er weinte lange. Wir wußten nicht, welche Visionen sich vor seine Augen drängten. Wir glaubten, er sähe den Hussitenkrieg wieder. Alle seine Fähigkeiten schienen getrübt, seine Seele glich der Christi auf Golgatha.

Ich litt sehr, als ich seine Schmerzen sah. Spartacus war fest, wie ein Mann, der die Orakel befragt.

– Herr, Herr, rief der Prophet, nachdem er lange Zeit geweint und geseufzet hatte, erbarme dich unser. Wir sind in deiner Hand; thue mit uns wie du willst.

Bei diesen letzten Worten streckte Trismegistus seine Hände aus, um die seiner Gattin zu suchen, als wäre er plötzlich des Gesichts beraubt. Die kleinen Mädchen drängten sich ganz erschreckt an sein Herz und sie blieben alle versunken in tiefem Schweigen. In den Zügen der Zingara malte sich Entsetzen, und der junge Zdenko forschte mit Schrecken in den Blicken seiner Mutter. Spartacus sah sie nicht. Schwebte die Vision des Dichters noch vor seinen Augen?

Endlich näherte er sich der Gruppe und die Zingara winkte ihm, ihren Gatten nicht zu erwecken. Seine Augen waren offen und starrten vor sich hin. Schlief er nach Art der Somnambulen, oder sah er langsam am Horizont die Gesichte verschwinden, die ihn aufgeregt hatten? Nach Verlauf einer Viertelstunde athmete er tief auf, seine Augen belebten sich, er zog seine Frau und seinen Sohn an seinen Busen und hielt sie lange umarmt.

Dann erhob er sich und winkte, daß er sich wieder auf den Weg machen wolle.

– Die Sonne ist sehr heiß für dich in dieser Stunde, sagte Consuelo zu ihm; willst du nicht lieber ruhen unter diesen Bäumen?

– Die Sonne ist gut, antwortete er mit heiterem Lächeln, und wenn du sie nicht mehr als gewöhnlich fürchtest, mir wird sie sehr wohl thun.

Jeder nahm seine Last auf, der Vater den Reisesack, der Jüngling die musikalischen Instrumente, und die Mutter ergriff die Hände ihrer beiden Töchter.

– Ihr habt mir viel Schmerz gemacht, sagte sie zu Spartacus; aber ich weiß, er muß für die Wahrheit leiden.

– Fürchtet Ihr nicht, daß diese Krisis nachtheilige Folgen habe? fragte ich sie besorgt. Laßt mich noch mit Euch gehen. Ich kann Euch nützlich sein.

– Seid gesegnet für Eure Milde, antwortete sie, doch folgt uns nicht. Ich fürchte nichts für ihn, als für einige Stunden ein wenig Trübsinn. Doch an diesem Orte war Gefahr, eine furchtbare Erinnerung, vor der Ihr ihn bewahrt habt durch die Beschäftigung mit andern Gedanken. Er wollte hieher kommen, und Dank Euch, er hat den Ort nicht einmal erkannt. Ich segne Euch also auf alle Weise und wünsche Euch Gelegenheit und Mittel, Gott mit allem Euren Willen und aller Eurer Kraft zu dienen.

Ich hielt die Kinder zurück, um sie zu liebkosen und die schwindenden Augenblicke zu verlängern; doch die Mutter nahm sie mir wieder und ich fühlte mich wie von Allem verlassen, als sie mir zum letzten Male Lebewohl sagte.

Trismegistus gab uns keinen Abschiedsgruß; er schien uns vergessen zu haben. Seine Frau beschwor uns, ihn nicht zu stören. Er stieg festen Fußes den Hügel hinab. Sein Gesicht war ruhig und er half mit glücklicher Heiterkeit seiner ältesten Tochter über die Gebüsche und Felsen springen.

Der schöne Zdenko schritt mit seiner Mutter und seiner jüngsten Schwester hinter ihm her. Wir folgten ihnen lange mit den Augen auf dem mit Goldsand bestreuten Wege, dem herrenlosen Wege des Waldes. Endlich verschwanden sie unter den Fichten; und im Augenblick, wo die Zingara zum letzten Male sichtbar wurde, sahen wir, wie sie ihre kleine Wenceslawa erhob und auf ihre kräftige Schulter setzte. Dann eilte sie, gewandt wie eine ächte Zigeunerin, poetisch wie die gute Göttin der Armuth, ihre liebe Caravane einzuholen …

· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·

Und auch wir sind unterwegs, auch wir gehen! Das Leben ist eine Wanderung, welche das Leben zum Zweck hat und nicht den Tod, wie man es im materiellen und rohen Sinne sagt. Wir haben nach besten Kräften die Bewohner des Dörfchens getröstet, und haben den alten Zdenko, auf seinen Morgen wartend, verlassen. In Pilsen trafen wir unsere Brüder; hier schrieb ich diesen Bericht für dich nieder und bald werden wir nach andern Forschungen abreisen. Und auch du, Freund, halte dich zur ruhelosen Wanderung, zu unermüdlicher Thätigkeit bereit. Wir gehen dem Siege, oder dem Märtyrertode entgegen Martinowicz, an den dieser Brief gerichtet war, ein ausgezeichneter Gelehrter und begeisterter Illuminat, ward im Jahre 1795 in Ofen mit mehreren ungarischen Großen, seinen Genossen in der Verschwörung, enthauptet.!

Ende des siebenten Theils.


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