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Zweiter Theil.

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1.

– Ich errathe, daß du von ihm sprechen willst, sagte die Fürstin, indem sie die Wachskerzen aus einander rückte, um die Erzählerin besser sehen zu können, und ihre beiden Arme auf den Tisch auflegte.

– Als wir den Lauf der Moldau hinabgingen, wurden wir, Haydn und ich, an der bayerschen Grenze von Werbern im Dienste des Königs, Ihres Bruders, aufgegriffen und erhielten die schmeichelnde Hoffnung, in den ruhmreichen Armeen Seiner Majestät als Pfeifer und Tambour angestellt zu werden.

– Du, ein Tambour? rief die Prinzessin mit lautem Gelächter. O, wenn die Kleist dich so gesehen hätte, du hättest ihr, ich wette, den Kopf verdreht. Mein Bruder hätte dich zu seinem Pagen gemacht und Gott weiß, welche Verwüstungen du in den Herzen unsrer schönen Damen angerichtet hättest! Aber was sprichst du von Haydn? Ich kenne den Namen und erinnere mich, erst neulich ein Musikstück von diesem Haydn erhalten zu haben; und es ist gute Musik. Das ist der junge Mensch nicht, von dem du sprichst?

– Entschuldigen Sie, gnädigste Frau, es ist ein junger Mensch von einigen zwanzig Jahren, der nicht mehr als fünfzehn zu haben scheint. Er war mein Reisegefährte und ist mein treuer, aufrichtiger Freund. An dem Saume eines kleinen Waldes, wo unsere Entführer anhielten, um zu frühstücken, ergriffen wir die Flucht; man verfolgte uns, wir liefen wie die Hasen und hatten das Glück, einen Reisewagen zu erreichen, in welchem der edle und schöne Friedrich von Trenck und ein vormaliger Eroberer, Graf Hoditz von Roswald, saßen.

– Der Gemahl meiner Tante, der Markgräfin von Kulmbach? rief die Prinzessin; abermals eine Ehe aus Liebe, Kleist! Das ist übrigens das einzige Kluge und Gute, was meine dicke Tante in ihrem Leben gethan hat. Wie ist dieser Graf Hoditz?

Consuelo mußte ein genaues Bildnis von dem Schloßherrn von Roswald geben; doch ehe sie es noch vollendet hatte, unterbrach sie die Prinzessin mit tausend Fragen über Trenck, über die Kleidung, die er an jenem Tage trug, über die geringsten Umstände; und als Consuelo ihr erzählte, wie Trenck zu ihrer Vertheidigung herbeigeeilt wäre, wie ihn fast eine Kugel erreicht, er aber am Ende die Räuber in die Flucht geschlagen und einen unglücklichen Deserteur, den sie an Händen und Füßen gebunden in ihrem Wagen mit sich führten, befreit hätte, mußte sie von Neuem anfangen, die kleinsten Ereignisse erzählen und die unbedeutendsten Worte wiederholen. Die Freude und die Rührung der Prinzessin stiegen auf das Höchste, als sie erfuhr, daß Trenck und der Graf Hoditz die beiden jungen Reisenden in ihrem Wagen mitgenommen, der Baron aber Consuelo nicht beachtet, sondern unaufhörlich ein in seinem Busen verborgenes Porträt betrachtet, geseufzt und mit dem Grafen von einer geheimnißvollen Liebe für eine hochgestellte Dame gesprochen hätte, die das Glück und die Verzweiflung seines Lebens ausmache.

Als Consuelo die Erlaubniß erhielt, weiterzugehen, erzählte sie, wie der Graf Hoditz ihr Geschlecht in Passau errathen und den Schutz, den er ihr gewährt, ein wenig zu hoch habe anschlagen wollen, und wie sie darauf mit Haydn geflohen, um ihre anspruchslose und abenteuerliche Reise auf einem Schiffe fortzusetzen, welches die Donau hinabfuhr.

Endlich erzählte sie, wie sie und Haydn, er die Violine, sie eine Rohrpfeife spielend, die Bauern hätten tanzen lassen, um sich die Mittel zu einem Mittagsessen zu erwerben, und am Abend, immer noch verkleidet und sich für den Signor Bertoni ausgebend, in eine hübsche Priorei gekommen seien.

– Der Besitzer dieser Priorei, sagte sie, war ein leidenschaftlicher Musikfreund und dazu ein Mann von Geist und trefflichem Herzen. Er gewann uns, besonders aber mich, sehr lieb, wollte mich sogar adoptiren und versprach mir eine hübsche Pfründe, sobald ich die niedern Weihen nehmen wollte. Ich wurde der Männerkleidung überdrüssig: Ich fühlte eben so wenig Neigung für die Tonsur, als für die Trommel; aber ein seltsames Ereigniß bewog mich, meinen Aufenthalt bei diesem liebenswürdigen Wirth zu verlängern. Ein mit Extrapost reisendes Frauenzimmer wurde an der Thür der Priorei von Geburtsschmerzen überfallen und gebar ein kleines Mädchen, welches sie am andern Morgen verließ und das ich den guten Canonicus überredete, an meiner Stelle zu adoptiren. Sie erhielt den Namen Angela, nach dem Namen ihres Vaters Anzoleto, und Signora Corilla, ihre Mutter; eilte nach Wien, um sich am Hoftheater ein Engagement zu verschaffen. Sie erhielt es, indem ich ausgeschlossen wurde. Der Fürst Kaunitz stellte sie der Kaiserin Maria Theresia als eine achtbare Wittwe vor und ich wurde verworfen, weil man mich beschuldigte und stark in dem Verdachte hatte, Joseph Haydn zu lieben, welcher von Porpora Unterricht erhielt und mit uns in demselben Hause wohnte.

Consuelo sprach weitläufig von ihrer Audienz bei der großen Kaiserin. Die Prinzessin war sehr begierig, etwas Näheres von dieser außerordentlichen Frau zu hören, an deren Tugend man in Berlin nicht glauben wollte, und welcher man den Fürsten Kaunitz, den Doctor Van Swieten und den Dichter Metastasio zu Liebhabern gab.

Endlich erzählte Consuelo ihre Aussöhnung mit der Corilla, Angela's wegen, und ihr Debüt in den ersten Rollen auf dem kaiserlichen Theater, in Folge der Reue und eines edlen Gefühls dieses sonderbaren Mädchens. Dann sprach sie von der edlen und sanften Freundschaft, die ihr der Baron Trenck beim Gesandten von Venedig gewidmet hätte, und erzählte sehr umständlich, daß sie, als sie von diesem liebenswürdigen jungen Manne Abschied genommen, mit ihm ein Mittel des Einverständnisses verabredet hätte, wenn der Haß des Königs von Preußen ihn in die Nothwendigkeit setzen sollte, davon Gebrauch zu machen. Sie sprach von dem Notenhefte, dessen Blätter den Briefen, die er ihr im Nothfall für den Gegenstand seiner Liebe zukommen lassen würde, als Couvert dienen sollten, und erklärte, daß sie durch eins dieser Blätter erst neulich über die Wichtigkeit des cabalistischen Blattes aufgehellt worden sei, welches sie der Prinzessin übergeben hätte.

Man kann sich leicht denken, daß diese Erklärungen mehr Zeit wegnahmen, als die übrige Erzählung. Endlich, als die Porporina von ihrer Abreise von Wien mit dem Porpora gesprochen hatte, und wie sie den König von Preußen als einfachen Officier und unter dem Namen des Barons von Kreutz im wunderbaren Schlosse von Roswald in Mähren getroffen, mußte sie den großen Dienst erwähnen, den sie dem Monarchen, ohne ihn zu kennen, geleistet hatte.

– Ich bin sehr begierig, das zu erfahren, sagte Frau von Kleist. Herr von Pöllnitz, der sehr gern spricht, hat mir vertraut, daß Se. Majestät seinen Gästen neulich beim Abendessen erklärt hätte, seine Freundschaft für die schöne Porporina beruhe auf ernsteren Gründen, als einer bloßen Liebesaffaire.

– Und doch habe ich nur etwas ganz Einfaches gethan, antwortete Frau von Rudolstadt. Ich benutzte den Einfluß, den ich auf einen unglücklichen Fanatiker besaß, um ihn zu hindern, den König zu ermorden. Carl, jener arme böhmische Riese, den der Baron Trenck mit mir zugleich den Händen der Werber entrissen hatte, war in den Dienst des Grafen Hoditz getreten. Er hatte den König erkannt und wollte den Tod seiner Frau und seines Kindes, welche das Elend und der Kummer in Folge seiner zweiten Entführung getödtet hatten, an ihm rächen. Glücklicherweise hatte dieser Mensch nicht vergessen, daß auch ich zu seiner Rettung beigetragen und seiner Frau eine Unterstützung gegeben hatte. Er ließ sich bereden und die Flinte aus den Händen nehmen. Verborgen in einem benachbarten Pavillon hörte der König, wie er mir seitdem gesagt hat, Alles, und aus Furcht, sein Mörder möchte von Neuem einen Anfall der Wuth bekommen, entfernte er sich auf einem andern Wege als dem, wo Carl ihn erwarten wollte. Der König reiste allein zu Pferde mit Herrn von Buddenbrock; es war also sehr wahrscheinlich, daß ein geschickter Schütze, wie Carl, der am Morgen bei einem Feste, das der Graf Hoditz uns gegeben, vor meinen Augen die Taube an einer Stange dreimal getroffen hatte, sein Ziel nicht verfehlt haben würde.

– Gott weiß, sagte die Prinzessin mit nachdenklicher Miene, welche Veränderungen ein solches Unglück in der europäischen Politik und in dem Schicksal der Einzelnen herbeigeführt hätte! Jetzt, liebe Rudolstadt, glaube ich deine übrige Geschichte bis zum Tode des Grafen Albert genau zu kennen. In Prag trafst du seinen Oheim, den Baron, der dich auf die Riesenburg führte, um ihn an der Schwindsucht sterben zu sehen, nachdem er dich im Augenblick, wo er seinen letzten Athemzug that, geheirathet hatte. Du hast dich also nicht entschließen können, ihn zu lieben?

– Ach, gnädigste Frau, ich liebte ihn zu spät und bin für mein Zaudern und für meine Liebe zum Theater sehr schwer bestraft worden. Von meinem Lehrer Porpora gezwungen, in Wien zu debütiren, über die Gemüthsstimmung Albert's getäuscht, dessen letzte Briefe jener auffing, und weil ich ihn von seiner Liebe geheilt glaubte, ließ ich mich durch die berauschenden Aufregungen des Theaters verführen und spielte endlich, in Erwartung eines Engagements in Berlin, in Wien mit einer Art von Trunkenheit.

– Und mit Ruhm! sagte die Prinzessin; wir wissen das.

– Bejammernswerther und verhängnißvoller Ruhm! erwiederte Consuelo. Eure Hoheit weiß nicht, daß Albert heimlich nach Wien kam und mich spielen sah, daß er mir wie ein geheimnißvoller Schatten überall nachfolgte und in den Coulissen das Geständniß vernahm, das ich gegen Joseph Haydn aussprach, ich könne ohne ein großes Opfer meiner Kunst nicht entsagen. Und doch liebte ich Albert! ich schwöre es vor Gott, daß ich zur Erkenntniß gekommen war, ihm zu entsagen wäre mir noch unmöglicher, als meine Kunst aufzugeben. Ich hatte es ihm geschrieben, aber der Porpora, der diese Liebe als eine Chimäre und eine Thorheit betrachtete, hatte meinen Brief aufgefangen und verbrannt. Ich fand Albert von einer schnell überhand nehmenden Auszehrung ergriffen, ich gab ihm meine Treue und konnte ihm das Leben nicht zurückgeben. Ich sah ihn auf seinem Paradebette, gnädigste Frau, gekleidet wie ein Edelmann früherer Tage, schön und mit heiterer Stirn in den Armen des Todes, wie einen Engel der Verzeihung, doch ich konnte ihn nicht bis zu seiner letzten Wohnung begleiten. Ich ließ ihn in der Todtenkapelle der Riesenburg unter der Obhut Zdenko's, jenes armen, wahnsinnigen Propheten, welcher mir lachend die Hand reichte und sich über den ruhigen Schlummer seines Freundes freute. Er wenigstens, frömmer und treuer als ich, hat ihn in das Grab seiner Väter niedergelegt, ohne zu begreifen, daß er von diesem Ruhelager sich nicht wieder erheben würdet Und ich, ich reiste ab, fortgezogen von dem Porpora, dem treuen, aber unbarmherzigen Freund, dem väterlichen, aber unbeugsamen Herzen, der mir selbst am Sarge meines Gatten in die Ohren rief: s

»– Nächsten Sonnabend debütirst du in den Virtuosi ridicole

– Sonderbarer Wechsel eines Künstlerlebens, in der That! sagte die Prinzessin, eine Thräne trocknend, denn die Porpora schluchzte, indem sie ihre Geschichte beendigte. Aber du sagst mir nichts, liebe Consuelo, von dem schönsten Zuge deines Lebens, den mir Supperville mit Bewunderung erzählt hat. Um die alte Stiftsdame nicht zu betrüben und von deiner romanhaften Uneigennützigkeit nicht abzuweichen, hast du auf deine Ansprüche, auf dein Witthum, auf deinen Namen Verzicht geleistet, du hast von Supperville und Porpora, den einzigen Zeugen dieser in Eile geschlossenen Ehe, das Versprechen des Schweigens verlangt und bist hieher gekommen arm, wie zuvor, Zingarella wie immer …

– Und Künstlerin auf ewig, erwiederte Consuelo, das heißt unabhängig, jungfräulich und abgestorben jedem Gefühl der Liebe, wie der Porpora mir unaufhörlich das Ideal einer Priesterin der Musen vorstellte! Er hat den Sieg davon getragen, mein furchtbarer Lehrer! und ich bin jetzt auf dem Punkte, den er wünschte. Ich glaube nicht, daß ich deshalb glücklicher bin oder einen größeren Werth habe. Seitdem ich nicht mehr liebe, seitdem ich nicht mehr die Fähigkeit zu lieben in mir fühle, spüre ich auch nicht mehr das Feuer der Begeisterung und die Aufregungen des Theaters. Dieses eisige Klima und die Atmosphäre dieses Hofes stürzen mich in eine düstere Abspannung. Die Abwesenheit des Porpora, das Alleinstehen, in dem ich mich gewissermaßen befinde, und der Wille des Königs, der mein Engagement gegen meinen Willen verlängert … ich kann es Ihnen gestehen, nicht wahr, gnädigste Frau?

– Ich hätte es errathen sollen! Armes Kind, man glaubt dich stolz auf diesen angeblichen Vorzug, mit dem der König dich beehrt; aber du bist eine Gefangene und seine Sklavin, wie ich, wie seine ganze Familie, wie seine Günstlinge, wie seine Soldaten, wie seine Pagen und wie seine kleinen Hunde! O, Zauber der königlichen Würde, Strahlenglanz der großen Fürsten! wie bist du entsetzlich für diejenigen, deren Leben sich erschöpft, um dir Licht und Strahlen zu geben! Aber, liebe Consuelo, du hast mir noch Vieles zu sagen, und zwar was mich nicht am wenigsten interessirt. Ich erwarte von deiner Aufrichtigkeit, daß du mir genau erzählst, auf welchem Fuße du mit meinem Bruder stehst, und ich will sie durch die meinige hervorrufen.

Da ich dich für seine Mätresse hielt und glaubte, du könntest von ihm Trenck's Begnadigung erlangen, so suchte ich dich auf, um unsere Sache in deine Hände zu legen. Jetzt, wo wir, Dank dem Himmel, deiner deshalb nicht mehr bedürfen und ich glücklich bin, dich um dein selbst willen zu lieben, glaube ich, du kannst mir Alles sagen, ohne dich zu compromittiren, um so mehr, da die Angelegenheit meines Bruders bei dir mir nicht sehr weit vorgerückt zu sein scheint.

– Die Art, wie Sie sich über diesen Punkt aussprechen, gnädigste Frau, macht mich schaudern, antwortete Consuelo erbleichend. Seit acht Tagen erst höre ich um mich her mit ernster Miene über diese angebliche Neigung des Königs, unseres Herrn, für seine schwermüthige und zitternde Unterthanin flüstern. Bisher habe ich nie etwas Anderes zwischen ihm und mir gesehen, als eine heitere Unterhaltung, wohlwollend von seiner Seite, ehrfurchtsvoll von der meinigen. Er hat mir Freundschaft und eine Dankbarkeit bewiesen, die für den einfachen Vorgang in Roswald viel zu groß ist. Aber von ihr bis zur Liebe liegt noch ein bedeutender Raum und ich hoffe, er hat noch nie daran gedacht, ihn zu überschreiten.

– Ich glaube das Gegentheil. Er ist heftig, streitsüchtig, vertraulich gegen dich, er spricht mit dir wie mit einem kleinen Jungen, er klopft dir freundlich auf den Kopf, wie seinen Jagdhunden, er giebt sich in Gegenwart seiner Freunde seit einigen Tagen das Ansehen, als wenn er weniger in dich verliebt wäre, als in irgend Jemand Andern, das Alles beweist, daß er im Begriff ist, es zu werden. Ich kenne ihn genau und stehe dir dafür, daß du dich in Kurzem wirst erklären müssen. Wozu wirst du dich entschließen? Wenn du ihm widerstehst, bist du verloren; wenn du ihm nachgiebst, noch mehr. Was wirst du in diesem Falle thun?

– Keins von beiden, gnädigste Franz ich werde es machen wie seine Rekruten, ich laufe davon.

– Das ist nicht leicht, und übrigens mag auch ich es nicht, denn ich bin dir sonderbar zugethan und glaube, ich würde lieber noch einmal die Werber dir nachschicken, als Dir erlauben, von mir zu gehen. Nun, wir wollen uns nach einem Mittel umsehen. Die Sache ist ernst und verdient Ueberlegung. Erzähle mir Alles, was seit Albert's Tode vorgefallen ist.

– Einige seltsame, unerklärliche Ereignisse in einem eintönigen, düsteren Leben. Ich will sie Ihnen erzählen, und Ihro Hoheit kann mir vielleicht bei ihrer Aufklärung behülflich sein.

– Ich will es versuchen, unter der Bedingung, daß du mich wieder Amalie nennst, wie so eben. Es ist noch nicht Mitternacht und ich will eine Hoheit erst morgen bei hellem Tage sein.

Die Porporina nahm ihre Erzählung folgendermaßen wieder auf:

– Schon Frau von Kleist, als sie mich zum ersten Male mit ihrem Besuche beehrte, habe ich erzählt, daß ich von Porpora getrennt wurde, als ich aus Böhmen an die preußische Grenze kam. Ich weiß noch heute nicht, ob der Paß meines Lehrers wirklich fehlerhaft oder ob der König unserer Ankunft durch einen jener Befehle zuvorgekommen war, deren Schnelligkeit an das Wunderbare grenzt, um dem Porpora den Eintritt in seine Staaten zu verweigern. Dieser Gedanke kam mir gleich Anfangs; denn ich erinnerte mich an die heftige Unüberlegtheit und die bittere Aufrichtigkeit, mit welcher Porpora Trencks Ehre vertheidigt und des Königs Härte getadelt hatte, als dieser, unter dem Namen eines Baron Kreutz, während eines Souper beim Grafen Hoditz uns selbst mit Trenck's angeblichem Verrath und seiner Verhaftung in Glatz bekannt gemacht hatte.

– Hat Meister Porpora wirklich sich wegen Trenck das Mißfallen des Königs zugezogen? rief die Prinzessin.

– Der König hat nie mit mir davon gesprochen, gnädigste Frau, und ich habe gefürchtet, ihn daran zu erinnern. Aber gewiß ist es, daß der Porpora trotz meiner Bitten und der Versprechungen Sr. Majestät nicht zurückgerufen worden ist.

– Und er wird es nie werden, erwiederte Amalie, denn der König vergißt nichts und vergiebt die Freimüthigkeit nie, wenn sie seine Eigenliebe verletzt. Der Salomo des Nordens haßt und verfolgt Jeden, der an der Untrüglichkeit seines Urtheils zweifelt; besonders wenn dieses Urtheil nur ein grober Schein, ein gehässiger Vorwand ist, um sich von einem Feinde zu befreien. Also lege Trauer an, liebes Kind, du wirst den Porpora nie wieder in Berlin sehen.

– Trotz des Kummers, den mir seine Abwesenheit macht, wünsche ich ihn nicht mehr hier zu sehen, gnädigste Frau, und werde keine Schritte mehr thun, um für ihn des Königs Verzeihung zu erhalten. Ich habe diesen Morgen von meinem Lehrer einen Brief bekommen, welcher mir sagt, daß eine Oper von ihm bei dem kaiserlichen Theater in Wien angenommen worden ist. Nach tausend Unfällen ist er endlich an sein Ziel gekommen; das Stück wird einstudirt, ich möchte also weit lieber daran denken, zu ihm zu kommen, als ihn hieher zu ziehen, aber ich fürchte wohl, daß es mir eben so wenig frei stehen wird, von hier wegzugehen, als ich die Freiheit hatte, nicht hereinzukommen.

– Was willst du damit sagen?

– Als ich an der Grenze sah, daß man meinen Lehrer zwang, seinen Wagen wieder zu besteigen und umzukehren, wollte ich ihn begleiten und auf mein Engagement in Berlin verzichten. Ich war über die Rohheit und scheinbare Treulosigkeit eines solchen Empfanges so erbittert, daß ich lieber das Reuegeld im Schweiß meines Angesichts verdient und bezahlt hätte, als tiefer in ein Land zu gehen, das so despotisch regiert wird. Aber bei dem ersten Zeichen, das ich von meiner Absicht gab, wurde ich von dem Polizeibeamten aufgefordert, in einen andern Postwagen zu steigen, der im Augenblick herbeigebracht und bespannt wurde, und als ich mich von Soldaten umringt sah, die entschlossen waren, mich dazu zu zwingen, so umarmte ich weinend meinen Lehrer und ließ mich nach Berlin bringen, wo ich von Schmerz ermattet um Mitternacht ankam.

Man brachte mich in die Nähe des Palastes, nicht weit vom Opernhause in ein dem König zugehörendes hübsches Haus, das so eingerichtet war, daß ich völlig allein wohnte. Ich fand Diener zu meinen Befehlen bereit und ein Abendessen und erfuhr, daß Herr von Pöllnitz Befehl erhalten hatte, Alles für meine Ankunft in Bereitschaft zu halten. Kaum war ich eingerichtet, als der Baron von Kreutz mich fragen ließ, ob ich sichtbar sei. Ich beeilte mich, ihn zu empfangen, denn ich war ungeduldig, mich über die Aufnahme, welche der Porpora gefunden, zu beklagen und ihn um Abstellung des Unrechts zu bitten. Ich that, als wenn ich nicht wüßte, daß der Baron von Kreutz Friedrich der Zweite sei. Es konnte mir unbekannt geblieben sein. Der Deserteur Carl hatte mir ihn nicht genannt, als er mir seinen Plan mittheilte, ihn, einen höheren preußischen Offizier, zu ermorden, und ich hatte es erst von dem Grafen Hoditz erfahren, nachdem der König Roswald verlassen.

Er trat mit einem heitern, herablassenden Wesen ein, das ich in seinem Incognito niemals an ihm wahrgenommen hatte. Unter seinem falschen Namen und im Auslande war er etwas befangen. In Berlin schien er die ganze Majestät seiner Rolle, das heißt die freundliche Güte und edle Milde wiedergefunden zu haben, mit der er bei Gelegenheit seine Allmacht so wohl zu schmücken weiß. Er trat auf mich zu, reichte mir die Hand und fragte mich, ob ich mich erinnere, ihn schon gesehen zu haben.

»– Ja wohl, Herr Baron, antwortete ich, und ich erinnere mich, daß Sie mir Ihre Unterstützung in Berlin angeboten und versprochen haben, im Fall ich Sie brauchen sollte.«

Drauf erzählte ich ihm lebhaft, was mir an der Grenze geschehen sei und fragte ihn, ob er dem König nicht eine Bitte zukommen lassen könnte, um einem berühmten Meister für den ihm angethanen Schimpf und mir wegen dieses gegen mich ausgeübten Zwangs Genugthuung zu geben.

»– Genugthuung? fragte der König mit einem boshaften Lächeln, nichts weiter? Will Herr Porpora vielleicht den König von Preußen zu einem Zweikampf in die Schranken fordern und verlangt Mamsell Porporina vielleicht, daß er ein Knie vor ihr beuge?«

Dieser Spott vermehrte meinen Verdruß und ich antwortete:

»– Ew. Majestät können Spott zu dem hinzufügen, was ich geduldet habe, doch wäre es mir lieber gewesen, ich hätte Ursache zum Dank, als zur Furcht gehabt.«

Der König ergriff mich heftig beim Arm und sagte, indem er mich mit seinen durchdringenden Augen anblickte:

»– Ah, Sie spielt auch die Listige? Ich glaubte Sie einfach und voller Rechtlichkeit, und Sie kannte mich schon in Roswald vollkommen.«

»– Nein, Sire, antwortete ich, ich kannte Sie nicht, und wollte der Himmel, ich hätte Sie nie kennen gelernt.«

»– Das kann ich nicht sagen, erwiederte er sanft, denn ohne Sie läge ich vielleicht in einem Grabe im Park von Roswald. Der Sieg in den Schlachten ist keine Schutzwehr gegen die Kugel eines Mörders, und ich werde es nie vergessen, daß ich es einem guten, schändlichen Complotten feindlich gesinnten Herzen verdanke, wenn ich das Schicksal von Preußen noch in meinen Händen habe. Also, liebe Porporina, Ihre üble Laune soll mich nicht undankbar machen. Beruhigen Sie sich, ich bitte Sie, und erzählen Sie mir, worüber Sie sich zu beklagen haben, denn bis jetzt verstehe ich nicht viel davon.«

Sei es nun, daß der König sich den Schein gab, als wisse er nichts, oder daß seine Polizeibeamten wirklich einen Mangel der Form in den Papieren meines Meisters zu sehen geglaubt hatten, er hörte mich mit großer Aufmerksamkeit an und sagte mir dann mit der ruhigen Haltung eines Richters, der kein leichtsinniges Urtheil sprechen will:

»– Ich werde es untersuchen und Ihnen Bericht davon erstatten. Es sollte mich sehr wundern, wenn meine Leute ohne Grund Händel mit einem Reisenden gesucht hätten, dessen Papiere in Ordnung sind. Es muß ein Mißverständniß dabei sein. Ich werde es erfahren, sein Sie ruhig, und wenn irgend Jemand seine Vollmacht überschritten hat, so wird er bestraft werden.«

»– Sire, ich verlange das nicht. Ich fordere von Ihnen die Zurückberufung des Porpora.«

»– Und ich verspreche sie Ihnen, entgegnete er. Jetzt nehmen Sie eine weniger düstere Miene an und erzählen Sie mir, wie Sie das Geheimniß meines Incognito entdeckt haben.«

Ich unterhielt mich nun zwanglos mit dem König und fand ihn in seinem Gespräch so ruhig, so liebenswürdig und so verführerisch, daß ich alle Vorurtheile, die ich gegen ihn gefaßt hatte, vergaß, um nur seinen eben so richtigen als glänzenden Verstand, sein anmuthiges und wohlwollendes Benehmen, das ich bei Maria Theresia nicht gefunden hatte, mit einem Worte, das Zartgefühl in seinem Urtheil bei allen Gegenständen, welche sein Gespräch berührte, zu bewundern.

»– Hören Sie, sagte er mir, indem er seinen Hut ergriff, um fortzugehen. Ich muß Ihnen einen freundschaftlichen Rath gleich bei Ihrer Ankunft geben: sprechen Sie nicht mit irgend wem von dem Dienste, den Sie mir geleistet, noch von dem Besuche, den ich Ihnen diesen Abend gemacht habe. Obgleich mein Eifer, Ihnen zu danken, nur sehr ehrenvoll für uns Beide ist, so würde das doch Gelegenheit zu einer ganz falschen Ansicht über die Beziehungen geben, die ich mit Ihnen zu haben wünsche. Man würde Sie begierig halten nach der Gunst des Herrn, wie man in der Sprache des Hofes sagt. Sie werden für die Einen ein Gegenstand des Mißtrauens, für die Andern ein Gegenstand der Eifersucht werden. Der geringste Uebelstand für Sie wäre, sich eine Masse von Bittstellern auf den Hals zu ziehen, welche sich aus Ihnen einen Kanal für ihre einfältigen Bitten zu machen wünschten, und da Sie ohne Zweifel den richtigen Takt hätten, eine solche Rolle nicht spielen zu wollen, so würden Sie mit ihrer Zudringlichkeit oder mit ihrer Feindschaft in fortdauerndem Kampfe sein.«

»– Ich verspreche Ihrer Majestät, antwortete ich, Ihrem Befehle pünktlich nachzukommen.«

»– Ich befehle Ihnen nichts, Consuelo, erwiederte er, ich rechne nur auf Ihre Klugheit und Ihren rechtlichen Sinn. Bei dem ersten Blick habe ich in Ihnen eine schöne Seele und einen gerechten Geist erkannt, und weil ich wünschte, Sie zur schönsten Perle meines Departements der schönen Künste zu machen, schickte ich aus Schlesien den Befehl, Ihnen auf meine Kosten einen Wagen zu besorgen, um Sie hieher zu bringen, sobald Sie an der Grenze ankommen würden. Es ist nicht meine Schuld, wenn man daraus für Sie eine Art wandelndes Gefängniß gemacht und Sie von Ihrem Beschützer getrennt hat. Bis er Ihnen zurückgegeben wird, will ich seine Stelle vertreten, wenn Sie mich desselben Vertrauens und derselben Zuneigung werth halten, die Sie für ihn haben.«

– Ich gestehe, theuere Amalie, daß mich diese väterliche Sprache und diese zartsinnige Freundschaft innig rührte. Wohl mischte sich vielleicht ein wenig Stolz darein und die Thränen traten mir in die Augen, als der König mir beim Weggehen die Hand reichte. Ich hätte sie ihm fast geküßt, wie es gewiß meine Schuldigkeit war, aber, da ich einmal im Begriff zu beichten bin, so muß ich gestehen, daß in dem Augenblick, wo ich es thun wollte, ich mich von Entsetzen erfaßt und vom Frost des Mißtrauens wie gelähmt fühlte. Es schien mir, als wenn der König meiner Eigenliebe schmeichle und mir liebkos'te, um mich zu verhindern, jenen Auftritt in Roswald zu erzählen, der in manchen Gemüthern einen seiner Politik feindlichen Eindruck hervorbringen konnte. Auch schien es mir, als fürchte er das Lächerliche, gegen mich gut und erkenntlich gewesen zu sein, und dann erinnerte ich mich plötzlich in weniger als einer Secunde des furchtbaren Militärdespotismus Preußens, von dem der Baron Trenck mich sehr umständlich unterrichtet hatte, an die Wildheit der Werber, an das Unglück Carls, an die Gefangenschaft des edlen Trenck, welche ich der Befreiung des armen Deserteurs zuschrieb, an das Geschrei eines Soldaten, den ich am Morgen bei dem Durchfahren durch ein Dorf hatte prügeln sehen, und an das ganze tyrannische System, aus welchem der große Friedrich seine Macht und seinen Ruhm schöpft. Ich konnte ihn nicht mehr persönlich hassen, aber schon sah ich in ihm jenen absoluten Herrn, den natürlichen Feind aufrichtiger Gemüther wieder, welche die Nothwendigkeit unmenschlicher Gesetze nicht begreifen und die geheimen Hülfsmittel der Herrscher nicht zu durchschauen vermögen.

2.

– Seit diesem Tage, fuhr die Porporina fort, habe ich den König nicht wieder bei mir gesehen, doch hat er mich manchmal nach Sanssouci, wo ich mit meinen Kameraden Porporino und Conciolini sogar mehrere Tage zubrachte, und hier zu sich gerufen, um in seinen kleinen Concerten das Clavier zu spielen und die Violine des Herrn Graun oder Benda's, oder die Flöte des Herrn Quantz, oder auch ihn selbst zu accompagniren.

– Was weit weniger angenehm ist, als die Erstgenannten zu accompagniren, sagte die Prinzessin von Preußen, denn ich weiß aus Erfahrung, daß wenn mein theurer Bruder falsch spielt oder aus dem Takt kommt, er sich an seine Mitspieler hält und mit ihnen Streit anfängt.

– Es ist wahr, erwiederte die Porporina, und selbst sein geschickter Lehrer, Herr Quantz, ist nicht immer vor diesen kleinen Ungerechtigkeiten geschützt. Doch wenn Se. Majestät sich auf diese Weise hat hinreißen lassen, so macht er sein Unrecht durch Beweise der Achtung und zarte Lobsprüche bald wieder gut, welche Balsam auf die Wunden der Eigenliebe gießen. Auf diese Weise gelingt es ihm, durch ein freundliches Wort, durch einen einfachen Ausruf der Bewunderung Verzeihung für seine Härte und Heftigkeit selbst von den Künstlern zu erhalten, den reizbarsten Leuten in der Welt.

– Aber konntest auch du dich nach dem, was du von diesem Basilisken wußtest und bei deiner bescheidenen Rechtlichkeit, von ihm bezaubern lassen?

– Ich gestehe Ihnen, gnädigste Frau, daß auch ich oft unwillkürlich seinem Einfluß unterlegen bin. Da diese kleinliche List mir immer fremd gewesen ist, so werd' ich fortdauernd durch sie getäuscht und errathe sie erst nachher, wenn ich darüber nachdenke. Ich habe den König noch sehr oft auf dem Theater wiedergesehen und selbst zuweilen nach der Vorstellung in meiner Loge. Er hat sich immer väterlich gegen mich gezeigt.

Doch allein habe ich mich nur zwei oder drei Male in den Gärten von Sanssouci mit ihm befunden, und das geschah, ich gestehe es, nachdem ich die Stunde seiner Promenade erforscht und mich ausdrücklich in seinen Weg begeben hatte. Dann rief er mich, oder kam höflich mir entgegen, und ich ergriff die Gelegenheit bei den Haaren, um von Porpora zu sprechen und meine Bitte zu erneuern. Ich erhielt stets dieselben Versprechungen, ohne je ein Resultat davon gesehen zu haben.

Später änderte ich meine Taktik und bat um die Erlaubniß, nach Wien zurückzukehren; aber der König nahm meine Bitte bald mit freundlichen Vorwürfen, bald mit eisiger Kälte, und am öftersten mit sehr sichtbarer übler Laune auf. Im Ganzen hat der letztere Versuch keine besseren Folgen gehabt, als die andern, und selbst als der König mir antwortete: »Reisen Sie, Signora, Sie sind frei!« erhielt ich weder meinen rückständigen Gehalt, noch meinen Paß, noch eine Erlaubniß zu reisen.

So sind denn die Sachen geblieben und ich sehe keine andere Hülfe als die Flucht, wenn meine hiesige Stellung mir unerträglich werden sollte. Ach, gnädigste Frau, ich bin oft durch die geringe Neigung Maria Theresia's für die Musik verletzt worden; ich ahnte damals nicht, daß ein musikliebender König weit mehr zu fürchten sei, als eine theilnahmlose Kaiserin.

Ich habe Ihnen in der Kürze alle meine Beziehungen zu Seiner Majestät dargelegt. Nie hatte ich Grund, jene Laune, welche Ihre Hoheit ihm zuschreibt, mich zu lieben, zu fürchten, oder nur zu argwöhnen. Zuweilen nur besaß ich den Stolz, zu glauben, daß der König in Folge meines geringen Talentes für die Musik und jenes romantischen Ereignisses, wo ich das Glück hatte, ihm sein Leben zu erhalten, für mich eine Art Freundschaft gefaßt hätte. Er hat mir es oft gesagt, mit so viel Anmuth, mit einer so aufrichtigen Miene; er schien an der Unterhaltung mit mir ein so gutmüthiges Vergnügen zu finden, daß ich vielleicht ohne es selbst zu wissen und gewiß ganz unwillkürlich mich an den Gedanken gewöhnte, in ihm einen Freund zu sehen.

Das Wort ist seltsam und gewiß in meinem Munde nicht an der rechten Stelle, aber das Gefühl herzlicher Achtung und schüchternen Vertrauens, welches die Gegenwart, der Blick, die Stimme und die freundlichen Worte dieses königlichen Basilisken, wie Sie ihn nennen, einflößen, ist eben so eigenthümlich als aufrichtig. Wir sind hier versammelt, um Alles zu sagen, wir sind übereingekommen, daß ich mir keinen Zwang auflegen soll; so erkläre ich denn, daß der König mir Furcht, fast Schrecken einflößt, wenn ich ihn nicht sehe und nur die Stickluft seiner Herrschaft einathme, aber sobald er bei mir ist, fühle ich seinen Zauber und bin bereit, ihm jeden Beweis der Ergebenheit darzubringen, den eine furchtsame, aber fromme Tochter einem strengen, aber guten Vater geben kann.

– Du machst mich zittern, rief die Prinzessin. Güter Gott, wenn du dich so weit beherrschen oder durch Schmeicheleien gewinnen ließest, um uns zu verrathen!

– O, gnädigste Frau, das geschieht nie, sein Sie ohne Furcht. Sobald es sich um meine Freunde, oder nur ganz einfach um Andere handelt, trotze ich dem König, und selbst Listigeren, wenn es deren geben sollte, mich in eine Falle zu locken.

– Ich glaube dir. Du übst durch deine Freimüthigkeit auf mich denselben Zauber aus, den du von Seiten Friedrichs empfindest. Nun, beunruhige dich nicht, ich vergleiche dich nicht mit ihm. Nimm deine Erzählung wieder auf und sprich mir von Cagliostro. Man hat mir gesagt, er habe dir bei einer Probe seiner Kunst einen Todten sehen lassen, der, wie ich glaube, der Graf Albert gewesen ist.

– Ich bin bereit, Ihre Neugier zu befriedigen, edle Amalie. Aber wenn ich mich entschließe, Ihnen abermals ein peinliches Abenteuer zu erzählen, das ich vergessen zu können wünschte, so habe ich in Folge des Vertrags, den wir mit einander geschlossen haben, auch das Recht, Ihnen einige Fragen vorzulegen.

– Ich bin bereit, dir zu antworten.

– Wohlan, gnädigste Frau, glauben Sie, daß die Todten aus ihren Gräbern hervorgehen können, oder wenigstens, daß ein Bild ihrer Gestalt mit dem Scheine des Lebens begabt, nach dem Willen der Zauberer hervorgerufen werden und sich unserer Fantasie in dem Maße bemächtigen könne, daß wir es vor unsern Augen sehen und es unsere Vernunft verwirrt?

– Die Frage ist sehr verwickelt und Alles, was ich darauf antworten kann, ist, daß ich an nichts glaube, was unmöglich ist. Ich glaube eben so wenig an die Macht der Zauberei, als an die Auferweckung der Todten. Was aber unsere arme, thörichte Fantasie betrifft, so glaube ich sie zu Allem fähig.

– Ihre Hoheit … Verzeihung, deine Hoheit glaubt an die Zauberei nicht, und doch … aber die Frage ist gewiß unbescheiden …

– Vollende nur: »und doch habe ich mich der Zauberei ergeben«; das ist bekannt. Nun, liebes Kind, erlaube mir, dir erst zu gelegnerer Zeit und am passenderen Orte diese sonderbare Inconsequenz zu erklären. Aus dem cabalistischen Blatte, das mir durch den Magier Saint Germain zukam und in der That nur ein Brief Trencks an mich war, kannst du schon abnehmen, daß diese sogenannte Nekromantik zu vielen Dingen als Vorwand dienen kann, aber um dir Alles, was sie dem Auge des Publikums verhüllt und der Aufpasserei der Höflinge und der Tyrannei der Gesetze entzieht, zu offenbaren, das läßt sich in einem Augenblicke nicht thun. Habe Geduld! Ich bin entschlossen, dich in alle meine Geheimnisse einzuführen. Du verdienst es mehr, als meine liebe Kleist, die zu schüchtern und abergläubisch ist. Ja, dieser Engel an Güte, dieses zärtliche Herz hat, wie du sie hier siehst, keine Ueberlegung. Sie glaubt an den Teufel, an Hexenmeister, an Gespenster und Anzeichen, als wenn sie die geheimnißvollen Fäden des großen Werkes nicht unter den Händen und vor ihren Augen hätte. Sie gleicht den Alchymisten der früheren Zeit, welche geduldig und mit großer Gelehrsamkeit Ungeheuer erschufen und sich dann vor ihren eigenen Werken fürchteten, so daß sie am Ende die Sklaven irgend eines Hausgeistes, der aus ihrem Zauberapparate hervorging, wurden.

– Vielleicht möchte ich nicht standhafter als Frau von Kleist sein, erwiederte die Porporina, und ich gestehe, daß ich eine Probe der Macht, wenn auch nicht der Untrüglichkeit Cagliostro's vor mir habe. Denken Sie sich, nachdem er mir versprochen hatte, die Person, an die ich dachte und deren Namen er scheinbar in meinen Augen zu lesen vorgab, mich sehen zu lassen, zeigte er mir eine andere, ja, er zeigte sie mir lebend und schien völlig unwissend, daß sie gestorben war. Aber ungeachtet dieses doppelten Irrthums erweckte er vor meinen Augen den Gatten, den ich verloren habe, was stets für mich ein schmerzliches und furchtbares Räthsel sein wird.

– Er hat dir irgend ein Phantom gezeigt, und deine Fantasie hat dann das Uebrige gethan.

– Meine Fantasie war keineswegs dabei im Spiele, ich kann es Ihnen versichern. Ich erwartete in einem Spiegel, oder hinter einem Schleier ein Porträt des Meister Porpora, denn ich hatte während des Abendessens mehrere Mal von ihm gesprochen und, als ich laut seine Abwesenheit beklagte, bemerkt, daß Herr Cagliostro auf meine Worte sehr aufmerksam war. Um ihm seine Aufgabe noch leichter zu machen, wählte ich in meinen Gedanken den Porpora als Gegenstand der Erscheinung und erwartete ihn festen Fußes, da ich bis dahin die ganze Sache nicht als Ernst genommen hatte. Endlich, wenn es in meinem ganzen Leben seit einem Jahre einen einzigen Augenblick gegeben hat, wo ich nicht an Herrn von Rudolstadt dachte, so war es eben damals.

Herr Cagliostro fragte mich, als er mit mir in sein magisches Laboratorium trat, ob ich ihm erlauben wolle, mir die Augen zu verbinden und mich bei der Hand zu führen. Da ich in ihm einen gebildeten Mann kannte, so zögerte ich nicht, sein Anerbieten anzunehmen, und machte nur die Bedingung, daß er mich keinen Augenblick verlassen solle.

»– Ich wollte Sie eben bitten, sagte er mir, sich keinen Schritt von mir zu entfernen und meine Hand nicht loszulassen, was auch geschehen und welches Gefühl Sie auch empfinden mögen.«

Ich versprach es ihm, aber eine einfache Versicherung genügte ihm nicht. Er ließ mich feierlich schwören, daß ich keine Gebehrde, keinen Ausruf thun, kurz, daß ich während der Erscheinung stumm und unbeweglich bleiben wollte.

Dann zog er seinen Handschuh an, und nachdem er mir eine Kappe von schwarzem Sammet über den Kopf geworfen hatte, die mir bis auf die Schultern fiel, ließ er mich ungefähr fünf Minuten lang gehen, ohne daß ich eine Thür öffnen oder schließen hörte. Die Kappe hinderte mich, irgend eine Veränderung der Luft wahrzunehmen; daher konnte ich nicht wissen, ob ich aus dem Cabinet herausgekommen sei, und er ließ mich so viele Windungen machen, daß ich die Richtung verlor, der ich folgte.

Endlich blieb er stehen und nahm mir die Kappe mit einer Hand und so leicht ab, daß ich es nicht fühlte. Nur mein wieder freigewordener Athem zeigte mir, daß ich frei um mich sehen könne; doch befand ich mich in so dichter Finsterniß, daß ich davon keinen Gewinn ziehen konnte. Nach und nach jedoch erblickte ich vor mir einen lichten Stern, Anfangs zitternd und schwach, bald aber hell und glänzend. Er schien Anfangs sehr fern, und als er ganz hell war, schien er mir ganz nahe. Ich glaube, es war die Wirkung eines Lichtes hinter einem Transparent.

Cagliostro ließ mich diesem Stern nahe treten, der ein Loch in der Mauer bildete, und auf der andern Seite derselben sah ich ein Zimmer, sonderbar decorirt und mit Wachslichtern erhellt, die in einer systematischen Ordnung standen. Dieses Gemach hatte in seinen Verzierungen und in seiner ganzen Einrichtung den Charakter eines zu magischen Operationen bestimmten Ortes. Doch ich hatte nicht Zeit genug, es genau zu betrachten; meine Aufmerksamkeit wurde von einer Person in Anspruch genommen, welche an einem Tische saß. Sie war allein und verdeckte ihr Gesicht mit den Händen, als wenn sie in tiefes Nachdenken versunken wäre. Ich konnte also ihre Züge nicht sehen, und der Wuchs war durch ein Costüm verhüllt, das ich noch bei Niemand bemerkt hatte. So viel ich wahrnehmen konnte, war es ein Gewand oder ein Mantel von weißer Seide mit Purpur gefüttert, und über der Brust mit hieroglyphischen Edelsteinen, in Gold gefaßt, zusammengehalten, wo ich eine Rose, ein Kreuz, einen Triangel, einen Todtenkopf und mehrere reiche Schnüre von verschiedener Farbe unterschied.

Alles was ich begreifen konnte, war, daß es Porpora nicht sei. Aber nach Verlauf von einigen Minuten ließ die geheimnißvolle Person, die ich für eine Statue zu halten anfing, langsam ihre Hände sinken und ich sah deutlich das Gesicht des Grafen Albert, nicht wie ich ihn das letzte Mal gesehen, verhüllt von dem Schatten des Todes, sondern in seiner Blässe belebt und voll Geist in seiner stillen Ruhe, kurz, wie ich ihn in seinen glücklichen Stunden der Ruhe und des Vertrauens bewundert hatte. Ich wollte einen Schrei ausstoßen und in einer unwillkürlichen Bewegung den Spiegel zerbrechen, der mich von ihm trennte, aber ein heftiger Druck von Cagliostro's Hand erinnerte mich an meinen Schwur und flößte mir, ich weiß nicht welchen Schrecken ein.

In demselben Augenblicke öffnete sich auch in dem Hintergrunde des Gemachs, wo ich Albert sah, eine Thür, und mehrere unbekannte Personen, fast eben so wie er gekleidet, traten mit dem Degen in der Hand ein. Nachdem sie verschiedene sonderbare Gebehrden gemacht hatten, als wenn sie eine Pantomime spielten, sprach Jeder einzeln und mit feierlicher Stimme unverständliche Worte zu ihm. Er stand auf, schritt ihnen entgegen und antwortete ihnen eben so dunkle Worte, die ich nicht verstehen konnte, obgleich ich das Deutsche jetzt so gut, wie meine Muttersprache kenne.

Dieses Gespräch glich dem, welches man in den Träumen hört, und die Seltsamkeit dieser Scene, das Wunderbare ihrer Erscheinung war in der That einem Traumbilde so ähnlich, daß ich mich bewegte, um mich zu versichern, daß ich nicht schliefe. Aber Cagliostro zwang mich, unbeweglich zu bleiben, und ich erkannte Alberts Stimme so deutlich, daß ich an der Wirklichkeit dessen, was ich sah, nicht zweifeln konnte. Von dem Wunsch, mit ihm zu sprechen, fortgerissen, war ich endlich im Begriff meinen Schwur zu vergessen, als die schwarze Kappe wieder über mein Gesicht fiel. Ich riß sie heftig ab, aber der Krystallstern war erloschen und Alles wieder in dichte Finsterniß versunken.

»– Wenn Sie die geringste Bewegung machen, flüsterte, dumpf eine zitternde Stimme, die ich für die Cagliostro's hielt, so sehen weder Sie noch ich jemals das Licht wieder.«

Ich hatte die Kraft, Cagliostro zu folgen, der mich mit sich fortzog und mich noch lange mit sich im Zickzack in einem unbekannten Raume herumführte. Als er mir endlich die Kappe abnahm, fand ich mich in seinem Laboratorium, das, wie im Anfange des Abenteuers, schwach erleuchtet war. Cagliostro sah sehr bleich aus und zitterte noch; denn während ich mit ihm ging, hatte ich gefühlt, daß sein Arm von einem krampfhaften Zittern bewegt wurde und daß er mich sehr schnell gehen ließ, als wenn er von einem großen Schrecken bewegt würde.

Die ersten Worte, die er mir sagte, waren bittere Vorwürfe über meinen »Mangel an Redlichkeit« und über die »entsetzlichen Gefahren«, denen ich ihn ausgesetzt hätte, als ich mein Versprechen verletzen wollte.

»– Ich hätte mich erinnern sollen, fügte er in einem harten, zornigen Tone hinzu, daß das Ehrenwort der Frauen sie zu nichts verpflichtet und daß man sich wohl hüten muß, ihrer eitlen und verwegenen Neugier nachzugeben.«

Bis jetzt hatte ich nicht daran gedacht, das Entsetzen meines Führers zu theilen. Der Gedanke, Albert lebend wiederzufinden, hatte mich so ergriffen, daß ich nicht bedachte, ob das menschlicher Weise möglich sei. Ich hatte selbst vergessen, daß der Tod mir diesen so schätzbaren und so theuren Freund für immer entrissen hatte. Die Aufregung des Magiers erinnerte mich endlich, daß das Alles ans Wunderbare grenze und daß ich eben einen Geist gesehen hätte. Doch meine Vernunft verwarf das Unmögliche, und die bitteren Vorwürfe Cagliostro's erweckten in mir eine krankhafte Reizbarkeit, die mich vor der Schwäche rettete.

»– Sie nehmen den Schein an, als glaubten Sie ernsthaft Ihren eigenen Lügen, sagte ich mit Lebhaftigkeit. Aber Sie spielen ein sehr grausames Spiel. Ja, ja, Sie spielen mit den heiligsten Dingen, mit dem Tode selbst!«

»– Herz ohne Glauben und Kraft! antwortete er mir mit Heftigkeit, aber mit einem imponirenden Ausdruck. Sie glauben an den Tod, wie alle gewöhnlichen Menschen, und doch haben Sie einen großen Meister gehabt, einen Meister, der Ihnen hundertmal gesagt hat: › Man stirbt nicht, nichts stirbt, es giebt keinen Tod.‹ Sie klagen mich der Lüge an und scheinen nicht zu wissen, daß die einzige Lüge, welche es hier giebt, schon der Name des Todes in Ihrem gottlosen Munde ist.«

Ich gestehe, diese seltsame Antwort verwirrte alle meine Gedanken und besiegte für einen Augenblick allen Widerstand meines verstörten Geistes. Wie konnte dieser Mann meine Beziehungen zu Albert so genau kennen, selbst bis auf seine geheimsten Lehren? theilte er seinen Glauben? oder machte er ihn nur zur Waffe, um einen Einfluß auf meine Einbildungskraft zu erhalten?

Ich blieb verwirrt und niedergeschlagen. Doch bald sagte ich mir, diese ungeschickte Art Alberts Glauben auszulegen, könne nicht die meinige sein, und es hänge nur von Gott, nicht von dem Betrüger Cagliostro ab, den Tod heraufzurufen, oder das Leben zu enthüllen.

Ueberzeugt, daß ich einer unerklärlichen Täuschung erlegen sei, deren Lösung ich eines Tages vielleicht finden würde, erhob ich mich endlich, lobte kalt den Magier wegen seiner Kunst und bat ihn etwas ironisch um die Erklärung der seltsamen Reden, die jene Schatten unter sich gehalten hätten.

Darauf antwortete er mir, es sei ihm unmöglich, mir Genüge zu leisten, ich müsse mich begnügen, diese Person ruhig und nützlich beschäftigt gesehen zu haben.

»– Vergeblich würden Sie mich fragen, fügte er hinzu, was ihre Gedanken und ihre Handlung im Leben ist, ich kenne sogar den Namen nicht. Als Sie an sie dachten und den Wunsch aussprachen, sie zu sehen, hat sich zwischen ihr und Ihnen ein geheimnißvoller Verkehr gebildet, den meine Macht nur so weit zur Anschauung hat bringen können, um sie Ihnen vorzustellen; weiter geht meine Wissenschaft nicht.«

»– Ihre Wissenschaft, sagte ich zu ihm, geht nicht einmal so weit; denn ich dachte an Meister Porpora, und nicht ihn hat Ihre Macht mir gezeigt.«

»– Ich weiß nichts, antwortete er mit einem furchtbaren Ernste, und ich will es nicht wissen. Ich habe nichts gesehen, weder in Ihren Gedanken, noch in dem Zaubergemälde. Meine Vernunft würde ein solches Schauspiel nicht ertragen, und ich muß alle Klarheit meiner Gedanken zusammennehmen, um meine Macht auszuüben. Aber die Gesetze der Wissenschaft sind untrüglich und Sie müssen wohl vielleicht, ohne es selbst zu wissen, an einen Andern, als den Porpora gedacht haben, da Sie nicht ihn gesehen.«

– Das sind die schönen Worte von solchen Narren, sagte die Prinzessin, die Achseln zuckend. Jeder von ihnen hat seine eigene Art zu handeln, aber vermittelst eines gewissen verfänglichen Raisonnements, das man die Logik des Wahnsinns nennen könnte, wissen sie Alle sich gleich zu entschuldigen und durch hochklingende Worte die Gedanken Anderer zu verwirren.

– Die meinigen waren es in der That, nahm Consuelo wieder das Wort, ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Diese Erscheinung Alberts, ob wahr oder falsch, ließ mich lebhafter den Schmerz empfinden, ihn für immer verloren zu haben, und ich brach in Thränen aus.

»– Consuelo, sagte mir der Magier in feierlichem Tone, indem er mir die Hand bot, um mich hinaus zu geleiten (und Sie können sich denken, wie erstaunt ich war, meinen Namen, der hier Jedermann unbekannt ist, aus seinem Munde zu hören), Sie haben große Fehler wieder gut zu machen, und ich hoffe, Sie werden nichts versäumen, um den Frieden Ihres Gewissens wieder zu erlangen.«

Ich hatte nicht die Kraft zu antworten. Vergeblich versuchte ich meine Thränen vor meinen Kameraden zu verbergen, die mich mit Ungeduld in dem benachbarten Salon erwarteten. Ich war noch ungeduldiger, mich zu entfernen, und sobald ich allein war, überließ ich mich ungestört meinem Schmerz und brachte die Nacht damit zu, mich in Betrachtungen und Auslegungen, in Bezug auf die Scene dieses verhängnißvollen Abends zu verlieren. Jemehr ich sie zu begreifen suchte, desto mehr verirrte ich mich in dem Labyrinth der Ungewißheit, und ich muß gestehen, daß meine Vermuthungen noch thörichter und krankhafter waren, als es ein blinder Glaube an die Aussprüche der Zauberei hätte sein können.

Ermüdet von diesem nutzlosen Bemühen, beschloß ich, mein Urtheil darüber zurückzuhalten, bis ich mehr Licht erhalten hätte, aber seit dieser Zeit blieb ich jedem Eindruck hingegeben, Nervenzufällen unterworfen, krank am Geist und höchst schwermüthig. Ich empfand nicht lebhafter, als bisher den Verlust meines Freundes; aber die Reue, die seine edle Verzeihung in mir eingeschläfert hatte, quälte mich fortdauernd. Indem ich meinen Künstlerberuf ohne Hindernisse ausübte, fühlte ich mich sehr schnell gegen die Trunkenheit des Beifalls abgestumpft, und dann in diesem Lande, wo es mir scheint, als wär der Geist der Menschen eben so düster als das Klima …

– Und wie der Despotismus, fügte die Aebtissin hinzu.

– In diesem Lande, wo mein Geist immer düsterer und kälter wird, erkannte ich bald, daß ich die Fortschritte nicht machen würde, von denen ich geträumt hatte.

– Und welche Fortschritte willst du denn noch machen? Wir haben nie etwas gehört, was dir gleich käme, und ich glaube, es giebt in der ganzen Welt keine vollkommnere Sängerin. Ich spreche wie ich denke, und das ist kein Compliment nach Friedrichs Weise.

– Selbst wenn Ihre Hoheit sich nicht täuschen sollte, was ich nicht weiß, da ich, mit Ausnahme der Romanina und der Tesi, selten eine andere Sängerin gehört habe, als mich, sagte Consuelo lächelnd, so denke ich doch, es giebt immer noch viel zu versuchen und Manches aufzufinden, was noch nicht gethan ist. Und dieses Ideal,das ich in mir trage, hätte ich in einem thätigen Leben voll Kampf und kühner Unternehmungen, voll entgegenkommender Sympathien, kurz in einem Leben der Begeisterung wohl erstreben können.

Aber diese kalte Regelmäßigkeit, die hier herrscht, die bis in die Culissen des Theaters bestehende militärische Ordnung, das ruhige und fortgesetzte Wohlwollen eines Publikums, das, während es uns hört, an seine Geschäfte denkt, der hohe Schutz des Königs, der uns den im Voraus bestimmten Beifall sichert, der Mangel an Rivalität und Wechsel in dem Personal der Künstler und in der Wahl der Compositoren, und vor Allem die Idee einer unbestimmten Gefangenschaft, all dieses bürgerliche, nüchtern-arbeitsame, traurig-ruhmvolle und gezwungen-habgierige Leben, welches wir in Preußen führen, hat mir die Hoffnung und selbst den Wunsch geraubt, mich zu vervollkommnen.

Es giebt Tage, wo ich mich so matt, und so arm an jener reizbaren Eigenliebe fühle, welche dem Künstler zur Seite stehen muß, daß ich Geld geben möchte für ein einzigesmal Auspfeifen, um mich wieder aufzuwecken. Aber ach, mag ich zu spät eintreten, oder vor dem Ende meiner Rolle die Stimme verlieren, immer finde ich denselben Beifall; er macht mir kein Vergnügen, wenn ich ihn nicht verdiene, und er erregt mir Schmerz, wenn ich ihn zufällig einmal verdient habe, denn er ist dann von der Etikette eben so officiell berechnet, eben so abgemessen, wie gewöhnlich, und ich fühle doch, daß ich einen freiwilligeren verdient hätte.

Das Alles muß Ihnen kindisch erscheinen, edle Amalie, aber Sie wünschten das Gemüth einer Künstlerin von Grund aus kennen zu lernen, und ich verberge Ihnen nichts.

– Du erklärst das so natürlich, daß ich es begreife, als wenn ich es selbst empfände. Ich wäre im Stande, um dir gefällig zu sein, dich auszupfeifen, sobald ich dich wieder ermattet sehe, um dir einen Rosenkranz zuwerfen zu können, wenn du wieder erwacht bist.

– Ach, theure Prinzessin, weder das Eine noch das Andere würde die Zustimmung des Königs erhalten. Er will nicht, daß man seine Schauspieler beleidigt, weil er weiß, daß dicht hinter dem Pfeifen das günstige Vorurtheil folgt. Mein Uebel ist also, ungeachtet Ihrer großmüthigen Absicht, nicht zu ändern.

Mit diesem Sehnen verbindet sich alle Tage mehr der Schmerz, eine so falsche und an Aufregungen des Gemüths so leere Existenz einem Leben voll Liebe und Hingebung vorgezogen zu haben. Besonders seit dem Abenteuer bei Cagliostro hat sich eine finstre Schwermuth meines Herzens bemächtigt. Es vergeht keine Nacht, wo ich nicht von Albert träume und ihn gegen mich erzürnt, oder gleichgültig und zerstreut, eine unverständliche Sprache redend, und Gedanken hingegeben wiedersehe, die unserer Liebe ganz fremd sind, wie ich ihn in jenem Zauberspiegel sah. In kaltem Schweiß gebadet, wache ich auf und weine bei dem Gedanken, daß seine schmerzlich bewegte und betrübte Seele in dem neuen Dasein, in das ihn der Tod eingeführt hat, vielleicht über meine Verschmähung und meinen Undank trauert.

Kurz, ich habe ihn getödtet, das ist gewiß, und es steht in keines Menschen Macht, hätte er auch einen Vertrag mit allen Mächten des Himmels und der Hölle geschlossen, mich mit ihm wieder zu vereinigen. Ich kann also in diesem Leben, das ich nutzlos und einsam hinschleppe, nichts wieder gut machen und ich kenne keinen andern Wunsch, als bald sein Ende zu sehen.

3.

– Hast du denn hier keine neuen Freundschaften geschlossen? fragte die Prinzessin Amalie. Unter all den geistreichen und talentvollen Personen, die mein Bruder sich rühmt, aus allen Theilen der Welt an sich gezogen zu haben, ist denn keine einzige deiner Achtung würdig?

– Gewiß sehr viele, gnädigste Frau; und wenn ich mich zur Zurückgezogenheit und Einsamkeit nicht hingezogen fühlte, hätte ich manches wohlwollende Herz in meiner Nähe finden können. Mademoiselle Cochois …

– Die Marquise d'Argens, willst du sagen?

– Ich weiß nicht, ob sie sich so nennt.

– Du bist verschwiegen, und hast Recht. Nun, das ist ein ausgezeichnetes Frauenzimmer.

– Außerordentlich und im Grunde ihres Herzens sehr gut, obgleich sie auf die Aufmerksamkeiten und den Unterricht des Herrn Marquis etwas eitel ist und auf ihre Mitschauspieler stolz von ihrer Höhe herabsieht.

– Sie würde sich sehr gedemüthigt fühlen, wenn sie wüßte, wer du bist. Der Name Rudolstadt ist einer der erlauchtesten in Sachsen, und d'Argens nur ein kleiner Edelmann der Provence oder des Languedoc. Und wie ist Frau von Cocceji? Kennst du sie?

– Da Mademoiselle Barberini seit ihrer Verheirathung in der Oper nicht mehr tanzt und meist auf dem Lande lebt, so habe ich wenig Gelegenheit sie zu sehen. Sie gehört zu den Damen des Theaters, für die ich die meiste Hinneigung fühle, und ich bin oft von ihr und ihrem Gemahl eingeladen worden, sie auf ihrem Landsitze zu besuchen; aber der König hat mir wissen lassen, daß ihm das nicht gefallen würde, und ich bin gezwungen worden, darauf zu verzichten, ohne zu wissen, weshalb ich mir diesen Zwang auferlegen soll.

– Das will ich dir sagen. Der König hat Mademoiselle Barberini den Hof gemacht, die ihm aber den Sohn des Kanzlers vorzog, und er fürchtet für dich das schlechte Beispiel. Aber bist du unter den Männern mit Niemand befreundet?

– Ich stehe mit Herrn Franz Benda, der ersten Violine Seiner Majestät, in sehr freundschaftlichen Verhältnissen. Sein Schicksal wie das meinige, haben viel Aehnlichkeit mit einander. Er hat in seiner Jugend ein herumwanderndes Leben geführt, wie ich in meiner Kindheit; wie ich, ist er wenig eingenommen für die Größen dieser Welt, und er zieht die Freiheit dem Reichthum vor. Er hat mir oft erzählt, daß er vom sächsischen Hofe entflohen sei, um das heitere, wenn auch dürftige Zigeunerleben der herumziehenden Künstler zu theilen. Die Welt weiß es nicht, wie viel große Virtuosen auf den Heerstraßen und in den Gassen der Städte herumwandern.

Ein alter blinder Jude bildete Benda über Berge und Thäler mit ihm ziehend. Er hieß Löbel und Benda spricht nur mit Bewunderung von ihm, obgleich er auf einer Strohschütte, oder vielleicht gar in einem Graben gestorben ist. Ehe er sich der Violine hingab, hatte er, Franz Benda, eine köstliche Stimme und machte aus dem Gesange seinen Beruf. Kummer und Langweile führten ihren Verlust in Dresden herbei. In der freien Luft eines ungebundenen Umherwanderns erwarb er sich ein anderes Talent, sein Genie nahm einen neuen Aufschwung, und aus diesem wandernden Conservatorium ging der ausgezeichnete Virtuose hervor, dessen Mitwirkung bei ihrer Kammermusik Se. Majestät nicht verschmäht.

Auch Georg Benda, sein jüngerer Bruder, ist ein Original voll Genie, bald Epikuräer, bald Menschenfeind. Sein fantastischer Geist ist nicht immer liebenswürdig, aber stets interessant. Ich glaube, er wird nie zur Ordnung kommen, wie seine andern Brüder, die sich Alle jetzt darein ergeben haben, die goldene Kette des königlichen Dilettantismus zu tragen. Doch er, sei es nun, weil er jünger ist, oder weil sein Charakter sich nicht zügeln läßt, spricht immer davon, die Flucht zu ergreifen. Er langweilt sich hier so herzlich, daß es ein Vergnügen für mich ist, mich mit ihm zu langweilen.

– Und hoffst du nicht, daß diese gegenseitige Langweile ein zärtlicheres Gefühl herbeiführen wird? Es wäre nicht das erste Mal, daß die Liebe aus Langweile entstände.

– Ich fürchte und hoffe es nicht, antwortete Consuelo, denn ich fühle, daß es nie eintreten kann. Ich habe es Ihnen gesagt, theure Amalie, es geht etwas Seltsames in mir vor. Seit Albert nicht mehr ist, liebe ich ihn, ich denke nur an ihn, ich kann nur ihn lieben. Ich glaube wohl, daß hier zum ersten Male der Tod die Liebe erzeugt hat; es ist wirklich bei mir geschehen. Ich tröste mich nicht damit, ein Wesen glücklich gemacht zu haben, das dessen würdig war, und dieses hartnäckige Sehnen ist eine fixe Idee, eine Art Leidenschaft, vielleicht eine Thorheit geworden.

– So scheint's mir wirklich, sagte die Prinzessin. Wenigstens ist es eine Krankheit … und doch kann ich das Uebel recht gut begreifen; auch ich empfinde es, denn ich liebe einen Abwesenden, den ich vielleicht niemals wiedersehen werde: Ist es nicht fast, als wenn ich einen Todten liebte? … Doch sage mir, ist mein Bruder, der Prinz Heinrich nicht ein liebenswürdiger Cavalier!

– Ja, gewiß.

– Ein großer Liebhaber des Schönen, ein Künstlergemüth, ein Held im Kriege, eine auffallende und gefällige Gestalt, ohne schön zu sein, ein stolzer, unabhängiger Geist, der Feind des Despotismus, der nicht unterworfene und drohende Sklave meines Bruders, des Tyrannen, kurz, gewiß der Beste in unserer Familie. Man sagt, er sei sehr in dich verliebt; hat er dir es nicht gesagt?

– Ich habe es als Scherz aufgenommen.

– Und du hast keine Lust, es im Ernst zu nehmen?

– Nein, gnädigste Frau.

– Du bist sehr difficile, meine Liebe; was hast du an ihm auszusetzen?

– Einen großen Fehler, oder wenigstens ein unüberwindliches Hinderniß meiner Liebe zu ihm: er ist ein Prinz.

– Danke für das Compliment, Boshafte! Also war er bei deiner Ohnmacht neulich im Theater keine Ursache? Man sagte, der König habe ihn, eifersüchtig über die Blicke, mit denen er dich angesehen hätte, beim Anfange des Schauspiels in Verhaft geschickt und der Kummer hätte dich krank gemacht.

– Es war mir gänzlich unbekannt, daß der Prinz in Verhaft gewesen wäre, und ich bin fest überzeugt, nicht die Ursache davon zu sein. Der Grund meines Zufalls ist ein ganz anderer. Denken Sie sich, gnädigste Frau, mitten in der Arie, die ich etwas mechanisch absang, wie mir das hier nur zu oft geschieht, richten sich meine Augen zufällig nach den der Bühne zunächstliegenden Logen des ersten Ranges, und plötzlich sehe ich in der des Herrn Golowkin im Hintergrunde ein bleiches Gesicht, das sich, wie um mich anzublicken, unmerklich vorbeugt. Dies Gesicht, gnädigste Frau, war das Albert's. Ich schwöre es vor Gott, ich habe ihn gesehen, ich habe ihn wieder erkannt; ich weiß nicht, ob es eine Täuschung war, aber man kann keine furchtbarere, keine vollständigere haben.

– Armes Kind, du hast Visionen, das ist gewiß.

– Ach, das ist nicht Alles. Vorige Woche, als ich Ihnen den Brief des Herrn von Trenck übergeben hatte und mich entfernte, verirrte ich mich im Palais und begegnete beim Eingange in das Curiositätenkabinet Herrn Stoß, bei dem ich stehen blieb, um mit ihm zu sprechen. Und wieder sah ich dasselbe Gesicht Albert's; ich sah es drohend, wie ich es am Abend vorher im Theater gesehen hatte, wie ich es unaufhörlich in meinen Träumen erzürnt oder voll Verachtung wiedersehe.

– Und Herr Stoß sah es auch?

– Er sah es ganz deutlich und sagte mir, es sei ein gewisser Trismegistus, den Ihre Hoheit zu ihrer Unterhaltung als Nekromant zu Rathe zieht.

– Gerechter Himmel, rief Frau von Kleist erbleichend, ich wußte es wohl, daß es ein ächter Zauberer war, ich habe diesen Menschen nie ohne Entsetzen ansehen können. Obgleich er schöne Züge und ein edles Gesicht hat, liegt doch etwas Diabolisches in seiner Physiognomie, und gewiß kann er wie ein Proteus alle Gestalten annehmen, um den Leuten etwas vorzumachen. Dabei ist er zanksüchtig und unzufrieden, wie alle Menschen seines Standes. Ich erinnere mich, daß er einmal, als er mir mein Horoscop stellte, auf das Heftigste mir vorwarf, daß ich mich von Herrn von Kleist habe scheiden lassen, weil sein Vermögen zu Grunde gerichtet gewesen sei. Er machte mir daraus ein großes Verbrechen. Ich wollte mich dagegen vertheidigen, und da er gegen mich eine sehr hohe Sprache annahm, fing ich an böse zu werden. Da sagte er mir zornig voraus, ich würde mich wieder verheirathen, mein zweiter Gemahl würde durch meine Schuld sterben, und zwar noch unglücklicher, als der erste, aber mein Gewissen und der öffentliche Tadel würden mich dafür bestrafen. Indem er dieses sagte, wurde sein Gesicht so entsetzlich, daß ich glaubte, Herrn von Kleist wieder lebend vor mir zu sehen, und mit Angstgeschrei in das Zimmer Ihrer königlichen Hoheit entfloh.

– Ja, es war eine komische Scene, sagte die Prinzessin, die, auf Augenblicke, wie unwillkürlich, ihren trocknen, bittern Ton wieder annahm. Ich habe ungeheuer darüber gelacht.

– Dazu war kein Grund vorhanden, sagte Consuelo naiv. Aber wer ist denn dieser Trismegistus? Und da Ihre Hoheit nicht an Zauberer glaubt …

– Ich habe dir versprochen, dir einmal zu sagen, was diese Zauberei bedeutet. Sei nicht so eilig. Vor der Hand genüge es dir, zu wissen, daß der Wahrsager Trismegistus ein Mann ist, den ich sehr schätze und der uns allen dreien … und vielen Andern sehr nützlich sein kann.

– Ich möchte ihn wohl wiedersehen, bemerkte Consuelo, und obgleich ich schon bei dem Gedanken zittere, möchte ich doch mich mit Ruhe überzeugen, ob er Herrn von Rudolstadt so gleicht, als ich mir es eingebildet habe.

– Ob er Herrn von Rudolstadt gleicht, sagst du? … Nun, du erinnerst mich an einen Umstand, den ich vergessen hätte und der vielleicht auf ganz natürliche Weise das große Geheimniß aufhellt … Warte, laß mich ein wenig nachdenken … Ja, ganz recht. Höre, armes Kind, und lerne Allem mißtrauen, was übernatürlich scheint. Cagliostro hat dir den Trismegistus gezeigt; denn Trismegistus steht in Verbindung mit Cagliostro und war im vorigen Jahre hier, zur selben Zeit wie dieser. Trismegistus hast du auch im Theater in der Loge des Grafen Golowkin gesehen, denn er wohnt in dessen Hause und sie beschäftigen sich gemeinsam mit Chemie und Alchymie. Endlich hast du auch neulich im Schlosse Trismegistus gesehen, denn an jenem Tage, und kurze Zeit, nachdem ich Dich verlassen hatte, sprach ich mit ihm, der mir sehr ausführliche Details über Trenck's Flucht gab.

– In der Weise, daß er sich rühmte, dazu beigetragen zu haben, sagte Frau von Kleist, und sich von Ihrer Hoheit Summen wiedererstatten ließ, die er gewiß dafür nicht ausgegeben hatte. Ihre Hoheit mag davon denken was sie will, aber ich sage Ihnen, der Mann ist ein Industrieritter.

– Was ihn nicht verhindert, ein großer Zauberer zu sein, nicht wahr, Kleist? Wie vereinigst du so viel Achtung für seine Wissenschaft und so viel Geringschätzung gegen seine Person?

– Ei, gnädigste Frau, das stimmt ganz außerordentlich gut miteinander. Man fürchtet die Zauberer, aber verabscheut sie. Grade wie man es mit dem Teufel hält.

– Und doch will man den Teufel sehen und kann ohne Zauberei nicht leben. Das ist deine Logik, schöne Kleist.

– Aber gnädigste Frau, sagte Consuelo, die begierig dieser seltsamen Unterredung zuhörte, woher wissen Sie, daß dieser Mensch dem Grafen von Rudolstadt gleicht?

– Ich vergaß dir zu sagen wie ein ganz einfacher Zufall mich davon in Kenntniß gesetzt hat. An jenem Morgen, wo Supperville mir deine und des Grafen Albert Geschichte erzählte, erregte Alles, was er mir von dieser sonderbaren Person sagte, die Neugier in mir, zu wissen, ob er schön sei und ob seine Physiognomie seiner außerordentlichen Einbildungskraft entspräche. Supperville dachte einige Augenblicke nach und sagte mir endlich:

»– Halt, gnädigste Frau, ich kann Ihnen sehr leicht ein genaues Bild von ihm geben, denn Sie haben unter Ihrem Spielzeug ein Original, das dem armen Rudolstadt entsetzlich ähnlich wäre, wenn er noch magerer, gebräunter und anders coiffirt wäre: Ihr Zauberer Trismegistus!«

Das ist die Lösung des Räthsels, reizende Wittwe, und diese Lösung ist nicht zauberhafter, als Cagliostro, Trismegistus, Saint Germain und Compagnie.

– Sie nehmen mir eine große Last von meinem Herzen, sagte die Porporina, und einen schwarzen Schleier von meinem Kopf. Es scheint mir, als würde ich neu geboren und erwachte aus einem schweren Traum. Tausend Dank für diese Erklärung. Ich bin also nicht wahnsinnig, ich habe keine Visionen und brauche mich ferner nicht vor mir selbst zu fürchten! … Und doch, sehen Sie, wie seltsam das menschliche Herz ist, fügte sie nach einem augenblicklichen Nachdenken hinzu: ich glaube, ich sehne mich nach meiner Furcht, nach meiner Schwäche zurück. Meine ausschweifende Phantasie hatte mich fast überredet, Albert sei nicht todt, und wenn er mir durch furchtbare Erscheinungen den Schmerz, den ich ihm verursacht habe, hätte büßen lassen, werde er eines Tages ohne Groll und ohne Kummer zu mir zurückkommen. Jetzt bin ich gewiß, daß Albert in der Gruft seiner Ahnen schläft, sich nicht wieder erheben wird, daß der Tod seine Beute nicht losläßt, und das ist eine traurige Gewißheit.

– Du hast daran zweifeln können? Wahrlich der Wahnsinn hat auch sein Glück; ich dagegen, ich hoffte nicht, daß Trenck aus dem Kerker Schlesiens sich würde befreien können, und doch war es möglich, und doch ist's geschehen!

– Wenn ich Ihnen, schöne Amalie, alle Vermuthungen sagen wollte, denen sich mein armer Geist hingab, so würden Sie sehen, daß sie bei aller ihrer Unwahrscheinlichkeit nicht ganz unmöglich waren. Zum Beispiel ein Starrkrampf … Albert war ihm unterworfen … Doch ich mag mich an diese thörichten Vermuthungen nicht mehr erinnern, sie sind mir zu peinlich, jetzt, wo das Gesicht, welches ich für Albert nahm, das eines Industrieritters ist.

– Trismegistus ist nicht das, wofür man ihn hält … aber gewiß ist es, daß er nicht der Graf von Rudolstadt ist; denn ich kenne ihn schon mehrere Jahre, während welcher er, wenigstens dem Schein nach, den Wahrsager macht. Uebrigens gleicht er dem Grafen von Rudolstadt nicht so, als du es glaubst. Supperville, der ein zu geschickter Arzt ist, um einen Scheintodten beerdigen zu lassen, und der nicht an Gespenster glaubt, hat mir den Unterschied angegeben, den du in deiner Verwirrung nicht bemerken konntest.

– Ach, ich möchte doch diesen Trismegistus wiedersehen, sagte Consuelo mit nachdenkender Miene.

– Du wirst ihn vielleicht so bald nicht wiedersehen, antwortete die Prinzessin kalt. An demselben Tage, wo du ihn im Schlosse sahst, ist er nach Warschau abgereist. Er bleibt nie länger als drei Tage in Berlin, doch in einem Jahre kommt er gewiß wieder.

– Und wenn es Albert wäre? nahm Consuelo wieder das Wort, in tiefes Nachdenken versenkt.

Die Prinzessin zuckte mit den Achseln.

– Wahrlich, sagte sie, das Schicksal verurtheilt mich, nur Wahnsinnige zu Freunden zu haben. Diese da nimmt meinen Zauberer für ihren Mann, den seligen Canonicus von Kleist, und Jene für ihren verstorbenen Gemahl, den Grafen von Rudolstadt. Glücklicherweise habe ich einen starken Geist, denn sonst nähme ich ihn vielleicht für Trenck, und Gott weiß, was daraus vielleicht entstünde. Trismegistus ist ein erbärmlicher Zauberer, daß er aus diesen Irrthümern keinen Nutzen zieht! Nun, Porporina, sieh mich nicht mit einer so bestürzten, verwirrten Miene an, schönstes Kind! Sammle deine Gedanken. Wie kannst du denn annehmen, daß, wenn der Graf Albert wirklich, statt todt zu sein, wieder ins Leben zurückgekehrt wäre, ein so interessantes Abenteuer nicht Aufsehen in der Welt gemacht hätte? Stehst du denn nicht immer noch in Verbindung mit deiner Familie und würde sie dich denn nicht davon unterrichtet haben?

– Ich stehe in keiner Verbindung mit ihr, antwortete Consuelo. Das Stiftsfräulein Wenceslawa hat mir zweimal in einem Jahre geschrieben, um mir zwei traurige Nachrichten mitzutheilen, den Tod ihres ältern Bruders Christian, des Vaters meines Gatten, welcher sein langes und schmerzliches Leben geendigt hat, ohne die Erinnerung an sein Unglück wieder zu erhalten; und den Tod des Baron Friedrich, des Bruders von Christian und dem Stiftsfräulein, der auf der Jagd gestorben ist, indem er von dem unglücklichen Berge Schreckenstein in einen Abgrund stürzte. Ich habe dem Stiftsfräulein, wie ich mußte, geschrieben. Ich wagte nicht, ihr anzubieten, zu ihr zu kommen, um sie zu trösten. Nach ihren Briefen schien ihr Herz zwischen ihrer Güte und ihrem Stolze getheilt. Sie nannte mich ihr liebes Kind, ihre edle Freundin, aber sie schien keinesweges meine Pflege und Unterstützung zu verlangen.

– Also denkst du, Albert lebe, aus dem Grabe erstanden, ruhig und unbekannt auf der Riesenburg, ohne dir eine Karte zugeschickt zu haben, und ohne daß irgend Jemand außer den Mauern des genannten Schlosses davon etwas ahnet?

– Nein, gnädigste Frau, ich denke es nicht, denn das wäre ganz unmöglich. Ich bin thöricht, daran zweifeln zu wollen, antwortete Consuelo, indem sie ihr in Thränen gebadetes Gesicht in ihre Hände barg.

Jemehr die Nacht vorrückte, desto mehr schien die Prinzessin ihren bösartigen Charakter wieder anzunehmen; der spöttische, verächtliche Ton, mit welchem sie von Dingen sprach, die für Consuelo's Herz so schmerzlich waren, that dieser Letztern unendlich weh.

– Nun, erwiederte Amalie heftig, sei nicht so ganz untröstlich. Wir begehen hier ein köstliches Fest! Du hast uns Geschichten erzählt, die an den Teufel glauben lassen könnten; die Kleist hat nicht aufgehört zu zittern und zu erbleichen; ich glaube, sie stirbt noch vor Furcht, und ich, die ich heute so fröhlich sein wollte, mich schmerzt es, dich leiden zu sehen, du armes Kind.

Die.Fürstin sprach diese letzten Worte mit dem milden Ton ihrer Stimme, und als Consuelo den Kopf erhob, sah sie eine Thräne des Mitgefühls über ihre Wange rollen, während das Lächeln des Spottes ihre Lippen noch zusammenzog. Sie küßte die Hand, welche die Aebtissin ihr reichte und beklagte sie in ihrem Herzen, daß sie nicht vier Stunden hintereinander gut sein könne.

– Wie geheimnißvoll auch deine Riesenburg, wie scheu auch der Stolz des Stiftsfräulein, und wie groß die Verschwiegenheit ihrer Diener sein mag, fuhr die Prinzessin fort, sei überzeugt, es geht dort eben so wenig wie anderwärts irgend etwas vor, ohne einer gewissen Oeffentlichkeit anheimzufallen. Wie sehr man auch die Wunderlichkeit des Grafen Albert verbergen mochte, die ganze Provinz kannte sie doch in kurzer Zeit, und schon lange hatte man davon an dem kleinen Hofe von Bayreuth gesprochen, als Supperville hingerufen wurde, deinen armen Gemahl zu behandeln. Jetzt hat diese Familie ein anderes Geheimniß, welches sie gewiß mit nicht weniger Sorgfalt zu verbergen sucht und das doch der Bosheit des Publikums nicht entgangen ist. Ich meine die Flucht der jungen Baronesse Amalie, die sich, kurz vor dem Tode ihres Cousin, von einem jungen Abenteurer entführen ließ.

– Und ich, gnädigste Frau, habe lange Zeit nichts davon gewußt. Ich könnte Ihnen sogar sagen, daß Alles sich nicht enthüllt in dieser Welt; denn bis jetzt hat man den Namen und Stand des Mannes nicht erfahren können, der die junge Baroneß entführt hat, eben so wenig als seinen Zufluchtsort.

– Das hat mir auch Supperville gesagt. Ja, das alte Böhmen ist das Vaterland geheimnißvoller Abenteuer, aber das ist immer noch kein Grund, warum der Graf Albert …

– Um Gotteswillen, gnädigste Frau, sprechen Sie nicht mehr davon. Ich bitte Sie um Verzeihung, daß ich Sie mit dieser langen Geschichte ermüdet habe, und sobald Ihre Hoheit mir befiehlt, mich zu entfernen …

– Zwei Uhr Morgens! rief Frau von Kleist, die bei dem dumpfen Ton der Schloßuhr erbebte.

– Dann müssen wir uns trennen, liebe Freundinnen, sagte die Prinzessin aufstehend; denn meine Schwester von Anspach kommt schon um sieben Uhr, mich aus dem Schlafe zu wecken, um mich mit den Lappalien ihres theuren Markgrafen zu unterhalten, der vor Kurzem aus Paris angelangt ist, verliebt bis über die Ohren in Mademoiselle Clairon. Schöne Porporina, Ihr Königinnen vom Theater seid faktisch die Königinnen der Welt, wie wir es dem Rechte nach sind, und Euer Loos ist das bessere. Es giebt kein gekröntes Haupt, das Ihr uns nicht entführen könntet, wenn Ihr Lust dazu habt, und es sollte mich nicht wundern, Mademoiselle Hippolyte Clairon, die ein geistreiches Mädchen ist, eines Tages neben meiner Schwester, die ziemlich wenig Geist hat, als Markgräfin von Anspach zu sehen. Nun, gieb mir einen Pelz, Kleist, ich will Euch bis an das Ende der Gallerie bringen.

– Und Ihre Hoheit will allein zurückkehren? fragte Frau von Kleist, die sehr beunruhigt schien.

– Ganz allein, antwortete Amalie, und ohne die geringste Furcht vor dem Teufel und dem Spuk, der, wie man versichert, seit einigen Nächten seinen Sitz im Schlosse aufgeschlagen hat. Komm, komm Consuelo! Wir wollen sehen, wie Frau von Kleist sich fürchtet, wenn sie in die Gallerie kommt.

Die Prinzessin ergriff ein Licht und trat voraus, Frau von Kleist, die in der That nicht sehr ruhig war, hinter sich her ziehend. Consuelo folgte ihr, ebenfalls von etwas Furcht ergriffen, ohne eigentlich zu wissen warum.

– Ich versichere Sie, gnädigste Frau, sagte Frau von Kleist, jetzt ist die unheimliche Stunde und es ist Verwegenheit in diesem Augenblicke, den Theil des Schlosses zu betreten. Was könnte es Ihnen schaden, wenn Sie uns noch eine halbe Stunde länger warten ließen? Um zwei und ein halb Uhr ist nichts mehr zu sehen.

– Nein, nein, erwiederte Amalie, es sollte mir nicht leid thun, ihr zu begegnen und zu sehen, wie sie es macht.

– Wovon ist denn die Rede? fragte Consuelo, ihre Schritte verdoppelnd, um Frau von Kleist näher zu kommen.

– Weißt du es nicht? sagte die Prinzessin. Die weiße Frau, welche die Treppen und Corridore des Schlosses kehrt, sobald ein Mitglied der königlichen Familie im Sterben liegt, hat uns seit einigen Nächten wieder einen Besuch gemacht. Es scheint, daß sie hier ihr Unwesen treibt. Also sind meine Tage bedroht? Deswegen siehst du mich auch so ruhig. Meine Schwägerin, die Königin von Preußen, (der armseligste Kopf, der jemals eine Krone getragen hat!) kann nicht mehr schlafen, wie man versichert, und geht alle Abende nach Charlottenburg; aber da sie die Kehrfrau, ebenso wie die Königin meine Mutter, die in diesem Punkte nicht vernünftiger denkt, unendlich verehrt, so haben diese Damen verbieten lassen, dem Phantom nachzuspüren oder es in seinen edlen Beschäftigungen zu stören. Daher wird nun auch das Schloß ganz besonders gefegt, und zwar von der Hand Lucifers selbst, was aber nicht verhindert, daß es noch immer sehr schmutzig ist, wie du siehst.

In diesem Augenblick sprang eine große Katze, die durch den dunklen Gang sich schleichen wollte, prustend und heulend bei Frau von Kleist vorbei, die einen durchdringenden Schrei ausstieß und nach den Gemächern der Prinzessin zurücklaufen wollte; diese aber hielt sie mit Gewalt zurück und erfüllte den hallenden Raum mit ihrem heiseren, häßlichen Gelächter, das noch schauerlicher klang als der Wind, der in der Tiefe dieses ungeheuren Gebäudes heulte. Die Kälte ließ Consuelo's Zähne zusammenschlagen, vielleicht auch die Furcht; denn das entstellte Gesicht der Frau von Kleist schien eine wahre Gefahr anzudeuten, und die prahlerische, gezwungene Heiterkeit der Fürstin war eben kein Beweis einer aufrichtigen Festigkeit.

– Ich bewundere den Unglauben Ihrer königlichen Hoheit, sagte Frau von Kleist mit abgebrochenen Tönen und nicht ohne Zeichen des Unmuthes; wenn Sie gleich mir am Tage vor dem Tode des Königs, Ihres erlauchten Vaters, die weiße Frau gesehen und gehört hätten …

– Ach, antwortete Amalie mit einem satanischen Lächeln, da ich fest überzeugt bin, daß sie jetzt den des Königs, meines erhabenen Bruders nicht anzeigt, so ist es mir sehr lieb, daß sie meinetwegen kommt. Der Teufel weiß wohl, daß ich, um glücklich zu sein, einen oder den andern dieser beiden Todesfälle brauche.

– Ach, gnädigste Frau, sprechen Sie in einem solchen Augenblicke nicht auf diese Weise, bat Frau von Kleist, deren Zähne so zusammenschlugen, daß sie sich nur mit Mühe verständlich machte. Still, um Gotteswillen, bleiben Sie stehen und hören Sie. Ist das nicht zum Entsetzen?

Die Fürstin blieb mit einem spöttischen Blicke stehen und als das Geräusch ihres dicken Seidenkleides, das steif wie Pappe auf den Boden fiel, aufhörte das entfernte Geräusch zu bedecken, hörten unsere drei Heldinnen, die fast bis an die große Treppe gekommen waren, auf welche sich die Gallerie öffnet, deutlich das scharfe Geräusch eines Besens, welcher die Steinstufen ungleichmäßig fegte und Stufe für Stufe aufsteigend sich zu nähern schien, als wenn der Diener eilig wäre, sein Werk zu vollenden.

Die Prinzessin zögerte einen Augenblick und sprach dann mit entschlossener Miene:

– Da hierin nichts Uebernatürliches liegt, so will ich wissen, ob ein nachtwandelnder Lakai oder ein muthwilliger Page sich das Geschäft macht. Schlag deinen Schleier nieder, Porporina, man darf dich nicht in meiner Gesellschaft sehen. Du aber, Kleist, magst dich unwohl befinden, wenn es dir Vergnügen macht. Ich sage dir voraus, daß ich mich um dich nicht bekümmere. Nun, tapfere Rudolstadt, du hast noch schlimmeren Abenteuern getrotzt, folge mir, wenn du mich liebst.

Amalie schritt festen Fußes nach der Treppenflucht, Consuelo folgte ihr, ohne daß sie ihr erlaubte, ihr den Leuchter abzunehmen, und Frau von Kleist, in eben solcher Angst, allein zu bleiben, als vorzugehen, schleppte sich hinter ihnen her, indem sie sich am Mantel der Porporina festhielt.

Der höllische Besen ließ sich nicht mehr hören und die Prinzessin kam bis zur Treppe, über welche sie ihren Leuchter hinaushielt, um in die Entfernung besser sehen zu können. Aber sei es nun, daß sie nicht so ruhig war, als sie scheinen wollte, oder daß sie irgend etwas Entsetzliches bemerkt hatte, der silberne Leuchter mit dem Lichte und mit seiner Krystallmanschette entfiel ihrer Hand und stürzte mit furchtbarem Lärm die hallende Treppe hinab.

Da verlor Frau von Kleist den Kopf und ohne an die Prinzessin oder an die Komödiantin zu denken, begann sie davon zu laufen, bis sie in der Dunkelheit die Zimmerthür ihrer Gebieterin erreicht hatte, hinter welcher sie eine Zuflucht suchte, während diese, getheilt zwischen einer unüberwindlichen Aufregung und der Schaam, sich für besiegt zu erklären, mit Consuelo denselben Weg zurückging, Anfangs langsam, dann aber immer schneller, denn andere Schritte ließen sich hinter ihr hören, und das waren nicht die der Porporina, welche mit ihr in gleicher Linie schritt und vielleicht entschlossener war, obgleich sie niemals geprahlt hatte.

Jene anderen Schritt, die von Sekunde zu Sekunde ihnen immer näher kamen, erklangen in der Finsterniß wie die einer alten Frau, welche Hakenschuhe trägt, und klappten auf den Flissen, während der Besen immer sein Amt verrichtete und schwerfällig bald zur Linken, bald zur Rechten an der Mauer anstieß.

Der kurze Gang erschien Consuelo sehr lang. Wenn irgend etwas den Muth wahrhaft fester und klarer Geister erschüttern kann, so ist es eine Gefahr, die man weder vorauszusehen, noch zu begreifen vermag. Sie rühmte sich keinesweges einer großen Keckheit und wendete nicht ein einziges Mal den Kopf um. Die Prinzessin behauptete später, es gethan zu haben, doch wegen der Finsterniß ohne Erfolg. Niemand konnte ihr das Gegentheil beweisen oder ihre Behauptung bestätigen. Consuelo erinnerte sich nur, daß sie ihre Schritte nicht aufgehalten, während dieses forcirten Rückzugs kein Wort zu ihr gesprochen, und als sie etwas eilig in ihr Zimmer trat, hätte sie ihr bald die Thür vor der Nase zugeschlagen, so begierig war sie, sie zu verschließen.

Doch Amalie gestand ihre Schwäche nicht ein und erhielt ziemlich schnell ihre Kaltblütigkeit wieder, um Frau von Kleist, welche fast in Krämpfen lag, zu verspotten und ihr über ihre Feigheit und ihren Mangel an Rücksichten sehr bittere Vorwürfe zu machen. Die theilnehmende Güte Consuelo's, die sich des aufgeregten Zustandes der Vertrauten erbarmte, erweckte in dem Herzen der Prinzessin einiges Mitleid. Sie geruhte zu bemerken, daß Frau von Kleist unfähig sei, sie zu hören und ohnmächtig auf einem Sopha lag, das Gesicht in die Kissen verborgen.

Die Thurmuhr schlug die dritte Stunde, ehe diese arme Person vollkommen ihre Besinnung wieder erlangt hatte. Ihr Schrecken äußerte sich noch durch Thränen. Amalie war es müde, die Prinzessin nicht mehr zu spielen und dachte nicht mehr daran, sich allein auszukleiden und sich selbst zu bedienen, wozu vielleicht noch kam, daß ihr Geist von einem unheimlichen Gefühl gepeinigt wurde. Sie entschloß sich also, Frau von Kleist bis zum Morgen bei sich zu behalten.

– Bis dahin, sagte sie, werden wir wohl ein Mittel finden, die Sache zu verschleiern, wenn mein Bruder davon hören sollte. Deine Gegenwart aber, Porporina, würde weit schwieriger zu erklären sein, und ich möchte um nichts in der Welt, daß man dich aus meinen Zimmern kommen sähe. Du mußt dich also allein entfernen, und das gleich jetzt, denn in diesem abscheulichen Gasthofe ist man verdammt zeitig auf den Beinen. Nun Kleist, beruhige dich, ich behalte dich bei mir, und wenn du ein vernünftiges Wort sagen kannst, so sprich, zu welchem Thore du hereingekommen bist und in welchem Winkel du deinen Jäger gelassen hast, damit die Porporina sich seiner bedienen kann, um sich nach Haus führen zu lassen.

Die Furcht macht so entsetzlich egoistisch, daß Frau von Kleist, voll Freude, den Schrecken der Gallerie nicht mehr trotzen zu dürfen und sich sehr wenig um die Angst kümmernd, welche Consuelo empfinden könnte, allein diesen Weg zu machen, alle ihre Besinnung wiederfand, um ihr zu erklären, welchen Weg sie nehmen und welches Zeichen sie geben müsse, um bei dem Ausgange aus dem Palast an einem sehr einsamen und geschützten Orte ihren Diener zu finden, dem sie befohlen hatte, sie dort zu erwarten.

Mit diesen Nachweisungen versehen und diesmal ganz gewiß, sich im Schlosse nicht zu verirren, beurlaubte sich Consuelo von der Prinzessin, die sich keinesweges das Vergnügen machte, sie zur Gallerie hinauszuführen. Das junge Mädchen ging also allein, durch die Finsterniß sich hindurch fühlend, und erreichte ohne Hinderniß die furchtbare Treppe. Eine unten hängende Lampe, welche noch brannte, unterstützte sie beim Hinabsteigen, was sie, ohne irgend ein Abenteuer und sogar ohne Furcht that; denn diesmal waffnete sie sich mit ihrem Willen. Sie erkannte, daß sie der unglücklichen Amalie einen Dienst leiste, und in solchen Fällen war sie stets muthvoll und stark.

Endlich kam sie beim Ausgang aus dem Palast durch die kleine geheimnißvolle Pforte, zu der ihr Frau von Kleist den Schlüssel gegeben hatte und die in einen hintern Hof führte. Als sie draußen war, ging sie längs der äußern Mauer hin, um den Jäger zu suchen, und sobald sie das verabredete Zeichen gegeben, löste sich von der Mauer ein Schatten los, kam ihr entgegen und ein in einem großen Mantel verhüllter Mann verbeugte sich vor ihr und bot ihr in achtungsvoller Stellung schweigend den Arm.

4.

Consuelo erinnerte sich, daß Frau von Kleist, um ihre häufigen heimlichen Besuche bei der Prinzessin Amalie besser zu verbergen, des Abends oft zu Fuß ins Schloß kam, den Kopf mit einem dicken, schwarzen Schleier, ihren Körper in einen dunkelfarbigen Mantel verhüllt und auf den Arm ihres Dieners gestützt. Auf diese Weise wurde sie von den Leuten im Schlosse nicht bemerkt und konnte für eins jener unglücklichen Frauenzimmer gelten, welche sich verbergen, um zu betteln, und auf diese Weise Unterstützung von der Freigebigkeit der Prinzen erhalten.

Aber trotz aller Vorsicht der Vertrauten und ihrer Gebieterin glich ihr Geheimniß ziemlich dem der Komödie, und wenn der König keinen Anstoß daran nahm, so geschah es nur, weil es kleine Aergernisse giebt, die man lieber duldet, als durch Bekämpfen öffentlich macht. Er wußte wohl, daß diese beiden Damen sich zusammen mehr mit Trenck als mit der Magie beschäftigten, und obgleich diese beiden Gegenstände der Unterhaltung fast auf gleiche Weise sein Mißfallen erregten, so schloß er doch darüber seine Augen und wußte in seinem Herzen seiner Schwester Dank, den Schleier des Geheimnisses darüber zu breiten, der ihm in den Augen gewisser Leute die Verantwortlichkeit nahm. Gern willigte er ein, dem Scheine nach betrogen zu werden; er wollte nicht das Ansehen haben, die Liebe und die Thorheiten seiner Schwester zu billigen. Seine Strenge lastete doppelt schwer auf Trenck, und auch diesen hatte er mit einem erdichteten Verbrechen beschweren müssen, damit das Publikum die wahren Beweggründe seiner Ungnade nicht errieth.

Indem die Porporina dachte, daß der Diener der Frau von Kleist ihr Incognito dadurch beschützen müsse, daß er ihr wie seiner Gebieterin den Arm reichte, zögerte sie nicht, seine Dienste anzunehmen und stützte sich auf ihn, um über das mit Eis überzogene Pflaster hinwegzugehen.

Aber kaum hatte sie drei Schritte auf diese Weise gemacht, als der Mensch ihr mit unbefangenem Tone sagte:

– Nun, schöne Gräfin, in welcher Laune haben Sie die fantastische Amalie zurückgelassen?

Trotz der Kälte und des schneidenden Nordwindes fühlte Consuelo, daß das Blut ihr in die Wangen stieg. Allem Anschein nach nahm der Diener sie für seine Herrin und verrieth auf diese Weise eine empörende Vertraulichkeit mit ihr. Die Porporina entzog voll Unwillen ihren Arm dem dieses Menschen und antwortete ihm trocken:

– Sie täuschen sich.

– Ich habe nicht die Gewohnheit, mich zu täuschen, erwiederte der Mann im Mantel mit derselben Ungezwungenheit. Dem Publikum mag es fremd sein, daß die göttliche Porporina Gräfin von Rudolstadt ist; aber der Graf von Saint Germain ist besser unterrichtet.

– Wer sind Sie denn? fragte Consuelo voller Erstaunen. Gehören Sie nicht zur Dienerschaft der Frau Gräfin von Kleist?

– Ich gehöre nur mir selbst und bin nur der Diener der Wahrheit, entgegnete der Unbekannte. Ich habe eben meinen Namen genannt; aber ich sehe, er ist der Frau von Rudolstadt unbekannt.

– Wären Sie denn wirklich der Graf von Saint Germain?

– Und welcher Andere könnte Ihnen einen Namen geben, den das Publikum nicht kennt? Sehen Sie, Frau Gräfin, bei zwei Schritten, die Sie ohne meine Unterstützung gethan haben, wären Sie bald zweimal gefallen. Erlauben Sie mir, Ihnen meinen Arm wieder anzubieten. Ich kenne den Weg zu Ihrer Wohnung genau und mache mir eine Pflicht und eine Ehre daraus, Sie sicher dahin zu bringen.

– Ich danke Ihnen für Ihre Güte, Herr Graf, antwortete Consuelo, deren Neugier zu lebhaft erregt war, um das Anerbieten dieses interessanten und seltsamen Mannes von sich zu weisen. Hätten Sie wohl die Gefälligkeit, mir zu sagen, warum Sie mich so nennen?

– Weil ich im voraus Ihr Vertrauen zu gewinnen wünsche, indem ich Ihnen zeige, daß ich seiner würdig bin. Seit langer Zeit kenne ich Ihre Verbindung mit Albert und habe für Sie Beide sie als ein unverletzliches Geheimniß bewahrt, so wie ich es noch jetzt bewahren werde, so lange es Ihr Wunsch ist.

– Ich sehe, daß mein Wunsch in dieser Hinsicht von Herrn Supperville sehr wenig beachtet worden ist, bemerkte Consuelo, die sich beeilte, diesem Letztern die Kenntniß zuzuschreiben, welche Herr von Saint Germain über ihren Stand hatte.

– Klagen Sie den armen Supperville nicht an, antwortete der Graf. Außer der Prinzessin Amalie, der er den Hof machen wollte, hat er Niemand etwas gesagt. Nicht von ihm kenne ich den Umstand.

– Und von wem denn, mein Herr?

– Vom Grafen Albert von Rudolstadt selbst. Ich weiß wohl, daß Sie mir sagen werden, er sei gestorben, während man noch die kirchliche Feier Ihrer Vermählung vollendete; aber ich antworte Ihnen, daß es keinen Tod giebt, daß Niemand, daß nichts stirbt und daß man sich immer noch mit den von dem gemeinen Volke sogenannten Todten unterhalten kann, sobald man nur ihre Sprache und die Geheimnisse ihres Lebens kennt.

– Da Sie so Vieles wissen, mein Herr, so ist es Ihnen vielleicht auch nicht unbekannt, daß dergleichen Behauptungen mich nicht leicht überzeugen können, daß sie mir sehr weh thun, indem sie mir unaufhörlich den Gedanken eines Unglücks vergegenwärtigen, von dem ich weiß, daß es trotz der lügnerischen Versprechungen der Magie nicht wieder gut gemacht werden kann.

– Sie haben Recht, gegen Magier und Betrüger auf Ihrer Hut zu sein. Ich weiß, Cagliostro hat Sie mit einer wenigstens unzeitigen Erscheinung erschreckt. Er gab dem schmeichelnden Gedanken nach, Ihnen seine Macht zu zeigen, ohne sich um die Stimmung Ihres Herzens und die Erhabenheit seiner Sendung zu bekümmern. Cagliostro ist aber nichts weniger als ein Betrüger, er ist nur eitel und hat deshalb häufig den Vorwurf des Charlatanismus verdient.

– Herr Graf, man macht Ihnen denselben Vorwurf; und da man hinzufügt, daß Sie ein bedeutender Mann seien, so fühle ich in mir den Muth, Ihnen offen das Vorurtheil zu nennen, welches meiner Achtung für Sie entgegentritt.

– Das ist die Sprache eines edlen Geistes, die Consuelo zukommt, antwortete ruhig Herr von Saint Germain, und ich bin Ihnen dankbar, daß Sie diesen Anruf an meine Rechtlichkeit thun. Ich werde mich dessen würdig zeigen und ohne Geheimniß mit Ihnen sprechen. Aber da ist Ihr Haus und die Kälte wie die vorgerückte Stunde der Nacht verbieten mir, Sie länger hier aufzuhalten. Wenn Sie Dinge von der äußersten Wichtigkeit erfahren wollen, von denen Ihre Zukunft abhängt, so erlauben Sie mir, frei mit Ihnen zu sprechen.

– Wenn der Herr Graf mich im Laufe dieses Tages besuchen will, so will ich ihn zu einer bestimmten Stunde bei mir erwarten.

– Ich muß morgen mit Ihnen sprechen; und morgen erhalten Sie einen Besuch von Friedrich, dem ich nicht begegnen mag, weil ich mich um ihn nicht kümmere.

– Von welchem Friedrich wollen Sie sprechen, Herr Graf?

– O, nicht von unserm Freund Friedrich von Trenck, den wir seinen Händen endlich entzogen haben, sondern von dem boshaften kleinen König von Preußen, der Ihnen den Hof macht. Halt, morgen ist große Redoute im Opernhause, finden Sie sich dabei ein. Welche Verkleidung Sie auch nehmen mögen, ich werde Sie erkennen und mich Ihnen kenntlich machen. In der Maskenmenge finden wir leicht uns allein und in Sicherheit. Sonst würden meine Verhältnisse mit Ihnen großes Unglück auf geheiligte Häupter zusammenziehen. Auf morgen also, Frau Gräfin.

Mit diesen Worten grüßte der Graf von Saint Germain Consuelo achtungsvoll und verschwand, indem er sie starr vor Erstaunen an der Schwelle ihrer Wohnung zurückließ.

– Wahrlich, in diesem Königreich der Vernunft besteht eine fortwährende Verschwörung gegen die Vernunft, sagte die Sängerin bei sich selbst, indem sie einschlief. Kaum bin ich einer der Gefahren entschlüpft, welche meine Vernunft bedrohte, so bietet sich wieder eine andre dar. Die Prinzessin Amalie hatte mir die letzten Räthsel gelöst und ich hielt mich für ganz ruhig; doch in demselben Augenblick treffen wir oder hören wir wenigstens die fantastische Kehrfrau, die in diesem Schlosse des Zweifels, in dieser Feste des Unglaubens eben so ruhig ihren Umgang hält, als sie es vor zweihundert Jahren thun konnte. Ich werfe den Schrecken von mir, den Cagliostro in mir erregte, und sogleich ist ein andrer Magier da, der noch besser von meinen Angelegenheiten unterrichtet scheint. Daß die Wahrsager Alles, was das Leben der Könige oder erlauchter Personen betrifft, sich genau merken, das begreife ich wohl; aber daß ich, ein armes, demüthiges und verschwiegenes Mädchen keinen Punkt meines Lebens ihren Forschungen entziehen kann, das verwirrt, das beunruhigt mich unwillkürlich.

Nun, ich will dem Rath der Prinzessin folgen und glauben, daß die Zukunft auch dieses Wunder enthüllen wird. Unterdessen enthalte ich mich jedes Urtheils. Was vielleicht am sonderbarsten wäre, ist, wenn der von Herrn von Saint Germain vorausgesagte Besuch des Königs morgen wirklich stattfinden sollte. Es wäre zum dritten Male erst, daß der König zu mir gekommen ist. Sollte Herr von Saint Germain sein Vertrauter sein? Man sagt, man müsse hier besonders denen mißtrauen, die schlecht vom Herrn sprechen. Ich will das doch nicht vergessen.

Am folgenden Morgen Punkt ein Uhr fuhr eine Kutsche ohne Livree und Wappen in den Hof des Hauses, welches die Sängerin bewohnte, und der König, welcher ihr zwei Stunden vorher hatte sagen lassen, allein zu sein und ihn zu erwarten, trat in ihr Zimmer, den Hut auf dem linken Ohre, ein Lächeln auf den Lippen und ein kleines Körbchen in der Hand.

– Der Capitain Kreuz bringt Ihnen Birnen aus seinem Garten, sagte er. Böswillige Leute behaupten, sie kämen aus den Gärten von Sanssouci und wären für das Dessert des Königs bestimmt, aber Gott sei Dank, der König denkt nicht an uns, und der kleine Baron wünscht eine oder zwei Stunden bei seiner kleinen Freundin zuzubringen.

Dieser freundliche Anfang brachte Consuelo, statt sie zu erfreuen, in eine seltsame Verlegenheit. Seitdem sie gegen den königlichen Willen conspirirte, indem sie die vertrauten Mittheilungen der Prinzessin Amalie empfing, konnte sie nicht mehr mit ruhiger Offenheit dem königlichen Inquisitor entgegentreten. Sie hätte ihn jetzt schonen, ihm vielleicht schmeicheln, seinen Verdacht durch listiges Entgegenkommen abwehren sollen.

Consuelo fühlte, daß diese Rolle ihr nicht zusagte, daß sie sie schlecht spielen würde, besonders wenn es wahr sein sollte, daß Friedrich an ihr »Geschmack« fand, wie man am Hofe sagte, wo man die königliche Majestät herabzuwürdigen geglaubt, wenn man sich des Wortes Liebe in Bezug auf eine Komödiantin bedient hätte. Unruhig und verlegen dankte Consuelo dem König befangen für seine außerordentliche Güte, und sogleich veränderte sich die Physiognomie des Königs und wurde eben so düster, als sie beim Eintritt freundlich gewesen war.

– Was hast du? sagte er hastig, die Augenbrauen zusammenziehend. Bist du launisch oder krank? Warum nennst du mich »Sire«? Stört mein Besuch irgend eine Liebelei?

– Nein, Sire, antwortete das junge Mädchen, ihre ungeheuchelte Freimüthigkeit wieder annehmend. Ich habe weder eine Liebelei, noch ein Liebesverständniß.

– Sehr gut, übrigens, wenn es auch wäre, was kümmert es mich? Ich würde nur verlangen, daß du mir es geständest.

– Geständest? Der Herr Capitain wollen wahrscheinlich sagen, vertrautest.

– Erkläre mir den Unterschied.

– Den kennt der Herr Capitain schon.

– Wie du willst, aber unterscheiden heißt nicht antworten. Wärst du verliebt, so möchte ich es wohl wissen.

– Ich begreife nicht, warum.

– Du begreifst es wirklich nicht? Sieh mir gerade in die Augen. Dein Blick ist heute sehr unbeständig.

– Herr Capitain, es scheint mir, Sie wollen dem König nachäffen. Man sagt, wenn er einen Angeklagten verhört, so liest er in seinen Augen. Glauben Sie mir, das kommt nur ihm zu, und selbst wenn er zu mir käme, um mich einem solchen Betragen zu unterwerfen, so würde ich ihn bitten, sich um seine Angelegenheiten zu bekümmern.

– Das ist recht; du würdest ihm sagen, geh' ein Haus weiter, Sire.

– Warum nicht? Der Platz des Königs ist auf seinem Pferd oder auf seinem Throne, und wenn ihm die Laune kommt, mich zu besuchen, so hätte ich das Recht, ihn nicht verdrossen bei mir zu dulden.

– Das ist wahr; aber mit dem Allen antwortest du mir nicht. Du willst mich nicht zum Vertrauten deiner nächsten Liebesverhältnisse annehmen?

– Für mich stehen keine Liebesverhältnisse in Aussicht, ich habe es Ihnen oft gesagt, Baron.

– Ja, lachend, weil ich dich eben so befragte; aber wenn ich jetzt ernst spreche?

– So antworte ich auf gleiche Weise.

– Weißt du, daß du eine sonderbare Person bist?

– Warum das?

– Weil du das einzige Mädchen beim Theater bist, die sich mit den schönen Leidenschaften, oder mit der Galanterie nicht abgiebt.

– Sie haben einen schlechten Begriff von den Schauspielerinnen, Herr Capitain.

– Nein, ich habe recht verständige kennen gelernt; aber sie strebten nach reichen Heirathen; und du, man weiß nicht woran du denkst.

– Ich denke heut Abend zu singen.

– So lebst du von einem Tag zum andern.

– Von jetzt an lebe ich nicht anders.

– Es ist also nicht immer so gewesen?

– Nein, Herr Capitain.

– Du hast geliebt?

– Ja, Herr Capitain.

– Im Ernst?

– Ja, Herr Capitain.

– Und lange?

– Ja, Herr Capitain.

– Und was ist aus deinem Liebhaber geworden?

– Gestorben …

– Aber du hast dich getröstet?

– Nein.

– O, du wirst dich schon trösten.

– Ich fürchte, nein.

– Das ist sonderbar. Also willst du dich nicht verheirathen?

– Nie.

– Und willst kein Liebesverhältniß anfangen?

– Nie.

– Nicht einmal einen Freund haben?

– Nicht einmal einen Freund, wie die schönen Damen es nennen.

– O, wenn du nach Paris gingest und der König Ludwig XV., dieser galante Ritter …

– Ich liebe die Könige nicht, Herr Capitain, und ich verabscheue die galanten Könige.

– Ah, ich verstehe, du hast die Pagen lieber. Ein hübscher Kavalier, wie Trenck zum Beispiel.

– Ich habe nie an sein Gesicht gedacht.

– Und doch bist du in Verbindung mit ihm geblieben?

– Wenn das wäre, so würde sie nur einer reinen, achtbaren Freundschaft gehören.

– Du gestehst also, daß du in Verbindung mit ihm stehst.

– Das habe ich nicht gesagt, erwiederte Consuelo, welche fürchtete, schon durch diese Anzeige die Prinzessin zu compromittiren.

– So läugnest du sie?

– Ich. hätte keinen Grund zu läugnen wenn es wäre; aber woher kommt's denn, daß der Capitain Kreutz mich auf diese Weise in's Verhör nimmt? welches Interesse kann er daran haben?

– Wahrscheinlich nimmt der König eins daran, antwortete Friedrich, indem er seinen Hut abnahm und ihn heftig auf den Kopf einer Polyhymnia von weißen Marmor setzte, deren antike Büste die Console schmückte.

– Wenn der König mich mit seinem Besuche beehrte, sagte Consuelo, indem sie den Schrecken überwand, der sich ihrer bemächtigte, so würde ich glauben, er wünsche Musik zu hören, und mich an mein Clavier setzen und ihm die Arie aus der Ariadne abandonnata singen …

– Der König liebt diese Aufmerksamkeiten nicht. Wenn er fragt, so wünscht er eine klare und kurze Antwort. Was haben Sie diese Nacht in dem königlichen Schlosse gemacht? Sie sehen wohl, der König hat ein Recht zu fragen, weil Sie ohne seine Erlaubniß zu ungehörigen Stunden in sein Haus kommen.

Consuelo zitterte vom Kopf bis zu den Füßen; aber glücklicherweise besaß sie in jeder Art von Gefahr eine Geistesgegenwart, welche sie immer wie durch ein Wunder gerettet hatte. Sie erinnerte sich, daß Friedrich oft zur Unwahrheit die Zuflucht nahm, um die Wahrheit zu erfahren, und daß er die Geschicklichkeit besaß, das Geständniß weit mehr durch Ueberraschung, als durch irgend ein anderes Mittel zu erhalten. Sie war also auf ihrer Hut, und antwortete, bei all ihrer Blässe, mit einem Lächeln:

– Das ist eine sonderbare Anklage, und ich weiß nicht was man auf fantastische Fragen antworten kann.

– Sie sind nicht mehr lakonisch, wie noch so eben, entgegnete der König; man sieht wohl, daß Sie lügen. Sie waren die Nacht nicht im Palast? Antworten Sie ja oder nein.

– Nun, nein! sagte Consuelo muthig, indem sie die Schande, der Lüge überführt zu werden, der Schändlichkeit vorzog, zu ihrer Entschuldigung das Geheimniß eines Andern preiszugeben.

– Sie sind nicht um drei Uhr des Morgens ganz allein herausgekommen?

– Nein, antwortete Consuelo, die ihre Kräfte wiederfand, als sie in der Physiognomie des Königs eine fast unmerkliche Unentschlossenheit wahrnahm und trefflich die Ueberraschte spielte.

– Sie haben dreimal gewagt nein zu sagen! rief der König mit einem erzürnten Wesen und niederschmetterndem Blick.

– Ich wage auch ein viertes Mal es zu sagen, wenn Ew. Majestät es verlangt, antwortete Consuelo, entschlossen, dem Gewitter bis zum Ende die Stirn zu bieten.

– O, ich weiß wohl, eine Frau würde selbst in der Tortur die Lüge behaupten, wie die ersten Christen während der Qualen das behaupteten, was sie für Wahrheit hielten. Wer könnte sich schmeicheln, einem weiblichen Wesen eine aufrichtige Antwort zu entreißen? Höre Sie mich, Mademoiselle, ich habe Sie bisher geachtet, weil ich glaubte, Sie machte die einzige Ausnahme von den Lastern Ihres Geschlechts. Ich hielt Sie nicht für intriguant, für unverschämt und verrätherisch. Ich setzte in Ihren Charakter ein Vertrauen, das bis zur Freundschaft ging.

– Und jetzt, Sire?

– Unterbreche Sie mich nicht. Jetzt habe ich meine Meinung und Sie wird die Folgen davon empfinden. Aber höre Sie mich wohl. Wenn Sie das Unglück hätte, sich in die kleinen Intriguen des Palastes zu mischen, gewisse ungehörige vertraute Mittheilungen anzunehmen, gewisse gefährliche Dienste zu leisten, so würde Sie sich vergeblich schmeicheln, mich lange zu täuschen und ich würde Sie eben so schimpflich von mir fortjagen, als ich Sie mit Auszeichnung und Güte empfangen habe.

– Sire, antwortete Consuelo kühn, da es der theuerste und beständigste meiner Wünsche ist, Preußen zu verlassen, so werde ich mit Dank den Befehl zu meiner Abreise empfangen, was auch der Vorwand zu meiner Entfernung und wie hart auch Ihre Sprache sein mag.

– Ah, Sie nimmt es so? rief Friedrich, außer sich vor Zorn, Sie wagt auf diese Weise mit mir zu sprechen?

Und dabei erhob er seinen Stock, als wolle er Consuelo schlagen, aber die ruhige verächtliche Miene, mit welcher sie diesen Schimpf erwartete, brachte ihn zu sich selbst zurück. Er warf seinen Stock fort und sagte mit bewegter Stimme:

– Nun, vergesse Sie die Rechte, die Sie auf die Dankbarkeit des Capitain Kreuz hat, und spreche Sie mit der geziemenden Achtung zum König; denn wenn Sie mich aufbringt, so bin ich fähig, Sie wie ein störriges Kind zu züchtigen.

– Sire, ich weiß, daß man in Ihrer erhabenen Familie die Kinder schlägt, und ich habe gehört, daß Ihre Majestät einst versucht haben, die Flucht zu ergreifen, um sich einer solchen Behandlung zu entziehen. Dieses Mittel ist für eine Zingara wie ich leichter, als es für den Kronprinzen Friedrich gewesen. Wenn Ew. Majestät mich nicht binnen vierundzwanzig Stunden Ihre Staaten verlassen läßt, so sage ich Ihnen selbst, daß ich Sie über meine Intriguen beruhigen will, indem ich Preußen ohne Paß verlasse, sollte es auch zu Fuß geschehen, und müßte ich auch über die Gräber springen, wie ein Deserteur und Schmuggler.

– Sie ist eine Närrin, sagte der König, die Achseln zuckend und das Zimmer durchschreitend, um seinen Verdruß und seine Reue zu verbergen. Sie soll fort, nichts ist mir lieber, aber ohne Aufsehen und Uebereilung. Ich mag nicht, daß Sie mich so verlasse, unzufrieden mit mir und mit sich selbst. Wo Teufel hat Sie die Insolenz hergenommen, mit der Sie begabt ist, und welcher Satan giebt mir die Freundlichkeit, mit der ich Sie behandle?

– Wahrscheinlich schöpfen Sie sie aus einer edelmüthigen Gewissenhaftigkeit, deren Ew. Majestät sich entheben kann. Sie glauben mir verbindlich zu sein wegen eines Dienstes, den ich dem letzten Ihrer Unterthanen mit demselben Eifer geleistet hätte. Betrachten Sie sich also gegen mich für völlig frei und lassen Sie mich so schnell als möglich abreisen; meine Freiheit wird eine hinlängliche Belohnung sein, ich verlange keine andere.

– Immer noch? sagte der König, erstaunt über die kühne Hartnäckigkeit dieses jungen Mädchens. Immer noch dieselbe Sprache? Sie ändert sie mit mir nicht? Das ist kein Muth, das ist Haß!

– Und wenn es wäre, entgegnete Consuelo, würde Ew. Majestät sich im Geringsten darum bekümmern?

– Gerechter Himmel! was sagt Sie da, armes Mädchen! sagte der König im Tone aufrichtigen Schmerzes. Sie weiß nicht, was Sie sagt, unglückliches Kind! Nur ein verruchtes Gemüth könnte gegen den Haß seiner Nebenmenschen unempfindlich sein.

– Betrachtet denn Friedrich der Große die Porporina als ein Wesen seines Gleichen?

– Nur der Geist und die Tugend erheben gewisse Menschen über die andern. Sie hat Genie in Ihrer Kunst. Ihr Gewissen mag Ihr sagen, ob Sie rechtlich denkt … doch in diesem Augenblicke sagt es Ihr das Gegentheil, denn Sie ist voll Haß und Groll.

– Und wenn das wäre, hätte sich das Gewissen des großen Friedrich nichts vorzuwerfen, diese bösen Leidenschaften in einem gewöhnlich friedlichen und edlen Gemüthe hervorgerufen zu haben?

– O, Sie ist böse, sagte Friedrich mit einer Bewegung, als wolle er die Hand des jungen Mädchens ergreifen; doch er zögerte, durch jene Befangenheit zurückgehalten, die Verachtung und Abneigung gegen die Frauen in ihm hatten entstehen lassen.

Consuelo, die ihren Verdruß übertrieben hatte, um im Herzen des Königs ein Gefühl der Zärtlichkeit zu ersticken, das mitten in seinem Zorn dem Ausbruch nahe war, bemerkte, wie groß seine Schüchternheit sei, und verlor alle ihre Besorgniß, als sie sah, daß er von ihr den ersten Schritt erwartete. Es war ein sonderbares Verhängniß, daß das einzige Weib, welches fähig war, über Friedrich eine Art von Zauber zu üben, der der Liebe glich, auch vielleicht das einzige in seinem ganzen Königreiche war, das diese Stimmung um keinen Preis hätte benutzen mögen.

Es ist wahr, Consuelo's Widerstreben und Stolz machten vielleicht ihren Hauptreiz in den Augen des Königs aus. Dieses rebellische Gemüth reizte den Despoten, als gälte es eine Provinz zu erobern. Und ohne daß er sich klar darüber Rechenschaft geben konnte, ohne daß er seinen Ruhm darein setzen wollte in diese Art eitler Heldenthaten, fühlte er Bewunderung und Theilnahme für einen kräftigen Charakter, der in mancher Hinsicht viel Aehnlichkeit mit dem seinigen zu haben schien.

– Nun, sagte er, indem er die Hand, die er gegen Consuelo ausgestreckt hatte, heftig in seine Westentasche steckte, sag Sie mir nicht mehr, daß ich gleichgültig gegen den Haß bin, denn Sie würde mir den Glauben beibringen, ich sei gehaßt, und dieser Gedanke wäre mir unerträglich.

– Und doch wollen Sie, daß man Sie fürchte?

– Nein, man soll mich nur achten.

– Und mit Stockschlägen flößen Ihre Corporale Ihren Soldaten Achtung vor Ihrem Namen ein.

– Was weiß Sie davon? wovon spricht Sie da? In was mischt Sie sich?

– Ich antworte klar und deutlich auf das Verhör Ew. Majestät.

– Soll ich Sie um Verzeihung bitten für einen Augenblick der Heftigkeit, die Ihre Thorheit hervorgerufen hat?

– Im Gegentheil; wenn Sie an meinem Kopfe den Stockscepter, welcher über Preußen regiert, zerbrechen könnten, so würde ich Ew. Majestät bitten, das Rohr wieder aufzunehmen.

– O, wenn ich Ihre Schultern ein wenig damit geliebkost hätte, so würde Sie, da es ein Stock ist, den Voltaire mir gegeben hat, vielleicht nur noch mehr Geist und Bosheit erhalten haben. Sehe Sie, ich halte viel auf diesen Stock, aber ich bin Ihr eine Genugthuung schuldig, das sehe ich wohl.

Mit diesen Worten nahm der König seinen Stock auf und wollte ihn zerbrechen. Doch wie sehr er auch sich anstrengte und das Knie zu Hülfe nahm, das Rohr beugte sich und wollte nicht zerbrechen.

– Sehen Sie, sagte der König, indem er es in's Feuer warf, mein Stock ist nicht, wie Sie behaupten, das Bild meines Scepters. Es ist das des treuen Preußens, welches sich unter meinem Willen beugt, doch sich von ihm nicht zerbrechen läßt. Machen Sie es eben so, Porporina, und Sie werden sich wohl dabei befinden.

– Und was ist der Wille Ihrer Majestät in Bezug auf mich? Es ist ein herrlicher Gegenstand um die Autorität eines großen Charakters daran zu üben und seine Heiterkeit zu trüben.

– Mein Wille ist, Sie sollen dem Gedanken entsagen, Berlin zu verlassen. Finden Sie ihn beleidigend?

Der lebhafte, fast leidenschaftliche Blick Friedrichs erklärte hinreichend diese Art von Genugthuung. Consuelo fühlte ihre Schrecken wiederkehren und that, als verstände sie ihn nicht.

– Dazu, antwortete sie, werde ich mich nie entscheiden. Ich sehe zu sehr, daß ich die Ehre, zuweilen Ew. Majestät durch meine Rouladen zu ergötzen, sehr theuer bezahlen muß. Der Argwohn lastet hier auf Jedermann. Die geringsten, unbedeutendsten Personen sind vor einer Anklage nicht geschützt, und solch ein Leben könnte ich nicht ertragen.

– Sie sind unzufrieden mit Ihrer Bezahlung? nahm der König das Wort, nun, sie soll erhöht werden.

– Nein, Sire, ich bin mit meiner Besoldung zufrieden; ich bin nicht geldgierig, Ew. Majestät weiß es.

– Das ist wahr. Sie lieben das Geld nicht, die Gerechtigkeit muß man Ihnen lassen. Man weiß übrigens nicht, was Sie lieben.

– Die Freiheit, Sire.

– Und wer beschränkt Ihre Freiheit? Sie suchen mit mir Streit und haben keinen ordentlichen Grund dazu. Sie wollen fort, das allein ist klar.

– Ja, Sire.

– Ja? es ist fest beschlossen?

– Ja, Sire.

– Nun, so gehen Sie zum Teufel!

Der König nahm seinen Hut, seinen Stock, der, indem er über den Rost gerollt, nicht verbrannt war, wandte den Rücken und ging zur Thür. Doch im Augenblick, wo er sie öffnen wollte, wandte er sich zu Consuelo um und zeigte ihr ein Gesicht von so aufrichtiger Trauer, von so väterlicher Betrübniß, kurz, so verschieden von seinem furchtbaren königlichen Anblick, ohne das bittere Lächeln des skeptischen Philosophen, daß das arme Kind sich bewegt und reuig fühlte. Die Gewohnheit, welche sie bei Porpora an diesen häuslichen Stürmen gewonnen hatte, ließ sie vergessen, daß im Herzen Friedrichs etwas Persönliches und Wildes für sie lag, welches niemals in das ernste, edle Gemüth ihres Adoptivvaters getreten war.

Sie wandte sich ab, um eine heimliche Thräne zu verbergen, die unter ihrem Augenlid hervorkam, aber der Blick des Luchses ist nicht schneller, als es der des Königs war. Er kam zurück, und von Neuem seinen Stock gegen Consuelo erhebend, aber diesmal mit dem Ausdruck der Zärtlichkeit, als wenn er mit dem Kinde seines Herzens gespielt hätte, sagte er mit bewegter, schmeichelnder Stimme:

– Abscheuliches Geschöpf! Sie hat nicht die geringste Freundschaft für mich.

– Sie täuschen sich sehr, Herr Baron, antwortete die gute Consuelo, bezaubert durch diese halbe Komödie, welche den wahren Sturm rohen Zornes von Friedrich so geschickt wieder gut machte; ich fühle eben so viel Freundschaft für den Capitain Kreutz, als Abneigung gegen den König von Preußen.

– Weil Sie den König von Preußen nicht begreifen, nicht begreifen können, erwiederte der König. Doch sprechen wir nicht von ihm. Ein Tag wird kommen, wenn Sie lange genug dieses Land bewohnt haben, um seinen Geist und seine Bedürfnisse zu kennen, wo Sie mehr Gerechtigkeit dem Manne widerfahren lassen werden, der sich bemüht, es zu regieren, wie es ihm gut ist. Unterdessen zeigen Sie sich ein wenig liebenswürdiger gegen den armen Baron, der sich am Hofe und bei den Höflingen so entsetzlich langweilt und hier, in der Nähe eines reinen Gemüthes und eines unverfälschten Geistes etwas Ruhe und Glück suchen wollte. Ich hatte nur eine Stunde daran zu wenden, und Sie haben nichts gethan, als mit mir zu grollen. Ich komme ein andermal wieder, unter der Bedingung, daß Sie mich etwas besser empfangen. Ich werde Mopsule mitbringen zu Ihrer Unterhaltung, und wenn Sie verständig sind, schenke ich Ihnen ein kleines weißes Windspiel, das sie jetzt fängt. Sie müssen es wohl pflegen! Ach, ich vergaß, ich habe Ihnen auch Verse mitgebracht nach meiner Art, Strophen zum Singen; Sie können sie einer Arie unterlegen und meine Schwester Amalie wird sie gern singen.

Der König entfernte sich ganz leise, nachdem er mehrmals wieder zurückgekommen war, um mit anmuthiger Vertraulichkeit zu sprechen und dem Gegenstand seines Wohlwollens unbedeutende Schmeicheleien zu sagen. Er verstand es, wenn er wollte, über nichts zu sprechen, obgleich im Allgemeinen sein Wort scharf, bestimmt, kräftig und tief verständig war. Kein Mann besaß mehr das, was man Gehalt in der Unterhaltung nennt, und nichts war in jener Zeit seltener als jener ernste, feste Ton im vertrauten Gespräch. Doch bei Consuelo wollte er ganz gutmüthig sein, und es gelang ihm ziemlich, sich den Anschein davon zu geben, so daß sie zuweilen selbst darüber erstaunte.

Als er gegangen war, bereute sie es, wie gewöhnlich, daß es ihr nicht gelungen sei, ihn von ihr zu entfernen und ihm die Lust zu diesen gefährlichen Besuchen völlig zu verleiden. Der König dagegen entfernte sich halb unzufrieden mit sich selbst. Er liebte Consuelo auf seine Weise und hätte ihr wirklich die Anhänglichkeit und Verwunderung einflößen mögen, welche die schönen Geister, seine falschen Freunde, in seiner Nähe zur Schau trugen. Er hätte vielleicht viel gegeben (er, der nicht gern gab), um einmal in seinem Leben das Vergnügen kennen zu lernen, aufrichtig und ohne Nebengedanken geliebt zu sein. Doch er fühlte wohl, daß das nicht leicht mit der Autorität zu vereinigen war, von der er sich nicht trennen wollte, und wie eine gesättigte Katze, welche mit der Maus spielt, die im Begriff ist davon zu laufen, wußte er nicht recht, ob er sie zähmen oder erwürgen sollte.

»Sie geht zu weit, und es wird ein schlechtes Ende nehmen,« dachte er, indem er in seinen Wagen stieg; »wenn sie fortfährt, so ungeberdig zu sein, bin ich genöthigt, ihr ein Vergehen beizumessen und sie auf einige Zeit in eine Festung zu schicken, damit dieser stolze Sinn sich etwas beugt. Doch möchte ich sie lieber durch den Zauber, den ich über so viele Andere ausübe, gewinnen und lenken. Und mit ein wenig Geduld werde ich ans Ziel kommen. Es ist eine kleine Aufgabe, die mich reizt und doch auch amüsirt. Wir wollen doch sehen! Gewiß ist, sie darf jetzt nicht fort, damit sie sich nicht rühmen kann, mir ungestraft die Wahrheit gesagt zu haben. Nein, nein, sie soll mich nicht eher verlassen, bis ich sie entweder unterworfen oder gebeugt habe.«

Und dann öffnete der König, der, wie man wohl glauben kann, viel andere Dinge im Kopfe hatte, ein Buch, um nicht fünf Minuten an nutzlose Träume zu verschwenden, und stieg aus seinem Wagen, ohne sich genau zu erinnern, in welcher Absicht er ausgefahren sei.

Besorgt und zitternd dachte die Porporina etwas länger an die Gefahren ihrer Lage. Sie tadelte sich sehr, auf ihre Abreise nicht gedrungen zu haben, und schweigend die Verpflichtung übernommen zu haben, den Gedanken daran aufzugeben.

Aus diesen Gedanken wurde sie geweckt durch eine Sendung von Geld und Briefen, welche Frau von Kleist ihr zuschickte, um sie an Herrn von Saint Germain gelangen zu lassen. Das Alles war für Trenck bestimmt und Consuelo mußte die Verantwortlichkeit dafür übernehmen, im Nothfall sogar die Rolle der Geliebten des Flüchtlings spielen, um das Geheimniß der Prinzessin Amalie zu verschleiern.

Sie sah sich also in eine um so unangenehmere und gefährlichere Stellung verwickelt, da sie die Treue der geheimnißvollen Agenten nicht genau kannte, mit denen man sie in Berührung setzte, und die sich zur Belohnung in ihre eigenen Geheimnisse einmischen wollten. Sie beschäftigte sich mit ihrer Maske für den Ball im Opernhause, wo sie mit dem Grafen von Saint Germain ein Rendezvous verabredet hatte, und gestand sich dabei selbst mit heimlichem Entsetzen, daß sie am Rande eines Abgrundes stehe.

5.

Gleich nach der Oper wurde der Saal nivellirt, erleuchtet und wie gewöhnlich ausgeschmückt, und der große Maskenball, in Berlin Redoute genannt, mit dem Schlage der Mitternachtsstunde eröffnet.

Die Gesellschaft war ziemlich gemischt, denn die Prinzen und vielleicht die Prinzessinnen von königlichem Geblüt fanden sich hier bunt durcheinander mit den Schauspielern und Schauspielerinnen des Theaters.

Die Porporina trat allein, als Nonne verkleidet, ein, ein Costüm, das ihr erlaubte, ihren Hals und ihre Schultern unter dem Schleier, und ihren Wuchs unter einem faltigen Gewande zu verbergen. Sie fühlte die Nothwendigkeit, sich unerkennbar zu machen, um den Bemerkungen zu entgehen, die ihr Zusammentreffen mit Herrn von Saint Germain veranlassen konnte; und sie war nicht böse, den Scharfsinn des Letztern zu prüfen, der sich gegen sie gerühmt hatte, sie unter jeder Verkleidung wiederzuerkennen. Sie hatte daher allein und selbst ohne ihr Kammermädchen ins Vertrauen zu ziehen, das leichte, einfache Gewand zurecht gemacht und war, wohl verhüllt in einen langen Pelz, fortgegangen, den sie erst ablegte, als sie sich mitten unter der Menge befand.

Aber kaum hatte sie den Saal einmal durchschritten, als sie einen beunruhigenden Umstand bemerkte. Eine Maske von ihrem Wuchse, die auch von ihrem Geschlecht zu sein schien und mit einem, dem ihrigen ganz gleichen Nonnengewande bekleidet war, stellte sich mehrmals vor ihr hin und scherzte über ihre Gleichheit.

– Liebe Schwester, sagte diese Nonne, ich möchte wohl wissen, welche von uns der Schatten der Andern ist, und da es mir scheint, als wenn du leichter und feiner als ich wärest, so verlange ich von dir, mich an die Hand zu fassen, um mich zu versichern, ob du meine Zwillingsschwester oder mein Geist bist.

Consuelo wies diese Angriffe zurück und bemühte sich, in ihre Garderobe zu kommen, um ihr Costüm zu wechseln oder an ihrer Verkleidung eine Veränderung anzubringen, welche eine Verwechselung unmöglich machte. Sie fürchtete, wenn der Graf von Saint Germain, trotz ihrer Vorsicht, von ihrer Verkleidung Nachricht bekommen hätte, so möchte er sich an ihre Doppelgängerin wenden und mit ihr von den Geheimnissen sprechen, die er ihr in der vorigen Nacht angekündigt hatte. Doch sie hatte keine Zeit dazu. Schon hatte sich ein Kapuziner an ihre Fersen geheftet und nahm bald, sie mochte machen, was sie wollte, ihren Arm.

– Du sollst mir nicht entgehen, Schwester, sagte er mit leiser Stimme, ich bin dein Beichtvater und will dir deine Sünden sagen. Du bist die Prinzessin Amalie.

– Du bist ein Novize, Bruder, antwortete Consuelo, ihre Stimme verstellend, wie es auf dem Maskenball gewöhnlich ist. Du kennst deine Beichtkinder schlecht.

– O, es ist ganz unnütz, deine Stimme zu verstellen, Schwester. Ich weiß nicht, ob du dein Ordenskleid trägst, aber du bist die Aebtissin von Quedlinburg, und kannst das recht gut eingestehen, da ich dein Bruder Heinrich bin.

Consuelo erkannte in der That die Stimme des Prinzen, der mit ihr oft gesprochen hatte und an welchem ein ziemlich deutliches Stottern bemerkbar war. Um sich zu versichern, daß ihr Sosias gewiß die Prinzessin wäre, läugnete sie noch immer, und der Prinz fuhr fort:

– Ich habe deine Maske beim Schneider gesehen, und da es für einen Prinzen kein Geheimniß giebt, das deinige erfahren. Nun, verlieren wir keine Zeit mit eitlen Reden. Du kannst die Absicht nicht haben, mit mir zu intriguiren, liebe Schwester, und ich hefte mich nicht an deine Schritte, um dich zu quälen, ich habe Ernstes mit dir zu sprechen. Komm mit mir ein wenig bei Seite.

Consuelo ließ sich vom Prinzen fortführen, fest entschlossen, ihm lieber ihre Züge zu zeigen, als seinen Irrthum zu mißbrauchen, um Familiengeheimnisse zu entdecken. Doch bei dem ersten Worte, welches er mit ihr sprach, als sie in eine Loge getreten waren, wurde sie unwillkürlich aufmerksam und glaubte das Recht zu haben, ihn zu hören.

– Hüte dich, mit der Porporina zu weit zu gehen, sagte der Prinz zu seiner angeblichen Schwester. Ich zweifle nicht an ihrer Verschwiegenheit und an dem Adel ihres Herzens. Die wichtigsten Personen des Ordens stehen dafür ein und solltest du auch über die Natur meiner Gefühle für sie mich verspotten, so sage ich doch, daß ich deine Sympathie für dieses liebenswürdige Mädchen theile. Aber weder diese Personen, noch ich, sind der Meinung, daß du dich bei ihr compromittiren solltest, ehe man ihrer Stimmung sicher ist. Ein solches Unternehmen, welches eine glühende Einbildungskraft, wie die deinige, und einen mit Recht erzürnten Geist, wie den meinigen, im voraus einnimmt, kann ein schüchternes Mädchen, das ohne Zweifel jeder Politik und Philosophie fremd ist, beim ersten Anlauf nur erschrecken. Die Gründe, welche auf dich gewirkt haben, werden auf ein Weib, das sich in einer ganz andern Sphäre befindet, keinen Einfluß haben, laß also Trismegistus oder den Grafen Saint Germain dafür sorgen, sie einzuweihen.

– Aber ist denn Trismegistus nicht abgereist? fragte Consuelo, welche eine zu gute Schauspielerin war, um nicht die rauhe, wechselnde Stimme der Prinzessin nachzuahmen.

– Wenn er abgereist ist, so mußt du es besser wissen, als ich, denn dieser Mensch steht mit dir in Beziehung. Ich kenne ihn nicht. Aber Herr von Saint Germain scheint mir der Geschickteste und in der Kenntniß, die uns beschäftigt, der vorzüglich Erfahrenste zu sein. Er hat sich gerühmt, diese schöne Sängerin für uns zu gewinnen und sie den Gefahren entziehen zu wollen, die sie bedrohen.

– Ist sie wirklich in Gefahr? fragte Consuelo.

– Sie ist es, wenn sie fortfährt, die Seufzer des »Herrn Marquis« von sich zu weisen.

– Welches Marquis? fragte Consuelo erstaunt.

– Du bist sehr zerstreut, liebe Schwester. Ich spreche von Fritz, oder dem großen Lama.

– Ja, von dem Marquis von Brandenburg, antwortete die Porporina, die endlich begriff, daß man vom König sprach. Aber bist du gewiß, daß er dieses Mädchen liebt?

– Ich möchte nicht sagen, daß er sie liebt, aber er ist auf sie eifersüchtig. Und dann, liebe Schwester, muß man wohl anerkennen, daß du das arme Mädchen kompromittirst, indem du sie zu deiner Vertrauten machst … Nun, nun, ich weiß nichts davon, ich will nichts wissen. Aber um Gottes willen, sei klug und laß unsere Freunde nicht ahnen, daß dich ein anderes Gefühl bewegt, als das der politischen Freiheit. Wir sind entschlossen, deine Gräfin Rudolstadt aufzunehmen. Wenn sie erst eingeweiht und durch Eidschwüre, Versprechen und Drohungen an uns gefesselt ist, wagst du nichts mehr bei ihr. Bis dahin beschwöre ich dich, enthalte dich, sie zu sehen und mit ihr von deinen und unsern Angelegenheiten zu sprechen. Und gleich jetzt, bleib nicht auf diesem Balle, wo deine Gegenwart nicht ziemlich ist und der große Lama gewiß erfahren wird, daß du hergekommen bist. Gieb mir den Arm bis zur Thür, weiter kann ich dich nicht bringen. Man glaubt, ich sei in Potsdam auf der Wache und die Mauern des Palastes haben Augen, die selbst durch eine eiserne Maske durchdringen würden.

In diesem Augenblick klopfte man an die Thür der Loge und immer stärker, da der Prinz nicht öffnen wollte.

– Das ist ein sehr unverschämter Mensch, in eine Loge eindringen zu wollen, wo sich eine Dame befindet, sagte der Prinz, seine bärtige Maske am Logenfenster zeigend. Aber ein rother Domino mit bleichem Gesicht, dessen Anblick etwas Entsetzliches hatte, erschien ihm und sagte mit einer sonderbaren Gebehrde:

Es regnet.

Diese Nachricht schien großen Eindruck auf den Prinzen zu machen.

– Soll ich fortgehen oder bleiben? fragte er den rothen Domino.

– Du mußt eine dieser ganz ähnliche Nonne aufsuchen, antwortete der Domino, die in der Masse umherirrt. Ich nehme die Dame über mich, fügte er auf Consuelo deutend hinzu, indem er in die Loge trat, die der Prinz ihm eilig öffnete. Sie wechselten leise Worte und der Prinz entfernte sich, ohne der Porporina ein Wort weiter zu sagen.

– Warum, sagte der rothe Domino, sich im Hintergrund der Loge niedersetzend und sich an Consuelo wendend, warum haben Sie eine Verkleidung genommen, welche der der Prinzessin ganz ähnlich ist? Dadurch setzen Sie sich wie Jene, verderblichen Mißverständnissen aus. Ich erkenne hierin weder Ihre Klugheit noch Ihre Hingebung.

– Wenn meine Kleidung der irgend einer andern Person ähnlich ist, so weiß ich nichts davon, antwortete Consuelo, die gegen die neue Maske auf ihrer Hut war.

– Ich glaubte, es wäre ein Scherz, von Ihnen Beiden verabredet. Weil das nicht der Fall ist, Frau Gräfin, und der Zufall allein sich darin gemischt hat, so lassen Sie uns von Ihnen sprechen, und geben wir die Prinzessin ihrem Schicksal preis.

– Doch wenn sie in Gefahr ist, mein Herr, so scheint es mir nicht, daß diejenigen, welche von Ergebenheit sprechen, mit untergeschlagenen Armen stehen bleiben sollten.

– Die Person, die Sie eben verlassen hat, wird über diesen erhabenen, doch sehr thörichten Kopf wachen. Gewiß ist es Ihnen nicht unbekannt, daß sie mehr Interesse dabei hat, als wir, denn diese Person macht Ihnen ebenfalls den Hof.

– Sie irren sich, mein Herr, und ich kenne diese Person nicht mehr als Sie. Uebrigens ist Ihre Sprache weder die eines Freundes, noch die eines Scherzenden. Erlauben Sie also, daß ich auf den Ball zurückkehre.

– Erlauben Sie mir, Ihnen zuvor ein Portefeuille abzuverlangen, das man Sie beauftragt hat, mir zu übergeben.

– Keineswegs, ich bin mit nichts beauftragt, für wen es auch sei.

– Gut, so müssen Sie sprechen. Doch bei mir ist es unnöthig; ich bin der Graf von Saint Germain.

– Ich weiß das nicht.

– Selbst wenn ich meine Maske abnehmen wollte, würden Sie mich nicht wiedererkennen, da Sie meine Züge nur in einer dunklen Nacht gesehen haben. Aber hier ist ein Brief zu meiner Beglaubigung.

Der rothe Domino überreichte Consuelo ein Notenblatt mit einem Zeichen, das sie nicht verkennen konnte. Sie übergab das Portefeuille nicht ohne zu zittern und fügte ausdrücklich hinzu:

– Bemerken Sie wohl, was ich Ihnen sage. Ich habe keinen Auftrag für Sie, nur ich, ich allein lasse diese Briefe und die Wechsel, welche ihnen beigeschlossen sind, an die Person, die Sie kennen, gelangen.

– Also sind Sie die Geliebte des Baron von Trencks

Vor der peinlichen Lüge, die man von ihr verlangte, zurückschreckend, schwieg Consuelo.

– Antworten Sie, gnädige Frau, nahm der rothe Domino wieder das Wort, der Baron verbirgt uns nicht, daß er große Unterstützung von einer Person empfängt, die ihn liebt. Also Sie sind die Freundin des Barons?

– Ich bin es, antwortete Consuelo fest, und ich bin eben so überrascht als beleidigt über Ihre Fragen. Kann ich die Freundin des Barons nicht sein, ohne mich rohen Bemerkungen und einem beschimpfenden Verdacht auszusetzen, wie Sie gegen mich zur Schau tragen?

– Die Stellung ist zu ernst, als daß wir uns bei den Worten aufhalten sollten. Hören Sie wohl. Sie beauftragen mich mit einer Sendung, die mich compromittirt und persönlichen Gefahren von mehr als einer Art preis giebt. Es kann eine politische Verschwörung dabei im Spiel sein, in die ich mich nicht mengen mag. Ich habe den Freunden des Herrn von Trenck mein Wort gegeben, ihm in einer Liebesangelegenheit zu dienen. Verstehen wir uns wohl; ich habe nicht versprochen, der Freundschaft zu dienen. Dieses Wort ist zu unbestimmt und läßt mich sehr unruhig. Ich weiß, Sie sind unfähig zu lügen. Wenn Sie mir positiv sagen, Trenck sei Ihr Geliebter, und wenn ich Albert von Rudolstadt davon unterrichten kann …

– Gerechter Himmel, mein Herr, quälen Sie mich nicht so! Albert ist nicht mehr …

– Nach der Meinung der Menschen ist er todt, ich weiß es; aber für Sie und für mich lebt er ewig.

– Wenn Sie das in einem religiösen und symbolischen Sinne nehmen, so haben Sie Recht, doch in einem materiellen Sinne …

– Streiten wir uns nicht. Ein Schleier verhüllt noch Ihren Geist, doch wird er erhoben werden. Was mir jetzt zu wissen wichtig ist, das ist Ihre Stellung in Bezug auf Trenck. Ist er Ihr Geliebter, so übernehme ich diese Sendung, von welcher sein Leben vielleicht abhängt, denn er ist jeder Hülfe beraubt. Wenn Sie sich aber weigern, sich zu erklären, so weigere ich mich auch, Ihr Vermittler zu sein.

– Wohlan, sagte Consuelo mit einer peinlichen Anstrengung, er ist mein Geliebter. Nehmen Sie das Portefeuille und beeilen Sie sich, es ihm zukommen zu lassen

– Genug, sagte Herr von Saint Germain, das Portefeuille an sich nehmend. Jetzt, edles und muthvolles Mädchen, laß mich dir sagen, daß ich dich bewundere und verehre. Es war nur eine Prüfung, welcher ich deine Ergebenheit und deine Selbstverläugnung unterwerfen wollte. Ich weiß Alles! ich weiß sehr wohl, daß du aus Edelmuth lügst und deinem Gatten eine heilige Treue bewahrt hast. Ich weiß, daß die Prinzessin Amalie sich deiner bedient, sich aber nicht herabläßt, mir ihr Vertrauen zu gewähren, daß sie dahin arbeitet, sich aus der Tyrannei des großen Lama zu befreien, ohne aufzuhören, die Prinzessin und die Zurückhaltende zu spielen. Sie bleibt in ihrer Rolle und erröthet nicht, dich einem ewigen Unglück auszusetzen, dich, armes Mädchen ohne Hülfe, wie die Leute der vornehmen Welt sagen; ja, dem größten Unglück! dem, die glänzende Wiederauflebung deines Gatten zu verhindern und sein gegenwärtiges Dasein in Zweifel und Verzweiflung zu versenken. Aber glücklicherweise ist zwischen Albert's Seele und der deinigen unaufhörlich eine Kette unsichtbarer Hände ausgedehnt, um diejenige, welche auf der Erde im Lichte des Himmels wirkt, mit derjenigen in Verbindung zu setzen, welche in einer unbekannten Welt, im Schatten des Geheimnisses, frei von den Blicken der gewöhnlichen Sterblichen arbeitet.

Diese sonderbare Sprache erfüllte Consuelo mit tiefer Bewegung, obgleich sie sich entschlossen hatte, den verfänglichen Declamationen angeblicher Propheten zu mißtrauen.

– Erklären Sie sich, Herr Graf, sagte sie, indem sie sich bemühte, Ruhe und Kaltblütigkeit in ihrer Stimme zu bewahren. Ich weiß wohl, Albert's Rolle ist auf Erden nicht geendet und seine Seele durch den Hauch des Todes nicht vernichtet worden. Aber die Beziehungen, die zwischen mir und ihr stattfinden können, sind durch einen Schleier bedeckt, den nur mein eigener Tod erheben kann, wenn es Gott gefällt, uns eine unbestimmte Erinnerung unseres früheren Daseins zu lassen. Das ist ein geheimnißvoller Punkt und es steht in keines Menschen Macht, dem himmlischen Einfluß beizustehen, welcher in einem neuen Leben diejenigen zu einander führt, die sich in einem frühern Dasein geliebt haben. Zu welchem Glauben wollen Sie mich also führen, wenn Sie mir sagen, gewisse Sympathien wachten über mich, um gewisse Annäherungen zu befördern?

– Ich könnte Ihnen von mir allein sprechen, antwortete der Graf von Saint Germain, und Ihnen sagen, daß ich Albert zu jederzeit gekannt habe, sowohl damals, als ich unter seinem Befehl im Hussitenkrieg gegen Sigismund focht, als auch später, im dreißigjährigen Krieg …

– Ich weiß, mein Herr, Sie behaupten, von Ihrem früheren Dasein die Erinnerung behalten zu haben, wie auch Albert diese krankhafte und traurige Ueberzeugung hatte. Gott verhüte, daß ich jemals seine Aufrichtigkeit in diesem Bezug beargwöhnte! Aber dieser Glaube war bei ihm mit einem Zustande fast wahnsinniger Exaltation so verbunden, daß ich niemals an die Wirklichkeit dieser ungewöhnlichen und vielleicht unmöglichen Macht geglaubt habe. Ersparen Sie mir also die Verlegenheit, Ihre seltsamen Gedanken über diesen Punkt zu vernehmen. Ich weiß, viele Personen möchten, von eitler Neugier getrieben, jetzt gern an meiner Stelle sein und mit einem Lächeln der Ermuthigung und scheinbaren Glaubens die wunderbaren Erzählungen anhören wollen, welche Sie, wie man sagt, so gut darzustellen wissen.

Doch ich kann keine Komödie spielen, wenn ich nicht dazu gezwungen bin, und ich könnte mich an dem, was man Ihre Phantasieen nennt, nicht ergötzen. Sie würden mich zu sehr an diejenigen erinnern, welche mich beim Grafen von Rudolstadt so sehr geängstigt und betrübt haben. Behalten Sie sie für diejenigen auf, welche daran Geschmack finden. Ich möchte um nichts in der Welt Sie täuschen durch den Schein, als glaubte ich daran, und selbst wenn diese Träumereien in mir keine so schmerzliche Erinnerung erweckten, möchte ich über Sie nicht spotten. Antworten Sie daher gefälligst auf meine Frage, ohne mein Urtheil durch unbestimmte und doppelsinnige Worte verleiten zu wollen.

Um Ihre Freimüthigkeit zu unterstützen, sage ich Ihnen, ich weiß bereits, daß Sie auf mich besondere und geheimnißvolle Absichten haben. Sie sollen mich, ich weiß nicht in welches furchtbare Vertrauen einführen und Personen eines hohen Ranges rechnen auf Sie, um mir die ersten Begriffe einer, ich weiß nicht welcher geheimen Wissenschaft zu geben.

– Die Personen eines hohen Ranges phantasiren manchmal auf seltsame Weise, Frau Gräfin, antwortete der Graf mit großer Ruhe. Ich danke Ihnen für die Aufrichtigkeit, mit welcher Sie mit mir sprechen, und ich werde Sorge tragen, Gegenstände nicht zu berühren, die Sie nicht verstehen, vielleicht nur, weil Sie sie nicht verstehen wollen. Ich will Ihnen blos sagen, daß ich mich in der That einer geheimen Wissenschaft rühme, in welcher ich durch bedeutende Kenntnisse unterstützt werde, aber diese Wissenschaft hat durchaus nichts Uebernatürliches, denn sie ist nur ganz einfach die Kenntniß des menschlichen Herzens, oder wenn Sie lieber wollen, die tiefe Erkenntniß des menschlichen Lebens in seinen innersten Springquellen und seinen geheimsten Wirkungen; und damit Sie sehen, daß ich mich nicht eitel rühme, will ich Ihnen genau sagen, was in Ihrem eigenen Herzen vorgeht, seit Sie vom Grafen Rudolstadt getrennt sind, wenn Sie mir überhaupt dazu die Vollmacht geben.

– Ich bin es zufrieden, sagte Consuelo, denn ich weiß, über diesen Punkt können Sie mich nicht täuschen.

– Wohlan, Sie lieben zum ersten Male Ihres Lebens, Sie lieben vollständig, wahrhaft; und derjenige, den Sie auf diese Weise lieben, mit Thränen der Reue lieben, denn vor einem Jahre liebten Sie ihn noch nicht, derjenige, dessen Abwesenheit Ihnen schmerzlich ist, und dessen Verschwinden Ihr Leben farblos und Ihre Zukunft entzaubert gemacht hat, ist nicht der Baron Trenck, für den Sie nur dankbare Freundschaft und ruhige Theilnahme fühlen; nicht Joseph Haydn, der für Sie nur ein Bruder in Apollo ist; nicht der König Friedrich, der Sie eben so entsetzt als interessirt; selbst nicht der schöne Anzoleto, den Sie nicht mehr achten können; sondern derjenige, den Sie auf dem Todtenbett liegen sahen in den Schmuck gekleidet, welchen der Stolz hochadeliger Familien selbst auf das Grab der Vollendeten legt, es ist Albert von Rudolstadt.

Consuelo staunte einen Augenblick lang über diese Offenbarung ihrer geheimsten Gefühle aus dem Munde eines Mannes, den sie nicht kannte. Doch der Gedanke, daß sie ihr ganzes Leben in der vorigen Nacht der Prinzessin Amalie erzählt und ihr Herz ihr aufgeschlossen hätte, die Erinnerung an alles das, was der Prinz Heinrich ihr so eben ahnen ließ, über die Verbindungen der Prinzessin mit einem geheimnißvollen Bunde, in welchem der Graf von Saint Germain eine der Hauptrollen spielte, zerstreute bald ihr Erstaunen und sie gestand dem Letztern aufrichtig, daß sie kein großes Verdienst darin fände, wenn er Dinge wüßte, die sie erst vor Kurzem einer indiskreten Freundin mitgetheilt habe.

– Sie wollen von der Aebtissin von Quedlinburg sprechen, sagte der Herr von Saint Germain. Nun, wollen Sie an mein Ehrenwort glauben?

– Ich habe das Recht nicht, es in Zweifel zu ziehen, antwortete die Porporina.

– Ich gebe Ihnen also mein Ehrenwort, erwiederte der Graf, daß die Prinzessin mir kein Wort von Ihnen gesagt hat, aus dem Grunde, weil ich nie die Ehre gehabt habe, mit ihr auch nur ein Wort zu wechseln, eben so wenig, als mit ihrer Vertrauten, der Frau von Kleist.

– Doch stehen Sie wenigstens indirekt mit ihr in Beziehung, Herr Graf?

– Was mich betrifft, so bestehen alle diese Beziehungen nur darin, ihr durch Mittelspersonen Trencks Briefe zukommen zu lassen und dafür die ihrigen in Empfang zu nehmen. Sie sehen also, daß ihr Vertrauen in mich nicht eben groß ist, da sie sich überredet, ich kenne den Antheil nicht, den sie an unserm Flüchtling nimmt. Uebrigens ist die Prinzessin nicht treulos, sie ist nur thöricht, wie alle tyrannischen Naturen es werden, sobald sie unterdrückt sind. Die Diener der Wahrheit haben große Hoffnung auf sie gesetzt und ihren Schutz ihr angedeihen lassen. Gebe der Himmel, daß sie es nicht bereuen müssen!

– Sie beurtheilen eine interessante und unglückliche Fürstin sehr schlecht, Herr Graf, und vielleicht kennen Sie auch ihre Angelegenheiten nicht genau. Ich zwar kenne sie auch nicht …

– Sprechen Sie nicht nutzlos die Unwahrheit, Consuelo. Sie haben vorige Nacht mit ihr soupirt, und ich kann Ihnen alle Umstände angeben.

Und der Graf von Saint Germain erzählte die geringsten Kleinigkeiten des Soupers vom vorigen Abend, von den Reden der Prinzessin und der Frau von Kleist, bis zu dem Schmuck, den sie trugen, die einzelnen Gerichte des Abendessens, das Begegnen der Kehrfrau u. s. w. Er blieb dabei nicht stehen, sondern erzählte auch von dem Besuch, den der König unserer Heldin am Morgen gemacht hatte, von den zwischen ihnen gewechselten Worten, von dem aufgehobenen Stocke gegen Consuelo, von den Drohungen und der Reue Friedrich's, Alles, bis auf die geringsten Gebehrden und den Ausdruck der Physiognomieen, als wenn er dabei gegenwärtig gewesen wäre. Er schloß seine Erzählung mit den Worten:

– Und Sie haben sehr Unrecht gehabt, edles, offenherziges Kind, von dieser Rückkehr der Freundschaft und Güte des Königs, die er bei Gelegenheit haben kann, sich fangen zu lassen. Sie werden es bereuen. Der königliche Tiger wird Ihnen seine Klauen fühlen lassen, wenn Sie nicht einen wirksameren und ehrenvolleren Schutz, eine wahrhaft väterliche und allmächtige Hülfe annehmen, die sich nicht auf die engen Grenzen der Markgrafschaft Brandenburg beschränkt, sondern auf der ganzen Oberfläche der Erde über Ihnen schwebt und Ihnen selbst in die Einöden der neuen Welt folgen wird.

– Ich kenne nur Gott, antwortete Consuelo, der einen solchen Schutz ausüben könnte und ihn auf ein so unbedeutendes Wesen, wie ich, ausüben möchte. Wenn ich hier in Gefahr bin, so setze ich meine Hoffnung auf ihn. Jeder andern Fürsorge, deren Mittel und Beweggründe ich nicht kenne, würde ich mißtrauen.

– Das Mißtrauen steht großen Seelen schlecht an, erwiederte der Graf; und eben weil Frau von Rudolstadt großherzig denkt, so hat sie ein Recht auf den Schutz der wahren Diener Gottes. Das ist der einzige Beweggrund für den, der Ihnen angeboten wird.

Was ihre Mittel betrifft, so sind sie unendlich groß und ebenso durch ihre Moralität und Macht von denen verschieden, welche die Könige und Prinzen besitzen, als die Sache Gottes durch ihre Erhabenheit von der der Despoten und Ruhmreichen dieser Welt unterschieden ist. Wenn Sie nur in die göttliche Gerechtigkeit Ihr Vertrauen und Ihre Liebe setzen, so sind Sie genöthigt, ihre Wirksamkeit in den Menschen voll Gradsinn und Verstand, welche hienieden die Diener seines Willens und die Vollstrecker seines höchsten Gesetzes sind, anzuerkennen.

Das Unrecht wieder gut zu machen, die Schwachen zu beschützen, die Tyrannei zu unterdrücken, die Tugend zu ermuthigen und zu belohnen, die Grundsätze der Sittlichkeit zu verbreiten, das heilige Gut der Ehre zu bewahren, das ist zu aller Zeit die Aufgabe eines mächtigen und ehrwürdigen Bandes gewesen, der unter verschiedenen Namen und Formen vom Ursprung der Gesellschaft an bis aus unsere Tage fortbestanden hat.

Sehen Sie die unbeholfenen und unmenschlichen Gesetze an, welche die Nationen regieren; sehen Sie die Vorurtheile und Irrthümer der Menschen, sehen Sie überall die entsetzlichen Spuren der Barbarei, wie sollten Sie glauben, daß in einer, von der Unwissenheit der Masse und der Heimtücke der Regierungen so schlecht geleiteten Welt auch nur wenige Tugenden erblühen, oder wahre Lehrmeinungen sich verbreiten könnten?

Und doch ist es so und man sieht Lilien ohne Flecken, Blumen ohne Schmutz, Seelen wie die Ihrige und die Albert's auf dem irdischen Schlamme wachsen und glänzen.

Aber glauben Sie, daß sie ihren Duft bewahren, sich vor den unreinen Stichen des Gewürms schützen und den Stürmen trotzen könnten, wenn sie nicht durch hülfreiche Kräfte, durch Freundeshände unterstützt und getragen würden?

Glauben Sie, Albert, dieser erhabene Mensch, fremd allen gemeinen Schändlichkeiten und so hoch über die Menschheit erhaben, daß er dem profanen Auge für wahnsinnig galt, hätte aus sich allein all seine Größe und all seinen Glauben geschöpft?

Glauben Sie, er sei eine im Universum einzeln dastehende Thatsache, er habe sich nie aus einem gemeinsamen Mittelpunkt Theilnahme und Hoffnung und neue Stärke geholt?

Und Sie selbst, meinen Sie, Sie wären das geworden,was Sie sind, wenn der göttliche Hauch nicht aus dem Geiste Albert's in den Ihrigen übergegangen wäre?

Doch jetzt, wo Sie von ihm getrennt, in eine Ihrer unwürdige Sphäre hinausgestoßen, allen Gefahren, allen Verlockungen ausgesetzt, Schauspielerin und Vertraute einer Prinzessin und die angebliche Geliebte eines von Schwelgerei erschöpften, von Selbstsucht erstarrten Königs sind, hoffen Sie denn die makellose Reinheit Ihrer ursprünglichen Unschuld zu bewahren, wenn die geheimnißvollen Flügel der Erzengel sich nicht über Sie wie ein himmlisches Schild ausbreiten?

Nehmen Sie sich in Acht, Consuelo, nicht aus sich selbst, wenigstens nicht allein aus sich selbst können Sie die Kraft schöpfen, die Sie bedürfen. Die Klugheit selbst, deren Sie sich rühmen, wird leicht durch die Hinterlist des Geistes der Bosheit betrogen, welcher um Ihr jungfräuliches Bett in der Finsterniß herumschleicht.

Lernen Sie die heilige Schaar, die unsichtbare Armee des Glaubens achten, welche schon einen Wall um Sie her bildet. Man verlangt von Ihnen weder Verpflichtungen noch Gegendienste, man befiehlt Ihnen nur gelehrig und vertrauend zu sein, sobald Sie die unerwarteten Wirkungen der wohlthätigen Adoption fühlen werden.

Ich habe Ihnen genug gesagt. Ihre Pflicht ist es jetzt, reiflich meine Worte zu überlegen, und wenn die Zeit kommt, wenn Sie in Ihrer Nähe Wunder geschehen sehen, so erinnern Sie sich, daß denen, welche gleich und frei sind Alles möglich ist. Ja, ihnen ist nichts unmöglich, um das Verdienst zu belohnen; und wenn das Ihrige sich hoch genug erhoben, um von ihnen einen erhabenen Lohn zu erhalten, so wissen sie, daß sie sogar Albert wieder aufwecken und Ihnen wiedergeben könnten.

Nachdem der rothe Domino diese Worte in einem von begeisterter Ueberzeugung belebten Tone gesprochen hatte, erhob er sich, verbeugte sich vor Consuelo, ohne ihre Antwort abzuwarten, und verließ die Loge, wo sie einige Augenblicke regungslos und wie in seltsamen Träumen verloren, zurückblieb.

6.

Nur mit dem Gedanken beschäftigt, sich zu entfernen, stieg endlich Consuelo hinab und begegnete in den Corridoren zwei Masken, die ihr näher traten und von denen die eine ihr mit leiser Stimme sagte:

– Mißtraue dem Grafen Saint Germain!

Sie glaubte die Stimme von Uberti Porporino zu erkennen, ergriff ihn bei dem Aermel seines Domino und fragte ihn:

– Wer ist der Graf von Saint Germain ich kenne ihn nicht.

Aber die andere Maske ergriff ihre andere Hand, und ohne ihre Stimme zu entstellen, an welcher Consuelo sogleich den jungen Benda, den melancholischen Violinspieler, erkannte, sagte er zu ihr:

– Mißtraue den Abenteuern und den Abenteurern.

Und sie entfernten sich ziemlich schnell, als wenn sie gewünscht hätten, ihren Fragen auszuweichen.

Consuelo wunderte sich, daß man sie so leicht erkenne, nachdem sie sich so viel Mühe gegeben hatte, sich gut zu verkleiden. Sie eilte daher, das Haus zu verlassen, aber sie sah bald, daß sie von einer Maske beobachtet und verfolgt wurde, in der sie, dem Wuchs und der Haltung nach, Herrn von Pöllnitz zu erkennen glaubte, den Director der königlichen Theater und des Königs Kammerherr. Sie zweifelte nicht mehr daran, als er sie ansprach, wie sorgfältig er auch sein Organ und seine Aussprache zu verstellen suchte. Er unterhielt sie mit müßigem Geschwätz, worauf sie nicht antwortete, denn sie sah wohl, er wünschte sie zum Sprechen zu bringen.

Es gelang ihr, sich von ihm loszumachen, und sie ging durch den Saal, um ihm ihre Spur zu nehmen, wenn er daran denken sollte, sie noch ferner zu verfolgen. Der Saal war sehr gefüllt und sie hatte große Mühe, den Ausgang zu gewinnen. Als sie ihn endlich erreicht hatte, wandte sie sich um, um sich zu überzeugen, daß sie nicht bemerkt würde, und war sehr erstaunt, Pöllnitz in einem Winkel in einem, wie es schien, vertrauten Gespräch mit dem rothen Domino zu sehen, den sie für den Grafen Saint Germain hielt. Sie wußte nicht, daß Pöllnitz ihn in Frankreich kennen gelernt hatte, und einen Verrath von Seiten des Abenteurers fürchtend, kam sie sehr beunruhigt in ihrer Wohnung an, nicht sowohl für sich selbst, sondern für die Prinzessin, deren Geheimniß sie, wider ihren Willen, einem sehr verdächtigen Manne preisgegeben hatte.

Bei ihrem Erwachen des folgenden Tages fand sie einen Kranz weißer Rosen über ihrem Haupte an dem Kruzifix aufgehängt, welches sie von ihrer Mutter besaß und von dem sie sich nie getrennt hatte. Sie bemerkte zu gleicher Zeit, daß der Cypressenzweig, den sie seit einem gewissen Abend in Wien, wo eine unbekannte Hand ihr ihn auf das Theater geworfen, immer am Kruzifix befestigt hatte, verschwunden war. Sie suchte ihn vergeblich auf allen Seiten.

Es schien, daß man ihn mit Absicht entfernt hatte, als man an seine Stelle diesen frischen, heitern Kranz setzte. Ihre Dienerin konnte ihr nicht sagen, wie und zu welcher Zeit diese Auswechselung vollbracht worden wäre. Sie behauptete, das Haus am vorigen Abend nicht verlassen und es Niemanden geöffnet zu haben; beim Ordnen des Bettes ihrer Herrin hätte sie nicht bemerkt, ob der Kranz schon da gewesen, kurz, sie äußerte ein so natürliches Staunen über diesen Umstand, daß es schwer war, ihre Aufrichtigkeit in Verdacht zu ziehen.

Das Mädchen war sehr uninteressirt, Consuelo hatte davon mehr als einen Beweis; der einzige Fehler, den sie an ihr kannte, war eine große Lust zu sprechen und ihrer Herrin alle möglichen Klatschereien wiederzusagen. Bei dieser Gelegenheit würde sie nicht verfehlt haben, sie mit einer langen Erzählung und der langweiligsten kleinlichsten Beschreibung zu ermüden, wenn sie etwas gewußt hätte. Sie erging sich nur in den sonderbarsten Vermuthungen über die geheimnißvolle Galanterie dieses Kranzes, und Consuelo fühlte sich davon bald so gelangweilt, daß sie sie bat, sich nicht weiter darüber zu beunruhigen und sie allein zu lassen.

Als das Mädchen gegangen war, untersuchte sie den Kranz mit der größten Sorgfalt. Die Blumen waren so frisch, als wären sie erst einen Augenblick zuvor gepflückt worden, und athmeten einen solchen Wohlgeruch aus, als wenn man nicht mitten im Winter gewesen wäre.

Consuelo stieß einen bittern Seufzer aus, als sie bedachte, daß in dieser Jahreszeit so schöne Rosen nur in den Treibhäusern der königlichen Gärten zu finden seien und daß ihre Zofe wohl Recht haben könnte, wenn sie darin eine Huldigung des Königs sähe.

– Er wußte aber doch nicht, wie sehr mir der Cypressenzweig lieb war, dachte sie, warum hätte er ihn mir nehmen sollen? Wie die Sache immer sei, welche Hand auch diese Entheiligung vollbracht hat, sie sei verflucht!

Doch als die Porporina kummervoll den Kranz von sich warf, sah sie eine kleine Pergamentrolle herausfallen, die sie aufnahm und auf welcher sie folgende Worte von unbekannter Hand geschrieben fand:

»Jede edle Handlung verdient eine Belohnung und der einzige, großer Seelen würdige Lohn ist die Huldigung mitfühlender Seelen. Der Cypressenzweig verschwinde denn von deinem Kopfkissen, edle Schwester, und diese Blumen mögen dein Haupt bekränzen, wäre es auch nur für einen Augenblick. Es ist dein Brautkranz, es ist das Unterpfand deiner ewigen Verbindung mit der Tugend und deiner Aufnahme in die Gemeinschaft der wahren Gläubigen.«

Bestürzt besah Consuelo lange Zeit diese Zeichen, in denen ihre Einbildungskraft sich vergeblich bemühte, eine ferne Aehnlichkeit mit der Handschrift des Grafen Albert aufzufinden. Ungeachtet des Mißtrauens, welches ihr diese Art der Einweihung einflößte, zu der man sie einzuladen schien, trotz des Widerstrebens, welches sie für die Versprechungen der Magie empfand, die damals in Deutschland und im ganzen philosophischen Europa verbreitet war, ungeachtet endlich der Warnungen, welche ihre Freunde ihr gegeben hatten, auf ihrer Hut zu sein, entzündeten doch die letzten Worte des rothen Domino und die Ausdrücke dieses unbekannten Billets in ihrer Einbildungskraft jene heitere Neugier, welche man weit eher eine poetische Erwartung nennen könnte.

Ohne zu wissen warum, gehorchte sie der freundlichen Aufforderung ihrer unbekannten Freunde. Sie setzte die Krone auf ihr aufgelöstes Haar und blickte in einen Spiegel, als wenn sie erwartet hätte, hinter sich einen theuren Schatten zu sehen.

Aus ihrer Träumerei schreckte sie ein heftiger Klingelzug auf, der sie erbeben machte, und bald benachrichtigte man sie, daß Herr von Buddenbrock sogleich ein Wort mit ihr zu sprechen hätte. Dieses Wort wurde mit aller Arroganz, welche der Adjutant des Königs in sein Betragen und seine Sprache legte, sobald er nicht mehr unter den Augen seines Herrn war, ausgesprochen.

– Mademoiselle, sagte er, sobald sie zu ihm in den Salon getreten war, Sie werden mir sogleich zum König folgen. Schnell, der König wartet nicht.

– In Pantoffeln und im Schlafrock kann ich nicht zum König gehen, antwortete die Porporina.

– Ich gebe Ihnen fünf Minuten, um sich anständig zu kleiden, erwiederte Buddenbrock, seine Uhr hervorziehend und indem er ihr winkte, wieder in das Zimmer zu treten.

Erschreckt, doch entschlossen, alle Gefahr und jedes Unglück, das die Prinzessin und den Baron Trenck bedrohen könnte, auf ihr Haupt zu nehmen, kleidete sich Consuelo in kürzerer Zeit an, als man ihr gegeben hatte, und erschien vor Buddenbrock mit scheinbarer Ruhe.

Dieser hatte beim König eine erzürnte Miene gesehen, als er ihm den Befehl gegeben, die Delinquentin zu ihm zu führen, und der königliche Zorn war sogleich in ihn übergegangen, ohne daß er wußte, wovon die Rede war. Doch als er Consuelo so ruhig sah, erinnerte er sich, daß der König für dieses Mädchen eine große Neigung hatte; er sagte sich, daß sie wohl siegreich aus dem Kampfe hervorgehen könne, der sie erwartete und ihm seines schlechten Betragens wegen grollen möchte.

Er hielt es also für angemessen, in ihrer Gegenwart wieder demüthig zu werden, indem er meinte, es sei immer noch Zeit, sie zu Boden zu drücken, wenn ihre Ungnade völlig ausgesprochen sei. Er bot ihr die Hand mit linkischer und geschraubter Höflichkeit, um sie in den mitgebrachten Wagen zu heben, und während er sich ihr gegenüber setzte, den Hut in der Hand, sagte er mit einem feinen Kennerblick:

– Ein herrlicher Wintermorgen, Mademoiselle!

– Gewiß, Herr Baron, antwortete Consuelo mit spöttischem Blick, das Wetter ist herrlich, um eine Spazierfahrt außerhalb der Stadt zu machen.

Bei diesen Worten dachte Consuelo mit stoischer Heiterkeit, daß sie wohl wirklich diesen herrlichen Tag auf dem Wege nach einer Festung zubringen könne. Aber Buddenbrock, welcher die Heiterkeit einer heroischen Ergebenheit nicht faßte, glaubte, sie bedrohe ihn mit seiner Ungnade und der Festung, wenn sie siegreich aus der stürmischen Prüfung hervorgehe, der sie jetzt trotzen müsse. Er erblaßte, bemühte sich angenehm zu werden, konnte damit nicht zu Stande kommen und blieb nachdenklich und verlegen, indem er sich ängstlich fragte, wodurch er der Porporina habe mißfallen können.

Consuelo wurde in ein Kabinet geführt, wo sie Muße hatte, die Möbeln zu bewundern, welche rosenfarben, verblichen, von den kleinen Hunden, die sich unaufhörlich darauf herumwälzten, zerrissen, mit Tabak bestreut, kurz sehr unreinlich waren. Der König befand sich noch nicht darin, aber sie hörte seine Stimme im Nebenzimmer, und es war eine abscheuliche Stimme, sobald sie im Zorn war.

– Ich sage Euch, ich werde an dieser Kanaille ein Beispiel statuiren und Preußen von diesem Gewürm reinigen, welches es schon zu lange benagt! schrie der König, indem er seine Stiefeln knarren ließ, als wenn er heftig im Zimmer auf und ab ging.

– Ew. Majestät wird der Vernunft und Preußen einen großen Dienst erweisen, sagte eine andere Stimme; aber das ist kein Grund, um eine Frau –

– Doch, es ist ein Grund, lieber Voltaire. Ihr wißt also nicht, daß die schlimmsten Intriguen, die höllischsten Machinationen aus diesen Köpfchen entspringen?

– Eine Frau, Sire, eine Frau! …

– Ja, und wenn Ihr es noch einmal wiederholen wollt! Ihr liebt die Frauen! Ihr habt das Unglück gehabt, unter der Herrschaft einer Schürze zu leben und wißt nicht, daß man sie wie Soldaten, wie Sklaven behandeln muß, wenn sie sich in ernste Angelegenheiten mischen.

– Aber Ew. Majestät kann nicht glauben, daß in dieser ganzen Angelegenheit etwas Ernstes liegt? Man sollte lieber beruhigende Mittel und Douchebäder bei den Wunderfabrikanten und den Adepten der Zauberei anwenden.

– Ihr wißt nicht, wovon Ihr sprecht, Herr von Voltaire! Wenn ich Euch nun sage, daß der arme la Mettrie vergiftet worden ist.

– Wie Jeder, der mehr ißt, als sein Magen vertragen und verdauen kann. Eine Unverdaulichkeit ist eine Vergiftung.

– Ich sage Euch, ich, daß nicht allein seine Gefräßigkeit ihn getödtet hat. Man hat ihm eine Adlerpastete zu essen gegeben und ihm gesagt, es sei ein Fasan.

– Der preußische Adler ist sehr mörderisch, das weiß ich; aber er trifft mit Blitzen, nicht mit Gift.

– Gut, gut, verschonen Sie mich mit Redensarten. Ich wette hundert gegen eins, es ist eine Vergiftung. La Mettrie war in ihre Extravaganzen eingegangen, der arme Teufel! und erzählte nun, wer es hören wollte, halb ernsthaft, halb spottend, daß man ihn Geister und Dämonen habe sehen lassen. Sie haben diesen so ungläubigen und so leichtsinnigen Geist mit Wahnsinn geschlagen. Doch da er Trenck aufgegeben, nachdem er sein Freund gewesen war, so züchtigten sie ihn nach ihrer Weise. Jetzt werde ich sie züchtigen, ich, und sie sollen an mich gedenken. Diejenigen, welche unter dem Schutz dieser schändlichen Betrügereien Verschwörungen anzetteln und die Wachsamkeit der Gesetze umgehen wollen …

Hier stieß der König die bisher nur angelehnt gewesene Thüre zu und Consuelo hörte nichts mehr. Nach einer Viertelstunde peinlicher Erwartung sah sie endlich den fürchterlichen Friedrich heraustreten, von Zorn gräßlich alt und häßlich gemacht. Er schloß sorgfältig alle Thüren, ohne sie anzusehen und ohne mit ihr zu sprechen, und als er zu ihr trat, lag in seinen Augen etwas so Teuflisches, daß sie einen Augenblick glaubte, er wolle sie erdrosseln. Sie wußte, daß er im Augenblick der Wuth wie unwillkürlich die wilden Neigungen seines Vaters in sich erwachen fühlte und sich kein Gewissen daraus machte, seine öffentlichen Beamten mit Fußstößen zu behandeln, wenn er mit deren Betragen unzufrieden war.

La Mettrie lachte über diese schändlichen Gemeinheiten und meinte, diese Bewegung sei ein gutes Mittel gegen die Gicht, von der der König vorzeitig ergriffen worden war. Aber la Mettrie sollte ihn nicht mehr zu lachen machen, noch auf seine Kosten lachen. Jung, behende, dick und blühend, war er vor zwei Tagen an den Folgen des Uebermaßes bei der Tafel gestorben, und ich weiß nicht, welche sonderbare Fantasie dem König den Verdacht eingab, in dem er sich sehr gefiel, seinen Tod bald dem Haß der Jesuiten, bald den Machinationen der Zauberer zuschreiben. Friedrich erlag, ohne es sich einzugestehen, dem Einfluß dieses leeren, kindischen Schreckens, welchen die geheimen Wissenschaften dem ganzen Deutschland einflößten.

– Verstehe Sie mich wohl, sagte er zu Consuelo, indem er sie mit seinem Blick durchbohrte. Sie ist demaskirt, Sie ist verloren; Sie hat kein andres Mittel mehr, sich zu retten, als sogleich ohne Umschweif und ohne Rückhalt Alles zu gestehen.

Und als Consuelo antworten wollte, rief er, auf den Boden tretend:

– Auf die Kniee, Unglückliche, auf die Kniee! Nicht stehend kann Sie solche Geständnisse ablegen. Sie sollte Ihre Stirn schon im Staube beugen. Auf die Kniee! sage ich Ihr, oder ich höre Sie nicht.

– Da ich Ihnen durchaus nichts zu sagen habe, antwortete Consuelo mit eisigem Tone, so können Sie mich auch nicht hören. Niederzuknieen aber, dazu werden Sie mich niemals bringen.

Der König hatte einen Augenblick den Gedanken, das verwegene Mädchen auf den Boden zu werfen und mit Füßen zu treten. Consuelo sah die Hände Friedrichs sich gegen sie krampfhaft ausstrecken, und es schien ihr, als wenn seine Nägel sich verlängerten und aus seinen Fingern herauswüchsen, wie die der Katzen, wenn sie sich auf ihre Beute stürzen. Aber die königlichen Klauen zogen sich sogleich wieder ein. Bei aller seiner Kleinheit hatte Friedrich doch zu viel Geistesgröße, um nicht den Muth bei Andern zu bewundern. Er lächelte mit scheinbarer Verachtung, die er aber keineswegs empfand, und sagte mitleidig:

– Unglückliches Kind, es ist ihnen also gelungen, dich zu fanatisiren. Aber höre, die Augenblicke sind kostbar. Noch kannst du dein Leben loskaufen; in fünf Minuten ist's zu spät. Ich gebe dir die fünf Minuten, benutze sie wohl. Entschließe dich, Alles zu gestehen, oder bereite dich zum Tode.

– Ich bin bereits vorbereitet, antwortete Consuelo, über eine Drohung erzürnt, die sie für unausführbar und nur angewandt hielt, um sie zu erschrecken.

– Schweig und überlege, sagte der König, indem er sich vor sein Büreau setzte und mit scheinbarer Ruhe, die nicht ganz eine peinliche und tiefe Aufregung verbarg, ein Buch aufschlug.

Während sich Consuelo erinnerte, wie Herr von Buddenbrock den König nachgeäfft habe, indem er ihr ebenfalls, mit der Uhr in der Hand, fünf Minuten zum Ankleiden gab, entschloß sie sich, die Zeit, wie man es ihr sagte, zu benutzen, um sich ihr Betragen vorzuzeichnen.

Sie fühlte, daß sie vor Allem das geschickte und strenge Verhör, in welches der König sie wie in ein Gewebe verwickeln wollte, vermeiden müsse. Wer konnte sich schmeicheln, einen solchen Criminalrichter zu täuschen? Sie setzte sich der Gefahr aus, in seine Fallstricke zu fallen und die Prinzessin zu verderben, während sie sie zu retten glaubte.

Sie ergriff also den edlen Entschluß, sich gar nicht zu rechtfertigen, nicht einmal zu fragen, weshalb man sie anklage, und den Richter durch ihre Kühnheit so zu reizen, daß er ohne Billigkeit und Aufklärung ihr Urtheil ab irato aussprach.

Zehn Minuten vergingen, ohne daß der König die Augen von seinem Buche erhob. Vielleicht wollte er ihr Zeit geben, sich zu besinnen; vielleicht hatte ihn auch die Lectüre fortgerissen.

– Hat Sie einen Entschluß gefaßt? fragte er endlich, das Buch zurückschiebend, indem er die Knie übereinander legte und den Ellbogen auf den Tisch stützte.

– Ich habe keinen Entschluß zu fassen, antwortete Consuelo. Ich bin unter der Herrschaft der Ungerechtigkeit und der Gewaltthätigkeit. Ich kann mich nur ihrer Unbequemlichkeit unterwerfen.

– Giebt Sie mir Gewaltthätigkeit und Ungerechtigkeit Schuld?

– Wenn Sie es nicht sind, so ist es die absolute Macht, welche Sie ausüben, die Ihr Gemüth verdirbt und Ihr Urtheil verwirrt.

– Trefflich! Sie stellt sich also als Richterin meines Betragens auf und vergißt, daß Sie nur noch wenige Augenblicke hat, um dem Tode zu entgehen.

– Sie haben das Recht nicht, über mein Leben zu entscheiden; ich bin nicht Ihr Unterthan, und wenn Sie das Völkerrecht verletzen, um so schlimmer für Sie. Ich aber, ich will lieber sterben, als einen Tag länger unter Ihren Gesetzen leben.

– Sie haßt mich ganz aufrichtig, sagte der König, welcher die Absicht Consuelo's zu durchschauen schien und sie vereitelte, indem er sich mit verächtlicher Kälte waffnete. Ich sehe, Sie ist in guter Schule gewesen und diese Rolle einer spartanischen Jungfrau, die Sie so gut spielt, klagt Ihre Mitschuldigen mehr an und enthüllt ihr Betragen besser, als Sie es denkt. Aber Sie kennt das Völkerrecht und die menschlichen Gesetze schlecht. Jeder Fürst hat das Recht, Alle zum Tode zu bringen, die in seine Staaten kommen, um sich gegen ihn zu verschwören.

– Ich mich verschwören? rief Consuelo, vom Bewußtsein der Wahrheit hingerissen und zu unwillig, um sich entschuldigen zu wollen, zuckte die Achseln und wandte sich um, als wolle sie sich entfernen, ohne genau zu wissen, was sie tat.

– Wo geht Sie hin? sagte der König, von ihrer unwiderstehlichen Offenheit ergriffen.

– Ins Gefängniß, auf das Schaffot, wohin Sie wollen, wenn ich nur nicht mehr diese abgeschmackte Anklage hören darf.

– Sie ist sehr im Zorn, erwiederte der König mit spöttischem Lächeln, soll ich Ihr sagen, warum? Sie ist hieher gekommen mit dem Entschluß, sich als Römerin vor mir zu zeigen und sieht jetzt, daß Ihre Komödie mich nicht ergötzt. Nichts ist so niederschlagend, besonders für eine Schauspielerin, als die Gewißheit, in einer Rolle keine Wirkung zu machen.

Consuelo antwortete nicht, kreuzte ihre Arme und blickte den König mit einer Zuversicht an, die ihn fast verwirrt hätte. Um dem Zorn zu entgehen, der sich wieder in ihm regte, war er gezwungen, das Stillschweigen zu brechen und seinen schneidenden Spott wieder anzufangen, in der Hoffnung, die Angeklagte möchte sich reizen lassen und ihren Rückhalt und ihr Mißtrauen verlieren, um sich zu vertheidigen.

– Ja, sagte er, als wenn er der stummen Sprache dieses stolzen Gesichtes geantwortet hätte, ich weiß recht wohl, daß man Ihr den Glauben beigebracht hat, ich sei verliebt in Sie und Sie könne mir ungestraft trotzen. Das Alles wäre sehr komisch, wenn nicht Personen dabei im Spiele wären, denen ich etwas mehr zugethan bin als Ihr. Aufgeregt durch die Eitelkeit, eine hübsche Scene zu spielen, sollte Sie jedoch wissen, daß die untergeordneten Vertrauten von denen, die sie benutzen, immer geopfert werden. Ich denke auch keineswegs, diese zu züchtigen; sie stehen mir zu nahe, als daß ich sie anders strafen könnte, als indem ich Sie streng züchtige, und zwar unter ihren Augen. Ihr kommt es zu, zu entscheiden, ob Sie für die Personen leiden will, die Ihre Interessen verrathen und alles Unglück auf Rechnung Ihres indiscreten und ehrgeizigen Eifers geschoben, haben.

– Sire, antwortete Consuelo, ich weiß nicht, was Sie sagen wollen, aber die Art, wie Sie von Vertrauten und Denjenigen sprechen, die sie benutzen, läßt mich für Sie zittern.

– So?

– Ich möchte fast glauben, daß Sie zu einer Zeit, wo Sie das erste Opfer der Tyrannei waren, den Major Katt der väterlichen Inquisition überliefert haben.

Der König wurde bleich wie der Tod. Es ist bekannt, daß er in seiner Jugend nach einem Versuch, nach England zu fliehen, auf Befehl seines Vaters seinen Vertrauten enthaupten sah. Eingeschlossen in ein Gefängniß, war er ans Fenster geführt und mit Gewalt daselbst festgehalten worden, um das Blut seines Freundes auf dem Schaffot fließen zu sehen. Diese fürchterliche Scene, an der er ganz unschuldig war, hatte auf ihn einen entsetzlichen Eindruck gemacht.

Aber es liegt im Schicksal der Fürsten, daß sie dem Beispiel des Despotismus folgen, selbst wenn sie am schmerzlichsten darunter gelitten haben. Friedrichs Geist hatte sich im Unglück verdüstert, und nach einer gefesselten schmerzlichen Jugend war er, mit den Grundsätzen und Vorurtheilen der absoluten Macht erfüllt, auf den Thron gestiegen.

Kein Vorwurf konnte entsetzlicher sein, als der, welchen Consuelo ihm scheinbar machte, um ihn an sein früheres Unglück zu erinnern und ihm seine gegenwärtige Ungerechtigkeit fühlbar zu machen. Er wurde bis ins Herz getroffen, aber für sein verhärtetes Gemüth war die Wirkung der Wunde eben so wenig heilsam, als es früher Katt's Hinrichtung gewesen war. Er stand auf und sagte mit bewegter Stimme:

– Genug, Sie kann gehen!

Er schellte, und während der wenigen Sekunden, welche verstrichen, ehe sein Diener herein kam, öffnete er sein Buch und schien sich darein wieder zu versenken. Doch ein krampfhaftes Zittern bewegte seine Hand und ließ das Blatt rauschen, welches er umwenden wollte.

Ein Diener trat ein, der König gab ihm ein Zeichen, und Consuelo wurde in ein anderes Zimmer geführt. Eines der kleinen Windspiele des Königs, das nicht aufgehört hatte, sie, mit dem Schwanze wedelnd, anzusehen und um sie herumzuspringen, um ihre Liebkosungen hervorzurufen, wollte ihr folgen, und der König, der nur für diese kleinen Thiere ein wahrhaft väterliches Gefühl hatte, mußte Mopsule zurückrufen in dem Augenblick, wo sie mit der Verurtheilten das Zimmer verlassen wollte.

Der König hatte die vielleicht nicht ganz grundlose Eigenheit, zu glauben, seine Hunde seien mit einer Art instinktmäßiger Divinationsgabe versehen, in Bezug auf die Gesinnungen derjenigen, die sich ihm näherten. Er wurde mißtrauisch, sobald er sah, daß sie hartnäckig gewisse Leute schlecht empfingen und überredete sich dagegen, den Personen trauen zu können, denen seine Hunde freiwillig liebkosten. Ungeachtet seiner innern Aufregung war ihm Mopsule's stark ausgedrückte Sympathie für die Porporina nicht entgangen, und als sie mit hängendem Kopf und trauriger Miene zu ihm zurückkam, schlug er auf den Tisch und sagte zu sich selbst, an Consuelo denkend:

– Und sie hat doch keine bösen Absichten gegen mich.

– Ew. Majestät haben mich rufen lassen? fragte Buddenbrock, an einer andern Thür erscheinend.

– Nein, sagte der König, unwillig über den Eifer, mit welchem der Höfling sich auf seine Beute stürzen wollte; geht, ich werde schon klingeln.

Beleidigt, daß man ihn wie einen Diener behandelte, entfernte sich Buddenbrock, und während der Zeit, wo der König nachdachte, wurde Consuelo in einem Nebensaale scharf bewacht. Endlich ließ sich die Klingel hören und der gekränkte Adjutant war nicht weniger schnell, zu seinem Herrn zu eilen. Der König schien besänftigt und gesprächig.

– Buddenbrock, sagte er, das Mädchen ist ein bewunderungswürdiger Charakter! In Rom hätte sie den Triumph, einen achtspännigen Wagen und einen Eichenkranz verdient! Laß eine Postchaise anspannen, führe sie selbst aus der Stadt hinaus und bringe sie unter guter Eskorte auf den Weg nach Spandau, dort soll sie eingeschlossen und als Staatsgefangene behandelt werden; doch nicht zu mild, verstehst du?

– Ja, Sire.

– Warte noch! Du wirst dich in den Wagen mit ihr setzen und sie durch deine Gespräche in Angst bringen. Es kann nichts schaden, wenn du ihr den Glauben beibringest, als wenn sie dem Henker überliefert und durch die Straßen der Stadt gepeitscht werden sollte, wie das zu Zeiten des Königs, meines Vaters, geschah. Doch während du ihr diese Mährchen erzählst, wirst du dich erinnern, daß du kein Haar auf ihrem Haupt krümmen darfst, und wenn du ihr die Hand reichst, den Handschuh anziehen mußt. Geh und lerne, indem du ihre stoische Ergebenheit bewunderst, wie man sich gegen Diejenigen betragen muß, die dich mit ihrem Vertrauen beehren. Das kann dir nichts schaden.

7.

Consuelo wurde in demselben Wagen, der sie in das Schloß geführt hatte, in ihre Wohnung zurückgebracht, zwei Wachen aber vor jede Thür ihres Gemaches gestellt, und Herr von Buddenbrock gab ihr, die Uhr in der Hand, nach seiner, der strengen Pünktlichkeit des Herrn nachgeäfften Gewohnheit, eine Stunde, um ihre Vorbereitungen zu treffen, wobei er sie zu gleicher Zeit benachrichtigte, daß ihre Packete von den Beamten in der Festung, wo sie ferner wohnen werden, untersucht werden würden.

Als sie in ihr Zimmer trat, fand sie alle ihre Sachen in einer malerischen Unordnung. Während ihrer Conferenz mit dem König waren geheime Polizeiagenten gekommen, hatten alle Schlösser aufgebrochen und sich aller ihrer Papiere bemächtigt. Consuelo, die in Bezug auf Handschriften, nur Musikalien besaß, empfand einen tiefen Kummer bei dem Gedanken, daß sie ihre köstlichen und theuren Meister, den einzigen Reichthum, den sie in ihrem Leben aufgehäuft hatte, vielleicht nie wiedersehen würde.

Weit weniger schmerzte sie der Verlust einiger Juwelen, die sie von verschiedenen Großen in Wien und Berlin als Belohnung für einzelne Gesangabende erhalten hatte. Man nahm sie ihr unter dem Vorwand, es könnten darunter Ringe mit Gift oder aufrührerische Embleme enthalten sein. Der König erfuhr nie etwas davon und Consuelo sah sie niemals wieder. Die Unterbeamten Friedrichs überließen sich ohne Scheu diesen ehrlichen Speculationen, da sie außerdem sehr gering bezahlt waren und wußten, der König schlösse lieber die Augen bei ihrer Raubsucht, als daß er ihren Gehalt vermehre.

Consuelo's erster Blick richtete sich nach ihrem Kruzifix, und als sie sah, daß man es ihr gelassen hatte, wahrscheinlich seines geringen Werthes wegen, nahm sie es schnell ab und steckte es in ihre Tasche. Sie sah den Rosenkranz entblättert auf dem Boden liegen, und als sie ihn aufhob, um ihn zu besehen, bemerkte sie mit Entsetzen, daß der Pergamentstreifen, welcher die geheimnißvolle Ermuthigung enthielt, nicht mehr daran war. Es war der einzige Beweis, den man gegen sie auffinden konnte über ihre Mitschuld einer angeblichen Verschwörung; aber zu wie viel Auslegungen konnte dieses geringfügige Anzeichen Anlaß geben! Während sie es ängstlich suchte, steckte sie die Hand in die Tasche und fand es darin. In dem Augenblick, wo Buddenbrock sie vor einer Stunde geholt, hatte sie es mechanisch eingesteckt.

In dieser Hinsicht beruhigt und fest überzeugt, daß man in ihren Papieren nichts finden könnte, wodurch irgend Jemand compromittirt würde, eilte sie, diejenigen Effekten zusammenzusuchen, welche zu einer Entfernung, über deren mögliche Dauer sie sich nicht täuschte, ihr nothwendig sein mochten. Sie hatte Niemand zu ihrer Hülfe, denn ihr Kammermädchen war verhaftet worden, um ebenfalls verhört zu werden, und mitten unter den aus den Schränken gerissenen und auf allen Möbeln herumgeworfenen Kleidern war es ihr bei der Verwirrung, in die sie ihre Lage versetzte, etwas schwer, sich zurecht zu finden.

Plötzlich zog das Geräusch eines klingenden Gegenstandes, der mitten in ihr Zimmer fiel, ihre Aufmerksamkeit auf sich; es war ein starker Nagel, welcher durch ein kleines Billet gestochen war.

Der Inhalt war sehr lakonisch.

«Wollen Sie fliehen? Zeigen Sie sich am Fenster. In drei Minuten sind Sie in Sicherheit.«

Im ersten Augenblick wollte Consuelo ans Fenster eilen, doch sie blieb halbwegs stehen, denn sie dachte daran, daß ihre Flucht, wenn sie sie auch ausführen könnte, wie ein Geständniß der Schuld betrachtet werden würde und ein solches Geständniß in diesem Falle stets Mitschuldige voraussetzen läßt.

– O Prinzessin Amalie, dachte sie, wenn es wahr ist, daß du mich verrathen hast, ich will dich nicht verrathen! Ich will meine Schuld gegen Trenck bezahlen; er hat mir das Leben gerettet, wenn es sein muß, will ich es um seinetwillen verlieren.

Belebt durch diesen edlen Gedanken, traf sie vollends mit großer Geistesgegenwart ihre Vorbereitungen zur Reise, und als Buddenbrock sie abzuholen kam, war sie fertig. Sie fand seine Miene noch heuchlerischer und boshafter als gewöhnlich. Buddenbrock war ein kriechender Schurke und eifersüchtig auf die Liebe seines Herrn, wie die alten Hunde, welche die Freunde des Hauses beißen. Die Lection, die ihm der König gegeben hatte, während er ihm den Auftrag gab, sein Opfer zu quälen, hatte ihn beleidigt und er verlangte nach nichts als Rache.

– Sie sehen mich schmerzlich ergriffen, Mademoiselle, sagte er, so strenge Befehle ausführen zu müssen. Seit langer Zeit hat man in Berlin so etwas nicht erlebt … nein, seit den Zeiten des Königs Friedrich Wilhelm, des höchstseligen Vaters Seiner regierenden Majestät, ist das nicht gesehen worden. Es war ein grausames Beispiel der Strenge unsrer Gesetze und der furchtbaren Macht unsers Fürsten. Ich werde es Zeit meines Lebens nicht vergessen.

– Wovon sprechen Sie, mein Herr? fragte Consuelo, die anfing zu glauben, man wolle ihr ans Leben gehen.

– Von nichts Besonderm, erwiederte Buddenbrock; ich spreche nur von der Regierung Friedrich Wilhelms, die von Anfang bis zu Ende ein Beispiel der Festigkeit war, das man niemals vergessen kann. In jener Zeit achtete man weder Alter noch Geschlecht, sobald man glaubte, ein schweres Vergehen bestrafen zu müssen. Ich erinnere mich eines jungen, sehr hübschen und liebenswürdigen Mädchens von guter Herkunft, das, weil es zuweilen den Besuch einer erhabenen Person gegen den Willen des Königs angenommen hatte, dem Henker überliefert und von ihm mit Ruthenschlägen aus der Stadt gepeitscht wurde.

– Ich kenne die Geschichte, mein Herr, antwortete Consuelo, von Entsetzen und Unwillen bewegt. Das junge Mädchen war rein und unschuldig; ihr ganzes Verbrechen bestand darin, mit Seiner jetzt regierenden Majestät, wie Sie sagen, dem damaligen Kronprinzen Musik getrieben zu haben. Dieser selbe Friedrich hat also so wenig gelitten von den Katastrophen, die er auf schuldlose Häupter herabgezogen, daß er mich jetzt durch Drohung einer ähnlichen Infamie erschrecken will.

– Ich glaube es nicht, Signora, Se. Majestät thut nichts, als was groß und gerecht ist, und Sie selbst müssen wissen, ob Ihre Unschuld Sie gegen seinen Zorn schützt. Gern möchte ich es glauben, doch so eben habe ich den König in einem Zorn gesehen, wie es vielleicht noch nie geschehen ist. Er rief aus, es sei Unrecht von ihm, mit Milde regieren zu wollen, und nie habe zur Zeit seines Vaters ein Weib solche Keckheit gezeigt, als Sie. Kurz, diese und andere Worte Sr. Majestät lassen mich für Sie irgend eine entwürdigende Strafe fürchten, welche, weiß ich nicht … Ich mag keine Vermuthung aufstellen. Meine Rolle ist hier sehr peinlich und wenn es sich am Thore der Stadt träfe, daß der König andere Ordre gegeben hätte, als die, welche ich empfangen habe, Sie sogleich nach Spandau bringen zu lassen, so werde ich mich eilig entfernen, da die Würde meines Amtes mir nicht erlaubt …

Da Herr von Buddenbrock sah, daß er die gewünschte Wirkung hervorgebracht hatte, und die unglückliche Consuelo einer Ohnmacht nahe war, so hielt er inne. In diesem Augenblicke hätte sie fast ihre Ergebenheit bereut und konnte nicht umhin, in ihrem Herzen ihre unbekannten Beschützer um Hülfe anzurufen. Doch als sie mit einem entsetzten Blick Buddenbrock in die Augen sah, las sie darin die Zögerung der Lüge und begann sich zu beruhigen.

Ihr Herz schlug jedoch, als wollte es die Brust zersprengen, als ein Polizeiagent am Thore von Berlin herantrat, um einige Worte mit Herrn von Buddenbrock zu wechseln. Während dieser Zeit näherte sich auch einer der Grenadiere zu Pferde, welche sie begleiteten, dem andern Wagenschlag und sagte ihr schnell und leise:

– »Sein Sie ruhig, Signora, es würde viel Blut vergossen werden, ehe man Ihnen etwas zu Leide thun könnte.«

In ihrer Verwirrung erkannte Consuelo die Züge des unbekannten Freundes nicht, der sich sogleich wieder entfernte. Der Wagen schlug in raschem Trabe den Weg nach der Festung ein, und nach Verlauf einer Stunde war die Porporina mit allen gebräuchlichen Formalitäten, oder vielmehr mit all den geringen Formalitäten, deren eine absolute Macht zu ihrem Verfahren bedarf, in Spandau eingesperrt.

Diese Citadelle, die damals für uneinnehmbar galt, liegt mitten in einem Teiche, welcher durch den Zusammenfluß der Havel und der Spree gebildet wird. Der Tag war düster und neblig geworden und nachdem Consuelo ihr Opfer erfüllt hatte, empfand sie jene dumpfe Erschöpfung, welche den Handlungen der Energie und des Enthusiasmus folgt. Sie ließ sich in die traurige Wohnung führen, die man ihr bestimmt hatte, ohne um sich zu blicken. Sie fühlte sich ermattet, und obgleich der Tag erst halb verlaufen war, warf sie sich doch, völlig angekleidet, auf ihr Bett und fiel in einen tiefen Schlaf. Mit der Ermüdung, die sie empfand, vereinigte sich jenes köstliche Gefühl der Sicherheit, das ein gutes Gewissen giebt, und obgleich ihr Bett sehr hart und sehr schmal war, genoß sie doch den angenehmsten Schlummer.

Seit einiger Zeit schlummerte sie nur noch halb, als sie an der Uhr der Citadelle Mitternacht schlagen hörte. Der Wiederhall des Tones einer Glocke ist für musikalische Ohren so lebhaft, daß sie völlig wach wurde. Indem sie sich nun auf ihrem Bette erhob, erkannte sie, daß sie im Gefängniß sei, und die erste Nacht dem Nachdenken widmen müsse, weil sie den Tag über geschlafen hätte.

Die Aussicht einer völligen Schlaflosigkeit in der Dunkelheit und Unthätigkeit ist gerade nichts Angenehmes. Sie sagte sich, daß sie sich darein fügen und sogleich sich bemühen müsse, sich daran zu gewöhnen. Sie wunderte sich, daß sie nicht von der Kälte litt, und wünschte sich wenigstens Glück, diesem physischen Unbehagen, welches den Gedanken lähmt, nicht ausgesetzt zu sein.

Der Wind heulte draußen auf eine furchtbare Weise, der Regen peitschte die Fenster, und Consuelo bemerkte durch die kleinen Fensterscheiben nur das enge Gitter, das sich gegen das dunkle und verschleierte Blau einer sternenlosen Nacht abzeichnete.

Die arme Gefangene brachte die erste Stunde dieser ihr ganz unbekannten Strafe in großer Geistesklarheit zu, ihre Gedanken waren voll logischer Richtigkeit, Vernunft und Philosophie. Doch nach und nach ermüdete die Anstrengung ihren Kopf und die Nacht begann ihr unheimlich zu erscheinen; ihr Nachdenken verwandelte sich in wunderliche, fantastische Träume. Seltsame Bilder, peinliche Erinnerungen, erschreckende Besorgnisse umlagerten sie und sie befand sich in einem Zustande, der weder Wachen noch Schlaf war, wo alle ihre Ideen eine Gestalt annahmen und in der Finsterniß ihrer Zelle herumzuwogen schienen.

Bald glaubte sie sich auf dem Theater, und sie sang im Geiste eine Rolle, die sie ermüdete und deren Erinnerung ihr lästig wurde, ohne daß sie sich von ihr losmachen konnte; bald sah sie sich in den Händen des Henkers mit entblößten Schultern, vor einer dummen und neugierigen Menge, und zerfleischt von Ruthenschlägen, während der König sie mit erzürntem Blicke von einem Balcon herab ansah und Anzoleto in einem Winkel lachte.

Endlich versank sie in eine Art Erstarrung; vor ihren Augen aber stand der Geist Alberts, auf seinem Sarge ausgestreckt und vergeblich sich anstrengend, um aufzustehen und ihr zu Hülfe zu kommen. Dann schwand dieses Bild, sie sah sich in der Grotte des Schreckensteins, auf der Erde schlummernd, während der erhabene und herzzerreißende Ton der Violine Alberts in dem Hintergrunde der Höhle ein beredtes und schmerzliches Gebet ausdrückte.

Consuelo war wirklich halb eingeschlafen und der Ton des Instruments schmeichelte ihrem Ohre und führte die Ruhe in ihr Gemüth zurück. Die musikalischen Gedanken folgten, wenn auch durch die Entfernung geschwächt, so richtig aufeinander, und die Modulationen waren so deutlich, daß sie sich überredete, das Spiel wirklich zu vernehmen, ohne darüber zu erstaunen. Es schien ihr, als wenn diese fantastische Musik länger als eine Stunde dauerte und endlich in unmerklichen Abstufungen in den Lüften verschwand.

Consuelo war ernstlich eingeschlafen, und der Tag begann anzubrechen, als sie die Augen wieder öffnete.

Ihre erste Sorge war, ihre Stube zu betrachten, der sie am vorigen Tage keinen Blick geschenkt hatte, denn ihr moralisches Sein hatte in ihr das Gefühl des physischen Lebens völlig aufgehoben. Es war eine Zelle ohne alle Möbel, doch reinlich und wohl durchheizt von einem Kachelofen, der von außen geheizt wurde und kein Licht ins Gemach warf, aber eine recht angenehme Temperatur verbreitete. Ein einziges Fenster erhellte dieses Gemach, das aber nicht zu düster war; die Mauern waren ausgeweißt und nicht sehr hoch.

Man klopfte dreimal an die Thür und der Hüter schrie mit starker Stimme:

– Gefangene Nr. 3, stehen Sie auf und kleiden Sie sich an, in einer Viertelstunde wird man zu Ihnen kommen.

Consuelo eilte zu gehorchen und vor dem Eintritt des Wärters ihr Bett zu machen. Er brachte ihr Brod und Wasser für den Tag mit einem sehr achtbaren Wesen. Er hatte die gemessene Haltung eines alten Haushofmeisters aus gutem Hause und setzte dieses frugale Mahl auf den Tisch mit eben so viel Sorgfalt und Anstand, als wenn er das köstlichste Mittagsmahl servirt hätte.

Consuelo betrachtete den Mann, der von vorgerücktem Alter war und dessen feine, sanfte Gesichtszüge beim ersten Anblick nichts Zurückstoßendes hatten. Wegen seiner Sitten, seiner guten Haltung und seiner erprobten Discretion war er zum Dienst der weiblichen Gefangenen gewählt worden. Er nannte sich Schwartz, wie er Consuelo sagte.

– Ich wohne unter Ihnen, bemerkte er, und wenn Sie krank werden sollten, so brauchen Sie mich nur aus Ihrem Fenster zu rufen.

– Sie sind verheirathet? sagte Consuelo.

– Jawohl, erwiederte er, und wenn Sie die Hülfe meiner Frau bedürfen, so steht sie zu Ihrem Befehle. Doch ist es ihr verboten, außer in Krankheitsfällen mit den gefangenen Damen zu verkehren. Der Arzt entscheidet darüber. Ich habe auch einen Sohn, der mit mir die Ehre theilen wird, Sie zu bedienen.

– Ich brauche so viel Diener nicht, und wenn Sie mir erlauben wollen, Herr Schwartz, so werde ich nur mit Ihnen und Ihrer Frau zu thun haben.

– Ich weiß, mein Alter und mein Gesicht flößen den Damen Vertrauen ein. Doch mein Sohn ist eben so wenig zu fürchten, als ich; es ist ein guter Junge, voll Frömmigkeit, Sanftmuth und Festigkeit.

Der Wärter legte auf das letztere Wort einen besondern Nachdruck, den die Gefangene recht gut verstand.

– Herr Schwarz, sagte sie, bei mir werden Sie von Ihrer Festigkeit keinen Gebrauch zu machen haben. Ich bin fast freiwillig hieher gekommen und habe die Absicht nicht, zu entfliehen. So lange man mich mit Anstand behandelt, wie man es zu thun Willens scheint, werde ich ohne Klagen die Ordnung des Gefängnisses, wie hart sie auch sein mag, ertragen.

Bei diesen Worten begann Consuelo, die seit vier und zwanzig Stunden nichts genossen und während der Nacht einen starken Hunger gespürt hatte, das schwarze Brod zu zerbrechen und es mit Appetit zu verzehren.

Dabei bemerkte sie, daß ihre Resignation auf den alten Wärter Eindruck machte und er darüber eben so verwundert als verdrossen schien.

– Ew. Gnaden haben also für die grobe Nahrung keinen Widerwillen? sagte er mit einiger Verlegenheit.

– Ich berge Ihnen nicht, daß ich meiner Gesundheit wegen, in der Länge wohl eine bessere wünschen möchte, doch wenn ich mich mit dieser begnügen muß, so wird es mir grade auch nicht sehr schwer werden.

– Sie sind aber doch an ein besseres Leben gewöhnt? Sie erfreuten sich einer guten Tafel, denke ich?

– Ei ja wohl.

– Nun, erwiederte Herr Schwartz mit einschmeichelndem Wesen, warum wollten Sie sich nicht auch hier auf Ihre Kosten anständiger unterhalten lassen.

– Ist denn das erlaubt?

– Gewiß, rief Schwartz, dessen Augen bei dem Gedanken glänzten, sein Gewerbe treiben zu können, nachdem er gefürchtet hatte, eine zu arme und zu mäßige Person vor sich zu haben, um diesen Vortheil sich zu sichern. Wenn Ew. Gnaden … die Vorsicht gehabt haben, etwas Geld bei sich zu behalten … so ist es mir nicht untersagt, Ihnen die Nahrung zu reichen, welche Sie gern haben. Meine Frau ist eine gute Köchin und wir besitzen ein sehr gutes Tafelgeschirr.

– Das ist sehr freundlich von Ihnen, sagte Consuelo, welche bei der Entdeckung der Habgier des Herrn Schwartz mehr Widerwillen als Zufriedenheit fühlte. Die Frage ist nur, ob ich wirklich Geld habe. Als ich hierher kam, hat man mich durchsucht; ich weiß, man hat mir ein Kruzifix gelassen, das mir sehr werth ist, doch habe ich nicht bemerkt, ob man mir meine Börse genommen hat.

– Ew. Gnaden haben es nicht bemerkt?

– Nein! wundert Sie das?

– Aber Ew. Gnaden weiß wahrscheinlich, wie viel die Börse enthielt.

– So ziemlich.

Und bei diesen Worten untersuchte Consuelo ihre Taschen und fand keinen Pfennig darin.

– Herr Schwarz, sagte sie mit einer muthigen Heiterkeit, man hat mir nichts gelassen, wie ich sehe. Ich werde mich also mit der gewöhnlichen Kost der Gefangenen begnügen müssen. Machen Sie sich keine Täuschungen darüber.

– Nun, gnädige Frau, erwiederte Schwach, nicht ohne eine sichtbare Anstrengung bei sich selbst zu machen, ich will Ihnen beweisen, daß meine Familie ehrlich ist und Sie mit achtbaren Leuten zu thun haben. Ihre Börse ist in meiner Tasche; hier ist sie.

Und er hielt die Börse der Porporina vor und steckte sie dann ruhig wieder in seine Tasche.

– Wohl bekomm's Ihnen! sagte Consuelo, erstaunt über seine Unverschämtheit.

– Warten Sie nur, antwortete der habgierige und kleinlich gewissenhafte Schwartz. Meine Frau hat Sie durchsucht. Sie hat Befehl, den Gefangenen kein Geld zu lassen, aus Furcht, sie möchten sich dessen bedienen, um ihren Wärter zu bestechen. Wenn aber die Wärter unbestechlich sind, so ist die Vorsicht unnütz. Sie hat es also nicht für rathsam gefunden, Ihr Geld dem Gouverneur zu übergeben. Da aber ein ausdrücklicher Befehl besteht, den man gewissenhaft befolgen muß, so kann Ihre Börse nicht direkt in Ihre Hände zurückkommen.

– Behalten Sie sie denn, da dies Ihr Wunsch ist.

– Gewiß, ich werde sie behalten und Ihnen dafür danken. Ich bewahre Ihr Geld und werde es zu Ihren Bedürfnissen verwenden, wie Sie es wünschen. Ich bringe Ihnen die Gerichte, die Sie gern haben, unterhalte Ihren Ofen mit größerer Sorgfalt, verschaffe Ihnen ein besseres Bett und Wäsche so viel Sie brauchen, lege Ihnen jeden Tag meine Rechnung vor und bezahle mich aus Ihrer Börse, bis sie erschöpft ist.

– Das läßt sich hören, sagte Consuelo; ich sehe, man kann mit dem Himmel sein Abkommen treffen und erkenne die Ehrlichkeit des Herrn Schwartz, wie ich es muß. Aber wenn diese Summe, die nicht sehr bedeutend ist, sich erschöpft hat, werden Sie mir dann die Mittel verschaffen, mich mit neuen Summen zu versehen?

– Sprechen Ew. Gnaden nicht also! das heißt meine Pflicht verletzen, und das werde ich nie thun. Doch Ew. Gnaden soll darunter nicht leiden; Sie bezeichnen mir in Berlin oder anderwärts die Person, die über Ihr Vermögen verfügt, und ich lasse dieser meine Rechnungen zukommen, damit sie regelmäßig bezahlt werden. Meine Ordre steht dem nicht entgegen.

– Sehr gut. Sie haben das Mittel gefunden, die Ordre zu verbessern, die sehr unconsequent ist, weil sie Ihnen erlaubt, uns gut zu behandeln und uns doch die Mittel entzieht, Sie dazu zu bestimmen. Sobald meine Dukaten erschöpft sind, werde ich darauf denken, Sie weiter zu befriedigen. Fangen Sie also damit an, mir Chocolade zu bringen, zu Mittag wünsche ich mir ein junges Huhn und Gemüse, während des Tages verschaffen Sie mir Bücher, und am Abend versorgen Sie mich mit Licht.

– Die Chocolade sollen Ew. Gnaden in fünf Minuten haben; das Mittagsessen wird auf Rollen servirt werden und ich werde noch eine gute Suppe und einige Leckerbissen hinzufügen, welche die Damen nicht verschmähen; auch Kaffee, der sehr heilsam ist gegen die feuchte Luft dieses Aufenthaltes. Bücher aber und Licht sind unmöglich. Ich würde sogleich vom Dienst gejagt, und mein Gewissen verbietet mir, meiner Ordre zuwider zu handeln.

– Aber bessere Lebensmittel und Leckerbissen sind eben so verboten?

– Nein, es ist uns erlaubt, die Damen, und besonders Ew. Gnaden, mit Menschlichkeit zu behandeln in Allem, was die Gesundheit und das Wohlbehagen betrifft.

– Aber die Langeweile ist der Gesundheit eben so nachtheilig.

– Ew. Gnaden täuschen sich. Bei guter Nahrung und bei Ruhe des Geistes wird man hier immer fett. Ich könnte Ihnen mehrere Damen nennen, die schlank wie Sie hieher gekommen und nach zwanzig Jahren mit einem Gewicht von wenigstens 180 Pfund fortgegangen sind.

– Großen Dank, Herr Schwartz, ich wünsche diese entsetzliche Wohlbeleibtheit nicht, und hoffe, Sie werden mir Bücher und Licht nicht versagen.

– Ich bitte Ew. Gnaden demüthig um Verzeihung; meine Pflicht kann ich nicht verletzen. Uebrigens werden Ew. Gnaden sich nicht langweilen, Sie bekommen heut Ihr Clavier und Ihre Noten.

– Wahrhaftig? verdanke ich Ihnen diesen Trost, Herr Schwartz?

– Nein, Signora, es geschieht auf Befehl Sr. Majestät, und der Gouverneur hat mir angezeigt, die genannten Gegenstände passiren und in Ihrem Zimmer aufstellen zu lassen.

Entzückt, sich mit Musik unterhalten zu können, dachte Consuelo nicht daran, etwas weiter zu verlangen. Sie trank fröhlich ihre Chocolade, während Herr Schwarz ihr Mobiliar in Ordnung brachte, welches aus einem armseligen Bett, aus zwei Strohstühlen und einem kleinen Tische aus Fichtenholz bestand.

– Ew. Gnaden wird auch eine Commode brauchen, sagte er mit jenem schmeichelnden Wesen, welches die Leute annehmen, die entschlossen sind, uns für unser Geld mit Aufmerksamkeiten zu überhäufen, ferner ein besseres Bett, einen Teppich, einen Lehnstuhl, eine Toilette …

– Die Commode und die Toilette nehme ich an, antwortete Consuelo, welche darauf dachte, ihre Hülfsmittel zu schonen. Das Uebrige erlasse ich Ihnen. Ich bin nicht verwöhnt und bitte mir nur das zu geben, was ich verlange.

Herr Schwartz zuckte mit dem Kopfe, mit dem Ausdruck des Erstaunens und fast der Verachtung, doch sagte er nichts; als er aber zu seiner sehr würdigen Gattin kam, sagte er ihr, von der neuen Gefangenen sprechend:

– Sie ist nicht boshaft, aber arm. Wir werden nicht viel bei ihr gewinnen.

– Was soll sie denn für Ausgaben machen? erwiederte Madame Schwartz, die Achseln zuckend. Es ist ja keine vornehme Dame, nur eine Komödiantin, wie man sagt.

– Eine Komödiantin! rief Schwach. O, das ist mir lieb für unsern Sohn Gottlieb.

– Pfui, antwortete Madame Schwartz, die Augenbrauen zusammenziehend. Willst du einen Seiltänzer aus ihm machen?

– Du verstehst mich nicht, Frau. Er soll Pastor werden, davon gehe ich nicht ab. Dazu hat er studirt, und er ist aus dem Holze, aus dem man welche macht. Aber weil er predigen muß und bis jetzt noch wenig Beredsamkeit zeigt, so soll diese Komödiantin ihm Unterricht in der Deklamation geben.

– Der Gedanke ist nicht schlecht, nur darf sie den Preis für ihre Lectionen auf unsere Rechnung nicht schreiben wollen.

– Sei nur ruhig! Sie hat nicht den mindesten Geist, antwortete Schwartz mit höhnischem Lächeln, sich die Hände reibend.

8.

Das Clavier kam im Laufe des Tages an. Es war dasselbe, welches Consuelo in Berlin auf ihre Kosten gemiethet hatte. Sie war sehr froh, nicht Gefahr laufen zu dürfen, mit einem andern Instrumente eine neue weniger angenehme und weniger sichere Bekanntschaft zu machen.

Der König seinerseits, welcher über die geringsten Angelegenheiten die Aufsicht führte, hatte sich unterrichtet, als er den Befehl gab, das Clavier in das Gefängniß zu bringen, ob es der Primadonna gehöre; und als er vernahm, daß es ein Miethinstrument sei, ließ er dem Instrumentmacher, dem es gehörte, sagen, daß er ihm den Besitz des Instruments garantire, daß aber die Miethe auf Kosten der Gefangenen fortginge.

Darauf hatte sich der Instrumentmacher die Bemerkung erlaubt, daß er gegen eine Gefangene keinen Recours ergreifen könne, besonders wenn sie im Gefängniß sterben sollte. Herr von Pöllnitz, mit dieser wichtigen Unterhandlung beauftragt, hatte ihm aber lachend entgegnet:

– »Lieber Herr, Sie wollen doch über eine solche Kleinigkeit den König nicht chikaniren? Uebrigens würde es Ihnen auch nichts nutzen. Ihr Clavier ist gerichtlich mit Beschlag belegt und wird heute noch nach Spandau geschafft.«

Die Partituren und handschriftlichen Musikalien der Porporina wurden ebenfalls herbeigebracht, und da sie sich über eine solche Erleichterung ihres Gefängnisses wunderte, machte ihr der Platzkommandant einen Besuch und erklärte ihr, daß sie ihre Functionen als erste Sängerin des königlichen Theaters fortsetzen müsse.

– Das ist der Wille Sr. Majestät, sagte er. Jedesmal, wo Sie zu einer Vorstellung erfordert werden, wird ein bewachter Wagen Sie zur bestimmten Stunde ins Theater bringen, und nach dem Schluß der Vorstellung Sie sogleich in die Festung zurückführen. Diese Ortsveränderung wird mit der größten Genauigkeit und aller Ihnen schuldigen Achtung vor sich gehen. Ich hoffe, Mademoiselle, Sie werden uns durch keinen Versuch zur Flucht zwingen, die Strenge Ihrer Gefangenschaft zu verdoppeln.

Dem Willen des Königs gemäß ist Ihnen ein heizbares Zimmer angewiesen worden, Sie haben die Erlaubniß, auf dem Wall, den Sie dort sehen, so oft spazieren zu gehen, als es Ihnen angenehm ist. Mit einem Worte, wir sind nicht allein für Ihre Person, sondern auch für Ihre Gesundheit und Ihre Stimme verantwortlich.

Der einzige Zwang, den Sie von unserer Seite erfahren werden, ist Ihre Abgeschlossenheit und das Verbot, mit irgend Jemand, sowohl im Innern, als nach außen, in Verkehr zu treten. Da wir hier wenig Damen haben und für den Theil der Festung, den sie einnehmen, ein einziger Wärter hinreicht, so sind Sie der Unannehmlichkeit nicht ausgesetzt, von rohen Menschen bedient zu werden. Das ehrliche Gesicht und das anständige Betragen des Herrn Schwartz müssen Sie in dieser Hinsicht beruhigen.

Ein wenig Langeweile wird also das einzige Ungemach sein, das Sie zu ertragen haben, und ich begreife, daß in Ihrem Alter und bei der glänzenden Stellung, in der Sie waren …

– Beruhigen Sie sich, Herr Major, antwortete Consuelo etwas stolz. Ich langweile mich nie, sobald ich mich beschäftigen kann. Ich verlange nur eine Gefälligkeit: Schreibmaterialien und Licht zu erhalten, um des Abends spielen zu können.

– Das ist ganz unmöglich. Ich bin in Verzweiflung, die einzige Bitte einer so muthvollen Dame abschlagen zu müssen, doch kann ich Ihnen dagegen die Erlaubniß geben, alle Stunden des Tages und in der Nacht, wie es Ihnen gefällt, zu singen. Ihr Zimmer ist das einzige bewohnte in diesem einzeln stehenden Thurme. Zwar ist die Wohnung des Wärters unter Ihnen, aber Herr Schwartz ist zu gut erzogen, um sich zu beklagen, eine so schöne Stimme hören zu müssen, und ich selbst bedaure, zu entfernt zu wohnen, um mich an ihr zu erfreuen.

Dieses Gespräch, welchem Meister Schwartz beiwohnte, wurde unter großen Höflichkeitsbezeugungen beendigt, und der alte Officier zog sich, da er die Sängerin so ruhig sah, in der Ueberzeugung zurück, daß sie nur wegen einer Verletzung der Theaterdisciplin und höchstens für einige Wochen hier wäre. Consuelo selbst wußte nicht, ob sie in Folge einer Anklage der Theilnahme an einer politischen Verschwörung oder nur des Verbrechens wegen, Friedrich von Trenck einen Dienst geleistet zu haben, oder endlich, weil sie ganz einfach die verschwiegene Vertraute der Prinzessin Amalie gewesen, sich hier befände.

Zwei oder drei Tage lang litt unsere Gefangene mehr vom Unbehagen, von Schwermuth und Langeweile, als sie es sich gestehen wollte. Namentlich waren die langen Nächte, die in dieser Jahreszeit noch vierzehn Stunden betrugen, sehr unangenehm, so lange sie die Hoffnung hegte, sich dem dadurch entziehen zu können, wenn sie von Herrn Schwartz Licht, Feder und Dinte erhalten könnte.

Doch sie mußte sich bald überzeugen, daß dieser dienstfertige Mensch eine unbeugsame Hartnäckigkeit besaß. Schwartz war nicht boshaft, er fand nicht wie die meisten Menschen seines Standes, ein Vergnügen daran, Leiden zu erregen. Er war sogar fromm und bigott auf seine Weise und glaubte Gott zu dienen und sein Seelenheil zu befördern, insofern er sich denjenigen Verpflichtungen seines Standes unterwarf, die er nicht umgehen konnte. Es ist wahr, diese Fälle waren nicht sehr zahlreich und betrafen nur solche Punkte, wo er weniger Aussicht auf Gewinn bei den Gefangenen als Gefahr in Bezug auf seine Stelle hatte.

– Sie ist sehr einfältig, sagte er, mit seiner Frau von Consuelo sprechend, wenn sie sich einbildet, ich könnte mich, um ein paar Groschen alle Tage bei ihrem Licht zu verdienender Gefahr aussetzen, fortgejagt zu werden.

– Gieb wohl Achtung, antwortete ihm seine Frau, welche die Egeria seiner geldgierigen Speculationen war, und gieb kein Mittagessen, sobald ihr Geld zu Ende ist.

– Sei ohne Sorge. Sie hat sich was gespart, wie sie mir sagt, und Herr Porporino, der Sänger am Theater, verfügt über dieses Geld.

– Schlechte Sicherheit, erwiederte die Frau. Lies nur in unserm Landrecht, und du wirst darin ein Gesetz in Bezug auf die Komödianten finden, welches jedem Schuldner alle Reclamation von ihrer Seite untersagt. Wenn nun der Sänger unserer Demoiselle sich auf das Gesetz beruft und eine Rechnung dir nicht bezahlen will?

– Doch da ihr Engagement mit dem Theater durch ihre Gefangenschaft nicht unterbrochen ist, weil sie ihre Functionen fortsetzen muß, so wende ich mich an die Theaterkasse.

– Und wer sagt dir, daß sie ihre Gage bekommt! Der König kennt das Gesetz besser als Jemand, und wenn es ihm einfällt, es auf seine Weise auszulegen …

– Du denkst an Alles, Frau, sagte Herr Schwartz. Ich werde auf meiner Hut sein. Ohne Geld kein Mittagessen, kein Feuer und nur das gewöhnliche Mobiliar nach dem Buchstaben des Gesetzes.

So entschied das Schwartz'sche Ehepaar über Consuelo's Schicksal. Sie selbst jedoch nahm, sobald sie sich überzeugt hatte, daß der ehrliche Wärter in Bezug auf Licht unbestechlich war, ihren Entschluß und richtete ihre Tagesordnung so ein, daß sie von den langen Nächten nicht zu viel zu dulden hatte. Sie enthielt sich während des Tages zu singen und verschob diese Beschäftigung auf den Abend. Sie enthielt sich ebenfalls so viel als möglich an die Musik zu denken, um nur in den Stunden der Dunkelheit ihren Geist mit Reminiscenzen oder musikalischen Inspirationen zu unterhalten.

Dagegen widmete sie den Morgen und den Tag den Betrachtungen, die ihr ihre Lage darbot; sie dachte an die Begebenheiten des vergangenen Lebens und gab sich den Träumen hin, was die Zukunft ihr bringen könnte. Auf diese Weise gelang es ihr in kurzer Zeit, ihr Leben in zwei Theile zu theilen, einen ganz philosophischen und einen ganz musikalischen, und sie erkannte, daß man mit Festigkeit und Ausdauer das launische und widerspenstige Roß der Fantasie, diese fantastische Muse der Einbildungskraft bis zu einem gewissen Punkt einem regelmäßigen Gange, unserm eigenen Willen gemäß, unterwerfen kann.

Mit einem mäßigen Leben, trotz der Ermahnungen und Andeutungen des Herrn Schwarz und bei häufiger Bewegung auf dem Walle, selbst wenn sie nicht dazu aufgelegt war, gelang es ihr, des Abends sehr ruhig zu sein und diese Stunden der Dunkelheit, welche die Gefangenen mit Phantomen und Aufregungen erfüllen, weil sie, der Langeweile zu entgehen, den Schlaf herbeizwingen wollen, angenehm hinzubringen. Indem sie nur sechs Stunden dem Schlafe widmete, hatte sie bald die Gewißheit, jede Nacht friedlich zu schlafen, ohne daß ein Uebermaß der Ruhe je den Schlaf der Nacht unterbrochen hätte.

Nach Verlauf von acht Tagen hatte sie sich so gut in ihrem Gefängnisse eingerichtet, daß es ihr schien, als hätte sie nie anders gelebt. Die anfangs so furchtbaren Abende waren ihre angenehmsten Stunden geworden, und statt ihr den Schrecken einzuflößen, wie sie es erwartete, offenbarte ihr die Dunkelheit Schätze von musikalischen Ideen, die sie seit langer Zeit in sich trug, ohne daß sie in der Aufregung ihres Berufs als Virtuosin davon hätte Gebrauch machen oder sie zu klarer Anschauung bringen können.

Sobald sie fühlte, daß theils die Improvisation, theils die Ausführung aus dem Gedächtniß ihre Abendstunden hinreichend ausfüllten, so erlaubte sie sich, einige Stunden des Tags zu benutzen, um ihre erfundenen Melodien aufzuzeichnen und ihre Meister mit noch größerer Sorgfalt zu studiren, als sie es unter den tausend Zerstreuungen ihres Lebens oder unter dem Auge.eines ungeduldigen und systematischen Lehrers hatte thun können.

Um die Noten aufzuschreiben, bediente sie sich anfangs einer Nadel, mit der sie die Noten in die Linien einstach, dann kleiner Stücke Holz, die sie von den Möbeln nahm und am Ofen schwärzte, wenn er am heißesten war. Doch da dieses Verfahren viel Zeit wegnahm und sie nur einen sehr kleinen Vorrath von linirtem Notenpapier besaß, erkannte sie, daß es besser sei, ihr bereits schon starkes Gedächtniß zu üben und die zahlreichen Compositionen, die sie alle Abende fand, der Ordnung gemäß darin aufzubewahren Sie kam wirklich damit zu Stande und durch Uebung konnte sie eine nach der andern wieder finden, ohne sie niedergeschrieben zu haben und ohne sie mit einander zu vermischen.

Doch da ihre Stube, Dank der Vermehrung der gesetzlich bestimmten Brennmaterialien durch Herrn Schwartz, sehr warm, der Wall aber, wo sie spazieren ging, unaufhörlich einem eisigen Winde ausgesetzt war, konnte sie es nicht verhindern, daß sie einige Tage von einem Katarrh befallen wurde, der sie um die Zerstreuung brachte, auf dem Theater in Berlin zu singen.

Der Arzt des Gefängnisses, der beauftragt war, zweimal wöchentlich sie zu besuchen und Herrn von Pöllnitz von dem Zustande ihrer Gesundheit Bericht abzustatten, schrieb, daß sie gerade an dem Tage, wo der Baron, mit Einwilligung des Königs, beschlossen hatte, sie vor dem Publikum wieder auftreten zu lassen, an Stimmlosigkeit leide.

Ihre Ausfahrt wurde daher verschoben, ohne daß sie darüber den geringsten Kummer gefühlt hätte; sie wünschte die Luft der Freiheit nicht eher wieder zu athmen, bis sie sich mit ihrem Gefängniß vertraut genug gemacht hätte, um ohne Bedauern wieder dahin zurückzukehren.

Daher wartete sie ihren Katarrh nicht mit der Sorgfalt ab, die eine Sängerin gewöhnlich ihrem kostbaren Organ der Kehle widmet. Sie gab ihre Promenade nicht auf, und die Folge davon war, daß sich mehrere Nächte hindurch ein schwaches Fieber einstellte.

Damals machte sie die Erfahrung eines kleinen Phänomens, das Jedermann kennt. Das Fieber erzeugt in dem Kopfe eines jeden Menschen eine mehr oder minder peinliche Täuschung. Die Einen bilden sich ein, der von den Mauern gebildete Winkel nähere sich ihnen, indem er sich zusammenzieht, bis er ihren Kopf drückt und zu zerquetschen droht. Nach und nach fühlen sie wie der Winkel zurückweicht, sich erweitert, sie frei läßt, an seinen Platz zurückkehrt, um von neuem wiederzukommen, sich wieder zu verengern und so abwechselnd unaufhörlich sie belästigt und erleichtert. Andere halten ihr Bett für eine Woge, die sich erhebt, sie bis zur Decke hinaufträgt und sie wieder sinken läßt und auf diese Weise sie ohne Aufhören hin und her wirft.

Der Erzähler dieser wahrhaften Geschichte leidet beim Fieber an der sonderbaren Erscheinung eines großen schwarzen Schattens, der sich vor seinen Augen auf einer glänzenden Oberfläche, in deren Mitte er sich befindet, wagerecht abzeichnet. Dieser auf dem fantastischen Boden schwimmende schwarze Flecken ist in fortdauernder Bewegung, indem er sich zusammenzieht und ausdehnt. Er erweitert sich so sehr, daß er die glänzende Fläche gänzlich bedeckt, und dann vermindert und verengt er sich wieder, bis er nur in den Raum eines Fadens zusammenschwindet, worauf er sich wieder ausbreitet und von neuem zusammenzieht.

Diese Erscheinung würde für den Träumenden nichts Unangenehmes haben, wenn er sich nicht, in Folge einer ziemlich schwer zu beschreibenden krankhaften Empfindung, einbildete, selbst dieser dunkle Reflex eines ruhlos auf einer von den Strahlen einer unsichtbaren Sonne entzündeten Fläche schwimmenden unbekannten Gegenstandes zu sein, so, daß, wenn der eingebildete Schatten sich zusammenzieht, es ihm scheint, sein Wesen vermindere und verlängere sich, bis es zum Schatten eines Haares zusammenschwinde, während, wenn er sich ausdehnt, er seine Substanz eben so sich erweitern fühlt, bis sie den Schatten eines ein ganzes Thal verhüllenden Gebirges bildet.

Doch der Traum enthält weder etwas vom Gebirge, noch vom Thale; es ist nur der Schatten eines dunkeln Körpers, der auf den Reflex der Sonne dieselbe Wirkung macht, wie der schwarze Augapfel einer Katze in seiner durchsichtigen Iris, und diese Täuschung, welche von keinem Schlafe begleitet ist, wird zu einer der seltsamsten Qualen.

Wir könnten eine Person anführen, welche im Fieber jeden Augenblick die Decke des Zimmers herabstürzen sieht; eine andere, welche glaubt, sie sei zu einer im Raum dahin fliegenden Kugel geworden; eine dritte, welche den Raum neben dem Bette für einen Abgrund hält und immer auf die linke Seite zu fallen glaubt, während eine vierte sich stets nach der rechten Seite hingezogen fühlt.

Doch jeder Leser könnte Bemerkungen und Erscheinungen aus seiner eignen Erfahrung anführen, wodurch die Frage nicht weiter käme und eben so wenig erklärt würde, als wir es zu thun vermögen, warum jeder Mensch sein ganzes Leben hindurch oder wenigstens während einer ziemlich langen Reihe von Jahren des Nachts auf einen gewissen Traum zurückkommt, der ihm allein, keinem andern angehört und bei jedem Fieberanfall einer gewissen Täuschung anheimfällt, die immer denselben Character trägt und ihm dieselben Qualen verursacht.

Diese Frage gehört in das Reich der Physiologie, und wir glauben, der Arzt könnte in ihr vielleicht einige Anzeichen, wenn auch nicht über den Sitz des Hauptübels, das sich durch andere nicht weniger deutliche Symptome enthüllt, wohl aber über den eines verborgenen Uebels finden, das bei dem Kranken aus der schwachen Seite seiner Organisation herkommt, und das durch gewisse Reagentien hervorzurufen sehr gefährlich ist.

Doch diese Frage gehört nicht in mein Fach und ich bitte den Leser um Verzeihung, sie berührt zu haben.

Bei unserer Heldin mußte die Fieberphantasie nothwendig einen musikalischen Character annehmen und die Gehörorgane angreifen. Sie versank also in den Traum, den sie in der ersten Nacht, die sie im Gefängniß zugebracht hatte, wachend oder wenigstens im halb wachen Zustand gehabt hatte. Sie bildete sich ein, den klagenden Ton und die beredten Sätze von Alberts Violine, bald stark und deutlich, als wenn das Instrument in ihrem Zimmer ertönte, bald schwach, als wenn es vom Himmel herabkäme, zu hören.

In diesem geringern und stärkern Anschwellen der eingebildeten Töne lag etwas außerordentlich Peinliches. Wenn die Töne sich zu nähern schienen, empfand sie eine Art Entsetzen, wenn sie ganz nahe schienen, hatten sie eine Macht, welche die Kranke erschütterte. Dann wurde der Ton schwächer und sie fühlte sich erleichtert, denn die Anstrengung, mit immer wachsender Aufmerksamkeit auf den Gesang zu hören, der sich in dem Raume verlor, verursachte ihr eine Art Ohnmacht, während welcher sie kein Geräusch mehr zu vernehmen glaubte; aber die unaufhörliche Rückkehr des harmonischen Sturmes erregte in ihr einen Schauder, ein Entsetzen und eine so unerträgliche Hitze, als wenn die Kraft des fantastischen Bogenstrichs die Luft entzündet und einen Gewittersturm um sie her entfesselt hätte.

Ende des zweiten Theils.


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