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Vierter Theil.

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1.

Als Consuelo den Gebrauch ihrer Fähigkeiten wieder erlangte und sich auf einem ziemlich harten Bette sitzend fand, versuchte sie, ehe sie noch ihre Augen wieder aufschlagen konnte, ihre Gedanken zu sammeln. Aber die Ohnmacht war so vollständig gewesen, daß sie ihre Sinne nur langsam wiederfand, und als ob die Summe der Anstrengungen und Erschütterungen, welche sie seit einiger Zeit überstanden hatte, endlich über das Maß ihrer Kräfte hinausgegangen war, suchte sie vergebens, sich auf das, was sich mit ihr seit ihrem Scheiden von Venedig zugetragen hatte, zu besinnen.

Ihr Scheiden selbst aus diesem ihrem zweiten Vaterlande, wo sie so süße Tage verlebt hatte, schien ihr wie ein Traum, und es war ihr ein Trost, – ein leider nur zu kurzer Trost – in ihrer Verbannung und dem Unglück, welches dieses herbeigeführt, einen Augenblick zweifeln zu können. Es däuchte ihr, als ob sie noch in ihrem armen Zimmer in der Corte-Minelli wäre, auf der Matratze ihrer Mutter, und nun nach einer heftigen und bittern Scene mit Anzoleto, deren Erinnerung dunkel vor ihrer Seele schwamm, dem Leben zurückgegeben würde und der Hoffnung, indem sie ihn neben sich fühlte, sein unterbrochenes Athmen hörte und die süßen Worte, die er ihr zuflüsterte.

Bei diesem Gedanken durchzitterte ihr Herz ein wonnevolles, sehnliches Verlangen, und sie raffte sich gewaltsam auf, um ihren reuigen Freund zu sehen und ihm die Hand zu reichen. Aber sie drückte nur eine kalte, fremde Hand, und anstatt der fröhlichen Sonne, die sie gewohnt war, rosig durch ihre weißen Vorhänge schimmern zu sehen, sah sie nur die Beleuchtung einer Gruft von düsterem Gewölbe niederdämmern und durch einen feuchten Dunstkreis sich verbreiten; sie fühlte unter ihren Armen das rauhe Thierfell und mit schauerlichem Schweigen beugte sich Albert's bleiches Antlitz wie das eines abgeschiedenen Geistes zu ihr nieder.

Consuelo glaubte sich lebend in das Grab hinabgestiegen, sie schloß die Augen wieder und sank schmerzlich seufzend auf das Bett von trocknem Laub zurück Sie brauchte noch mehrere Minuten, um zu fassen wo sie wäre und in welches schlimmen Wirthes Händen. Die Furcht, von ihrer Begeisterung und Hingebung bis dahin niedergehalten, bemächtigte sich ihrer so sehr, daß sie die Augen nicht wieder aufzuschlagen wagte, um nicht irgend ein gräßliches Schauspiel, Todtengepränge, ein offenes Grab vor sich zu sehen.

Sie fühlte etwas auf ihrer Stirn, und griff danach. Es war ein Blätterkranz, womit Albert sie gekrönt hatte. Sie nahm ihn ab, um ihn zu betrachten, und sah Cypressenzweige.

– Ich glaubte dich todt, o meine Seele! o mein Trost! sagte Albert neben ihr niederkniend, und ich wollte, bevor ich dir ins Grab folgte, dich hochzeitlich schmücken. Blumen wachsen nicht hier umher, Consuelo! Die schwarzen Cypressen boten das einzige Laub, wovon ich Dir einen Brautkranz pflücken konnte. Da ist er, stoß' ihn nicht hinweg. Wenn wir hier sterben müssen, laß mich dir schwören, daß ich, dem Leben zurückgegeben, nie eine andere Gattin gehabt haben würde als dich, und daß ich mit dir sterbe, dir geeint durch ein unauflösliches Verlöbniß.

– Verlobt, vereint! rief Consuelo erschreckt und schaute bestürzt umher: wer hat dies Urtheil gesprochen? wer hat diese Ehe eingesegnet?

– Das Geschick, o du mein Engels erwiederte Albert unaussprechlich sanft und traurig. Denke nicht, ihm zu entrinnen, es ist ein wunderseltsames Geschick für dich, und noch mehr für mich. Du begreifst mich nicht, Consuelo, und doch mußt du die Wahrheit erfahren. Du hast es mir verboten, in der Vergangenheit zu suchen, du hast es mir verwehrt, an die verflossenen Tage zu gedenken, die man die Nacht der Jahrhunderte heißt. Mein Innerstes hat dir gehorcht, und ich weiß nun nichts mehr von meinem frühern Dasein. Aber das gegenwärtige habe ich befragt, ich kenne es, ich habe es ganz mit Einem Blicke überschaut, es ist mir urplötzlich aufgegangen, während du ruhtest von den Armen des Todes umfangen. Dein Geschick ist, Consuelo, mir anzugehören, und dennoch wirst du niemals mein sein. Du liebst mich nicht, du wirst mich nie so lieben, wie ich dich liebe. Deine Liebe zu mir ist nur Nächstenliebe, ist nur heldenmüthige Hingebung. Du bist eine Heilige, die Gott mir sendete, und nie wirst du für mich ein Weib sein. Ich muß sterben, verzehrt von einer Liebe, welche du nicht theilen kannst, und doch, Consuelo, wirst du meine Gattin sein, wie du meine Braut schon bist, sei es, daß wir hier sterben und daß dein Mitleid willigt, mir den Titel deines Gatten beizulegen, welchen nie ein Kuß besiegeln soll, sei es, daß wir die Sonne wiedersehen, und dein Gewissen dir gebietet, Gottes Absichten an mir zu erfüllen.

– Graf Albert, sagte Consuelo, indem sie einen Versuch machte, das mit schwarzem Bärenfell bedeckte Bett, das einem Leichengerüste glich, zu verlassen, ich weiß nicht, ob der Schwung einer zu lebhaften Erkenntlichkeit, oder die Nachwirkung Ihres Irrsinns Sie so reden macht. Ich habe nicht mehr die Kraft, Ihre Einbildungen zu bekämpfen, und wenn diese sich gegen mich wenden müssen, gegen mich, die ich mit Lebensgefahr gekommen bin, Ihnen beizustehen und Sie zu trösten, so fühle ich, daß ich nicht mehr im Stande bin, mein Leben und meine Freiheit gegen Sie zu vertheidigen. Wenn mein Anblick Sie aufbringt, wenn mich Gott verläßt, wohl! so geschehe Gottes Wille. Sie, der Sie so viel zu wissen glauben, das wissen Sie nicht, wie mein Leben mir vergällt ist, und wie wenig ich bedauern würde, es dahin zu geben.

– Ich weiß, daß du sehr unglücklich bist, o meine arme Heilige! Ich weiß, daß du eine Dornenkrone auf der Stirne trägst, die ich nicht herabreißen kann. Die Ursache und den Hergang deiner Leiden kenne ich nicht und begehre ich nicht zu wissen. Aber ich würde dich sehr wenig lieben, ich würde sehr wenig dein Mitgefühl verdienen, wenn ich nicht von dem Tage an, da ich dir zuerst begegnete, geahnt und erkannt hätte, daß deine Seele betrübt und dein Leben voll Thränen ist. Was hast du von mir zu fürchten, Consuelo meiner Seele? Du, so klug und so stark, du, der Gott Worte eingegeben, welche mich in einem Augenblicke bezwungen und zum Leben zurückgebracht haben, du solltest nun seltsam das Licht deines Glaubens, deiner Vernunft dir untreu finden, weil du mich fürchtest, deinen Freund, deinen Diener, deinen Sklaven? Komm zu dir, mein Engel, sieh mich an! Sieh mich hier zu deinen Füßen, und für alle Zeit, die Stirn im Staube. Was willst du? was gebietest du? Verlangst du fort von hier, jetzt gleich, und ohne daß ich dir folge, ohne daß ich jemals wieder vor dir erscheine? Welches Opfer heischest du? Welchen Eidschwur soll ich dir leisten? Ich bin fähig, dir alles zu geloben, dir in allem zu gehorchen. Ja, Consuelo, ich bin fähig, selbst ein ruhiger Mann zu werden, unterwürfig und so vernünftig scheinend, wie die andern. Würde ich dir so minder herb dünken und weniger Furcht einflößen? Bisher habe ich nie gekonnt, was ich wollte, aber alles, was du wollen wirst, wird mir künftig möglich sein. Ich werde vielleicht den Tod davon tragen, wenn ich mich nach deinem Wunsch umwandle, aber ich muß dir nun auch meinerseits sagen, daß mir mein Leben stets vergällt war, und daß es mich nicht dauern könnte, es um deinetwillen zu verlieren.

– Lieber, edler Albert, sagte Consuelo beruhigt durch seine Worte und gerührt, erklären Sie sich deutlicher und lassen Sie mich endlich in die Tiefe dieser undurchdringlichen Seele schauen. Sie sind in meinen Augen ein Mensch, der höher als die andern steht, und von dem ersten Augenblick an fühlte ich für Sie eine Hochachtung und eine innige Theilnahme, die ich keine Ursache habe Ihnen zu verbergen. Ich hörte von allen Seiten, daß Sie unsinnig wären, ich konnte es nicht glauben. Alles was man mir von Ihnen erzählte, vermehrte nur meine Achtung und mein Zutrauen. Das aber habe ich wohl erkennen müssen, daß Sie ein tiefes und seltsames geistiges Leiden drückt. Ich habe mir, vielleicht übereilt aber gutmüthig, eingebildet, daß ich dieses Leiden mildern könnte. Sie selbst haben dazu gethan, mich in diesem Glauben zu bestärken. Ich habe Sie aufgesucht, und nun sagen Sie mir über mich und über sich selbst so viel Tiefes und Wahres, daß es mich mit einer unbegrenzten Verehrung erfüllen müßte, wenn Sie nicht wunderliche Dinge hineinmischten, Gedanken eines Schicksalsglaubens, welchen ich nicht theilen kann. Darf ich Ihnen alles sagen, ohne Sie zu verletzen und ohne Ihnen Leiden zu verursachen?

– Alles, Consuelo! sagen Sie alles! Ich weiß zum Voraus, was Sie sagen wollen.

– Nun denn! ich will es sagen, denn es war mein Vorsatz. Alle die Sie lieben, verzweifeln an Ihnen. Sie glauben, das was sie Ihren Wahnsinn nennen, achten, d. h. schonen zu müssen; sie besorgen, Sie aufzubringen, wenn sie Sie merken ließen, daß sie ihn kennen, ihn beklagen, ihn fürchten. Ich, die ich nicht daran glaube, kann nicht davor zurückbeben, Sie zu fragen, wie es zugeht, daß Sie bei Ihrem Verstande doch bisweilen sich das Ansehen eines Unsinnigen geben; wie es zugeht, daß Sie, bei Ihrer Herzensgüte, doch die Rolle des Dünkels und des Undanks spielen; wie es zugeht, daß Sie, bei ihrer Frömmigkeit und Einsicht, sich doch den Wahngebilden eines kranken und verzweifelten Geistes überlassen; wie es zugeht endlich, daß Sie so einsam sind, lebendig begraben in einer schauerlichen Gruft, fern von Ihrer Familie, die Sie sucht und Sie beweint, fern von Ihres Gleichen, die Ihr Herz so glühend liebt, fern endlich auch von mir, nach der Sie riefen, die Sie, wie Sie sagen, lieben, die dennoch nicht ohne Wunder des Willens und der göttlichen Obhut bis zu Ihnen dringen konnte!

– Sie fragen nach dem Geheimniß meines Lebens, nach dem Worte, welches das Räthsel meines Geschickes löst, ach! und Sie wissen es besser als ich selbst, Consuelo! Von Ihnen erwarte ich den Aufschluß über mein Wesen, und Sie fragen mich!

O! ich verstehe Sie, Sie wollen mich zu einer Beichte führen, zu einer innern Buße, zu einem sieghaften Entschluß. Ich werde gehorchen. Aber nicht gleich in diesem Augenblick bin ich im Stande, mich so selbst zu erkennen, mich zu richten, mich zu erneuen.

Geben Sie mir einige Tage, einige Stunden mindestens, damit ich Ihnen, damit ich mir selbst sagen könne, ob ich toll oder ob ich im Genusse meiner Vernunft bin. Weh, weh! es ist eines so wahr wie das andere, und das ist mein Unglück, daß ich nicht daran zweifeln kann. Aber wissen, ob ich ganz mein Selbstbewußtsein und meinen Willen verlieren muß, oder noch den Dämon, welcher mich besitzt, zu überwältigen vermag, das kann ich nicht in diesem Augenblicke.

Haben Sie Mitleid mit mir, Consuelo! ich bin noch unter dem Einfluß einer innern Erschütterung, welche mächtiger ist als ich. Ich weiß nicht, seit wie langer Zeit Sie hier sind; ich weiß nicht wie Sie hergelangen konnten ohne Zdenko, der Sie nicht hat zu mir führen wollen; ich weiß nicht, in welcher Welt meine Gedanken schweiften, als Sie mir erschienen.

O Gott! ich weiß nicht, seit wie vielen Aeonen ich hier eingeschlossen bin, unter unerhörten Schmerzen ringend mit einer Pest, die mich verzehrt. Diese Schmerzen, ich kann mich nicht einmal erinnern, wann sie mich verließen; jetzt empfinde ich nichts als eine gräßliche Ermattung, eine Betäubung, eine Art Bangigkeit, die ich gern verbannen möchte ...

Consuelo, lassen Sie mich mein vergessen, wenn auch nur auf einige Augenblicke! Meine Gedanken werden sich klären, meine Zunge wird sich lösen. Ich verspreche es Ihnen, ich schwöre es Ihnen. Führen Sie mich schonend in die helle Wirklichkeit zurück, die mir lange in schrecklichem Dunkel verhüllt lag, und deren Glanz meine Augen noch nicht ertragen können.

Sie hießen mich mein gesammtes Leben in meinem Innern sammeln. Ja, das war es, das sagten Sie, ach, meine Vernunft und mein Gedächtniß reichen nur bis zu dem Augenblicke zurück, wo Sie zu sprechen anfingen. Wohl denn! mit diesem Wort ist Engelsfrieden in meine Brust herniedergestiegen. Mein Herz ist ganz voll Leben, obwohl mein Geist noch schläft.

Ich scheue mich von mir zu reden; ich möchte mich verirren und Sie wieder durch meine Traumgebilde ängstigen. Ich will nur im Gefühle leben: es ist das ein mir fremdes Leben; es müßte ein Wonneleben sein, wenn ich mich ihm überlassen dürfte, ohne Ihnen zu mißfallen.

Ach! Consuelo, warum hießen Sie mich meine ganze Lebenskraft in meinem Innern sammeln? Erklären Sie mir sich selbst, lassen Sie mich nur mit Ihnen mich beschäftigen, nichts sehen, nichts begreifen – als Sie  ... kurz, lieben.

Mein Gott, mein Gott! Ich liebe, liebe ein lebendiges Geschöpf, ein mir ähnliches Wesen! liebe es mit aller Macht meines Seins! Ich kann auf sein Haupt die ganze Glut, die ganze Heiligkeit meiner Inbrunst häufen! O, das ist Glück genug für mich, und ich bin nicht so toll, mehr zu begehren.

– Wohl, lieber Albert! lassen Sie Ihre arme Seele ruhen in diesem Gefühle einer ruhigen, brüderlichen Zärtlichkeit. Gott ist mein Zeuge, daß Sie es dürfen ohne Furcht und ohne Gefahr, denn ich empfinde für Sie eine Innigkeit der Freundschaft, eine Verehrung, welche die leichtfertigen, eitelen Urtheile des gemeinen Haufens nie erschüttern werden. Sie haben durch eine Art göttlichen, wunderbaren Schauens erkannt, daß mein Leben vom Schmerze gebrochen ist, Sie haben es gesagt und die höchste Wahrheit selbst hat dieses Wort in Ihren Mund gelegt.

Ich kann Sie nicht anders als wie einen Bruder lieben, aber sagen Sie nicht, daß mich nur Nächstenliebe und Mitleid treiben. Wenn Menschlichkeit und Mitgefühl mir den Muth gegeben haben, hierher zu kommen, so giebt mir eine Seelenverwandtschaft, eine eigenthümliche Achtung vor Ihren Tugenden auch den Muth und das Recht, zu Ihnen so zu reden wie ich thue.

Lassen Sie denn von nun an und auf immer von der Täuschung ab, in welcher Sie sich über Ihr eigenes Gefühl befinden. Sprechen Sie nicht von Liebe, nicht von Ehe. Meine Vergangenheit, meine Erinnerungen machen die erstere unmöglich; der Unterschied unseres Standes würde die andere für mich demüthigend und unannehmbar machen. Dadurch, daß Sie auf solche Träume zurückkommen, könnten Sie leicht meine Aufopferung für Sie zu einer Frechheit, ja wohl zu einem Frevel stempeln.

Lassen Sie uns durch ein heiliges Versprechen die Pflicht besiegeln, die ich übernahm, Ihre Schwester, Ihre Freundin, Ihre Trösterin zu sein, so oft Sie sich geneigt finden werden, mir Ihr Herz zu öffnen, Ihre Krankenhüterin, wenn Sie das Leiden düster und schweigsam macht. Schwören Sie mir, daß Sie nichts anderes in mir sehen, und daß Sie mich nicht anders lieben wollen.

– Hochherziges Weib! sprach Albert und erbleichte, du rechnest sehr auf meinen Muth und du kennst sehr meine Liebe, daß du mir ein solches Versprechen abforderst. Ich würde fähig sein, zum ersten Male in meinem Leben zu lügen, ich könnte mich so weit erniedrigen, ein falsches Gelübde abzulegen, wenn du es fordertest. Aber du wirst es nicht fordern, Consuelo! Du wirst einsehen, daß dieß eine neue Erschütterung in mein Leben und in mein Gewissen einen Vorwurf, welcher es noch nie befleckt hat, pflanzen hieße.

Bekümmere dich nicht darum, wie ich dich liebe; weiß ich es doch vor allen Dingen selber nicht; nur dieses fühl' ich, daß es Lästerung wäre, dem Zuge meines Herzens zu dir hin den Namen Liebe nicht zu geben.

Allem Uebrigen unterwerfe ich mich: dein Mitleid, deine Pflege, deine Güte, deine ruhige Freundschaft nehme ich an; ich werde mich nie anders zu dir stellen, als du es mir erlaubst; ich werde dir kein Wort sagen, das dir nicht recht sein könnte, ich werde für dich keinen Blick haben, der dich nöthigen müßte, die Augen niederzuschlagen; ich werde nie deine Hand berühren, wenn dir die Berührung der meinigen mißfällt; auch nicht einmal dein Kleid will ich streifen, wenn du fürchtest, daß dich mein Hauch versenge.

Aber Unrecht wäre es von dir, mit solchem Mißtrauen mir zu begegnen, und du thätest besser, diese sanfte Stimmung, welche mich beseelt, und von der du nichts zu fürchten hast, in mir zu nähren. Ich begreife wohl, daß deine Schamhaftigkeit vor dem Ausdruck einer Liebe zurückschreckt, die du nicht theilen willst; ich weiß wohl, daß dein Stolz die Ergießungen einer Leidenschaft zurückweisen möchte, welche du weder hervorrufen noch begünstigen wolltest.

Sei daher ruhig, und gelobe ohne Furcht, mir eine Schwester, eine Trösterin zu sein; ich schwöre dir, dein Bruder und dein Knecht zu sein. Mehr fordere nicht: du wirst mich nicht unbescheiden, nicht zudringlich finden. Es wird mir genug sein, wenn du weißt, daß du über mich gebieten, und mich unbedingt beherrschen kannst ... wie man einen Bruder nicht beherrscht, aber wie man über ein Wesen gebietet, das sich ganz und auf ewig dahin gegeben hat.

2.

Diese Sprache beruhigte Consuelo für den Augenblick, machte sie aber nicht frei von Besorgnissen für die Zukunft. Albert's fanatische Entsagung entsprang aus einer tiefen, unüberwindlichen Leidenschaft, woran der Ernst seines Charakters und der feierliche Ausdruck seines Gesichtes gar nicht zweifeln ließen. Bestürzt, obwohl sanft bewegt, fragte sich Consuelo, ob sie fortfahren dürfte, ihre Sorgfalt diesem Manne zu widmen, der ihr ohne Rückhalt und Umschweif seine Neigung erklärte. Sie hatte dergleichen Verhältnisse niemals von der leichten Seite genommen, und sie sah, daß bei Albert keine Frau einem solchen ohne bedenkliche Folgen die Stirn bieten würde. Sie zweifelte weder an seiner Redlichkeit noch an dem Ernste seines gegebenen Wortes, aber der Seelenfrieden, den sie sich geschmeichelt hatte ihm wieder zu geben, konnte sich nicht vereinigen mit einer so glühenden Liebe und mit der Unmöglichkeit, worin sie sich befand, diese zu erwiedern.

Sie reichte ihm seufzend die Hand und blieb, gedankenvoll, die Augen an den Boden heftend, in schwermüthiges Sinnen verloren.

– Albert, sagte sie endlich, da sie ihre Blicke wieder auf ihn richtete und die seinigen voll schmerzlicher Erwartung und Angst sah, Sie kennen mich nicht, wenn Sie mir eine Rolle aufbürden wollen, die mir so wenig zusagt. Nur ein Weib, das fähig wäre sie zu mißbrauchen, könnte sie annehmen. Ich bin weder kokett noch stolz, ich glaube nicht, daß ich eitel bin, und ich bin nicht herrschsüchtig. Ihre Liebe würde mir schmeicheln, wenn ich sie theilen könnte, und wäre das, so würde ich es Ihnen auf der Stelle sagen. Sie durch eine wiederholte Versicherung des Gegentheils zu betrüben, ist in der Gemüthsbewegung, in welcher ich Sie finde, eine Handlung kalter Grausamkeit, die Sie mir ersparen sollten, die mir aber mein Gewissen zur Pflicht macht, wie sehr mein Herz sie verabscheut und Schmerzen fühlt, sie zu erfüllen. Beklagen Sie mich, daß ich Sie betrüben muß, vielleicht beleidigen, in einem Augenblicke, wo ich mein Leben daran setzen möchte, Ihnen das Glück und die Gesundheit wieder zu geben.

– Ich weiß es, hohes Mädchens entgegnete Albert schwermüthig lächelnd; du bist so gut und so groß, daß du dein Leben opfern würdest für den geringsten der Menschen, aber dein Gewissen, ich weiß es wohl, wird sich Keinem zu Liebe beugen. Fürchte dich nicht mich zu beleidigen, indem du mir diese Strenge zeigst, die ich bewundere, diesen kalten Gleichmuth, der dir mitten unter Mitgefühl und Rührung deine Tugend bewahrt.

Mich betrüben? o, das kannst du Du nicht, Consuelo! Ich habe mir keine Selbsttäuschung gemacht, ich bin an die herbsten Schmerzen gewöhnt; ich weiß, daß mein Leben den bittersten Opfern geweiht ist. Behandle mich nicht wie ein schwaches Geschöpf, wie ein Kind ohne Herz und ohne Stolz, indem du mir wiederholst, was ich übrigens ja weiß, daß du mich niemals lieben wirst. Ich kenne dein ganzes Leben, Consuelo, obschon ich weder deinen Namen, noch deine Herkunft kenne, noch irgend einen einzelnen Umstand aus deinem Leben. Ich weiß die Geschichte deiner Seele, das Uebrige ist für mich von keinem Werthe. Du hast geliebt, du liebst noch, du wirst lieben – ja! ein Wesen, von welchem ich nichts weiß, von welchem ich nichts wissen will und welchem ich dich nicht streitig machen will.

Aber wisse, Consuelo! daß du niemals weder ihm, noch mir, noch auch dir selbst gehören wirst. Gott hat dir ein besonderes Dasein aufgespart, dessen nähere Umstände ich weder suche noch voraussehe, dessen Zweck und Ziel ich aber kenne. Sklavin und Opfer deines Seelenadels wirst du in diesem Leben nie einen andern Lohn empfangen als das Bewußtsein deiner Stärke und das Gefühl deiner Güte. Unglücklich nach dem Urtheile der Welt, wirst du, allem zum Trotze, das friedenreichste, glücklichste Geschöpf unter den Menschen sein, weil du stets das rechtschaffenste und beste sein wirst.

Denn nur die Bösen und die Schlechten, o meine geliebte Schwester! nur diese sind bedauernswerth und Christi Wort wird sich erfüllen, so lange die Menschheit ungerecht und blind sein wird: Selig sind, die verfolgt werden, selig, die Leid tragen!

Die Kraft und Würde, welche von Albert's freier, majestätischer Stirn strahlten, wirkten in diesem Momente auf Consuelo mit so mächtigem Zauber, daß sie die Rolle der stolzen, meisternden und strengen Freundin, die sie sich aufgelegt hatte, vergaß, um sich unter der Gewalt dieses von Glauben und Begeisterung emporgetragenen Menschen zu beugen. Kaum erhielt sie sich aufrecht, noch abgemattet wie sie war und von der Gemüthsbewegung vollends bezwungen. Sie sank auf ihre Knie nieder, die schon vor Schwäche unter ihr zusammenknickten, und die Hände faltend fing sie an mit aller Inbrunst laut zu beten.

– Wenn du es bist, mein Gott, rief sie, der diese Prophezeiung in den Mund eines Heiligen legt, so geschehe dein Wille und dein Wille sei gelobt! Ich habe dich in meiner Kindheit um das Glück in einer lachenden und kindischen Gestalt gebeten, und du spartest es mir auf in einer rauhen, strengen Hülle, die ich nicht begriff. Oeffne meine Augen und gieb meinem Herzen Gehorsam. Das Loos, das mir so ungerecht schien und das sich mir allmälig offenbart, ich werde es tragen lernen, o mein Gott! und von dir nichts fordern, als was der Mensch ein Recht hat, von deiner Liebe und Gerechtigkeit zu erwarten, den Glauben, die Hoffnung und die Liebe.

Also betend fühlte Consuelo ihre Thränen fließen. Sie suchte nicht sie zurückzuhalten. Nach dieser Aufregung und diesem fieberhaften Zustande bedurfte sie einer solchen Krise, welche ihr Erleichterung gab, sie aber noch schwächer machte. Albert betete und weinte mit ihr, diese Thränen segnend, welche er so lange in der Einsamkeit vergossen hatte und die sich endlich mit denen eines edlen und reinen Wesens mischten.

– Jetzt aber, sagte Consuelo, indem sie sich erhob, haben wir genug an uns gedacht. Es ist Zeit, uns mit den Andern zu beschäftigen und unserer Pflichten zu gedenken. Ich habe versprochen, Sie Ihren Angehörigen zurückzubringen, welche in Trostlosigkeit seufzen und für Sie schon wie für einen Todten beten. Wollen Sie ihnen nicht die Ruhe und die Freude wiedergeben, lieber Albert? Wollen Sie nicht mit mir kommen?

– Schon! rief der Graf bitter, schon uns trennen! Schon das geheiligte Asyl verlassen, wo Gott allein zwischen uns ist, diese Zelle, die ich liebe, seitdem du mir darin erschienen bist, dieses Heiligthum eines Glückes, das ich vielleicht nie wiederfinde, schon verlassen, um in das kalte, falsche Leben der Vorurtheile und der äußerlichen Formen zurückzukehren!

Ach, noch nicht, o meine Seele, mein Leben du! Noch einen Tag, ein Jahrhundert der Wonne, laß mich hier vergessen, daß es eine Welt voll Ungerechtigkeit und Lüge giebt, die mich wie ein schwarzer Traum verfolgt. Laß mich nur langsam und allmählig zu dem zurückkehren, was sie Vernunft nennen. Ich fühle mich noch nicht stark genug, um den Anblick ihrer Sonne und das Schauspiel ihres Wahnwitzes auszuhalten. Ich muß noch dich anschauen, dich vernehmen.

Zudem auch habe ich noch niemals meine Zelle mit plötzlichem Entschluß und ohne viele Ueberlegungen verlassen, meinen grauenvollen, wohlthätigen Zufluchtsort, die schreckliche und heilsame Stätte meiner Buße, zu der ich beflügelt eile und ohne mich umzuschauen, in die ich mich in wildem Rausche stürze und aus der ich nur mit allzuwohl begründetem Zögern und mit nur allzu lange anhaltendem Bedauern scheide.

Du weißt nicht, was für mächtige Bande mich an dieses freiwillige Gefängniß ketten, Consuelo! Du weißt nicht, daß ich hier mein Ich lasse, den wahren Albert, der nicht von hier fort kann, ein Ich, das ich hier immer wiederfinde und dessen Gespenst mich ruft und drängt, wenn ich wo anders bin. Hier ist mein Bewußtsein, mein Glaube, mein Licht, meine Kraft, mit einem Worte, mein wirkliches Leben.

Verzweiflung, Furcht und Tollheit bringe ich mit her, sie hängen sich oft an meine Fersen und überliefern mich hier noch einem schrecklichern Kampfe.

Aber, siehst du, hinter dieser Thür ist ein Allerheiligstes, wo ich sie niedertrete und mich neu gebäre. Beladen, schwindelnd gehe ich hinein, gereinigt gehe ich daraus hervor und Keiner weiß, unter welchen Qualen ich die Geduld und Unterwürfigkeit errungen habe, die ich mit zurückbringe.

Reiße mich nicht von hier, Consuelo! vergönne mir, daß ich mich langsamen Schrittes entferne und erst, nachdem ich gebetet.

– Treten wir ein und beten wir mit einander, sagte Consuelo. Und dann wollen wir gehen. Die Zeit eilt, es ist vielleicht bald Tag. Man soll den Weg nicht wissen, der ins Schloß führt, man muß uns nicht kommen sehen, vielleicht muß man uns auch nicht mit einander kommen sehen: denn ich will das Geheimniß Ihrer Zufluchtsstätte nicht verrathen, Albert! und bis jetzt ahnt Niemand meine Entdeckung. Ich will nicht gefragt sein, ich will nicht lügen. Ich muß ein Recht haben Ihren Angehörigen gegenüber, mich in ein ehrfurchtsvolles Schweigen zu hüllen und ihnen den Glauben zu lassen, daß meine Verheißungen und Ahnungen nur Träume waren. Wenn man mich mit Ihnen zurückkommen sähe, so würde man meine Zurückhaltung für Eigensinn halten, und obgleich ich fähig bin, allem Ihretwegen, Albert, Trotz zu bieten, so will ich doch nicht ohne Noth mich um das Zutrauen und die Gewogenheit Ihrer Familie bringen.

Eilen wir denn! Ich bin erschöpft, und wenn ich hier noch lange weilte, so könnten mir die Kräfte vollends ausgehen, deren ich doch für den Rückweg noch bedarf. Fort, beten Sie, sage ich Ihnen, und gehen wir dann!

– Du bist erschöpft! ruhe doch hier, meine Geliebte! Schlafe, ich werde dich sorglich bewachen, oder wenn dir meine Gegenwart Unruhe macht, so sollst du mich in der Grotte nebenan einschließen, sollst diese eiserne Thür zwischen dich und mich setzen, und bis du mich zurückrufst, will ich für dich beten in meiner Kirche.

– Und indeß Sie beten, indeß ich mich der Ruhe überlasse, wird Ihr Vater noch lange qualvolle Stunden zu erdulden haben, bleich und regungslos, wie ich ihn einmal sah, gebeugt unter der Last des Alters und des Kummers, seine schwachen Knie in das Pflaster seines Oratoriums bohrend, als harre er, daß ihm die Nachricht von Ihrem Tode seinen letzten Seufzer auspresse!

Und Ihre arme Tante wird unruhig wie im Fieber auf alle Thürme steigen, mit den Augen Sie auf allen Stegen des Gebirges zu suchen! Und auch diesen Morgen wieder wird man im Schlosse zusammenkommen und diesen Abend aus einander gehen mit der Verzweiflung in den Mienen und dem Tod im Herzen!

Albert, Sie haben also Ihre Angehörigen nicht lieb, da Sie sie ohne Mitleid und ohne Reue so lauern und so leiden lassen?

– Consuelo, Consuelo! schrie Albert und schien aus einem Traume zu erwachen, sprich nicht so, du thust mir furchtbar weh. Welches Verbrechen habe ich denn begangen? Welches Unglück habe ich denn verursacht? Warum sind sie so in Unruhe? Wie viele Stunden sind es denn, seit ich von ihnen gegangen bin?

– Wie viele Stunden, fragen Sie; Sie sollten fragen, wie viele Tage und Nächte, fast wie viele Wochen!

– Tage, Nächte! Still, still, Consuelo, lassen Sie mich mein Unglück nicht erkennen. Ich wußte wohl, daß ich hier das Maß der Zeit verlöre und daß das Andenken dessen, was oben auf der Erde geschieht, nicht in dieses Grab herunterstiege ... aber das dachte ich nicht, daß die Dauer dieser Vergessenheit, dieser Bewußtlosigkeit nach Tagen, nach Wochen gezählt werden könnte.

– Ist es nicht eine freiwillige Vergessenheit, mein Freund? Nichts erinnert Sie hier an das Scheiden und Kommen des Tages; hier in der ewigen Dunkelheit ist es ewig Nacht. Sie haben, glaube ich, nicht einmal eine Sanduhr hier, um die Stunden zu zählen. Ist die Sorgfalt, mit der Sie jedes Mittel entfernt halten, um den Lauf der Zeit zu messen, nicht eine Vorsicht, welche Ihre wilde Laune gebraucht, um die Stimme der Natur und die Mahnungen des Gewissens zu ersticken?

– Ich bekenne, daß es mir Bedürfniß ist, wenn ich hierher gehe, allem abzusagen, was in mir rein menschlich ist. Aber ich wußte das nicht, o mein Gott, daß Schmerz und Selbstbetrachtung so meine Seele dahinnehmen konnten, daß mir unterschiedlos Stunden wie Tage oder Tage wie Stunden däuchten. Was für ein Mensch bin ich denn, und warum hat man mich nie aufgeklärt über dieses neue Unglück meiner Organisation?

– Unglück? Nein, es beweist vielmehr eine ungemeine geistige Kraft, die aber nicht auf die rechte Art gebraucht und die im Dienste schlimmer Vorurtheile vergeudet ist. Man hat es sich zum Gesetz gemacht, das Unheil, das Sie stifteten, Ihnen zu verbergen, man hat geglaubt, aus Rücksicht für Ihr Leiden, die Leiden der Anderen Ihnen verschweigen zu müssen. Aber meiner Meinung nach hieß das, Ihnen wenig Achtung zollen, hieß an Ihrem Herzen zweifeln; ich aber, die ich nicht daran zweifle, Albert! ich verberge Ihnen Nichts.

– Gehen wir, Consuelo! eilen wir! sagte Albert hastig seinen Mantel um die Schultern werfend. Ich bin ein Unglücklicher! Ich habe meinem Vater Leiden verursacht, den ich anbete, meiner Tante, die ich liebe! Ich bin kaum werth sie wieder zu sehen. Ach! ehe ich eine solche Grausamkeit wieder auf mich lade, lieber will ich mir das Opfer auferlegen, niemals wieder hierher zu kommen. Aber nein, ich bin glücklich; ich habe ein Freundesherz gefunden, mich zu warnen, mich zur Vernunft zurückzuführen. Ist doch endlich Jemand, der mir über mich die Wahrheit sagt, und sie mir immer sagen wird; nicht wahr, meine geliebte Schwester?

– Gewiß, Albert, ich schwöre es Ihnen.

– Himmlische Güte! Ja, dieses Wesen, das mir beispringt, ist das einzige, das ich hören, dem ich glauben kann! Gott weiß was er thut. Ohne meine eigene Verrücktheit zu ahnen, habe ich immer die der Andern angeklagt. Ach! wenn mein edler Vater selbst mir das gesagt hätte, was Sie mir sagten, Consuelo, ich hätte es ihm nicht geglaubt. Das macht, weil Sie mir die Wahrheit und das Leben sind, weil Sie allein mir die Ueberzeugung zuführen und meinem verstörten Geiste die himmlische Gewißheit geben können, die von Ihnen ausstrahlt.

– Gehen wir! sagte Consuelo und half ihm seinen Mantel einnesteln, den er mit zitternder Hand und zerstreut nicht auf der Schulter befestigen konnte.

– Ja, gehn wir! sagte er und sah mit gerührtem Auge sie diesen Freundesdienst ihm leisten; aber zuvor, Consuelo, schwöre mir, daß du mich nicht verlassen wirst, wenn ich wieder hierher gehe, daß du mich auch dann wieder aufsuchen wirst, und wäre es, um mich mit Vorwürfen zu beladen, um mich einen Undankbaren, einen Vatermörder zu heißen, und um mir zu sagen, daß ich deine Theilnahme und Fürsorge nicht verdiente. O, laß mich nicht mehr mir selbst zum Raube! Du siehst wohl, daß du alle Macht über mich hast, und daß ein Wort aus deinem Munde mich überzeugt und mir heilsamere Arznei ist als Jahrhunderte der Selbstbetrachtung und des Gebetes.

– Sie sollen mir vielmehr schwören, sagte Consuelo, beide Hände, dreister gemacht durch den dichten Mantel, auf seine Achseln legend, und ihm mit ganzer Seele zulächelnd, daß Sie nie ohne mich hierher zurückkehren wollen!

– Du willst also mit mir wieder herkommen? rief er aus, sie mit trunkenem Auge ansehend, aber ohne daß er sie mit seinen Armen zu umfassen wagte: schwöre es mir, und ich gelobe dir, nie das Dach meines Vaters zu verlassen ohne deinen Befehl oder deine Erlaubniß.

– Wohlan, möge Gott dieses gegenseitige Versprechen hören und annehmen, antwortete Consuelo voller Freude. Wir wollen wiederkehren, Albert! um in Ihrer Kirche zu beten, und Sie sollen mich beten lehren; denn noch hat Niemand es mich gelehrt, und ich habe Gott zu kennen eine brennende Sehnsucht. Sie werden mir den Himmel aufschließen, mein Freund! und ich, ich werde Sie, wenn es nöthig ist, an die irdischen Dinge und die Pflichten des menschlichen Lebens erinnern.

– Himmlische Schwester! sagte Albert, die Augen in Wonnethränen gebadet, geh, ich habe nichts dir zu lehren; du, du sollst mich beichten, mich erforschen, mich erneuen! Du sollst mich alles lehren, auch selbst beten. Ach! ich brauche nun nicht mehr allein zu sein, um meine Seele zu Gott zu erheben; ich brauche mich nicht mehr auf die Gebeine meiner Väter niederzuwerfen, um die Unsterblichkeit zu fassen und zu fühlen. Es ist mir nun genug, dich anzusehen, daß meine Seele beschwingt zum Himmel steige wie ein Danklied und ein Reinigungsopfer.

Consuelo zog ihn mit sich fort; selbst öffnete sie die Thür und schloß sie wieder. Hier, Ajax! rief Albert seinem treuen Gefährten zu und reichte ihm eine Laterne von besserer Construction als jene, die Consuelo mitgenommen hatte, und besser auf diese Art Wanderung berechnet, der sie dienen sollte. Das kluge Thier faßte mit stolz zufriedener Miene den Griff der Leuchte, und lief gleichmäßigen Trittes voraus, jedesmal still stehend, wenn sein Herr still stand, nach dessen Gang den seinigen beeilend oder hemmend und stets die Mitte des Weges haltend, um nicht durch einen Stoß gegen Felsen oder Buschwerk das ihm anvertraute Kleinod zu beschädigen.

Consuelo schleppte sich nur mühsam fort, sie fühlte sich zerbrochen und ohne Albert's Hülfe, der sie führte und jeden Augenblick unterstützte, würde sie wohl zehnmal niedergefallen sein. Sie gingen mit einander stromabwärts, an dem angenehmen, frischen Ufer hin.

– Zdenko, sagte Albert, bedient mit liebreicher Sorgfalt die Najade dieser verborgenen Grotten. Er ebnet ihr das oft mit Kies und Muscheln überfüllte Bett. Er pflegt die blassen Blumen, welche unter ihrem Fußtritt wachsen, und beschützt sie vor ihren etwas ungestümen Umarmungen.

Consuelo blickte durch den Schatten des Gesteins nach dem Himmel hinauf. Sie sah einen Stern blitzen.

– Es ist Aldebaran, der Stern der Zingari, sagte Albert. Es wird erst in einer Stunde Tag.

– Es ist mein Stern, antwortete Consuelo; denn ich bin, zwar nicht von Abkunft, aber meinem Stande nach eine Art Zingara, lieber Graf Meine Mutter wurde in Venedig nicht anders genannt, wiewohl sie sich gegen diesen, nach ihrem spanischen Vorurtheile, beleidigenden Namen auflehnte. Und auch ich war dort und bin dort noch unter dem Namen der Zingarella bekannt.

– Warum bist du nicht wirklich ein Kind dieses verfolgten Stammes! entgegnete Albert: ich würde dich darum nur noch mehr, wenn das möglich wäre, lieben.

Consuelo, welche wohl daran zu thun gedacht hatte, wenn sie dem Grafen den Unterschied ihres beiderseitigen Ursprungs und Standes recht nahe legte, erinnerte sich nun dessen, was ihr Amalie von Albert's Vorliebe für die Armen und Unstäten erzählt hatte. Sie fürchtete, sich unwillkürlich einer geheimen Regung von Koketterie überlassen zu haben und schwieg.

Aber Albert unterbrach das Schweigen nach einigen Augenblicken.

– Was Sie mir da sagten, hob er an, hat in mir, ich weiß nicht durch welche Gedankenverbindung, eine Erinnerung meiner Jugend geweckt, die kindisch genug ist, die ich Ihnen aber doch erzählen muß, weil sie mir, seitdem ich Sie gesehen habe, schon mehrmals mit einer Art Hartnäckigkeit wiedergekehrt ist. Stützen Sie sich fester auf mich, während ich Ihnen erzähle, liebe Schwester!

Ich war ungefähr funfzehn Jahre alt, als ich eines Abends allein auf einem der Fußsteige, welche sich am Schreckenstein hin über das Gehügel nach dem Schlosse schlängeln, heimwärts ging. Da sah ich vor mir eine große, magere und zerlumpte Frau, welche eine Last auf dem Rücken trug und bei jedem Steine anhielt, um sich niederzusetzen und auszuruhen. Ich gesellte mich zu ihr. Sie war schön, obgleich von der Sonne verbrannt und von Sorgen und Elend abgezehrt. Unter ihren Lumpen hervor leuchtete eine Art schmerzlichen Stolzes, und als sie mir die Hand hinhielt, schien sie mein Mitleid mehr zu fordern als zu erbitten. Ich hatte nichts mehr in meiner Börse, und ich bat sie, mit mir nach dem Schlosse zu kommen, wo ich ihr Beistand, Speise und Nachtlager schaffen könnte.

– Das ist mir noch lieber, antwortete sie mit fremdem Accent, den ich für zigeunerisch hielt, denn ich verstand damals noch nicht die Sprachen, welche ich seitdem auf meinen Reisen gelernt habe; und sie setzte hinzu: Ich kann Ihnen die gastliche Aufnahme, die Sie mir spenden, mit Volksliedern aus manchen Ländern, die ich durchwanderte, bezahlen. Ich bitte selten um Almosen, nur wenn mich die äußerste Noth dazu zwingt.

– Arme Frau! sagte ich, ihr tragt eine sehr schwere Last, eure armen, fast nackten Füße sind wund. Gebt mir dieses Pack, ich will es bis nach Hause tragen, so werdet ihr bequemer gehen.

– Diese Last, antwortete sie mit einem schwermüthigen Lächeln, welches sie noch schöner machte, wird von Tage zu Tage schwerer, aber es ist mir nicht leid. Ich trage sie schon manches Jahr und habe mit ihr Hunderte von Meilen gemacht, ohne mich die Mühe reuen zu lassen. Ich vertraue sie keinem Menschen an, aber Sie haben so eine gute Miene, liebes Kind, daß ich sie Ihnen schon bis dahin geben will.

Bei diesen Worten nestelte sie den Mantel auf, der sie ganz einhüllte und nur den Hals ihrer Guitarre hervorsehen ließ. Ich gewahrte nun ein Kind von fünf oder sechs Jahren, bleich und verbrannt wie die Mutter, aber von so stiller, sanfter Miene, daß es mir das Herz rührte. Es war ein kleines, ganz zerlumptes Mädchen, mager aber kräftig gebaut und schlief in englischer Ruhe auf diesem gebrochenen Rücken der ambulanten Sängerin. Ich nahm es in meine Arme und hatte viel Noth es zu halten, denn da es aufwachte und sich an einem fremden Busen fand, sträubte es sich und weinte. Aber seine Mutter redete ihm in ihrer Sprache zu und machte es still. Meine Liebkosungen und Bemühungen besänftigten es vollends, und wir waren die besten Freunde von der Welt, als wir auf dem Schlosse ankamen.

Nachdem die arme Frau gegessen hatte, legte sie ihr Kleines in ein Bett, das ich ihr hatte zurecht machen lassen, machte eine Art abentheuerlicher Toilette, die noch kläglicher aussah als ihre Lumpen, und kam in den Saal, wo wir aßen; da sang sie uns spanische, französische und deutsche Lieder vor mit einer schönen Stimme, einer reinen Aussprache und so frei und ausdrucksvoll im Vortrag, daß wir ganz entzückt davon waren. Meine gute Tante bewies ihr tausend Aufmerksamkeiten und Freundlichkeiten. Sie schien davon gerührt, verleugnete aber ihren Stolz nicht und gab uns auf unsere Fragen nur ausweichende Antworten.

Ihr Kind zog mich noch mehr an als sie selbst. Ich hätte es gern wiedersehen, mit ihm spielen, es auch nur betrachten mögen. Ich weiß nicht, wie es kam, daß mir dieses arme kleine Geschöpf, das auf Erden unstät und elend war, eine solche zärtliche Theilnahme abgewann. Ich träumte die ganze Nacht von ihm, und mit dem frühesten Morgen lief ich hin, um es zu sehen. Aber die Zigeunerin war schon fort, und ich suchte sie vergeblich auf den Bergen. Sie war vor Tage aufgestanden und gen Süden gezogen mit ihrem Kinde und mit meiner Guitarre, die ich ihr geschenkt hatte, da die ihrige zu ihrem großen Leide zerbrochen war.

– Albert! Albert! rief Consuelo in großer Bewegung. Diese Guitarre ist in Venedig bei meinem Lehrer Porpora, der sie mir aufhebt, und von dem ich sie mir wiederfordern werde, um mich nie wieder von ihr zu trennen. Sie ist von Ebenholz, mit einer Chiffre in Silber ausgelegt, deren ich mich sehr gut erinnere. Es ist ein »A. R.« Meine Mutter, die kein gutes Gedächtniß hatte, weil ihr so viel begegnet war, konnte sich nie auf Ihren oder des Schlosses oder auch nur des Landes Namen besinnen, wo sie sie erhalten hätte. Aber sie hat mir oft von der gastfreundlichen Aufnahme erzählt, die ihr der Besitzer dieser Guitarre erwiesen, und von der rührenden Menschlichkeit eines jungen, schönen Herrn, der mich eine halbe Stunde weit auf dem Arme getragen und mit mir gesprochen hätte wie mit seines Gleichen.

O mein lieber Albert! ich erinnere mich alles dessen auch noch selbst. Bei jedem Worte Ihrer Erzählung wachten diese Bilder eines nach dem andern auf, die lange in meiner Seele schliefen, und nun weiß ich, warum mir hier die Berge nicht ganz fremd und neu schienen, und warum ich mich doch vergebens anstrengte, den dunkeln Erinnerungen, die diese Landschaft in mir weckte, auf den Grund zu kommen, und besonders warum ich, da ich Sie zum ersten Male sah, mein Herz hüpfen fühlte und meine Stirn sich ehrerbietig neigen, als ob ich einen lang vermißten und beklagten Freund und Beschützer wiedergefunden hätte.

– Meinst du denn, Consuelo, sagte Albert, sie an sein Herz drückend, ich hätte dich nicht auf den ersten Blick wieder erkannt? Was that es, daß du groß geworden, daß die Jahre dich verwandelt und verschönt haben? Ich habe ein Gedächtniß – o wunderbare, obwohl oft unheilvolle Gabe! – das nicht Blicke, nicht Worte braucht, um sich durch Jahrhunderte, wie durch Tage hindurch zu bewähren. Ich wußte nicht, daß du meine geliebte Zingarella wärest, aber ich wußte, daß ich dich schon gekannt, schon geliebt, schon an mein Herz gedrückt, das sich von Augenblick an, ohne daß ich's wußte und auf ewig mit dem deinigen verknüpft und vereint hatte.

3.

So redend erreichten sie die Verzweigung der beiden Wege, wo Consuelo mit Zdenko zusammengetroffen war, und sie sahen schon von fern den Schimmer seiner Laterne, die er neben sich auf den Boden gestellt hatte. Consuelo, die jetzt die gefährlichen Launen und die Riesenstärke des »Unschuldigen« aus Erfahrung kannte, drängte sich unwillkürlich an Albert, indem sie ihm dies Anzeichen von Zdenko's Nähe bemerklich machte.

– Warum fürchten Sie sich vor diesem sanftmüthigen, liebreichen Geschöpfe, fragte der junge Graf, den ihre Furcht überraschte und zugleich beglückte. Zdenko hat Sie lieb, obgleich ihn seit letzter Nacht ein böser Traum, den er hatte, widerspänstig gegen meine Wünsche gemacht und ein wenig gegen Ihr edelmüthiges Vorhaben, mich zu suchen, aufgebracht hat: er ist aber unterwürfig wie ein Kind, wenn ich etwas mit Entschiedenheit von ihm fordere, und Sie werden ihn zu Ihren Füßen sehen, wenn ich nur ein Wort sage.

– Nein, demüthigen Sie ihn nicht vor mir, entgegnete Consuelo, vergrößern Sie nicht den Widerwillen, den er gegen mich nährt. Wann wir vorbei sein werden, will ich Ihnen sagen, was für ernste Ursache ich habe, ihn zu fürchten und künftig zu vermeiden.

– Zdenko hat ein wahrhaft himmlisches Gemüth, antwortete Albert, und ich kann mir nicht im Entferntesten denken, wie er irgend Jemandem furchtbar sein kann. Bei dem Zustande von Verzückung, in welchem er sich stets befindet, ist er wie ein Engel rein und voll Liebe.

– Dieser Zustand von Verzückung, Albert, den ich auch bewundere, ist doch, wenn er lange anhält, eine Krankheit. Täuschen Sie sich nicht in dieser Hinsicht! Gott will nicht, daß der Mensch die Empfindung und das Bewußtsein seines Daseins abstreife, um sich zu oft in das leere Anschauen einer idealen Welt zu erheben. Wuth und Wahnsinn sind das Ende solcher Berauschungen, als eine Strafe des Hochmuths und der Müßigkeit.

Ajax blieb vor Zdenko stehen, und sah ihn freundlich an, als ob er eine Liebkosung von dem Freunde erwarte; dieser aber gewährte ihm keine. Er saß, den Kopf in beiden Händen, noch in der nämlichen Stellung und auf dem nämlichen Felsstück, wo ihn Consuelo verlassen hatte. Albert redete ihn auf Böhmisch an, und er gab keine Antwort. Er schüttelte den Kopf mit muthloser Geberde, seine Backen waren von Thränen überströmt, und er wollte Consuelo gar nicht ansehen. Albert erhob seine Stimme und redete nachdrücklicher mit ihm, doch lag mehr etwas Ermahnendes und Zärtliches als Gebieterisches und Scheltendes in seinem Tone; Zdenko stand endlich auf und reichte Consuelo seine Hand, die sie ihm zitternd drückte.

– Jetzt, sagte er zu ihr auf Deutsch, sie sanft, doch traurig anblickend, sollst du nicht mehr Furcht vor mir haben; aber du machst mir sehr weh und ich fühle an deiner Hand, daß sie viel Unglück über uns bringt.

Er ging vor ihnen her, von Zeit zu Zeit mit Albert einige Worte wechselnd. Sie verfolgten den massiven und geräumigen Gang, den Consuelo auf dieser Seite noch nicht kannte, und der sie zu einem Rundgewölbe brachte, woselbst sich das Wasser in ein weites von Menschenhand gebildetes und mit Bruchsteinen eingefaßtes Becken ergoß. Es floß daraus auf zwei Wegen ab, von denen der eine sich in den Höhlen verlor, der andere zu der Cisterne des Schlosses führte. Diesen letzteren verschloß Zdenko, indem er mit seiner herkulischen Hand drei gewaltige Steine vor die Oeffnung legte.

– Setzen wir uns hier nieder! sagte der Graf zu seiner Gefährtin, und lassen wir dem Wasser des Brunnens Zeit, durch einen Kanal abzulaufen

– Ich kenne ihn gut, sagte Consuelo, von Kopf zu Füßen schaudernd.

– Wie meinen Sie das? fragte Albert und sah sie verwundert an.

– Sie sollen es später hören, antwortete Consuelo. Ich will Sie jetzt nicht durch das Bild der Gefahren, die ich überwunden habe, betrüben und aufregen ...

– Aber was meint sie? rief Albert und sah voll Schrecken Zdenko an.

Zdenko antwortete ihm böhmisch mit gleichgültiger Miene, während er mit seinen langen, braunen Händen Thon zusammenknetete, um die Fugen der Steine, die ihm als Schleuse dienten, auszufüllen, damit die Cisterne sich desto schneller leeren möchte.

– Erklären Sie sich, Consuelo! sagte Albert heftig; ich verstehe nichts von dem, was er mir sagt. Er behauptet, er habe Sie nicht hergeführt. Sie wären durch die unteren Wege gekommen, die aber, weiß ich, undurchdringlich sind, und wo sich eine zarte Frau nie hätte hineinwagen oder zurechtfinden können. Er spricht ... mein Gott, was spricht er nicht, der Unglückliche! ... das Schicksal habe Sie geführt und der Erzengel Michael (den er den Uebermächtigen und den Sieger nennt) habe Sie durch die Wasserschlünde und Abgründe geleitet.

– Es ist unmöglich, sagte Consuelo lächelnd, daß sich der Erzengel Michael hineingemischt habe; denn gewiß ist, daß ich durch den Abzug der Quelle gekommen bin, daß ich vor dem Wasserstrome in aller Hast herlief, daß ich mich zwei oder drei mal für verloren hielt, daß ich mich durch Höhlen und Steinklüfte gewunden habe, wo ich bei jedem Schritte erstickt oder verschlungen zu werden meinte, und dennoch waren alle diese Gefahren nicht fürchterlicher als Zdenko's Zorn, als mich der Zufall oder die Vorsehung endlich den guten Weg finden ließ.

Hier erzählte Consuelo, die mit Albert immer spanisch sprach, ihm in wenigen Worten, wie sein friedliebender Zdenko sie empfangen hatte und wie er sie lebendig begraben wollte, was schon fast vollendet war, als sie die Geistesgegenwart hatte, ihn durch einen eigenthümlich ketzerischen Spruch zu besänftigen.

Ein kalter Schweiß brach auf Albert's Stirn aus, während er diese unglaublichen Dinge vernahm, und mehrmals schoß er fürchterliche Blicke auf Zdenko, als ob er ihn durchbohren wollte. Zdenko's Blick begegnete den seinigen mit einem seltsamen Ausdruck von Trotz und Verachtung.

Consuelo zitterte, diese beiden Wahnsinnigen sich gegen einander kehren zu sehen, denn ungeachtet der tiefen Einsicht und des feinen Gefühls, wovon Albert's Reden meistentheils Zeugniß gaben, war es ihr ganz klar, daß seine Vernunft harte Stöße erlitten hatte, wovon sie sich vielleicht nie wieder ganz erholen konnte. Sie versuchte, sie auszusöhnen, indem sie Beiden liebreich zuredete. Aber Albert stand auf, reichte Zdenko den Schlüssel seiner Einsiedelei und sagte ihm sehr kalt ein Paar Worte, denen Zdenko augenblicklich Folge leistete. Er nahm seine Laterne auf und entfernte sich in fremden Weisen unverständliche Worte singend.

– Consuelo! sagte Albert, als er ihn aus dem Gesichte verloren hatte, wenn dieses treue Thier, das zu Ihren Füßen liegt, wild würde, ja wenn mein armer Ajax in einem Wuthanfall Ihr Leben in Gefahr brächte, so müßte ich ihn tödten, und wahrhaftig, ich würde keinen Anstand nehmen, obgleich meine Hand nie Blut vergossen hat, selbst von Geschöpfen nicht, die tiefer stehen als der Mensch ... sein Sie daher ganz unbesorgt und fürchten Sie keine Gefahr!

– Wovon reden Sie, Albert! fragte das junge Mädchen, durch diese unerwartete Anspielung beunruhigt. Ich fürchte nichts mehr. Zdenko ist immer doch ein Mensch, obschon er seinen Verstand verloren hat, vielleicht durch seine Schuld, und auch ein wenig durch die Ihrige. Sprechen Sie nicht von Blut und Strafe. Ihnen geziemt es, ihn zur Besinnung zurückzuführen und ihn von seinem Wahnsinn herzustellen, anstatt ihn in diesem zu bestärken. Kommen Sie, wir müssen fort! Ich fürchte sonst, daß der Tag anbreche und uns bei unserer Ankunft überrasche.

– Du hast Recht, sagte Albert, sich auf den Weg machend. Die Weisheit spricht durch deinen Mund, Consuelo! Meine Narrheit war ansteckend für diesen Aermsten, und es war hohe Zeit, daß du uns aus dem Abgrund rissest, dem wir alle Beide nahe waren. Geheilt durch dich, will ich Zdenko zu heilen suchen ... Und wenn es mir dennoch nicht glückt, wenn sein Wahnsinn noch einmal dein Leben in Gefahr setzt, obgleich Zdenko ein Mensch vor Gott ist und ein Engel in seiner Zärtlichkeit für mich, obgleich er der einzige wahre Freund ist, den ich noch bisher auf Erden gehabt habe ... wahrhaftig, Consuelo, so will ich ihn aus meinem Herzen reißen und du sollst ihn nie wiedersehen.

– Genug, genug, Albert! lispelte Consuelo, nicht mehr fähig nach so vieler Angst noch eine neue Angst zu überstehen. Ziehen Sie Ihre Gedanken von solchen Möglichkeiten ab. Ich wollte ja lieber hundertmal mein Leben missen, als eine solche Noth und Verzweiflung in das Ihrige werfen.

Albert hörte sie nicht und schien abwesend. Er vergaß, sie zu stützen und sah nicht mehr, wie sie schwankte und bei jedem Schritte anstieß. Er war ganz mit den Bildern der Gefahr beschäftigt, der sie sich um seinetwillen unterzogen hatte, und in dem Grausen, welches er empfand, sich diese Gefahr ausmalend, in seinen ängstlichen Besorgnissen um sie, in seiner ausschweifenden Erkenntlichkeit rannte er vor sich hin und ließ abgerissene Worte durch das Gewölbe schallen, während sie mit einer Anstrengung, die von Schritt zu Schritt peinvoller wurde, sich ihm nachschleppte.

In dieser grausamen Lage dachte Consuelo an Zdenko, der hinter ihr war, und umkehren konnte, an das Wasser, das er stets gleichsam in seiner Hand hielt und abermals entfesseln konnte, vielleicht in dem Augenblicke, wo sie allein und ohne Albert's Hülfe in dem Brunnen hinaufsteigen müßte. Denn Albert, von einer neuen Einbildung fortgerissen, schien sie vor sich zu wähnen und einem trügerischen Phantom nachzujagen, während er sie hinter sich in der Finsterniß zurückließ.

Das war zu viel für ein Weib, und selbst für eine Consuelo. Ajax lief so geschwind als sein Herr und floh mit dem Lichte; das ihrige hatte Consuelo in der Zelle zurückgelassen. Der Weg machte zahllose Winkel, hinter denen die Helle jeden Augenblick verschwand. Consuelo stieß gegen eine dieser Ecken, fiel und vermochte sich nicht wieder zu erheben.

Todesfrost durchrieselte ihr Gebein. Eine letzte Befürchtung stellte sich im Fluge ihrem Geiste dar. Zdenko hatte wahrscheinlich Befehl erhalten, damit die Treppe und der Ausgang der Cisterne verborgen blieben, nach einer gewissen Zeit die Schleuse zu öffnen. Auch selbst ohne seinem Hasse Folge zu geben, mußte er aus Gewohnheit diese nothwendige Vorsicht beobachten.

– Also ist es aus, dachte Consuelo, indem sie vergebliche Anstrengungen machte, sich auf ihren Knieen fortzuschleppen. Ich soll die Beute eines unerbittlichen Geschickes werden. Ich werde aus diesem unseligen Grabe nicht herauskommen, meine Augen werden nicht das Licht des Himmels wiedersehen.

Schon deckte ein dichterer Schleier als der der äußern Nacht ihr Auge, ihre Hände erstarrten und eine Unempfindlichkeit, die dem letzten Schlafe glich, that ihren Aengsten Einhalt.

Plötzlich fühlte sie sich von starken Armen umfaßt und emporgehoben, welche sie ergriffen und sie zur Cisterne trugen. Eine glühende Brust klopft gegen die ihrige und erwärmt sie, eine befreundete, liebkosende Stimme spricht ihr mit zärtlichen Worten zu, Ajax hüpft vor ihr, die Leuchte schüttelnd. Albert ist es, der, zu ihr zurückgekehrt, sie hinwegträgt und sie rettet mit der Leidenschaft einer Mutter, die ihr Kind verloren und wiedergefunden hat.

In drei Minuten sind sie bei dem Kanale, durch welchen sich das Wasser der Quelle ergossen hatte, haben sie den Ausgangsbogen und die Treppe des Brunnens erreicht. Ajax, an diese gefährliche Stiege gewöhnt, schwang sich zuerst hinauf, mit einer Eile, als fürchte er, die Schritte seines Herrn zu hindern, wenn er zu dicht vor ihm wäre. Albert, mit dem einen Arm Consuelo tragend und sich mit dem andern an die Kette klammernd, stieg die Windung hinauf, in deren Tiefe sich schon das Wasser rührte, um ebenfalls heraufzusteigen.

Es war nicht die kleinste der Gefahren, welche Consuelo bestanden hatte, aber sie fürchtete sich nicht mehr. Albert besaß eine Muskelkraft, neben welcher Zdenko's nur ein Kinderspiel war, und er war in diesem Augenblicke von einer übermenschlichen Macht beseelt.

Als er seine kostbare Last auf dem Rande des Brunnens absetzte, beim Scheine des heraufdämmernden Morgens, athmete Consuelo endlich auf, und sich von seiner keuchenden Brust losmachend, trocknete sie mit ihrem Schleier ihre in Schweiß gebadete Stirn.

– Freund! sagte sie zärtlich, ohne Sie wäre ich todt; Sie haben mir alles vergolten, was ich für Sie gethan habe, aber ich fühle jetzt Ihre Abspannung mehr als Sie selbst, und mir ist, als ob ich an Ihrer Stelle ihr erliegen sollte.

– O meine kleine Zingarella! rief Albert voll Entzücken und küßte den Schleier, welchen sie an ihr Gesicht gedrückt hatte, du bist so leicht in meinen Armen wie damals, als ich dich vom Schreckenstein herunter ins Schloß trug.

– Das Sie ohne meine Einwilligung nicht wieder verlassen werden, Albert! vergessen Sie Ihren Schwur nicht!

– Und du nicht den deinigen! antwortete er, neben ihr hinkniend.

Er half ihr sich in ihren Schleier wickeln und begleitete sie durch sein Zimmer, aus welchem sie sich leise nach dem ihrigen stahl.

Man fing im Schlosse zu erwachen an. Das Stiftsfräulein ließ schon im untern Stocke einen trockenen und gellenden Husten vernehmen, das Zeichen, daß sie aufstand. Consuelo, der die Furcht Flügel gab, gelangte glücklich, von Niemandem gesehen oder gehört, in ihr Zimmer. Mit fliegender Hand befreite sie sich von ihren durchnäßten und zerfetzten Kleidern und verbarg diese in einem Koffer, dessen Schlüssel sie abzog. Sie gewann noch so viel Kraft und Besinnung, als nöthig war, um jede Spur ihrer geheimnißvollen Reise wegzuschaffen.

Aber kaum hatte sie ihr ermüdetes Haupt auf das Kopfkissen sinken lassen, als ein, schwerer, heißer Schlaf, voll wilder Träume und schrecklicher Begebenheiten, sie in die Gewalt eines hereinbrechenden unerbittlichen Fiebers lieferte.

4.

Indessen stieg das Stiftsfräulein nach einem halbstündigen Gebete die Treppe hinauf und ließ es, ihrer Gewohnheit nach, ihre erste Sorge sein, nach ihrem geliebten Neffen zu sehen. Sie ging an die Thüre seines Zimmers und legte ihr Ohr an das Schlüsselloch, obgleich sie weniger als jemals hoffte, das leise Geräusch, das ihr seine Wiederkunft kund geben sollte, zu vernehmen. Welche Ueberraschung, welche Freude, als sie den gleichmäßigen Athemzug des Schlummernden hörte. Sie machte ein großes Kreuz und erkühnte sich, leise den Schlüssel im Schlosse umzudrehen und auf den Fußspitzen hineinzuschleichen. Sie sah Albert ruhig schlafend auf seinem Bette liegen und Ajax zusammengekrümmt auf dem daneben stehenden Lehnstuhl. Sie weckte weder den einen noch den andern, und lief zu dem Grafen Christian, der, in seiner Kapelle kniend, mit seiner gewohnten Ergebung betete, daß Gott ihm seinen Sohn, sei es im Himmel oder auf Erden, wiedergeben möchte.

– Mein Bruder! sagte sie leise, neben ihm niederkniend, stelle dein Gebet ein und suche in deinem Herzen die heißesten Segenswünsche. Gott hat dich erhört.

Sie hatte nicht nöthig, sich näher zu erklären. Der Greis wendete sich zu ihr um, und da er ihre kleinen hellen Augen von der eigenen und von theilnehmender Freude strahlen sah, erhob er seine Hände gegen den Altar und rief mit schwacher Stimme:

– Gott, mein Herr! du hast mir meinen Sohn wiedergegeben.

Und beide, von dem gleichen Gedanken ergriffen, fingen an, mit lauter Stimme Vers um Vers den schönen Lobgesang Simeons herzusagen: »Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren u. s. w.«

Man beschloß, Albert nicht zu wecken. Man rief den Freiherrn, den Kaplan und die ganze Dienerschaft, und alles wohnte der Dankmesse in der Schloßkapelle andächtig bei. Amalie erfuhr die Wiederkehr ihres Cousins mit unverstellter Freude; aber sie fand es sehr unbillig, daß man sie, um dieses glückliche Ereigniß fromm zu begehen, um fünf Uhr Morgens aus dem Bette holte, und ihr eine Messe hinunterzuwürgen gab, bei welcher sie vor Gähnen umkommen mußte.

– Warum hat sich Ihre Freundin, die gute Porporina, nicht mit uns vereinigt, um der Vorsehung zu danken? fragte Graf Christian seine Nichte, als die Messe beendet war.

– Ich habe sie wecken wollen, antwortete Amalie. Ich habe sie angerufen, geschüttelt und auf alle Weise zu ermuntern gesucht, aber ich konnte sie durchaus nicht dazu bringen, mich zu hören oder auch nur die Augen zu öffnen. Wenn sie nicht glühend heiß und roth wie Feuer gewesen wäre, so hätte ich sie für todt gehalten. Sie muß die Nacht schlecht geschlafen haben und im Fieber liegen.

– So ist sie krank, die würdige Person, hob der alte Graf wieder an. Meine liebe Schwester Wenceslawa, du solltest wohl einmal nach ihr sehen und ihr die Hülfe leisten, die ihr Zustand erfordert. Gott behüte uns, daß ein so schöner Tag uns durch das Uebelbefinden dieses edeln Mädchens getrübt würde!

– Ich werde gleich sehen, Bruder! versetzte das Stiftsfräulein, das nichts was Consuelo betraf mehr sagte oder that, ohne zuvor den Blick des Kaplans zu befragen. Aber mache dir keine Unruhe, Christian! es wird nichts zu bedeuten haben. Die Signora Nina hat sehr reizbare Nerven. Sie wird bald wieder hergestellt sein.

– Ist es aber nicht doch sonderbar, sagte sie gleich darauf zu dem Kaplan, als sie ihn bei Seite nehmen konnte, daß dieses Mädchen Albert's Wiederkunft so zuversichtlich und richtig vorhergesagt hat? Herr Kaplan, wir haben uns doch vielleicht in Betreff ihrer geirrt. Sie ist vielleicht eine Heilige, die Offenbarungen hat.

– Eine Heilige wäre doch wohl gekommen, die Messe zu hören, anstatt in einem solchen Augenblicke das Fieber zu kriegen, wendete der Kaplan mit bedeutungsvoller Miene ein.

Dieses triftige Argument entriß dem Stiftsfräulein einen Seufzer. Sie ging nichts desto weniger nach Consuelo zu sehen, die sie im glühendsten Fieber und von einer unbegreiflichen Schlafsucht befallen fand. Der Kaplan wurde gerufen und erklärte, daß es bedenklich wäre, wenn dieses Fieber anhielte. Er fragte die junge Baronin, ob ihre Nachbarin während der Nacht sehr unruhig gewesen wäre.

– Nichts weniger! antwortete Amalie, ich habe nicht gehört, daß sie sich gerührt hätte. Ich hatte mich darauf gefaßt gemacht, nach allen den Weissagungen und schönen Geschichten, die sie uns in den letzten Tagen aufgetischt hatte, daß es in ihrem Zimmer einen Hexensabbat geben würde. Aber der Teufel muß sie weit hinweg getragen haben, oder sie hat mit sehr gut abgerichteten Kobolden zu thun, denn sie hat sich meines Wissens nicht geregt und mein Schlaf ist keinen Augenblick gestört worden.

Diese Späße däuchten dem Kaplan sehr unschmackhaft, und das Stiftsfräulein, bei der das gute Herz die Verkehrtheiten des Verstandes überwog, fand sie am Kopfkissen einer schwer erkrankten Freundin übel angebracht. Sie ließ es sich indessen nicht merken, indem sie die Gereiztheit ihrer Nichte einer nur zu gegründeten Eifersucht beimaß, und fragte den Kaplan, was für Arzneien man der Porporina geben sollte.

Er verordnete ein niederschlagendes Pulver, das man ihr aber nicht beibringen konnte. Ihre Zähne waren zusammengeklemmt und ihre blauen Lippen wiesen alles Flüssige zurück. Der Kaplan erklärte dies für ein schlimmes Zeichen. Aber mit jener Schläfrigkeit, welche leider in diesem ganzen Hause nur zu herrschend war, verschob er seinen Ausspruch über den Zustand der Kranken bis auf weitere Untersuchung. »Es wird sich zeigen; man muß es abwarten; es läßt sich noch nichts sagen;« das waren so die Lieblingsantworten des beschorenen Aeskulap.

– Wenn es so fortgeht, sagte er, während er Consuelo's Zimmer verließ, so wird man daran denken müssen, einen Arzt zu rufen; denn ich will es nicht auf mich nehmen, einen so absonderlichen Fall von Gemüthskrankheit zu behandeln. Ich will für die Demoiselle beten und es könnte an dem sein, daß wir, in Betracht der Seelenverfassung, worin dieselbige sich in dieser letzteren Zeit befunden hat, von Gott allein wirksamere Hülfe zu gewärtigen hätten, denn von der Heilkunst.

Man ließ eine Magd bei Consuelo und schickte sich zum Frühstück an. Das Stiftsfräulein knetete den vortrefflichsten Kuchen, der je aus ihren kundigen Händen hervorgegangen war. Sie schmeichelte sich, daß Albert nach langem Fasten seine Lieblingsspeise mit Freuden genießen würde. Die schöne Amalie machte eine reizende Toilette, denn sie sagte sich, es möchte doch vielleicht ihrem Vetter ein Bischen leid thun, sie gekränkt und erzürnt zu haben, wenn er sie beim Wiedersehen so verführerisch fände. Jedes dachte darauf, dem jungen Grafen eine angenehme Ueberraschung zu bereiten, und das einzige Wesen, mit dem man sich hätte beschäftigen müssen, vergaß man, die arme Consuelo, der man seine Rückkehr verdankte und die zu finden Albert voller Ungeduld sein mußte.

Albert erwachte bald, und statt unnützer Anstrengungen, um sich die Ereignisse der Nacht zurückzurufen, wie er sie nach den Anwandlungen von Irrsinn, die ihn in seine unterirdische Wohnung trieben, sonst immer machen mußte, fand er diesesmal die Erinnerung seiner Liebe und des Glückes, das ihm Consuelo geschenkt hatte, augenblicklich wieder. Er stand schnell auf, kleidete sich an, parfümirte sich und eilte, sich in die Arme seines Vaters und seiner Tante zu werfen.

Die Freude dieser guten Leute stieg auf den höchsten Gipfel, als sie sahen, daß Albert bei voller Vernunft war, daß er von seiner langen Abwesenheit wußte und sie angelegentlich und zärtlich um Verzeihung bat, indem er versprach, ihnen nicht wieder diesen Kummer und diese Unruhe zu bereiten.

Er sah, wie seine Rückkehr zum wirklichen Bewußtsein sie entzückte. Aber er merkte auch, wie hartnäckig man sich befliß, ihn zu schonen, ihm seinen Zustand zu verbergen, und er fühlte sich ein wenig gedemüthigt, daß man ihn wie ein Kind behandelte, da er sich wieder Mann geworden fühlte. Er unterwarf sich dieser, für das Unrecht, welches er gethan, zu leichten Strafe, indem er sich sagte, daß es eine heilsame Erinnerung wäre und daß es ihm Consuelo Dank wissen würde, wenn er sie verstünde und annähme.

Als er sich unter den Zärtlichkeiten, Freudenthränen und Liebesbeweisen der Seinigen zu Tische setzte, suchte er mit ängstlichem Blicke sie, die ihm zu seinem Leben und zu seiner Ruhe unentbehrlich geworden war. Er sah ihren Platz leer und getraute sich nicht, zu fragen, weshalb die Porporina nicht herunterkäme.

Das Stiftsfräulein jedoch, das ihn jedesmal, wenn sich die Thür öffnete, den Kopf wenden und unruhig werden sah, glaubte jede Besorgniß von ihm fern halten zu müssen und sagte ihm, ihr junger Gast habe schlecht geschlafen, ruhete noch und wollte einen Theil des Tages im Bette bleiben.

Albert konnte sich wohl vorstellen, wie abgemattet seine Retterin sein müßte, dennoch malte sich bei dieser Nachricht der Schrecken auf seinem Gesichte.

– Tante, sagte er, da er seine Unruhe nicht länger bemeistern konnte, ich denke doch, wenn die Adoptivtochter Porpora's ernstlich krank wäre, so würden wir nicht alle hier ruhig um einen Tisch sitzen und essen und schwatzen.

– Beruhige dich doch, Albert! sagte Amalie, roth vor Verdruß, die Nina ist dabei, von dir zu träumen und deine Wiederkunft zu prophezeien, die sie schlafend abwartet, während wir sie hier voll Freude feiern.

Albert erblaßte und schleuderte seiner Cousine einen zerschmetternden Blick zu:

– Wenn Jemand hier mich schlafend erwartet hat, so ist es gewiß nicht die Person, die Sie nennen, sie, die den Dank dafür verdient. Aber Ihre frischen Backen, schöne Cousine, bezeugen, daß Sie in meiner Abwesenheit keine Stunde Ihres Schlafes geopfert und jetzt nicht nöthig haben, sich auch endlich einen Augenblick der Ruhe zu gönnen. Ich danke Ihnen herzlich dafür, denn es würde mir sehr peinlich sein, Sie um Verzeihung zu bitten, wie ich alle übrigen Glieder und Freunde meiner Familie mit Schmerz und Reue um Verzeihung bitte.

– Großen Dank für die Ausnahme, versetzte Amalie, feuerroth vor Zorn, ich werde mich bemühen, sie stets zu verdienen, indem ich meine Nachtwachen und meine Sorgen für Einen aufspare, der sie mir Dank weiß und nicht damit sein Spiel treibt.

Dieser Wortwechsel, der zwischen Albert und seiner Braut nichts Neues war, an den aber beide Theile diesesmal eine ungewöhnliche Lebhaftigkeit setzten, machte, ungeachtet aller Mühe, die man sich gab, Albert nicht weiter daran denken zu lassen, daß Zwang und Verstimmung den ganzen Morgen herrschten.

Das Stiftsfräulein ging mehrmals, um nach der Kranken zu sehen, und fand sie jedesmal glühender und kränker. Amalie, die Albert's Unruhe wie eine persönliche Beleidigung aufnahm, ging in ihr Zimmer, um zu weinen. Der Kaplan sprach sich gegen das Stiftsfräulein dahin aus, daß, wenn das Fieber nicht bis gegen Abend wiche, nach dem Arzte geschickt werden müßte.

Graf Christian hielt seinen Sohn bei sich zurück, um ihn zu zerstreuen, da er sein gedankenvolles Wesen nicht begriff und noch für krankhaft hielt. Während er ihn aber durch liebevolle Worte an seine Seite fesselte, fand der gute Greis nicht den geringsten Gegenstand der Unterhaltung, nichts, um diesen Geist zu beschäftigen, den er nie hatte tiefer erforschen mögen, aus Furcht, von einem dem seinigen überlegenen Verstande in Sachen der Religion überwältigt und bestochen zu werden.

Zwar sah Graf Christian für einen Irrwahn jenes helle Licht an, welches unter Albert's Abentheuerlichkeiten stets hervorbrach und dessen Glanz die schwachen Augen eines strengen Katholiken freilich nicht ertragen konnten, aber er verhärtete sich dennoch gegen den Zug seines Herzens, das ihn antrieb, ernstlicher mit Fragen in Albert zu dringen. Jedesmal, wenn er den Versuch unternommen hatte, ihn von seinen Ketzereien zurückzuführen, war er durch seines Sohnes klare und bestimmte Gründe zum Schweigen gebracht worden. Er war von Natur nicht beredt. Er besaß nicht jene klingende Wortfülle, womit sich ein Disput unterhalten läßt, noch weniger die Gabe der Sophisterei, durch welche man in Ermangelung einer gesunden Logik sich ein gründliches Ansehen giebt und mit dem Scheine der Ueberzeugung imponirt. Ehrlich und bescheiden ließ er sich bald den Mund schließen, er bedauerte es, sich in seiner Jugend nicht mit den Thatsachen der Erkenntniß beschäftigt zu haben, die ihm Albert entgegenhielt, und sich damit tröstend, daß in den Tiefen der Theologie Schätze von Wahrheit verborgen lägen, durch die ein Geschickterer und ein Gelehrterer als er leicht Albert's Ketzerei zu Boden schlagen könnte, klammerte er sich an seinen einen Augenblick erschütterten Glauben fest und zog sich vor der Anforderung seines Gewissens, kräftiger aufzutreten, hinter seine Unwissenheit und seine Einfalt zurück, die den Rebellen nur noch übermüthiger und das Uebel nur noch ärger machen müßten.

Ihr Gespräch, zwanzigmal durch eine Art gegenseitiger Scheu unterbrochen und zwanzigmal mit Anstrengung beiderseits wieder aufgenommen, erstarb zuletzt in sich selbst. Der alte Christian schlummerte auf seinem Lehnstuhle ein und Albert verließ ihn, um sich nach Consuelo's Befinden zu erkundigen, welches ihn immer mehr beunruhigte, je mehr man es ihm zu verbergen suchte.

Er irrte länger als zwei Stunden in den Corridoren des Schlosses umher, und fing das Stiftsfräulein und den Kaplan im Vorübergehen auf, um Nachricht von Consuelo zu erhalten. Der Kaplan antwortete ihm stets nur kurz und zurückhaltend; das Stiftsfräulein gab sich, sobald sie seiner ansichtig wurde, eine lächelnde Miene, und fing geflissentlich von andern Dingen zu reden an, um ihn durch einen Schein von Gleichgültigkeit zu täuschen. Aber Albert bemerkte dennoch, daß sie sich zu beunruhigen anfing, daß sie häufigere Gänge nach Consuelo's Zimmer machte; es fiel ihm auch auf, daß man kein Bedenken trug, jeden Augenblick die Thüren zu öffnen und zu schließen, als ob dieser angeblich ruhige und so nöthige Schlaf durch das Geräusch und Hin- und Hergehen nicht zu stören gewesen wäre. Er wagte sich bis an das Zimmer selbst, in welches er für sein Leben gern nur einen Augenblick eingetreten wäre. Man gelangte durch ein Vorgemach hinein und zwei feste Thüren trennten es vom Corridor, welche weder dem Ohre noch dem Auge Zugang verstatteten.

Wenceslawa, die seine Versuche merkte, hatte alles verschlossen und verriegelt und ging zu der Kranken nur durch Amaliens Zimmer, wo Erkundigung zu holen Albert sich schwerlich überwinden konnte. Da sie ihn endlich ganz ungeduldig werden sah und einen Rückfall seines Uebels fürchtete, entschloß sie sich, ihn zu belügen; und Gott in ihrem Herzen um Verzeihung bittend, erzählte sie ihm, es ginge mit der Kranken schon viel besser und sie hätte sich vorgenommen, herunter zu Tische zu kommen.

Albert setzte kein Mißtrauen in das Wort seiner Tante, deren reine Lippen noch nie wie eben jetzt die Wahrheit offenbar verrathen hatten, und ging zu dem alten Grafen, während er im Stillen sehnlich die Stunde herbeiwünschte, die ihm Consuelo und sein Glück wiedergeben sollte.

Aber die Stunde schlug vergebens; Consuelo erschien nicht. Das Stiftsfräulein, mit schnellem Fortschritt in der Kunst zu lügen, berichtete, sie wäre aufgestanden, hätte sich aber doch noch etwas schwach gefühlt und zöge es vor, auf ihrer Stube zu essen. Man trieb die Verstellung so weit, daß man einiges von den besten Gerichten auswählte und hinaufschickte. Diese Künste siegten über Albert's Angst. Er war zwar äußerst niedergeschlagen und als ahnte er ein unerhörtes Unglück, aber er bezwang sich und gab sich Mühe, ruhig zu scheinen.

Am Abend kam Wenceslawa mit einer Heiterkeit, die fast wirklich nicht verstellt war, und sagte, die Porporina wäre wieder wohl, sie hätte keine Hitze mehr, ihr Puls wäre mehr schwach als voll, und sie würde gewiß ganz herrlich schlafen.

– Aber was macht mich nur starr vor Schreck, ungeachtet dieser erfreulichen Nachrichten? fragte sich der junge Graf, als er zur gewohnten Stunde seinen Angehörigen gute Nacht wünschte.

Die Sache war, daß das gute Stiftsfräulein, das ungeachtet seiner Magerkeit und Verwachsenheit niemals krank gewesen war, von Krankheiten nicht das geringste verstand. Sie hatte gesehen, wie Consuelo von flammender Röthe zu einer bläulichen Blässe überging, wie das aufgeregte Blut in den Adern stockte, und die Brust, zu beengt, um sich in der Anstrengung des Athmens zu heben, still und unbeweglich schien. Sie hatte sie in diesem Augenblicke für hergestellt gehalten und sich beeilt, die gute Nachricht mit kindischer Zuversicht den Andern zuzutragen.

Aber der Kaplan, der etwas mehr von der Sache verstand, sah wohl ein, daß diese scheinbare Ruhe der Vorläufer einer heftigen Krise sein würde. Sobald Albert sich entfernt hatte, sagte er zu dem Stiftsfräulein, es sei nun Zeit, den Arzt holen zu lassen. Zum Unglück war es weit bis zur Stadt, die Nacht finster, der Weg abscheulich, und Hans, ungeachtet seines Diensteifers, sehr langsam. Es fing zu stürmen an und der Regen floß in Strömen herab. Der alte Gaul, den der alte Hausdiener ritt, scheute und strauchelte wohl zwanzigmal und verlief sich zuletzt im Walde mit seinem furchtsamen Reiter, der jeden Hügel für den Schreckenstein und jeden Blitz für den Flammenschweif eines bösen Geistes ansah. Es wurde Tag, ehe sich Hans wieder auf den Weg fand, und er ließ nun sein Thier austraben, so gut es konnte. Er erreichte die Stadt und fand den Doctor noch im besten Morgenschlafe; dieser wurde geweckt, zog sich gemächlich an und machte sich auf den Weg. Mit dem allen hatte man vierundzwanzig Stunden verloren.

Albert versuchte es, zu schlafen; umsonst! eine peinigende Unruhe und das Geheul des Sturms hielten ihn die ganze Nacht wach. Er wagte nicht, hinunterzugehen, aus Furcht, seiner Tante wieder Anstoß zu geben, die ihm schon am Morgen über die Unschicklichkeit, sich so zu der Wohnung der beiden Demoiselles zu drängen, den Text gelesen hatte; er ließ seine Thür offen stehen und hörte mehrmals in dem untern Stockwerke gehen. Er rannte zur Treppe, aber da er Niemand sah und nichts mehr hörte, so zwang er sich, ruhig zu bleiben und das täuschende Geräusch, das ihn erschreckt hatte, dem Wind und Regen beizumessen.

Seit Consuelo es ihm befohlen hatte, wachte er über seine Vernunft, über seine geistige Gesundheit mit Geduld, mit Festigkeit. Er bekämpfte Unruhe und Angst und suchte über seine Liebe Herr zu werden durch die Macht seiner Liebe selbst.

Plötzlich aber dringt durch das Rollen des Donners und das Krachen des unter der Gewalt des Sturms ächzenden Gebälks hindurch ein langer, schneidender Schrei zu ihm auf, der ihm das Herz durchbohrt.

Albert, der sich angekleidet auf das Bett geworfen hatte, Willens einzuschlafen, springt empor, stürzt hinaus, wie ein Pfeil die Treppe hinab und klopft an Consuelo's Thür. Alles still, es öffnet Niemand.

Albert glaubte wiederum, geträumt zu haben, als ein zweiter Schrei, noch gellender, noch schrecklicher als der erste, ihm das Herz zerreißt. Er besinnt sich nicht, rennt durch einen dunkeln Corridor, erreicht und schüttelt Amaliens Thür, seinen Namen nennend. Er hört einen Riegel vorschieben und Amaliens Stimme ruft ihm gebieterisch zu, sich zu entfernen.

Inzwischen verdoppelt sich das Schreien und Wimmern: es ist Consuelo's Stimme in der fürchterlichsten Fieberangst. Er hört seinen Namen sich verzweiflungsvoll dem angebeteten Munde entwinden.

Wüthend wirft er sich auf die Thür, sprengt Schloß und Riegel, Amalien, die die gekränkte Schamhafte spielen will, weil sie sich im Damastschlafrock und Spitzenhäubchen überrascht sieht, wirft er so bei Seite, daß sie auf ihren Divan niederfällt, und stürzt sich bleich wie ein Geist mit hochgesträubten Haaren in Consuelo's Zimmer.

5.

Consuelo rang in fürchterlicher Raserei des Fiebers mit den beiden starken Mägden, welche sie hielten und sie kaum verhindern konnten, sich aus dem Bette zu werfen. Gefoltert, wie es in Fällen von Gehirnentzündung zu geschehen pflegt, von entsetzlichen Schreckbildern, wollte das arme Kind den Erscheinungen entfliehen, die auf sie einstürmten. Sie glaubte in den Personen, welche sie zu halten und zu beruhigen suchten, Feinde zu erblicken, Ungeheuer, die nach ihrem Blute dürsteten.

Der Kaplan, der sie jeden Augenblick den Schlägen ihres Uebels erliegen zu sehen glaubte, sagte schon in seiner Herzensangst die Sterbegebete her; sie hielt ihn für Zdenko, der eine Mauer baute, um sie lebendig zu begraben, und dabei seine geisterhaften Lieder murmelte.

Das zitternde Stiftsfräulein, das seine schwachen Kräfte mit denen der andern Frauen vereinigte, um sie im Bette zurückzuhalten, dünkte ihr der zwiefachen Wanda Geist, bald der Schwester Ziska's, bald der Mutter Albert's, die ihr erschienen in der Einsiedelei, um sie zu schelten, daß sie sich ihre Rechte anmaßte und in ihr Reich eindrängte.

Ihre den Anwesenden unverständlichen Ausrufungen, Seufzer und Gebete standen alle in Beziehung zu den Gedanken und Gegenständen, welche sie in der verwichenen Nacht so heftig aufgeregt und erschüttert hatten. Sie hörte den Strom brausen und machte mit ihren Armen die Bewegungen eines Schwimmenden. Sie schüttelte ihr schwarzes Haar, das wild um ihre Schultern hing, und bildete sich ein, von der Flut umstäubt zu sein. Stets glaubte sie, Zdenko sei hinter ihr und im Begriff, die Schleuse aufzuziehen, oder vor ihr, um ihr den Ausweg zu versperren.

Da sie immerfort bildernd von nichts als Wasser und Steinen sprach, so sagte der Kaplan den Kopf schüttelnd:

– Das ist ein sehr langer und ängstlicher Traum. Ich weiß auch gar nicht, was sie sich das Gehirn letztlich so mit dieser Cisterne angefüllt hat: es war sicherlich schon ein Ansatz des Fiebers, denn Sie sehen, daß ihre Phantasie sich beständig um diesen Punkt dreht.

In dem Augenblicke, als Albert ganz außer sich in ihr Zimmer stürzte, ließ Consuelo, erschöpft und matt, nur unverständliche Laute hören, die mit einem wilden Schrei endeten. Da die Kraft ihres Willens die Schrecken nicht mehr beherrschte wie damals, als sie ihnen die Stirn bot, so stürmten diese jetzt in der Einbildung mit ungebrochener, schauderhafter Gewalt auf sie ein.

Sie hatte indessen dabei eine Art Ueberlegung, die sie wieder aus ihren Phantasien selbst nahm, und ließ nicht ab, nach Albert zu rufen mit so heller, hallender Stimme, daß das Haus davon in seinen Grundvesten zu zittern schien; dann löste sich ihr Geschrei in ein anhaltendes Schluchzen auf, das sie zu ersticken schien, indeß ihre starren Augen trocken waren und schauerlich funkelten.

– Ich bin hier! ich bin hier! rief Albert, indem er an ihr Bett sprang.

Consuelo hörte feine Stimme, nahm wieder ihre ganze Kraft zusammen, und indem sie sich sogleich einbildete, er fliehe vor ihr her, riß sie sich aus den Armen, welche sie hielten, mit der Gelenkigkeit und Kraft, die der Fieberzustand dem schwächsten Wesen giebt. Sie schwang sich mitten in das Zimmer mit aufgelöstem Haar, mit bloßen Füßen, in einem leichten, weißen und zerknitterten Nachtkleide, das ihr das Ansehen eines dem Grabe entronnenen Geistes gab, und in dem Augenblicke, wo man sie wieder zu ergreifen meinte, sprang sie über das Spinett, das ihr im Wege war, mit der Behendigkeit einer wilden Katze, stieg auf das Fenster, welches sie für den Ausgang der unglücklichen Cisterne hielt, breitete die Arme aus, und abermals Albert's Namen in die schwarze, stürmische Nacht hinausschreiend, war sie im Begriffe, sich hinabzustürzen, als Albert, noch behender und stärker als sie, mit beiden Armen sie umfaßte und sie auf ihr Bett zurücktrug.

Sie erkannte ihn nicht, aber sie leistete ihm keinen Widerstand und hörte auf zu schreien. Albert drang in sie spanisch redend mit den süßesten Namen und den heißesten Bitten: sie hörte ihn, die Augen starr und ohne ihn zu sehen oder ihm zu antworten; aber auf einmal raffte sie sich auf, gab sich auf ihrem Bette eine kniende Stellung, und begann eine Klausel aus dem Te Deum von Händel zu singen, das sie kurz zuvor gelesen und bewundert hatte.

Nie war ihre Stimme ausdrucksvoller und herrlicher gewesen. Nie hatte sie so schön ausgesehen, als in dieser ekstatischen Stellung mit dem flatternden Haare, mit der fiebrischen Gluth auf den Wangen und mit den Augen, die im Himmel, der nur ihnen offen lag, zu lesen schienen.

Das Stiftsfräulein wurde so ergriffen, daß auch sie am Fuße des Bettes auf die Knie sank und in Thränen zerfloß, und auch der Kaplan neigte, ungeachtet seiner geringen Erregbarkeit, das Haupt, von religiöser Ehrfurcht ergriffen.

Kaum hatte Consuelo ihre Klausel geendet, als sie aus tiefer Brust aufseufzte: eine himmlische Freude glänzte auf ihrem Gesichte.

– Ich bin gerettet! schrie sie und sank rücklings nieder, bleich und kalt wie Marmor, die Augen noch geöffnet, aber erloschen, die Lippen blau und die Arme steif.

Ein Augenblick der Stille und des Grausens folgte diesem Auftritt. Amalie, die auf der Schwelle des Zimmers stehend, regungslos und ohne sich näher zu wagen, diesem schauerlichen Schauspiel beigewohnt hatte, fiel vor Entsetzen in Ohnmacht. Das Stiftsfräulein und die beiden Frauen sprangen hinzu, um sie aufzuheben. Consuelo blieb ausgestreckt und kalt liegen, auf Albert's Arm ruhend, der seine Stirn auf den Busen der Sterbenden gedrückt hatte und nicht mehr Leben als sie selbst verrieth.

Das Stiftsfräulein hatte kaum Amalien auf ihr Bett legen lassen, als sie wieder in Consuelo's Zimmer trat.

– Nun, Herr Kaplan? fragte sie mit kraftloser Stimme.

– Gnädigste, es ist der Tod! antwortete der Kaplan dumpf und ließ Consuelo's Arm fallen, dessen Puls er aufmerksam befragt hatte.

– Nein! es ist nicht der Tod! Nein, tausendmal nein! rief Albert, heftig aufspringend. Ich habe ihr Herz besser befragt, als Sie ihren Arm. Es schlägt noch, sie athmet, sie lebt. O, und sie soll leben! Nicht so, nicht jetzt soll sie enden! Wer hat die Vermessenheit gehabt, zu glauben, daß Gott ihren Tod verhängte! Nein, jetzt ist der Augenblick, sie mit Erfolg zu behandeln. Herr Kaplan, Ihre Schachtel! Ich weiß, was ihr Noth thut, Sie wissen es nicht. Unglücklicher, gehorchen Sie mir! Sie haben ihr nicht geholfen, Sie konnten diese schreckliche Krise abwenden, Sie haben es nicht gethan, Sie haben es nicht gewollt. Ihr habt mir ihre Krankheit verborgen gehalten, ihr habt mich betrogen, Alle! Ihr wolltet sie also zu Grunde richten! Euere elende Aengstlichkeit, euere scheußliche Thatlosigkeit haben euch Zunge und Hände gebunden. Ihre Schachtel, sage ich, und lassen Sie mich machen.

Und da der Kaplan zögerte, ihm die Arzneien anzuvertrauen, die in den unerfahrenen Händen eines überspannten und halbtollen Menschen Gift werden konnten, entriß sie ihm Albert mit Gewalt. Taub gegen die Einwendungen seiner Tante, wählte und mischte er selbst die starken beruhigenden Mittel, welche schnell wirken konnten.

Albert verstand viele Dinge besser als man dachte. Er hatte an sich selbst zu einer Zeit, wo er sich noch über die häufigen Unordnungen seines Gehirns Rechenschaft gab, die Wirkung der kräftigsten niederschlagenden Mittel studirt. Von raschem Blick geleitet, von Muth und Eifer beseelt, gab er Dosen, welche der Kaplan nicht zu empfehlen gewagt hätte. Es gelang ihm mit unglaublicher Geduld und Sanftmuth, die Zähne der Kranken aus einander zu bringen und ihr einige Tropfen der kräftigen Arznei einzuflößen.

Nach Verlauf einer Stunde, während welcher er ihr mehrmals eingab, athmete Consuelo frei; ihre Hände wurden wieder warm und ihre Züge beweglich. Sie hörte und fühlte noch nichts, aber ihre Abspannung war eine Art Schlaf und ihre Lippen färbten sich wieder ein wenig.

Der Arzt langte an, und da er den Fall bedenklich fand, erklärte er, man habe ihn sehr spät gerufen und er stehe für nichts. Man hätte schon am vorigen Abend zur Ader lassen sollen, jetzt sei der Augenblick nicht günstig. Der Aderlaß würde die Krise zurückführen. Es wäre schlimm, schlimm!

– Er wird sie allerdings zurückführen, sagte Albert, aber man muß dennoch Blut lassen.

Der deutsche Arzt, ein schwerfälliger Mann, sehr von sich eingenommen, und gewohnt, in jener Gegend, wo er ohne Nebenbuhler practicirte, wie ein Orakel gehört zu werden, schlug seine dicken Augenlider empor und blinzelte den Menschen an, der sich erkühnte, so den Knoten zu durchschneiden.

– Ich sage, man muß zur Ader lassen, wiederholte Albert mit Nachdruck. Mit oder ohne Aderlaß wird die Krise zurückkehren.

– Mit Verlaub! sagte der Doctor Wetzelius, dieses ist keinesweges so leicht, als Sie zu vermeinen scheinen.

Hierbei lächelte er etwas verächtlich und ironisch.

– Wenn die Krisis nicht wiederkehrt, entgegnete Albert, so ist alles verloren, das müssen Sie wissen. Diese Schlafsucht würde geradesweges zur Lähmung der Nerventhätigkeit, zum Schlagfluß, zum Tode führen. Es ist Ihre Pflicht, sich der Krankheit zu bemächtigen, ihre Gewalt wieder zu wecken, um sie zu bekämpfen, mit einem Wort, zu arbeiten. Wo nicht, wozu sind Sie da? Gebet und Bestattung ist nicht Ihres Amtes. Schlagen Sie die Ader oder ich thue es selbst.

Der Doctor wußte wohl, daß Albert Recht hatte, und er hatte sich selbst sogleich vorgenommen, zur Ader zu lassen, aber es ließ einem Manne von seiner Bedeutung nicht gut, so geschwind seinen Ausspruch zu thun und zu handeln. Da hätte man denken können, daß es ein einfacher, leicht zu entscheidender Fall gewesen wäre, und unser Arzt hatte die Gewohnheit, den Bedenklichen zu spielen und die Verlegenheit auffallend zu machen, um dann wie durch eine plötzliche Eingebung seines Genies zu siegen, damit es wie schon tausend Male bei seinen Kuren hieße: »Es stand so schlimm, daß Doctor Wetzelius selber nicht wußte, was er thun sollte. Kein Anderer hätte so den Nagel auf den Kopf getroffen. Das ist ein Mann! Er weiß immer noch Rath. In Wien selbst ist nicht der Zweite.«

Als er durch Albert's Ungeduld seinen Gang gekreuzt und sich ohne Umstände das Messer in die Hand gegeben sah, hob er an:

– Wenn Sie Arzt sind und hier zu sagen haben, so sehe ich nicht ein, wozu man mich hat rufen lassen, und ich gehe nach Hause.

– Wenn Sie sich nicht entschließen wollen, so lange es noch Zeit, so gehen Sie immerhin! sagte Albert.

Der Doctor Wetzelius fand sich schwer beleidigt, daß man ihn einem unbekannten Collegen beigesellt hatte, der ihm mit so wenig Achtung begegnete, stand auf und begab sich in Amaliens Zimmer, um sich mit den Nerven dieser jungen Person zu beschäftigen, die ihn sogleich verlangt hatte, und sich dem Stiftsfräulein zu empfehlen; aber Wenceslawa hielt ihn zurück.

– Lieber Doctor! sagte sie, Sie dürfen uns in einer solchen Lage nicht im Stiche lassen. Sehen Sie nur, welche Verantwortung auf uns liegt. Mein Neffe hat Sie beleidigt, aber warum wollen Sie die Hitze eines Mannes, der sich so wenig beherrschen kann, ernstlich nehmen! ...

– Wie, war das Graf Albert's fragte der Doctor verblüfft. Ich hätte ihn meiner Tage nicht wieder erkannt. Ist der verändert! ...

– Natürlich! es sind fast zehn Jahre, daß Sie ihn nicht gesehen haben, es hat sich seitdem viel mit ihm geändert.

– Ich glaubte, er wäre gänzlich hergestellt, sagte der Doctor spitz, weil man mich seit seiner Rückkehr kein einziges Mal hat rufen lassen.

– Ach, bester Doctor! Sie wissen, daß Albert sich den Vorschriften der Kunst nie hat fügen wollen.

– Und nun ist er selber Arzt, wie ich sehe?

– Er versteht von allem etwas, aber er behandelt alles mit seiner ungestümen Art. Der schreckliche Zustand, worin er dieses junge Mädchen sah, hat ihn sehr aufgeregt, sonst würden Sie ihn gewiß höflicher, vernünftiger und erkenntlicher für die Bemühungen, die Sie ihm in seiner Kindheit widmeten, gefunden haben.

– Ich besorge, daß er sie jetzt nöthiger hat als jemals, entgegnete der Doctor, der, ungeachtet seines Respects vor der Familie und dem Schlosse, doch lieber dem Stiftsfräulein durch diese harte Aeußerung wehe thun, als seine verächtliche Haltung aufgeben und der kleinen Rache, Albert als einen Tollen zu behandeln, entsagen wollte.

Das Stiftsfräulein empfand diese Grausamkeit um so schmerzlicher, als sie zugleich bedachte, daß der Aerger den Doktor verleiten konnte, den Zustand ihres Neffen, den sie so sorgfältig zu verheimlichen suchte, überall bekannt zu machen. Um ihn zu entwaffnen, verschluckte sie ihre Empfindlichkeit und fragte ihn bescheidentlich, was er von dem Aderlasse dächte, den Albert angerathen hatte.

– Ich denke, daß es in dem Augenblick eine Dummheit ist, sagte der Doctor, welcher sich die Initiative und seinem verehrten Munde den entscheidenden Ausspruch durchaus vorbehalten wollte. Ich werde ein Stündchen warten, oder zwei, ich werde die Kranke nicht aus den Augen lassen, und wenn der Augenblick gekommen sein wird, wäre es auch eher als ich jetzt vermuthen kann, so werde ich handeln; aber in der gegenwärtigen Krisis erlaubt mir die Beschaffenheit des Pulses noch nicht, etwas Bestimmtes zu thun.

– Sie bleiben also? Gesegnet sollen Sie sein, prächtiger Doctor!

– Bei so bewandten Sachen, da mein Widersacher der junge Graf ist, sagte der Doctor mit einem vornehm bemitleidenden Lächeln, so wundre ich mich weiter über nichts und lasse ihn reden.

Er wollte eben wieder in Consuelo's Zimmer gehen, dessen Thüre der Kaplan, damit Albert das Gespräch nicht höre, zugemacht hatte, als der Kaplan ganz bleich und verstört von der Kranken herauskam, und zu dem Doctor eilte.

– Um Gottes willen, Doctor! rief er, kommen Sie, gebrauchen Sie Ihr Ansehen! das meinige gilt bei dem Grafen Albert nichts mehr, und ich glaube, wenn Gott selbst vom Himmel käme, würde er nicht danach fragen. Er hat sich darauf gesetzt, der Sterbenden zur Ader zu lassen, Ihrem Verbot zum Trotze, und er wird es wahrhaftig thun, wofern es uns nicht so oder so gelingt, ihn abzuhalten. Weiß der Himmel, ob er je eine Lanzette in der Hand gehabt hat. Er wird sie verstümmeln, wenn er sie nicht gar auf der Stelle durch eine unzeitige Blutentziehung tödtet.

– Nun seh' Eins! sagte der Doctor in läppischem Tone, sich schwerfällig zur Thüre wiegend mit dem aufgeblasenen Wesen eines Mannes, der sich nichts zu Herzen nimmt. Da können wir eine schöne Bescheerung haben, wenn ich ihm nicht eine Faxe mache, um ihn wieder zu Rechte zu bringen.

Als er aber das Bett erreichte, hatte Albert die Lanzette blutig zwischen den Zähnen; mit der einen Hand hielt er Consuelo's Arm, mit der andern die Schüssel. Die Ader war geöffnet; ein dickes, schwarzes Blut floß reichlich.

Der Kaplan wollte murren, schwören, den Himmel zum Zeugen rufen; der Doctor hatte vor, Albert mit Späßen abzulenken, denn er dachte seine Zeit wahrzunehmen und die Ader zu schließen, um sie bald darauf wieder zu öffnen, wann es sein Eigensinn und seine Eitelkeit gelegen fanden. Aber Albert hielt ihn durch die bloße Gewalt seines Blickes entfernt, und sobald er der Kranken die Masse Blut, welche ihm nöthig schien, entzogen hatte, legte er den Verband mit aller Sicherheit eines geübten Operateurs an; dann legte er Consuelo's Arm behutsam unter die Decke, reichte dem Stiftsfräulein ein Riechfläschchen, um es der Kranken unter die Nase zu halten, und rief den Kaplan und den Doctor in Amaliens Zimmer.

– Meine Herren! sagte er, Sie können der Person nichts nützen, die ich behandele. Unschlüssigkeit oder Vorurtheile lähmen Ihre Thätigkeit und Ihre Einsicht. Ich erkläre Ihnen, daß ich alles auf mich nehme, und daß ich bei der Aufführung eines so ernsten Geschäftes nicht zerstreut und nicht gehindert sein will. Ich bitte Sie demnach, Herr Kaplan, sich mit Ihren Gebeten zu beschäftigen, und Sie Herr Doctor, meiner Cousine etwas zu verordnen. Ich werde es nicht dulden, daß man vom Tode spreche und Anstalten danach mache am Bette einer Person, die in kurzer Zeit zu sich kommen wird. Man möge sich das gesagt sein lassen. Wenn ich hier einen gelehrten Mann beleidige, wenn ich einen Freund verletze, so will ich deswegen um Verzeihung bitten, sobald ich an mich selbst werde denken können.

Dies sagte Albert, in einem sanften, ruhigen Tone, der gegen die Trockenheit der Worte sonderbar abstach, und ging darauf wieder in Consuelo's Zimmer; er schloß die Thür ab, steckte den Schlüssel in die Tasche und sagte zu dem Stiftsfräulein:

– Niemand kommt hier herein, oder geht hinaus, ohne daß ich es heiße.

6.

Die bestürzte Wenceslawa getraute sich kein Wort zu erwiedern. Albert's Miene und Benehmen hatte etwas so Entschiedenes, daß die gute Tante sich fürchtete und ihm instinktmäßig mit einer beispiellosen Pünktlichkeit und Beeifrung zu gehorchen begann.

Der Arzt, der seine Autorität gänzlich mißachtet sah, und keine Lust hatte, wie er später erzählte, sich mit einem Rasenden herumzubalgen, entschied sich weislich nach Hause zu gehen. Der Kaplan machte sich an sein Brevier und Albert, dem seine Tante und die beiden Mägde beistanden, brachte den ganzen Tag am Bette der Kranken zu, ohne in seiner Sorgsamkeit einen Augenblick nachzulassen.

Nach einigen Stunden der Ruhe kehrte die Krisis fast mit derselben Heftigkeit wie in der vergangenen Nacht zurück, aber sie dauerte nicht so lange, und als sie der Wirkung kräftiger Beruhigungsmittel gewichen war, bat Albert das Stiftsfräulein zu Bette zu gehen und ihm nur eine frische Frau zur Hülfe zu schicken, damit sich auch die beiden andern niederlegen könnten.

– Willst du denn nicht ebenfalls ruhen, Albert? fragte Wenceslawa zitternd.

– Nein, liebe Tante, antwortete er; ich habe es nicht nöthig.

– Mein Gott! rief sie, du reibst dich auf, Kind! – Diese Fremde kommt uns wahrlich theuer zu stehen, fügte sie hinzu während sie hinaus ging, durch die Achtlosigkeit des jungen Grafen dreist gemacht.

Albert verstand sich indessen dazu, etwas Speise zu genießen, um sich nicht der Kräfte zu berauben, deren er, wie er wohl einsah, noch bedürfen würde. Er aß stehend im Corridore, das Auge auf die Thür geheftet, und sobald er fertig war, warf er die Serviette auf den Boden und ging wieder in das Zimmer.

Die Thür, welche zu Amalien führte, hatte er verschlossen, und die wenigen Personen, denen er den Zutritt verstattete, mußten über den Corridor gehen. Amalie bestand aber darauf, eingelassen zu werden und gab vor, bei der Wartung ihrer Freundin einige Hülfe leisten zu wollen. Sie benahm sich dabei so ungeschickt und zeigte bei jeder fieberhaften Bewegung Consuelo's eine solche Furcht vor einer Wiederkehr der Zuckungen, daß Albert ungeduldig wurde und sie bat, sie möchte sich um nichts kümmern und sich in ihrem Zimmer mit sich selbst beschäftigen.

– In meinem Zimmer! versetzte Amalie, und wenn es mir auch der Anstand nicht verwehrte zu Bette zu gehen, während du da bist, nur durch eine Thür von mir getrennt und fast bei mir im Zimmer, meinst du denn, daß ich mit diesem Schreien und dieser schrecklichen Todesangst vor den Ohren einen ruhigen Schlaf genießen könnte?

Albert zuckte die Achseln und antwortete ihr, es seien noch Zimmer genug im Schlosse; sie möchte sich das beste aussuchen und Geduld haben, bis man die Kranke in ein Gemach schaffen könnte, wo ihre Nähe Niemanden lästig würde.

Amalie befolgte in vollem Aerger diesen Rath. Der Anblick der zarten, so zu sagen mütterlichen Sorgfalt, mit welcher Albert ihre Nebenbuhlerin behandelte, war ihr peinlicher als alles Uebrige.

– Ach, Tante! rief sie aus, sich dem Stiftsfräulein in die Arme werfend, als diese ihr in ihrem eigenen Zimmer ein Bett neben dem ihrigen hatte zurecht machen lassen, wir haben Albert nicht gekannt. Jetzt zeigt er uns, wie er zu lieben vermag.

Während mehrer Tage schwebte Consuelo zwischen Leben und Tod, aber Albert bekämpfte die Krankheit mit einer Ausdauer und Geschicklichkeit, die ihr obsiegen mußten. Er führte Consuelo glücklich durch diese schwere Probe, und sobald sie außer Gefahr war, ließ er sie in einen Thurm des Schlosses bringen, der die Sonne länger hatte, und von wo die Aussicht noch schöner und ausgedehnter als von allen übrigen Fenstern war.

Dieses in altem Geschmack möblirte Zimmer sagte auch dem ernsten Sinne Consuelo's mehr zu als jenes, das man ihr zuerst angewiesen hatte, und sie hatte schon früher den Wunsch durchblicken lassen, es zu bewohnen. Sie war dort sicher vor der Zudringlichkeit ihrer Gefährtin, und konnte ungeachtet der beständigen Gegenwart einer Frau, die man jeden Abend und jeden Morgen ablöste, die sanft und langsam hinfließenden Tage ihrer Genesung gewissermaßen allein mit ihrem Retter zubringen.

Sie sprachen stets Spanisch mit einander, und in dieser Sprache, die ihr Geburtsland, Kindheit und Mutter zurückrief, klang der zärtliche und zarte Ausdruck, welchen Albert seiner Liebe gab, süßer in Consuelo's Ohren. Voll lebhaften Dankgefühls, schwach von den überstandenen Leiden, in denen Albert allein ihr beigestanden und mit Erfolg geholfen hatte, überließ sie sich ganz der weichen Ruhe, welche heftigen Krisen zu folgen pflegt.

Ihre Erinnerung kehrte nach und nach zurück, aber noch unter einem Schleier, der sich nicht überall gleichmäßig lüftete. Zum Beispiel, während sie sich mit einer reinen und unschuldigen Freude Albert's Hingebung und Beistand in den wichtigsten Ereignissen ihrer Bekanntschaft vergegenwärtigte, sah sie die Verirrungen seines Verstandes und den nur zu tiefen Ernst seiner Leidenschaft für sie, wie hinter dichten Wolken. Es gab selbst Stunden, wo es ihr, nach der Ermattung des Schlummers oder unter dem Einflusse einschläfernder Mittel so vorkam als ob alles was das Bild ihres großmüthigen Freundes durch besorgliche und ängstigende Vorstellungen trüben konnte, nur eben die Wirkung ihres Träumens wäre.

Sie hatte sich so an seine Gegenwart und Hülfleistung gewöhnt, daß sie, wenn er auf ihre Bitte sich entfernte, um mit der Familie zu speisen, krank und aufgeregt war, bis er wiederkam. Sie bildete sich ein, daß die beruhigenden Arzneien, welche er sie gebrauchen ließ, eine entgegengesetzte Wirkung hätten, sobald er sie nicht selbst ihr eingab, und wenn er sie ihr reichte, so sagte sie zu ihm mit jenem langsamen, tiefen Lächeln, das auf einem schönen, noch halb von den Schatten des Todes bedeckten Gesichte so rührend ist:

– Ich glaube jetzt gern, Albert, daß Sie sich auf Zauberei verstehen; denn Sie dürfen nur einem Tröpfchen Wasser befehlen mir gut zu thun, so überträgt es gleich auf mich die Ruhe und die Kraft die ich an Ihnen sehe.

Albert fühlte sich zum erstenmale in seinem Leben glücklich, und als ob seine Seele mit derselben Heftigkeit die Freude wie den Schmerz ergriffe, war er in dieser Zeit des Entzückens und der Trunkenheit der glücklichste Mensch, den es auf Erden gab. Dieses Zimmer, wo er seine heiß Geliebte jeder Zeit und ohne lästige Zeugen sah, war für ihn ein Paradies geworden.

Nachts, wann er Scheines halber sich zurückgezogen hatte, und wann Alles im Hause zu Bett gegangen war, schlich er leise durch die Gänge, und während die Wärterin, die am Bette der Genesenden wachen sollte, tief eingeschlafen war, stahl er sich hinter das Bett seiner geliebten Consuelo und sah sie schlummern, bleich und geknickt wie eine Blume nach dem Sturm.

Er nahm in einem großen Lehnstuhl Platz, den er immer dort stehen hatte, und verbrachte bei ihr die ganze Nacht, so leise schlummernd, daß er bei der geringsten Bewegung der Kranken zu ihr hinüber gebeugt war, um die schwachen Worte aufzufangen die sie lispelte, oder in seine stets bereite Hand die ihrige aufzunehmen die ihn suchte, wenn Consuelo, von irgend einem Traum erschreckt, einen Rest von Unruhe fühlte.

Wachte die Wärterin auf, so sagte ihr Albert jedesmal, er sei so eben gekommen und sie bildete sich ein, daß er seine Kranke ein oder zweimal in der Nacht besuchte, während er in der That keine halbe Stunde in seinem eigenen Zimmer zubrachte. Consuelo theilte diese Einbildung. Obgleich sie Albert's Gegenwart öfter als ihre Hüterin bemerkte, war sie doch noch so schwach, daß sie sich von ihm leicht über die Häufigkeit und Dauer dieser Besuche täuschen ließ. Manchmal mitten in der Nacht, wenn sie ihn bat schlafen zu gehen, sagte er ihr, es sei bald Morgen und er sei eben erst ausgestanden.

Dank diesen zarten Täuschungen, litt Consuelo niemals von seiner Abwesenheit und beunruhigte sich zugleich nicht über die Ermüdung, die er fühlen müßte. Diese Ermüdung war bei dem allen so gering, daß Albert sie gar nicht spürte. Die Liebe giebt dem Schwächsten Kräfte, und außerdem, daß Albert eine ungewöhnliche Stärke der Constitution besaß, hatte nie in einer Menschenbrust eine gewaltigere, lebensvollere Liebe gewohnt.

Als bei der ersten Sonnenwärme sich Consuelo mühsam zu ihrer Chaise Longue am geöffneten Fenster geschleppt hatte, setzte sich Albert hinter sie und suchte in dem Zuge der Wolken oder in dem Purpur des Morgenlichtes die Gedanken zu erhaschen, die der Anblick des Himmels seiner schweigenden Freundin eingab. Manchmal nahm er verstohlen einen Zipfel des Schleiers, der ihren Kopf umhüllte und dessen Ende ein milder Lufthauch gegen die Lehne des Sophas wehete. Albert neigte seine Stirn wie um zu ruhen und preßte seinen Mund auf den Schleier.

Eines Tages, als ihn ihm Consuelo wegzog, um ihn wieder über ihre Brust zu decken, war sie verwundert ihn warm und feucht zu finden, und sich lebhafter als sie seit ihrer Krankheit pflegte, umwendend, überraschte sie die Züge ihres Freundes in ungewöhnlicher Bewegung. Seine Backen waren geröthet, in seinen Augen flammende Glut und seine Brust von heftigem Klopfen gehoben.

Albert bemeisterte schnell seine Aufregung, er hatte aber Zeit gehabt, den Schreck sich auf Consuelo's Antlitz malen zu sehen. Diese Bemerkung betrübte ihn tief. Er hätte sie lieber mit Verachtung und Strenge gewaffnet, als von einem Ueberreste von Furcht und Mißtrauen beklommen sehen mögen. Er nahm sich vor, mit solcher Sorgfalt über sich zu wachen, daß keine Erinnerung an seinen Wahnsinn mehr sie, die ihn mit Gefahr und fast auf Kosten ihrer eignen Vernunft und ihres Lebens davon geheilt hatte, beunruhigen sollte.

Es gelang ihm vermöge einer Gewalt, die einem Menschen im gewöhnlichen Zustande des Bewußtseins nicht zu Gebote gestanden hätte. Seit langer Zeit daran gewöhnt, den Ungestüm seiner Gemüthsbewegungen in sich zurückzudrängen und von seinem Willen einen um so wirksameren Gebrauch zu machen, als ihm diesen oft die räthselhaften Anwandlungen seines Uebels streitig machten, übte er über sich selbst eine Herrschaft, die man ihm gemeinlich nicht hoch genug anrechnete. Man kannte nicht die häufige Wiederkehr und die Stärke der Anfälle, die er jeden Tag zurückschlug, bis zu dem Augenblicke, wo er von der Heftigkeit der Verwirrung und Verzweiflung übermannt, in seine verborgene Höhle floh, auch noch in seiner Niederlage Sieger, indem er soviel Achtung vor sich selbst bewahrte, um den Augen Aller das Schauspiel seines Falles zu entziehen.

Albert litt an einem Wahnsinn der unglücklichsten und achtungswerthesten Art. Er kannte seinen Wahnsinn und fühlte ihn kommen, bis er völlig von ihm umnachtet war. Auch dann noch behielt er inmitten seiner Anfälle eine dunkle Ahnung, ein verworrenes Bewußtsein von einer wirklichen Welt, in welcher er sich nicht eher zeigen wollte, als bis er seinen Zusammenhang mit ihr ganz wiederhergestellt fühlte.

Eine solche dumpfe Erinnerung an das wirkliche, bewußte Leben haben wir alle, wenn ängstliche Träume uns in der Welt der Einbildungen und des Wahns umherwerfen. Wir wehren uns manchmal gegen diese Trugbilder und Schrecken der Nacht, indem wir uns sagen, es sei ja nur ein Alpdrücken, und indem wir Anstrengungen machen uns zu ermuntern; aber eine feindliche Gewalt scheint uns immer wieder zu fassen und in die schreckliche Schwere des Schlafs unterzutauchen, wo immer grauenvollere Gesichte und immer bohrendere Schmerzen uns überfallen und uns martern.

In einem ähnlichen Schwanken verlief das überkräftige und jammervolle Leben dieses verkannten Menschen, den allein eine thätige, zarte, kluge Liebe aus dem Elende, das er sich selber schuf, zu reißen vermochte. Eine solche zärtliche Fürsorge hatte endlich in sein Dasein eingegriffen. Consuelo war in der That die lautere Seele, welche dazu geschaffen schien, den Zugang zu dieser düsteren und bis dahin jeder Theilnahme verschlossenen Seele zu finden. Es lag in der besorgten Theilnahme, die diesem jungen Mädchen Anfangs ein fantastischer Zug ihres Herzens aufgenöthigt hatte, und in der rücksichtsvollen Freundschaft, welche seit ihrer Krankheit die Dankbarkeit ihr einflößte, etwas Lindes, Besänftigendes, Rührendes, wovon gewiß Gott wußte, daß es zu Albert's Heilung ganz vorzüglich dienlich war.

Wenn Consuelo, des Vergangenen uneingedenk, die Glut seiner Leidenschaft getheilt hätte, so ist sehr wahrscheinlich, daß ein in seinem Leben so ganz neues Entzücken, eine so plötzliche Freude ihn höchst schädlich aufgeregt haben würde. Die bescheidene keusche Freundschaft, die sie für ihn hegte, mußte zu seinem Besten langsamer aber sicherer wirken. Es war ein Zügel und eine Wohlthat zugleich; und wenn eine Art Trunkenheit in dem wiedergeborenen Herzen dieses Jünglings herrschte, so mischte sich doch ein Gedanke von Sieg und Opfer hinein, der seinem Grübeln andere Nahrung und seinem Willen ein anderes Ziel gab, als jene, die ihn bisher aufgerieben hatten.

Er empfand zugleich das Glück geliebt zu sein, wie er nie geliebt worden war, den Schmerz nicht mit derselben Glut geliebt zu sein mit der er liebte und die Furcht, dieses Glück zu verlieren, wenn er sich damit nicht zu begnügen schiene. Diese dreifache Wirkung seiner Liebe füllte bald seine Seele so ganz aus, daß kein Raum darin blieb für die Wahngebilde, um welche er sich in Folge seiner Vereinsamung und Unthätigkeit so lange Zeit im Kreise hatte drehen müssen. Er wurde von ihnen wie durch Zauberei befreit, denn er vergaß sie völlig, und das Bild derjenigen, die er liebte, hielt seine Leiden fern und schien sich wie ein Schild vom Himmel zwischen diese und ihn gestellt zu haben.

Die Gemüthsruhe, welche zur Wiederherstellung der jungen Kranken so nöthig war, wurde daher nur sehr wenig und selten durch die innere Aufregung ihres Arztes gestört. Wie der Heros in der Fabel war Consuelo in den Tartarus hinabgestiegen, um ihren Freund zu befreien und sie selbst hatte Graus und Zerstörung mit heraufgebracht. Nun trachtete er seinerseits sie von den schwarzen Gästen, die ihr gefolgt waren, zu erlösen und es gelang ihm dies mit Hülfe zarter Pflege und liebreicher Schonung.

Sie fingen mit einander ein neues Leben an, sich gegenseitig tragend, ohne einen Blick rückwärts zu wagen, denn sie fühlten sich nicht stark genug, sich in Gedanken in die Abgründe zurück zu versetzen, durch welche sie sich herauf gearbeitet hatten. Die Zukunft war ein neuer Abgrund nicht minder unerforschlich und furchtbar, in den sie ebensowenig hinauszuspähen wagten. Aber die Gegenwart, wie eine Gnadenfrist, die ihnen der Himmel verstattete, ließ sich mit Behagen schlürfen.

7.

Es fehlte viel, daß die übrigen Bewohner des Schlosses eben so ruhig gewesen wären. Amalie war wüthend und ließ sich nicht mehr herab, die Kranke ein einzigesmal zu besuchen. Sie vermied es sorgfältig, an Albert ein Wort zu richten, ihn irgend einmal anzublicken, oder auch nur seinen Gruß Morgens und Abends zu erwidern. Das abscheulichste dabei war, daß Albert auf ihren Aerger nicht im Mindesten zu achten schien.

Das Stiftsfräulein sah, daß nun die Leidenschaft ihres Neffen für die »Landstreicherin« augenscheinlich und so zu sagen erklärt war, und hatte keinen ruhigen Augenblick mehr. Sie zermarterte sich um Mittel, der Gefahr und dem Skandal ein Ende zu machen, und hatte zu diesem Behufe lange Konferenzen mit dem Kaplan.

Aber dieser wünschte gar nicht die Verwicklung sich so bald lösen zu sehen. Er war lange in der Familie unnütz und, unbemerkt gewesen. Seine Rolle nahm jetzt wieder eine Art von Wichtigkeit an, er konnte sich dem Vergnügen, zu spioniren, zu entdecken, zu warnen, vorauszusagen, mit einem Worte in den häuslichen Sorgen nach Herzenslust zu wühlen, überlassen, während er sich ein Ansehen gab, als rührte er an nichts und sich vor dem Unwillen des jungen Grafen hinter den Röcken der alten Tante verkroch.

Beide mit einander fanden sie unaufhörlich neue Ursachen zur Besorgniß, zur Vorsicht und nie ein Rettungsmittel. Jeden Tag machte sich die gute Wenceslawa an ihren Neffen mit einer entscheidenden Erklärung auf der Zungenspitze und jeden Tag machte ein spöttisches Lächeln oder ein eisiger Blick das Wort in ihrem Munde sterben und den Plan zerscheitern.

Es verging kein Augenblick, wo sie nicht auf eine Gelegenheit spähete, sich zu Consuelo zu stehlen, um bei ihr auf geschickte Art und mit Festigkeit einen Verweis anzubringen, und jedesmal war Albert, wie durch einen Kobold gewarnt, augenblicklich auf der Schwelle, um mit einem Runzeln seiner Brauen, wie der olympische Jupiter den Zorn und die Kühnheit der seinem lieben Ilion feindlich gesinnten Götter zu beschwören.

Indessen hatte das Stiftsfräulein es doch ein paar male so weit gebracht, das Gespräch mit der Kranken einzufädeln, und da die Augenblicke, wo sie mit ihr allein sein konnte, sich so selten fanden, hatte sie ihre Zeit genützt und ziemlich einfältige Andeutungen fallen lassen, welche sie für sehr bedeutsam hielt.

Consuelo war aber so weit entfernt von dem Ehrgeiz den das Fräulein bei ihr voraussetzte, daß sie nichts davon verstanden hatte. Ihr Erstaunen, ihre unschuldige, offene Miene entwaffneten im Augenblick die gutherzige Wenceslawa, die nie in ihrem Leben einem zutraulichen Tone oder einem herzlichen Schmeichelblick hatte widerstehen können.

Aus der Fassung gebracht eilte sie dann und bekannte dem Kaplan ihre Niederlage; der übrige Theil des Tages ging damit hin, Entschließungen für den folgenden zu fassen.

Inzwischen errieth Albert dieses Getreibe recht gut und sah, daß Consuelo sich zu wundern und zu beunruhigen anfing; er hielt es daher für nöthig, der Sache ein Ende zu machen. Eines Tages lauerte er der Tante im Gange auf, und als sie seine Wachsamkeit zu täuschen und Consuelo allein zu überraschen dachte, stand er in dem Augenblick wo sie die Hand an die Klinke legte, um in das Zimmer der Kranken zu gehen, plötzlich neben ihr.

– Meine gute Tante! sagte er, ihre Hand ergreifend und an seine Lippen drückend; ich habe Ihnen etwas ganz sacht zu sagen, was für Sie von Wichtigkeit ist. Das Leben und die Gesundheit der Person, welche hier nebenan ruht, sind mir kostbarer als mein eigenes Leben und mein eigenes Glück.

Ich weiß sehr wohl, daß Ihr Beichtvater es Ihnen zu einer Gewissenssache macht, meiner Hingebung für sie entgegenzuarbeiten und die Frucht meiner Bemühungen zu zerstören. Sonst hätte Sie Ihr edles Herz nie auf den Gedanken kommen lassen, durch harte Worte und ungerechte Vorwürfe die Wiederherstellung einer Kranken, die sich kaum außer Gefahr befindet, zu vereiteln.

Da aber der Fanatismus oder die Engherzigkeit eines Priesters wohl das Wunder bewirken kann, die herzlichste Liebe und das reinste Mitgefühl in blinde Grausamkeit zu verwandeln, so werde ich mich aus aller Macht der Sünde widersetzen, zu deren Werkzeug meine arme Tante sich hergiebt.

Ich werde meine Kranke Nacht und Tag hüten, ich werde sie keinen Augenblick mehr verlassen, und wenn es ungeachtet meines Eifers gelänge, sie mir zu entreißen, so schwöre ich, bei allem was nach menschlichem Glauben furchtbar ist, daß ich aus dem Hause meiner Väter gehen und nie dahin zurückkehren werde.

Ich denke, daß der Herr Kaplan, nachdem Sie ihm meinen festen Entschluß bekannt gemacht haben, ablassen wird, Sie zu quälen und die großmüthigen Neigungen Ihres mütterlichen Herzens zu unterdrücken.

Wenceslawa konnte in ihrer ersten Bestürzung nur mit einem Thränenstrome antworten. Albert hatte sie bis an das äußerste Ende des Ganges geführt, damit diese Erklärung nicht von Consuelo gehört werden könnte. Sie beschwerte sich nun lebhaft über den widersetzlichen und drohenden Ton, den ihr Neffe gegen sie annähme und wollte die Gelegenheit ergreifen, ihm dass Thörichte seiner Neigung zu einer Person von so niederer Herkunft als Nina zu Gemüth zu führen.

– Tantchen! sagte Albert lächelnd, Sie vergessen, daß, wenn wir aus dem königlichen Blute der Podiebrad hervorgegangen sind, unsere Ahnen nur aus Gnaden der empörten Bauern und der landstreicherischen Söldnerbanden Könige waren. Ein Podiebrad sollte in seiner rühmlichen Abkunft immer nur einen Beweggrund mehr erblicken, sich dem Schwachen und dem Armen anzunähern, denn auf diesem Boden hat seine Macht und Größe zu einer Zeit die nicht entfernt genug ist, um schon vergessen zu sein, Wurzel geschlagen.

Als Wenceslawa diese stürmische Zusammenkunft dem Kaplan hinterbrachte, war er der Meinung, daß man den jungen Grafen nicht mehr durch Berührung der Sache erbittern noch durch Beunruhigung seines Schützlings zu Widersetzlichkeiten reizen sollte.

– Dem Grafen Christian selbst müssen Sie Vorhaltungen machen, sagte er. Das Uebermaß Ihrer Zärtlichkeit hat den jungen Grafen verwöhnt; es ist Zeit, daß Ihre weisen Erinnerungen endlich die Besorgniß des Vaters rege machen, damit der in Betreff der »gefährlichen Person« entscheidende Schritte thue.

– Glauben Sie denn, daß ich an dieses Mittel noch nicht gedacht habe? entgegnete das Stiftsfräulein. Aber mein Bruder hat leider in den vierzehn Tagen daß Albert das letztemal verschwunden war, um vierzehn Jahre gealtert. Sein Geist ist so heruntergestimmt, daß es unmöglich ist, ihm etwas mit halbem Worte begreiflich zu machen. Er scheint sich mit einem gewissen trägen und blinden Widerstande gegen den bloßen Gedanken an einen neuen Kummer zu wehren; er ist froh wie ein Kind, daß er nur seinen Sohn wieder hat und ihn dem Anscheine nach wie einen vernünftigen Menschen reden hört. Er hält ihn für völlig geheilt und bemerkt nicht, daß der arme Albert in eine neue Raserei, weit schlimmer als die erste, gefallen ist. Die Sicherheit meines Bruders in dieser Hinsicht ist so groß, und er ist in ihr so selig, daß ich noch nicht den Muth gewinnen konnte, sie ihm zu zerstören, und ihm über das was vorgeht die Augen zu öffnen. Es scheint mir, daß diese Eröffnung, wenn sie von Ihnen ausginge, mit mehr Ergebung aufgenommen werden, und, von Ihren heiligen Ermahnungen begleitet, wirksamer und weniger schmerzlich sein würde.

– Eine derartige Eröffnung, versetzte der Kaplan, ist zu delikater Natur, um von einem armen Priester wie ich bin, unternommen zu werden. Im Munde einer Schwester wird sie weit besser an ihrer Stelle sein, und Ihro Gnaden werden die Bitterkeit derselben durch den Ausdruck einer Zärtlichkeit versüßen, die ich dem erhabenen Haupte der Familie gewissermaßen in Vertraulichkeit auszudrücken, mir nicht herausnehmen kann.

Es gingen mehre Tage hin, während deren diese beiden gesetzten Personen sich einander die Sorge zuschoben, der Katze die Schelle anzuhängen; indessen dieser Punkt noch unentschieden blieb, wobei sich ihre Bequemlichkeit, ihre gewohnte Thatlosigkeit im Stillen ganz gut standen, machte die Liebe in Albert's Herzen rasche Fortschritte. Consuelo's Kräfte kehrten zusehends wieder, und nichts störte die Süßigkeit eines Umgangs, den die Argusaugen der strengsten Tugendwächter nicht hätten keuscher und zurückhaltender machen können, als er es durch die bloße Wirkung einer wahren Schamhaftigkeit und einer tiefen Liebe war.

8.

Amalie konnte indessen die Demüthigungen, denen sie durch ihre Lage Preis gegeben war, nicht länger ertragen und drang immer lebhafter in ihren Vater, sie nach Prag zurückzubringen. Der Freiherr, welcher das Leben im Walde dem in der Stadt vorzog, versprach ihr alles was sie wollte, und verschob jeden Tag auf morgen die Ankündigung, daß er abreisen wollte und die Zurüstungen.

Das junge Mädchen sah, daß man durchgreifen müßte und verfiel auf ein unerwartetes Mittel. Sie verständigte sich mit ihrem Kammermädchen, einer jungen, ganz pfiffigen und entschlossenen Französin, und eines Morgens, als ihr Vater eben auf die Jagd gehen wollte, bat sie ihn, mit ihr nach dem benachbarten Schlosse einer Dame ihrer Bekanntschaft zu fahren, der sie schon lange einen Besuch schuldig wäre.

Dem Freiherrn war es gar nicht recht behaglich, Flinte und Jagdtasche abzulegen und sich umzukleiden, um den Tag auf andere Art anzuwenden. Aber er schmeichelte sich, daß seine Nachgiebigkeit Amaliens Quälerei für eine kurze Zeit beseitigen, daß die Spazierfahrt ihre üble Laune verscheuchen und sie geneigter machen würde, noch ein Paar Tage länger ohne zu vieles Murren auf Riesenburg zu bleiben. Wenn dieser wackere Herr eine Woche vor sich sah, so glaubte er seine Freiheit auf Lebenszeit gesichert, weiter hinaus reichte seine Berechnung nicht. Er ließ sich also willig finden, seine Hunde wieder in den Zwinger zu schicken und sein Falk Attila kehrte auf seine Stange zurück mit einer verdrießlichen, bösen Miene, die seinem Herrn einen tiefen Seufzer auspreßte.

Der Freiherr steigt endlich mit seiner Tochter ein, und ist schon einen Peitschenknall weit vom Schlosse, wie er unter solchen Umständen pflegt, sanft eingeschlafen. Augenblicklich erhält der Kutscher von Amalien Befehl, umzulenken und nach der nächsten Poststation zu fahren. Nach zwei Stunden gestreckten Laufs ist diese erreicht, und als der Freiherr die Augen aufschlägt, sieht er Postpferde vor seine Kalesche gelegt, und alles fertig um mit ihm auf der Prager Straße davonzufliegen.

Nun! was giebt's? Wo sind wir denn? Wohin fahren wir? Amalie, mein Kind! was bist du zerstreut! Wie? Oder was für ein Einfall, oder was für ein Spaß ist das?

Auf alle diese Fragen ihres Vaters antwortete das junge Fräulein nur mit lautem Gelächter und kindischen Liebkosungen. Als sie endlich den Postillon im Sattel und den Wagen auf dem Sande der Chaussee leicht dahinrollen sah, nahm sie eine ernsthafte Miene an und sprach mit sehr festem Tone also:

– Machen Sie sich um nichts Sorge, lieber Papa! Alle unsere Koffer sind aufs beste gepackt. Die Magazine sind mit allem Nöthigen zur Reise versehen. Blos Ihre Gewehre und Ihre Thiere sind auf Riesenburg geblieben, die Sie in Prag doch nicht gebrauchen, und die Sie ja auch gleich geschickt erhalten können, wenn Sie es verlangen. Onkel Christian wird beim Frühstück einen Brief empfangen; dieser ist so abgefaßt, daß der Onkel die Nothwendigkeit unserer Abreise einsehen muß, ohne daß es ihn sehr betrüben oder auf Sie oder mich böse machen kann.

Jetzt aber bitte ich Sie inständigst um Verzeihung wegen meiner List. Sie haben ja seit vier Wochen eingewilligt das zu thun was ich jetzt wahr mache. Ich handle also nicht gegen Ihren Willen, wenn wir auch in einem Augenblicke nach Prag zurückkehren, wo Sie es sich nicht gerade vorgesetzt hatten, und ich bin überzeugt, daß es Ihnen sehr lieb ist, so aller der Langweiligkeit des Entschlußfassens und Einpackens überhoben zu sein. Meine Lage auf dem Schlosse war unleidlich geworden, ohne daß Sie es bemerkt hatten. Dies ist meine Entschuldigung und meine Rechtfertigung. Bitte, geben Sie mir einen Kuß und sehen Sie mich nicht so grimmig an, daß ich mich ordentlich fürchten muß.

Bei diesen Worten verbiß Amalie, wie auch ihr Mädchen, mit aller Macht das Lachen, denn nie in seinem Leben hatte der Freiherr irgend einem Menschen ein grimmiges Gesicht machen können, wie viel weniger seiner geliebten Tochter. Er machte in diesem Augenblicke vielmehr große verwunderte und, man muß gestehen, vor Staunen etwas dumme Augen. Wenn es ihm auch einigermaßen zuwider war, so mit sich spielen zu lassen und wirklich wehe that, von seinem Bruder und seiner Schwester so jählings und ohne Lebewohl geschieden zu sein, so war er doch so betroffen von der Sache, die er noch gar nicht recht für möglich halten konnte, daß sein Mißvergnügen in der Verwunderung aufging, und er nur sagen konnte:

– Aber wie hast Du es angestellt, das alles zu Stande zu bringen, ohne daß ich eine Ahnung davon hatte? Alle Hagel! daran dachte meine Seele nicht, als ich meine Stiefel abzog und mein Pferd in den Stall brachte, daß ich nach Prag fahren würde, und heut nicht bei meinem Bruder zu Abend essen sollte. Das ist eine schnurrige Geschichte! Nein, das glaubt mir kein Mensch, wenn ich es erzähle ... Aber wo hast du meine Reisemütze gelassen, Amalie? Wie soll ich denn wohl im Wagen schlafen, mit diesem Tressenhut auf dem Kopfe? ...

– Ihre Mütze? da, da, Väterchen! rief der junge Schelm und reichte ihm seine Pelzkappe, die er augenblicklich mit gutmüthigem Behagen auf sein Haupt stülpte.

– Aber die Reiseflasche? He? Daran hast du nicht gedacht, nichtsnützige Kreatur!

– O freilich habe ich daran gedacht, antwortete sie, und langte eine große mit Juchten überzogene und in Silber gefaßte Glasflasche hervor, ich habe sie selbst mit dem besten Ungar aus Tantchens Keller gefüllt. Kosten Sie, es ist Ihre Lieblingssorte.

– Und die Pfeife? und mein türkischer Tabacksbeutel?

– Es ist alles da, antwortete das Kammermädchen; der gnädige Herr finden alles in der Wagentasche. Wir haben an alles gedacht und wir haben nichts versäumt, um dem gnädigen Herrn die Reise angenehm zu machen.

– Na! sagte der Freiherr, sich eine Pfeife stopfend. Ein schändlicher Streich ist es bei dem allen, den du mir da gespielt hast, meine liebe Amalie! machst deinen Vater zum Gespött und bist Schuld daran, daß sich die Leute über mich lustig machen werden.

– Lieber Vater! antwortete Amalie; mache ich mich nicht zum Gespötte in den Augen der Welt, wenn ich mich darauf erpicht stelle, einen liebenswürdigen Cousin zu heirathen, der mich keines Blickes würdigt und unter meinen Augen meiner Musiklehrerin angelegentlich den Hof macht? Ich habe lange genug diese Mißhandlung ausgehalten, und ich weiß nicht, ob es viele Mädchen von meinem Stande, meinem Aeußeren, meinem Alter geben möchte, die nicht einen ernsteren Groll gefaßt hätten. Das weiß ich gewiß, daß Manche die weniger Langeweile auszustehn hat als ich seit achtzehn Monaten hinunterschlucken mußte, der Sache kurz ein Ende macht und davon geht oder sich entführen läßt. Ich nun begnüge mich damit, meinen Vater zu entführen und mit ihm davon zu gehen. Das ist doch wohl anständiger, was meinen Sie, lieber Vater?

– Du hast den Teufel im Leibe! antwortete der Baron und gab seiner Tochter einen Kuß.

Er legte den Rest des Weges sehr vergnügt zurück, trank, tauchte, schlief, und klagte und wunderte sich weiter über nichts.

Dieses Ereigniß machte auf dem Schlosse nicht so großes Aufsehen als die kleine Baronesse sich geschmeichelt hatte. Um mit dem Grafen Albert anzufangen, so hätte der eine Woche hinbringen können, ohne es nur zu bemerken, und als es das Stiftsfräulein ihm ankündigte, sagte er nur:

– Das ist der geistreichste Gedanke, den die geistreiche Amalie gehabt hat, seit sie den Fuß hier ins Haus setzte. Unser guter Onkel, denk ich, wird es nicht lange anstehen lassen, uns wieder zu besuchen.

– Mir thut es leid, daß der Bruder fort ist, sagte der alte Graf. In meinem Alter zählt man nach Wochen, nach Tagen. Was dir nicht lange scheint, Albert, ist für mich eine Ewigkeit, und ich bin dessen nicht so gewiß, wie du, mein Sohn, meinen guten, sorglosen Fritz wiederzusehen. Nun! Amalie hat es gewollt, setzte er hinzu, indem er den merkwürdig schmeichelnd und boshaft zugleich abgefaßten Brief, den die junge Baronesse zurückgelassen hatte, lächelnd wieder zufaltete und bei Seite warf; Weiberzorn verzeiht nicht. Ihr waret nicht für einander gemacht, meine Kinder, und meine schönen Träume sind zerronnen.

Bei diesen Worten sah der alte Christian seinen Sohn mit einer Art wehmüthiger Freundlichkeit an, als hätte er in dessen Augen eine Spur von Bedauern lesen wollen. Aber er fand keine; Albert drückte nur des Vaters Arm zärtlich an sich, ihm zu erkennen zu geben wie dankbar er ihm sei für dieses Verzichten auf einen Plan, der seiner Neigung so entgegengesetzt gewesen.

– Dein Wille geschehe, mein Gott! sagte der Greis, und du mein Sohn, folge deinem Herzen! Du befindest dich wohl, du scheinst jetzt ruhig und glücklich in unserer Mitte. Ich werde zufrieden sterben und die Erkenntlichkeit deines Vaters wird dir Glück bringen, wenn wir nicht mehr bei einander sein werden.

– Reden Sie nicht so, mein Vater! rief der junge Graf, dessen Augen sich sogleich mit Thränen füllten. Ich habe nicht die Kraft, diesen Gedanken zu ertragen.

Dem Stiftsfräulein, das eben weich zu werden anfing, winkte in diesem Augenblicke der Kaplan bedeutsam mit den Augen, worauf er sich erhob und mit gezierter Bescheidenheit aus dem Saale ging. Sie verstand den Wink. Nicht ohne Betrübniß und Angst sagte sie sich, es sei nun Zeit zu reden, und die Augen zudrückend, wie Jemand der sich durch das Fenster hinabstürzt, um der Feuersbrunst zu entrinnen, begann sie stotternd und noch bleicher als sonst, wie folgt:

– Gewiß liebt Albert seinen Vater innig und er möchte gewiß nicht ihm einen tödlichen Kummer verursachen ...

Albert richtete seinen Kopf empor und sah seiner Tante mit so klaren, durchdringenden Augen ins Gesicht, daß sie ihre ganze Fassung verlor und nicht weiter konnte. Der alte Graf schien die wunderliche Anmerkung nicht gehört zu haben, und während der Pause, welche eintrat, zitterte die arme Wenceslawa unter dem Blicke ihres Neffen, wie das Rebhuhn unter dem des Hundes, welcher es gebannt und bezaubert hält.

Aber nach wenigen Minuten erwachte Graf Christian aus seiner Zerstreuung und gab nun seiner Schwester Antwort, gleich als ob sie weiter gesprochen oder als ob er in ihrem Geiste gelesen hätte was sie sagen wollte.

– Liebe Schwester! sagte er, wenn ich dir rathen soll, so quäle dich nicht um Dinge, wovon du nichts verstehst. Du hast in deinem ganzen Leben nicht erfahren, was eine Herzensneigung ist, die strenge Denkungsart einer Stiftsdame kann einem jungen Manne nicht zur Regel dienen.

– Gott im Himmel! murmelte das Fräulein aufs Aeußerste betroffen. Mein Bruder will mich entweder nicht verstehen, oder seine Vernunft und Frömmigkeit haben ihn ganz und gar verlassen. Wie könnte er es aus Schwachheit begünstigen oder leicht nehmen wollen ...

– Nun, was? Vollenden Sie Tante! sagte Albert fest und ernst. Reden Sie, da Sie es sich zur Strafe auferlegt haben. Sprechen Sie Ihre Meinung klar und bestimmt aus! Dieses gezwungene Wesen muß ein Ende nehmen und wir müssen einander kennen.

– Nein, meine Schwester, rede nicht weiter! fiel Graf Christian ein. Du hast mir nichts zu sagen was ich nicht wüßte. Ich weiß schon lange was du willst, ohne daß ich es merken lasse. Es ist noch nicht Zeit, sich über diesen Punkt zu erklären. Wenn es Zeit sein wird, so weiß ich was ich zu thun habe.

Er fing sogleich von andern Dingen zu reden an und ließ das Stiftsfräulein in Bestürzung, Albert in Ungewißheit und Unruhe.

Sobald der Kaplan erfuhr, wie das Haupt der Familie den unbescheidnen Wink, der indirekt von ihm ausging, aufgenommen hatte, gerieth er in Angst. Graf Christian, wie bequem und unschlüssig er auch aussah, war doch nie ein schwacher Mann gewesen. Manchmal hatte man ihn aus seiner Schläfrigkeit plötzlich zu klugem und entschiedenem Handeln übergehen sehen. Der Priester fürchtete zu weit gegangen zu sein und Verweise zu erhalten. Er ließ sich daher angelegen sein, sein Werk so geschwind als möglich zu zerstören und das Stiftsfräulein zu bewegen, daß sie sich nicht weiter in die Sache mischte.

Vierzehn Tage gingen daher ganz still und friedlich hin, und Consuelo hatte keine Ahnung davon, daß sie der Familie zu einem Zankapfel geworden war. Albert pflegte sie mit unausgesetztem Eifer und kündigte ihr Amaliens Abwesenheit als eine blos vorübergehende an, ohne sie die wahre Ursache derselben merken zu lassen. Sie fing an aus dem Zimmer zu gehen, und als sie das erste Mal den Garten besuchte, stützte der alte Christian mit seinem schwachen, zitternden Arme den wankenden Tritt der Genesenden.

9.

Es war ein schöner Tag für Albert, als er seine Geliebte am Arme seines alten Vaters in das Leben zurückkehren sah, und als sie in Gegenwart seiner Familie die Hand ihm reichend, mit einem unaussprechlichen Lächeln sagte:

– Der ist's, der mich gerettet, und mich gewartet hat, als ob ich seine Schwester wäre.

Aber dieser Tag, der Gipfelpunkt seines Glückes, veränderte mit einem Male und weit mehr als er es sich zum Voraus hatte gestehen mögen, seine Beziehungen zu Consuelo. Den Beschäftigungen der Familie sich wieder anschließend und den Gewohnheiten des Hauses zurückgegeben konnte sie nur selten noch mit ihm allein sein.

Der alte Graf, der ihr weit lebhafter zugethan schien als vor ihrer Krankheit, widmete ihr eine Menge von Aufmerksamkeiten mit einer Art väterlicher Zuvorkommenheit, welche sie tief rührte. Das Stiftsfräulein sagte kein Wort mehr, unterließ aber nicht, alle ihre Schritte zu bewachen und bei allen ihren Unterhaltungen mit Albert die dritte Person abzugeben.

Und endlich, da Albert keine Spur von Geistesabwesenheit mehr verrieth, gönnte man sich die Freude, die lange vernachlässigten Verwandten und Nachbarn zu empfangen und sogar einzuladen. Man setzte gewissermaßen einen unschuldigen und zärtlichen Stolz darein, aller Welt zu zeigen, wie gesellig und liebenswürdig der junge Graf von Rudolstadt geworden, und da Consuelo durch Blick und Beispiel ihn aufmunterte, den Wünschen seiner Angehörigen nachzukommen, so mußte er sich wohl in die Rolle des Weltmannes und des gastfreundlichen Wirthes fügen.

Diese schnelle Umwandelung fiel ihm außerordentlich schwer. Er unterwarf sich ihr aus Gehorsam für seine Geliebte. Aber er hätte auch gewünscht, durch längere Zwiegespräche und freiere Herzensergüsse sich dafür belohnt zu sehen. Geduldig hielt er den Zwang und die Fadheit langer Tage aus, um am Abende von ihr ein Wort des Beifalls und des Dankes zu ernten.

Wenn aber Wenceslawa sich wie ein lästiger Kobold zwischen sie drängte und ihm diese unschuldige Freude entriß, so fühlte er, daß seine Seele bitter wurde und daß ihn seine Kraft verließ. Er hatte böse Nächte und oft trat er an die Cisterne, die seit dem Tage, wo er Consuelo herausgetragen hatte, immer voll und klar geblieben war. Finster und gedankenvoll verwünschte er fast sein Gelübde, nicht wieder in die Einsiedelei zurückzukehren. Es war ihm schrecklich, sich unglücklich zu fühlen, ohne ferner das Geheimniß seines Leidens im Schooße der Erde begraben zu dürfen.

Die Entstellung seiner Züge nach solchen schlaflosen Nächten, die vorübergehende, doch immer häufigere Wiederkehr seines düsteren und zerstreuten Wesens mußte seinen Verwandten und seiner Freundin auffallen. Aber diese hatte das Mittel gefunden, die schwarzen Wolken zu verscheuchen und ihre Herrschaft wieder zu ergreifen, so oft sie dieselbe zu verlieren in Gefahr war. Sie sang, und augenblicklich hingerissen oder überwältigt fand der junge Graf in Thränen Erleichterung oder schwang sich zu frischem Muthe auf. Die Wirkung dieses Mittels war unfehlbar und wenn er ihr verstohlen ein Paar Worte sagen konnte, so rief er aus:

– Consuelo, du kennst den Weg zu meiner Seele. Du besitzest die Macht, welche dem großen Haufen versagt ist und besitzest sie mehr als irgend ein Mensch auf Erden. Du redest die Sprache des Himmels, du giebst den seligsten Gefühlen Ausdruck und du verstehst es, die mächtigsten Regungen deiner begeisterten Seele uns Andern mitzutheilen. Singe, singe nur immer, wenn du mich erliegen siehst.

Die Worte, welche du in deinen Gesängen aussprichst, haben für mich wenig Sinn, sie sind nur eine Hieroglyphe, ein kurzes Textwort, über welches sich die Gedanken der Musik verbreiten. Ich höre sie kaum; was ich vernehme, was mir in die Seele dringt, ist deine Stimme, dein Gesang, dein Geist.

Die Musik sagt alles aus, was die Seele Tiefstes und Höchstes träumt und ahnt. In ihr enthüllt sich eine Ordnung von Gedanken und Gefühlen höherer Art, als sie die menschliche Rede auszudrücken vermag. Sie ist die Offenbarung des Unendlichen und wenn du singst, gehöre ich der Menschheit nur noch mit dem an was die Menschheit Göttliches und Ewiges aus des Schöpfers eigenem Wesen schöpfte.

Trost und Ermuthigung, die mir im gemeinen Laufe des Lebens dein Mund versagt, die deinem Busen die Tyrannei der geselligen Verhältnisse mir auszuströmen wehrt, spendet hundertfach mir dein Gesang. Dann ergießest du dich in mich mit deinem ganzen Wesen und meine Seele hat dich ganz in Lust und Schmerz, in Hoffnung und in Angst, in schwelgendem Entzücken und in sehnlichem Vergehn.

Bisweilen sagte Albert dies in Gegenwart der Seinigen auf Spanisch. Allein das offenbare Mißvergnügen, welches diese eigene Art von Beiseiteziehen dem Stiftsfräulein verursachte und das Gefühl für Schicklichkeit, hielten das junge Mädchen ab, darauf zu antworten. Eines Tages endlich traf sie ihn im Garten allein, und da er wieder von dem Glücke anfing, welches sie durch ihren Gesang ihm schenkte, sagte sie:

– Wenn die Musik eine vollkommnere und überzeugendere Sprache ist als die Rede, warum sprechen Sie sie nie mit mir, da Sie sie doch vielleicht noch besser als ich verstehen.

– Was wollen Sie damit sagen, Consuelo? fragte der junge Graf erstaunt. Ich bin nur Musiker, indem ich Sie höre.

– Suchen Sie mich nicht zu hintergehen! antwortete sie. Ich habe nur ein einziges Mal in meinem Leben aus einer Violine einen wahrhaft menschlichen Gesang ziehen hören, und zwar von Ihnen, Albert, in der Grotte unter dem Schreckenstein. Ich habe Sie damals gehört, ehe Sie mich gesehen hatten. Ich habe Ihr Geheimniß belauscht, Sie müssen es mir vergeben und müssen mir diese bewundernswürdige Melodie, von der ich einiges behalten habe, und welche mir neue Schönheiten in der Musik aufschloß, wieder einmal vorspielen.

Consuelo gab mit halber Stimme die Stellen der Melodie an, deren sie sich dunkel erinnerte und die Albert sogleich erkannte.

– Es ist ein Volksgesang, sagte er, auf hussitische Worte. Der Text ist von meinem Ahnherrn Hinko Podiebrad, dem Sohne des Königs Georg, der einer der Dichter unseres Landes war. Wir haben eine Masse wunderherrlicher Gedichte von Georg Streye, Simon Lomnicky und Anderen, welche die kaiserliche Polizei auf den Index gesetzt hat. Diese geistlichen Nationalgesänge, welche von unbekannten Meistern in Musik gesetzt sind, haben sich nicht alle im Munde der Böhmen erhalten. Einige aber hat das Volk aufbewahrt und Zdenko, der mit außerordentlichem Gedächtnisse und musikalischem Sinne begabt ist, weiß aus Ueberlieferung eine große Menge derselben, die ich in Noten gesetzt und gesammelt habe. Sie sind sehr schön, und es wird Ihnen Vergnügen gewähren, sie kennen zu lernen.

Aber ich kann sie Ihnen nur in meiner Einsiedelei vorspielen. Dort habe ich meine Violine und alle meine Noten. Ich besitze sehr kostbare handschriftliche Sammlungen von alten katholischen und protestantischen Meistern. Ich wette, Sie kennen weder Josquin, von dem uns Luther einige Weisen in seinen Chorälen überliefert hat, noch Claude den Jüngeren, noch Arcadelt, noch Georg Rhaw, noch Benedict Ducis, noch Johann von Weiß Josquin des Prés (Jodocus Pratensis, obgleich er gewiß nicht aus Prato, sondern ein Engländer war), Schüler des berühmten Niederländischen Meisters im künstlichen Contrapunkt, des Epoche machenden Johannes Ockenheim (Ockeghem), kam unter Pius VI. (um 1480) nach Rom und leitete kurze Zeit die päpstliche Kapelle, war dann Ludwigs XII. und zuletzt Kaiser Maximilian's Hofkapellmeister bis an seinen Tod (1515). Arcadelt, Sänger der päpstlichen Kapelle, war sein Schüler. Benedictus Ducis, ein sehr geschätzter Componist jener Epoche (Mitte des 16. Jahrh.), lebte zu Ulm. – D. Uebers..

Wird Sie die Begierde, so merkwürdige Sachen kennen zu lernen, nicht verleiten, liebe Consuelo! meine Grotte einmal wieder zu besuchen, aus der ich nun schon so lange verbannt bin, meine Kirche zu sehen, die Sie noch gar nicht kennen?

Während dieser Vorschlag die Neugier der jungen Künstlerin reizte, machte er sie doch zittern. Die furchtbare Grotte erweckte in ihrer Seele Bilder, deren sie sich nicht ohne Schauder erinnern konnte, und der Gedanke, allein mit Albert dahin zurückzukehren, erregte ihr, ungeachtet des Vertrauens, das sie zu ihm gewonnen hatte, eine peinliche Unruhe, die er auf der Stelle bemerkte.

– Sie haben einen Widerwillen gegen diese Wallfahrt, deren Wiederholung Sie mir freilich versprochen haben; gut! reden wir nicht mehr davon! sagte er. Meinem Gelübde treu werde ich sie nicht ohne Sie machen.

– Sie erinnern mich an das meinige, Albert! antwortete sie; ich werde es erfüllen, sobald Sie es verlangen. Aber, mein theurer Doctor, Sie müssen bedenken, daß ich noch nicht die nöthige Kraft dazu habe. Wollen Sie mich daher nicht schon zuvor die merkwürdige Musik sehen und den bewundernswürdigen Künstler, der besser Geige spielt als ich singe, hören lassen?

– Ich weiß nicht, ob Sie scherzen, liebe Schwester! Aber ich weiß, daß Sie mich nicht außerhalb meiner Grotte hören werden. Dort habe ich es versucht, die Sprache meines Herzens diesem Instrumente abzulocken, dessen Macht ich nicht kannte, obgleich ich mehrere Jahre lang für meines Vaters schweres Geld einen Lehrer hatte, der es glänzend und keck behandelte. Dort habe ich gelernt, was Musik ist und was für einen lästerlichen Spott so viele Menschen daraus machen.

Ich muß aber gestehen, daß ich aus meiner Geige keinen Ton ziehen könnte, ohne mich im Geiste vor der Gottheit niederzuwerfen. Selbst wenn ich Sie kalt neben mir sähe, nur auf die Form der Stücke, die ich spiele, achtend und begierig zu untersuchen, ob ich ein bischen Talent mehr oder weniger habe, würde ich so schlecht spielen, daß Sie es schwerlich ertragen könnten. Ich habe dieses mir heilige, dem Lobe des Herrn oder dem Angstruf meines inbrünstigen Gebetes geweihte Instrument nie, seit ich es ein wenig zu behandeln weiß, berührt, ohne mich in die ideale Welt entrückt zu fühlen, und ohne dem geheimnißvollen Zuge einer Eingebung und himmlischen Begeisterung zu folgen, die ich nicht nach Belieben hervorrufen kann und die von mir weicht, ohne daß ich im Stande wäre sie zu beherrschen und festzuhalten. Verlangen Sie von mir, wenn ich bei kaltem Blute bin, das einfachste Thema, und ich werde, wie lebhaft auch mein Wunsch ist Ihnen zu genügen, mich auf nichts besinnen können, ich werde so ungeschickt sein, wie ein Kind, das zum erstenmale den Bogen führt.

– Ich bin nicht unwerth, entgegnete Consuelo, die ihm gespannt und andächtig zugehört hatte, die Art, wie Sie die Musik betrachten, in mich aufzunehmen. Ich hoffe auch, mich Ihrem Gebete mit so gesammeltem und brünstigem Geiste anschließen zu können, daß meine Gegenwart Ihre Begeisterung nicht stören soll. Ach! warum kann mein Lehrer Porpora nicht hören, was Sie über die heilige Kunst sagen, Albert! er würde zu Ihren Füßen liegen. Und dennoch geht dieser große Meister selbst nicht so weit in seiner Strenge wie Sie, und er meint, der Sänger und jeder Tonkünstler müsse einen Antrieb zur Begeisterung in dem Mitgefühle und der Bewunderung seiner Zuhörer suchen.

– So vermengt der Porpora vielleicht doch in der Musik den himmlischen Flug mit dem irdischen Hange, was er auch sage. Vielleicht auch urtheilt er über heilige Musik als Katholik, und ich würde denken wie er, wenn ich auf seinem Standpunkte stünde. Ja, in einer Gemeinschaft des Glaubens und des Geisteslebens mit einem Volke, dessen Gottesdienst der meinige wäre, würde ich in der geistigen Berührung mit diesen gleichgestimmten Gemüthern eine Erhebung finden, die ich bis jetzt gezwungen war, in der Einsamkeit zu suchen und die ich daher nur unvollkommen erreichen konnte. Wenn ich noch einmal das Glück erlange, in einem Gebete nach meinem Herzen, deine göttliche Stimme, Consuelo, mit den Seufzern meiner Geige zu vereinigen, dann ohne Zweifel werde ich mich höher emporschwingen als ich je gekonnt, und mein Gebet wird der Gottheit würdig sein.

Allein vergiß nicht, liebes Kind, daß bis diesen Augenblick mein Glaube allen denen, welche um mich sind, ein Gegenstand des Abscheu's war, und daß er denen, die daran kein Aergerniß nähmen, ein Gegenstand des Spottes sein würde. Dies ist der Grund, weshalb ich, gleich als ein Geheimniß zwischen Gott, dem armen Zdenko und mir, die geringe Gabe, die mir ward, verborgen hielt. Mein Vater liebt die Musik und würde es gern sehen, wenn ich dieses Instrument, das mir so heilig ist, wie es die Sistren waren in den eleusinischen Geheimnissen, zu seiner Erheiterung gebrauchte. Wie würde mir zu Muthe sein, großer Gott! wenn ich Amalien eine Cavatine begleiten müßte und wie würde meinem Vater zu Muthe sein, wenn ich ihm eines dieser alten Hussitenlieder spielte, die so Viele unserer Vorfahren in die Minen und in den Tod gestürzt haben, oder eine der späteren Hymnen unserer lutherischen Väter, von denen er sich abzustammen schämt?

Ach, Consuelo! Neueres leider weiß ich nicht. Es giebt dessen gewiß von großer Schönheit. Was Sie mich von Händel und andern berühmten Meistern, mit deren Werken Sie genährt sind, hören ließen, scheint mir in vieler Hinsicht herrlicher als das, womit ich Sie bekannt machen kann. Allein um diese Musik verstehen zu lernen und mir anzueignen, müßte ich mich mit einer neuen musikalischen Welt erst in Berührung setzen, und nur an Ihrer Hand könnte ich mich entschließen einzutreten, um die so lange mir unbekannten oder von mir verschmähten Schätze zu gewinnen, die Sie über mich mit vollen Händen ausschütten würden.

– Und ich, sagte Consuelo lächelnd, ich glaube, daß ich mich mit dieser Ausbildung nicht befassen würde. Was ich in der Grotte hörte, ist so schön, so groß, so einzig in seiner Art, daß ich fürchten müßte, Sand in einen kristallreinen, diamantenhellen Quell zu schütten. O Albert, ich sehe wohl, daß Sie mehr Musik wissen als ich. Aber wollen Sie mir nicht nun auch ein Wort über diese profane Kunst sagen, von der ich Gewerbe zu machen genöthigt bin? Ich fürchte zu entdecken, daß ich in dieser wie in der andern bis auf den heutigen Tag hinter meiner Aufgabe zurückgeblieben bin, indem ich mit der nämlichen Unwissenheit und dem nämlichen Leichtsinne daran ging.

– Ich bin weit entfernt, das zu glauben, Consuelo! ich sehe Ihre Aufgabe als eine heilige an, und wie Ihr Gewerbe das herrlichste ist, dem ein Weib sich widmen kann, so ist Ihre Seele die würdigste, ein solches Priesterthum zu verwalten.

– Halt, halt, lieber Graf, antwortete Consuelo lächelnd. Aus dem, was ich Ihnen oft von dem Kloster erzählte, wo ich die Musik erlernt habe, und von der Kirche, wo ich des Herrn Lob sang, schließen Sie vermuthlich, daß ich mich dem Dienste des Altars oder dem bescheidenen Amte des Unterrichtens im Kloster gewidmet hätte. Aber wenn ich Ihnen nun sagte, daß die Zingarella, wie es sich für ihren Stand schickt, von Kindheit auf dem Zufalle geweihet war, und daß ihre ganze Ausbildung ein Gemisch von heiligen und profanen Studien gewesen ist, auf die ihr Eifer sich mit gleicher Lebhaftigkeit warf, unbesorgt darum, ob er zur Kirche oder zum Theater führen würde ...

– Gewiß ist, daß dir Gott sein Siegel auf die Stirn gedrückt und dich von Mutterleib an für ein heiliges Wirken auserkoren hat, was kümmert mich der Wandel menschlicher Dinge? Nein, ich bin überzeugt, daß du so heilig auf dem Theater wie im Kloster sein mußt.

– Wie? Der strenge Ernst Ihrer Gesinnung bebt nicht vor der Berührung mit einer Schauspielerin zurück?

– Im Morgenrothe der Religionen, sagte er, sind Theater und Tempel gleichermaßen heilige Stätten. In der Reinheit der ursprünglichen Vorstellungen sind die Bräuche des Gottesdienstes ein Schauspiel für die Völker; am Fuße der Altäre steht die Wiege der Künste; der Tanz selbst, diese Kunst, mit der sich heute nur der Gedanke unreiner Lust verbindet, ist die Musik der Leiblichkeit bei den Festen der Götter. Musik und Poesie sind die höchsten Ausdrucksformen des Glaubens, und das mit Geist und Schönheit begabte Weib ist Priesterin, Sibylle, Weihespenderin.

Diesen ernsten, edlen Formen der Vorzeit sind sündhafte und abgeschmackte Unterscheidungen gefolgt. Die römische Religion hat die Schönheit von ihren Heiligthümern und das Weib von ihren feierlichen Bräuchen ausgeschlossen; anstatt die Liebe zu adeln und zu heiligen, hat sie sie verdammt und ausgeschlossen. Die Schönheit, das Weib, die Liebe konnten ihre Herrschaft nicht verlieren. Die Menschen haben ihnen andere Tempel aufgerichtet, welche sie Theater nannten und wo nun keine Gottheit mehr den Vorsitz führt.

Ist es Ihre Schuld, Consuelo, wenn diese Gymnasien des Geistes Höhlen der Verderbniß geworden sind? Die Natur, die ihre Wunder vollendet, unbesorgt um die Aufnahme, welche ihre Meisterstücke unter den Menschen finden werden, bildete Sie, um unter den Frauen hervorzuleuchten und über die Welt die Schätze der Kunstfülle und des Genius auszugießen. Aber Kloster und Grab ist einerlei. Sie durften nicht, ohne einen Selbstmord zu begehen, die Geschenke der Vorsehung vergraben. Sie mußten in einer freieren Luft Ihren Aufflug nehmen.

Es giebt solche Wesenheiten, zu deren Natur es gehört, sich zu offenbaren; der Trieb ihrer Natur reißt sie unwiderstehlich dazu fort; und Gottes Wille ist in dieser Hinsicht so bestimmt, daß er ihnen die Fähigkeiten, welche er ihnen verliehen hat, entzieht, sobald sie deren Anwendung mißkennen. Der Künstler geht unter und stirbt hin in der Verborgenheit, gleich wie der Denker in vollendeter Einsamkeit sich verirrt und verwildert, und wie jeder Menschengeist in der Abgeschlossenheit und Zurückgezogenheit entartet und zu Grunde geht.

Drum besteigen Sie die Bühne, Consuelo, wenn es Ihr Wille ist, und unterziehen Sie sich der anscheinenden Entwürdigung mit der Ergebenheit einer frommen Seele, die geschaffen ist zu leiden, ihr Vaterland vergeblich zu suchen in dieser heutigen Welt, und doch gezwungen, das Dunkel der Verborgenheit zu fliehen, welche ihr Lebenselement nicht ist und aus welcher sie das Wehen des heiligen Geistes mit Macht hinaustreibt.

In dieser Weise sprach Albert noch lange mit Feuer, Consuelo schnellen Schrittes unter den Laubgängen des Parks mit sich ziehend. Es war nicht schwer, ihr die Begeisterung mitzutheilen, von welcher er für die Kunst durchdrungen war, und ihr die Abneigung in Vergessenheit zu bringen, die sie zuerst empfunden hatte, in die Grotte zurückzukehren. Sie sah nicht nur, wie sehnlich er es wünschte, sie fing auch selbst zu wünschen an, lange genug mit ihm allein zu sein, um die Gedanken zu vernehmen, welche dieser zugleich so glühende und so schüchterne Mensch nur gegen sie auszusprechen wagte.

Es waren für Consuelo neue Gedanken, und sie waren es wohl überhaupt im Munde eines Edelmannes aus jener Zeit und aus jenem Lande. Indessen überraschten sie die junge Künstlerin nur als ein freies, kühnes Aussprechen dessen, was schon längst in Ihrer Seele verschlossen lag. Selbst gottesfürchtig und Schauspielerin hörte sie das Stiftsfräulein und den Kaplan die Verdammung ohne Gnade aussprechen über die Komödianten und Hanswürste, ihre Brüder.

Daß sie sich nun von einem ernsten, gläubigen Manne wieder in ihre Ehre, worauf sie Anspruch zu haben fühlte, eingesetzt sah, dies hob ihre Brust und machte ihr Herz freier schlagen, als würde ihr erst der Eingang in die wahre Sphäre des Lebens aufgethan.

Ihre Augen waren mit Thränen gefüllt und ihre Wangen strahlten von einer hohen, heiligen Röthe, als sie plötzlich am Ende einer Allee das Stiftsfräulein gewahrte, welches sie suchte.

– O, meine Priesterin! sprach Albert, ihren Arm, der in den seinigen gehängt war, an seine Brust drückend, Sie werden kommen und in meiner Kirche beten.

– Ja! antwortete sie, ich werde gewiß.

– Und wann?

– Wann Sie wollen. Finden Sie mich schon stark genug, um diese neue Heldenthat zu unternehmen?

– Ja! denn wir wollen bei Tage vom Schreckenstein aus hinuntergehen und auf einem minder gefährlichen Wege als durch die Cisterne. Fühlen Sie sich muthig genug, morgen mit Tagesanbruch aufzustehen und sobald die Thore geöffnet sein werden, hinauszugehen? So will ich in dem Wäldchen, das Sie dort auf dem Hügel sehen, bei einem steinernen Kreuze, das Sie daselbst finden werden, Ihrer warten und Ihr Führer sein.

– Gut! ich verspreche es Ihnen! sagte Consuelo, nicht ohne ein letztes Herzklopfen.

– Es ist heut Abend sehr frisch für einen so langen Spaziergang, sagte das Stiftsfräulein, sie erreichend.

Albert gab keine Antwort, Verstellung war ihm unmöglich. Consuelo, welche sich zwar im Innersten bewegt, jedoch nicht verwirrt fühlte, hängte heiter ihren andern Arm in den des Fräuleins und küßte sie auf die Schulter. Wenceslawa hatte sich vorgenommen, ihr kalt zu begegnen, aber sie empfand wider Willen die Uebermacht dieser graden und liebevollen Natur. Sie seufzte und als sie in ihr Zimmer kam, betete sie für Consuelo's baldige Umkehr.

10.

Es vergingen indessen mehre Tage, ohne daß Albert's Wunsch erfüllt werden konnte. Consuelo wurde von dem Stiftsfräulein so ängstlich bewacht, daß es ihr nichts half, vor der Morgenröthe aufzustehen und die Erste auf der Zugbrücke zu sein: immer sah sie schon die Tante oder den Kaplan unter dem Laubengang der Esplanade auf- und abgehen und von dort das ganze freie Feld durchspähen, über welches sie gehen mußte, um das Wäldchen zu erreichen. Sie ergriff den Ausweg, vor den Augen ihrer Wächter allein umherzuwandeln und auf die Zusammenkunft mit Albert zu verzichten, der aus seinem schattigen Versteck die feindlichen Vedetten ebenfalls sah, einen großen großen Umweg durch den Busch machte und unbemerkt in das Schloß zurückkehrte.

– Sie sind sehr früh ausgewesen, Signora Porporina! sagte beim Frühstück das Stiftsfräulein; fürchten Sie nicht, daß Ihnen der Morgenthau schade?

– Ich, liebe Tante, versetzte Albert, habe der Signora die Morgenluft angerathen und ich zweifle nicht, daß ihr diese Spaziergänge sehr dienlich sein werden.

– Ich hätte gedacht, fing das Stiftsfräulein ein wenig gezwungen wieder an, daß Jemand, der sich der Vocalmusik widmet, nicht wohl thäte, sich unserem Morgennebel auszusetzen. Jedoch wenn du es verordnet hast ...

– Laß doch Albert machen, Schwester! sagte Graf Christian, er hat uns zur Genüge bewiesen, daß er ein eben so guter Arzt ist, als ein guter Sohn und guter Freund.

Die Verstellung, zu welcher Consuelo sich mit Erröthen hergeben mußte, war ihr überaus peinlich. Sie klagte sanft darüber gegen Albert, wenn sie ihm verstohlen ein Paar Worte sagen konnte, und bat ihn, auf sein Vorhaben zu verzichten, wenigstens so lange, bis die Wachsamkeit der Tante nachlassen würde. Albert unterwarf sich ihrem Willen, ersuchte sie jedoch, ihre Morgenspaziergänge in der Nähe des Parks fortzusetzen, damit er einen günstigen Augenblick wahrnehmen könnte, um sich ihr anzuschließen.

Consuelo hätte lieber darauf verzichtet. Sie ging zwar gern spazieren und es war ihr ein Bedürfniß, sich alle Tage ein wenig außerhalb dieser Mauern und Gräben zu bewegen, wo ein Gefühl von Gefangenschaft ihr die Sinne beengte; aber es that ihr weh, Personen, die sie achtete und deren Gast sie war, zu hintergehen. Ein wenig Liebe hebt wohl manche Bedenklichkeiten, aber die Freundschaft überlegt, und Consuelo war sehr überlegend.

Man befand sich in den letzten schönen Sommertagen, denn es waren schon mehre Monate verflossen, seit sie auf Riesenburg wohnte. Welch ein Sommer für Consuelo! Der blasseste Herbst in Italien hatte mehr Licht und mehr Wärme. Aber die milde Luft, der oft mit weißen, leichten, stockigen Wolken umflorte Himmel hatten doch auch ihren Reiz und ihre Schönheit.

Sie fand auf ihren einsamen Spaziergängen ein Behagen, zu dem vielleicht die geringe Lust, welche sie hatte, die Grotte wiederzusehen, ein wenig beisteuerte. Obgleich sie dazu entschlossen war, fühlte sie doch, daß Albert ihr eine Last vom Herzen nähme, wenn er sie ihres Versprechens entließe; und wenn sie nicht mehr unter dem Einfluß seines flehenden Blickes und seiner begeisterten Reden stand, ertappte sie sich darauf, daß sie im Geheimen die Tante segnete, die sie durch die Hindernisse, welche sie ihr alle Tage in den Weg stellte, ihrer Verpflichtung überhob.

Eines Morgens sah sie vom Rande des Baches, an welchem sie entlang ging, Albert hoch über ihr sich auf die Einfassung seines Gärtchens lehnen. Ungeachtet der Entfernung fühlte sie sich doch fast unaufhörlich unter dem unruhigen, leidenschaftlichen Auge dieses Mannes, in dessen Macht sie gewissermaßen gerathen war.

– Meine Lage ist doch seltsam, sagte sie zu sich; während dieser beharrliche Freund mich beobachtet, um zu sehen, ob ich der Hingebung, die ich ihm gelobt habe, treu bin, wird mir ohne Zweifel von einem andern Punkte des Schlosses aufgepaßt, ob ich mich ihm nicht in einer Weise nähere, welche ihre Sitte und ihr Anstandsgefühl verbieten. Ich weiß nicht, was in beiden Seelen vorgeht. Die Baronesse Amalie kommt nicht wieder. Das Stiftsfräulein scheint Mißtrauen gegen mich zu hegen und mich kälter zu behandeln. Der Graf Christian verdoppelt seine Freundschaft und thut, als ob er sich vor Porpora's Ankunft fürchte, welche vermuthlich das Zeichen zu meiner Abreise sein wird. Albert scheint es zu vergessen, daß ich ihm untersagt habe, sich auf meine Liebe Hoffnung zu machen. Als ob er alles von mir zu erwarten hätte, verlangt er nichts für die Zukunft und entsagt doch dieser Leidenschaft nicht, die ihn zu beglücken scheint, ungeachtet meines Unvermögens sie zu theilen.

Und bei dem allen gehe ich hier umher wie eine erklärte Liebste, jeden Morgen auf eine heimliche Zusammenkunft mit ihm passend, die ich gar nicht wünsche, weil sie mich dem Tadel und, was weiß ich, der Verachtung einer Familie aussetzt, welche weder meine Aufopferung für ihn, noch mein Verhältniß zu ihm begreifen kann, denn ich begreife ja das alles selbst nicht und sehe nicht ein, wozu es führen soll. Wunderliches Schicksal, das ich habe! Bin ich denn dazu verdammt, mich ewig so hinzugeben, ohne von dem geliebt zu werden, den ich liebe, und ohne den zu lieben, den ich achten muß?

Unter diesen Betrachtungen versank sie in eine tiefe Schwermuth. Sie fühlte das Bedürfniß, sich selber anzugehören, dieses vornehmste und gerechte Bedürfniß, die wahre Bedingung des Fortschritts und der Entwicklung für den überlegenen Künstler. Die thätige Theilnahme, welche sie dem Grafen Albert gewidmet hatte, drückte sie wie eine Fessel. Das bittere Andenken, das von Anzoleto und Venedig ihr geblieben war, drängte sich ihr lebhaft auf in der Unthätigkeit und Einsamkeit eines für ihren kraftvollen Geist zu eintönigen und zu regelmäßigen Lebens.

Sie blieb bei dem Steine stehen, den Albert ihr oft als den bezeichnet hatte, wo er durch eine seltsame Schickung sie zum ersten Male als ein Kind gesehen hatte, mit Schnüren auf dem Rücken ihrer Mutter wie das Pack eines Hausirers festgebunden, über Berg und Thal mit Singen wie das Grillchen in der Fabel schweifend, unbesorgt um den morgenden Tag und ohne Furcht vor dem dräuenden Alter und dem unerbittlichen Mangel.

O meine Mutter! dachte die junge Zingarella, sieh mich hier durch unerforschliche Fügung wieder an den Ort geführt, den du betratest, um davon nur eine dunkle Erinnerung und das Pfand einer rührenden Gastfreundschaft mit hinwegzunehmen. Du warst jung und schön und trafest ohne Zweifel viele Stätten an, wo dich die Liebe in ihre Arme genommen hätte, wo dich die Gesellschaft hätte von dem Banne freisprechen und in sich aufnehmen können, wo du dein rauhes, unstätes Leben hättest von dir werfen und im Schooße des Wohlseins und der Ruhe vergessen können. Aber du fühltest stets, daß dieses Wohlsein eitel Zwang und diese Ruhe tödtlicher, der Künstlerseele tödtlicher Ueberdruß sei. Du hattest Recht, ich fühle es nun auch; denn da bin ich in diesem Schlosse, wo du wie in allen andern nur eine einzige Nacht zubringen wolltest; da bin ich, vor dem Mangel, vor der Anstrengung geschützt, wohl bewirthet, zärtlich gepflegt, einen reichen Herrn zu meinen Füßen ... und doch tödtet mich der Zwang.

Consuelo hatte sich ermattet auf den Stein gesetzt. Sie sah den Sand des Weges an, als hätte sie darin die Spuren von den Fußtritten ihrer Mutter suchen wollen. Die Schafe hatten im Vorüberziehen an den Dornen einige Flocken Wolle hangen lassen. Das Rothbraun dieser Wolle erinnerte Consuelo lebhaft an die Naturfarbe des groben Stoffs, woraus ihrer Mutter Mantel gemacht war, dieser Mantel, der sie lange gegen Kälte und Sonne, gegen Staub und Regen beschützt hatte. Sie hatte ihn Stück für Stück von den Schultern ihrer Mutter fallen sehen.

– Und wir, sprach sie in Gedanken, wir waren auch arme, irrende Schafe und ließen die Fetzen unserer Hülle an den Dornen des Weges, aber wir nahmen überall das stolze Gefühl und den vollen Genuß unserer theuern Freiheit mit hinweg.

So träumend warf Consuelo lange Blicke über diesen Weg von gelbem Sande, der sich anmuthig den Hügel hinab schlängelte und unten im Thale erweitert, sich gegen Norden wendete, einen weiten Bogen zwischen dem Grün der Fichten und dem Schwarz der Heide hindurch beschreibend.

Was giebt es Schöneres als eine Landstraße? dachte sie. Sie ist das Sinnbild und der Fingerzeig eines arbeitsamen, wechselvollen Lebens. Welche lachende Gedanken knüpfen sich für mich an die eigensinnigen Krümmungen dieser! Ich entsinne mich der Gegenden nicht, durch welche sie läuft, durch die ich doch einst gereist bin. Aber was müssen sie schön sein, im Vergleich mit dieser schwarzen Burg, die da oben ewig auf ihrem unbeweglichen Felsengrund schläft! Dieser Kiesweg mit den blassen mattgoldigen Streifen, die hindurchziehen, und dem flammenden Gold des Ginsters, der ihn mit seinem Schatten abschneidet, wie viel wohlthätiger ist er dem Auge, als die schnurgeraden, steifen Hecken dieses stolzen, kalten Parks.

Nichts zu sehen als die langen, nüchternen Linien eines Gartens, macht mich müde. Warum sollten meine Füße sich bemühen, etwas zu erreichen, das den Augen und Gedanken sich sogleich ganz und vollaus überliefert? Indeß die freie Straße, welche vor mir flieht und sich zur Hälfte im Gebüsch versteckt, mich lockt, mich einlädt, ihren Krümmungen zu folgen und ihre Verborgenheiten zu entdecken.

Und dann ist so ein Weg die Bahn der Menschheit, ist die Straße der Welt. Er eignet keinem Herrn, der ihn verschließen und. ihn öffnen kann. Nicht blos der Mächtige und der Reiche hat das Recht, seine blumigen Ränder zu betreten und seine milden Düfte einzuathmen. Jedweder Vogel kann sein Nest an seine Zweige hängen, jedweder Wanderer kann sein Haupt auf seine Steine legen. Kein Pfahlwerk, keine Mauer schließt vor ihm den Horizont. Der Himmel hört nicht vor ihm auf; so weit der Blick reicht, ist der Weg ein Land der Freiheit. Rechts, links die Felder, die Gehölze haben Eigenthümer, der Weg gehört dem, der sonst nichts besitzt. Und wie liebt ihn dieser! Der fühlloseste Bettler hat für ihn eine unüberwindliche Liebe. Baue man doch Hospitäler prächtig wie Paläste, es werden immer Kerker für ihn sein; seine Poesie, sein Traum, seine Leidenschaft ist stets der freie Weg, die offene Straße!

O meine Mutter! meine Mutter! du wußtest es wohl, hast mir es wohl gesagt. Warum kann ich nicht deine Asche wieder beleben, die so fern von mir unter dem Schilfe der Lagunen schläft! Warum kannst du mich nicht wieder auf deine rüstigen Schultern nehmen, und mich dahinuntertragen, dahinunter, wohin die Schwalbe fliegt, zu den blauen Bergen hin, wohin Erinnerung und die Trauer um verlorenes Glück dem leichtfüßigen Künstler nicht folgen können, weil er schneller reist als sie und jeder Tag einen neuen Himmel, eine neue Welt zwischen sich und die Feinde seiner Freiheit stellt! Arme Mutter! Warum kannst du nicht noch mich lieben und mich zwingen, mich abwechselnd mit Küssen und mit Schlägen überhäufen, wie der Wind, der das junge Korn auf dem Felde bald herzt, bald niederwirft, um es wieder aufzurichten und wieder zu beugen, je nachdem es ihm gefällt! Du hattest eine stärkere Seele als ich, und du hättest mich mit Gutem oder Bösem aus den Ketten gerissen, in die ich mich bei jedem Schritte fangen lasse.

Mitten in ihrem Bildern voller Weh und Wonne ward Consuelo plötzlich von dem Tone einer Stimme getroffen, vor welchem sie zusammenschrak, als ob ein glühendes Eisen ihr auf die Brust gesetzt würde. Es war die Stimme eines Mannes, der aus der Schlucht ziemlich tief unter ihr hervorkam und in venetianischem Dialect das »Echo«, eine der originellsten Compositionen des Chiozzetto Johann Croce von Chioggia (venet. Chiozza), um 1600, in jener Epoche, wo die ersten Anfänge dramatischer Composition gemacht wurden. – D. U. trällerte.

Der Sänger ging nicht mit der ganzen Stimme heraus und seine Athmung schien durch das Steigen unterbrochen. Er warf gelegentlich ein Stück Melodie hin, als wollte er sich die Zeit unterweges vertreiben, und hörte wieder auf, um mit einer andern Person zu reden; dann fuhr er in seiner Melodie fort, sang mehrmals dieselben Tacte, als ob er sie einüben wollte, und schwatzte wieder dazwischen, während er der Stelle immer näher kam, wo Consuelo festgebannt und zitternd, einer Ohnmacht nahe saß.

Sie konnte das Gespräch des Reisenden mit seinem Begleiter nicht verstehen, er war noch zu entfernt. Sie konnte ihn nicht sehen, ein vorspringender Fels verbarg dem Auge den Theil der Schlucht, in welchem er sich befand. Aber konnte sie einen Augenblick diese Stimme verkennen, diesen Ton, den sie so gut kannte, und die Stellen aus diesem Stück, welches sie selbst so oft ihrem undankbaren Schüler vorgesungen und eingeübt hatte?

Als die beiden unsichtbaren Reisenden endlich nahe kamen, hörte sie den einen, dessen Stimme sie nicht kannte, in schlechtem Italienisch und mit böhmischem Accent zu dem andern sagen:

– He, he, Signor, nicht da hinauf! die Pferde könnten nicht nach, und Sie würden mich aus dem Auge verlieren. Folgen Sie mir hier immer den Bach entlang. Hier! der Weg ist vor uns, der da hinauf ist ein bloßer Fußsteig.

Die Stimme, welche Consuelo so gut kannte, schien sich zu entfernen und bergab zu gehen; sie hörte noch fragen, was für ein schönes Schloß dort jenseits des Baches sei.

– Riesenburg! was sagen will castello dei giganti, antwortete der Führer; denn es war ein Führer von Profession, und bald sah ihn Consuelo, am Fuße des Hügels gehen, zwei mit Schweiß bedeckte Pferde führend.

Die schlechte Beschaffenheit des Weges, der von dem Gießbach kürzlich verheert worden war, hatte die Herren abzusteigen gezwungen. Der Reisende folgte dem Führer in einer kleinen Entfernung und Consuelo konnte ihn deutlich sehen, indem sie sich über den Felsen beugte, welcher sie verbarg. Er wendete ihr den Rücken zu und war in einem Reiseanzuge, der seine Gestalt und selbst seinen Gang entstellte. Wenn sie nicht seine Stimme gehört hätte, würde sie ihn nicht erkannt haben.

Er blieb aber stehen, um das Schloß zu betrachten, nahm seinen großen Hut ab und trocknete sich das Gesicht mit seinem Taschentuche. Obgleich sie ihn nur von oben herab und im Fluge sah, erkannte sie doch sein üppiges, goldenes Lockenhaar und die Bewegung, welche er zu machen pflegte, um die Last desselben mit der Hand von Stirn und Nacken zu entfernen, wenn ihm heiß war.

– Dieses Schloß sieht sehr anständig aus, sagte er, und wenn ich nur Zeit hätt', so wollte ich gern hinaufgehen und die Riesen, die darin hausen, um ein Frühstück ansprechen.

– O, lassen Sie es gut sein! sagte der Führer und schüttelte den Kopf. Die Rudolstadt nehmen bloß Bettler bei sich auf, oder die Verwandten.

– Nicht gastlicher? Hol' sie der Teufel!

– Ja, hören Sie! es ist da was, das sie verheimlichen müssen.

– Ein Schatz oder ein Verbrechen?

– Ne! ihr Sohn, der verrückt ist.

– Hol' ihn der Teufel ebenfalls, wenn dem so ist. Er wird ihnen einen Gefallen thun.

Der Führer fing an zu lachen; Anzoleto fing wieder an zu trällern.

– He! sagte der Führer und blieb stehen. Nun sind wir über den schlechten Weg. Wenn Sie wieder aufsitzen wollen, so können wir einen Galopp machen bis Tusta (Tauß). Es ist prächtige Straße bis dahin, der reine Sand. Dann finden Sie die Chaussee nach Prag und gute Postpferde.

– Und dann werde ich sagen können, antwortete Anzoleto, sich den Steigbügel zurecht machend, hol' dich endlich auch der Teufel. Denn deine Schindmähren, deine Gebirgsstiege und du, ihr fangt mir an verflucht langweilig zu werden.

Bei diesen Worten schwang er sich flink auf seinen Gaul, gab ihm beide Sporen und flog, ohne sich nach seinem Führer umzusehen, der ihm nur mit großer Mühe nachkommen konnte, wie ein Pfeil davon, nordwärts, den Staub aufwirbelnd auf demselben Wege, welchen Consuelo so lange betrachtet, und auf welchem sie schwerlich erwartet hatte, wie eine schreckliche Erscheinung den Feind ihres Lebens, die ewige Qual ihres Herzens vorüberfliegen zu sehen.

Sie folgte ihm mit den Augen in einem Zustande von Bangigkeit und Angst, der sich nicht beschreiben läßt. Von Widerwillen und Furcht gebannt, hatte sie sich, so weit sie seine Stimme hörte, zitternd hinter dem Felsen versteckt gehalten. Aber als sie ihn hinwegeilen sah, als sie dachte, daß sie ihn aus den Augen verlieren würde und vielleicht für immer, fühlte sie nichts als jammervolle Verzweiflung. Sie schwang sich auf den Stein, um ihm länger nachzusehen, und, indem die unverwüstliche Liebe, die für ihn ihr Herz barg, erwachte, wollte sie schreien, ihn zurückrufen.

Aber ihre Stimme erstarb auf ihren Lippen; es schien ihr, daß die Hand des Todes ihr die Kehle zuzog und ihr in der Brust wühlte. Vor ihren Augen wurde es Nacht; ein dumpfes Grollen wie das des Donners brauste in ihren Ohren, und kraftlos an dem Steine niedersinkend, fand sie sich in Albert's Armen, welcher herangekommen war, ohne daß sie ihn bemerkt hatte, und die halb Ohnmächtige an einen dunklern und verstecktern Ort trug.

11.

Die Furcht, durch ihre Aufregung ein Geheimniß zu verrathen, welches sie bis dahin so tief im Grunde ihres Herzens verborgen gehalten, gab Consuelo die Kraft, sich zu beherrschen und Albert in dem Glauben zu lassen, daß der Zustand, in welchem er sie überrascht hatte, durch nichts Außerordentliches veranlaßt war. In dem Augenblicke, wo der junge Graf sie bleich und fast besinnungslos in seinen Arm genommen hatte, war Anzoleto mit seinem Führer schon fern hinter den Fichten verschwunden und Albert konnte sich selbst anklagen, daß er sie in Gefahr gebracht hätte, in den Abgrund zu stürzen.

Der Gedanke an diese Gefahr, in die er sie durch den Schreck, den ihr seine unerwartete Annäherung erregte, versetzt zu haben meinte, hatte ihn selbst so bestürzt gemacht, daß er die Verworrenheit ihrer Antworten in dem ersten Augenblicke nicht bemerkte. Consuelo, die vor ihm bisweilen noch eine Art abergläubischer Furcht hatte, war Anfangs besorgt, daß er vermöge seines Ahnungsvermögens einen Theil ihres Geheimnisses durchschauen möchte. Aber Albert schien, seitdem die Liebe sein Leben dem der andern Menschen gleich gemacht, die gewissermaßen übernatürlichen Fähigkeiten eingebüßt zu haben, welche er zuvor besaß.

Sie war bald im Stande, ihre Aufregung zu beherrschen, und der Vorschlag, den er ihr machte, sie in seine Einsiedelei zu führen, verursachte ihr in diesem Augenblicke nicht das Mißbehagen, welches sie ein Paar Stunden früher dabei empfunden hätte. Es däuchte ihr, als ob der erhabene Geist und die düstere Wohnung dieses ihrem Loose mit so großem Ernste hingegebenen Menschen sich vor ihr wie ein Zufluchtsort öffneten, wo sie die nöthige Ruhe und Kraft finden würde, die Erinnerungen ihrer Liebe zu bewältigen.

– Die Vorsehung, dachte sie, sendet mir diesen Freund in der Stunde der Versuchung, und die finstere Kapelle, zu welcher er mich führen will, liegt vor mir, wie ein Sinnbild des Grabes, das mich lieber verschlingen soll, als daß ich der Spur des bösen Geistes nachjage, den ich eben vorüberfliehen sah. Ja, mein Gott, ja! ehe ich seinem Fuße folge, laß lieber die Erde unter dem meinigen sich aufthun und mich nie in die Welt der Lebendigen zurückkehren.

– Theure Consuelo! hob Albert an, ich sagte Ihnen, daß meine Tante heute Morgen bei dem Abrechnen mit ihren Wirthschaftsleuten vollauf zu thun hat, und nicht an uns denken kann, daher wir endlich die Freiheit haben, unsere Wallfahrt auszuführen. Jedoch, wenn es Ihnen noch im Mindesten zuwider ist, einen Ort wiederzusehen, der Sie an so viele Angst und Leiden erinnert ...

– Nein, nein, mein Freund! antwortete Consuelo. Ich fühle im Gegentheile, daß ich niemals aufgelegter war, in Ihrer Kirche zu beten und meine Seele auf den Schwingen dieser heiligen Melodien, deren Bekanntschaft Sie mir versprachen, mit der Ihren zu vereinigen.

Sie nahmen mit einander den Weg nach dem Schreckenstein, und während sie sich in den Wald auf einer der von Anzoleto eingeschlagenen Richtung entgegengesetzten Seite vertieften, fühlte sich Consuelo leichter, als ob jeder Schritt, der sie weiter von ihm entfernte, mehr und mehr den bösen Zauber, womit sein Anblick sie befing, zerstreute. Sie schritt so rasch und so entschlossen vorwärts, obwohl ernst und gesammelt, daß Graf Albert diesen ungezwungenen Eifer dem bloßen Wunsche ihm gefällig zu sein, hätte beimessen können, wenn er nicht das Mißtrauen in sich selbst und sein Geschick, das einen Grundzug seines Wesens ausmachte, stets mit sich getragen hätte.

Er führte sie am Fuße des Schreckensteins an den Eingang einer Grotte, die voll stehenden Wassers und von üppigem Pflanzenwuchse überwuchert war.

– Diese Grotte, an welcher Sie einige Ueberreste von gewölbter Arbeit bemerken können, sagte er, heißt im Lande der Mönchskeller. Die Einen glauben, daß es das Untergeschoß einer heiligen Stätte war, als an der Stelle der Trümmer, die hier zerstreut liegen, eine befestigte Burg stand, Andere erzählen, daß hier vor Zeiten ein reuiger Sünder gehaust hätte, der, um zu büßen, sich dahin zurückzog. Wie dem nun sei, es wagt sich jetzt Niemand hinein, und es ist die allgemeine Meinung, daß das Wasser darin tief sei und mit tödtlichem Gifte geschwängert, wegen der Kupferadern, durch welche es sich einen Weg gebrochen hätte. Aber in der That ist dieses Wasser weder tief noch schädlich, es ruht auf einem Felsboden, und wir werden leicht hindurchgelangen, wenn Sie sich noch einmal, Consuelo, der Kraft meiner Arme und der Reinheit meiner Liebe anvertrauen wollen.

Er überzeugte sich zuvor, ob Niemand ihm gefolgt wäre oder sie beobachten könnte, nahm sie dann in seinen Arm, damit sie sich die Füße nicht zu benetzen brauchte, und bis an die Knie im Wasser gehend, bahnte er sich einen Weg durch das Gesträuch und die Epheugehänge, welche die Tiefe der Grotte verbargen. Nach einer sehr kurzen Strecke setzte er sie auf einem reinen Sandboden ab, an einem völlig dunkeln Orte, wo er sogleich eine Laterne, die er bei sich trug, anzündete, und durch einige Windungen eines unterirdischen Ganges, der denen, die Consuelo schon mit ihm zurückgelegt hatte, ziemlich glich, gelangten sie an diejenige Thür der Zelle, welche der andern, durch die sie das erstemal gegangen war, gegenüber lag.

– Dieser unterirdische Bau, sagte Albert, war Anfangs dazu bestimmt, in Kriegszeiten zum Zufluchtsorte zu dienen, entweder den vornehmsten Bewohnern der Burg, welche auf dem Schreckenstein lag, oder den Herren von Riesenburg, deren Lehn jene Burg war, und die sich dorthin auf dem geheimen Wege, den Sie kennen, begeben konnten. Wenn später ein Klausner, wie erzählt wird, den Mönchskeller bewohnt hat, so ist es wahrscheinlich, daß er diese verborgene Stätte hier kannte: der Gang, durch welchen wir eben gekommen sind, scheint mir in der That in jüngerer Zeit aufgeräumt, während ich die, welche zum Schlosse führen, an vielen Stellen mit Sand oder Kies verschüttet fand, so daß ich viele Mühe hatte, sie frei zu machen. Spuren endlich, welche ich in der Grotte fand, Reste von Schüssel, Krug, Crucifix, Lampe und endlich die Gebeine eines Mannes, der auf dem Rücken lag, die Hände auf der Brust gefaltet wie zum letzten Gebete, bewiesen mir, daß ein Einsiedler hier fromm und friedlich sein stilles Dasein beschlossen hat.

Unsere Bauern glauben, daß der Geist des Eremiten noch im Innern des Berges hause. Sie sagen, sie hätten ihn oft im Mondschein umherirren oder um den Gipfel fliegen sehen, sie hätten ihn beten, seufzen, ächzen hören, und zu Zeiten umrausche sie aus der Tiefe auf den Flügeln des Nachtwindes wie ein kaum vernehmbarer Hauch eine wunderbare und geisterhafte Musik.

Ich selbst, Consuelo, habe oft, als ich noch in der Ueberreizung meiner Verzweiflung die Natur um mich her mit Gesichten und Wundern bevölkerte, die dunkele Gestalt des knienden Büßers unter den Hussiten zu sehen geglaubt, und habe mir eingebildet, seine jammernde Stimme und seine herzzerreißenden Seufzer aus der Tiefe zu vernehmen. Seitdem ich aber diese Zelle entdeckt hatte und selbst bewohnte, erinnere ich mich nicht, je einen andern Klausner darin angetroffen zu haben, als mich, oder ein anderes Gespenst als meine Gestalt darin gesehen und andere Seufzer gehört zu haben, als diejenigen, welche sich meiner Brust entwanden.

Consuelo hatte von Albert, seit ihrer ersten Begegnung in der Einsiedelei, nie wieder unsinnige Reden gehört. Sie hatte es nicht gewagt, ihn an die seltsamen Worte zu erinnern, die er in jener Nacht an sie gerichtet, noch an die Gesichte, von denen sie ihn damals umlagert gefunden hatte. Sie sah nun mit Erstaunen, daß er nichts mehr davon wußte; sie getraute sich auch nicht, sie ihm zurückzurufen, und begnügte sich, ihn zu fragen, ob ihn die Stille einer solchen Einsamkeit denn wirklich von den Gemüthsbewegungen befreit hätte, deren er erwähnte.

– Ich kann es Ihnen nicht mit Bestimmtheit sagen, antwortete er, und wenn Sie es nicht ausdrücklich fordern, so will ich auch mein Erinnerungsvermögen nicht zu dieser Anstrengung zwingen. Ich glaube wohl, daß ich vorher von einem wirklichen Wahnsinn befallen war. Meine gewaltsamen Bemühungen, diesen zu verbergen, steigerten ihn und brachten ihn nur noch mehr an den Tag. Als ich endlich, Dank sei es einem Menschen, der aus Ueberlieferung das Geheimniß dieser unterirdischen Anlage kannte, ein Mittel gefunden hatte, mich der ängstlichen Beflissenheit meiner Angehörigen zu entziehen und die Anfälle meiner Verzweiflung zu verstecken, änderte sich mein Zustand. Ich erlangte wieder eine Art Herrschaft über mich selbst, und sicher, mich vor lästigen Zeugen verbergen zu können, wenn mich mein Uebel zu heftig befiele, brachte ich es dahin, vor den Meinigen die Rolle eines stillen und in Alles ergebenen Mannes zu spielen.

Consuelo sah, daß Albert sich über Manches selbst täuschte; aber sie fühlte wohl, daß der Augenblick nicht günstig war, um ihn über sich aufzuklären, und voll Freude, daß sie ihn über seinen vorigen Zustand so kaltblütig und selbstbewußt urtheilen hörte, fing sie an die Zelle aufmerksamer zu betrachten, als es ihr das erstemal möglich gewesen war. Sie bemerkte, daß die Ordnung und Sauberkeit, welche ihr damals aufgefallen war, nicht mehr dort herrschte; im Gegentheil, die Feuchtigkeit der Wände, die Kälte der Luft und der Schimmel auf den Büchern bewiesen eine vollkommene Vernachlässigung.

– Sie wissen, daß ich Ihnen Wort gehalten habe, sagte Albert, der mit vieler Mühe ein Feuer im Kamine anmachte. Ich habe keinen Fuß hierher gesetzt, seit Sie mich diesem Orte entrissen haben durch die unbeschränkte Macht, welche Ihnen über mich gegeben ist.

Consuelo hatte eine Frage auf den Lippen, die sie aber schnell wieder unterdrückte. Sie war im Begriffe zu fragen, ob denn Freund Zdenko, der treue Diener, der ängstlich besorgte Hüter die Einsiedelei so ganz vergessen und versäumt habe. Aber sie erinnerte sich, daß es Albert jedesmal in eine tiefe Traurigkeit versetzt hatte, so oft sie sich erdreiste, ihn zu fragen, was aus Jenem geworden wäre, und warum er sich seit jener schrecklichen Begegnung in dem unterirdischen Baue nicht mehr vor ihr sehen ließe. Albert war ihren Fragen immer ausgewichen, indem er that, als hätte er sie nicht gehört, oder indem er sie bat, sich zu beruhigen und von dem Unschuldigen nichts weiter zu fürchten.

Sie hatte sich daher anfangs eingebildet, daß Zdenko den Befehl erhalten hätte und getreu befolgte, sich nicht wieder vor ihr blicken zu lassen. Aber als sie ihre einsamen Spaziergänge wieder beginnen wollte, hatte Albert, um ihr jede Furcht zu benehmen, mit einer Todtenblässe auf der Stirn ihr zugeschworen, daß ihr Zdenko nicht begegnen würde, denn er wäre auf lange verreist. Wirklich hatte ihn Niemand seit jener Zeit wiedergesehen und man glaubte, er sei in irgend einem Winkel gestorben, oder aus dem Lande gegangen.

Consuelo hatte weder an diesen Tod noch an diese Reise geglaubt. Sie kannte Zdenko's leidenschaftliche Anhänglichkeit an Albert zu gut, um es für möglich zu halten, daß er sich von ihm so ganz hätte losreißen können. Und seinen Tod – an diesen konnte sie nicht ohne einen innern Schauder, welchen sie sich selbst nicht zu gestehen wagte, denken, wenn sie sich des furchtbaren Schwures erinnerte, den Albert in seiner wilden Aufregung ausgestoßen hatte, das Leben dieses Unglücklichen, wenn es nöthig wäre, der Ruhe seiner Geliebten zum Opfer zu bringen. Aber sie verscheuchte immer diesen gräßlichen Verdacht, indem sie sich die Sanftmuth und die Menschlichkeit vorhielt, von denen Albert's ganzes Leben Zeugniß gab. Er hatte überdies seit mehreren Monaten einer so vollkommenen Seelenruhe genossen, und keine drohende Handlung von Seiten Zdenko's hatte die Wuth wieder angefacht, welche der junge Graf in jenem Augenblick offenbart hatte.

Albert hatte ihn in der That vergessen, diesen unseligen Augenblick, den Consuelo sich ebenfalls zu vergessen bemühte. Er hatte von den Vorgängen in seiner unterirdischen Behausung nur diejenigen im Gedächtnisse behalten, bei welchen er seiner Vernunft mächtig gewesen war. Consuelo hatte sich daher bei der Vermuthung beruhigt, daß er wohl Zdenko untersagt haben würde, sich dem Schlosse zu nähern, und daß der arme Mensch aus Schmerz oder Verdruß sich zu einer freiwilligen Gefangenschaft in der Einsiedelei verurtheilt hätte. Er käme vielleicht, dachte sie, nur Nachts heraus, um Luft zu schöpfen, oder mit Albert auf dem Schreckenstein zusammenzutreffen, der ohne Zweifel wenigstens für seine Ernährung sorgen würde, wie es für ihn Zdenko so lange gethan hatte.

Als Consuelo nun den Zustand der Zelle sah, meinte sie, Zdenko grollte mit seinem Herrn und vernachlässigte dessen verlassenen Zufluchtsort; und da ihr Albert noch versichert hatte, ehe sie die Grotte betraten, sie würde keine Ursache zur Furcht darin finden, so nahm sie den Augenblick wahr, wo Albert damit beschäftigt war, die eingerostete Thür des Raumes, den er seine Kirche nannte, mit Mühe aufzuschließen, und versuchte ihrerseits, die Thür zu öffnen, welche in Zdenko's Zelle führte, wo sie nicht zweifelte, deutliche Zeichen seines Aufenthalts zu finden. Die Thür ging auf, sobald sie nur den Schlüssel umgedreht hatte, aber in der Dunkelheit, welche diesen Raum erfüllte, konnte sie nichts unterscheiden.

Sie wartete, bis Albert in sein mystisches Bethaus gegangen war, das er ihr zeigen wollte und zu ihrem Empfange in Stand setzte, nahm dann ein Licht und ging behutsam wieder in Zdenko's Gemach, nicht ohne ein wenig bei dem Gedanken zu zittern, daß er selbst darin sein könnte. Aber sie fand auch keine Spur von seinem Dasein. Das Bett von Laub und Kalbshäuten war hinweggenommen. Der rohe Sitz, das Werkzeug, die Filzsohlen, alles war verschwunden, und man hätte denken sollen, wenn man die Feuchtigkeit sah, die im Kerzenlichte von den Wänden blitzte, daß dieses Gewölbe nie eines Schlafenden Obdach gewesen wäre.

Ein Gefühl von Wehmuth und Grausen bemächtigte sich ihrer bei dieser Entdeckung. Ein schauriges Geheimniß umgab das Schicksal dieses Aermsten, und Consuelo sagte sich mit Entsetzen, daß sie vielleicht die Ursache eines schmerzlichen Ereignisses geworden wäre. Es gab in Albert einen doppelten Menschen, den einen sinnig und den andern toll, den einen menschenfreundlich, sanft und zärtlich, den andern gewaltthätig und unerbittlich. Die seltsame Vermischung seiner Person mit der des blutdürstigen, schwärmerischen Ziska, die er sich früher vorgespiegelt hatte, seine Neigung, stets an den Hussiten zurückzudenken, die stumme und leidende, aber entschiedene und tiefe Leidenschaft, die er für Consuelo in seinem Busen nährte, alles das stellte sich in Eile dem Geiste des jungen Mädchens dar und schien ihr den entsetzlichen Verdacht bestätigen zu müssen. Sie stand bewegungslos und starr vor Schreck und wagte kaum den kahlen, kalten Boden der Grotte anzusehen, als ob sie gefürchtet hätte, blutige Spuren darauf zu entdecken.

Sie war noch vertieft in diese trübseligen Betrachtungen, als sie Albert seine Geige stimmen hörte, und bald sang das Instrument ihr den alten Psalm vor, den sie zum zweiten Male zu hören so inständig gewünscht hatte. Die Melodie war so eigenthümlich und Albert trug sie mit so reinem, richtig gefühltem Ausdruck vor, daß sie die ganze Angst vergaß, sich sacht dem Orte näherte, wo er stand, gelockt und wie beschworen von magnetischer Gewalt.

12.

Die Thür der Kirche war offen geblieben: Consuelo blieb auf der Schwelle stehen, um den begeisterten Künstler und das seltsame Heiligthum zu betrachten.

Diese angebliche Kirche war nichts weiter als eine ungeheuere Höhle, welche von den Händen der Natur unregelmäßig in den Fels gebrochen und zum großen Theil durch die unterirdische Arbeit des Wassers ausgespült war. Einige Fackeln, hier und da auf gewaltigen Steinblöcken ausgestellt, streuten seltsame Lichter über die grünen Felswände und flirrten an finsteren Tiefen hin, in denen die unbestimmten Formen langgestreckter Tropfsteingebilde gaukelten, wie Gespenster, welche die Helle abwechselnd suchen und fliehen.

Die mächtigen Niederschläge, welche das Wasser ehemals an den Seiten der Höhle abgesetzt hatte, stellten tausend grillenhafte Figuren dar, bald ringelten sie sich wie riesige Schlangen, die sich gegen einander bäumen und einander verschlingen, bald erhoben sie sich von dem Boden und stiegen in furchtbaren Nadeln empor gegen die Decke, bei deren Berührung sie wie ungeheuere zackige Zähne erschienen in klaffenden Rachen, die die schwarzen Felsspalten bildeten. An anderen Stellen glaubte man unförmliche Leiber, kolossale Bilder von barbarischen Gottheiten des Alterthums zu sehen.

Der Pflanzenwuchs, der das Gestein überzog, große runzlichte Flechten wie Drachenschuppen, Bündel von den breiten, schweren Blättern der Hirschzunge Scolopendrium officin. , Gruppen junger Cypressen, neuerlich in der Mitte der Grotte auf gräberartig zusammengescharrten Erdhügeln gepflanzt, alles das gab diesem Orte ein düsteres, großartiges, schauerliches Ansehen, welches die junge Künstlerin mächtig ergriff. Zuerst war es ein Gefühl des Schreckens, bald aber der Bewunderung.

Sie trat näher und sah Albert aufrecht stehen an dem Rande der Quelle, die mitten in der Höhle entsprang. Das Wasser, welches reichlich genug emporgetrieben wurde, war doch in ein so tiefes Becken eingeschlossen, daß auf seiner Oberfläche kein Sprudeln zu spüren war. Diese war glatt und glänzend wie ein dunkler Saphir, und die schönen Wassergewächse, womit Albert und Zdenko den Rand der Quelle umgeben hatten, regten sich auch nicht leise. Die Quelle war an ihrem Ausgangspunkte warm und der laue Dunst, den sie in der Grotte verbreitete, unterhielt darin eine milde, feuchte Luft, die dem Pflanzenleben günstig war. Sie trat aus ihrem Becken in mehrere Gerinne, von denen einige sich mit dumpfem Murmeln unter dem Gestein verloren, andere still in blinkenden Furchen das Innere der Höhle durchzogen und sich in dem dunkeln Geklüft verliefen, in welchem die Begrenzung derselben unbestimmt verschwamm.

Als Graf Albert, der bis jetzt nur seine Geige versucht hatte, Consuelo näher treten sah, ging er ihr entgegen und half ihr über die schlängelnden Gerinne hinüber, die er an tiefen Stellen mit Baumstämmen überbrückt hatte. An andern Stellen boten Steine, einzeln aus dem Wasser hervorragend, dem geübten Tritte einen leichten Uebergang. Er reichte ihr die Hand, um ihr zu helfen, und hob sie manchmal hinüber; aber diesesmal hatte Consuelo Furcht nicht vor der Wasserströmung, welche geräuschlos und düster unter ihren Füßen dahinfloh, sondern vor ihrem geheimnißvollen Führer, zu dem ein unwiderstehlicher Drang sie hinzog, während eine unerklärliche Abneigung sie zugleich von ihm entfernte.

Als sie den Rand der Quelle erreichte, sah sie auf einem großen Steine, der dieselbe um einige Fuß überragte, einen Gegenstand, der wenig geeignet war, sie zu beruhigen. Es war eine Art viereckigen Monuments, aus menschlichen Knochen und Schädeln künstlich zusammengestellt, wie man es in den Katakomben sieht.

– Lassen Sie sich nicht bangen! sagte Albert zu ihr, da er ihr Zittern fühlte. Diese edlen Reste gehörten den Märtyrern meiner Religion an, und aus ihnen ist der Altar geformt, vor welchem ich mich in Betrachtung zu verlieren und zu beten liebe.

– Was für eine Religion haben Sie denn, Albert? fragte Consuelo in Einfalt und mit schwermüthigem Tone. Sind das Gebeine von Hussiten oder Katholiken? Wurden nicht beide Parteien Opfer einer gottlosen Wuth und Märtyrer eines gleich lebendigen Glaubens? Ist es wahr, daß Sie den Hussitenglauben ergriffen und dem Ihrer Anverwandten vorgezogen haben, und daß Ihnen die Verbesserungen des Glaubens aus späterer Zeit als der des Johann Huß nicht gleich würdig und heilsam scheinen? Reden Sie, Albert! was von dem soll ich glauben, was ich über Sie gehört habe?

– Wenn man Ihnen gesagt hat, daß ich die Reformation der Hussiten der lutherischen und den großen Procop dem rachgierigen Calvin vorziehe, wie ich die Kriegsthaten der Taboriten denen der Soldaten Wallensteins vorziehe, so hat man Ihnen die Wahrheit gesagt, Consuelo! Aber was fragen Sie nach meinem Glauben, Sie, die Sie die Wahrheit durch Anschauung inne werden, die Sie die Gottheit besser kennen als ich? Gott behüte mich, Sie an diesen Ort geführt zu haben, um Ihre reine Seele zu belasten und Ihr ruhiges Gewissen mit den Zweifeln und den Qualen meines Denkens zu trüben! Bleiben Sie, Consuelo, wie Sie sind! Sie sind fromm und gottselig; mehr, Sie sind arm und in Dunkelheit geboren und nichts hat dahin gearbeitet, in Ihnen die Geradheit Ihres Denkens und das Licht Ihres Urtheils zu irren und zu verfinstern.

Wir können mit einander beten, ohne zu streiten, Sie, die Sie alles wissen, ohne je etwas gelernt zu haben, und ich, der ich sehr wenig weiß, nachdem ich viel geforscht habe. In welchem Tempel Sie auch die Stimme erheben mögen, immer wird der Begriff des wahren Gottes in Ihrem Herzen sein und die Empfindung des wahren Glaubens Ihre Seele erfüllen. Nicht um Sie zu bekehren, sondern damit die Offenbarung von Ihnen auf mich übergehe, habe ich unsere Stimmen und unsere Geister zu vereinigen gewünscht vor diesem Altare, den ich aus den Gebeinen meiner Väter mir errichtet habe.

– Ich betrog mich also nicht, indem ich dachte, daß diese edeln Reste, wie Sie sie nannten, die Gebeine der Hussiten sind, die im blutigen Wüthen des Bürgerkriegs in die Cisterne des Schreckenstein hinabgestürzt wurden, zur Zeit Ihres Ahnen Johann Ziska, der dafür, wie ich hörte, schreckliche Rache nahm. Man hat mir auch erzählt, daß er den Brunnen vermauern ließ, nachdem er das Dorf verbrannt hatte. Ich glaube in der Dunkelheit dieser Höhle gerade über meinem Kopfe einen Kreis von gehauenen Steinen zu sehen; dies läßt mich vermuthen, daß wir uns genau unter der Stelle befinden, wo ich mich mehrmals niedergesetzt habe, wenn ich von langem Suchen nach Ihnen müde war. Sagen Sie, Graf Albert, ist das der Ort, den Sie, wie man mir sagte, den Sühnestein getauft haben?

– Ja, es ist der Ort, antwortete Albert, wo Martern und wilde Gewaltthaten mir die Stätte meines Gebetes und das Heiligthum meines Schmerzes eingeweiht haben. Sie sehen große Steinblöcke über unseren Köpfen schweben und andere am Rande der Quelle umhergestreut. Die gerechte Hand der Taboriten hat sie dahin geschleudert, auf Befehl Jenes, den sie den furchtbaren Blinden nannten; aber sie haben nur dazu gedient, das Wasser zu den unterirdischen Betten zurückzudrängen, welche es sich zu graben trachtete. Die Construction des Brunnens wurde zerstört und die Trümmer habe ich unter den Cypressen verborgen, die ich dort gepflanzt habe; man hätte hier ein ganzes Gebirge hineinstürzen müssen, um diese Höhle auszufüllen. Die Steinblöcke, welche sich in der Mündung der Cisterne stopften, sind dort durch eine Wendeltreppe, gleich jener, in die Sie in meinem Gartenbrunnen auf Riesenburg so muthig hinabstiegen, aufgehalten worden. Seitdem hat das Sinken der Gebirgsmasse sie immer fester zusammengekeilt. Wenn dann und wann ein Stück sich loslöst, so ist doch das nur während der heftigen Winterfröste der Fall: Sie haben also jetzt nicht mehr zu fürchten, daß etwas von diesem Gesteine herabrolle.

– Es ist nicht das, was meine Gedanken beschäftigt, Albert! antwortete Consuelo, wieder nach dem düstern Altar hin blickend, auf welchen er seine Stradivari gelegt hatte. Ich frage mich, warum Sie dem Gedächtniß und den Ueberresten dieser Opfer ausschließlich einen Dienst weihen, als ob es nicht auf der andern Seite ebenfalls Märtyrer gegeben hätte und als ob die Verbrechen der einen verzeihlicher wären als die der andern.

Consuelo sagte das mit einem strengen Tone und indem sie Albert mißtrauisch ansah. Sie dachte wieder an Zdenko und alle ihre Fragen nahmen in ihren Gedanken die Richtung auf eine Art hochnothpeinlichen Verhörs hin, dem sie ihn gern unterworfen haben würde, wenn sie es gewagt hätte.

Die schmerzliche Aufregung, welche sich plötzlich des Grafen bemächtigte, schien ihr ein reuiges Geständniß zu sein. Er fuhr mit den Händen über seine Stirn und preßte sie dann gegen seine Brust, als ob er fühlte, daß ihm die zerspringen wollte. Seine Gesichtsfarbe wechselte schrecklich und Consuelo fürchtete, daß sie ihn nur zu gut begriffen hätte.

– Sie wissen nicht, was Sie mir für eine Pein erregen! rief er endlich, sich auf den Knochenhaufen stützend und sein Gesicht zu diesen vertrockneten Schädeln niederbeugend, die ihn aus ihren leeren Augenhöhlen anzustarren schienen. Nein! Sie können es nicht wissen, Consuelo! Ihre frostigen Bemerkungen erwecken in mir die Erinnerung der bösen Tage, welche ich durchlebt habe. Sie wissen nicht, daß Sie mit einem Menschen reden, der Jahrhunderte in Leiden hingebracht hat, und der, nachdem er in Gottes Hand das blinde Werkzeug der unwandelbaren Gerechtigkeit gewesen, dann seinen Lohn empfangen und seine Strafe gelitten hat. Ich habe so sehr gelitten und mein blutiges Loos so sehr beweint und so streng gebüßt, habe die Greuel, in welche mich mein Schicksal dahinriß, so eifrig gesühnt, daß ich mir endlich schmeichelte, sie vergessen zu können.

Vergessen! Das war es, wonach mein Herz so heiß sich sehnte! Das war mein Beten und mein Sehnen in jedem Augenblick; das war das Zeichen meiner Vereinigung mit den Menschen und meiner Versöhnung mit Gott, das ich hier seit Jahren erflehte, mich auf diesen Gebeinen vor ihm niederwerfend.

Consuelo, als sich Sie zum ersten Male sah, fing ich zu hoffen an. Und als Sie mir Mitleid bewiesen hatten, fing ich zu glauben an, daß ich gerettet wäre. Hier! sehen Sie diesen Kranz verwelkter Blumen, die schon fast in Staub zerfallen, mit denen ich den Schädel krönte, welcher obenan dem Altare steht; Sie erkennen sie nicht; ich aber, ach! ich habe sie mit vielen bitteren, süßen Thränen benetzt: Sie hatten – sie gepflückt, Sie hatten sie für mich dem Gefährten meines Elends, dem treuen Hüter meines Grabes gegeben.

Wohlan, mit Thränen und mit Küssen sie bedeckend, fragte ich mich mit Herzensangst, ob Sie wohl je eine wahre, tiefe Liebe fühlen könnten für einen Verbrecher wie mich, für einen erbarmungslosen Fanatiker, für einen Wütherich ohne Herz ...

– Was für Verbrechen sind es, deren Sie sich anklagen? sprach Consuelo mit Kraft, von tausend streitenden Gefühlen hin und her geworfen und kühn gemacht durch Albert's tiefe Niedergeschlagenheit. Wenn Sie ein Bekenntniß abzulegen haben, so thun Sie es, thun Sie es gleich, vor mir, damit ich wisse, ob ich sie freisprechen und Sie lieben kann.

– Mich freisprechen, ja! das können Sie; denn der, den Sie kennen, Albert von Rudolstadt, hat ein so reines Leben geführt wie ein unschuldiges Kind. Aber der, den Sie nicht kennen, Johann Ziska vom Kelche, ist durch den Zorn des Himmels in eine Laufbahn voller Schuld gestürzt worden.

Consuelo sah, wie unvorsichtig es gehandelt.war, das Feuer, welches unter der Asche schlief, zu wecken, und durch ihre Fragen den betrübten Albert auf die Vorstellungen seines Wahnsinns zurückzuführen. Es war jetzt nicht mehr Zeit, sie mit vernünftigen Gründen zu bekämpfen; sie bemühete sich, ihn zu besänftigen durch die Mittel welche seine fixe Idee selbst ihr darbot.

– Genug, Albert! sagte sie. Wenn Ihr ganzes jetziges Dasein dem Gebete und der Reue gewidmet war, so haben Sie nichts mehr abzubüßen, und Gott verzeiht dem Ziska.

– Gott enthüllt sich den armen Geschöpfen, die ihm dienen, nicht unmittelbar, entgegnete der Graf, mit dem Kopfe schüttelnd. Er demüthiget sie, oder richtet sie auf und gebraucht die einen, um die anderen zu erretten oder zu züchtigen. Wir sind alle Dolmetscher seines Willens, wenn wir trachten, unsere Nebenmenschen liebevoll zu bessern oder zu trösten. Sie haben kein Recht, junges Mädchen, über mich das Wort der Entsündigung auszusprechen. Kein Priester selbst hat diese hohe Sendung, wenn er sie auch im geistlichen Hochmuthe sich beimißt.

Aber Sie können mir die Gnade Gottes spenden, wenn Sie mich lieben. Ihre Liebe kann mich versöhnen mit dem Himmel und mich die Tage vergessen machen, die man nennt die Geschichte der verflossnen Jahrhunderte. Sie könnten mir im Namen des Allmächtigen das Höchste verheißen, ich würde Ihnen nimmer glauben; ich würde nichts darin sehen als einen edeln, großmüthigen aber blinden Eifer.

Legen Sie die Hand auf Ihr Herz; fragen Sie es, ob der Gedanke an mich darin wohnt, ob die Liebe zu mir es erfüllt, und wenn es Ja sagt, wird dies Ja die Gnadenformel sein, die mich entbindet, der Bund, der mich wieder einsetzt, der Zauber, der auf mich herniederbeschwört die Ruhe, das Glück und das Vergessen. Nur so können Sie die Priesterin meines Gottesdienstes sein, und meine Seele wird im Himmel losgesprochen sein, wie die des Katholiken es zu sein wähnt durch den Mund des Beichtigers. Sagen Sie, daß Sie mich lieben! schrie er, sich zu ihr hinüber neigend wie um sie mit seinen Armen zu umschließen.

Sie wich zurück, vor dem Gelöbniß bebend, das er von ihr heischte; er aber sank auf den Gebeinen nieder, seufzte tief und sprach:

– Ich wußte es wohl, daß sie mich nimmer lieben könnte, daß ich nie Verzeihung haben, daß ich nie vergessen sollte die verfluchten Tage, wo ich sie nicht kannte.

– Albert, lieber Albert! sagte Consuelo tief bewegt von dem Schmerze welcher ihn zerriß, fassen Sie etwas Muth und hören Sie mich an! Sie werfen mir vor, daß ich Sie thören wolle durch den Gedanken an ein Wunder, und Sie fordern ein viel größeres von mir. Gott, welcher alles sieht, und welcher unsere Würdigkeit wägt, kann alles verzeihen.

Aber kann ein schwaches, beschränktes Geschöpf, wie sonderlich ich, durch die bloße Kraft seines Denkens und seiner Hingebung eine Liebe, die so seltsam wie die Ihre ist, verstehen und sich aneignen! Mir scheint, daß es von Ihnen ausgehen müßte, mir diese ausschließliche Liebe, die Sie fordern, einzuflößen, und daß es nicht von mir abhängt, sie zu gewähren, zumal so wenig als ich Sie noch kenne.

Da wir hier in der geheimnißreichen Sprache der Religion schon redeten, von der ich einiges doch in meiner Kindheit gelernt habe, will ich Ihnen sagen, daß man sich im Stande der Gnade befinden muß, um Vergebung seiner Sünden zu erlangen. Nun wohlan! die Art Absolution, die Sie begehren, meine Liebe, sind Sie deren würdig? Sie fodern das reinste, zärtlichste, sanfteste Gefühl, und doch scheint mir, daß Ihre Seele weder zur Sanftmuth noch zur Zärtlichkeit neigt. Sie nähren in ihr finstere Gedanken und gleichsam ewige Rache.

– Was meinen Sie, Consuelo? ich verstehe Sie nicht.

– Ich meine, daß Sie stets von unseligen Bildern, Mordgedanken, blutigen Erscheinungen verfolgt werden. Sie beweinen Verbrechen, welche Sie vor mehren Jahrhunderten begangen zu haben glauben und deren Gedächtniß Ihnen zugleich lieb ist, denn Sie nennen sie ruhmvoll und erhaben, messen sie dem Willen des Himmels, dem gerechten Zorne Gottes bei. Kurz, Sie ängstigen sich und überheben sich zugleich, indem Sie in Ihrer Einbildung die Rolle gleichsam eines Engels der Vernichtung spielen. Gesetzt, Sie wären in Wahrheit vormals ein Rächer und Zerstörer gewesen, so sollte man denken, daß Sie den Trieb, die Versuchung, fast den Hang zu diesem abscheulichen Loose beibehalten hätten, da Sie stets über Ihr jetziges Leben hinausblicken und sich bejammern wie Einer der noch jetzt verdammt ist, ein Verbrecher zu sein.

– Nein! Dank sei es dem allmächtigen Vater der Geister, der sie zurücknimmt und sie in der Liebe seines Herzens neugebiert, um sie wieder in die Arbeit des Lebens auszusenden, rief Rudolstadt mit gen Himmel erhobenen Armen. Nein! ich habe keinen Hang zur Gewaltthätigkeit und Wildheit beibehalten. Es ist genug zu wissen, daß ich verdammt war, Schwert und Fackel in den Händen diese barbarischen Zeiten zu durchstürmen, die wir in unserer frechen, fanatischen Sprache »die Zeiten des Eifers und des Zornes« nannten. Sie wissen aber die Geschichte nicht, erhabenes Mädchens Sie begreifen nicht die Vergangenheit; die Geschicke der Völker, unter denen Sie ohne Zweifel stets eine friedliche Sendung, stets den Beruf eines tröstenden Engels hatten, sind Räthsel vor Ihren Augen. Indessen müssen Sie doch etwas von diesen grauenvollen Wahrheiten erfahren und eine Vorstellung von dem erlangen, was oft Gottes Gerechtigkeit unglücklichen Menschen auferlegt.

– Ja, reden Sie, Albert! erklären Sie mir, wie eitle Streitigkeiten um die Ceremonien des Abendmahls so große Wichtigkeit und Heiligkeit für beide Theile haben konnten, daß sich Völker im Namen der göttlichen Eucharistie erwürgen mußten.

– Sie haben Recht, sie göttliche zu nennen, antwortete Albert, sich neben Consuelo am Rande der Quelle niedersetzend. Dieses Symbol der Gleichheit, diese Ceremonie, von einem himmlischen Wesen unter allen Menschen eingeführt, um den Grundsatz des brüderlichen Lebens zu verewigen, darf Ihr Mund nicht anders bezeichnen, eines Wesens Mund, das den höchsten Mächten und den edelsten Geschöpfen gleich steht, deren sich das Menschengeschlecht zu rühmen hat, während es dennoch zugleich noch eingebildete und sinnverwirrte Wesen giebt, welche Sie als ein Geschöpf von einer gemeineren Race ansehen und Ihr Blut für minder kostbar halten als das der Könige und Herrn auf Erden. Was würden Sie von mir denken, Consuelo, wenn ich, der ich von diesen Königen und Herren abstamme, mich in meinen Gedanken über Sie erhöbe?

– Ich würde Ihnen ein Vorurtheil verzeihen, das Ihre ganze Kaste noch heilig hält und gegen welches mich aufzulehnen mir nie in den Sinn kam, glücklich wie ich es bin, frei und den Kleinen gleich geboren zu sein, die ich mehr liebe als die Großen.

– Sie würden es mir verzeihen, Consuelo! aber achten würden Sie mich nicht, und Sie würden nicht hier sein, allein bei mir, ruhig an der Seite eines Mannes, der Sie anbetet, und sicher daß er Ihnen gleiche Ehrfurcht zollt, als ob Sie, im Genuß des Vorrechts der Geburt zu Deutschlands Kaiserin auserkoren wären. O, lassen Sie mich glauben, daß Sie, ohne meiner Sinnesart und meinen Grundsätzen zu vertrauen, nicht so himmlisch gut gegen mich gewesen wären, sich jenes erste Mal zu mir hierher zu wagen. Also, geliebte Schwester, erkennen Sie in Ihrem Herzen, an das ich mich wende, ohne Ihren Geist mit philosophischen Erörterungen belästigen zu wollen, daß die Gleichheit heilig ist, daß der Vater der Menschen sie gewollt hat und daß die Bestrebung, sie unter sich herzustellen, der Menschen Pflicht ist.

Da noch die Völker von Herzen an ihren gottesdienstlichen Bräuchen hingen, stellte ihnen die Communion diejenige Gleichheit dar, deren Genuß ihnen die bürgerlichen Verhältnisse verstatteten. Die Armen und Schwachen fanden darin Trost und Verheißung; die Religion machte ihnen ihr elendes Leben erträglich, indem sie ihnen die Hoffnung ließ, daß einst ihre Kindeskinder in den kommenden Zeiten bessere Tage haben würden.

Die Böhmen hatten immer nur die Absicht, das heilige Mahl in derselben Weise zu feiern, in welcher es die Apostel gefeiert und gelehrt hatten. Sie wollten die uralte, brüderliche Communion, das Mahl der Gleichheit, das Bild des Gottesreichs, das sich auf Erden erfüllen sollte, d. h. des Lebens in der Gemeinschaft.

Einst aber begann die römische Kirche, welche Völker und Fürsten ihrer despotischen und ehrsüchtigen Herrschaft unterworfen hatte, den Christen vom Priester, das Volk vom Priesterthum, die weltliche Gemeinde von der Christlichkeit zu scheiden. Sie gab den Kelch in die Hände ihrer Diener, damit sie die Gottheit in mystischen Tabernakeln verborgen halten könnten, und durch wahnwitzige Auslegungen machten diese Priester die Eucharistie zu einem abgöttischen Cultus, an welchem die Laien nur nach Gefallen Theil zu nehmen brauchten. Sie rissen im Beichtstuhle die Schlüssel der Gewissen an sich.

Diese heilige Schale, die hochherrliche Schale, worin der Arme Verwandlung trinken und seine Seele wiedergebären sollte, ward in Schreine von Cedernholz und Gold verschlossen, aus denen sie nur hervorging, um die Lippen des Priesters zu benetzen. Er allein war würdig das Blut und die Thränen Christi zu trinken. Der Gläubige mußte sich vor ihm in Demuth niederwerfen und seine Hände lecken, um das Himmelsbrot zu essen.

Begreifen Sie es nun, weshalb das Volk wie mit Einer Stimme schrie: Den Kelch! Gebt uns den Kelch wieder! Den Kelch den Niedrigen! Den Kelch den Kindern, den Weibern, den Sündigen, den Verwirrten! Den Kelch allen Bedürftigen, allen leiblich und geistig Elenden: dies war der Ruf des Aufstandes und der Vereinigung von ganz Böhmen.

Sie wissen das Uebrige, Consuelo! Sie wissen, daß sich an diesen ersten Gedanken, der in ein religiöses Symbol den ganzen Jubel, und alle edeln Bedürfnisse einer stolzen, hochherzigen Nation zusammenfaßte, in Folge der Gewaltmaßregeln und mitten unter furchtbaren Kämpfen mit den umwohnenden Völkern alle Gedanken vaterländischer Freiheit und Ehre knüpften. Die Erwerbung des Kelches zog die edelsten Erwerbungen nach sich und schuf eine neue bürgerliche Gesellschaft.

Und wenn nun die Geschichte, von unwissenden oder willkürlich deutenden Beurtheilern ausgelegt, Ihnen sagt, daß nur Blutgier und Durst nach Golde diese unseligen Kriege entzündet haben, so glauben Sie fest, daß dieses eine Lüge ist vor Gott und Menschen. Es ist wahr, daß Einzelhaß und Ehrgeiz die großen Thaten unserer Väter befleckt haben, aber nur die alte Herrschsucht und Habgier, welche immer an den Herzen der Adligen und Reichen nagten. Sie allein gefährdeten und verriethen tausendmal die heilige Sache.

Das Volk, roh, aber aufrichtig, fanatisch aber voll Begeistrung verleiblichte sich in Sekten, deren schwunghafte Namen Ihnen schon bekannt sind. Die Taboriten, die Orebiten, die Waisen, die Brüder der Gemeinschaft – dies war die Schaar, die das Martyrthum für ihren Glauben litt, sich flüchtend in die Schluchten des Gebirges, streng haltend an dem Gesetze der unbedingten Gleichheit und Gütergemeinschaft, an ein ewiges Leben der Seelen in den Bewohnern der irdischen Welt glaubend, die Wiederkunft und Verherrlichung Jesu Christi erwartend und die Wiederkunft des Johann Huß, Johann Ziska, Procopius Nasus und aller der unbezwinglichen Häupter, welche die Freiheit verkündigt und ihr gedient hatten.

Dieser Glaube ist keine Täuschung, meiner Meinung nach, Consuelo! Unsere Rolle aus Erden ist nicht so schnell ausgespielt, wie es gemeinlich angenommen wird und unsere Pflichten reichen über das Grab hinaus. Wegen der innigen und kindischen Anhänglichkeit an Formen und Formeln des Hussitismus, welche es dem Kaplan und vielleicht auch meinen guten, schwachen Anverwandten gefällt mir beizulegen, müssen Sie, auch wenn ich vielleicht in Tagen der Aufregung und des Fiebers Zeichen mit Sache, Bild mit Gedanken verwechselte, mich nicht zu sehr gering achten, Consuelo!

Im Grunde meines Wesens habe ich nie daran gedacht, diese alten, vergessenen Bräuche, welche heut zu Tage keinen Sinn mehr haben würden, wieder in mir aufleben zu lassen. Andere Formen, andere Zeichen müßten sich erleuchtete Menschen heut zu Tage setzen, wenn sie die Augen öffnen wollten und wenn das Joch der Sklaverei den Völkern verstattete, die Religion der Freiheit zu suchen.

Mit Härte hat man und falsch hat man meine Sympathien, meine Neigungen, meine Gewohnheiten ausgelegt. Müde, die Dürre und die Eitelkeit des Tichtens und Trachtens der Menschen in unserer Zeit mit anzusehen, habe ich das Bedürfniß gefühlt, mein mitleidendes Herz im Umgange mit einfältigen oder unglücklichen Geistern zu erquicken. Mit diesen Tollen, diesen Landstreichern, allen diesen aus dem Erbe der irdischen Güter und der Liebe ihrer Mitgeschöpfe verstoßenen Kindern pflog ich gern Umgang, um in dem unschuldigen Phantasiren derer, die man Irre nennt, die flüchtigen doch oft überraschenden Blitze des göttlichen Geistes zu erhaschen, und in den Bekenntnissen derer, die man Strafbare und Verworfene nennt, die tiefen, obwohl befleckten Spuren der in der Gestalt von Reue und Gewissensschlägen sich offenbarenden Gerechtigkeit und ursprünglichen Reinheit.

Wenn man mich so verfahren, wenn man mich am Tische des Ungelehrten und am Kopfkissen des Räubers sitzen sah, so hat man liebreich daraus geschlossen, daß ich ketzerische Praktiken und sogar Hexenkünste triebe. Was kann ich auf solche Beschuldigungen antworten? Und wenn mein Geist, hingerissen von Forschungen und Betrachtungen über die Geschichte meines Landes sich in Reden verrieth, die wie Wahnsinn klangen und es vielleicht auch waren, so hat man Furcht vor mir gehabt, als vor einem vom Teufel Besessenen  ... Der Teufel! Wissen Sie, Consuelo, was das ist? Und soll ich Ihnen diese von den Priestern aller Völker geschaffene, geheimnißvolle Allegorie erklären?

– Ja, mein Freund! sagte Consuelo, die ganz zuversichtlich geworden und fast schon gewonnen, ihre Hand in Albert's Händen vergessen hatte. Erklären Sie mir was Satan ist. Ihnen die Wahrheit zu sagen, so habe ich, obschon ich immer an Gott glaubte und mich nie offenbar wider das auflehnte, was mir gelehrt ward, an den Teufel dennoch niemals glauben können. Wenn er wäre, so würde ihn Gott gewiß so fern von sich und uns anketten, daß wir nichts von ihm erführen.

– Wenn er wäre, so müßte er eine ganz monströse Schöpfung dieses Gottes sein, den die gottlosesten Sophisten immer lieber leugnen als ihn nicht für den Urgrund aller Vollkommenheit, alles Wissens und aller Liebe erkennen wollten. Wie hätte die höchste Vollkommenheit je das Böse, wie hätte das Wissen Lüge, wie die Liebe Haß und Bosheit gebären können? Es ist eine Fabel, die man in die Kindheit des Menschengeschlechts verweisen muß, in jene Zeit, wo die Plagen und Schrecken der Natur die furchtsamen Kinder der Erde glauben machten, daß es zwei Gottheiten gebe, zwei schaffende und herrschende Geister, den einen alles Guten und den anderen alles Uebels Grund, zwei fast einander gleiche Mächte, denn das Reich des Eblis Ueber Eblis und die Vorstellung des Widersachers überhaupt s. meine Anmerkung am Schlusse dieses Theils. – D. Ueb. sollte zahllose Jahrhunderte dauern und nur nach furchtbaren Kämpfen im Himmel enden.

Wie kam es aber, daß die Priester nach der Predigt Jesu und dem hellen Leuchten des Evangeliums es noch wagen konnten in dem Geiste der spätern Völker den kindischen Glauben ihrer uralten Vorfahren wieder zu beleben? Weil die Lehre vom Guten und Bösen, sei es durch einen Mangel, sei es durch das Mißverständniß der apostolischen Lehre, noch dunkel und unentwickelt geblieben war. Man hatte einen durchgängigen Gegensatz in den Rechten und der Bestimmung des Geistes und des Fleisches, in allen Attributen des Ewigen und Zeitlichen zum Grundsatz erhoben.

Die christliche Ascetik hob die Seele empor und kasteiete den Leib. Da nach und nach durch Schwärmerei die Kreuzigung des Leiblichen bis ins äußerste Uebermaß getrieben wurde, während die menschliche Gesellschaft der Lehre Jesu zum Trotze der Kasteneintheilung treu geblieben war, so fuhr ein kleiner Theil der Menschen fort im Geiste zu leben und zu herrschen, während die große Masse sich in der Nacht des Aberglaubens gedankenlos fortschleppte.

Es war damals wirklich so, daß die denkende und mächtige Klasse, insonderheit die Geistlichkeit, die Seele der Gesellschaft bildete, und daß das Volk nur deren Leib war. Wer war aber in diesem Sinne der wahre Schutzherr der erleuchteten Menschen? Gott! Und der Unwissenden? Der Teufel! Denn Gott schenkte das geistige Leben und verdammte den Dienst der Sinne, zu welchem Satan allezeit die schwachen und rohen Menschen verführte.

Eine seltsame, mystische Secte, die unter vielen anderen auftauchte, sann es sich aus, das Fleisch in seine Rechte wieder einzusetzen und die willkürlich getrennten beiden Urwesen wieder in ein einiges göttliches Princip zu verschmelzen. Sie wollte die Liebe, die Gleichheit, die Gemeinschaft Aller, die Grundlagen der menschlichen Wohlfahrt heiligen. Der Gedanke war gerecht und gut. Aber wie groß war die Verirrung und das Unmaß, wozu er führte! Was thut es?

Diese Secte suchte also aus der Verstoßenheit das vorgebliche Princip des Bösen zu reißen und es zum Diener und Werkführer des guten Princips zu machen. Satan wurde von diesen Philosophen losgesprochen und in die Schaar der himmlischen Geister wieder eingeführt. In dichterischer Ausschmückung ihres Gedankens stellten sie Michael und sein englisches Heer als Unterdrücker und Räuber der Glorie und der Allmacht dar. Es war dies in der That ein Sinnbild für das Werk der Päpste und der Kirchenfürsten, welche die Religion der Gleichheit und des Gemeinwohls für das Menschengeschlecht durch die Erfindung der Hölle verdrängt hatten.

Der schwarze, fürchterliche Luzifer ging nun aus dem Abgrunde, wo er seit so vielen Jahrhunderten gefesselt brüllte wie der göttliche Prometheus wieder hervor. Seine Anhänger wagten nicht ihn offen anzurufen, denn sie drückten in mystischen, tiefsinnigen Formeln die Gedanken seiner Erhöhung und zukünftigen Herrschaft über das Menschengeschlecht aus, das nur zu lange schon gleich ihm entherrlicht, erniedriget und verleumdet worden war ...

Ich ermüde Sie aber ohne Zweifel mit dieser Auseinandersetzung. Liebe Consuelo, verzeihen Sie es mir! Man hat mich Ihnen als den Antichrist und als einen Anbeter des bösen Geistes geschildert, ich wollte mich rechtfertigen und Ihnen zeigen, daß ich ein gut Theil weniger abergläubisch bin als Jene, die mich verklagen.

– Sie ermüden mich nicht, antwortete Consuelo mit einem sanften Lächeln und ich freue mich sehr, daß ich mich nicht dem bösen Feind verschworen habe, indem ich mich der Formel der Lollarden bediente.

– Ich finde Sie ja ganz unterrichtet über diesen Punkt, versetzte Albert. Und er fuhr nun fort, ihr den tieferen Sinn der großen Wahrheiten aufzuschließen, welche die Sophisten des Katholicismus ketzerisch nannten und unter harten, treulosen Beschuldigungen und Verdammungsurtheilen begruben. Er gerieth immer mehr in Feuer, indem er ihr die Studien, den Gedankengang und die hochfliegenden Träume schilderte, welche ihn selbst in einer früheren Zeit, die er für entfernter hielt als sie es wirklich war, zum Ascetismus und Aberglauben geführt hätten.

Durch die Bemühung, dieses Bekenntniß deutlich und einfach abzulegen, gelangte er zu einer außerordentlichen Klarheit seines Geistes, sprach über sich mit einer Aufrichtigkeit und Urtheilsfähigkeit, als ob es sich um einen Dritten gehandelt hätte und strafte die Verirrung und die Hinfälligkeit seines eigenen Verstandes, als ob er seit langer Zeit von dergleichen Anfällen hergestellt gewesen wäre. Er sprach mit einer solchen Schärfe des Bewußtseins, daß, abgesehen von der Schätzung des Zeitmaßes, die ihm für sein gegenwärtiges Leben zu fehlen schien (denn er tadelte sich, daß er ehemals für Ziska, Wratislaw, Podiebrad und andere Verstorbene sich angesehen habe, ohne zu ahnen, daß er noch eine halbe Stunde zuvor in denselben Wahn verfallen war) Consuelo nicht umhin konnte, in ihm einen überlegenen, aufgeklärten und den kenntnißreichsten und denkendsten Menschen von allen, denen sie noch begegnet war, zu erkennen.

Die Aufmerksamkeit und Spannung, womit sie ihm zuhörte, der helle Verstand, der in den großen Augen dieses lernbegierigen, mit Fassungskraft und Sinn für jeden hohen Gedanken begabten Mädchens blitzte, trieben Rudolstadt zu einer allmählig immer lebendigeren Anschauung und Ueberzeugung von dem was er sagte, fort, und seine Beredsamkeit wurde immer ergreifender.

Nach einigen Einwürfen, welche er glücklich zu beantworten wußte, dachte Consuelo an nichts mehr, als die ihr natürliche Wißbegierde zu befriedigen, und dieser Trunkenheit der Bewunderung zu genießen, die ihr Albert abgewann. Sie vergaß alles, was sie den Tag über aufgeregt hatte, alles, Anzoleto, Zdenko, die Gebeine vor ihren Augen. Sie war wie bezaubert, und der phantastische Ort, an welchem sie sich befand, mit seinen Cypressen, seinen düsteren Felsen, und dem schauerlichen Altar, erschien ihr im zitternden Lichte der Fackeln wie ein magisches Paradies, in welchem hohe, feierliche Gestalten auf und nieder wogten. Sie versank, obgleich wach, in eine Art Erstarrung aller Kräfte des Bewußtseins, welche sie ein wenig zu sehr für ihre erregbare Phantasie in Anspannung erhalten hatte.

Sie hörte nicht mehr was Albert sprach, sondern in Wonnen der Verzückung schweigend, hing sie dem Bilde dieses Satans nach, den er ihr als einen großen verkannten Gedanken vorgestellt hatte und den ihre künstlerische Seele sogleich als eine schöne, bleiche, leidende Gestalt anschaute, der Christi ähnlich und sanft zu ihr, einem Kinde des Volkes, einem verstoßenen Kinde der allgemeinen Familie niedergebeugt.

Plötzlich bemerkte sie, daß Albert nicht mehr mit ihr sprach und ihre Hand nicht mehr in der seinigen hielt, daß er nicht mehr neben ihr saß, sondern zwei Schritte von ihr, vor dem Schädelaltare stand und auf seiner Geige die seltsamen Weisen spielte, welche sie schon früher ergriffen und entzückt hatten.

Ende des vierten Theils.

Anmerkung des Uebersetzers
über die Entwicklung der Vorstellungen vom Teufel.

George Sand schreibt nur für Leserinnen; wenigstens redet George Sand immer, wenn er sich an seinen Leser wendet, die Leserin an. Ich erschrecke; denn ich habe schon wieder die Feder angesetzt zu einem – gelehrten Excurse. Gütige Leserin, Verzeihung! Es ist so leicht, diese Anmerkung zu überschlagen: sie ist ja nicht umsonst in Petit gesetzt. Aber ich kanns nun einmal nicht lassen, wenn solche Sachen vorkommen, die gleichsam in mein Fach einschlagen, ein wenig mit drein zu reden. Und zum Dank für sonstige Bemühung und guten Willen mögen Sie mir immerhin das unschuldige Vergnügen gönnen, freundliche Leserin, etwas zu schreiben, was Sie nicht zu lesen brauchen, weil Sie ja schon aus der Ueberschrift ersehen, was Sie zu erwarten haben.

Sie merken übrigens – es hülfe ja nichts, nicht ehrlich sein zu wollen – daß ich mir vorstelle, wie Sie, trotz der Ueberschrift, doch ein wenig in die ersten Zeilen hineingucken und daß ich im Stillen mir schmeichle, Sie sacht noch ein Stückchen vorwärts zu locken. Glückt das, so entschuldige ich mich weiter so:

Eingelassen hat sich unser Verfasser nun einmal auf die höchsten und tiefsten Fragen und hat versucht, die im Verlaufe der Zeiten entstandenen Lösungen derselben geschichtlich zu entwickeln und aus den Eigenheiten der Menschennatur zu erklären. Wessen Geist sich dadurch angereizt fand, sollte der nicht Lust haben, auch noch etwas tiefer einzudringen?

Albert fuhr fort, hieß es oben im Texte, seiner aufmerksamen Zuhörerin den tiefen Sinn der Wahrheiten, die man Ketzerlehren genannt hat, aufzuschließen. Sollte nicht manche wißbegierige Consuelo unter unsern Leserinnen sein, welche bedauert, daß es dem Verfasser nicht gefiel, auch das, was Albert weiter sagte, wirklich mitzutheilen?

Doch, wie dem sei, George Sand hat den Teufel an die Wand gemalt: es wundere sich daher Niemand, daß er den Hals jetzt auch user den Rahmen hinausreckt.

Es ist wahr, daß der Teufel eine monströse Schöpfung Gottes wäre, wenn Gott ein Wesen geschaffen hätte, um die göttliche Arbeit, über die sich Gott, laut der Genesis, freute, weil sie so gut war, zu verderben. Aber woher kommt denn doch das Uebel und das Böse, wenn Gott alles gemacht hat, und Gott über alles Macht hat, und, weil er vollkommen gut ist, nur Gutes machen und dulden kann? So gar leicht ist nicht da herauszukommen; denn hat das Gute seine Ursache, die es wirkt, nämlich Gott, so will natürlich auch das Böse seine Ursache haben, die es wirkt. Nein, so leicht ist nicht aus der Sache zu kommen.

Es ist wahr, daß die Vorstellung vom bösen Princip, das mit dem göttlichen und guten Princip in Feindschaft liegt, eine kindliche Vorstellung ist, aber diese kindliche Vorstellung haftet doch noch bis auf den heutigen Tag der Welt an, die ihre Kinderschuhe längst vertreten hat, und es ist auch nicht zu leugnen, daß auf den mannigfaltigsten Bildungsstufen des menschlichen Geistes dieselbe Vorstellung immer wieder und in den mannigfaltigsten, oft künstlichsten Formen sich geltend gemacht und den scharfsinnigsten und größten Geistern unter den Menschen sich immer wieder aufgedrängt hat.

Es wäre immer sonderbar, daß eine Vorstellung, die, vermöge ihrer kindischen Natur, nur der Kindheit des Menschengeschlechts eignen sollte, sich durch die Reife der Zeiten und der Geister so unwiderstehlich hat hindurchkämpfen können. Aber ich will doch gleich von vorn herein sagen, warum ich es dessenungeachtet richtig finde, sie eine kindliche Vorstellung zu nennen. Weil das Kind nicht fähig ist, die allgemeinen Mächte des Lebens in ihrem gesetzmäßigen, ewig unveränderlichen Wirken zu begreifen, sondern, wo es etwas gewirkt sieht, stets vermuthet, daß die Wirkung von dem willkürlich wirkenden Willen irgend einer Persönlichkeit ausgegangen sei.

Der Mensch empfindet zuerst das, was ihm wohl oder übel thut. Er weiß aus Erfahrung, daß er selbst jedem Andern und jeder Andere ihm wohl und übel thun kann. Widerfährt ihm nun Gutes oder Schlimmes, dessen Urheber er nicht kennt, so schreibt er dasselbe einem ihm unbekannten Wesen zu oder auch einem andern Menschen, der aber auf eine ihm verborgene Weise, durch außerordentliche Mittel das Geschehene bewirkt hat. Das eine ist der Glaube an Götter, das andere der Glaube an Zauberkunst.

Der Mensch findet in seinem Geiste den nothwendigen Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Ist ihm der Gedanke der Nothwendigkeit aufgegangen, so kann er das Gegentheil davon, den Gedanken der Zufälligkeit nicht ertragen. Der Blitz schlägt ein. Nothwendig ist, daß der Blitz irgend wohin treffe. Der Mensch begreift aber nicht, warum der Blitz gerade in sein Zelt, in seine Hürde schlägt; zufällig kann dies nicht sein: es muß ihn irgend ein Wesen, dahin geleitet haben.

Die Sonne bewegt sich, geht auf, geht unter, verfolgt regelmäßig ihren Weg. Wohl, so muß in ihr ein Wille sein, welcher sie regiert. Der Mensch findet in sich die Macht des Willens. Er überträgt sein Wesen auf die ganze Natur, sieht in Allem und Jedem einen frei wirkenden Willen. Alles aber, was wirkt, theilt er in die beiden großen Klassen dessen, was ihm nutzt, und dessen, was ihm schadet, ein. Der gute und der böse Wille, welcher ihm in der Natur erscheint, muß dann, wie des Menschen Wille, sich doch wohl auch menschlicherweise bestimmen, lenken, ändern lassen. Durch Geschenke, durch Bitten gewinnt man der Menschen Herz, erweckt der Menschen Wohlthat, wendet ihre Uebelthat ab: durch Bitten und Geschenke, durch Gebet und Opfer muß man auf die guten und bösen Geister wirken, welche dem Menschen in der Natur nützen und schaden können.

Der Mensch hat aber auch erfahren, daß sein eigener Wille nicht allmächtig, sondern durch unabänderliche Naturgesetze auf ein gewisses Maß beschränkt ist. Er überträgt auch diese Erfahrung auf den Willen, welchen er in der Natur mächtig glaubt. Der Wille der Geister muß ebenfalls an Gesetze gebunden und in Schranken gebannt sein. Könnte sich der Mensch dieser Schranken bemächtigen, so würde er dadurch auf die Willkür der Geister beschränkend einwirken, sich wohl gar diesen Willen dienstbar machen können. Dazu dienen Sprüche, Zauberformeln, Amulete. Man muß diese kennen, um sie anwenden zu können; ihre Anwendung ist eine Kunst, ihr Besitz ein Vorrecht einzelner Menschen, Zauberer, Schamanen.

Hat der Mensch einmal sein eigenes, geistiges Wesen, den freien Willen den Mächten der Natur, die doch in Wahrheit ohne Wissen und Willen, nur nach dem ihnen einwohnenden Gesetze wirken, beigelegt, so dehnt er auch die Wirksamkeit dieser von ihm mit Willen ausgestatteten Mächte über das ihnen natürliche Gebiet aus, und bezieht ihren Einfluß auf das Gebiet seines eigenen, geistigen Wesens, auf das Gebiet des wirklichen freien Willens. Die Gestirne sind nun nicht mehr blos lebendige Mächte, Gottheiten und in ihrer Natursphäre wirksam, in welcher sie, z. B. durch ihren Einfluß auf den Ackerbau, sich thätig zeigen, sondern sie reichen auch in das eigentliche Menschenleben hinein und beherrschen alle menschlichen Geschicke. Die Lichtkörper sind nicht bloß da heilsam oder verderblich, wo Licht oder Wärme naturgemäß entscheidet, sie sind nun gut und böse überhaupt; es giebt nun gute und böse, hülfreiche und unheilbringende Sterne; in ihnen kann nun jedes gute und böse, jedes freundliche und feindliche Geschick gelesen werden, und wie ihr ewiges, unwandelbares Wandeln, ist jede Wandlung menschlichen Geschicks unwandelbar. So denkt der Nomade, der wandernde Araber, der seine weiten baum- und wasserlosen Steppen durchzieht, wie der Stern die weite Himmelswüste.

Aber denken Sie sich nun den Menschen, holde Leserin! unter einem ewig heiteren Himmel, in einer üppigen Natur, auf lachenden Gefilden, in einem irdischen Paradiese lebend, wo nur die Nacht mit ihrer Finsterniß und ihrem Grauen das Glück des Tages und den Genuß des sonnigen Glanzes und der seligen Fülle unterbricht. Da däucht ihm alles Lebensvolle, Labende und Gute wie die entzückende Helle, und alles Tödtliche, Schmerzhafte, Schlimme wie das bange Dunkel. Sanft und gleichmäßig fließt sein Leben dahin; er findet in allem, was es ihm bringt, keine andere Unterschiede, als daß das Süße und Befriedigende mit dem Herben und Glückbeschränkenden, wie Tag und Nacht, wie Licht und Finsterniß wechselt. Es sind zwei Reiche, zwei Welten: das Reich des Tages und das Reich der Nacht, die helle und die dunkele Welt. Beide lösen in der Natur wie in dem Menschenleben stets einander ab, beide sind da, gleich mächtig, gleich berechtigt, müssen beide von dem Menschen anerkannt und geehrt werden.

Aber das Menschenherz sehnt sich nach einer beständigen Helle, nach dem Siege des Lichtes über die Finsternis. Nun trägt der Mensch, wie er in der Unschuld seines Denkens nicht anders kann, sein Wesen über auf die beiden unablässig mit einander hadernden Reiche, sieht in dem Licht wie in der Finsterniß lebendigen Willen.

Ormuzd, der Geist des Lichtes, ist der Bringer alles Guten, und Ahriman, der Geist der Finsterniß, der Bringer alles Bösen. Das ist der einfache Glaube des Feueranbeters (eigentlich des Lichtanbeters) im alten Iran. Wo Ormuzd ein Gutes schafft, ist Ahriman sogleich bei der Hand und schafft ein Arges. Als Ormuzd die erste Wohnstadt des Segens und des Ueberflusses geschaffen hatte, lehrt das Zendavesta, kam der todtschwangere Ahriman und bereitete im Flusse, welcher die Segensstadt tränkte, die große Schlange des Winters; als Ormuzd Heerden geschaffen hatte, schuf Ahriman Fliegen, die den Heerden Tod brachten; als Ormuzd Dörfer geschaffen hatte, schuf Ahriman böse Reden, verdammliche Zweifel, nagende Armuth und vergiftete die Herzen; als Ormuzd verständige und leidenschaftlose Wesen, geschaffen hatte, schuf Ahriman die böse Kunst Magie und streute den verderblichen Samen des stolzen Uebermuths aus.

Draußen in der Natur, das erkennt der Mensch wohl, fechten die beiden Reiche ihren Streit nur äußerlich aus, treten nur wechselweise auf die Bühne; aber im Innern des Menschen ist der Schauplatz, wo das Gute mit dem Bösen gleichsam Brust gegen Brust ringt und wo das Gute siegen kann: daher ist der Mensch dazu geschaffen, daß er das Reich des Ormuzd ausbreite und ihm zu seinem endlichen vollständigen Siege verhelfe.

Als die Perser aus dem Schlummer ihres eingezogenen, friedlichen Lebens erwachten, als ihr Land die erste Wahlstätte des großen Völkerkampfes wurde, und sich Weltgeschicke auf seinem Boden zu entscheiden anfingen, da entwickelte sich tiefer das Bewußtsein des sittlich Guten und Bösen, da trat an die Stelle des »einfachen alten Gesetzes« das reicher ausgebildete »neue Gesetz« des Zerduscht (Zoroaster).

Je mehr man nachdachte, desto lebhafter drängte sich die Frage auf: woher denn aber Ormuzd und Ahriman? Der Menschengeist, der seine eigene Einheit bei allem Kampf in seinem Innern fühlt, kann sich unmöglich bei dem Gedanken eines uranfänglichen und nimmer endenden Zwiespalts beruhigen. Weil er diese beiden Zustände, den der Einheit und den des Zwiespaltes, nicht in seinem Denken zusammenbringen kann, so stellt er sich ihre Herrschaft der Zeit nach getrennt vor, und meint, es müßte uranfänglich wohl Einheit gewesen sein, dann wäre der Zwiespalt gekommen, aber in die Einheit werde endlich alles zurückkehren, und zwar, weil doch der Kampf nun einmal ist, durch den Sieg der mächtigeren, der edleren Partei.

Das uranfänglich Eine ist das unbestimmte, unbegreifliche Wesen, das was ist, das dunkle Schicksal, die ewige, leere Zeit (Zerwane Akerene nannte dies der Parse), und aus ihm entstammt sind beide, Ahriman und Ormuzd, die beide dann wieder Geister schufen, der eine die guten, der andere die bösen, um Alles was ist, zu bilden und zu regieren.

Auch über das Wie dachte man nach, nämlich wie Ormuzd und Ahriman wurden, und man nahm Vorstellungen zu Hülfe, wie sie schon im alten Indien ausgebildet waren. Man dachte sich das Uranfängliche schon als lebendigen Willen, aber noch als Sehnsucht, und nannte es Zruna. Dieser Gott sehnt sich nach geschaffenen Wesen, nach einer Welt, und harrt tausend Jahre, bald in Zweifeln, ob sich sein Sehnen erfüllen werde, bald in Gebet und Opfer, in Wunsch und Hoffnung. Zu wem er betete, wem er opferte, das machte sich vermuthlich die kindliche Art dieses Phantasirens nicht klar. Genug, aus seinen Zweifeln wurde Ahriman, aus seinen Wünschen Ormuzd, die dann immer abwechselnd alles Reine und Unreine, Gute und Böse schufen, Ormuzd die Amschaspands, die guten Geister, Ahriman die bösen, seine Dews.

Diese Geister kämpfen nun um des Menschen Seele, und wenn der Mensch rein und des Ormuzd Diener bleibt, so gelangt seine Seele einst an den Ort des reinen Lichts und Friedens, Grootman genannt; die Diener Ahrimans jedoch werden an den Ort der Schrecken und der Finsterniß, Duzakh, verstoßen. Ueber jede Seele richten drei Todtenrichter und bestimmen, ob sie in den Himmel eingehen oder in die Hölle versinken solle. Doch gelten die Höllenstrafen nicht für endlos, weil zuletzt das Reich des Ormuzd triumphiren soll.

Ob Ahriman in dieser seligen Zeit mit Ormuzd Frieden schließen und selber an der Freude des Lichtes Theil nehmen, oder ob er gänzlich mit seinem Reich verschwinden würde, darüber konnte man zweifelhaft sein, wenn alles Uebrige schon sich für die Vorstellung befestigt hatte, und man war wirklich zweifelhaft. Sosiosch, das sagten Alle, werde am Ende der Tage erscheinen, der Erretter, der Befreier; aber er wird den Ahriman, sagten die Einen, vernichten, bekehren, sagten die Andern.

Hier ist also schon Himmel und Hölle, hier der Urquell des Guten mit dem Urquell des Bösen im Kampfe, der Urquell des Bösen schon als der Verführer der Menschen vorgestellt: aber man sieht leicht, daß die Fragen nach dem Ursprung des Guten und Bösen, nach dem Zusammenhang dessen, was außerhalb des Menschen, und dessen, was in seinem Innern gut und böse, und nach der Lösung des Räthsels, wie der arge Zwiespalt aus der Einheit alles Lebens sich entwickeln konnte, nicht bis auf ihren Grund erschöpft und zur Lösung gebracht sind. Dies konnte nicht geschehen, wo die Menschen sich einmal daran gewöhnt hatten, das Doppelreich des Lichtes und der Finsterniß als vorhanden zu denken und an feinem Dasein keinen Anstoß zu nehmen.

Anders mußte es werden, wenn dieselbe Ansicht Eingang fand in ein Gebiet menschlicher Anschauung, auf welchem der Geist den Gedanken erfaßt und sich zum sicheren Eigenthume gemacht hatte, daß in Allem was ist, eine einige, einzige Macht wirksam, daß der alleinige Gott Schöpfer und Herr des Alls sei. Nun erst tritt die Frage nach der Möglichkeit des Bösen in ihrem ganzen Ernste hervor. Anfangs, bevor das Nachdenken tiefer eindrang, konnte man sich dabei beruhigen, daß man annahm, das Böse sei nur des Menschen Trotz gegen Gott und Abfall von Gott, zu solchem Trotz und Abfall sei der Mensch verführt worden.

Von wem? Wer ist die Schlange, welche Eva überlistet? Man wußte es nicht, man bedachte dies noch nicht; es war fürs Erste schon befriedigend für den Geist, daß er den Fund gethan hatte, das Böse als Abtrünnigkeit in Folge der Verlockung zu begreifen. Aber weiter dachte man: nicht alles Böse kommt aus dem Herzen des Menschen, viel Unheil tritt von außen her an diesen, und Strafe Gottes kann nicht alles Unheil sein, denn leiden muß auch der Gerechte. Wohl, was nicht Strafe ist, das ist Versuchung, Prüfung, welche Gott über den Menschen verhängt, dessen freie Anhänglichkeit und Verehrung er begehrt.

So ist der Versucher im Buche Hiob Gottes Diener, der Satan ist mitten unter den Kindern Gottes; der Herr fragt ihn ausdrücklich: hast du nicht Acht gehabt auf Hiob, meinen Knecht? und er spricht nachher zu ihm: siehe, alles was Hiob hat, sei in deiner Hand, nur an ihn selbst lege nicht Hand. Aber bei der letzten Entscheidung, welche Gott im Buche Hiob über sein Verhängnis giebt, nämlich daß alles nach der Willkür des Herrn ergehe, mit dem kein Mensch zu rechten sich unterfangen dürfe, weil alles was unter den Himmeln, Gottes Werk und Eigenthum (Hiob 41,2), mit dieser Entscheidung konnten sich die Menschen auf die Länge nicht beruhigen: sie erwarteten von ihrem Gott Gerechtigkeit, keine Willkür, und Liebe, kein Bedräuen und schreckliches Offenbaren seiner Macht.

Sie fragten, wie Albert in unserem Texte fragt: wie konnte die höchste Vollkommenheit das Uebel, wie das höchste Wissen die Lüge, wie die Liebe den Haß erzeugen? Nur durch Abfall war es möglich. Aber konnte man sich denken, daß der Mensch ursprünglich gut geschaffen und in der Hand des guten Gottes stehend von Gott abfiele? Nimmermehr. Ein anderer Geist mußte dazu in ihm mächtig geworden sein, als Gottes Geist.

Dieser andere Geist, der Widersacher Gottes, der Verführer des arglosen Menschen, den man sich nicht mehr überreden konnte als ein Werkzeug Gottes zu denken, muß ein gefallener Engel sein; denn uranfänglich, ein dem Guten entgegengesetztes Princip konnte er nicht sein, weil von Anfang an nur Gott ist, der alles aus dem Nichts hervorgerufen. Was man dem Menschen nicht zutraute, traute man einem Engel zu; der Mensch hätte nicht fallen können, wie konnte ein Engel fallen? Man erwog die Schwierigkeit nicht, man war zufrieden, sich durch Satans Abfall den Abfall des Menschen erklärt zu haben.

Dieser gefallene Engel ist Satan im Neuen Testament, wo sich nur die Vorstellung der damaligen Juden wiederholt, nichts durch das Christenthum neu begründetes. Die Offenbar. Joh. belehrt uns (12, 7ff.): »Es erhob sich ein Streit im Himmel. Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen, und der Drache stritt, und seine Engel, und siegten nicht. Es ward ausgeworfen die alte Schlange, der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt, und ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden auch dahin geworfen  ... Darum freuet euch, ihr Himmel, weil der Verkläger unserer Brüder verworfen ist, der sie verklaget Tag und Nacht vor Gott ... Aber wehe denen, die auf Erden wohnen, denn der Teufel kommt zu euch hinab, und hat einen großen Zorn, und weiß, daß er wenig Zeit hat.«

Er ist »ein Mörder von Anfang und nicht bestanden in der Wahrheit; wenn er Lügen redet, so redet er von seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und Vater der Lüge« (Joh. 9, 44). Er ist ein »nach Raub brüllender Löwe« (1 Petr. 5, 8) und macht beständig »listige Anläufe« auf das Menschengeschlecht (Ephes. 6, 11.)

Daher ist es auch nicht aus einem Unterlassungsfehler der evangelischen Schriften, oder aus einer falschen Auslegung derselben zu erklären, daß sich dem Lichte des Evangeliums zum Trotz die Vorstellung vom Teufel erhalten konnte, sondern das Neue Testament hegt und begünstigt wirklich diese Vorstellung.

Sobald der Gedanke einmal feststand, daß das Böse von einem gefallenen Engel herrühre, bemühete man sich, den Abfall dieses Engels sich zu erklären. Ich will nur einen dieser Erklärungsversuche anführen, der unter den Arabern aufkam, weil ich dabei Gelegenheit finde, den Eblis, der oben im Texte erwähnt ward, unsern Leserinnen näher bekannt zu machen.

Die Dews (oder Dives, Dämonen) beherrschten zuerst die Erde, wurden aber trotzig, weil die ihnen eingeräumte Herrschaft sie stolz gemacht hatte. Um sie zu demüthigen, schuf Gott, aus dem reineren Feuerstoff den Engel Hareth, d. h. den Aufseher, der auch die Dews bezwang und unterwarf. Aber nun wurde er selbst stolz auf seinen Sieg und auf seine Alleinherrschaft; er wurde zum Eblis (Διάβολος Diabolus, Teufel) oder, wie er auch sonst genannt wird, Azazel, oder Iba (Widerspänstiger) oder Scheitan (Satan). Und Gott beschloß, auch ihn zu demüthigen und schuf den Menschen, vor welchem alle Engel und auch Eblis die Knie beugen sollten. Da Eblis sich dessen weigerte und den Menschen zu verführen und zu knechten trachtete, so verfluchte Gott den Eblis bis auf den letzten Gerichtstag, wo er seine letzte Strafe erhalten wird in dem Feuer, dem Elemente selbst, aus dem er geschaffen worden.

Indessen bleibt die Frage stehen, wie es einem guten Engel möglich war, stolz und trotzig zu werden. Und der Schwierigkeiten sind noch mehr. »Es lassen sich, (sagt Schleiermacher, den ich hier wörtlich anführe, weil ich die Sache nicht besser zu sagen weiß,) es lassen sich, je vollkommner die Engel gewesen sein sollen, um so weniger andere Motive ihres Falles angeben, als welche, wie z. B. Hoffart, Neid, einen solchen Fall schon voraussetzen. Sollen nun ferner nach dem Falle die natürlichen Kräfte des Teufels unverrückt geblieben sein, so ist nicht zu begreifen, wie beharrliche Bosheit bei der ausgezeichnetsten Einsicht sollte bestehen können. Denn diese Einsicht muß zuerst jeden Streit gegen Gott als ein völlig leeres Unternehmen darstellen. Hat aber der Teufel bei seinem Falle auch den allerschönsten und reinsten Verstand verloren, so läßt sich auf der einen Seite nicht einsehen, wie durch Eine Verwirrung des Willens der Verstand für immer sollte verloren gehen können, wenn nicht diese Verirrung selbst schon auf einem Mangel an Verstand beruht; auf der andern Seite wäre nicht zu begreifen, wie der Teufel nach einem solchen Verlust seines Verstandes noch sollte ein so gefährlicher Feind sein können.«

Ich führe die Stelle, die noch mehrere Schwierigkeiten aufzählt, nur so weit an, weil es für den gegenwärtigen Zweck genügt, zu zeigen, daß sich das Nachdenken bei der Vorstellung von gefallnen Engeln in ein unentwirrbares Labyrinth verwickelt.

Man denkt sich Gott als den Inbegriff aller Vollkommenheiten und zugleich als den Schöpfer der Welt. Wie ist es möglich, daß der vollkommne Schöpfer ein unvollkommnes Werk hervorgebracht habe? Daß dies die eigentliche Frage sei, um deren Lösung es zu thun war, mußte dem nachdenkenden Menschen bald klar werden.

Die christlichen Kirchenlehrer ließen die Frage dahingestellt und begnügten sich mit der Ueberzeugung, daß Satan eben da ist; nach der Möglichkeit seines Daseins zu fragen, schien ihnen überflüssig und sogar gotteslästerlich, denn es galt für Vermessenheit, in die Tiefen der göttlichen Geheimnisse eindringen zu wollen. Und die Entstehung des Bösen sahen sie als das Grauenvollste aller Geheimnisse an.

Aber es fehlte nicht an Männern, welche den Schleier, der diese Geheimnisse bedeckte, zu lüften versuchten. Sie strebten nach der vollkommnen Erkenntniß, die man mit griechischem Worte »Gnosis« nannte, und sie selbst erhielten deswegen den Namen der Gnostiker. Konnte der vollkommene Gott die unvollkommene Welt nicht selbst geschaffen haben, so mußte ein andrer untergeordneter Geist der Urheber derselben sein.

Künstlichen Speculationen ist hier ein ungemessenes Feld geöffnet, wie denn auch eine Menge von gnostischen Systemen entstanden, denen zufolge die Welt aus einer Mischung von geistigen, göttlichen und trüben, aus dem Chaos oder der todten Materie entnommen Elementen durch die That eines auf niederer Stufe des aus Gott in vielen Abstufungen ausgeströmten Geisterreiches stehenden Dämons gebildet ist, bald mit dem Willen des unnahbaren Gottes, der einen Läuterungsprozeß zur Ueberwindung der trägen Materie beabsichtigt, bald gegen den Willen Gottes, der aber nun nach vollbrachtem Werk sich des kranken, verpfuschten Gemächtes rettend annimmt, um seine Herrlichkeit allmählig wieder herzustellen.

In diesen Systemen wird aller künstlichen Abstufung geistiger Mächte und aller Einschaltung von Zwischengliedern ungeachtet das nicht erreicht, was beabsichtigt ist. Gott bleibt doch immer, wenn auch nicht unmittelbar, die letzte Ursache der Erscheinungswelt und also auch des Uebels in ihr. Manche Gnostiker haben daher auch das Uebel nicht als Uebel, d. h. nicht als etwas, das Gott nicht gewollt hat, sondern als ein von Gott selbst Eingesetztes und dazu daß es überwunden werde oder zur Förderung der göttlichen Absichten und zur vollkommnen Herstellung des göttlichen Wesens Nothwendiges erkannt; ihnen ist dann der verführende Geist, die alte Schlange nicht das böse Princip, sondern das Gährungsmittel, welches Gott in seine Schöpfung gelegt hat, der Geist der Klugheit und des Selbstbewußtseins, der Lichtbringer (Lucifer).

Die Vorstellungen, welche sich die Grübler jener Zeit von dem Prozesse der Weltbildung machten, mußten verschieden ausfallen, je nachdem sie sich die Entstehung des Bösen im Menschen dachten. Man hat sich dieses immer auf verschiedene Art gedacht. Man nahm entweder an, daß der einzelne Mensch von Natur gut sei oder von Natur böse, oder endlich mit einem doppelten Willen ausgestattet, von denen der eine gut, der andere böse ist.

Wenn man den Menschen für ein zwiegeschaffnes Bild hielt, weil man sonst nicht wußte wie beides zugleich in ihm sein konnte, Gutes und Böses, so war man genöthigt, such einen doppelten göttlichen Ursprung dieser beiden Willensmächte anzunehmen, wie die alten Naturreligionen, von denen oben die Rede war, auch die Gnostiker thaten. Ja, eine Partei der Letzteren ging so weit, an zwei Urmenschenpaare zu glauben.

Wenn man dagegen annahm, der Mensch wäre ursprünglich gut geschaffen, so konnte man sich das Böse nur als einen Abfall von Gott denken. Dieser unbegreifliche Abfall mußte irgend einmal eingetreten und dann nicht wieder gut zu machen gewesen sein: man dachte sich einen Fall Adams des ersten Menschen, und die Vererbung seiner dadurch verkehrten Natur auf seine Nachkommen. Seit dem Falle also ist der einzelne Mensch von Geburt an böse, vermöge der Erbsünde, d. h. der Fortpflanzung eines durch Adam's Fall zerrütteten Wesens.

Um sich den ersten Sündenfall zu erklären, nahm man wie gesagt, die verführende Einwirkung eines gefallenen Engels an und verlegte somit den Fall eigentlich schon in die vorweltliche Zeit. Satan wurde nun als derjenige Geist betrachtet, in dessen Gewalt seit seinem ersten Siege jeder Mensch von Geburt an ist, so daß man das neugeborne Kind vor seiner Aufnahme in die Gemeinschaft der Erlösten durch Teufelsbannung, Exorcismus erst von der Gewalt des bösen Geistes frei machen müßte.

Man dachte sich ferner, daß durch den ersten Fall die ganze Natur, die ursprünglich gut geschaffen war, verkehrt und in Mangelhaftigkeit, Elend und Vergänglichkeit gestürzt worden war. Daher, wie Paulus sagt, »alle Kreatur sich mit uns sehnet und ängstiget immerdar« (Röm. 8, 22). Die so verschlechterte, verkehrte Natur mußte natürlich dem wiedergeborenen Menschen, d. h. dem, welcher von der ursprünglichen Herrlichkeit wußte und sich nach ihr zurücksehnte, hassenswerth erscheinen. Er mußte begehren, ihrer los zu werden, wie denn auch Paulus sagt: »ich habe Lust abzuscheiden und bei Christus zu sein« (Philipp. 1, 23).

Aus dieser Sehnsucht entsprang dann die Neigung, das Fleisch, wie man es nannte, abzutödten durch allerlei Entbehrung und Kasteiung. Man zog sich aus der Gesellschaft der Menschen in die Einöde, aus dem Genuß der irdischen Güter in die Enthaltsamkeit, aus der Welt des wirklichen Lebens, die man als das Eigenthum des Satan ansah, in die Welt der Beschauung Gottes und seiner himmlischen Herrlichkeit zurück. Immer schrecklicher gestaltete sich vor der erhitzten Einbildungskraft des durch Ascetik ausgemergelten und in den Schauern der Einöde geänstigten Büßers das Bild des höllischen Fürsten.

Der herrschsüchtigen Geistlichkeit war sodann die Angst der eingeschüchterten Gläubigen vor den Schrecken des ewigen Feuers ein zu bequemes Mittel, alles in dumpfem Gehorsam und zaghafter Abhängigkeit zu erhalten, da der Priester sich die Macht beilegte das Unheil zu beschwören, um nicht diese Angst immer mehr zu nähren und zu steigern.

Und als endlich die Menschen allmählig vor ihrer eigenen Knechtschaft zu schaudern und ihre Vernunft wieder zu gebrauchen anfingen, als sie die Anmaßung der Priester durchschauten und die Ketten zerreißen wollten, als sie auf das Urchristenthum sich berufend, die Einen Freiheit des Geistes, die Anderen Gleichheit aller Menschen und Manche beides zu ihrer Losung machten, da verwarfen sie auch die Furcht vor der Hölle und die Vorstellung vom Widersacher Gottes.

Ja, da sie selbst in Auflehnung gegen das Bestehende waren, so lag nichts ihrem Geiste näher, als den Geist der Auflehnung selbst für nichts Böses, sondern für etwas Gutes und von Gott Gewolltes, für das Ferment der Weltgeschichte, den Teufel für den Geist des Fortschrittes, der Selbsterkenntniß, der Befreiung zu halten.

Diese Sekten sind verschollen und die Welt ist von dem Teufel noch nicht losgekommen; so wenig, daß in diesen unsern Tagen ein neuer Gnostiker in unserer eigenen Mitte wieder aufgetreten ist und mit Gunst der Mächtigen dieser Welt und mit Beifall Vieler, die sich weise heißen lassen, unter großem Zulauf von Hörbegierigen sein gnostisches System öffentlich vortrug in einer Stadt, die gern für den Mittelpunkt der Intelligenz gelten möchte.

Nach seiner phantastischen Auffassung ist aber der Mensch selbst, d. h. der Urmensch, der Typus des Menschen, der noch vor der Welterschaffung in gleicher Mitte zwischen den göttlichen Wesenheiten oder Potenzen schwebte, die Ursache nicht nur des eigenen Falles sondern auch des Umsturzes und der Verkehrung alles Daseins, so daß durch den Fall des Urmenschen, nämlich durch dessen Uebermuth und Verlangen, selbst Schöpfer und Herr aller Möglichkeiten zu sein, erst diese Welt in ihrer Mangelhaftigkeit entstanden ist.

Diese Welt kam nämlich dadurch zu Stande, daß der Mensch durch sein Losreißen aus dem Centrum, worin er schwebte, die erste Möglichkeit welche Gott sich selbst vor Augen gehalten hatte, die bloße Materie, das Unbändige, was überwältigt werden sollte und wirklich schon von Gott in der vorweltlichen Zeit überwältigt war, wieder herauf hob und mächtig machte. Durch diese ungeheure That des Urmenschen ist diese Materie, die eine bloße Unterlage und das Ueberwundene und Gebändigte sein sollte, nicht nur frei sondern erst zum Gegengöttlichen, also zum Satan geworden.

Daß diese Fabelei, welche bei allem Vorgeben des Herrn von Schelling, als ob seine Lehre mit der Schriftlehre übereinstimme und deren Erklärung und wahres Verständniß enthalte, dennoch die Bibel wirklich nur verdreht und verunklärt, so großen Applaus bei Dortoren der Gottesgelahrtheit finden konnte, das ist in der That sehr merkwürdig und ein großes Zeichen von der unter uns weit verbreiteten Gedankenarmseligkeit.

Aber genug hievon! Sie sehen wenigstens, wie der Satan noch immer spukt; Sie sehen, daß man ihn mit der Versichernng, er müßte doch eine ganz monströse Schöpfung Gottes sein, nicht beschwören kann, denn im Husch ist er statt einer Schöpfung Gottes zu einem Product urmenschlicher That geworden. Sie sehen, das es nichts hilft, wenn man das Böse im Menschen selbst nicht begreift, dasselbe einem Wesen außerhalb der Menschheit aufzubürden. Die Unbegreiflichkeit bleibt immer dieselbe.

Das ganze Uebel kommt daher, daß man das Gute und Böse als feste Bestimmungen und weiterhin als unterschiedene Mächte ansieht, die ein für alle mal die eine schwarz, die andere weiß sind. Es giebt weder solches Gute noch solches Böse. Alles ist gut oder böse nur nach seinen Beziehungen unter einander und zu dem Menschengeiste. Der Mensch kann alles, was von außen her an ihn kommt, als Gutes oder Schlimmes ansehen, je nachdem sein freier Geist es auffaßt; nichts thut ihm wehe, wenn sein Geist es überwindet und sich darüber erhebt. So ist das Uebel kein Uebel.

Der Menschengeist hat Macht alles zu wandeln und zu dem zu machen, was es sein soll: er erkennt das Nothwendige und unterwirft sich ihm willig und wirket nach den erkannten ewigen Gesetzen der Vernunft. Der Menschengeist ist aber ebensowohl dieser erkennende, wissende, die allgemeine Menschennatur begreifende, und ihr gemäß zu handeln angewiesene Geist, als er der Geist des einzelnen, beschränkten, sich selbst allein angehörigen Wesens ist.

Bildet sich der Geist nicht der allgemeinen Natur nach aus und giebt sich in den Dienst des allgemeinen Wirkens hin, sondern bleibt er in seinem abgesonderten, nur auf sein eigenstes Gelüsten, zufälliges Wünschen und Wollen gerichteten Wesen hangen, so ist der Mensch böse, denn er erfüllt den Zweck seines Daseins nicht, und unselig, denn er erreicht nicht das Maß seiner eigenen Natur, befriedigt sein eigenes Wesen nicht. Der Geist, der ihn zum Bösen versucht, ist nur sein eigenes, vereinzeltes, vom Allgemeinen abgekehrtes Wesen; der Geist, der ihn zum Guten leitet, ist der Drang des innern Bewußtseins, daß er nicht sich, sondern der Menschheit angehöre, und daß er das Heilige, d. i. »das, was Alle zusammenbindet«, edel und rein in sich darstellen müsse.

Das Böse braucht nicht anders begriffen zu werden, als daß es die Verkehrung, der Mißverstand und Mißbrauch der Freiheit ist. Denn die wahre Freiheit besteht darin, daß man sich mit Ueberzeugung und mit Lust nicht zu dem, was man zufällig und zum Besten der vereinzelten Begierden und seines vereinzelten Daseins will, sondern zu dem, was wahrhaft, nothwendig und allgemein ist, entschließe. Satan ist also nichts als des Menschen Selbstsucht.

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