Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erster Theil.

—————

1.

Ja, ja, Mesdemoiselles, schütteln Sie die Köpfe so viel es Ihnen beliebt; die beste und folgsamste von allen ist – doch nein! ich nenne sie nicht; denn sie ist in meiner Klasse das einzige bescheidene Kind, und ich will sie nicht an eine so seltene Tugend bringen, welche ich Ihnen eben wünsche ...

In nomine Patris er Filii et Spiritus sancti sang die Costanza mit trotziger Miene.

Amen, antworteten im Chore die übrigen jungen Mädchen.

– Bösewicht! sagte die Clorinda, indem sie dem Singmeister ein hübsches böses Gesicht machte und ihm mit dem Stiele ihres Fächers einen leisen Schlag auf die knochigen und gerunzelten Finger gab, welche noch ausgestreckt auf der Claviatur der Orgel ruheten.

– Kommt mit! sagte der alte Professore mit dem erfahrenen und ruhigen Wesen eines Mannes, welcher seit vierzig Jahren sechs Stunden täglich alle Launen und Schelmereien verschiedener Generationen von weiblichen Zöglingen zu bestehen hat. Er steckte seine Brille in das Futteral und seine Tabaksdose in die Tasche, ohne nach dem eifernden und spottenden Schwarme aufzublicken. Wahr ist es dennoch, setzte er hinzu, jenes wohlgesittete, lernbegierige, fleißige, gute Kind, von dem ich sagte, das sind Sie nicht, Signora Clorinda; und Sie nicht, Signora Costanza; Sie auch nicht, Signora Zulietta; die Rosina eben so wenig; und die Michela noch weniger ...

– Dann bin ich's ... Nein, ich!... – Gar nicht, ich! ... – Ich! – Ich! – riefen mit ihren flötenden oder schneidenden Stimmen funfzig Blondinen und Brünetten und warfen sich wie ein Flug Möven auf eine arme Muschel, die das ebbende Meer auf dem Strande im Trocknen zurückgelassen hat.

Die Muschel, nämlich der Maestro (und fürwahr, kein treffenderes Gleichniß ließe sich für ihn erdenken, mit seinen eckigen Bewegungen, seinen schillernden Augen, seinen rothgefleckten Backen und besonders seiner weißen, sich in tausend steifen, spitzigen Löckchen kräuselnden Perrücke), der Maestro, sag' ich, dreimal wieder auf die Orgelbank zurückgedrückt, so oft er sich erhob um hinwegzugehen, aber immer ruhig und unerschüttert, ganz wie eine von den Stürmen gewiegte und abgehärtete Muschel, ließ sich lange bitten; daß er diejenige seiner Schülerinnen nennen möchte, welche er, mit seinen Lobsprüchen sonst so karg, diesmal damit überhäuft hatte. Endlich, indem er that, als ob er den Bitten, die seine Schlauheit hervorgerufen, nur mit Widerstreben wiche, griff er nach dem Magisterstabe, der ihm zum Taktschlagen diente, und trennte und theilte mittels desselben seinen undisciplinirten Haufen in zwei Reihen ab. Endlich schritt er zwischen diesem doppelten Spaliere leichter Köpfchen hindurch und blieb am Ende des Orgelchores vor einem kleinen Wesen stehen, das, die Ellenbogen auf die Kniee gestützt, die Finger in den Ohren, um nicht von dem Lärm gestört zu werden, seine Aufgabe halblaut, um Niemanden zu stören, lernend, und zusammengebückt wie ein Aeffchen, auf einer Stufe saß; mit feierlicher und triumphirender Miene blieb er stehen, den Fuß und den Arm vorgestreckt, wie Paris der den Apfel reicht, hier nicht der Schönsten, aber der Folgsamsten.

– Consuelo? die Spanierin? riefen in der ersten Ueberraschung die jungen Choristinnen wie aus einem Munde, dann brach ein allgemeines, homerisches Gelächter aus und lockte die Röthe des Verdrusses und des Zornes auf die majestätische Stirn des Lehrers. Die kleine Consuelo, deren verstopfte Ohren von der ganzen Unterredung nichts gehört hatten, und deren zerstreute Augen aufs Gerathewohl umherblickten ohne etwas zu sehen, so vertieft war sie in ihre Arbeit, – Consuelo merkte Anfangs nicht im geringsten auf all den Tumult, und als sie endlich die Aufmerksamkeit wahrnahm, welche sie erregt hatte, ließ sie ihre Hände aus den Ohren auf ihren Schoß und ihr Heft von ihrem Schoße auf die Erde fallen; starr vor Erstaunen saß sie da, verwirrt nicht, doch ein wenig erschreckt, und zuletzt stand sie auf und blickte hinter sich, um zu sehen, ob etwa dort irgend etwas Sonderbares oder Lächerliches wäre, das statt ihrer zu einer so lärmenden Lustigkeit Anlaß geben mochte.

– Consuelo, sagte der Maestro, indem er sie ohne weitere Erklärung bei der Hand nahm, komm her, mein gutes Kind, und singe mir das Salve Regina von Pergolese, das du seit vierzehn Tagen übst und woran die Clorinde schon ein Jahr lernt.

Consuelo ging, ohne zu antworten, ohne Furcht, ohne Stolz, ohne Verlegenheit, mit dem Singlehrer an die Orgel; dieser setzte sich und gab mit triumphirenden Blicken seiner jungen Schülerin den Ton an. Rein, einfach, ohne Anstrengung sang Consuelo und es klangen unter den tiefen Wölbungen der Kathedrale hin die Töne der schönsten Stimme, die jemals dort erschollen war. Sie sang das Salve Regina ohne sich des kleinsten Gedächtnißfehlers schuldig zu machen und ohne einen Ton zu wagen, der nicht untadelhaft rein und voll gerieth und immer am rechten Orte ausgehalten oder losgelassen; sie folgte nur ganz willenlos, aber mit der größten Pünktlichkeit den Anweisungen, welche der einsichtige Lehrer ihr gegeben hatte, und führte mit ihren gewaltigen Mitteln die wohlbedachten und richtigen Intentionen des trefflichen Mannes aus; so leistete sie mit der Unerfahrenheit und Unbewußtheit eines Kindes was wohl Kenntniß, Fertigkeit und Begeisterung einer vollendeten Sängerin nicht vollbracht hätten: sie sang mit Vollkommenheit.

Recht gut, mein Kind, sagte der alte Meister, der mit seinem Lobe stets sparsam war. Du hast mit Aufmerksamkeit studirt und du hast mit Bewußtsein gesungen. Das nächste Mal sollst du mir die Cantate von Scarlatti wiederholen, die ich dir eingeübt habe.

Si, Signor Professore, antwortete Consuelo. Kann ich nun gehen?

– Ja, mein Kind. Mesdemoiselles, die Stunde ist aus.

Consuelo nahm ihre Hefte, ihren Bleistift und ihren kleinen Fächer von schwarzem Papier, den steten Begleiter der Spanierin wie der Venezianerin, den sie zwar fast niemals brauchte, aber immer bei sich hatte, und that das alles in einen kleinen Kober. Dann verschwand sie hinter den Orgelpfeifen, schlüpfte behend wie ein Mäuschen über die dunkle Treppe, die in die Kirche hinabführt, kniete an dem Mittelschiff vorübereilend einen Augenblick nieder, und eben als sie die Kirche verlassen wollte, traf sie bei dem Weihwasser einen schönen Herrn, welcher ihr lächelnd den Wedel reichte. Während sie nahm, schaute sie ihm gerad' ins Gesicht mit der Unbefangenheit eines kleinen Mädchens, das seine Weiblichkeit noch nicht weiß und fühlt, und mischte so komisch ihre Bekreuzigung mit ihrem Dank, daß der junge Herr zu lachen anhob. Consuelo lachte ebenfalls; aber auf einmal, als ob es ihr einfiele, daß sie erwartet werde, fing sie an zu laufen und hatte im Augenblicke Thürschwelle, Stufen und Vorhalle der Kirche hinter sich gelassen.

Unterdessen steckte der Professor seine Brille zum zweiten Male in seine große Westentasche, und sprach dabei zu den Schülerinnen, welche ihn schweigend umgaben:

– Schämen Sie sich, meine schönen Demoiselles! sagte er. Dieses kleine Mädchen, die jüngste unter Ihnen, die jüngste meiner Klasse, ist die einzige, die ein Solo ordentlich singen kann, und in den Chören läßt sie sich durch alle Dummheiten, welche Sie rechts und links machen, nicht irreführen, sondern ich höre sie immer richtig und sicher wie einen Klavierton. Eifer und Ausdauer besitzt sie, und außerdem was Sie alle, wie Sie da sind, nicht haben und niemals haben werden: Bewußtsein!

– Aha! hat er sein Schlagwort noch losgelassen! rief Costanza, als er hinaus war. Er hat es blos neun und dreißigmal während der Stunde angebracht, und er wäre wahrhaftig krank geworden, wenn ihm das vierzigste entgangen wäre.

– Ein rechtes Wunder, wenn die Consuelo Fortschritte macht, sagte Zulietta. Sie ist so arm. Sie hat an weiter nichts zu denken als wie sie nur geschwind etwas lerne, um ihr Brot zu verdienen.

– Ihre Mutter soll eine Zigeunerin gewesen sein, setzte Michelina hinzu, und die Kleine hör' ich, hat auf Gassen und Landstraßen gesungen, ehe sie hierher kam. Eine schöne Stimme hat sie, das kann man nicht bestreiten; aber sie hat nicht ein Fünkchen Geist, das arme Ding. Sie lernt auswendig, sie folgt sklavisch den Anweisungen des Professors, und dann thut ihre gute Lunge das Uebrige.

– Mag ihre Lunge noch so gut sein, und hätte sie noch so viel Geist obenein, sagte die schöne Clorinda, so möchte ich doch nicht mit ihr tauschen, wenn ich meine Gestalt für die ihrige hingeben müßte.

– Da würdest Du auch nicht so gar viel verlieren, entgegnete die Costanza, welche niemals große Lust hatte, Clorindens Schönheit anzuerkennen.

– Nein! schön ist sie nicht, sagte eine Andere, sie ist gelb wie eine Osterkerze und ihre großen Augen sind so nichtssagend, auch ist sie immer so schlecht angezogen: gewiß, ganz garstig ist sie. – Armes Mädchen! o, es ist ein recht großes Unglück für sie, das alles. Kein Vermögen, keine Reize!

So endete Consuelo's Lob; durch dieses Bedauern hielten sich die Anderen für die Bewunderung schadlos, welche ihnen der Gesang des Mädchens abgenöthigt hatte.

2.

Es trug sich dieses in Venedig zu, vor etwa hundert Jahren und zwar in der Kirche der Mendicanti, als eben der berühmte Maestro Porpora daselbst die Proben der großen Vespermusik beschloß, welche er zu Mariä Himmelfahrt nächsten Sonntag auszuführen hatte. Die jungen Choristinnen, die so wacker von ihm ausgescholten wurden, waren Freischülerinnen jener Scuola, welche die Republik unterhielt, um junge Mädchen darin auszubilden und später auszustatten – soit pour le mariage, soit pour le cloître, sagt Jean Jacques Rousseau, der ihren herrlichen Gesang gerade auch um jene Zeit und in derselben Kirche bewundert hat. Gewiß erinnerst du dich, lieber Leser! seiner Schilderung und der reizenden Episode im 7. Buche der Confessions. Ich werde mich wohl hüten, diese Paar Seiten, die entzückend sind, dir hier abzuschreiben, denn die meinigen würdest du danach nicht wieder in die Hand nehmen mögen; und ich an deiner Stelle, lieber Leser, würde es eben so machen. Ich will nun hoffen, daß du die Confessions nicht gerade bei der Hand hast, und in meiner Geschichte fortfahren.

Nicht alle diese jungen Mädchen waren gleich arm, und es ist kein Zweifel, daß der äußerst gewissenhaften Verwaltung ungeachtet manche mit einschlüpften, für welche es weit mehr eine Speculation als ein Bedürfniß war, auf Kosten der Republik ihren Unterricht in der Kunst und eine Ausstattung zu erhalten. Daher erlaubten es sich manche die heiligen Gesetze der Gleichheit zu vergessen, unter deren Anrufung es ihnen gelungen war, sich auf dieselben Bänke mit ihren wirklich armen Schwestern zu stehlen. Manche entzogen sich dann wohl wieder der ernsten Bestimmung, welche die Republik ihnen zugedacht hatte, und verzichteten, nachdem sie den Vortheil des unentgeldlichen Unterrichts genossen hatten, auf die Mitgift, um anderweitig sich ein glänzenderes Loos zu bereiten. Die Verwaltung hatte es nicht vermeiden können, zu den Lehrstunden bisweilen auch die Kinder armer Künstler zuzulassen, denen ihr unstätes Leben keinen längeren Aufenthalt in Venedig gestattete. Zu dieser Klasse gehörte die kleine Consuelo. Sie war in Spanien geboren und von dort nach Italien gekommen, ich weiß nicht ob über St. Petersburg oder Constantinopel, Mexiko, Archangel oder auf einem Wege, noch direkter, nach Zigeunerart, als die genannten.

Zigeunerin war sie nur durch Lebensweise und nach dem Redegebrauch, von Abkunft war sie weder irgendwie Gitana, noch Hindu, noch Israelitin; sie war von reinem spanischem Blute, von maurischem Ursprung ohne Zweifel, denn sie war so ziemlich braun und ihr ganzes Wesen war von einer Ruhe, wie solche nicht den umherschweifenden Stämmen eigen ist. Ich will hiermit von diesen Stämmen nichts Uebles gesagt haben. Hätte ich mir Consuelo's Gestalt erdacht, so weiß ich nicht, ob ich sie nicht von Israel hätte ausgehen lassen: so aber war sie von der Rippe Ismaels entstammt, ihr ganzes Wesen verrieth das. Ich habe sie nicht gesehen, denn hundert Jahre bin ich noch nicht alt, aber man hat es mir versichert, und ich wüßte nicht, was sich dawider sagen ließe. Jener Wechsel von fiebrischem Ungestüm und stumpfer Abspannung, welcher die Zingarelle bezeichnet, war ihr fremd. Sie hatte nichts von der geschmeidigen Neugier und der unermüdlichen Zudringlichkeit einer bettelnden Ebbrea. Sie war so still wie das Wasser der Lagunen und zugleich so ämsig wie die leichten Gondeln, welche die Fläche desselben unablässig durchfurchen.

Da sie schnell wuchs und da sich ihre Mutter in großer Dürftigkeit befand, so trug sie Kleider, welche ihr immer um ein Jahr zu kurz waren: ihren langen vierzehnjährigen Beinen gab dies eine solche Art von wilder Grazie und Dreistigkeit des Schreitens, daß es zugleich lustig und traurig anzusehen war. Ihr Fuß ließ nicht erkennen, ob er klein sei, so plump war er bekleidet. Ihr Wuchs dagegen, umspannt von dem zu eng gewordenen und an allen Nähten durchbrochenen Leibchen, zeigte sich schlank und biegsam wie eine Palme, aber formlos, nicht gerundet, nicht verführerisch. Das arme Mädchen dachte daran nicht. Sie war es gewohnt, sich »Affe«, »Citrone«, »Mulattin« von den blonden, weißen und völligen Töchtern der Adria schelten zu hören. Ihr rundes, bleiches, unbedeutendes Gesicht würde Niemanden aufgefallen sein, wenn nicht ihr kurzes, dichtes, hinter den Ohren zurückgeworfenes Haar und ihr ernsthafter, auf keinem Gegenstande verweilender Blick diesem Gesichte eine eigene, nicht gerade angenehme Sonderbarkeit gegeben hätten.

Ein Aeußeres, das nie mißfällt, verliert mehr und mehr die Fähigkeit, zu gefallen. Wer ein solches hat, wird durch die Gleichgültigkeit Anderer gleichgültig gegen sich selbst gemacht und nimmt eine Vernachlässigung der Haltung an, welche immer mehr die Aufmerksamkeit von ihm abwendet. Die Schönheit nimmt sich in Acht, richtet sich ein, hält auf sich, betrachtet sich und stellt sich gleichsam stets sich selbst in einem eingebildeten Spiegel vor Augen. Die Häßlichkeit vergißt sich und läßt sich gehen. Doch giebt es zwei verschiedene Arten: die eine fühlt sich von Allen verworfen und sträubt sich dawider in steter Regung von Wuth und Neid – das ist die wahre, die unbedingte Häßlichkeit; die andere ist unbefangen, sorglos, hat sich beschieden, scheuet nicht das Urtheil und sucht es nicht, gewinnt aber die Herzen, indem sie den Augen wehe thut – so war Consuelo's Häßlichkeit. Wohlthäter, die sich ihrer annahmen, meinten wohl zuerst: wie Schade, daß sie nicht hübsch ist! besannen sich dann und nahmen den Kopf des Kindes so vertraulich, wie man der Schönheit nicht begegnet, in die Höhe.

»Man sieht dir's am Gesicht an, Kleine!« sagten sie nun, »du bist ein gutes Geschöpf.«

Darüber freute sich Consuelo, obgleich sie recht gut wußte, daß dies hieß: »und bist eben weiter nichts.«

Indessen blieb der schöne, junge Herr, welcher ihr Weihwasser gereicht hatte, bei dem Weihkessel stehen und ließ die jungen »Scolari« eine nach der andern an sich vorübergehen. Er betrachtete eine jede mit Aufmerksamkeit, und als die schönste von ihnen, die Clorinda, herbeikam, theilte er ihr das geweihte Wasser mit den Fingern mit, um des Vergnügens willen, die ihrigen zu berühren. Das junge Mädchen wurde roth vor Stolz und warf im Weitergehen ihm jenen halb scheuen halb dreisten Blick zu, welcher der Ausdruck weder des Selbstvertrauens noch der Scham ist.

Nachdem sie alle in das Innere des Klosters eingetreten waren, wendete sich der galante Patrizier wieder dem Schiffe zu und redete den Professor an, der inzwischen langsamer von der Empore herabgestiegen war.

– Beim Leib des Bacchus, rief er, lieber Meister! ihr müßt mir sagen, welche von euren Eleven das Salve Regina gesungen hat.

– Und weswegen begehrt ihr das zu wissen, Graf Zustiniani? entgegnete der Professor, während sie mit einander aus der Kirche traten.

– Um euch mein Compliment zu machen, antwortete der Patrizier. Seit langer Zeit verfolge ich eure Vespermusiken, und bis in die Proben sogar, denn es ist euch bekannt, wie sehr ich dilettante der heiligen Musik bin – aber heut zum ersten male habe ich ein Stück vom Pergolese mit solcher Vollkommenheit singen hören; und die Stimme anlangend, so ist es wahrhaftig die schönste, die ich Zeit meines Lebens gehört habe.

– Glaub's wohl, beim Christ! versetzte der Professor und nahm mit Behagen und mit Würde eine große Prise Tabak.

– Sagt mir also den Namen dieses himmlischen Wesens, das mich so hoch entzückt hat. Wie barsch ihr auch seid, und wiewohl ihr ewig klagt, so muß man doch gestehen, daß ihr aus eurer Schule eine der besten in ganz Italien gemacht habt; vortrefflich sind euere Chöre und euere Soli wirklich sehr schätzbar; jedoch sind die Musikstücke, welche ihr aufführen lasset, von so großem und strengem Stil, daß es den jungen Mädchen nur selten gelingt alle Schönheiten derselben zur Empfindung zu bringen.

– Sie bringen sie nicht zur Empfindung, sagte der Professor traurig, weil sie selber nichts davon empfinden! An frischen umfangreichen und metallreichen Stimmen haben wir, Gott sei Dank, keinen Mangel; aber die innere musikalische Anlage, hilf Himmel! wie selten ist die und wie unzulänglich!

– Wenigstens besitzet ihr doch Eine von bewundernswürdigen Gaben. Ein herrliches Instrument, vollkommenes Gefühl und bemerkliche Schule! Sagt mir doch, wer es ist.

– Nicht wahr, entgegnete der Professor, indem er die Frage des Grafen überging, ihr habt euere Freude daran gehabt?

– Sie hat mir an's Herz gegriffen, sie hat mir Thränen entlockt; und mit so einfachen Mitteln, mit so ungesuchten Effekten, daß ich bis heute keine Ahnung von der Möglichkeit hatte. Uebrigens habe ich mich der Worte erinnert, die ihr mir beim Unterrichte in euerer göttlichen Kunst so oft wiederholt habt, theurer Meister! und zum ersten male habe ich deren Wahrheit begriffen.

– Was habe ich euch denn gesagt? versetzte der Maestro, indem sein Gesicht glänzte.

– Ihr habt gesagt, erwiederte der Graf, das Große, Wahre und Schöne in den Künsten ist das Einfache.

– Ich sagte euch aber auch, daß wir das Brillante, das Gewählte, das Kunstreiche haben, Eigenschaften denen man unter Umständen ebenfalls die Achtung und den Beifall nicht versagen kann?

– Ohne Zweifel. Jedoch zwischen diesen untergeordneten Eigenschaften und den wahrhaften Offenbarungen des Genius ist ein Abgrund, sagtet ihr. Wohlan, theurer Meister! euere Sängerin steht auf der einen Seite, sie ganz allein, und alle die anderen stehen drüben.

– Wahr, bemerkte der Professor sich die Hände reibend, wahr und gut gesagt!

– Sie heißt? nahm wieder der Graf das Wort.

– Wer? fragte boshaft der Professor.

O, per Dio Santo, jene Sirene, oder vielmehr der Erzengel dessen Gesang ich hörte.

– Und was liegt denn an ihrem Namen, Herr Graf? sagte Porpora mit strengem Tone.

– Und warum wollt ihr aus diesem Namen ein Geheimniß machen, Herr Professor?

– Ich werde euch sagen: warum, sobald ihr mir gesagt haben werdet, weswegen ihr so hitzig seid, ihn zu erfahren.

– Ist es nicht ein sehr natürliches und in der That unwiderstehliches Gefühl, welches uns antreibt das zu kennen, zu nennen, zu erblicken, was unsere Bewunderung erregt?

– Sehr wohl, das ist aber nicht euer einziger Beweggrund; erlaubt mir, theuerer Graf, euch hierin Lügen zu strafen. Ich weiß wohl, ihr seid ein großer Musikfreund und ein Kenner, aber ihr seid daneben auch der Eigenthümer des Theaters San Samuel. Es ist euer Interesse und noch mehr der Ruhm, den ihr darein setzet, die besten Talente und die schönsten Stimmen Italiens heranzuziehen. Ihr wisset wohl, daß bei uns die gute Schule ist, daß nur bei uns die strengen Studien gemacht und die großen Sängerinnen gebildet werden. Die Corilla habt ihr uns schon weggefischt, und da sie euch vielleicht nächstens durch ein anderweitiges Engagement wieder weggenommen wird, so streicht ihr um unsere Schule herum und spüret, ob wir nicht wieder so eine Corilla haben, die ihr dann auf dem Sprunge steht, uns wegzuschnappen. Dieses ist die Wahrheit, mein Herr Graf! bekennen Sie, daß ich die Wahrheit gesagt habe.

– Und wenn auch, theurer Maestro, entgegnete der Graf lächelnd, was thut das und was für Uebles findet ihr darin?

– Was für Uebeles? Ei, ein sehr großes, Herr Graf! Ihr verführt, ihr verderbt diese armen Geschöpfe.

– Holla, wie meint ihr das, toller Professor? Seit wann habt ihr euch denn zum Pater Guardian dieser brechlichen Tugenden gemacht?

– Ich meine das, wie es recht ist, Herr Graf, und ich kümmere mich nicht um ihre Tugend und nicht um ihre Brechlichkeit: aber ich kümmere mich um ihr Talent, das ihr auf eueren Theatern verbildet und zu Grunde richtet, indem ihr sie gemeines und geschmackloses Zeug singen lasset. Ist es nicht ein Jammer und eine Schande, diese Corilla, die auf dem besten Wege war, die ernste Kunst großartig zu erfassen, diese Corilla von dem Heiligen zum Profanen, vom Gebet zu den Possen, vom Altare zu den Brettern, vom Erhabenen zum Lächerlichen, von Allegri und Palestrina zu einem Albinoni und dem Bartscherer Apollini herabsteigen zu sehen?

– Somit schlagt ihr es mir aus Rigorismus ab, dieses Mädchen zu nennen, auf welches ich gar nicht einmal Absichten haben kann, da ich ja nicht weiß ob sie die übrigen für das Theater nothwendigen Eigenschaften besitzt?

– Ich schlage es euch rund ab.

– Und ihr meint wirklich, daß ich sie nicht entdecken werde?

– Leider! entdecken werdet ihr sie, wenn ihr es euch vorsetztet: aber ich werde mein Möglichstes thun, um zu verhüten, daß ihr sie uns entreißet.

– Wohlan, Meister, halb seid ihr schon besiegt: denn euere geheimnißvolle Göttin habe ich gesehen, habe ich errathen, habe ich erkannt.

– So? sagte der Maestro mit einer zweifelnden und zurückhaltenden Miene, seid ihr euerer Sache auch gewiß?

– Meine Augen und mein Herz haben sie mir verrathen, und um euch zu überzeugen, will ich euch ihr Bild entwerfen. Sie ist groß gewachsen: sie ist, glaub' ich, die größte von allen euern Schülerinnen; sie ist weiß wie der Schnee von Friaul und rosenwangig wie der Morgenhimmel eines heiteren Tages. Sie hat Haare von Gold, Augen von Azur, eine liebliche Körperfülle und am Finger trägt sie einen kleinen Rubin, der meine Hand streifend mich in Flammen gesetzt hat wie ein magischer Funke.

– Bravo, rief Porpora, spöttisch lächelnd. In diesem Falle habe ich euch nichts zu verheimlichen. Euere Schönheit ist – die Clorinde. Geht doch hin und macht ihr euere verlockenden Anträge. Bietet ihr Gold, Diamanten, Putz. Ihr werdet sie ohne Mühe für euere Truppe gewinnen, und sie wird euch auch wohl die Corilla ersetzen können. Denn euer heutiges Theaterpublikum zieht ja ein paar schöne Schultern einer schönen Stimme, und ein paar herausfordernde Augen einem gebildeten Geiste vor.

– Sollte ich mich getäuscht haben, lieber Meister? fragte der Graf ein wenig irre geworden: wäre die Clorinde nichts weiter als eine gemeine Schönheit?

– Und wenn nun meine Sirene, meine Göttin, mein Erzengel, wie ihr sie zu nennen beliebt, nichts weniger als schön wäre? versetzte der Maestro boshaft.

– Wenn sie mißgestaltet wäre, so will ich euch bitten, sie mir niemals zu zeigen; denn mein schöner Traum wäre zu grausam zerstört. Wäre sie aber blos häßlich, so wäre ich im Stande, sie immer noch anzubeten; nur für das Theater würde ich sie dann nicht engagiren, denn Talent ohne Schönheit ist nicht selten für ein Weib ein Unglück, ein Kampf, eine Marter. Wonach seht ihr, Maestro, und weshalb bleibt ihr stehen?

– Hier ist der Platz, wo die Gondeln halten, und es ist keine da. Aber ihr, Graf, worauf heftet ihr euere Blicke?

– Ich sehe nur, ob nicht der Bengel da, der auf den Stufen der Anlände neben einem kleinen, ziemlich häßlichen Mädchen sitzt, mein Schützling Anzoleto ist, wahrhaftig der aufgeweckteste und hübscheste von allen unseren Gassenbuben. Seht ihn euch an, lieber Meister; das ist etwas für euch so gut wie für mich. Dieser Junge hat die schönste Tenorstimme, die in Venedig zu finden ist, und eine verzweifelte Liebe zur Musik und ganz unglaubliche Fähigkeiten. Ich wollte euch schon lange von ihm erzählen und euch bitten, ihm Stunden zu geben. Dieser ist es, auf den ich wahrhaftig die Hoffnung meines Theaters baue und er wird mich, denke ich, in einigen Jahren für das was ich auf ihn wende, reich belohnen. Heda, Zoto! komm her, mein Kind, ich will dich dem berühmten Meister Porpora vorstellen.

Anzoleto's nackte Füße spielten im Wasser, während er damit beschäftigt war, Muscheln von jener zierlichen Ar, die der Venetianer poetisch fiori de mare nennt, vermittelst einer großen Nadel zu durchbohren. Als ihn der Graf rief, sprang er auf. Er trug nichts auf dem Leibe als ein recht abgenutztes Beinkleid und ein ziemlich feines, aber sehr zerrissenes Hemd, welches seine weißen und gleich denen eines antiken Bacchusknaben modelirten Schultern durchblicken ließ. Seine Schönheit war in der That diejenige, mit welcher der griechische Künstler einen jungen Faun ausgestattet haben würde, und seine Gesichtsbildung zeigte das an jenen Schöpfungen der heidnischen Plastik so häufig uns begegnende, ganz eigenthümliche Gemisch von träumerischer Schwermuth und spöttischer Unbesorgtheit. Sein krauses aber weiches Haar, hellblond und von der Sonne nur ein wenig gebräunt, umgab in tausend dichten, kurzen Ringellöckchen seinen Alabasterhals. Alle seine Züge waren vollkommen schön; aber etwas allzu Keckes lag in dem durchdringenden Blick seiner pechschwarzen Augen, was dem Professor nicht gefiel. Er warf alle seine Muscheln in den Schoß des Mädchens welches neben ihm saß, und während dieses, ohne sich stören zu lassen, fortfuhr sie mit kleinen Goldperlen gemischt aufzureihen, trat er zu Zustiniani, dem er nach Landessitte die Hand küßte.

– In der That ein hübscher Junge, sagte der Professor, ihm die Backe klopfend; aber er scheint sich mit Spielen zu belustigen, die doch zu kindisch für sein Alter sind; denn er ist wohl ein achtzehn Jahre alt, nicht so?

– Neunzehn, Sior Profesor! entgegnete Anzoleto in seinem venetianischen Dialecte; wenn ich mich aber mit den Muscheln belustige, so thu' ich das nur um der kleinen Consuelo zu helfen, welche Halsketten macht.

– Consuelo, sagte der Meister, indem er mit dem Grafen und Anzoleto zu seiner Schülerin trat, ich hätte nicht gedacht, daß du so putzsüchtig wärest.

– O nein, ich mache das nicht für mich, Herr Professor! entgegnete Consuelo, indem sie sich nur halb erhob, aus Vorsicht, damit die Muscheln, die sie in der Schürze hatte, nicht ins Wasser fielen; ich mache das zum Handel, und um Reis und Mais einzukaufen.

– Sie ist arm, und sie ernährt ihre Mutter, sagte Porpora. Höre, Consuelo, wenn ihr in Verlegenheit seid, deine Mutter und du, so mußt du zu mir kommen, aber zu betteln verbiete ich dir, hörst du wohl?

– O Sie brauchen ihr das nicht zu verbieten, Sior Profesor, fiel ihm Anzoleto lebhaft in die Rede, sie würde es auch von selbst nicht thun, und ich, ich würde es nicht leiden.

– Du! du hast ja auch nichts, sagte der Graf.

– Nichts, als Ihre Wohlthaten, gnädigster Herr! aber wir theilen, die Kleine und ich.

– Sie ist also eine Verwandte; von dir?

– Nein, eine Fremde, es ist Consuelo.

– Consuelo? Wunderlicher Name! sagte der Graf.

– Ein schöner Name, Ew. Gnaden, fiel Anzoleto ein; er bedeutet Trost.

– Gut; sie ist, wie es scheint, deine Freundin?

– Meine Braut ist sie, Herr!

– Schon? Sehet da, diese Kinder denken schon an die Hochzeit

– Ja wir machen an dem Tage Hochzeit wo Sie mein Engagement beim Theater San Samuel ausfertigen werden, gnädiger Herr!

– In diesem Falle werdet ihr noch lange warten, Kinderchen!

– Oh, wir wollen schon warten, sagte Consuelo mit der heiteren Ruhe der Unschuld.

Der Graf und der Maestro ergötzten sich einige Augenblicke an der Einfalt und an den Antworten dieses jungen Paares; nachdem sie alsdann noch dem Anzoleto die Zeit bestimmt hatten, wann er nächsten Tages zu dem Professor kommen sollte; um seine Stimme prüfen zu lassen, entfernten sie sich und überließen die Kinder ihrem wichtigen Geschäfte.

– Wie gefällt euch dieses kleine Mädchen? sagte der Professor zu Zustiniani.

– Ich hatte sie vor einem Weilchen schon gesehen, und ich finde sie häßlich genug, um das Sprichwort zu rechtfertigen: Einem achtzehnjährigen Blute dünkt jedes Weib schön.

– Recht so, antwortete der Professor, nunmehr kann ich euch sagen, wer eure göttliche Sängerin, eure Sirene, eure geheimnißvolle Schönheit ist – Consuelo!

– Dieses dieses unsaubere Ding, dieser schwarze, magere Sprengsel? Nicht möglich, Maestro.

– Nichts desto weniger wahr, Herr Graf! Sagt, würde sie nicht eine höchst verführerische Prima Donna abgeben?

Der Graf stand still, schaute sich um, betrachtete Consuelo noch einmal von fern, und schlug dann in komischer Verzweiflung die Hände zusammen. Gerechter Himmel! rief er aus, kannst du dich so vergreifen, und das Feuer des Genius in ein so schlecht gemeißeltes Gefäße gießen!

– Also ihr verzichtet auf eure strafbaren Pläne? sagte der Professor.

– Ganz gewiß.

– Versprecht ihr mir das? fügte Porpora hinzu.

– Noch mehr, ich schwöre es euch, entgegnete der Graf.

3.

Aufgeschossen unter dem italienischen Himmel, erzogen von dem Zufall wie ein Vogel am Strande, arm, verwaist, verlassen, und doch glücklich in der Gegenwart, und voll Vertrauen in seine Zukunft, wie ein Kind der Liebe, was er ohne Zweifel war, hatte Anzoleto, dieser hübsche Junge von neunzehn Jahren, an der kleinen Consuelo, der zur Seite er auf dem Pflaster Venedigs in vollster Freiheit seine Tage verbrachte, wohl schwerlich seine erste Liebschaft. In die leichten Freuden eingeweiht, die sich ihm mehr als einmal dargeboten, würde er vielleicht schon entkräftet und verderbt gewesen sein, hätte er in unserem traurigen Klima gelebt, oder wäre er minder reich von der Natur begabt gewesen. Allein bei früher Entwicklung und einer kräftigen Anlage zu einer ausdauernden Männlichkeit, hatte er sein Herz rein und seine Sinnlichkeit unter der Herrschaft seines Willens erhalten. Der Zufall hatte ihn mit der kleinen Spanierin zusammengeführt, vor den Madonnenbildern, wo sie ihre Andacht absang; aus Lust, seine Stimme zu üben, hatte er mit ihr beim Sternenlichte ganze Abende hindurch gesungen. Dann trafen sie einander auf dem Sande des Lido wo sie Muscheln auflasen, er um sie zu essen, sie um Rosenkränze und Schmuck daraus zu machen. Dann wieder fanden sie sich in der Kirche, wo sie von Herzen zu dem guten Gotte betete, er mit allen Augen nach den schönen Damen schaute. Und bei allen diesen Begegnungen war ihm Consuelo so gut, so lieb, so freundlich, so fröhlich vorgekommen, daß er ihr Freund und ihr unzertrennlicher Gefährte geworden war, er wußte selbst nicht recht, warum und wie. Anzoleto kannte von der Liebe noch nichts als das Vergnügen. Er empfand Freundschaft für Consuelo, und einem Volke und Lande angehörend, wo mehr die Leidenschaften als die Zuneigungen herrschen, wußte er dieser Freundschaft keinen anderen Namen als den der Liebe zu geben. Consuelo ließ sich diese Redensart gefallen, nachdem sie dem Anzoleto folgenden Einwand gemacht hatte: »Wenn du sagst, daß du mein Liebhaber bist, so wirst du mich also heirathen?« worauf er ihr geantwortet hatte: »Ei freilich, wenn dir's recht ist, so heirathen wir einander.« Dies war demnach von Augenblick an eine abgemachte Sache. Vielleicht war es von Seiten Anzoleto's nur ein Spiel, während Consuelo mit allem Vertrauen der Welt daran glaubte. Gewiß ist soviel, daß sein junges Herz schon jene streitenden Gefühle und jene verworrenen Regungen in sich spürte, die übersättigten Menschen das Innere bestürmen und zerreißen.

Heftigen Begierden Preis gegeben, vergnügungssüchtig, nur das liebend was ihn glücklich machte, aber alles was sich seinen Freuden entgegenstellte hassend und fliehend, durch und durch eine Künstlernatur d. h. die das Leben mit einer erschreckenden Heftigkeit sucht und schmeckt, fand er, daß seine Liebsten ihm von Passionen die ihn in der That nicht tief ergriffen hatten, alle Leiden und Gefahren dennoch auferlegten. Er besuchte sie nun wohl von Zeit zu Zeit, wann ihn sein Verlangen trieb, ward aber immer wieder abgestoßen durch Sättigung und Unlust. Und als dieser seltsame Knabe so seine Seelenkraft ideallos und unwürdig vergeudet hatte, empfand er das Bedürfniß eines sanften Umgangs und eines keuschen, heiteren Ergusses. Er hätte schon wie Jean Jacques sagen können: »So wahr ist es, daß das was uns am meisten an die Frauen fesselt, weniger die Wollust ist, als eine gewisse Anmuthigkeit des Lebens an ihrer Seite.«

Ohne nun sich Rechenschaft zu geben über das was ihn zu Consuelo hinzog, – für das Schöne hatte er noch keinen Sinn und unterschied nicht, ob sie häßlich oder hübsch war, – Kind genug um sich mit ihr an Spielereien unter seinem Alter zu vergnügen, Mann genug, um ihre vierzehn Jahre aufs gewissenhafteste zu achten, führte er mit ihr, auf offener Gasse, auf den Marmorfliesen und den Kanälen Venedigs, ein ebenso glückliches, ebenso reines, ebenso verborgenes und fast ebenso poetisches Leben wie Paul und Virginie unter den Pompelmusen ihrer Wildniß. Sie hatten eine größere und gefährlichere Freiheit als diese Kinder, keine Familie, keine wachsamen, zärtlichen Mütter die sie zur Tugend erziehen konnten, keinen treuen Diener der sie Abends gesucht und heimgeleitet hätte, nicht einmal einen Hund, um sie vor Gefahr zu warnen; aber sie thaten dennoch keinerlei Fall.

Sie kreuzten auf den Lagunen in offener Barke, zu jeder Stunde und bei jedem Wetter, ohne Ruder, ohne Steuermann; sie streiften auf den Morästen ohne Führer, ohne Uhr und unbesorgt um die kehrende Flut; sie sangen vor den geschmückten Kapellen unter der Vigne an den Straßenecken, ohne an die späte Tagesstunde zu denken und brauchten bis an den Morgen kein anderes Bett als die weißen Steinplatten die von der Tageshitze noch warm waren. Sie standen vor dem Pulcinell-Theater still und folgten mit gieriger Aufmerksamkeit dem phantastischen Schauspiele von der schönen Corisanda, der Marionettenkönigin; es fiel ihnen nicht ein, daß sie kein Frühstück gehabt hatten, und wie wenig Aussicht war, ein Abendessen zu erhalten. Sie überließen sich den ungezügelten Freuden des Carneval, nicht weiter verkleidet und geputzt, als er mit seiner umgekehrten Jacke und sie mit einer großen alten Bandschleife über dem Ohre. Auf dem Geländer einer Brücke oder auf den Stufen eines Pallastes, hielten sie köstliche Mahlzeiten von frutti di mare Große, wohlfeile Muscheln, welche das Volk in Venedig gern ißt., rohen Fenchelstümpfen oder Citronenschalen.

Genug, sie führten ein fröhliches und freies Leben und ihre Liebkosungen waren nicht gefährlicher, ihre Gefühle nicht verliebter als es zwischen gesitteten Kindern gleichen Alters und Geschlechtes der Fall gewesen wäre. Tage, Jahre flossen hin; Anzoleto hatte andere Liebsten, Consuelo ahnte nicht einmal daß es noch eine andere Art Liebe gäbe als diese, deren Gegenstand sie war. Sie trat in die Mädchenjahre und empfand keine Nöthigung, sich zurückhaltender gegen ihren Bräutigam zu betragen; er sah sie größer werden und sich verwandeln und empfand keine Ungeduld und wünschte keinen Wechsel dieser unbewölkten, offenen, unsträflichen Vertraulichkeit.

Vier Jahre waren vergangen, seitdem der Professor Porpora und der Graf Zustiniani einander ihre »kleinen Musiker« vorgestellt hatten. Der Graf hatte seitdem nicht mehr an die junge Kirchensängerin gedacht und der Professor hatte nicht minder den schönen Anzoleto vergessen, an dem er damals bei einer ersten Prüfung nichts von dem gefunden hatte, was er bei seinen Zöglingen voraussetzte, nämlich vor allem eine ernste und geduldige Auffassungsgabe, sodann eine an Selbstvernichtung gränzende Demuth des Schülers vor dem Lehrer, und endlich den völligen Mangel jeder vorgängigen musikalischen Unterweisung.

»Redet mir niemals,« sagte er, »von einem Schüler, dessen Kopf sich meinem Willen nicht wie eine unbeschriebene Tafel darbietet, wie ein reines Wachs, das von mir den ersten Eindruck zu empfangen hat. Ich habe nicht Zeit, meinem Schüler ein Jahr zum Verlernen zu schenken, bevor ich zu lehren anfangen kann. Soll ich auf eine Schieferplatte schreiben, so bringet sie mir rein; und damit nicht genug, bringet sie mir auch gut. Ist sie zu stark, so wird sie nicht empfänglich sein, ist sie zu schwach, so wird sie mir unter der Hand zerbrechen.«

Kurz, er gestand zwar dem jungen Anzoleto ausgezeichnete Mittel zu, erklärte aber beim Schlusse der ersten Stunde dem Grafen etwas verdrießlich, und mit einer ironischen Anspruchslosigkeit, sein Unterricht sei nicht für einen bereits so weit vorgerückten Schüler, und um – »die natürlichen Fortschritte und die unwiderstehliche Entwicklung dieser magnifiquen Anlage zu erschweren und zu hemmen« sei der erste beste Lehrer gut genug.

Der Graf schickte seinen Schützling zu dem Professor Mellifiore, welcher von der Roulade bis zur Kadenz und von dem Triller bis zum Gruppetto seinen glänzenden Fähigkeiten die vollständigste Entwicklung gab und ihn so weit brachte, daß, als er 23 Jahre alt sich in dem Salon des Grafen hören ließ, Jedermann ihn fähig sprach, im Theater San Samuel mit großem Erfolg in den ersten Partien aufzutreten.

Eines Abends wurde nämlich die ganze kunstliebende Noblesse und was nur von Künstlern in Venedig einiges Renommé genoß, zu einer letzten und entscheidenden Probe eingeladen. Zum erstenmale in seinem Leben schälte sich Anzoleto aus seiner gemeinen Tracht, zog eine Atlasweste und ein schwarzes Staatskleid an, ließ seine schönen Haare frisiren und pudern, steckte seine Füße in Schnallenschuhe, gab sich eine feierliche Miene und schlich auf den Zehenspitzen an ein Klavier, wo er, bei dem Scheine von tausend Wachskerzen und angegafft von zwei- bis dreihundert Personen, erst mit den Augen dem Ritornelle folgte, sodann seine Lungen aufblies und sich mit seiner Dreistigkeit, mit seinem Ehrgeiz und mit seinem hohen Brust-C in die gefährliche Laufbahn schwang, auf welcher keine Jury, kein Kampfrichter, sondern ein ganzes Publikum in der einen Hand die Siegespalme, in der andern das Pfeifchen hält.

Ob Anzoleto innerlich bewegt war, ist keine Frage; er ließ jedoch sehr wenig davon blicken, und nicht sobald hatten seine schwarzen Augen, welche verstohlen die der Frauen befragten, den geheimen Beifall, der sich einem so schönen Jünglinge selten versagt, errathen, nicht sobald hatten die Kunstliebhaber umher, überrascht von der Gewalt seiner klangreichen Stimme und von der Leichtigkeit seiner Vocalisation, ein beifälliges Gemurmel hören lassen, als Freude und Hoffnung sein ganzes Wesen durchglüheten. Jetzt zum erstenmale in seinem Leben fühlte Anzoleto, der bis dahin nur eine gewöhnliche Behandlung und gewöhnlichen Unterricht erfahren hatte, daß er kein gewöhnlicher Mensch sei und, von dem Triumphe, nach dem er dürstete und den er empfand, hingerissen, sang er mit einer Kraft, einer Eigenthümlichkeit und einem Feuer zum Erstaunen.

Sein Geschmack war allerdings nicht immer rein und sein Vortrag nicht in allen Theilen des Stückes tadellos: aber er wußte sich stets durch kühne Würfe, durch Blitze der Auffassung und Schwung der Begeisterung wieder zu heben. Er verfehlte manche Effecte, welche der Componist beabsichtigt hatte, aber er fand andere, an welche noch Niemand gedacht, weder der Componist, der sie vorgezeichnet, noch der Lehrer, der sie erläutert, noch einer der Virtuosen, die sie früher ausgeführt hatten. Diese Kühnheiten ergriffen und entzückten alle Welt. Zehn Ungeschicklichkeiten verzieh man ihm für eine Neuheit, zehn Verstöße gegen die Methode für eine eigen gefühlte Stelle. So wahr ist es, daß in der Kunst das kleinste Aufleuchten des Genies, der kleinste Anlauf zu neuen Eroberungen die Menschen mehr blendet als alle Hilfsmittel und alle Klarheit der Einsicht, die sich in den Schranken des Gewohnten hält.

Niemand gab sich vielleicht Rechenschaft von den Ursachen und Niemand entzog sich den Wirkungen dieses Enthusiasmus. Die Corilla hatte die Unterhaltung mit einer großen Arie eröffnet, welche sie trefflich sang und welche lebhaft beklatscht wurde; der Erfolg des jungen Debütanten löschte nun aber den ihrigen so ganz aus, daß sie darüber im Innern wüthend war. Jedoch als Anzoleto, mit Lobsprüchen und Liebkosungen überhäuft, wieder an das Klavier trat, wo sie saß, und zu ihr niedergebeugt mit einer Mischung von Unterwürfigkeit und Kühnheit sagte: »Und Sie, Königin des Gesanges, Königin der Schönheit, haben Sie nicht einen Blick der Aufmunterung für den armen Unglücklichem der Sie fürchtet und Sie anbetet?« da betrachtete die Prima Donna, erstaunt über eine solche Dreistigkeit, dieses schöne Gesicht in der Nähe, welches sie zuvor keines Blickes gewürdigt hatte; denn welche eitle und sieggewohnte Frau würde ein dunkles armes Kind ihrer Aufmerksamkeit werth halten? Jetzt endlich beachtete sie ihn; seine Schönheit überraschte sie, sein feuriges Auge drang in sie ein und ihrerseits besiegt, bezaubert, ließ sie auf ihn einen langen Glutblick fallen, gleichsam ein Siegel auf das Diplom seiner Berühmtheit gedrückt.

An diesem merkwürdigen Abend hatte Anzoleto sein Publikum beherrscht und seinen gefährlichsten Feind entwaffnet; denn die schöne Sängerin war nicht blos Königin auf den Bretern, sondern auch in der Administration und in dem Cabinet des Grafen Zustiniani.

4.

Ein einziger Zuhörer, welcher auf dem Rande seines Stuhles mit gekreuzten Beinen und unbeweglich auf die Kniee gestützten Händen gleich einer ägyptischen Gottheit saß, war mitten unter den einstimmigen und sogar ein wenig unsinnigen Beifallsbezeugungen, welche die Stimme und Manier des Debütanten hervorgerufen hatte, stumm geblieben wie eine Sphinx und geheimnißvoll wie eine Hieroglyphe: es war dies der gelehrte Professor und berühmte Componist Porpora. Während sein galanter College, der Professor Mellifiore, welcher die Ehre von Anzoleto's Erfolg ganz sich allein aneignete, umherging, sich vor den Frauen in die Brust werfend und sich gegen alle Männer mit Geschmeidigkeit verneigend, um sich sogar für ihre Blicke zu bedanken, saß der Lehrer der heiligen Musik still da, die Augen auf dem Boden, die Brauen emporgezogen, den Mund geschlossen und wie verloren in seine Betrachtungen. Nachdem die ganze Gesellschaft, welche diesen Abend zu einem großen Balle bei der Dogeresse gebeten war, sich nach und nach verlaufen hatte und nur die wärmsten Dilettanten mit einigen Damen und den vornehmsten Musikern am Klaviere zurückgeblieben waren, näherte sich Zustiniani dem strengen Maestro.

– Das heißt doch zu sehr gegen die Neueren schmollen, mein lieber Professor, sagte er zu ihm, und euer Schweigen täuscht mich nicht. Ihr wollt vor dieser weltlichen Musik und dieser neuen Gattung, an denen wir uns entzücken, euere Sinne bis aufs Aeußerste verschlossen halten. Euer Herz hat sich nun euch zum Trotze geöffnet und eure Ohren haben das Gift der Verführung aufgenommen.

– Wissen Sie, Sior Profesor, sagte im Dialekte die reizende Corilla, indem sie gegen ihren alten Lehrer den Kindesbrauch der Scuola wiederaufnahm, Sie müssen mir einen rechten Gefallen thun ...

– Fort von mir, Unselige! rief der Meister halb lachend und halb noch verdrießlich die Liebkosung seiner abtrünnigen Schülerin abwehrend. Was für Gemeinschaft ist noch zwischen dir und mir? Ich kenne dich nicht mehr. Bringe bei Andern dein liebliches Lächeln und dein treuloses Gezwitscher an.

– Er fängt schon an gut zu werden, sagte die Corilla, indem sie mit der einen Hand den Arm des Debütanten ergriff, während sie mit der andern nicht abließ, die langen Zipfel an des Professors weißer Kravatte zu zerknittern. Komm her, Zoto Zusammenziehung aus Anzoleto, welches die Verkleinerung von Angello, oder im Volksdialekt Anzolo ist., und beuge dein Knie vor dem geschicktesten Gesanglehrer Italiens. Demüthige dich mein Kind und entwaffne seine Strenge. Ein einziges Wort von ihm, welches du erlangen kannst, muß größern Werth in deinen Augen haben als alle Trompeten des Ruhmes.

– Sie sind sehr strenge gegen mich gewesen, Herr Professor, sagte Anzoleto, sich mit einer etwas spöttischen Bescheidenheit verbeugend; indessen ist es seit vier Jahren mein einziger Gedanke, Ihnen die Zurücknahme eines sehr harten Urtheilsspruches abzunöthigen; und wenn es mir heut Abend nicht geglückt ist, so weiß ich nicht, ob ich den Muth haben werde, wieder vor dem Publikum aufzutreten, beladen wie ich bin mit ihrem Anathema.

– Knabe, sagte der Professor, indem er mit einer Lebhaftigkeit sich erhob und mit einer Kraft der Ueberzeugung sprach, welche ihn edel und groß erscheinen ließen, während er sonst gekrümmt und ungeschickt aussah, überlasse den Weibern die honigsüßen und treulosen Worte. Niemals erniedrige dich zu der Sprache der Schmeichelei, selbst nicht vor deinem Vorgesetzten, wie viel weniger vor dem, dessen Beifall du in deinem Innern verachtest. Es war eine Zeit, wo du dort unten in deinem Winkel lagst, arm, ungekannt, voll Furcht; deine ganze Zukunft hing an einem Haare, an einem Tone deiner Kehle, an einem augenblicklichen Versagen deiner Mittel, an einer Grille deiner Zuhörer. Ein Ungefähr, ein Kraftaufwand, ein Augenblick haben dich reich, berühmt, unverschämt gemacht. Deine Bahn ist offen, du darfst auf ihr nur laufen, soweit dich deine Kräfte tragen werden. Höre mich an, denn du wirst zum ersten und vielleicht zum letzten male die Wahrheit hören. Du bist auf einem schlechten Wege, du singst schlecht und du gefällst dir in der schlechten Musik. Du kannst nichts, und hast nichts gründliches gelernt, du besitzest nichts als Uebung und Fertigkeit. Du setzest dich um nichts in Feuer; du kannst nur girren und zwitschern gleich den niedlichen, koketten Dämchen, denen man ihr Geziere nachsieht, weil sie vom Singen nichts verstehen. Aber du verstehst nicht mit dem Athem umzugehen, du sprichst schlecht aus, hast einen unedlen Ausdruck und einen falschen, gemeinen Styl. Verliere den Muth deswegen nicht; du hast alle diese Fehler, aber du hast das Zeug, sie zu bemeistern: denn du besitzest Eigenschaften, welche man durch Unterricht und Anstrengung nicht erwerben kann; du hast was man durch schlechte Rathschläge und schlechte Muster nicht verliert, du hast das heilige Feuer ... du hast Genie! ... leider, ein Feuer, welches nichts Großem leuchten wird, ein Genie, welches unfruchtbar bleiben wird ... denn, in deinen Augen lese ich es, wie ich es in deiner Brust gespürt habe, du hast nicht den Cultus der Kunst, nicht den Glauben an die großen Meister, nicht die Ehrfurcht vor ihren gewaltigen Schöpfungen; du liebst den Ruhm, und nur den Ruhm und nur um dein selbst willen ... Du hättest können ... du könntest ... aber nein! es ist zu spät! dein Loos wird die Laufbahn eines Meteors sein, gerade so wie die der ...

Der Professor setzte« ungestüm seinen Hut auf, drehte sich um und ging hinaus, ohne Jemanden zu grüßen, ganz darin vertieft, seine abgebrochene Rede innerlich fortzuspinnen.

Alle Welt gab sich zwar Mühe, über die »bizarren« Aeußerungen des Professors zu lachen, aber diese hinterließen dennoch für einige Augenblicke einen peinlichen Eindruck und eine gewisse Zweifelhaftigkeit und Verstimmung. Anzoleto war der erste, der sie zu vergessen schien, wiewohl sie sein Wesen in eine solche Erschütterung von Freude, Stolz, Zorn und Eifer gesetzt hatten, daß es für sein ganzes künftiges Leben entscheidend wurde. Er schien für nichts Sinn zu haben, als daß er der Corilla gefalle, und er wußte sie so davon zu überzeugen, daß sie sich bei diesem ersten Zusammentreffen alles Ernstes in ihn verliebte.

Graf Zustiniani war ihretwegen nicht besonders eifersüchtig und vielleicht hatte er seine Gründe, sie nicht sehr zu beengen. Außerdem lag ihm der Ruhm und Glanz seines Theaters mehr am Herzen als irgend etwas auf der Welt, nicht weil er geldbegierig gewesen wäre, sondern weil er wirklich für die sogenannten »schönen Künste« schwärmte. Dieser Ausdruck bezeichnet, wie mich dünkt, einen gewissen niedern Hang, der ächt italienisch ist, und also eine so ziemlich geistlose Leidenschaft. Unter dem »Cultus der Kunst« – ein neuerer Ausdruck, der vor hundert Jahren noch nicht üblich war, – ist etwas ganz anderes zu verstehen als das, was man »Geschmack für die schönen Künste« nannte. Der Graf war in der That ein »Mann von Geschmack« im damaligen Verstande, ein amateur, nichts weiter. Allein die Befriedigung dieses Geschmackes war die größte Angelegenheit seines Lebens. Er liebte es, sich mit dem Publikum zu beschäftigen und das Publikum mit sich, die Künstler zu besuchen, die Mode zu beherrschen, von seinem Theater, seiner Pracht, seiner Liebenswürdigkeit, seinem verschwenderischen Aufwand reden zu machen. Er hatte, mit einem Worte, die gewöhnliche Passion der vornehmen Herren in der Provinz – zu glänzen. Besitz und Direktion eines Theaters war das beste Mittel, um die ganze Stadt zufrieden und vergnügt zu machen. Noch glücklicher hätte er sich gefühlt, wenn er einmal die gesammte Republik an seiner Tafel hätte bewirthen können! Wenn Fremde sich bei dem Professor Porpora nach dem Grafen Zustiniani erkundigten, so pflegte dieser zu antworten: Es ist ein Mann, der gerne den Wirth macht und Musik auf seinem Theater, wie Fasanen auf seiner Tafel auftischt.

Es war Ein Uhr Morgens, als man sich trennte.

– Anzolo, sagte Corilla, die sich mit ihm allein in einer Nische des Balcons befand, wo wohnst du?

Bei dieser unerwarteten Frage fühlte Anzoleto, daß er roth und bleich fast in einem Zuge wurde; denn wie sollte er dieser prächtigen und reichen Schönen es bekennen, daß er ohne Dach und Fach war, wie die Vögel unter dem Himmel? Und leichter noch wäre dies letztere Bekenntniß gewesen, als die Erwähnung jener jämmerlichen Höhle, wo er Zuflucht fand, so oft er seine Nächte aus Neigung oder Noth nicht unter dem freien Himmel zubringen wollte.

– Nun! was hat meine Frage so Außerordentliches? rief die Corilla über seine Verwirrung lachend.

– Ich fragte mich selbst, entgegnete Anzoleto mit vieler Geistesgegenwart, welcher Königs- oder Feenpallast wohl würdig wäre, den stolzen Sterblichen zu beherbergen, der mit hinein nähme die Erinnerung eines Liebesblickes von Corilla.

– Und was will diese Schmeichelei sagen? entgegnete sie, indem sie ihm den glühendsten Blick zuwarf, den sie nur aus dem Zeughause ihrer Teufelskünste hervorholen konnte.

– Daß ich dieser Glückliche nicht bin, versetzte der Jüngling; daß ich jedoch, wenn ich es wäre, mich stolz genug dünken würde, um nur zwischen Himmel und Meer wie die Sterne zu wohnen.

– Oder wie die Cucculi! rief die Sängerin, indem sie laut auflachte. (Die ungeschickte Schwerfälligkeit dieser Mövenart ist nämlich in Venedig sprichwörtlich geworden, wie in Frankreich die der Maikäfer: étourdi comme un hanneton.)

– Spotten Sie über mich, verachten Sie mich, erwiderte Anzoleto, ich glaube, daß ich das eher leiden mag, als wenn Sie sich gar nicht mit mir beschäftigten.

– Gut, da du mir nur in Metaphern antworten willst, entgegnete sie, so will ich dich in meiner Gondel mitnehmen, auf die Gefahr, dich von deiner Wohnung zu entfernen, statt dich in ihre Nähe zu bringen. Wenn ich dir diesen Streich spielen sollte, so ist es deine eigene Schuld.

– war dies die Absicht, als Sie mich fragten, Signora? In diesem Falle ist meine Antwort sehr kurz und klar: ich wohne auf den Stufen Ihres Pallastes.

– So erwarte mich denn an den Stufen desjenigen, in welchem wir uns befinden, sagte Corilla mit leiserer Stimme, denn Zustiniani könnte böse werden, daß ich deine Fadaisen so geduldig anhöre.

Auf den ersten Antrieb seiner Eitelkeit stahl sich Anzoleto hinaus und sprang von der Anlände des Pallastes auf das Vordertheil von Corilla's Gondel: er zählte die Sekunden nach den raschen Schlägen seines berauschten Herzens. Aber noch ehe sie auf den Stufen des Pallastes erschien, drängten sich mancherlei Betrachtungen in dem arbeitenden und ehrgeizigen Kopfe des Debütanten. Die Corilla ist allmächtig, sagte er zu sich; aber wenn ich, gerade weil ich ihr gefiele, das Mißfallen des Grafen erregte? Oder wenn ich durch meinen allzu leichten Sieg ihm eine so flatterhafte Geliebte ganz verleidete und sie so um die Macht brächte, welche sie nur von ihm hat?

In dieser Verlegenheit maß Anzoleto mit den Augen die Treppe, welche er noch wieder hinaufsteigen konnte, und war im Begriff, sein Entkommen zu bewerkstelligen, als die Kerzen unter dem Thorwege hervorleuchteten, und die schöne Corilla, in ihre Hermelinmantille gehüllt, auf der obersten Stufe erschien, in der Mitte einer Gruppe von Herren, welche sich beeiferten ihren runden Ellbogen mit der hohlen Hand zu stützen und ihr beim Hinabsteigen behülflich zu sein, wie es in Venedig Sitte ist.

– He! rief der Gondolier der Prima Donna dem bestürzten Anzoleto zu, was macht ihr da? Geschwind in die Gondel, wenn ihr dazu Erlaubniß habt, oder fort, und laufet an der Riva hin, denn der Herr Graf ist bei der Signora.

Anzoleto warf sich in die Gondel, ohne zu wissen was er that. Er hatte den Kopf verloren. Kaum war er drinnen, als ihm das Staunen und der Zorn des Grafen vor die Seele trat, wenn dieser etwa seine Maitresse bis in die Gondel geleitete und dort seinen unverschämten Schützling fände. Die Angst peinigte ihn um so schrecklicher, da sie um mehr als fünf Minuten verlängert wurde. Die Signora war mitten auf der Treppe stehen geblieben. Sie schwatzte und lachte laut mit ihren Begleitern, und da von einer Passage die Rede war, sang sie diese mehrmals mit voller Stimme und in verschiedener Manier. Ihre klare und schmetternde Stimme, verklang an den Palästen und Kuppeln des Kanales, wie sich der Ruf des vor dem Morgenroth erwachenden Hahnes in dem Schweigen der Felder verliert.

Anzoleto, der sich nicht länger halten konnte, war entschlossen, durch diejenige Oeffnung der Gondel, welche von der Treppe abgekehrt war, in das Wasser zu springen. Schon hatte er die Glasscheibe in ihr schwarzes Sammetfutter hinabgleiten lassen, schon hatte er ein Bein hinausgestreckt, als der zweite Ruderer der Prima Donna, der welcher am Hintertheile arbeitete, sich an der Seite des Gondelzeltes herüberbeugend, ihm zuflüsterte: Wenn man singt, so bedeutet das, ihr sollt euch still verhalten und ohne Furcht warten.

– Ich kannte den Brauch nicht, dachte Anzoleto und wartete, aber nicht ohne einen Rest von schmerzlicher Angst. Corilla machte sich das Vergnügen, den Grafen bis an den Schnabel ihrer Gondel mit sich zu ziehen, und dort noch indem sie ihm felicissima notte wünschte, stehen zu bleiben, bis man abgestoßen war; hierauf setzte sie sich mit einer solchen Unbefangenheit und Ruhe an die Seite ihres neuen Liebhabers, als ob sie nicht dessen Leben und ihr eigenes Glück bei diesem frechen Spiele gewagt hätte.

– Seht ihr die Corilla? sagte währenddessen Zustiniani zu dem Grafen Barberigo; nun, ich wollte meinen Kopf verwerten, daß sie nicht allein in ihrer Gondel ist.

– Und wie kommt ihr auf einen solchen Gedanken? erwiderte Barberigo.

– Weil sie mir tausend Vorstellungen gemacht hat, daß ich sie nach Hause begleiten möchte.

– Und ihr seid nicht eifersüchtiger?

– Von dieser Schwachheit bin ich schon lange geheilt. Ich würde Vieles darum geben, wenn unsere erste Sängerin sich ernstlich in irgend Jemanden verliebte, damit ihr der Aufenthalt in Venedig angenehmer würde als die Reiseträume, mit denen sie mich ängstiget. Ueber ihre Untreue kann ich mich leicht trösten, aber ihre Stimme und ihr Talent und die Wuth des Publicums, welches sie mir an San Samuel fesselt, ersetzt mir keine.

– Ich verstehe; aber wer könnte denn der glückliche Liebhaber dieser tollen Prinzessin sein?

Der Graf und sein Freund gingen alle die Personen der Reihe nach durch, welche Corilla während dieses Abends ausgezeichnet und aufgemuntert haben mochte. Anzoleto war der einzige, an den sie durchaus nicht dachten.

5.

Inzwischen brach ein heftiger Kampf aus in der Seele dieses glücklichen Liebsten, welchen Woge und Nacht in ihrem dunkeln Schooße hinwegtrugen. Bang und zitternd saß er neben der berühmtesten Schönheit Venedigs. Wohl fühlte Anzoleto wie das Feuer eines Verlangens in ihm brauste, das von der Freude befriedigten Stolzes noch heftiger angefacht wurde; aber die Furcht, bald zu mißfallen, verspottet, weggeworfen, verrätherisch bei dem Grafen angeklagt zu werden, erkältete sein Entzücken. Klug und schlau, ein ächter Venetianer, hatte er nicht sechs Jahre lang nach dem Theater gestrebt, ohne Erkundigung einzuziehen über die schwärmerische und gebieterische Frau, welche dort an der Spitze aller Intriguen stand. Er hatte Ursache zu vermuthen, daß sein Reich bei ihr nur von kurzer Dauer sein würde; und wenn er dieser gefährlichen Ehre nicht zu entgehen gesucht, so kam dies daher, daß er dieselbe nicht so nahe erwartet hatte: er war durch Ueberraschung unterjocht und fortgerissen. Er hatte nur gemeint, durch seine Galanterie sich gern gelitten zu machen, und siehe da, sogleich geliebt ward er, um seiner Jugend, seiner Schönheit, seines aufblühenden Ruhmes willen.

Jetzt, sagte sich Anzoleto mit jener Raschheit des Durchschauens und Schließens, welche einigen wundersam organisirten Köpfen von Natur beiwohnt, jetzt bleibt nichts mehr übrig als mich gefürchtet zu machen, wenn ich mir nicht ein bitteres und lächerliches Erwachen von meinem Triumphe bereiten will. Aber was kann ich, solch ein armer Teufel, thun, daß sie, die Fürstin der Hölle in Person, mich fürchten müsse?

Seine Partie war bald ergriffen. Er entwickelte ein System von Bedenklichkeiten, Eifersüchteleien, Bitterkeiten, deren leidenschaftliches, coquettes Spiel die Prima Donna in Erstaunen setzte. Kurz zusammengefaßt lautete ihr brünstiges und loses Liebesgeschwätz etwa so:

Anzoleto. – Ich weiß wohl, daß Sie mich nicht lieben, daß Sie mich nie lieben werden: das ist es was mich an Ihrer Seite traurig und befangen macht.

Corilla. – Und wenn ich dich liebte?

Anzoleto. – Dann würde ich völlig in Verzweiflung sein. Das hieße, mich aus dem Himmel nieder stürzen in einen Abgrund: ich müßte Sie verlieren vielleicht in der nächsten Stunde, nachdem ich Sie auf Kosten meines ganzen künftigen Glückes mir gewonnen hätte.

Corilla. – Und warum fürchtest du von mir eine solche Unbeständigkeit?

Anzoleto. – Zuerst, weil mein Verdienst gering ist, und sodann, weil man Ihnen so viel Schlechtes nachsagt.

Corilla. – Wer sagt mir denn Schlechtes nach?

Anzoleto. – Ach, alle Leute; denn alle Leute beten Sie an.

Corilla. – So würdest du, wenn ich Thörin genug wäre, dich liebzugewinnen und es dir zu sagen, mich dann zurückstoßen?

Anzoleto. – Ich weiß nicht, ob ich Kraft genug haben würde, zu entfliehen: wenn ich sie aber hätte, wahrhaftig, nie im Leben würde ich Sie wiedersehen.

– Wohlan! rief die Corilla, mich reizt die Neugier eine Probe zu machen ... Anzoleto, ich glaube in der That, daß ich dich liebe.

– Und ich, ich glaube es nicht, erwiderte er. Ich bleibe; denn ich sehe nur zu gut, daß Sie mich höhnen. Mit diesem Spiele können Sie mich nicht kirren, und noch viel weniger empfindlich machen.

– Du willst dich auf Finessen legen, scheint mir?

– Warum nicht? Ich bin nicht sehr zu fürchten, da ich Ihnen das Mittel biete, mich zu besiegen.

– Welches?

– Mich starr zu machen vor Schrecken und mich in die Flucht zu jagen durch dasselbe Wort im Ernste, das Sie mir jetzt im Spotte zugeworfen.

– Du bist ein abgefeimter Schelm! Ich sehe wohl daß man sich mit dir in Acht nehmen muß. Du bist einer von denen, welche sich nicht begnügen, den Duft der Rose zu athmen, sondern sie pflücken und unter Glas bringen wollen. Ich hätte dich in deinem Alter weder für so keck noch für so eigenwillig gehalten!

– Sind Sie mir deshalb gram?

– Im Gegentheile, du gefällst mir desto mehr. Gute Nacht, Anzoleto, wir sehen uns wieder.

Sie reichte ihm ihre schöne Hand, welche er mit Inbrunst küßte. Ich habe mich nicht übel herausgezogen, sagte er zu sich, während er unter den Galerien am Borde des Canaletto entschlüpfte.

Er glaubte nicht, daß man ihm noch zu dieser Stunde den Verschlag, wo er zu übernachten gewohnt war, öffnen würde und beschloß, sich auf der ersten, besten Thürschwelle, auszustrecken, um jenes englischen Schlafes zu genießen, welcher nur den Kindern und den Armen vorbehalten ist. Aber zum erstenmale in seinem Leben fand er keine Fliese reinlich genug für sein Lager. Obschon das Straßenpflaster in Venedig sauberer und weißer ist als in irgend einer andern Stadt auf Erden, so war doch solch ein ziemlich staubiges Bett nicht eben passend für einen schwarzen Anzug von dem feinsten Tuche und dem elegantesten Schnitte. Und dann der Anstand! Dieselben Schiffer, die am frühen Morgen vorsichtig über die Stiegen schritten, ohne die Lumpen des armen Jungen zu berühren, hätten ihn aus seinem Schlummer ausgeschimpft und die Prachtstücke seines geborgten Luxus vielleicht absichtlich besudelt, welche sie unter ihren Füßen fanden. Was hätten sie von einem Menschen denken sollen, der in seidenen Strümpfen, in feiner Wäsche, in Manchetten und Spitzenhalstuch unter freiem Himmel schlief?

Anzoleto vermißte in diesem Augenblicke recht empfindlich seine gute rothbraune Wollenkappe, die sehr schäbig und abgetragen, aber doch noch immer zwei Finger dick und äußerst dienlich war, um dem ungesunden Morgennebel, der aus der Wassermasse Venedigs aufsteigt, Trotz zu bieten. Es war in den letzten Tagen des Februar, und obwohl die Sonne um diese Jahreszeit unter dem dortigen Himmel schon recht stark leuchtet und wärmt, so sind die Nächte doch noch sehr kalt.

Es fiel ihm ein, sich in eine der Gondeln zu ducken, welche am Ufer lagen: er fand sie aber alle fest verschlossen. Endlich kam er an eine, deren Thüre seinem Drucke wich; doch als er eindrang, stieß er an die Füße des Barcarolen, der sich dort zu seiner Nachtruhe zurückgezogen hatte und fiel über ihn hin.

– Beim Leib des Teufels! schrie ihn eine rauhe Stimme aus dem Innern dieser Höhle an, wer seid ihr? was wollt ihr?

– Bist du's, Zanetto? erwiderte Anzoleto, da er die Stimme des Gondoliers erkannte, der ihm immer viel Freundlichkeit bewiesen hatte. Laß mich neben dir niederliegen und einen Schlaf unter Dach thun in deinem Hüttchen.

– Wer bist du denn? fragte Zanetto.

– Anzoleto; kennst du mich denn nicht?

– Nein, beim Satan! Hast du doch Kleider an, die Anzoleto nicht haben könnte, wenn er sie nicht gestohlen hätte. Pack dich fort! Wenn du der Doge in Person wärest, so litt' ich einen Menschen nicht in meiner Barke, der einen schönen Rock hat zum Spazierengehen und kein Loch zum Schlafen.

Bis jetzt, dachte Anzoleto, hat mir noch die Protection und Gunst des Grafen Zustiniani mehr Gefahren und Unannehmlichkeiten als Nutzen eingetragen. Es wäre Zeit, daß mein Beutel sich nach meinem Succeß schickte, und ich sehne mich danach, ein Paar Zechinen in der Tasche zu haben, damit ich die Rolle durchführen könnte, die man mich spielen läßt.

Voll Verdruß irrte er in den öden Straßen umher, und getraute sich nicht still zu stehen, aus Furcht den Schweiß zurückzutreiben, welchen Zorn und Anstrengung ihm ausgepreßt hatten.

Daß ich mir nur nicht bei dem Allen noch eine Heiserkeit hole! sagte er vor sich hin. Morgen des Tages wird der Graf sein junges Wunderthier dem ersten, besten Hansnarren von Kunstrichter vorführen wollen, und der wird dann, wenn ich den kleinsten Kitzel in der Kehle von einer solchen Nacht ohne Ruhe, ohne Schlaf, ohne Obdach davon getragen hätte, den Ausspruch thun, ich hätte keine Stimme; und der Herr Graf, der es besser weiß, wird sagen: ach, wenn Sie ihn doch gestern gehört hätten! – Er ist also nicht immer gleich! wird der andere bemerken. Er hat wohl seine feste Gesundheit! – Oder vielleicht, wirft dann ein dritter ein, hat er sich gestern zu sehr angestrengt. Er ist wahrhaftig noch zu jung, um mehre Tage hinter einander zu singen. Ihr würdet gut thun, noch zu warten, bis er reifer und kräftiger geworden ist, ehe Ihr ihn auf die Bühne bringt. Und der Graf wird sagen: Alle Teufel, wenn er von zwei Arien heiser wird, so ist das kein Handel für mich. Und was wird geschehen? Sie werden mich alle Tage Etüden singen lassen, bis mir der Athem ausgeht, blos um zu probiren, ob ich stark und gesund genug sei, und sie werden mir die Stimme entzweibrechen, um sich zu überzeugen, ob meine Lunge gut ist. Hol' der Teufel die Protection der großen Herren! Ha! wann werde ich so weit sein, daß ich sie nicht mehr brauche, – daß sie, wenn ich in ihren Salons singe, sich das für eine Gnade schätzen müssen, weil ich renommirt, weil ich der Günstling des Publikums bin, weil sich die Theaterdirectionen um mich reißen, – daß ich mit ihnen auf gleichem Fuße, Macht gegen Macht, verhandeln könne?

Unter diesem Selbstgespräche gerieth Anzoleto auf einen jener kleinen Plätze, welche in Venedig corti heißen, obschon es keine Höfe sind, sondern etwas dem ähnliches was man in Paris cité nennt, eine Gruppe von Häusern, deren Thüren alle auf einen gemeinschaftlichen offenen Raum gehen. Man muß sich aber diese sogenannten Höfe nicht im mindesten regelmäßig, geschmackvoll und saubergehalten denken, nach Art unserer modernen squares. Es sind vielmehr ganz kleine, finstere Plätze, die manchmal einen Sack bilden, manchmal einen Durchgang von einem Quartiere zu dem anderen; sie sind wenig besucht und rings umgeben von den Wohnungen armer und geringer Leute, meistens aus der untersten Volksklasse, Handarbeitern und Wäscherinnen, deren Zeug zum Trocknen auf Leinen, die sich quer über den Weg ziehen, aufgehängt ist: ein Uebelstand, welchen der Durchgehende um so williger duldet, als sein Durchgangsrecht oft aus mehr als hinlänglichen Gründen ebenfalls nur auf Duldung beruht.

Wehe dem armen Künstler, der ein Kämmerchen nach einem dieser abgelegenen Winkel hinaus bewohnt, wo, nur zwei Schritte entfernt von breiten Kanälen und prächtigen Gebäuden, sich plötzlich mitten im Schooße Venedigs das Proletarierleben findet mit seiner Rohheit, seinem Lärm und seinem Schmutze. Wehe ihm, wenn er Stille braucht zu seinen Arbeiten. Denn vom Morgen bis in die Nacht wird das Gelärme der Kinder, Hühner und Hunde, die in dem engen Gehöfte durch einander spielen, schreien und heulen, das endlose Geplapper der Weiber, die auf ihren Thürschwellen zusammenstehen und das Gesinge der Arbeiter in ihren Werkstätten ihm nicht einen Augenblick der Ruhe lassen.

Ein Glück noch, wenn nicht gar der Improvisatore kommt und seine Sonette und Dithyramben abplärrt, bis aus jedem Fenster ihm eine Kupfermünze zugefallen, oder wenn nicht Brighella seine Bude in der Mitte des Hofes aufstellt und unermüdlich seinen Dialog mit dem Avocato, dem Tedesco und dem Diavolo immer wieder von vorne beginnt, bis er sich überzeugt hält, daß seine Beredsamkeit umsonst vergeudet ist; vor zerlumpten Kindern, glücklichen Zuschauern, die sich kein Gewissen daraus machen, zu hören und zu sehen, ohne einen Liard in der Tasche.

Nachts aber, wann alles in Schweigen gesunken ist, und wann die Steine hell im Lichte des stillen Mondes schimmern, dann giebt diese gedrängte Masse unregelmäßig und absichtslos in den verschiedensten Epochen an einander gebauter Häuser, durch starke Schatten abgesetzt, mit mannigfaltigen geheimnißvollen Tiefen, und mit dem grillenhaften Formenspiele, das der Zufall schuf, ein Bild unendlich malerischer Unordnung. Alles verschönt sich im Mondesblicke; jede kleine architectonische Wirkung tritt hervor und wird bedeutend, der unscheinbarste weinbelaubte Balcon nimmt eine spanisch romanzenhafte Miene an, und erfüllt die Seele mit den Bildern jener schönen ritterlichen Abentheuer. Der leuchtende Himmel, in welchen sich jenseits dieser finsteren und winkeligen Masse, die blassen Kuppeln ferner Gebäude tauchen, gießt über die geringsten Einzelheiten des Gemäldes einen ungewissen und harmonischen Farbenton, der zu endlosen Träumen verlockt.

In der corte Minelli, bei der Kirche San-Fantin befand sich Anzoleto, als eben die Thurmuhren den Schlag der zweiten Stunden nach Mitternacht einander zuschickten. Ein geheimer Trieb hatte seine Schritte nach der Wohnung eines Wesens gelenkt, dessen Name und Bild seit Sonnenuntergang nicht in seine Seele gekommen war. Kaum hatte er diesen Hof betreten, als er sich bei den letzten Silben seines Namens von einer sanften Stimme leise rufen hörte, und so wie er aufblickte, sah er einen leichten Schattenriß auf einer der elenden Terrassen des Gehöftes sich abmalen. Einen Augenblick später wurde die Thüre dieser Baracke geöffnet, und Consuelo im Kattunröckchen und in einen alten schwarzseidenen Mantel gewickelt, womit vor Zeiten ihre Mutter Staat gemacht hatte, kam, ihm die Hand zu reichen, während sie mit der anderen Hand einen Finger an ihre Lippen legte, um ihm Stille anzuempfehlen. Auf den Zehenspitzen und tastend stiegen beide die krumme und verfallene hölzerne Treppe hinan, welche bis auf das Dach führte; und oben auf der Terrasse angelangt begannen sie eines jener langen, von Küssen unterbrochenen Gelispel, deren man jede Nacht wie Windesflüstern auf den Dächern hört, oder wie ein Geschwätz von Luftgeistern, die im Nebel paarweis um die wunderlich geformten und mit ihren zahllosen rothen Turbanen alle Häuser Venedigs schmückenden Schlote kreisen.

– Wie, meine arme Freundin, sagte Anzoleto, hast du mich bis jetzt erwartet?

– Hattest du mir nicht gesagt, du würdest kommen und mir von deinem Abend Nachricht bringen? Nun, sage doch, hast du gut gesungen und Freude gemacht? Haben sie geklatscht? Und haben sie dir dein Engagement zu wissen gethan?

– Und du, o du gute Consuelo, sagte Anzoleto, plötzlich von Gewissensbissen angefallen, als er die Traulichkeit und Freundlichkeit dieses armen Mädchens sah, sage mir doch, ob du nicht recht ungeduldig wurdest, daß ich so lange blieb, ob du nicht recht müde bist von dem langen Warten, ob du nicht recht gefroren hast auf dieser Terrasse, ob du auch ans Abendbrot gedacht hast, ob du mir nicht böse bist, daß ich so spät komme, ob du dich beunruhigt hast, ob du mir Schuld giebst?

– Nein, nichts von dem allen, entgegnete sie, ihre Arme voll Unschuld um seinen Hals schlingend. Wenn ich ungeduldig wurde, so war's doch nicht über dich; wenn ich müde war, wenn ich fror, ei, ich fühle nichts mehr davon, seitdem du da bist; ob ich gegessen habe; ich weiß es nicht mehr; ob ich dir Schuld gebe ... was für Schuld sollte ich dir geben? ob ich mich beunruhigt habe ... weswegen denn mich beunruhigen? ob ich dir böse bin? Nie, nie!

– Du, du bist ein Engel, sagte Anzoleto, indem er sie küßte. Ach, mein Trost! wie sind die andern Herzen so ungetreu und so hart!

– O, was ist dir geschehen? was haben sie da unten dem »Sohn meiner Seele« gethan? rief Consuelo, in den anmuthigen venetianischen Dialect die kühnen und leidenschaftlichen Bilder ihrer Muttersprache mischend.

Anzoleto erzählte nun alles was ihm begegnet war, auch seine Galanterien bei der Corilla und besonders die Lockungen die er von ihr erfahren hatte. Nur erzählte er die Dinge auf eine gewisse Art, indem er alles das sagte was Consuelo nicht betrüben konnte, da er, wirklich und mit Willen, ihr doch treu geblieben war, und es war »so ziemlich« die ganze Wahrheit. Es giebt aber ein Partikelchen Wahrheit, das noch keine gerichtliche Untersuchung jemals an den Tag gebracht, das noch kein Client seinem Advocaten je bekannt, das noch kein Urtheil jemals, außer zufällig, getroffen hat, und gerade in dieser Kleinigkeit von Thatbestand oder Absicht, welche unenthüllt bleibt, liegt das Wesen der Sache, der Beweggrund, das Endziel, kurz das gesuchte Wort all dieser großen Rechtshandlungen, die stets so schlecht geführt und stets so schlecht entschieden werden, wie groß auch immer die Hitze der Redner und die Kälte der Richter sei.

Um auf Anzoleto zurückzukommen, so braucht nicht erst gesagt zu werden, welche kleinen Sünden er verschwieg, welche glühenden Regungen er auf seine Art übersetzte und welche in der Gondel erstickte Wallungen er zu erwähnen vergaß. Ich glaube sogar, daß er von der Gondel gar nicht sprach, und die der Sängerin erwiesenen Artigkeiten als Kunstgriffe darstellte, mit deren Hülfe er, ohne sie zu erzürnen, den gefährlichen Avanzen womit sie ihn überhäufte, geschickt entkommen wäre. Warum aber, wenn er doch einmal nicht alles verrathen wollte noch konnte, nämlich nicht die Stärke der Versuchungen, welche er aus Klugheit und aus richtigem Takt überwunden hatte, warum – so fragst du, liebe Leserin – hat dieser junge Schelm sich in die Gefahr gebracht, Consuelo's Eifersucht aufzuwecken? Das fragen Sie mich, Madame! Sagen Sie mir doch, ob Sie nicht Ihrem Liebsten, ich meine, dem Gatten Ihrer Wahl alle Huldigungen, die von Anderen Ihnen dargebracht wurden, alle Verderber, die Sie abgewiesen haben, alle Nebenbuhler, die Sie ihm, nicht allein vor der Ehe, sondern jeden Balltag, gestern, heute noch, geopfert, aufzuzählen pflegen! Wohlan Madame, wenn Sie schön sind, und es macht mir Freude dies zu glauben, so wette ich meinen Kopf, Sie machen es nicht anders als Anzoleto, nicht um Ihren Werth zu zeigen, nicht um ein eifersüchtiges Gemüth zu quälen; nicht um ein Herz stolz zu machen, das schon zu stolz auf Ihre Vorzüge ist, sondern weil es süß ist, Jemanden zur Seite zu haben, dem man solche Dinge mittheilen kann, ganz in dem Scheine als erfüllte man damit lediglich seine Pflicht, und zu beichten, indem man vor dem Beichtiger prahlt. Nur beschränkt sich auch Ihre Beichte, Madame, auf »so ziemlich Alles.« Es ist nur ein ganz kleines Etwas dabei, von welchem Sie schweigen: der Blick etwa, das Lächeln, wodurch Sie die unverschämte Erklärung des Frechen, über den Sie sich beklagen, herausgefordert haben. Dieses Lächeln, dieser Blick, dieses Etwas ist eben die Gondel, von welcher Anzoleto, froh, den Rausch des Abends in der Erinnerung noch einmal laut durchzugehen, seiner Consuelo zu erzählen vergaß. Die kleine Spanierin wußte zu ihrem Glücke noch nicht, was Eifersucht sei: diese schwarze, bittere Regung steigt nur in den Seelen auf, die viel gelitten haben, und Consuelo war bis dahin eben so glücklich in ihrer Liebe, als ihr Herz gut war. Der einzige Umstand, der auf sie einen tiefen Eindruck machte, war die ebenso schmeichelhafte als strenge Weissagung, welche ihr verehrter Meister, der Professor Porpora über Anzoleto's Haupt gesprochen hatte. Sie ließ sich von ihm die Worte des Meisters wiederholen, und nachdem er sie ihr genau vorgetragen, dachte sie lange nach und verharrte schweigend.

– Consuelina, sagte Anzoleto zu ihr, der nicht sehr auf ihr Träumen geachtet hatte, ich muß dir gestehen, daß die Luft außerordentlich frisch ist. Hast du nicht Furcht, dich zu erkälten? Bedenke nur, Liebe! daß unsere Zukunft noch mehr von deiner Stimme abhängt, – als von der meinigen ...

– Ich erkälte mich nie, entgegnete sie. Aber du, mit deinen schönen Kleidern, die so leicht sind! Da, wickle dich in meine Mantille. – Was soll mir dies arme durchlöcherte Fähnchen Taft helfen? ... Ich möchte viel lieber ein halbes Stündchen in deiner Stube unter Obdach sein.

– Gut, sagte Consuelo, aber da darfst du nicht sprechen; denn wenn uns die Nachbarn hörten, so würden sie uns Schande machen. Sie sind nicht schlecht: sie machen mir nicht viel Noth um unsere Liebschaft, die sie sehen, denn sie wissen wohl, daß du, des Nachts nie zu mir kommst. Du thätest auch besser, wenn du nach Hause schlafen gingest.

– Ich kann ja nicht; es wird erst aufgemacht, wenn es Tag ist, und ich müßte noch drei Stunden frieren. Sieh nur, wie mir die Zähne im Munde klappern!

– So komm denn, sagte Consuelo aufstehend; ich will dich in meine Stube einschließen und dann werde ich wieder an die Terrasse gehen, damit, wenn uns Einer aufpassen sollte, er auch sehe, daß ich nichts Anstößiges thue.

Sie führte ihn wirklich in ihr Zimmer. Es war ein ziemlich großer, verfallener Saal, in welchem die auf den Wänden einst gemalten Blumen, unter einem zweiten gröberen und fast schon ebenso beschädigten Anstrich hin und wieder durchblickten. Ein großes viereckiges Bettgestell aus Holz mit einem Strohsack von Seegras und einer ganz sauberen, aber an hundert Stellen mit Läppchen von allen Farben geflickten Piquédecke, ein Strohstuhl, ein Tischchen, eine sehr alte Guitarre und ein Christkind von Drahtarbeit, die Reichthümer welche ihre Mutter ihr hinterlassen; ein kleines Spinett und ein großes Pack alter wurmstichiger Musikalien, Sachen die Professor Porpora ihr aus besonderer Güte geliehen hatte – mit diesem Hausrath behalf sich die junge Künstlerin, einer armen Zigeunerin Kind, die Schülerin eines großen Meisters und die Geliebte eines schönen Abentheurers.

Da nur Ein Stuhl da war und der Tisch voll Musikalien lag, so blieb für Anzoleto kein Sitz als das Bett, und dazu machte er es auch ohne Umstände.Kaum hatte er sich aber auf den Rand desselben gesetzt, als ihn die Müdigkeit überwältigte: er ließ seinen Kopf auf ein großes Wollenpfühl, das als Kopfkissen diente, niedersinken und sagte: o du, mein Weibchen, wollte ich doch in diesem Augenblicke alles was ich noch zu leben habe um eine Stunde guten Schlafes geben, und alle Schätze der Welt um ein Eckchen dieser Decke auf meine Füße. Ich habe noch nie so gefroren wie in diesen verwünschten Kleidern, und von dem Unbehagen dieser schlaflosen Nacht habe ich einen Fieberschauer.

Consuelo besann sich einen Augenblick. Waise und zu achtzehn Jahren allein auf der Welt, hatte sie Keinem über ihre Handlungen Rechenschaft zu geben als ihrem Gott. Sie glaubte an Anzoleto's Versprechen wie an das Evangelium, sie fürchtete weder Abneigung noch Verlassung von ihm, wenn sie ihm auch alles zu Gefallen thäte. Aber ihr Schamgefühl, das Anzoleto nie bekämpft noch gedämpft hatte, machte, daß ihr seine Zumuthung ein wenig stark schien. Sie trat zu ihm, sie fühlte seine Hand an: diese war wirklich sehr kalt. Anzoleto ergriff die Hand Consuelo's und führte sie an seine Stirn, die glühend heiß war.

– Du bist krank, sagte sie zu ihm, von einer Besorgniß ergriffen, welche jedes andere Bedenken zum Schweigen brachte. Nun denn, schlaf ein Stündchen auf diesem Bette.

Anzoleto ließ es sich nicht zweimal sagen. Gut wie Gott im Himmel! lispelte er, indem er sich auf der Seegrasmatratze ausstreckte. Consuelo deckte ihn zu; sie holte aus einem Winkel ein paar armselige Kleidungsstücke, die sie noch hatte und deckte sie über seine Füße. Anzoleto, sagte sie leise, während sie so mütterlich waltete, auf diesem Bette, wo du schlafen wirst, habe ich mit meiner Mutter die letzten Jahre ihres Lebens geschlafen, auf diesem Bette habe ich sie sterben sehen, und ihr das Leichentuch umgethan und bei ihrer Leiche gewacht unter Gebet und Thränen, bis die Todtenbarke kam, um sie mir auf immer hinwegzunehmen. Nun gieb Acht, ich will dir jetzt sagen was für ein Versprechen sie mir in ihrer letzten Stunde abnahm. Consuelo, sagte sie, schwöre mir beim Christ, daß Anzoleto meinen Platz auf diesem Bette nicht eher einnehmen darf, als bis ihr euch vor einem Priester geheirathet habt.

– Und du schwurest?

– Ich schwur. Und nun lasse ich dich hier zum erstenmale schlafen, es ist aber nicht meiner Mutter Platz, den ich dir gebe, sondern mein eigener.

– Und du, armes Kind, du wirst also nun nicht schlafen? entgegnete Anzoleto indem er sich mit einer plötzlichen Anstrengung halb aufrichtete. Oh, ich bin ein erbärmlicher Wicht, ich gehe und schlafe auf der Straße.

– Nein, sagte Consuelo, indem sie ihn mit sanfter Gewalt auf das Kissen zurückdrückte, dir ist unwohl, und mir nicht. Meine Mutter, die als gute Katholikin starb und im Himmel ist, sieht uns jeder Stunde. Sie weiß, daß du das Versprechen gehalten hast, das du ihr gabst, mich nicht zu verlassen. Sie weiß auch, daß unsere Liebe seit ihrem Tode so rein geblieben ist, wie sie bei ihren Lebzeiten war. Sie sieht in diesem Augenblick, daß ich nichts Böses denke und thue. Ruhe ihre Seele in dem Herrn! Hierbei machte Consuelo ein großes Kreuz. Anzoleto schlief ein. Ich will oben auf der Terrasse meinen Rosenkranz sagen, daß du das Fieber nicht kriegst, setzte Consuelo hinzu und ging hinaus.

– Gut wie Gott! wiederholte Anzoleto noch mit schwacher Stimme und bemerkte nicht einmal, daß seine Braut ihn allein ließ. Sie ging auf das Dach und betete ihren Rosenkranz ab. Dann kehrte sie zurück, um zu sehen, ob ihm nicht mehr unwohl wäre, und da sie ihn ruhig schlafend fand, betrachtete sie lange sein schönes blasses, von dem Monde beleuchtetes Gesicht.

Dann, da sie sich dem Schlafe nicht überlassen wollte und sich erinnerte, daß sie über die Aufregung des vorigen Abends ihre Arbeit versäumt hatte, zündete sie ihr Lämpchen wieder an, setzte sich an ihren kleinen Tisch und schrieb eine Compositionsübung, die ihr Porpora für den folgenden Tag aufgegeben hatte.

6.

Graf Zustiniani war ungeachtet seiner philosophischen Selbstbeherrschung und einiger neuen Liebschaften, wegen denen Corilla ziemlich ungeschickt die Eifersüchtige spielte, keineswegs so unempfindlich gegen die übermüthigen Caprizen dieser tollen Maitresse, als er sich den Anschein zu geben suchte. Zustiniani machte nur um des guten Tones und um seiner gesellschaftlichen Stellung willen den Roué: er war ein guter, schwacher Mensch und ein Lebemann. Er konnte es aber nicht vermeiden, den Undank, womit dieses Mädchen seine Großmuth vergalt, im Grunde seines Herzens bitter zu empfinden; und obgleich es damals, in Venedig ebensogut wie in Paris, für äußerst unschicklich galt, sich eifersüchtig zu zeigen, so empörte sich doch sein italienischer Stolz gegen die lächerliche und traurige Rolle, die ihn Corilla spielen ließ.

Noch an demselben Abend, an welchem Anzoleto im Pallast Zustiniani geglänzt hatte, nahm der Graf, der eben erst mit seinem Freunde Barberigo über die Schelmereien seiner Maitresse gescherzt hatte, sobald er seine Säle geleert und die Flambeaux gelöscht sah, Mantel und Degen, und lief, um sich »reinen Wein« zu holen, nach dem Pallaste, welchen die Corilla bewohnte.

Er überzeugte sich, daß sie allein war, und war doch doch nicht beruhigt; er fand den Barcarolen der Prima Donna beschäftigt die Gondel unter das Gewölbe zu stoßen, welches dieselbe aufzubewahren diente, und ließ sich mit dem Menschen in Gespräch ein; mittelst einiger Zechinen öffnete er ihm den Mund und fand seine Vermuthung bestätigt, daß Corilla Jemanden unter Weges in ihrer Gondel bei sich gehabt hatte. Aber er konnte nicht erfahren, wer dieser Begleiter war, der Gondelier wußte es selbst nicht. Er hatte den Anzoleto wohl hundertmal bei dem Theater und dem Pallaste Zustiniani gesehen, hatte ihn aber in der Dunkelheit unter seinem schwarzen Anzuge und dem Puder nicht erkannt.

Dieses undurchdringliche Geheimniß verstimmte den Grafen vollends. Er hatte Trost gesucht im Bespötteln seines Nebenbuhlers, der einzigen, nach den Regeln des guten Geschmackes erlaubten Rache, die aber in Zeiten der eiteln Schaustellung nicht minder grausam ist als der Mord in den Epochen ernstlicher Leidenschaft. Er konnte nicht einschlafen, und noch ehe die Stunde schlug, da Porpora im Conservatorium für die armen Töchter seinen Musikunterricht zu beginnen hatte, machte er sich auf den Weg nach der Scuola dei Mendicanti und trat in den Saal, in welchem sich die jungen Mädchen versammeln sollten.

Die Stellung des Grafen zu dem gelehrten Professor war seit einigen Jahren eine ganz andere geworden. Zustiniani war nicht mehr der musikalische Gegner Porpora's, sondern sein Verbündeter und gewissermaßen sein Vorgesetzter; er hatte dem Institute, welches dieser geschickte Meister leitete, beträchtliche Schenkungen gemacht, und aus Dankbarkeit hatte man ihm die obere Aufsicht über dasselbe anvertraut. Die beiden Freunde lebten von der Zeit an in so gutem Einvernehmen als es die Unduldsamkeit des Professors gegen die modische Musik nur immer zuließ, eine Unduldsamkeit, die übrigens in demselben Maße sich verminderte, als der Graf mehr und mehr, mit seinen Bemühungen und mit seinem Gelde, für die Förderung und Ausbreitung der ernsten Musik that. Dazu kam noch, daß er eine Oper Porpora's, welche dieser Meister soeben beendet hatte, in Sau Samuel aufführen ließ.

– Lieber Meister, sagte Zustiniani, indem er ihn bei Seite nahm, ihr müßt euch nicht allein entschließen euch eine eurer Schülerinnen für das Theater wegnehmen zu lassen, sondern ihr müßt mir sogar diejenige bezeichnen, welche Euch selbst am besten geeignet scheint, die Stelle der Corilla auszufüllen. Diese Sängerin wird matt, ihre Stimme nimmt ab, ihre Capricen richten uns zu Grunde und das Publicum wird ihrer bald überdrüßig sein. Wir müssen wahrhaftig daran denken, ihr eine Succeditrice zu geben. (Verzeihe, lieber Leser, es ist dies der hergebrachte Ausdruck in Italien, kein neu vom Grafen gebildetes Wort.)

– Ich kann euch nicht dienen, gab Porpora trocken zur Antwort.

– Was alle Welt, Meister! rief der Graf, wollt ihr wieder in eueren gallichten Humor zurückfallen? Ist es wohl recht, daß ihr nach einem so großen Aufwand von Geld und Mühe, wie ich ihn an die Beförderung euerer musikalischen Zwecke gesetzt habe, mir den ersten kleinen Gefallen abschlagt, den ich in Rath und That von euch für die meinigen in Anspruch nehme?

– Nein, dazu habe ich kein Recht mehr, Graf, erwiderte der Professor; und was ich euch gesagt habe, ist die lautere Wahrheit, wie ich sie dem Freunde sage, dem ich mit Freuden einen Dienst leiste. Ich habe in meiner Singeschule keine einzige Person, welche euch die Corilla ersetzen könnte. Ich schlage sie nicht höher an, als nöthig: aber während ich erklären muß, daß das Talent dieses Mädchens in meinen Augen gar keinen reellen Werth hat, darf ich doch auch nicht verhehlen, daß sie ein Savoir-faire, eine Routine, eine Leichtigkeit, ein Eingehen auf die Stimmung des Publicums besitzt, wie sich das nur durch jahrelange Uebung erreichen läßt, und wie es andere Debütantinnen nicht so bald erringen werden.

– Das ist wahr, sagte der Graf, aber am Ende haben wir die Corilla gebildet, wir haben ihre Anfänge gesehen, wir haben sie in die Gunst des Publikums eingeführt: drei Viertel von ihrem Erfolge verdankt sie ihrer Schönheit und ihr habt in euerer Schule noch eben so reizende Wesen. Das werdet ihr nicht in Abrede stellen, lieber Meister! Zum Beispiel, die Clorinda, müßt ihr gestehen, ist doch das schönste Geschöpf der Erde.

– Ja, aber verschroben, geziert, unleidlich ... Zwar, es ist möglich, daß das Publicum diese lächerlichen Grimassen entzückend finde ... aber sie singt falsch, hat keine Seele, keine Auffassung ... Zwar, das Publicum hat deren ebenso wenig als Gehör  ... Aber sie hat kein Gedächtniß, keine Gewandtheit, und sie wird sich nicht einmal durch die glückliche Charlatanerie vor dem Fiasko retten, die – so vielen Leuten zu statten kommt.

Bei diesen Worten fiel des Professors Blick unwillkürlich auf Anzoleto, der auf seinen Anspruch als Günstling des Grafen gestützt und unter dem Vorgehen, daß er diesen sprechen müßte, sich in die Klasse eingeschlichen hatte und in geringer Entfernung stand, der Unterredung horchend.

– Thut nichts, sagte der Graf, ohne auf die boshafte Anspielung des Meisters zu achten: ich gebe meine Idee nicht auf. Es ist lange, daß ich die Clorinda nicht gehört habe. Wir wollen sie kommen lassen, und noch fünf oder sechs andere, die hübschesten, die da sind. Schau, Anzoleto, setzte er lachend hinzu, du bist recht gut ausstaffirt um dir das Ansehen eines jungen Professors zu geben. Gehe in den Garten und suche dir die schönsten unter diesen jungen Damen aus; denen sage, daß wir sie hier erwarten, der Herr Professor und ich.

Anzoleto that wie ihm geheißen war, aber er brachte, entweder aus Schalkheit, oder weil er seine Absichten dabei hatte, die häßlichsten von Allen, man hätte mit Jean-Jacques ausrufen können: Einäugig war Sofia, die Cattina war lahm.

Dieses Quiproquo wurde mit Heiterkeit aufgenommen, und nachdem die Herren sich ins Fäustchen gelacht, bezeichnete der Professor den jungen Mädchen diejenigen ihrer Gefährtinnen, welche sie an ihrer Stelle schicken sollten. Eine allerliebste Gruppe erschien alsbald, in ihrer Mitte die schöne Clorinda. –

– Welch prächtiges Haar! sagte der Graf dem Professor ins Ohr, als er die reichen blonden Flechten der letzteren an sich vorüber gehen sah.

– Es ist ein Kopf, der vielmehr auf sich als in sich hat, antwortete der grobe Kritiker, ohne im mindesten seine Stimme zu dämpfen.

Nachdem eine Stunde probirt worden war, hielt es der Graf nicht länger aus; er entfernte sich mißmüthig, während er den jungen Mädchen einige Artigkeiten zu ihrem Lobe sagte und dem Professor zuflüsterte: An diese Papageien ist nicht zu denken!

– Wenn Ew. Gnaden mir vergönnen wollte, in dieser Sache, welche Sie beschäftigt, ein Wort mit zu reden ... hob Anzoleto leise an, als sie mit einander die Treppe hinabstiegen.

– Rede, entgegnete der Graf; wüßtest du das Wunder nachzuweisen, das wir suchen?

– Ja, Excellenz!

– Und in der Tiefe welches Meeres wirst du diese Perle auffischen?

– Nur in der Tiefe der Klasse, in welcher der schlaue Professor Porpora sie versteckt hält, so oft Sie ihr Mädchencorps die Revüe passiren lassen.

– Wie? Giebt es in der Scuola einen Edelstein, dessen Glanz meine Augen noch nie wahrgenommen haben? Wenn Meister Porpora mir einen solchen Streich gespielt hat! ...

– Gnaden, der Diamant, den ich meine, gehört nicht zu der Scuola. Es ist ein armes Mädchen, das nur im Chore mitsingt, wenn man es verlangt: der Professor giebt ihr aus Mildthätigkeit und mehr noch aus Liebe zur Kunst, Privatstunden.

– Wenn das ist, so muß dies ein Mädchen von ausgezeichneten Anlagen sein, denn der Professor ist schwer zu befriedigen und ist mit seiner Zeit und Mühe nicht eben freigebig. Sollte ich sie vielleicht schon einmal gehört haben, ohne sie zu kennen?

– Ew. Herrlichkeit hat sie vor langer Zeit einmal gehört, sie war damals noch ein Kind. Jetzt ist sie ein großes, starkes Mädchen, voller Fleiß, und weiß schon so viel wie der Professor selbst; wenn diese einmal nur drei Takte auf dem Theater neben der Corilla sänge, so würde die Corilla sicherlich ausgezischt.

– Ist sie denn niemals öffentlich aufgetreten? Hat der Professor sie nicht irgend einmal in den Vespern eine Motette singen lassen?

– Früher, Excellenz, machte es dem Professor Freude, sie in der Kirche singen zu lassen; aber seitdem die Scolari aus Neid und Rachsucht gedroht haben, sie wollten schon machen, daß diese von dem Orgelchore hinweggejagt würde, wenn sie sich noch einmal unter ihnen blicken ließe ...

– Es ist also wohl ein Mädchen von üblem Rufe ...

– Gerechter Gott, Excellenz! eine Jungfrau so rein wie die Himmelspforte! aber arm ist sie und gemeiner Leute Kind ... gerade wie ich, Excellenz, und mich haben doch Sie durch ihre Güte bis zu sich hinauf gehoben! Aber diese bösen Harpyen haben dem Professor gedroht, sie würden sich bei Ihnen darüber beschweren, daß er gegen die Vorschriften eine Schülerin in der Klasse zuließe, die nicht dazu gehörte.

– Wo könnte ich wol dieses Wunder einmal hören?

– Ew. Herrlichkeit darf ja nur dem Professor befehlen, daß er sie einmal in Ihrer Gegenwart singen lasse; Sie werden dann über ihre Stimme und die Größe ihres Talentes urtheilen können.

– Deine Zuversicht flößt mir in der That Vertrauen ein. Du sagst also, ich hätte sie schon vor langer Zeit einmal gehört ... Kann ich mich doch durchaus nicht erinnern ...!

– In der Kirche der Mendicanti, bei einer Generalprobe, das Salve Regina von Pergolese ...

– Halt! ich hab's, rief der Graf. Stimme, Ton, Auffassung bewundernswürdig!

– Und sie war damals erst vierzehn Jahre alt, Monsignore, ein bloßes Kind.

– Ja, aber ... ich glaube mich zu erinnern, daß sie nicht hübsch war.

– Nicht hübsch, Excellenz? sagte Anzoleto bestürzt.

– Hieß sie nicht ...? Hm, ja, es war eine Spanierin, ein närrischer Name ...

– Consuelo, Monsignore!

– Recht! Du wolltest sie damals heirathen, und wir lachten über eure Liebschaft, der Professor und ich. Consuelo! Ja, diese war's: der Liebling des Professors, ein sehr fähiges Mädchen, aber sehr häßlich.

– Sehr häßlich? wiederholte Anzoleto ganz erstarrt.

– Allerdings, mein Kind! bist du denn noch immer in sie verliebt?

– Sie ist meine Freundin, Ew. Gnaden.

– Freundin bedeutet bei uns so viel als Schwester und so viel als Geliebte. Welches nun von beidem?

– Schwester, Herr!

– Wohl, so kann ich, ohne dich zu kränken, dir sagen was ich von der Sache denke. In deinem Einfall ist kein Menschenverstand. Um die Corilla zu ersetzen, muß man ein Engel von Schönheit sein, und deine Consuelo, ich erinnere mich ihrer jetzt ganz gut, ist mehr als häßlich, sie ist abscheulich.

Der Graf wurde in diesem Augenblicke von einem seiner Freunde angehalten, welcher ihn auf die andere Seite nahm, und er ließ Anzoleto wie betäubt zurück; der arme Junge stieß einen Seufzer aus und wiederholte vor sich hin:

– Sie ist abscheulich! ...

7.

Es nimmt dich vielleicht Wunder, lieber Leser, und nichts desto minder ist es durchaus richtig, daß sich Anzoleto niemals eine Meinung darüber gebildet hatte, ob Consuelo häßlich oder schön wäre. Abgesondert von den Menschen und in Venedig unbeachtet, wie Consuelo lebte, war sie noch von Keinem darauf angesehen worden, ob im Schatten dieser Versäumniß und Verborgenheit Geist und Gemüth sich eine angenehme oder eine unscheinbare Form herausgearbeitet hatten. Porpora, der für nichts Sinn hatte, als für seine Kunst, sah in ihr nur die Künstlerin. Den Nachbarn auf der Corte Minelli war ihr unschuldiges Verhältniß zu Anzoleto nie anstößig gewesen. In Venedig ist man über diesen Punkt nicht sehr bedenklich. Sie sagten ihr wohl manchmal, daß sie sich mit diesem Menschen ohne Halt und Habe unglücklich machen würde und gaben ihr den Rath, sie sollte sich lieber mit einem braven, friedfertigen Handwerker zu verbinden suchen. Da sie ihnen aber immer antwortete, sie wäre ja selbst ohne Familie und Stütze, und so wäre ihr Anzoleto eben recht, da seit sechs Jahren kein Tag vergangen war, wo man sie nicht bei einander gesehen hätte und zwar immer offen, ohne Heimlichthun und ohne Streit und Zank, so hatte man sich zuletzt an ihre freie und unzertrennliche Verbindung gewöhnt. Kein Nachbar hatte es sich je einfallen lassen, der Amica des Anzoleto den Hof zu machen. Kam dies daher, daß man sie nun einmal für gebunden achtete, oder war ihre große Dürftigkeit daran schuld? Oder endlich, dünkte ihr Aeußeres keinem von ihnen verführerisch? Das Letztere ist sehr wahrscheinlich.

Es ist indessen eine bekannte Sache, daß die jungen Mädchen zwischen zwölf und vierzehn Jahren gewöhnlich mager, ohne Haltung und ohne Harmonie in Zügen, Verhältnissen und Bewegungen sind. Um die funfzehn Jahre »mustern sie sich heraus« (wie der volksthümliche Ausdruck der älteren Frauen lautet), und die welche zuvor abscheulich aussah, zeigt sich, nach diesem kurzen Bildungsacte, wenn nicht schön, zum wenigsten angenehm. Man hat sogar die Bemerkung gemacht, daß kleine Mädchen, welche zu früh hübsch sind, nichts für die Zukunft versprechen.

Auch unserer Consuelo war die Wohlthat des jungfräulichen Alters zu Gute gekommen, man nannte sie nicht mehr häßlich und wirklich war sie es nicht mehr. Nur weil sie keine Prinzessin oder Infantin war, hatte sie auch keinen Höflingskreis um sich, der der Welt die sichtliche Verschönerung des königlichen Sprossen verkündet hätte; und da kein zärtlich bekümmertes Herz da war, um für ihre Zukunft Sorge zu tragen, so nahm sich auch Niemand die Mühe, dem Anzoleto zu sagen, daß er sich seiner Braut vor der Welt nicht zu schämen brauchte.

Da nun Anzoleto sie nur in einem Alter hatte garstig nennen hören, wo dieser Tadel nicht den mindesten Eindruck auf ihn machte, während in späterer Zeit weder Gutes noch Böses von Consuelo's Aeußerem gesagt wurde, so hatte er in der That an diesen Punkt noch nicht gedacht. Seine Eitelkeit hatte einen andern Flug genommen. Sein Traum war, aufzutreten und berühmt zu werden, und er konnte gar nicht dazu kommen, viel Aufhebens von seinen Eroberungen zu machen. Den Gelüsten der ersten Jugend ist ein gutes Theil Neugierde beigemischt: bei ihm war diese befriedigt; ich habe schon gesagt, daß er in einem Alter von achtzehn Jahren nichts mehr zu lernen hatte. In seinem zwei und zwanzigsten Jahre war er fast abgestumpft, während seine Anhänglichkeit an Consuelo in seinem zwei und zwanzigsten Jahre, wie im achtzehnten, einiger keuschen Küsse ungeachtet, welche ohne Unruhe gegeben und ohne Scham genommen wurden, noch ganz so still und traulich wie zuvor war.

Diese Ruhe und Reinheit bei einem Jünglinge, dessen Ruhm nicht gerade Zurückhaltung war, möchte leicht zu auffallend erscheinen, wenn hier nicht bemerkt würde, daß die große Freiheit, in welcher wir unsere jungen Leute beim Beginne dieser Geschichte mit einander umgehen sahen, sich im Laufe der Zeit verändert und allmählig eingeschränkt hatte. Consuelo war fast sechszehn Jahre alt und führte noch ein ziemlich unstätes Leben, indem sie allein aus dem Conservatorium ging und sich auf den Stufen der Piazzetta zu Anzoleto setzte, um ihre Lection zu lernen und ihren Reis zu essen, – als plötzlich ihre Mutter in eine solche Erschöpfung fiel, daß sie nicht mehr Abends mit der Guitarre im Arm und einem Eimerchen vor sich, in den Cafés singen konnte. Das arme Weib zog sich in einen der armseligsten Schuppen der Corte Minelli zurück und lag dort kümmerlich auf einem schlechten Bette. Die gute Consuelo wollte nun nicht mehr von der Seite ihrer Mutter weichen und änderte ihre ganze Lebensart.

Wenn sie nicht im Unterrichte war, den ihr der Professor aus Güte gab, so saß sie, entweder mit der Nadel oder mit dem Contrapunkte beschäftigt, stets neben dem Kopfkissen dieser herrischen und schlimmen Mutter, welche sie in ihrer Kindheit grausam mißhandelt hatte und ihr jetzt das schreckliche Schauspiel einer Todesstunde ohne Muth und ohne Tugend gab. Die Kindesliebe und ruhige Ergebenheit wichen von Consuelo nicht einen Augenblick. Ihre Jugendfreuden, ihre Freiheit, ihr ungebundenes Leben, selbst ihre Liebe, alles opferte sie ohne Klage und ohne Bedenken.

Anzoleto beschwerte sich lebhaft darüber, und entschloß sich, als er seine Vorwürfe erfolglos sah, zu vergessen und sich zu zerstreuen; aber es war ihm unmöglich. Anzoleto war nicht ausdauernd bei der Arbeit wie Consuelo: flüchtig und schlecht nahm er den verkehrten Unterricht an, den sein Lehrer um das Honorar, das Zustiniani zahlte, zu verdienen, eben so schlecht und flüchtig gab. Das war übrigens ein großes Glück für Anzoleto, denn seine reichen natürlichen Anlagen glichen, so gut es geschehen konnte, die verlorene Zeit und die Wirkungen eines schlechten Unterrichtes aus, aber es blieben ihm viele müßige Stunden, in welchen die treue und heitere Gesellschaft Consuelo's ihm entsetzlich fehlte. Er versuchte, sich den Vergnügungen seines Alters und Standes hinzugeben: er ging in die Schenken und verspielte mit Herumtreibern das wenige Taschengeld, das ihm Graf Zustiniani von Zeit zu Zeit schenkte. Zwei bis drei Wochen lang gefiel ihm diese Lebensart, dann aber merkte er, daß dabei sein Wohlbehagen, seine Gesundheit und seine Stimme merklich litten: denn es ist ein Unterschied zwischen dem Far-niente und einem lüderlichen Leben, das lüderliche Leben aber sagte ihm nicht zu. Eine heilsame Selbstliebe hütete ihn vor schlechten Leidenschaften, er zog sich in die Einsamkeit zurück und strengte sich an, fleißig zu sein, aber die traurige Einsamkeit und die Schwierigkeiten machten ihm bange. Er sah nun ein, daß ihm Consuelo eben so unentbehrlich zu seinem Talente als zu seinem Glücke war.

Consuelo war ämsig und ausdauernd, sie lebte in der Musik wie der Vogel in der Luft, wie der Fisch im Wasser; Schwierigkeiten zu besiegen machte ihr Freude, ohne daß sie sich, mehr als ein Kind pflegt, über die Wichtigkeit des Sieges Rechenschaft gegeben hätte, denn die Hindernisse zu überwinden und in die Tiefen der Kunst einzudringen, zwang sie von innen heraus der unwiderstehliche Trieb, welcher auch das Saamenkorn zwingt den Schooß der Erde zu durchbrechen und an die Luft zu dringen; Consuelo war eine jener seltenen und glücklichen Naturen, für welche die Arbeit ein Genuß ist, eine wahre Ruhe, ein unentbehrlicher Normalzustand, und für welche die Unthätigkeit eine Anstrengung, eine Abspannung, ein krankhafter Zustand sein würde, wenn ihnen Unthätigkeit überhaupt möglich wäre. Aber sie kennen diese nicht: scheinbar müßig arbeiten sie; ihr Träumen ist kein inhaltloses, sondern ein Nachdenken. Wenn man sie wirken sieht, so meint man ihr Schaffen wahrzunehmen, während sie nur das schon Geschaffene offenbaren. Du wirst mir einwenden, lieber Leser, daß dir solche ungewöhnliche Naturen nie begegnet seien. Ich werde dir antworten, theuerer Leser, daß ich auch nur Eine kennen gelernt habe, nur Eine, und bin ich auch älter als du. Warum kann ich dir nicht sagen, daß ich an meinem armen Kopfe das göttliche Geheimniß dieser geistigen Regsamkeit ausgeforscht habe. Aber leider werden wir beide, Freund Leser, es nicht an uns studiren.

Consuelo arbeitete stets, und fand in der Arbeit ihre Erholung; Stundenlang war sie hartnäckig bemüht, frei a capriccio singend oder Musik lesend, Schwierigkeiten zu bekämpfen, vor welchen Anzoleto, sich selbst überlassen, zurückgebebt wäre; und ohne Bedacht und Absicht, ohne im geringsten an Wetteifer zu denken, zwang sie ihn, ihr zu folgen, ihr zu helfen, ihren Sinn zu fassen, ihr zu antworten, bald mitten unter kindischem Gelächter, bald mit ihm hingerissen von jener dichterischen und schöpferischen Fantasie, die den Volksnaturen in Italien und in Spanien eigen ist.

So hatte sich Anzoleto seit mehreren Jahren mit Consuelo's Genius befruchtet, indem er ihn aus der Quelle schöpfte, ohne ihn zu erkennen, und ihn in sich aufnahm, ohne es zu wissen, und war in der Musik ein seltsames Gemisch von Kenntniß und Unwissenheit, von Eingebung und Leichtsinn, von Herrschaft und Unbehülflichkeit, von Kühnheit und Schwäche geworden, was eben damals bei der Probe den Professor Porpora in ein Labyrinth von Betrachtungen und Vermuthungen verwickelte. Dieser Meister kannte das Geheimniß aller der Reichthümer nicht, welche der Consuelo abgeborgt waren; denn seitdem er eines Tages die Kleine über ihre Vertraulichkeit mit diesem großen Taugenichts hart gescholten, hatte er die beiden nie wieder beisammen gesehn. Consuelo, welcher viel daran lag, sich ihres Lehrers Gunst zu erhalten, hatte Sorge getragen, sich ihm nie in Anzoleto's Gesellschaft zu zeigen, und so oft sie ihn, wenn Anzoleto bei ihr war, von weitem die Straße herabkommen sah, sprang sie flink wie ein Kätzchen hinter eine Säule oder duckte sich in eine Gondel.

Diese Vorsicht dauerte fort als Consuelo Krankenhüterin geworden war und als Anzoleto, der, fern von ihr, nicht mehr aushalten konnte, weil ihm Leben, Hoffnung, Geist und fast der Athem zu fehlen schien, sich einfand, um ihr eingeengtes Leben zu theilen und jeden Abend ihr die Verdrießlichkeiten und Aufwallungen der Todtkranken tragen zu helfen.

Einige Monate vor ihrem Ende fühlte diese Unglückliche sich in ihren Leiden erleichtert, und besiegt von der frommen Liebe ihrer Tochter öffnete sich ihre Seele sanfteren Regungen. Sie gewöhnte sich daran, Hülfleistungen von Anzoleto anzunehmen, der, wiewohl zu einer solchen hingebenden Rolle wenig geschaffen, doch zu einer Art heiteren Eifers und zuvorkommender Freundlichkeit gegen die Schwäche und das Leiden sich auch seinerseits gewöhnte. Anzoleto hatte einen stätigen Charakter und ein freundliches Wesen. Seine Ausdauer bei ihr und Consuelo gewann zuletzt das Herz der Alten, und in ihrer letzten Stunde ließ sie die Kinder schwören, einander nicht zu verlassen. Anzoleto versprach es, ja er empfand sogar in diesem Augenblicke eine Art ernster Rührung, welche er noch nicht gekannt hatte. Die Sterbende erleichterte ihm seine Zusage, indem sie sprach: Laß sie deine Freundin, deine Schwester, deine Liebste oder dein Weib sein; da sie Keinen kennt als dich und von einem Andern nie hat hören wollen, so verlasse sie nicht. Im Geheimen wollte sie dann ihrer Tochter noch einen recht klugen und heilsamen Rath geben, ohne viel zu überlegen, ob er auch ausführbar sein werde, und sie nahm ihr, wie wir schon wissen, das Gelübde ab, sich ihrem Geliebten vor der kirchlichen Einsegnung ihrer Ehe nie zu überlassen. Consuelo gelobte es, ohne die Hindernisse zu ahnen, welche der unabhängige und unfromme Charakter Anzoleto's dieser Absicht entgegenstellen könnte.

Als sie Waise war, setzte Consuelo ihre Nadelarbeit fort, um zu erwerben, was der Augenblick erforderte, und ihre Musikstudien, um an Anzoleto's Zukunft die ihrige knüpfen zu können. Während der zwei Jahre, daß sie ihren Schuppen allein bewohnte, hatte er sie unverändert jeden Tag besucht, er fühlte keine Leidenschaft für sie, konnte aber auch für andere Frauen keine fühlen, weil sein stiller, traulicher Umgang und das Vergnügen »an ihrer Seite zu leben,« ihm, wie ihm däuchte, über alles ging.

Zwar war er sich der hohen Geistesgaben seiner Freundin nie bewußt geworden, jedoch er hatte seither Geschmack und Urtheil genug erworben, um zu wissen, daß sie an Kunstverstand und Mitteln alle Sängerinnen von San Samuel und die Corilla selbst überragte. Seiner gewohnten Zuneigung hatte sich daher die Hoffnung und beinahe die Gewißheit beigesellt, daß eine Vereinigung der Interessen ihnen vortheilhaft sein würde, um sich mit der Zeit ein glänzendes Auskommen zu schaffen. Consuelo dagegen hatte sich nicht gewöhnt, an die Zukunft zu denken. Voraussicht gehörte nicht in den Kreis dessen, was ihre Gedanken beschäftigte. Sie hätte Musik getrieben ohne einen andern Zweck als den, ihrem Berufe zu folgen, und die Gemeinsamkeit der Interessen, welche die Ausübung dieser Kunst zwischen ihr und ihrem Freunde nothwendig schuf, hatte für sie keinen andern Sinn als den – verbundenen Glückes und gemeinschaftlicher Neigung.

So hatte er denn, ohne ihr davon ein Wort zu sagen, auf einmal Hoffnung gefaßt, daß die Verwirklichung seiner Träume sich beschleunigen ließe, und in derselben Zeit als Zustiniani damit umging, sich eine Stellvertreterin für die Corilla zu verschaffen, war Anzoleto, welcher mit seltenem Scharfblick die Stimmung seines Gönners errieth, auf den Gedanken gekommen, ihm Consuelo vorzuschlagen.

Aber daß Consuelo häßlich sein sollte, dieses ungeahnte, seltsame, und, wofern der Graf sich nicht irrte, unübersteigliche Hinderniß hatte Schrecken und Bestürzung in seine Seele geworfen. Er machte sich sogleich auf den Weg nach der Corte Minelli, aber bei jedem Schritte blieb er stehen, um sich das Bild seiner Freundin in einem neuen Lichte vor die Seele zu rufen, und um zu wiederholen, mit einem Fragezeichen hinter jedem Worte: Nicht hübsch? Sehr häßlich? Abscheulich?

8.

– Was siehst du mich so an? rief ihm Consuelo zu, als er bei ihr eingetreten war und sie mit einer seltsamen Miene betrachtete, ohne ein Wort zu sprechen. Du thust ja, als ob du mich noch nie gesehen hättest.

– Das ist auch der Fall, Consuelo! erwiderte er. Ich habe dich nie gesehen.

– Redest du irre? versetzte sie, ich weiß nicht was du meinst.

– Mein Gott, mein Gott! ich glaube dir's, rief Anzoleto. Ich habe einen großen schwarzen Fleck im Gehirne und kann davor nicht sehen.

– Himmlische Barmherzigkeit! Ist dir nicht wohl, mein Freund?

– Nein, liebes Mädchen, beruhige dich, und ich will es versuchen, deutlich zu sehen. Sage, Consuelina, findest du mich schön?

– Ei freilich, ich habe dich ja lieb.

– Und wenn du mich nicht lieb hättest, wie würdest du mich dann finden?

– Was weiß ich?

– Wenn du andere Männer siehst, weißt du dann, ob sie schön oder häßlich sind?

– Ja wohl, aber ich finde dich schöner als die Schönsten.

– Blos weil du mich lieb hast?

– Ich glaube, ja und nein. Und zudem sagen alle Leute daß du schön bist, und das weißt du recht gut. Aber was kümmert dich das?

– Ich möchte wissen ob du mich lieb hättest, wenn ich auch abscheulich wäre.

– Ich würde es vielleicht gar nicht merken.

– Du glaubst also, daß man eine häßliche Person lieben kann?

– Warum nicht? Liebst du mich doch.

– Du bist also häßlich, Consuelo? Im Ernste, sage, gieb Antwort, du bist also häßlich?

– Man hat es mir immer gesagt, siehst du denn das nicht selbst?

– Nein, nein, wahrhaftig nicht, ich sehe es nicht!

– Nun sieh, dann finde ich mich schön genug, und ich bin sehr zufrieden.

– Jetzt, jetzt eben, Consuelo, wie du mich ansiehst, mit einer so natürlichen, so liebenswürdigen Miene, da scheinst du mir schöner als die Corilla. Aber ich möchte nur wissen, ob das eine Einbildung von mir oder ob es wirklich so ist. Ich kenne dein Gesicht, es ist so ehrlich und gefällt mir so, und wenn ich zornig bin, so macht es mich still; und wenn sich traurig bin, so macht es mich froh; und wenn ich niedergeschlagen bin, so macht es mich munter. Aber deine Gestalt kenne ich nicht. Deine Gestalt, Consuelo, ob die häßlich ist, das kann ich nicht wissen.

– Noch einmal, was kümmert dich das?

– Ich muß es wissen; sage doch, ob wohl ein schöner Mann ein häßliches Weib lieb haben kann?

– Du hast ja doch meine arme Mutter lieb gehabt, die nur ein Gespenst war! Und ich, wie lieb habe ich sie gehabt!

– Kam sie dir denn häßlich vor?

– Nein, und dir?

– Ich habe nicht darauf geachtet. Aber lieben aus Liebschaft, Consuelo  ... denn im Grunde liebe ich dich doch aus Liebschaft, nicht wahr? Ich kann dich nicht entbehren, ich kann dich nicht lassen. Das ist Liebschaft, meinst du nicht?

– Was sollte es anderes sein?

– Es könnte ja wohl auch Freundschaft sein.

– Freilich, es könnte ja wohl auch Freundschaft sein.

Hier hielt Consuelo überrascht inne und sah Anzoleto aufmerksam an. Er aber, in ein schwermüthiges Sinnen versunken, fragte sich selbst zum ersten male mit Bestimmtheit, ob er Liebe oder Freundschaft für Consuelo fühle, ob die Ruhe seines Innern, ob die keusche Zurückhaltung, welche er ihr gegenüber ohne Mühe bewahrte, aus Achtung oder aus Gleichgültigkeit entsprängen. Zum ersten male schaute er dieses junge Mädchen mit den Augen eines jungen Mannes an, in prüfender Absicht, aber ziemlich verwirrt, diese Stirn, diese Augen, diesen Wuchs und jede Einzelheit betrachtend, wovon er bisher immer nur einen gewissen idealen Gesammteindruck, gleichsam verschleiert in seiner Vorstellung, empfunden hatte.

Zum ersten male fühlte sich auch die bestürzte Consuelo durch den Blick ihres Freundes verwirrt: sie erröthete, ihr Herz schlug heftig und ihre Augen wendeten sich ab, unfähig denen Anzoleto's zu begegnen. Und als er noch immer das Schweigen nicht brach und auch sie nicht den Muth hatte es zu brechen, bemächtigte sich ihrer endlich eine unbeschreibliche Angst, große Thränen rollten über ihre Wangen und sie verbarg das Gesicht in ihren Händen.

– Ach, ich sehe es wohl, sprach sie, du willst mir sagen, daß du mich nicht mehr zu deiner Freundin magst.

– Nein, nein, das habe ich nicht gesagt! Das sage ich nicht! rief Anzoleto, erschreckt von diesen Thränen, die er zum ersten male fließen machte, und indem seine brüderliche Zuneigung lebhaft erwachte, umschloß er Consuelo mit seinen Armen. Da sie aber ihr Gesicht wegwendete, so küßte er statt ihrer frischen und stillen Wange eine glühende Schulter, die sich unter einem schwarzen groben Kantentuche nur schlecht verbarg.

Entzündet sich plötzlich der erste Blitz der Leidenschaft in einer starken Natur, die unter der vollkommnen Entfaltung ihrer Jungfräulichkeit kindesrein geblieben, so ist der Schlag heftig und fast ein Schmerz.

– Ich weiß nicht was mir ist, sagte Consuelo, sich den Armen ihres Freundes mit einer Art von Furcht entreißend, welche sie noch nie empfunden hatte; aber mir ist sehr übel; mir ist, als ob ich sterben müßte.

– Nein, stirb nicht, rief Anzoleto, indem er ihr folgte und sie in seinen Armen hielt; du bist schön, Consuelo, ich weiß es gewiß, daß du schön bist! –

Consuelo war wirklich schön in diesem Augenblicke, und obgleich Anzoleto nicht unter einem künstlerischen Gesichtspunkte dessen gewiß war, so konnte er doch nicht unterlassen, es zu sagen, weil sein Herz es lebhaft fühlte.

– Was soll das aber nur, sagte Consuelo, in dem nämlichen Augenblicke ganz bleich geworden und ganz abgespannt, was soll es nur, daß du mich heute durchaus schön finden willst?

– Möchtest du es denn nicht sein, theure Consuelo?

– Ja, für dich.

– Und für die Anderen?

– Ich frage nichts darnach.

– Wenn es nun aber eine Bedingung für unsre Zukunft wäre?

Anzoleto fing nun an, weil er die Unruhe sah, welche er seiner Freundin verursacht hatte, ihr ganz unbefangen zu erzählen, was zwischen dem Grafen und ihm vorgegangen war, und als er an die wenig schmeichelhaften Ausdrücke kam, in welchen Zustiniani sich über sie geäußert hatte, schlug Consuelo, welche nach und nach wieder ruhig geworden war, denn sie glaubte jetzt zu sehen was es gab, ein helles Gelächter auf, während sie sich noch die letzten Thränen aus den Augen wischte.

– Wie? rief Anzoleto voll Erstaunen, daß er sie so frei von aller Eitelkeit fand, mehr regt dich das nicht auf, mehr Verdruß macht es dir nicht? Aha! ich sehe, Consuelina, Sie sind eine kleine Kokette: Sie wissen es wohl, daß Sie nicht häßlich sind.

– Höre, entgegnete sie lachend, weil du nun einmal solche Possen ernst nimmst, muß ich dich doch ein bischen beruhigen. Ich bin niemals kokett gewesen: ich bin nicht schön und ich will mich nicht lächerlich machen. Aber häßlich, siehst du, häßlich bin ich nicht mehr.

– Fürwahr, das hat dir jemand gesagt. Wer hat dir das gesagt, Consuelo?

– Erstlich meine Mutter, die sich um meine Häßlichkeit nie gegrämt hat. Sie sagte oft, das würde sich schon geben und sie wäre als Kind noch häßlicher gewesen, und doch weiß ich von vielen Leuten welche sie früher gekannt haben, daß sie zu zwanzig Jahren das schönste Mädchen von Burgos war. Du erinnerst dich auch wohl, daß in den Cafés wo sie sang, mancher der sie ansah, sagte: Diese Frau muß schön gewesen sein. Siehst du, mein armer Freund, so geht es mit der Schönheit, wenn man arm ist; ein Augenblick ist's: erst ist man noch nicht schön, und gleich nachher ist man es nicht mehr. Vielleicht werd' ich's noch, wer weiß? wenn ich mich nicht zu sehr anzustrengen brauche, wenn ich schlafen kann und nicht zu viel hungern muß.

– Consuelo, wir verlassen einander nicht; bald werde ich reich sein und es wird dir an nichts fehlen. Dann kannst du schön sein nach Herzenslust.

– Nun wohl. Gott helfe uns dazu!

– Aber das alles nutzt uns für den Augenblick zu nichts, es kommt nur darauf an, ob dich der Graf schön genug finden wird um aufzutreten.

– Verwünschter Graf, wenn er nur nicht zu viel Schwierigkeiten macht.

– Also erstlich, häßlich bist du nicht?

– Ich bin nicht häßlich. Neulich hörte ich, wie der Perlenmacher drüben zu seiner Frau sagte: Weißt du wohl, die Consuelo ist nicht garstig; sie hat eine schöne Taille, und wenn sie lacht, hüpft einem das Herz im Leibe, und wenn sie singt, sieht sie allerliebst aus.

– Und was sagte darauf des Perlenmachers Frau?

– Sie sagte darauf: Was schiert das dich, Dummkopf? guck' auf deine Arbeit: was hat ein verheiratheter Mann die jungen Mädchen anzugaffen?

– Sah sie böse dabei aus?

– Ganz böse.

– Das ist ein gutes Zeichen. Sie gestand sich, daß ihr Mann nicht unrecht hatte. Und dann noch weiter?

– Und dann noch weiter, die Gräfin Mocenigo, welche mir Arbeit giebt und sich meiner immer angenommen hat, sagte letzte Woche zu dem Doctor Ancillo, der, als ich eintrat, gerade bei ihr war: Sehen Sie doch, Herr Doktor, wie diese Zitella gewachsen ist, und sie ist recht weiß und hübsch geworden!

– Und was sagte der Doctor darauf?

– Er sagte darauf: In der That, Madame, beim Bacchus! ich hätte sie nicht wieder erkannt; sie gehört in die Klasse des phlegmatischen Temperaments, und diese Personen werden weiß, wenn sie ein wenig zunehmen. Sie wird noch ein schönes Mädchen werden, das sollen Sie sehen.

– Und dann noch weiter?

– Und dann noch weiter, die Superiorin von Santa-Chiara, die mir Stickereien für ihre Altäre zu machen giebt, sagte zu einer Schwester: Da, sagt nun einmal selbst, ob ich nicht Recht hatte, daß die Consuelo unsrer heiligen Cäcilia gleicht? So oft ich vor dem Bilde bete, muß ich unwillkührlich an diese Kleine denken, und dann bete ich für sie, daß sie nicht in Sünde fallen möge und daß sie immer nur für die Kirche singen möge.

– Und was sagte die Schwester darauf?

– Die Schwester sagte darauf: Es ist wahr, Mutter, es ist wahrhaftig wahr. Da bin ich denn geschwind in ihre Kirche gelaufen und habe mir die heilige Cäcilia angesehen, die ist von einem großen Meister und ist schön, sehr schön!

– Und sieht dir gleich?

– Ein wenig.

– Und das hast du mir nie erzählt?

– Ich habe nicht weiter daran gedacht.

– Liebe Consuelo, also bist du schön?

– Ich glaube nicht, aber ich bin nicht mehr so häßlich als es immer gesagt wurde. So viel ist gewiß, daß es jetzt nicht mehr gesagt wird. Freilich könnte dies auch daher kommen, daß die Leute glauben, es würde mich jetzt schmerzen.

– Komm, Consuelina, sieh mich einmal recht an. Deine Augen sind erstlich die schönsten von der Welt!

– Aber ich habe einen großen Mund, sagte Consuelo lachend und nach einem Stück von einem zerbrochenen Spiegel langend, welches ihr als Psyché diente.

– Klein ist er nicht, erwiderte Anzoleto, aber die schönen Zähne! es sind lauter Perlen, und du zeigst sie alle, wenn du lachst.

– Nun, dann mußt du mir etwas sagen, das mich lachen macht, wenn wir bei dem Grafen sein werden.

– Hast du nicht prächtige Haare, Consuelo?

– Das, ja! willst du sie sehen? Sie zog ihre Nadeln heraus und ein Strom schwarzer Haare, worauf die Sonne wie in einem Spiegel blitzte, rann bis zum Boden nieder.

– Du bist breit in der Brust, schmal über den Hüften und deine Schultern sind ... oh! gar schön, Consuelo! Warum verbirgst du sie mir? Ich verlange ja nur zu sehen, was du doch bald dem Publikum wirst zeigen müssen.

– Ich habe einen ziemlich kleinen Fuß, sagte Consuelo, um das Gespräch an einen andern Punkt zu lenken und sie zeigte ein wahrhaft andalusisches Füßchen, eine Schönheit die in Venedig fast unbekannt ist.

– Die Hand ist ebenfalls allerliebst, sagte Anzoleto, indem er zum erstenmale diese Hand küßte, welche er bisher immer nur freundschaftlich gedrückt hatte, wie die eines Kameraden. Laß mich deine Arme sehen.

– Du hast sie hundertmale gesehen, sagte sie und zog ihre Halbärmel aus.

– Nein, ich hatte sie nie gesehen, sagte Anzoleto, welchen diese unschuldige und gefährliche Unterhaltung seltsam aufzuregen anfing. Er versank darauf wieder in Schweigen und verfolgte mit seinen Blicken dieses junge Mädchen, das mit jedem Augenblicke schöner und in seinen Augen wie verwandelt wurde.

Es ist wohl möglich, daß er nicht bis zu dieser Stunde ganz und gar blind gewesen; denn vielleicht war es das erstemal daß Consuelo, ohne es zu wissen, jene unbekümmerte Miene abgelegt hatte, welche nur bei vollkommner Ruhe der Züge möglich ist. Noch zitterte die Bewegung in ihrem schmerzhaft getroffenen Herzen nach; sie war schon wieder natürlich und zutraulich geworden, jedoch eine unmerkliche Verlegenheit war geblieben, welche nicht ein Erwachen der Koketterie, sondern des empfundenen und begriffenen Schaamgefühles war; eine durchsichtige Blässe überzog in diesem Augenblicke ihr Gesicht und in ihren Augen leuchtete ein reiner und heiterer Glanz, der sie gewiß jener heiligen Cäcilia der Nonnen von Santa-Chiara vollkommen ähnlich machte.

Anzoleto konnte seine Augen nicht mehr von ihr wenden. Die Sonne war untergegangen; es wurde in dem großen Zimmer, welches nur aus einem einzigen Fenster sein Licht erhielt, schnell dunkel und in dieser Halbbeleuchtung noch verschönt, schien Consuelo von einem Dufte geisterhafter Wonnen umflossen. Anzoleto war einen Augenblick geneigt, sich den Begierden widerstandlos hinzugeben, die in ihm mit einer ganz neuen Heftigkeit erwachten, aber die Glut der Leidenschaft, welche ihn fortriß, unterbrach blitzweise die Kälte der Ueberlegung. Er meinte an der Stärke seiner Glut erproben zu können, ob Consuelo's Schönheit so viel über ihn vermöchte wie die anderer anerkannter Schönen, welche er besessen hatte. Und dann wieder wagte er es nicht, sich diesen Versuchungen zu überlassen, weil sie des Wesens, welches sie erregte, unwürdig erschienen.Unmerklich wurde seine Bewegung tiefer, und voll Furcht, daß sich ihr seltsam süßer Reiz bald verlöre, wünschte er sie zu verlängern.

Consuelo vermochte nicht länger ihre Verlegenheit zu ertragen. Sie sprang auf und gleichsam um sich mit Gewalt in ihre Heiterkeit zurückzuversetzen, fing sie an im Zimmer auf und abzugehen, verschiedene Opernsätze mit manierirter Uebertreibung singend und den Gesang mit großen, tragischen Geberden begleitend, als ob sie aus der Bühne wäre.

– Schau, das ist prachtvoll! rief Anzoleto voll Entzücken, als er sie einer Charlatanerie fähig sah, welche sie ihm nie gezeigt hatte.

– O, es ist gar nicht prachtvoll, sagte Consuelo, sich niedersetzend, und du hast das hoffentlich nur aus Spaß gesagt.

– Es würde prachtvoll auf der Bühne sein. Ich gebe dir mein Wort, nichts ginge darüber. Die Corilla würde vor Neid bersten, denn sie hat noch nichts schlagenderes gemacht in allen den Momenten, wo geklatscht wird, daß das Haus einbrechen möchte.

– Lieber Anzoleto, antwortete Consuelo, ich möchte nicht, daß um solche Gaukeleien die Corilla vor Neid bersten müßte, und vor einem Publikum, das mir applaudirte, weil ich ihr nachzuäffen wüßte, würde ich gewiß nicht wieder aufzutreten wünschen.

– Du wirst es also noch besser machen?

– Das hoffe ich, sonst wäre die Sache nicht werth, sich damit zu befassen.

– Wie wirst du es denn wohl machen?

– Ich habe mir's noch nicht bedacht.

– Versuche doch.

– Nein, denn das alles ist nur erst ein Traum und bevor nicht entschieden ist, ob ich häßlich bin oder nicht, müssen wir solche schöne Luftschlösser gar nicht bauen. Vielleicht sind wir beide in diesem Augenblicke Thoren, und die Consuelo, wie der Graf gesagt hat, ist abscheulich.

Diese letztere Hypothese gab dem Anzoleto die Kraft sich zu entfernen.

9.

In dieser, den Biographen fast unbekannten Epoche seines Lebens, schmachtete Porpora, einer der besten Componisten Italiens und der größte Gesanglehrer des 18. Jahrhunderts, Schüler Scarlatti's und Lehrer Hasse's, Farinelli's, Caffarelli's, Salimbeni's, Hubert's (genannt il Porporino), der Gabrielli, der Molteni, kurz der Vater der berühmtesten Sängerschule seiner Zeit, – schmachtete, sag' ich, in Venedig, unbeachtet und in einem Zustande, welcher an Elend und Verzweiflung gränzte.

Er hatte jedoch früher in derselben Stadt dem Conservatorium dell' Ospedaletto vorgestanden und diese Periode seines Lebens war eine glänzende gewesen. Er hatte seine besten Opern, seine schönsten Cantaten und seine vorzüglichsten Kirchenarbeiten damals geschrieben und aufführen lassen. Er war hierauf 1728 nach Wien berufen worden und hatte, nach einigen Kämpfen, sich die Gunst Kaiser Carls VI. erworben. Nachdem er auch am sächsischen Hofe in Gunst gestanden Er gab der Kurprinzessin von Sachsen, nachherigen Grande Dauphine von Frankreich, Mutter Ludwigs XVI. und Carls X., Unterricht im Gesange und in der Composition., war er einem Rufe nach London gefolgt und dort zu dem Ruhme gelangt, neun bis zehn Jahre lang mit Händel, dem Meister der Meister, dessen Stern um diese Zeit blich, zu wetteifern. Händels Genie hatte zuletzt den Sieg davongetragen und Porpora, in seinem Stolze verletzt, so wie in seinen äußeren Verhältnissen mißhandelt, war nach Venedig zurückgekehrt, um hier geräuschlos und kummerfrei ein anderes Conservatorium zu leiten. Er schrieb nach dieser Zeit noch einige Opern, deren Aufführung er aber nur mit Mühe durchsetzen konnte; die letzte derselben, welche abermals in London gegeben wurde, hatte dort keinen Erfolg.

Von diesen harten Schlägen, welche sein Genie trafen, hätte er sich durch Glück und Ruhm wieder erholen können, allein die Undankbarkeit Hasse's, Farinelli's und Caffarelli's, die ihn verleugneten, kam hinzu, um vollends sein Herz zu brechen, sein Gemüth zu verbittern, sein Alter zu vergällen. Es ist bekannt, daß er in seinem achtzigsten Jahre, verlassen und dürftig in Neapel starb.

Zu jener Zeit, als Graf Zustiniani die Corilla zu ersetzen suchte, deren Abfall er voraussah und fast wünschte, war Porpora eine Beute heftiger und finsterer Stimmungen, und sein Aerger war nicht immer ohne genugsamen Grund; denn es wurde zwar in Venedig die Musik eines Jomelli, Lotti, Carissimi, Gasparini und anderer trefflicher Meister geliebt und gesungen, jedoch unterschiedlos schätzte man daneben die Buffostücke eines Cocchi, Buini, Salvator Apollini und anderer mehr oder minder einheimischer Componisten, deren gemeiner und trivialer Styl den Geschmack mittelmäßiger Geister kitzelte. Hasse's Opern konnten seinem mit Recht erzürnten Lehrer nicht lieb sein.

So verschloß nun der ehrwürdige und unglückliche Porpora sein Herz und seine Ohren der Musik der Neueren, die er unter dem Ruhm und Ansehen der Alten zu zermalmen suchte. Er ging so weit in seiner allzu großen Strenge, daß er sogar die graziösen Compositionen Galoppi's und die originellen Fantasien Chiozetto's, des volksthümlichsten Componisten Venedigs verwarf. Man durfte ihm zuletzt von Keinem reden als vom Pater Martini, von Durante, Monteverde, Palestrina; ob Marcello und Leo Gnade vor ihm fanden, weiß ich nicht. Es geht hier mit den Namen ein wenig durcheinander. Wenn Martini und Durante von den »Alten« sein sollen, so ist das ein Anachronismus; sie sind Zeitgenossen Porpora's, Martini sogar um einiges jünger. – Anm. d. Uebers.

Daher geschah es, daß er die ersten Eröffnungen des Grafen Zustiniani in Betreff seines unbekannten Zöglings frostig und mißmuthig aufnahm, obgleich ihm Glück und Ruhm der armen Consuelo am Herzen lagen, denn er war ein viel zu erfahrener Lehrer, um nicht ihren Werth und ihr Verdienst ganz zu ermessen. Allein bei dem Gedanken, daß dieses so reine und mit dem heiligen Manna der alten Meister so kräftig genährte Talent entweiht werden könnte, ließ er sein Haupt sinken und sprach in sichtlicher Bestürzung zu dem Grafen:

– O, nehmt sie, nehmt sie nur hin, diese makellose Seele, diesen unbefleckten Geist; werft ihn den Hunden vor und gebt ihn den wilden Thieren zum Raube, denn das ist das Schicksal des Genies in unseren Tagen.

Dieser Schmerzensruf, halb ernst und halb komisch, gab dem Grafen einen Maßstab, um das Verdienst einer Schülerin zu schätzen, deren Werth ein so strenger Lehrer so hoch anschlug.

– Wie denn, theurer Meisters rief er aus, ist das euere aufrichtige Meinung? Ist diese Consuelo wirklich ein so außerordentliches, ein so himmlisches Wesen?

– Ihr werdet sie hören! sagte Porpora, mit der Miene der Ergebung, und setzte wiederholend hinzu: es ist ihr Schicksal!

Es gelang indessen dem Grafen, die gesunkenen Lebensgeister des Meisters wieder aufzurichten, indem er ihm auf eine gründliche Reform in der Wahl der Opern für das Repertoir von San Samuel Hoffnung machte. Er verhieß ihm, schlechte Werke gänzlich auszuschließen, sobald er nur erst die Corilla los sein würde, auf deren Eigensinn und Grillen er die Zulassung und günstige Aufnahme solcher Werke schob. Er ließ sogar geschickt die Absicht durchblicken, auch mit Hasse künftig sehr sparsam zu sein, und sagte zum Schlusse, wenn Porpora eine Oper für Consuelo schriebe, wenn eines Tages dann die Schülerin ihren Lehrer mit zwiefachem Ruhme kränzte, seine Gedanken in seiner eigensten Auffassung wiedergebend, so würde dieser Tag ein Tag des Triumphes für San Samuel und der schönste Tag in des Grafen Leben sein.

Porpora war bezwungen; er fing an sich zu besänftigen und sogar im Geheimen den Auftritt seiner Schülerin eben so sehr zu wünschen als er ihn zuvor gefürchtet hatte, gefürchtet, weil dadurch den Werken seines Nebenbuhlers ein neuer Aufschwung in der Gunst des Publikums verschafft werden konnte. Da der Graf nunmehr noch seine Bedenklichkeiten über Consuelo's Aeußere zu erkennen gab, so weigerte sich Porpora entschieden, das Mädchen in einer Privatzusammenkunft und unvorbereitet vor ihm singen zu lassen.

– Ich kann sie nicht, erwiderte er auf die Fragen und Bitten des Grafen, für eine Schönheit ausgeben. Ein Mädchen, so ärmlich gekleidet, und schüchtern, wie es ein Kind aus der Volksklasse, das nie die mindeste Beachtung gefunden, vor einem vornehmen Herrn und Richter eures Standes wohl sein muß, bedarf durchaus einiger Toilette und Vorbereitung. Zudem ist Consuelo eine von denen, welche der Ausdruck des Genies schöner macht. Man muß sie zugleich sehen und hören. Laßt mich gewähren. Wenn ihr nicht zufrieden seid, so lasset sie mir, und ich werde Mittel und Wege finden, aus ihr eine wackere Nonne zu machen, welche zum Ruhme der Schule Eleven unter ihrer Leitung bildet.

In der That war dieß die Zukunft, welche Porpora bisher für Consuelo im Sinne gehabt hatte.

Als er seine Schülerin wiedersah, kündigte er ihr an, daß sie von dem Grafen gehört und beurtheilt werden würde. Und da sie ihm ehrlich gestand, wie sehr sie fürchte, häßlich gefunden zu werden, so versicherte er ihr, sie würde gar nicht sichtbar sein, sie würde hinter dem Gitter der Orgeltribüne singen, denn der Graf wollte sie beim Gottesdienste in der Kirche hören. Nur rieth er ihr, sich schicklich zu kleiden, weil sie nachher diesem Herrn auch vorgestellt werden müßte, und obgleich selbst arm, schenkte ihr der großmüthige Meister dennoch einiges Geld zu diesem Behufe

Ganz bestürzt, ganz aufgeregt, zum ersten male mit der Sorge für ihre Person beschäftigt, setzte Consuelo in der Eile ihre Toilette und ihre Stimme in Bereitschaft; die letztere nämlich versuchte sie geschwind, und als sie dieselbe so frisch, so stark, so biegsam fand, sagte sie wiederholt zu Anzoleto, welcher ihr bewegt und entzückt zuhörte: Ach! warum braucht doch ein Sängerin noch mehr als singen zu können?

10.

Am Tage vor dem Feste fand Anzoleto Consuelo's Thür verriegelt und mußte wohl eine Viertelstunde auf der Treppe warten; endlich ward er eingelassen, um seine Freundin in ihrem Festputze zu sehen, den sie vor ihm probiren wollte. In einem hübschen Kleide von großblumigem Zitz, im Spitzentuch und Puder, sah sie so fremd aus, daß Anzoleto einige Augenblicke unbeweglich stand und nicht wußte, ob sie bei dieser Verwandlung gewonnen oder verloren habe. Sein Schwanken war für Consuelo, die in seinen Augen las, ein Dolchstoß.

– Ach! rief sie, ich sehe es wohl, daß ich dir so nicht gefalle. Wem sollte ich wohl erträglich scheinen, wenn selbst dem, der mich liebt, mein Anblick nicht erfreulich ist?

– Nur ein klein wenig Geduld! entgegnete Anzoleto. Vor der Hand bin ich noch ganz erstaunt, wie schön deine Taille in diesem langen Leibchen ist, und was für ein vornehmes Aussehen dir die Spitzen geben. Die reichen Falten an dem Rocke stehen wunderschön. Nur um dein schwarzes Haar ist mir's leid ... mir däucht wenigstens ... es ist aber einmal der Brauch,und du mußt morgen eine Signora sein.

– Warum muß ich eine Signora sein! Ich ich hasse diesen Puder, der die Schönsten fad und alt macht. Ich bin nicht ich selbst unter diesen Falbalas. Und kurz, ich gefalle mir nicht, und ich sehe daß du meiner Meinung bist. Da war ich heute früh in der Probe und sah die Clorinda, die auch ein neues Kleid anversucht hatte. Sie sah darin so geputzt, so stattlich, so schön aus (o die ist glücklich, die braucht man nicht erst zweimal anzusehen, um sich von ihrer Schönheit zu überzeugen), daß mir ganz Angst ist, neben ihr vor dem Grafen zu erscheinen.

– Und sie hat schlecht gesungen?

– Wie immer ... Ach, mein Freund! diese Nebenbuhlerei verdirbt recht das Herz. Wenn noch vor kurzem die Clorinda, die bei aller ihrer Eitelkeit ein gutes Kind ist, vor irgend einem Richter Fiasko gemacht hätte, ich würde sie von ganzer Seele bedauert haben, ich würde ihren Kummer und ihre Beschämung getheilt haben. Und nun ertappe ich mich darauf, daß das mich freut. Kämpfen, neidisch sein, sich gegenseitig zu vernichten suchen! und das alles für einen Mann, den man nicht liebt, den man nicht kennt. Entsetzlich traurig macht mich das, mein liebes Herz! und ich glaube, ich fürchte mich eben so sehr vor dem Erfolg, als vor dem Mißlingen! Mir ist zu Muthe, als ob es mit unserem Glücke nun aus wäre, als ob ich morgen nach der Probe, wie sie auch ausfalle, in dieses arme Zimmer ganz anders wiederkehren müßte, als ich darin bis jetzt gelebt habe.

Zwei große Thränen rollten über Consuelo's Backen.

– Nun gar! Jetzt wirst du weinen! rief Anzoleto. Was fällt dir ein? dir die Augen trüben und die Augenlieder anschwellen? Deine Augen, Consuelo! verdirb dir ja die Augen nicht, denn die sind an dir das Schönste.

– Oder das am wenigsten Häßliche! sagte sie, die Augen trocknend. Nun wohl, wenn man sich in die Welt begiebt, so hat man nicht einmal mehr das Recht zu weinen.

Ihr Freund bemühete sich, sie zu trösten, aber sie war den ganzen Tag über bitter betrübt, und am Abend, als sie allein war, wischte sie sorgfältig ihren Puder ab, entkräuselte und glättete ihre schönen, pechschwarzen Haare, versuchte ein noch frisches Kleidchen von schwarzer Seide, das sie Sonntags zu tragen pflegte und gewann wieder Vertrauen zu sich selbst, als sie sich vor ihrem Spiegel so wiederfand, wie sie sich kannte. Dann betete sie mit Inbrunst, gedachte an ihre Mutter, wurde traurig und schlief weinend ein.

Als Anzoleto am andern Morgen kam, um sie in die Kirche abzuholen, fand er sie an ihrem Spinett, gekleidet und gekämmt wie alle Sonntage und ihr Probestück durchgehend.

– Was, rief er aus, noch nicht coiffirt, noch nicht geputzt! Die Zeit rückt heran, was hast du denn im Kopfe, Consuelo?

– Mein Freund, erwiderte sie fest, ich bin geputzt, ich bin coiffirt, ich bin ruhig. Ich will so bleiben. Jene schönen Kleider stehen mir nicht. Dir sind meine schwarzen Haare lieber als der Puder. Dieses Leibchen läßt meinen Athem ungehindert. Widersprich mir nicht: mein Entschluß ist gefaßt. Ich habe Gott um Eingebung gebeten, und meine Mutter, mir zu helfen, daß ich mich richtig betrage. Gott hat mir eingegeben, bescheiden und einfach zu sein. Meine Mutter ist mir im Traume erschienen und hat mir gesagt, was sie mir schon immer sagte. Denke darauf, gut zu singen, und überlasse der Vorsehung das Andere. Ich sah sie mein schönes Kleid, meine Spitzen und Bänder nehmen und in den Schrank räumen, dann legte sie mir mein schwarzes Kleid und meine weiße Mousselin-Mantille auf den Stuhl an meinem Bette. Kaum war ich erwacht, so that ich wie sie in meinem Traume gethan, ich schloß meine Toilette ein und zog das schwarze Kleid und die Mantille an: ich bin also fertig. Mein Muth ist mir wieder gekommen, seitdem ich nicht mehr daran denke, durch Mittel zu gefallen, mit denen ich nicht Bescheid weiß. Da, höre einmal meine Stimme, es ist alles da, siehst du.

Sie machte einen Lauf.

– Gott im Himmel, wir sind verloren! rief Anzoleto, deine Stimme ist bedeckt und deine Augen sind roth. Du hast gestern Abend geweint, Consuelo. Nun, das ist eine schöne Geschichte. Ich sage dir, wir sind verloren, du bist toll mit deinem Eigensinn, dich an einem Festtage in Trauer zu kleiden: das bringt Unglück und macht dich häßlich. Geschwind, geschwind! zieh dein schönes Kleid wieder an, indeß ich laufen will und dir Roth kaufen. Du bist bleich wie ein Gespenst.

Ueber diesen Gegenstand erhob sich unter ihnen ein ziemlich lebhafter Streit. Anzoleto wurde etwas grob. Der Kummer kehrte in die Seele des armen Mädchens zurück und ihre Thränen flossen wieder. Nun ärgerte sich Anzoleto noch mehr, und sie stritten noch, als sie den Stundenschlag vernahmen, den unglücklichen Stundenschlag, drei Viertel auf Zweie, die höchste Zeit, um noch nach der Kirche zu kommen, wenn man sich außer Athem lief. Anzoleto verwünschte den Himmel mit einem derben Fluche. Consuelo, bleicher als der Morgenstern, der sich im Wiederscheine der Lagunen beschaut, warf noch einen letzten Blick in ihr zerbrochenes Spiegelchen: dann wendete sie sich um und warf sich ungestüm in Anzoleto's Arme.

– O mein Freund, rief sie, grolle mir nicht, verwünsche mich nicht. Küsse mich vielmehr, küsse mich recht, um meinen Backen diese gelbe Blässe zu benehmen. Dein Kuß sei mir wie das heilige Feuer auf den Lippen Isajas', und möge uns Gott nicht strafen, daß wir an seiner Hülfe gezweifelt haben.

Mit Lebhaftigkeit warf sie ihre Mantille über den Kopf, griff nach ihren Noten, und ihren bestürzten Geliebten mit sich ziehend, eilte sie nach den Mendicanti, wo die Menge schon versammelt war, um Porpora's schöne Musik zu hören. Anzoleto war mehr todt als lebendig; er begab sich auf die Tribüne des Grafen, wohin ihn dieser eingeladen hatte, Consuelo ging auf die Orgel, wo sie die Chöre schon in Schlachtordnung aufgestellt und den Professor vor seinem Pulte fand. Consuelo wußte nicht, daß man von der Tribüne des Grafen weniger in die Kirche als auf den Orgelchor sehen konnte, daß der Graf sie schon ins Auge gefaßt hatte und daß er keine ihrer Bewegungen verlor.

Ihre Züge konnte er noch nicht unterscheiden, denn sobald sie eintrat, kniete sie nieder, verbarg ihren Kopf in den Händen und begann mit inbrünstiger Andacht zu beten. Mein Gott, sprach sie aus tiefstem Herzen, du weißt, daß ich mich über meine Nebenbuhlerinnen nicht zu erheben begehre, um sie zu demüthigen. Du weißt, daß ich mich nicht der Welt und der profanen Kunst hingeben will, um deine Liebe zu verlassen und mich auf die Bahn des Lasters zu verlieren. Du weißt, daß meine Seele nicht von Stolz aufgebläht ist, und daß ich nur, um mit dem Manne leben zu können, den meine Mutter mir zu lieben erlaubt hat, um ihn nie zu verlassen, um ihm seine Freude und sein Glück zu sichern, zu dir flehe, stehe mir bei und adle meinen Vortrag und meine Gedanken, während ich dein Lob singen werde.

Als die ersten Orchestertöne Consuelo an ihren Platz riefen, erhob sie sich langsam: ihre Mantille fiel auf ihre Schultern zurück und ihr Gesicht zeigte sich endlich den erwartungsvollen und besorgten Zuschauern auf der benachbarten Tribüne. Aber welche wunderbare Verwandlung war mit diesem jungen Mädchen vorgegangen, welches eben noch so bleich und zaghaft, so aufgelöst von Ermattung und Furcht erschienen war. Während die sanften und edeln Züge ihres heiteren, freien Gesichtes sich noch in einem weichen Schmachten badeten, schien ihre hohe Stirn von einem himmlischen Glanze umflossen. Ihr ruhiger Blick verrieth keine jener kleinen Leidenschaften, welche gemeinen Erfolg suchen und begleiten. Es lag in ihrem Wesen etwas Feierliches, Tiefes und Geheimnißvolles, welches Ehrfurcht und Rührung unwiderstehlich erweckte.

– Muth, meine Tochter, flüsterte ihr der Professor zu, du sollst ein Stück von einem großen Meister singen, und dieser Meister ist zugegen und hört dich.

– Wer? Marcello? rief Consuelo, als sie den Professor Marcello's Psalmen auf dem Pulte aufschlagen sah.

– Ja, Marcello! antwortete Porpora. Singe nur wie immer, nichts mehr, nichts weniger, und es wird gut sein.

Wirklich war Marcello, der damals in seinem letzten Lebensjahre stand, nach Venedig gekommen, um noch einmal seine Vaterstadt zu sehen, deren Zierde er als Componist, als Schriftsteller und als Magistratsperson geworden war. Er hatte dem Porpora alle Artigkeit erwiesen und die Einladung angenommen, dessen Schule zu hören; Porpora aber gedachte ihm die Ueberraschung zu, daß er zuerst seinen eigenen prachtvollen Psalm: I cieli immensi narrano von Consuelo, welche ihn vollkommen inne hatte, hören sollte. Kein Stück hätte besser der frommen Entzückung entsprochen, in welcher sich die Seele des edeln Mädchens befand. Kaum glänzten die ersten Worte dieses großen, freien Gesanges vor ihren Augen, so fühlte sie sich in eine andere Welt entrückt. Vergessen hatte sie den Grafen Zustiniani, die mißgünstigen Blicke ihrer Nebenbuhlerinnen, Anzoleto sogar, an nichts dachte sie als an Gott und an Marcello, der ihr wie ein Dolmetsch vorkam zwischen ihr und den leuchtenden Himmeln, deren Schönheit sie feierte. Und kann es in der That einen schöneren Gegenstand, einen erhabeneren Gedanken geben?

I cieli immensi narrano
Del grande Iddio la gloria
Il firmamento lucido
All' universo annuncia
Quanto sieno mirabili
Della sua destra le opere.
»Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündiget seiner Hände Werk.« Die obigen Anfangswortes des italienischen Hymnus enthalten diesen ersten Vers des 19. Psalms in versificirter Umschreibung.

Ihre Wangen glüheten und ihre großen, schwarzen Augen blitzten von himmlischem Feuer, als sie das Gewölbe mit ihrer unvergleichlichen Stimme erfüllte, mit dem siegreichen, reinen, großartigen Vortrag, der nur denen möglich ist, welche hellen Verstand und tiefes Gefühl in sich vereinigen.

Marcello hatte die ersten Takte gehört, und ein Strom von Freudenthränen brach aus seinen Augen. Der Graf, unfähig sein Entzücken zu bemeistern, rief aus: Bei allem Blute Christi, dieses Weib ist schön! Es ist Santa Cäcilia, Santa Theresa, Santa Consuelo! Es ist die Poesie, die Musik, der Glaube in Person. Anzoleto war ausgestanden, er konnte sich auf seinen brechenden Knieen nur mit Hülfe seiner Hände erhalten, mit welchen er sich an das Gitter der Tribüne klammerte; er fiel athemlos, einer Ohnmacht nah, wie berauscht von Freude und Stolz, auf seinen Sitz zurück.

Alle Scheu vor der heiligen Stätte war nöthig, daß nicht die zahlreichen Dilettanti samt der Menge welche die Kirche erfüllte, in wahnsinnige Beifallsbezeigungen wie im Theater ausbrachen. Der Graf hatte nicht Geduld genug, das Ende des Gottesdienstes abzuwarten, sondern ging auf die Orgel, um Porpora und Consuelo seine Bewunderung auszudrücken. Unter der Psalmodie der Choristinnen mußte Consuelo auf der Tribüne des Grafen die Lobsprüche und den Dank Marcello's entgegennehmen. Sie fand Marcello so bewegt, daß er kaum reden konnte.

– Meine Tochter, sagte er mit abgebrochener Stimme, empfange den Dank und den Segen eines Sterbenden. Du hast mir einen Augenblick bereitet, welcher mich Jahre tödtlicher Schmerzen vergessen ließ. Mich dünkt, als wäre ein Wunder an mir geschehen, als wäre dieses unabläßige, schreckliche Leiden vor dem Klange deiner Stimme auf immer von mir gewichen. Wenn die Engel dort oben singen, wie du, so sehne ich mich, diese Erde zu verlassen, um die ewigen Freuden zu schmecken, deren Vorahnung du mir verschafft hast. Sei denn gesegnet, mein Kind, und sei glücklich auf dieser Welt, wie du es verdienst. Ich habe die Faustina gehört, die Romanina, die Cuzzoni und alle die größten Sängerinnen der Erde: sie reichen dir nicht an die Knöchel. Dir ist es aufbehalten, die Welt vernehmen zu lassen was sie nie vernommen hatte, und sie fühlen zu lassen, was noch kein Mensch gefühlt hat.

Vernichtet und wie zerbrochen unter diesem prächtigen Lob, senkte Consuelo das Haupt, beugte ihr Knie fast zur Erde, und führte, unfähig ein Wort zu sprechen, die falbe Hand des erlauchten Sterbenden an ihre Lippen: als sie sich aber erhob, ließ sie auf Anzoleto einen Blick fallen, welcher ihm zu sagen schien: du hattest mich nicht errathen, Undankbarer!

11.

Während der übrigen Vesper entwickelte Consuelo eine solche Kraft und Tüchtigkeit, daß keine Zweifel weiter in der Seele des Grafen Zustiniani aufkommen konnten. Sie führte, unterstützte, und belebte die Chöre, griff in alle Stimmen ein, und bewies dadurch den wunderbaren Umfang und die mannigfaltigen Eigenschaften ihrer Stimme, sowie nicht minder die unerschöpfliche Stärke ihrer Lunge, oder besser, die Größe ihrer Kunstfertigkeit; denn wer zu singen versteht, wird nicht müde, und Consuelo sang mit nicht größerer Anstrengung und Mühe als andre Menschen athmen. Der klare und volle Klang ihrer Stimme war unter den hundert Stimmen ihrer Gefährtinnen deutlich zu vernehmen, nicht daß sie geschrien hätte, wie seel- und athemlose Sänger es machen, sondern weil ihr Ton rein und tadellos und ihr Vortrag unübertrefflich sauber war. Ueberdies fühlte und verstand sie die Meinung jeder Stelle bis ins Einzelste und Feinste.

Mit einem Worte, sie allein unter diesem Schwarme gewöhnlicher Geister, frischer Stimmen und willenloser Wesen, sie allein hatte Musik und war Meisterin. Unbewußt und prunklos trat sie als eine Macht auf und übte, so lange der Gesang währte, eine Herrschaft aus, deren Nothwendigkeit Jeder fühlte. Sobald der Gesang beendet war, machten ihr die Choristinnen innerlich ein Unrecht und ein Verbrechen daraus, und eine Jede, welche, wo sie sich unsicher fühlte, stets mit den Augen Consuelo befragt und fast angefleht hatte, maßte nun sich selbst die Lobsprüche an, welche der Schule Porpora's in Masse gezollt wurden. Bei diesen Lobeserhebungen lächelte der Meister und sagte kein Wort: er sah nur Consuelo an, und Anzoleto verstand den Blick vollkommen.

Nach dem Gruß und Segen nahmen die Choristinnen an einem leckeren Mahle Theil, welches ihnen der Graf in einem der Sprachzimmer des Klosters auftragen ließ. Das Gitter trennte zwei große Tafeln, welche in Halbmondform einander gegenüber aufgestellt waren. In der Mitte des Gitters war nach dem Maße einer Riesenpastete eine Oeffnung angebracht, durch welche die Schüsseln hindurch gingen: diese nahm der Graf selbst in Empfang und reichte sie mit Grazie den vornehmsten Nonnen und den Eleven. Die letztren, in Beguinentracht, setzten sich zu Dutzenden wechselweise auf die offenen Plätze im Innern des Klosters. Die Superiorin hatte ihren Platz dicht neben dem Gitter, und befand sich so an der rechten Seite des Grafen, welcher im äußern Saale saß. Links von dem Grafen blieb ein Platz leer; Marcello, Porpora, der Pfarrer des Kirchspiels, die vornehmsten Priester welche der Messe beigewohnt hatten, einige Patrizier, die als Laienvorsteher der Scuola oder als Dilettanti eingeladen waren, und endlich der schöne Anzoleto, in seinem schwarzen Kleid und mit dem Degen an der Seite nahmen die Plätze an der weltlichen Tafel ein.

Die jungen Sängerinnen pflegten sonst bei solchen Gelegenheiten sehr lebendig zu sein: die Annehmlichkeit lecker zu speisen, das Vergnügen sich mit Männern zu unterhalten und die Lust zu gefallen oder wenigstens bemerkt zu werden, machte sie in der Regel sehr geschwätzig und munter. Dieses mal aber war die Stimmung beim Mahle traurig und gezwungen. Von dem Vorhaben des Grafen hatte Einiges verlautet (wie könnte auch ein Geheimniß um ein Kloster herumkommen, ohne sich durch irgend eine Spalte hineinzustehlen!) und jedes dieser jungen Mädchen hatte sich im Stillen geschmeichelt, von Porpora zur Nachfolgerin der Corilla vorgestellt zu werden. Der Professor selbst war so boshaft gewesen, die Selbsttäuschungen einiger unter ihnen zu begünstigen, sei es um sie zu größerem Eifer bei der Aufführung seiner Musik vor Marcello anzuspornen, oder um sich durch die Kränkung die ihnen bevorstand für alles Leid zu rächen, das sie ihm in den Stunden angethan hatten.

Gewiß ist wenigstens, daß die Clorinda, welche blos äußeres Mitglied des Conservatoriums war, große Toilette für diesen Tag gemacht hatte, und darauf rechnete, ihren Platz zur Rechten des Grafen einzunehmen. Als sie nun aber diese »bettelhafte« Consuelo in ihrem schwarzen Kleidchen und mit ihrer ruhigen Miene, dieses »garstige Ding«, welches nun doch hinfort für die erste Sängerin und für die ausgemachte Schönheit der Schule galt, sich zwischen den Grafen und Marcello setzen sah, da wurde sie häßlich vor Aerger, häßlich, wie Consuelo es niemals war, und wie unter dem Einfluß einer schlechten und gemeinen Regung, Venus selbst es werden würde.

Anzoleto betrachtete sie aufmerksam, und im Uebermuthe seiner Siegesfreude setzte er sich zu ihr und überhäufte sie mit Fadheiten, deren spöttische Meinung sie zu begreifen nicht Verstand genug besaß, und durch welche sie sich wirklich bald getröstet fand. Sie glaubte sich an ihrer Nebenbuhlerin dadurch zu rächen, daß sie deren Bräutigam fesselte und sparte nichts, um diesen mit ihren Reizen zu berauschen. Sie war aber zu beschränkt, und Consuelo's Freund zu pfiffig, als daß sie nicht bei einem so ungleichen Kampf hätte lächerlich werden müssen.

Inzwischen unterhielt sich Graf Zustiniani mit Consuelo und fand zu seiner Verwunderung, daß sie im Gespräche eben so viel feines Gefühl, Verstand und Anmuth als in der Kirche Talent und Macht entwickelte. Sie war gänzlich frei von jeder Coquetterie, aber sie hatte in ihrem Wesen ein Etwas von fröhlicher Offenheit und gutmüthiger Vertraulichkeit, wodurch sie die Herzen augenblicklich und ohne Widerstand gewann. Nach dem Mahle lud der Graf sie ein, der Abendkühle in seiner Gondel mit ihm und seinen Freunden zu genießen. Marcello wurde seiner schwachen Gesundheit wegen von der Spazierfahrt entbunden. Aber Porpora, Graf Barberigo und mehrere andere Patrizier fanden sich zur Theilnahme bereit. Anzoleto wurde zugelassen.

Da sich Consuelo ein wenig beklommen fühlte, mit so vielen Männern allein zu sein, bat sie ganz leise den Grafen, auch die Clorinda mit einzuladen, und dem Grafen, der Anzoleto's Spiel mit dem armen Mädchen nicht durchschaute, war es gar nicht unlieb, diesen um eine andere als seine Braut beschäftigt zu sehen. Als ein leichtfertiger Charakter und ein schöner Mann, bei seinem Reichthum, seinem Theater und überdies bei den lockeren Sitten des Landes und der Zeit, ermangelte der edele Graf nicht einer guten Dosis von Geckenhaftigkeit. Der griechische Wein und der Kunstenthusiasmus hatten ihn befeuert, die Ungeduld sich an seiner »ungetreuen« Corilla zu rächen, war groß: nichts natürlicher, als daß er Consuelo den Hof zu machen gedachte. Er setzte sich in der Gondel neben sie, nachdem er alles dergestalt geordnet hatte, daß das andere Pärchen am entgegengesetzten Ende zu sitzen kam, und begann seine neue Beute auf eine sehr bedeutungsvolle Weise anzublicken.

Die gute Consuelo verstand indessen von dem allen nichts. Ihre Unschuld und Ehrlichkeit würden sich gegen die Vermuthung empört haben, daß der Beschützer ihres »Freundes« so schlechte Absichten hegen könnte, aber ihre gewohnte Bescheidenheit, welche von dem glänzenden Triumphe des Tages nicht den kleinsten Wandel erfahren hatte, ließ sie dergleichen Absichten nicht einmal für möglich halten. In ihrem Herzen war und blieb nur Ehrfurcht vor dem vornehmen Herrn, welcher sie zugleich mit Anzoleto unter seine Obhut genommen hatte, und unbefangene Freude an einer Lustbarkeit, unter welcher sie keine Tücke verborgen glaubte.

Diese Ruhe, dieses Vertrauen setzten den Grafen in ein solches Erstaunen, daß er nicht wußte, ob er darin die bereitwillige Hingebung einer widerstandlosen Seele oder die Dummheit der vollkommenen Unschuld erkennen sollte. Ob aber eine Italienerin von achtzehn Jahren nicht Bescheid weiß, wußte, will ich sagen, zumal vor hundert Jahren und mit einem »Freunde« wie Anzoleto? Alle Wahrscheinlichkeit war in der That für die Hoffnungen des Grafen. Und dennoch konnte er die Hand seines Schützlinges nicht ergreifen, konnte seinen Arm nicht ausstrecken um ihren Leib zu umspannen, ohne daß ihn eine unerklärliche Furcht augenblicklich zurückhielt: er hatte ein Gefühl von Unsicherheit, fast Ehrfurcht, welches er sich nicht zu deuten vermochte.

Auch Barberigo fand die Consuelo sehr verführerisch in ihrer Einfalt, und er hätte sich gern bei ihr dasselbe wie der Graf herausgenommen, wenn er es nicht für eine Pflicht der Delicatesse gehalten hätte, die Absichten seines Freundes nicht zu kreuzen. Jedem das seine, dachte er, als er Zustiniani's Augen in seinem Glanze wollüstiger Berauschung schwimmen sah; die Reihe wird auch an mich kommen. Der junge Barberigo hatte es indessen gar nicht in der Art, die Sterne anzugaffen, wenn er sich in Frauengesellschaft befand; er fragte sich, wie doch dieser kleine Schlingel von Anzoleto dazu komme, die blonde Clorinda in Beschlag zu nehmen, und er trat zu ihr, um dem jungen Tenor wo möglich begreiflich zu machen, daß es für ihn sich besser schicken würde, zum Ruder zu greifen, als mit dem Dämchen schön zu thun.

Anzoleto hatte nicht Erziehung genug, um, ungeachtet seiner scharfen Fassungskraft, sogleich beim ersten Worte den jungen Grafen zu verstehen. Ueberdies war sein Stolz nicht kleiner als der Hochmuth der Patrizier. Er verachtete diese von Herzen,und wenn er äußerlich sich ihnen geschmeidig zeigte, so war dies nur eine Schlauheit, hinter welcher sich seine innere Geringschätzung verbarg. Da Barberigo sah, daß Anzoleto sich ein Vergnügen daraus machte, ihm hinderlich zu sein, so ersann er eine grausame Rache.

– Alle Wetter, sagte er laut zur Clorinda, sehen Sie nur, was für ein Glück Ihre Freundin Consuelo macht. Wo wird die heute aufhören? Nicht genug, daß sie in der ganzen Stadt mit ihrem schönen Gesang Furore gemacht hat, verdreht sie nun mit ihren feurigen Blicken noch unserem armen Grafen den Kopf. Er wird ganz vernarrt in sie werden, wenn er es nicht schon ist, und mit den Sachen der Madame Corilla steht es nun vollends schlecht.

– O, es ist nichts zu besorgen, erwiderte Clorinda hämisch, Consuelo ist in den Anzoleto hier verliebt, und mit ihm versprochen. Die Beiden brennen für einander, wer weiß seit wie vielen Jahren.

– Man vergißt auch wohl, wer weiß wie viele Jahre der Liebe, in einem Augenblinzen, zumal wenn Zustiniani's Augen sich darauf einlassen, den tödtlichen Pfeil abzuschnellen. Meinen Sie nicht, schöne Clorinda?

Anzoleto hielt diese Spöttereien nicht lange aus. Tausend Schlangen hatten sich schon in seine Brust geschlichen. Bis diesen Augenblick hatte er um dergleichen weder Argwohn noch Sorge gehegt: er hatte sich blindlings der Freude über den Triumph seiner Freundin hingegeben, und nur, um theils seinem Jubel einen bestimmten Anhalt, theils seiner Eitelkeit einen raffinirten Genuß zu verschaffen, hatte er sich seit zwei Stunden daran ergötzt, das Opfer dieses berauschenden Tages aufzuziehen. Nach einigen schalen Witzen, welche er mit Barberigo wechselte, that er, als ob die Unterhaltung über musikalische Gegenstände, welche Porpora in der Mitte der Gondel mit der übrigen Gesellschaft führte, seine Aufmerksamkeit erregt hätte: er entfernte sich allmählig von einem Platze, welchen er nicht länger Lust hatte, seinem Gegner streitig zu machen und stahl sich im Dunkel an das Vordertheil der Barke. Sogleich bei dem ersten Versuche, das Tête-à-Tête des Grafen und seiner Braut zu unterbrechen, bemerkte er, daß Zustiniani an dieser Dazwischenkunft wenig Gefallen fand, denn der Graf antwortete ihm kalt und fertigte ihn sogar kurz ab. Nachdem Anzoleto mit verschiedenen müßigen Fragen übel angekommen war, erhielt er zuletzt den guten Rath, doch lieber die tiefen und gelehrten Sachen mit anzuhören, welche der große Porpora über den Kontrapunkt vernehmen ließe.

– Der große Porpora ist nicht mein Lehrer, antwortete Anzoleto, seine innere Wuth so gut als möglich unter einem scherzenden Tone verbergend; er ist aber Consuelo's Lehrer, und wenn es meinem theuern und geliebten gnädigen Herrn gefiele; fügte er, zu dem Grafen niedergebeugt, ganz leise und mit einschmeichelndem Tone hinzu, meine arme Consuelo keinen anderen Unterricht als den ihres alten Lehrers genießen zu lassen ...

– Mein theurer und geliebter Zoto, antwortete der Graf, denselben schmeichelnden Ton in der boshaftesten Weise nachahmend, ich habe Ihnen ein Wort ins Ohr zu sagen; und sich zu ihm hinüberbeugend setzte er hinzu: Dero Braut wird doch von Ihnen wohl einen Tugendunterricht empfangen haben, welcher sie unverletzlich macht. Wenn ich es mir aber anmaßen wollte, ihr einen andern zu geben, so dürfte ich allerdings zu dem Versuche wenigstens für Einen Abend berechtigt sein.

Anzoleto fühlte, daß es ihn wie Eis überlief.

– Will mein allergewogenster gnädiger Herr nicht geruhen, sich näher zu erklären? fragte er mit erstickter Stimme.

– Sehr gern, mein allergewogenster Freund, entgegnete der Graf mit heller Stimme: Gondel für Gondel.

Anzoleto stand versteint, als er wahrnahm, daß der Graf sein Tête-à-Tête mit der Corilla entdeckt hatte. Dieses rücksichtslose Mädchen hatte sich dessen gegen Zustiniani bei einem heftigen Streit, der noch zuletzt zwischen ihnen vorgefallen war, gerühmt. Im Gefühle seiner Schuld versuchte Anzoleto umsonst, Erstaunen zu heucheln.

– Gehen Sie und hören Sie, was Porpora über die Grundsätze der neapolitanischen Schule sagt, fuhr der Graf fort. Sie sollen es mir später wieder erzählen, es liegt mir viel daran.

– Das merke ich, Excellenz, entgegnete Anzoleto wüthend und auf dem Sprunge, alles zu verderben.

– Nun, gehst du nicht? sagte Consuelo in ihrer Unschuld, ohne sein Zaudern zu begreifen. So will ich hingehen, Herr Graf! Sie sollen sehen, daß ich Ihre Dienerin bin.

Und ehe der Graf sie halten konnte, war sie mit einem leichten Sprunge über das Bänkchen hinüber, das sie von ihrem alten Lehrer trennte, und setzte sich dicht neben ihn.

Der Graf sah wohl, daß er bei ihr nicht eben große Fortschritte gemacht hatte und glaubte daher, sich verstellen zu müssen.

– Anzoleto, sagte er lächelnd und zog seinen Schützling ein wenig derb am Ohre, weiter will ich meine Rache nicht treiben. Sie ist um Vieles hinter deinem Frevel zurückgeblieben. Aber ich will auch keine Vergleichungen anstellen zwischen dem Vergnügen, mich in Gegenwart von zehn Personen mit deiner Geliebten eine Viertelstunde ehrbar zu unterhalten, und jenem, welches du mit der meinigen allein in einer wohlverschlossenen Gondel genossen hast.

– Herr Graf, rief Anzoleto in heftiger Aufregung, ich schwöre bei meiner Ehre ...

– Wo sitzt dir deine Ehre? entgegnete der Graf, vielleicht da in dem linken Ohre? Hierbei bedrohte er auch dieses unglückliche Ohr mit einer gleichen Lection, wie das andere sie eben erhalten hatte.

– Halten Sie denn Ihren Schützling für so unklug, sagte Anzoleto, welcher seine Geistesgegenwart wieder gewann, nicht zu wissen, daß er einen so dummen Streich nicht begehen durfte?

– Begangen oder nicht, erwiderte der Graf, kurz, es ist mir in diesem Augenblicke die gleichgültigste Sache der Welt.

Er ging und setzte sich an Consuelo's Seite.

12.

Gegen Mitternacht kehrte die Gesellschaft in den Salon des Pallastes Zustiniani zurück, um Chocolade und Sorbetts einzunehmen. Die Unterhaltung über Musik dauerte noch fort. Man war von dem Technischen der Kunst auf den Styl, auf die Ideen, auf die Formen der Aelteren und Neueren, endlich auf den Vortrag zu reden gekommen, und verweilte nun bei den ausübenden Künstlern und bei deren verschiedenartiger Auffassungs- und Ausdrucksweise. Porpora sprach mit Bewunderung von seinem Lehrer Scarlatti, welcher es zuerst gewagt hatte, dem Kirchenstyl einen pathetischen Character zu geben. Mehr aber, fuhr er fort, mehr that er nicht; er wollte nicht, daß die heilige Musik sich durch Anwendung von Verzierungen, Coloraturen und Läufern in das Gebiet der weltlichen verirrte.

– Verwerfen Sie demnach, verehrter Herr! sprach Anzoleto jene schwierigen Läufer und Manieren, denen Ihr berühmter Schüler Farinelli sein Glück und seinen Namen verdankt?

– Ich verwerfe sie nur in der Kirche, antwortete der Meister. Für das Theater billige ich sie. Ich will sie da, wohin sie gehören; vorzüglich aber tadele ich ihren Mißbrauch. Sie setzen ein reines und richtiges Gefühl voraus, sie wollen mäßig, geschickt und geschmackvoll angewendet sein, sie müssen in ihren Modulationen nicht allein dem Gegenstande, den man vorträgt, sondern auch der Person, die man darstellt, der Leidenschaft, die man auszudrücken hat, und der ganzen Situation angemessen sein. Nymphen und Schäferinnen mögen wie Tauben girren, oder ihre Rhythmen wie murmelnde Bäche cadenziren, aber Medea und Dido können nur schluchzen oder gleich verwundeten Löwinnen brüllen. Die Coquette wird ihre tollen Cavatinen mir grillenhaften und gesuchten Manieren überladen dürfen. In diesem Genre excellirt die Corilla; aber wenn sie tiefe Bewegungen, große Leidenschaften ausdrücken will, so bleibt sie unter ihrer Rolle: es hilft ihr nichts, daß sie sich abarbeitet, es hilft nichts, daß sie ihre Stimme und ihren Busen aufbläst; eine unzeitige Coloratur, ein unsinnig angebrachter Läufer macht im Augenblick die Erhabenheit, nach welcher sie getrachtet hat, zu lächerlicher Parodie. Ihr alle habt die Faustina Bordoni, jetzige Madame Hasse gehört. In gewissen Rollen, welche ihren glänzenden Eigenschaften entsprachen, war sie unübertroffen. Trat aber die Cuzzoni auf, und gab, mit ihrem reinen, tiefen Gefühl, dem Schmerz, der Bitte oder der Zärtlichkeit Sprache, so flossen euere Thränen und es war in euern Herzen keine Spur mehr von dem Eindruck, welchen die Kunststücke der Faustina auf euere Sinne gemacht hatten. Denn ein anderes ist das Talent, welches mit der Materie, und ein anderes das Genie, welches mit der Seele zusammenhängt; jenes ergötzt und dieses ergreift; jenes überrascht und dieses überwältigt. Ich weiß wohl, daß die Bravoureffecte beliebt sind; aber ich für meinen Theil muß es fast bereuen, daß ich meinen Schülern solche Sachen, die als Beiwerk ganz nützlich wären, gelehrt habe, wenn ich sehe, wie die meisten unter ihnen Mißbrauch damit treiben und das Nöthige dem Ueberflüssigen, die dauernde Rührung der Zuhörer dem Aufjauchzen der Ueberraschung und dem Beifallstampfen einer fieberhaften, flüchtigen Lust zum Opfer bringen.

Niemand bestritt diese letzteren Wahrheiten, welche in der Kunst ewig gelten und jedem höher begabten Künstler stets vorleuchten werden. Der Graf jedoch, welcher begierig war, zu erfahren, wie Consuelo weltliche Musik behandeln würde, that als könnte er den strengen Grundsätzen Porpora's nicht völlig beipflichten, und da er bemerkte, daß sich das bescheidene Mädchen, anstatt selbst seine Ketzereien zu bestreiten, immer nur nach ihrem alten Lehrer umsah, gleich als forderte sie diesen auf, siegreich zu antworten, so legte er ihr geradezu die Frage vor, ob sie sich wohl getrauen würde, auf der Bühne mit ebenso vielem Verstand und reifen Geschmack zu singen als in der Kirche.

– Ich glaube nicht, erwiderte sie in aufrichtiger Demuth, daß ich mich dort ebenso erhoben fühlen könnte, und ich fürchte daher, daß ich viel weniger leisten würde.

– Diese sinnige und bescheidene Antwort macht mir Zuversicht, sagte der Graf, und ich bin gewiß, Sie würden sich durch die Gegenwart einer heißen, erwartungsvollen, wenn auch, wie ich nicht leugne, etwas verderbten Menge hinlänglich gehoben fühlen, um ein Studium jener brillanten Schwierigkeiten, nach denen sich dieselbe täglich lüsterner zeigt, nicht zu verschmähen.

– Ein Studium! rief Anzoleto mit stolzer Verachtung.

– Ganz gewiß ein Studium, sagte Consuelo sanft wie immer. Ich habe mich zwar schon in dieser Art Arbeit bisweilen geübt, allein ich glaube nicht, daß ich es den großen Sängerinnen, welche auf unserem Theater erschienen sind, schon jetzt darin gleichthun könnte  ...

– Du lügst, rief Anzoleto ganz erhitzt. Monsignore, sie lügt! Legen Sie ihr die geschnörkeltesten und schwersten Arien des Repertoirs vor, Sie werden sehen, was sie kann.

– Wenn ich nicht fürchten müßte, daß sie ermüdet wäre ... sagte der Graf mit Augen, die schon vor Ungeduld und Begierde funkelten.

Consuelo richtete die ihrigen voll Kindlichkeit auf Porpora, wie um seine Weisung einzuholen.

In der That, sagte dieser, da sie nicht von solch einem bischen Singen müde wird, und da wir nun einmal in kleiner und erlesener Gesellschaft hier beisammen sind, so könnte man wohl füglich ihr Talent nach allen Seiten auf die Probe stellen. Wohlan, Herr Graf, wählet eine Arie und begleitet sie auch gleich am Klaviere.

– Consuelo's Stimme und Gegenwart, versetzte Zustiniani, würden mich so bewegen, daß ich nicht für falsche Noten einstehe. Warum wollt ihr selbst, lieber Meister, nicht spielen?

– Ich möchte sie gern singen sehen, erwiderte Porpora; denn, unter uns gesagt, ich habe sie immer gehört und nie daran gedacht, sie zu sehen. Ich muß doch auch wissen, wie sie sich hält und was sie mit Mund und Augen macht. Nun, steh auf, Kind, du sollst auch vor mir deine Probe ablegen.

– Da werde ich also begleiten, rief Anzoleto und setzte sich an das Klavier.

– Ihr werdet mich zu ängstlich machen, lieber Meister, sagte Consuelo zu Porpora.

– Aengstlichkeit, antwortete der Lehrer, gehört nur für die Narren. Wer von wahrer Liebe für seine Kunst durchglüht ist, braucht sich nicht zu fürchten. Wenn du zittern kannst, so bist du blos von Eitelkeit besessen; wenn dir deine Mittel ausgehen können, so steht dir nur Blendwerk zu Gebotes und wenn das wäre, so bin ich der erste, der ohne Umschweife sagen wird: die Consuelo ist nichts nutze.

Ohne sich im mindesten darum zu kümmern, ob die zarte Manier, mit welcher er seiner Schülerin Muth einsprach, sie nicht noch mehr um ihre Fassung bringen möchte, setzte der Professor seine Brille auf, stellte seinen Stuhl ihr gerade gegenüber und schickte sich an, auf der Ecke des Flügels den Takt zu schlagen; um das Ritornell in richtigen Gang zu bringen.

Der Graf hatte eine brillante, krause und schwere Arie von Galuppi aus der Buffa-Oper la Diavolessa gewählt, um Consuelo plötzlich in eine Gattung zu führen, welche derjenigen, worin sie am Morgen geglänzt hatte, schnurgerade entgegenstand. Das junge Mädchen besaß eine so wunderbare Leichtigkeit, daß sie es fast ohne Studium dahin gebracht hatte, mit ihrer biegsamen und mächtigen Stimme alle damals üblichen Kraftgänge spielend auszuführen. Porpora hatte ihr solche Uebungen empfohlen und von Zeit zu Zeit sich vormachen lassen, um sich zu überzeugen, ob sie dieselben auch nicht vernachlässigte. Jedoch hatte er niemals Zeit und Aufmerksamkeit genug darauf verwendet, um das, was seine wunderbare Schülerin in dieser Art zu leisten vermochte, seinem ganzen Umfange nach zu kennen.

Consuelo war ein Schelm: sie wollte sich an ihrem Lehrer für die Derbheiten rächen, die er ihr so eben gesagt hatte, und überlud die ohnehin ausschweifende Arie der Diavolessa mit einer Menge damals noch unmöglich geglaubter Läufer und Manieren, welche sie mit einer solchen Ruhe improvisirte, als hätte sie sie zuvor sorgfältig in Noten gesetzt und studirt gehabt. Ihre Verzierungen waren so kunstreich modulirt, so voll Kraft und Schwung, so satanisch, so erschütternd im Uebergang aus wilder Lustigkeit in wimmernde Angst, daß plötzlich ein Schauer des Entsetzens die Begeisterung der Zuhörer durchbrach, und daß Porpora, jählings aufspringend, mit starker Stimme rief: Du, du bist der leibhafte Teufel! Consuelo schloß die Arie mit einem Bravour Crescendo, welches einen allgemeinen Schrei der Bewunderung hervorrief, während sie sich laut lachend auf ihren Stuhl setzte.

– Böses Mädchen, sagte Porpora, du hast mir einen hängenswerthen Streich gespielt. Du hast mich zum Besten gehabt. Du hast vor mir die Hälfte deiner Studien und deiner Hülfsmittel versteckt gehalten. Ich hatte dir schon lange nichts mehr zu lehren, und aus Heuchelei hast du bei mir Stunde genommen, was weiß ich? vielleicht um mir noch alle Geheimnisse der Composition und des Unterrichtens abzulocken, damit du mich in allen Dingen ausstechen könntest, damit ich hinterher als ein alter abgenutzter Schulmeister dastünde.

– Lieber Meister, entgegnete Consuelo, ich habe Ihnen blos den Streich nachgethan, den Sie dem Kaiser Carl gespielt haben. Erzählten Sie mir nicht die Geschichte? Wie Se. Kaiserliche Majestät die Triller nicht leiden mochte, und Ihnen verboten hatte, einen einzigen in Ihrem Oratorium anzubringen, und wie Sie dem Verbote bis an das Finale gewissenhaft nachgekommen und dann in der Schlußfuge ihm ein Divertissement im neuesten Geschmack lieferten, vier aufsteigende Triller im Thema, die sich hieraus durch alle Stimmen bis ins stretto endlos wiederholten. Sie haben heute Abend gegen den Mißbrauch der Verzierungen geeifert, und hinterher mich welche machen lassen. Nun machte ich ihrer zu viele, um Ihnen zu zeigen, daß auch ich wohl eine Verkehrtheit übertreiben kann, wofür ich mich willig schelten lasse.

– Ich sage dir, du bist der Teufel, erwiderte Porpora. Jetzt sing' uns etwas Menschliches, und singe wie du willst; denn ich sehe schon, mit meiner Lehrerschaft bin ich bei dir zu Ende.

– Sie werden stets mein Lehrer sein, den ich ehre und liebe, rief sie und warf sich um seinen Hals und drückte ihn zum Ersticken; Ihnen verdank' ich seit zehn Jahren mein Brot und meinen Unterricht. O, lieber Lehrer! Sie haben, wie man mir gesagt hat, viele Undankbare gemacht; mir aber möge Gott seine Liebe und meine Stimme im Augenblick entziehen, wenn ich das Gift des Hochmuths und der Undankbarkeit in meinem Herzen berge!

Porpora wurde bleich, stammelte ein Paar Worte und drückte einen väterlichen Kuß auf die Stirn seiner Schülerin: eine Thräne ließ er dort zurück, und Consuelo, welche sie nicht abzuwischen wagte, fühlte die kalte, schmerzliche Thräne des verlassenen Alters, des unglücklichen Genies auf ihrer Stirne langsam trocknen. Sie wurde tief davon bewegt, und es war als empfände sie einen frommen Schauder, welcher alle ihre Fröhlichkeit erstickte und ihre Begeisterung für den Rest des Abends auslöschte.

Eine Stunde lang erschöpfte sich Alles umher in Ausdrücken der Bewunderung, des Staunens und Entzückens, ohne daß es gelang, ihre Schwermuth zu zerstreuen und zuletzt bat man sie um eine Probe ihres dramatischen Talents. Sie sang eine große Arie aus Jomelli's »Verlassener Dido«. Nie hatte sie das Bedürfnis stärker empfunden, ihrer Traurigkeit Luft zu machen; ihr Vortrag war erhaben, voll Pathos, einfach und groß, und ihr Anblick war noch schöner als in der Kirche. Ihre Wangen hatten einen Anflug von fieberhaftem Roth, ihre Augen schossen düstere Blitze: jetzt war sie nicht mehr eine Heilige: sie war Besseres – ein von Liebe verzehrtes Weib. Der Graf, sein Freund Barberigo, Anzoleto, alle Zuhörer und, ich glaube, der alte Porpora selbst, waren nahe daran, den Verstand zu verlieren. Die Clorinda erstickte vor Verzweiflung.

Consuelo, der der Graf ankündigte, daß morgenden Tages ihr Engagement ausgefertigt und unterzeichnet werden sollte, bat ihn, ihr noch eine zweite Gunst zu bewilligen, und ihr sein Wort nach Art der alten Ritter zu verpfänden, ohne zu wissen, um was es sich handle. Er that es und man trennte sich, in einer Aufregung und freudigen Erschütterung, wie große Erscheinungen sie hervorbringen, überlegene Geister sie erzwingen.

12.

Während der Triumphe, welche Consuelo feierte, hatte Anzoleto so ganz nur in ihr gelebt, daß er sich selbst vergaß. Erst als der Graf beim Abschiede auf das Engagement seiner Braut hindeutete, ohne ihm über das seinige ein Wort zu sagen, fiel ihm die Kälte auf, mit welcher sein Gönner ihn den ganzen Abend behandelt hatte, und die Besorgniß, es mit diesem unabänderlich verscherzt zu haben, goß ihm Gift in seine Freude. Es kam ihm der Gedanke, Consuelo auf der Treppe an Porpora's Arme zu lassen und zurückeilend sich seinem Beschützer zu Füßen zu werfen; er fühlte aber in diesem Augenblicke, daß er ihn haßte, und es muß hier zu seinem Lobe gesagt werden, daß er der Versuchung, sich vor ihm zu demüthigen, widerstand. Er hatte eben von Porpora Abschied genommen und schickte sich an, mit Consuelo an den Canal hinab zu gehen, als des Grafen Gondolier ihn anhielt und ihm sagte, daß auf Befehl seines Herrn die Gondel bereit läge, um die Signora Consuelo nach Hause zu bringen. Ein kalter Schweiß trat ihm vor die Stirn.

– Die Signora ist gewohnt, zu Fuße zu gehen, gab er heftig zur Antwort. Sie ist dem Grafen sehr verbunden für seine Aufmerksamkeiten.

– Wer giebt Ihnen das Recht, in ihrem Namen zu danken? fragte der Graf, der dicht auf seinen Fersen war.

Anzoleto sah sich um und erblickte ihn, nicht unbedeckt, wie einen Mann, der nur seinen Gästen das Geleite giebt, sondern den Mantel umgeschlagen, den Degen in der einen, den Hut in der andern Hand, wie einen Mann, der auf nächtliche Abentheuer ausgeht. Anzoleto spürte in sich einen solchen Wuthanfall, daß er schon daran dachte, ihm das kleine, scharfe Messer, das ein Venetianer aus dem Volke allezeit in irgend einer Tasche seines Anzugs versteckt trägt, zwischen die Rippen zu stoßen.

– Ich hoffe, Madame, sagte der Graf mit festem Tone zu Consuelo, Sie werden mir nicht die Beleidigung zufügen, meine Gondel zu Ihrer Heimfahrt auszuschlagen; und mich nicht so betrüben, sich beim Einsteigen nicht auf meinen Arm zu stützen.

Consuelo, die in ihrer stäten Unbefangenheit nichts von dem ahnte, was neben ihr vorging, nahm dankend an, und sprang, ihren hübschen runden Ellbogen in der Hand des Grafen, ohne Umstände in die Gondel.

Gleich darauf fand eine stumme, aber nachdrückliche Verständigung zwischen dem Grafen und Anzoleto statt. Der Graf stand mit dem einen Fuße auf dem Ufer, mit dem andern auf der Gondel und maß Anzoleto mit den Augen; Anzoleto stand auf der letzten Stufe der Treppe, ebenso den Grafen messend, aber mit einem wilden Blick, die Hand in der Brusttasche und an den Griff seines Messers gelegt. Eine kleine Bewegung gegen die Barke hin und der Graf war kalt. Was am meisten venetianisch bei diesem raschen, stummen Auftritte war, ist dies, daß die beiden Nebenbuhler sich fest im Auge behielten, ohne von einer oder der anderen Seite die Catastrophe, welche bevorstehen mochte, zu beschleunigen.

Der Graf wollte nichts, als seinen Nebenbuhler durch einen Schein von Unschlüssigkeit martern, und er führte diese Rolle gemächlich durch, obwohl er Anzoleto's Griff an seinen Dolch sehr gut sah und noch besser verstand. Anzoleto hatte seinerseits Herrschaft genug über sich, um zu warten, ohne sich thatsächlich zu verrathen, bis es dem Grafen gefallen würde, sein grausames Spiel entweder zu beschließen, oder dem Leben zu entsagen. Dies währte zwei Minuten, welche ihm eine Ewigkeit schienen, und welche der Graf mit einem stoischen Gleichmuthe aushielt, worauf er Consuelo eine tiefe Verbeugung machte und sich zu seinem Schützling wendete.

– Ich erlaube Ihnen, sprach er, ebenfalls in meine Gondel zu steigen: künftig werden Sie wissen, wie sich ein gesitteter Mann beträgt.

Er trat zurück, um Anzoleto in die Barke zu lassen; dann befahl er den Gondolieren nach der Corte-Minelli zu rudern.. Er blieb auf dem Ufer stehn, unbeweglich wie eine Bildsäule. Er schien entschlossen festen Fußes zu erwarten, ob sein gedemüthigter Nebenbuhler einen neuen Mordgedanken fassen würde.

– Woher weiß denn der Graf deine Wohnung? war Anzoleto's erstes Wort an seine Freundin, sobald sie den Pallast Zustiniani aus dein Gesichte verloren hatten.

– Ich habe sie ihm gesagt, erwiderte Consuelo.

– Warum thatest du das?

– Weil er mich danach fragte.

– Du hast also nicht gemerkt, weshalb er sie wissen wollte?

– Vermuthlich, um mich nach Hause bringen zu lassen.

– Du denkst, das sei alles? Du denkst, er werde dich nicht besuchen?

– Mich besuchen? Welch ein Einfall! In einer solchen elenden Hütte? Das wäre ein Uebermaß von Höflichkeit, und es wäre mir gar nicht lieb.

– Es darf dir auch nicht lieb sein, Consuelo, denn ein Uebermaß von Schande könnte für dich aus diesem Uebermaß von Ehre entstehen.

– Schande? Weshalb Schande für mich? Du führst heut Abend wunderliche Reden, lieber Anzoleto. Es ist seltsam, daß du mir Dinge vorsprichst, die ich nicht verstehen kann, anstatt mir zu sagen, wie du dich über den unverhofften und unglaublichen Erfolg unseres Tages gefreut hast.

– Den unverhofften, ja, einen sehr unverhofften! sagte Anzoleto bitter.

– Bei der Vesper und heut Abend bei all dem Beifall warst du, wie mir schien, mehr berauscht als ich. Du sahest mich mit so entzückten Augen an, und ich fand mein Glück so süß, da ich es aus deinen Mienen abgespiegelt sah! Aber seit einigen Augenblicken bist du finster und launisch, wie manchmal, wenn wir kein Brot haben, oder wenn unsere Zukunft ungewiß und böse scheint.

– Und jetzt soll ich mit Freuden an die Zukunft denken? Ungewiß, nun ungewiß ist sie vielleicht nicht mehr, aber Freudiges für mich sehe ich wahrhaftig nicht darin!

– Was verlangst du denn mehr? Es sind kaum acht Tage, daß du beim Grafen debütirt hast, und mit einem Beifall, einem Erfolg ...

– Meinen Erfolg beim Grafen hat der deinige sehr verdunkelt, meine Liebe, wie du recht gut weißt.

– Ich hoffe, nicht. Uebrigens, wenn das auch wäre, so können doch wir nicht eifersüchtig auf einander sein.

Diese offenherzige Rede, mit dem Ausdrucke der Zärtlichkeit und unwiderstehlicher Wahrheit gesprochen, brachte wieder Ruhe in Anzoleto's Seele.

– Oh, wie Recht hast du, rief er, und preßte die Braut in seine Arme, wir können nicht eifersüchtig auf einander sein, denn wir können einander nicht betrügen

Bei diesen letzten Worten erinnerte er sich plötzlich, zu seiner Pein, des Abentheuers, welches er mit der Corilla angeknüpft hatte. Er dachte, daß wohl, um ihn vollends dafür büßen zu lassen, der Graf den Vorfall eines Tages an Consuelo verrathen könnte, wenn diese vielleicht seine Hoffnungen irgend ein wenig aufzumuntern schiene. Er versank nun wieder in ein finsteres Brüten und auch Consuelo wurde nachdenklich.

– Weshalb, begann sie nach einem kurzen Schweigen, erwähnst du das, daß wir einander nicht betrügen können? Gewiß, es ist sehr, sehr wahr. Allein wie kommst du darauf?

– Still, laß uns in dieser Gondel nicht weiter reden, sagte Anzoleto leise; ich fürchte, daß man uns behorcht und unsere Worte dem Grafen hinterbringt. Diese Decke von Seide und Sammet ist sehr dünn, und die Barcarolen aus den Pallästen haben viermal so große und weite Ohren als unsere Barcarolen von der Piazza. – Nimm mich mit in dein Zimmer, sagte er, als sie am Eingange der Corte-Minelli ausgestiegen waren.

– Du weißt, daß dies gegen die Abrede und gegen unsere Gewohnheit ist, antwortete sie.

– O, schlage mir's nicht ab, schrie Anzoleto, du würdest mich in Wuth und Verzweiflung stürzen.

Von seinem Ton und von seinen Worten erschreckt wagte Consuelo es ihm nicht abzuschlagen. Sie zündete ihre Lampe an und zog ihre Vorhänge zu. Und da sie ihn nun düster und wie verloren in Gedanken sah, umschlang sie ihn mit ihren Armen.

– Wie unglücklich und sorgenvoll siehst du heut Abend aus! sagte sie traurig. Was geht denn in dir vor?

– Weißt du es nicht, Consuelo? Kannst du es nicht vermuthen?

– Nein, bei meiner Seligkeit!

– Schwöre mir, daß du nichts ahnst, schwöre mir bei der Seele deiner Mutter, bei deinem Jesus, zu dem du alle Morgen und alle Abende betest.

– O, ich schwöre dir's bei Jesus und bei meiner Mutter Seele.

– Und bei unserer Liebe?

– Bei unserer Liebe und bei unserem ewigen Heil!

– Ich glaube dir, Consuelo, denn es wäre das erste mal, daß du gelogen hättest.

– Und wirst du mir jetzt erklären? ...

– Nichts werde ich dir erklären. Vielleicht wird es bald nöthig sein, daß ich mich begreiflich mache ... Ha! kommt dieser Augenblick, dann wirst du nur zu gut schon von selbst begriffen haben. Weh, weh uns beiden, wenn der Tag kommt, wo du weißt was ich jetzt leide!

– Mein Gott, was für ein schreckliches Unglück steht uns denn bevor? O wehe! Mußten wir also doch unter Gott weiß welchem Fluche meine arme Stube wieder betreten, wo wir bis dahin noch kein Geheimniß vor einander hatten. O, ich wußt' es vorher, heute Morgen, als ich sie verließ; ich wußt' es vorher, daß ich zurückkommen würde den Tod im Herzen. Was that ich nur, daß ich mich eines solchen Tages nicht freuen darf, der doch so schön zu sein schien? Hab' ich nicht inbrünstig und aus Herzens Grund gebetet? Hab' ich nicht jeden Gedanken von Hochmuth aus meiner Seele gerissen? Hab' ich nicht gesungen so gut als ich nur irgend konnte? Hab' ich nicht Clorindens Demüthigung beklagt? Hab' ich nicht dem Grafen, ohne daß er es weiß und ohne daß er es nun noch verweigern kann, das Versprechen abgenommen, daß sie mit uns als seconda Donna engagirt werden soll? Was hab' ich denn also Böses gethan, daß ich solche Schmerzen leiden müßte, wie du mir vorhersagst, und die ich wahrlich schon empfinde, weil du, weil du sie fühlst?

– Wirklich, Consuelo, hast du daran gedacht, der Clorinda ein Engagement zu verschaffen?

– Es ist ihr gewiß, wenn der Graf ein Mann von Wort ist. Dem armen Mädchen stand ihr ganzer Sinn nach dem Theater; sie hat ja auch keine andere Aussicht ...

– Und du glaubst, der Graf werde die Rosalba gehen lassen, die etwas kann, und dafür die Clorinda nehmen, die nichts kann?

– Die Rosalba wird das Loos ihrer Schwester Corilla theilen; und der Clorinda wollen wir schon Unterricht geben, und ihr zeigen, was sie aus ihrer Stimme, die recht hübsch ist, machen kann. Das Publikum wird es mit einem so schönen Mädchen nicht all zu genau nehmen. Und wenn ich für sie übrigens auch nur die Stelle der dritten Donna erhalte, so ist es doch immer eine Stelle, es ist ein Eintritt in die Carrière, es ist ein Anfang.

– Du bist eine Heilige, Consuelo. Begreifst du nicht, daß dieses dumme Thier, das sich mehr als glücklich schätzen müßte, durch deine Güte dritte oder vierte Frau zu werden, es dir doch nimmer verzeihen wird, daß du die erste bist? ...

– Was geht mich ihr Undank an? Geh doch, ich habe schon genug erfahren von Undankbarkeit und undankbaren Menschen! –

– Du? rief Anzoleto laut auflachend und sie mit seiner alten brüderlichen Herzlichkeit umschlingend.

– Ja, ich! erwiderte sie, voll Freude daß sie seine Sorgen zerstreut hatte; ich habe das Bild meines edeln Meisters Porpora bisher immer vor Augen gehabt und es wird mir stets in's Herz gegraben sein. Oft sind ihm in meinem Beisein bittere und bedeutsame Worte entfahren, die er mich unfähig glaubte zu verstehen, aber sie haben sich in mein Herz gedrückt und werden mir nie wieder entschwinden. Das ist ein Mann, der viel gelitten hat, und den der Gram verzehrt. Durch ihn, durch seine Trübsale, durch all den vielen in ihm aufgehäuften Groll, durch die Worte, die ihm in meiner Gegenwart entfielen, habe ich gelernt, daß die Künstler gefährlichere und schlechtere Menschen sind, als du wohl denkst, mein lieber Engel! daß das Publicum leichtsinnig, vergeßlich, hartherzig, ungerecht ist; daß eine glänzende Laufbahn ein schweres Kreuz und der Ruhm eine Dornenkrone ist! Ja, ich weiß alles, und ich habe oft daran gedacht, und viel darüber nachgesonnen, so daß ich mich stark genug fühle, nicht sehr zu staunen und mich nicht zu sehr niederschlagen zu lassen, wenn ich es nun an mir selbst erfahren werde. Das ist der Grund, weshalb du mich nicht zu sehr von meinem heutigen Triumphe berauscht gesehen hast. Das ist der Grund, weshalb mich auch in diesem Augenblicke deine schwarzen Gedanken nicht muthlos machen. Ich begreife diese noch nicht, aber ich weiß, daß ich mit dir, und wenn du mich nur liebst, Kraft genug zum Kampfe haben werde, um nicht in Menschenhaß zu fallen, wie mein armer Meister, der ein edler Greis und recht ein Unglückskind ist.

Als Anzoleto seine Freundin so reden hörte, fand auch er seinen Muth und seine Heiterkeit wieder. Sie übte eine große Gewalt über ihn aus und täglich entdeckte er mehr in ihr eine Festigkeit des Charakters und eine Geradheit der Gesinnung, durch welche er das ergänzt fand, was ihm selbst fehlte. Die Schreckbilder der Eifersucht verschwanden, nachdem er sich eine Viertel Stunde mit ihr unterhalten hatte, und als sie ihn noch einmal befragte, schämte er sich seines Argwohns gegen eine so reine und so ruhige Seele dergestalt, daß er seiner Aufregung andere Ursachen unterlegte.

– Ich habe nur eine Furcht, sagte er ihr, nämlich daß der Graf deine Ueberlegenheit genug erkenne, um mich nicht werth zu achten, daß ich neben dir vor dem Publikum erscheine. Er hat mich heute Abend nicht singen lassen, obgleich ich lauerte, daß er uns ein Duett vorlegen möchte. Er schien mich so ganz vergessen zu haben, als ob ich gar nicht da wäre. Er hat nicht einmal bemerkt, daß ich zu deinem Gesange recht hübsch begleitet habe. Und endlich, als er dir von deinem Engagement sprach, hat er kein Wort von dem meinigen gesagt. Ist dir denn eine so seltsame Sache gar nicht aufgefallen?

– Es ist mir nicht in den Sinn gekommen, daß er mich könnte ohne dich engagiren wollen. Weiß er denn nicht, daß mich dazu nichts bewegen könnte, daß wir versprochen sind, daß wir uns lieben? Hast du ihm denn das nicht ganz bestimmt und deutlich gesagt?

– Gesagt habe ich es ihm, indessen glaubt er vielleicht, es sei nur eine Prahlerei von mir, Consuelo!

– Dann werde ich selbst mit meiner Liebe prahlen, Anzoleto; ich werde ihm alles so richtig sagen, daß er nicht mehr zweifeln soll. Aber du täuschest dich, mein Freund! Der Graf hat von deinem Engagement nicht gesprochen, weil das eine abgemachte und beschlossene Sache ist, seitdem du mit so großem Beifall bei ihm gesungen hast.

– Aber nicht abgeschlossen! Und dein Contract soll morgen abgeschlossen werden, das hat er dir gesagt.

– Meinst du, daß ich ihn zuerst unterzeichnen werde? O, nicht doch! Es ist gut, daß du mich vorsichtig gemacht hast. Mein Name soll nicht anders daran stehen als unter dem deinigen.

– Schwörst du mir das?

– O pfui, willst du mich um eine Sache schwören lassen, welche du so gewiß weißt? Wahrhaftig, du hast mich heute Abend nicht lieb, oder du willst mir wehe thun, denn du stellst dich, als ob du an meiner Liebe zweifeltest.

Bei diesem Gedanken schwollen Consuelo's Augen an, und sie setzte sich mit einer kleinen schmollenden Miene, die ihr reizend stand.

– Im Grunde bin ich toll und närrisch, dachte Anzoleto. Wie mochte ich nur einen Augenblick daran denken, daß es dem Grafen glücken könnte, eine so reine Seele, und eine so vollkommene Liebe zu besiegen? Ist er doch genug bewandert, um auf den ersten Blick zu erkennen, daß Consuelo kein Fang für ihn ist! Hätte er wohl aus bloßer Großmuth mich heute Abend an seiner Stelle in die Gondel steigen lassen? Oder hat er nicht vielmehr deutlich vorausgesehen, daß er an ihrer Seite die Rolle eines lächerlichen Gecken gespielt haben würde? Nein, nein! mein Loos ist mir gewiß, meine Stellung ist unnehmbar. Möge ihm doch Consuelo gefallen, möge er sie doch lieben, möge er ihr doch den Hof machen, das alles wird ja nur dazu dienen, mein Glück zu befördern, denn sie wird alles von ihm erlangen, was sie will, ohne sich blos zu geben. Consuelo wird in diesen Sachen bald besser Bescheid wissen als ich. Sie ist fest, sie ist klug. Die Anmaßungen des lieben Grafen werden mir zum Vortheile und zur Ehre ausschlagen.

Und allen seinen Zweifeln im Herzen absagend, warf er sich zu den Füßen seiner Freundin nieder und überließ sich den Entzückungen der Leidenschaft, die ihn jetzt für sie durchglühte, und die nur seit einigen Stunden von seiner Eifersucht zurückgehalten war.

– O meine Schöne! meine Heilige! mein Teufel! meine Königin! rief er aus, vergieb mir, daß ich nur an mich gedacht habe, anstatt mich vor dir niederzuwerfen und dich anzubeten, wie ich es gesollt hätte, seit wir allein sind in dieser Stube! Ich habe sie heute morgen im Zank mit dir verlassen. Ja, ja, ich hätte sie nicht anders wieder betreten sollen, als mich auf meinen Knien schleppend! Wie kannst du noch solch ein Thier, wie ich bin, lieben und freundlich anlächeln? Zerschlage deinen Fächer auf meinem Gesichte, Consuelo. Setze deinen Fuß auf meinen Kopf. Du bist größer um hundert Ellen als ich, und ich bin dein Sklave, von heute an auf ewig.

– Ich verdiene diese schönen Worte nicht, erwiderte sie, sich seinem Drücken überlassend. Deine Zerstreuungen entschuldige ich gern, denn ich weiß sie mir zu erklären. Ich sehe wohl, daß die Furcht von mir getrennt zu werden, und ein Leben zerspalten zu sehen, das nur eines für uns beide sein kann, dir diesen Kummer und Zweifelmuth eingeflößt hat. Du hast nicht auf Gott vertraut, und das ist viel schlimmer als wenn du mir eine Schlechtigkeit vorgeworfen hättest. Aber ich werde für dich beten und sprechen: Herr, vergieb ihm, wie ich ihm vergebe.

Sie äußerte nun ihre Liebe ohne Rückhalt, und in ihrer schlichten Weise, und mischte, wie immer, jene spanische Devotion hinein, voll irdischer Zärtlichkeit und ungezwungener Hingebung: wie war sie da so schön! Die Ermüdung und Aufregung des Abends hatten ein so liebliches Schmachten über sie verbreitet, daß Anzoleto, schon verzückt durch jene Vergötterung, aus welcher er herkam, und durch welche sie ihm in einer neuen Gestalt erschienen war, endlich alle Raserei einer heftigen Leidenschaft für dieses Schwesterchen fühlte, das er bis dahin so ruhig und still geliebt hatte. Er war einer von denen, welche sich nur für das entflammen was von andern erst durch Lob, Verlangen und Wetteifer verherrlicht worden ist. Die Wonne, den Gegenstand so vieler Wünsche, welche er um sich her entglühen und lodern gesehen, sein zu nennen, jagte in ihm nicht mehr zu zügelnde Begierden auf, und zum erstenmale war Consuelo in seinen Armen wirklich in Gefahr.

– Sei meine Geliebte, stammelte er, sei mein Weib. Sei ganz mein und auf ewig.

– Wann du willst, antwortete Consuelo mit englischem Lächeln. Morgen, wenn du willst.

– Morgen! Warum erst morgen?

– Du hast recht, Mitternacht ist vorüber, und wir können uns schon heut heirathen. Sobald es Tag wird, können wir zu dem Priester gehen. Wir haben beide keine Eltern, es wird nicht viele Umstände machen. Ich habe mein Indiennekleid, das ich nun noch nicht getragen habe. Siehst du, mein Freund, als ich es mir machte, dachte ich: um mir ein Hochzeitkleid zu schaffen, wird mein Geld nicht reichen; und wenn mein Freund mit mir an einem dieser Tage Hochzeit machen wollte, so müßte ich in einem Kleide, das schon eingeweiht wäre, zur Kirche gehen. Das bringt Unglück, sagen die Leute. Als mir dann meine Mutter im Traume erschien und es mir wegnahm und in den Schrank hängte, wußte sie wohl, was sie that, die arme Seele! Es ist also alles in Bereitschaft. Morgen, mit Sonnenaufgang werden wir uns die Treue geloben. Und damit hast du gewartet, schlechter Mensch! um erst Gewißheit zu erlangen, ob ich auch nicht häßlich wäre?

– O, Consuelo! rief Anzoleto gepeinigt, du bist ein Kind, ein wahres Kind! Wir können uns ja nicht so von heut auf morgen heirathen, ohne daß es bekannt werde; und der Graf und Porpora, deren Protection uns noch so nöthig ist, würden über uns wer weiß wie aufgebracht sein, wenn wir einen solchen Entschluß faßten, ohne sie um Rath gefragt, ohne sie auch nur davon benachrichtigt zu haben. Dein alter Lehrer ist mir nicht besonders gut, und der Graf, wie ich von guter Hand habe, hat die verheiratheten Sängerinnen nicht gern. Wir brauchen Zeit, um ihnen ihre Einwilligung zu unserer Heirath abzugewinnen; oder wir müssen doch wenigstens ein Paar Tage haben, wenn wir uns im Stillen heirathen wollen, um eine Sache, die so viel Behutsamkeit erfordert, heimlich einzuleiten. Wir können nicht nach San Samuel laufen, wo uns alle Welt kennt, und wo nur die erste beste alte Klatschschwester zu sein braucht, um die Sache in Zeit von einer Stunde im ganzen Kirchspiel herumzubringen.

– An das alles habe ich nicht gedacht, antwortete Consuelo. Aber sage, was wolltest du denn jetzt eben? Warum sprachst du schlechter Mensch: »sei meine Frau!« wenn du doch wußtest, daß es noch nicht anginge? Ich habe nicht davon angefangen, Anzoleto! Ich habe zwar oft genug daran gedacht, daß wir jetzt in dem Alter wären, einander zu heirathen, und an die Hindernisse, von denen du sprichst, habe ich nie gedacht, allein ich hatte es mir zur Pflicht gemacht, die Bestimmung darüber deiner Klugheit, und, soll ich so sagen? deiner Eingebung zu überlassen; denn ich sah wohl, daß du keine große Eile hattest, mich deine Frau zu nennen, und ich zürnte dir darum nicht. Du hast mir oft gesagt, man müßte, ehe man einen Hausstand gründet, die Lage seiner zukünftigen Familie sichern, indem man sich einige Hülfsquellen eröffnet. Meine Mutter sagte dasselbe, und ich finde es vernünftig. Also, wohl überlegt, wäre es in der That noch zu früh. Unser beider Engagement beim Theater muß erst fest sein, nicht wahr? Wir müssen uns wohl sogar erst die Gunst des Publikums gesichert haben. Wir wollen deshalb erst nach unserem Debüt wieder von der Sache reden. Was wirst du so blaß? O mein Gott! was ballst du so die Fäuste, Anzoleto? Sind wir nicht glücklich? Wir haben ja kein Gelübde nöthig, das uns bände, um einander zu lieben und einer des andern gewiß zu sein

– O Consuelo! wie ruhig bist du, wie rein bist du, wie kalt bist du! schrie Anzoleto in einer Art von Wuth.

– Ich, kalt! rief die junge Spanierin staunend und roth vor Unwillen aus.

– Ach, ich liebe dich, wie man ein Weib nur lieben kann, und du hörst mich an und antwortest mir wie ein Kind. Von Freundschaft weißt du allein, von der Liebe verstehst du nichts. Mich martert es, mich verbrennt es, mich tödtet es zu deinen Füßen, und du sprichst mir vom Priester, vom Kleid und vom Theater.

Consuelo, welche mit Ungestüm aufgestanden war, setzte sich wieder, verwirrt und über und über zitternd. Sie schwieg eine lange Zeit still, und als ihr Anzoleto neue Liebkosungen entreißen wollte, stieß sie ihn sanft zurück.

– Höre mich, sprach sie, man muß sich verständigen und sich kennen. Du hältst mich in der That für zu kindisch und es wäre eine läppische Ziererei von mir, wenn ich dir nicht gestünde, daß ich dich jetzt recht gut verstehe. Ich habe nicht drei Viertel von ganz Europa mit Leuten aller Art durchstrichen, ich habe nicht die ungebundenen und wüsten Sitten der herumziehenden Künstler in der Nähe gesehen, ich habe nicht, Gott sei es geklagt! die schlecht verhehlten Geheimnisse meiner Mutter errathen, – um nicht zu wissen, was übrigens jedes Mädchen vom Volke in meinem Alter weiß. Aber ich habe mich nicht entschließen können, zu glauben, Anzoleto, daß du mich würdest verleiten wollen, einen Eidschwur, den ich vor Gott in die Hände meiner sterbenden Mutter niedergelegt, zu brechen. Ich halte nicht viel von dem, was die Patrizierinnen, deren Geschwätz ich manchmal höre, ihren guten Ruf nennen. Ich bin zu unbedeutend in der Welt, um meine Ehre daran zu hängen, ob man mir ein bischen mehr oder minder Keuschheit zutraut; aber ich sehe meine Ehre darin, zu halten was ich versprochen habe, so wie ich auch die deinige darin suche, daß du hältst was du versprochen hast. Ich bin vielleicht keine so gute Katholikin, als ich es zu sein wünschte. Ich habe so wenig Unterricht in der Religion gehabt. Ich habe keine so schönen Sittenlehren und Tugendvorschriften erlangen können wie die jungen Mädchen der Scuola, die im Kloster erzogen und von früh bis spät in Gottes Wort unterrichtet werden. Aber ich handle, wie ich es weiß und wie ich kann. Ich glaube nicht, daß es unsere Liebe mit Unreinigkeit besudeln konnte, wenn sie mit den Jahren ein wenig lebhafter geworden ist. Ich zähle nicht eben ängstlich die Küsse, die ich dir gebe, aber ich weiß, daß wir meiner Mutter nicht ungehorsam gewesen sind, und daß ich ihr nicht ungehorsam sein werde, um eine Ungeduld zu befriedigen, welche sich leicht unterdrücken läßt.

– Leicht, schrie Anzoleto, indem er sie glühend an seine Brust drückte; leicht! ich wußte es wohl, daß du kalt bist.

– So kalt du willst, antwortete sie, indem sie sich aus seinen Armen losmachte. Gott, der in meinem Herzen liest, weiß es, wie ich dich liebe!

– Gut, gut! wirf dich denn an seine Brust, rief Anzoleto unwillig; die meinige ist freilich keine so sichere Zuflucht. Und ich will mich davon machen, damit ich nicht gottlos werde.

Er lief zur Thüre; er glaubte, daß Consuelo sich beeilen würde, ihn zurückzuhalten, denn sie hatte sich niemals mitten in einem Streite, wie unbedeutend er war, von ihm zu trennen vermocht, ohne zu versuchen, ob sie ihn nicht besänftigen könnte. Sie machte auch wirklich eine hastige Bewegung ihm nach; dann blieb sie stehen, sah ihn hinausgehen, lief ebenfalls zur Thüre, und legte die Hand an den Drücker, um zu öffnen und ihn wieder hereinzurufen. Allein, zu ihrem Entschluß zurückgedrängt durch eine übermenschliche Macht, schob sie den Riegel hinter ihm vor, und – überwältigt von zu heftigem Kampfe, fiel sie starr, in Ohnmacht auf den Boden und blieb regungslos liegen, bis es Tag ward.

14.

– Ich gestehe dir, daß ich sterblich in sie verliebt bin, sagte in derselben Nacht Graf Zustiniani zu seinem Freunde Barberigo, gegen zwei Uhr Morgens, auf dem Balcon seines Pallastes in das Schweigen und Dunkel der Nacht hinaus.

– Das heißt, gibst du mir zu verstehen, ich soll mich hüten, es zu werden, antwortete der junge, glänzende Barberigo; ich will mich auch fügen, denn deine Ansprüche gehen den meinigen vor. Das aber frage ich dich. Wenn etwa die Corilla das Glück haben sollte, dich wieder in ihre Netze einzufangen, wolltest du nicht dann die Güte haben, es mich wissen zu lassen, damit ich auch meinerseits versuchen könnte, mir Gehör zu verschaffen? ...

– Denke nicht daran, wenn du mich lieb hast. Die Corilla ist immer nur ein Spielwerk für mich gewesen. Ich sehe dir's am Gesicht an, du willst spotten?

– Nein! ich denke nur daran, daß das doch ein sehr ernsthaftes Spielwerk ist, was uns zu so bedeutenden Ausgaben und zu so großen Thorheiten verleitet.

– Nimm an, ich habe für meine kleinen Freuden Feuer genug, daß ich keine Kosten scheue, um mir ihre Fortdauer zu sichern. Im gegenwärtigen Falle jedoch ist es mehr als ein Verlangen; es ist, dünkt mich, eine Leidenschaft. Ich habe noch kein Geschöpf von einer so seltsamen Schönheit gesehen, wie diese Consuelo; sie ist wie das Flämmchen einer Lampe, welches von Zeit zu Zeit erblaßt, und wenn es eben im Erlöschen scheint, dann plötzlich mit einer Helle aufleuchtet, um die Sterne zu verdunkeln, wie unsere Poeten sagen.b

– Ach! seufzte Barberigo, dieses schwarze Kleidchen und dieses weiße Krägelchen, dieser halb armselige, halb devote Anzug, dieses bleiche, stille und auf den ersten Blick glanzlose Angesicht, diese abgerundeten und ungezwungenen Bewegungen, diese staunenswerthe Freiheit von aller und jeder Coquetterie – wie umgewandelt und verklärt erscheint das alles, wenn sie sich im Gesange von ihrem eigenen Genius hinreißen läßt! Glücklicher Zustiniani, der du die Zukunft dieser erwachenden Ambition in Händen hast!

– Warum ist mir doch dieses Glück nicht gewiß, um das du mich beneidest! Aber ich hab' im Gegentheile große Furcht, daß ich da von allen den weiblichen Leidenschaften, die mir bekannt sind, und die sich so leicht in Bewegung setzen lassen, nichts antreffen werde. Solltest du denken, Freund, daß dieses kleine Mädchen mir nach einem ganzen Tage des Sondirens und Beobachtens ein vollkommenes Räthsel geblieben ist? Ich glaube fast, nach ihrer Sicherheit und meinem Ungeschick zu urtheilen, bin ich bereits in solchem Maße von ihr eingenommen, daß ich nicht mehr klar sehe.

– Wahrhaftig, du bist eingenommener als du solltest, denn du bist wirklich blind. Ich, der ich nicht von Hoffnungen befangen bin, könnte dir in drei Worten erklären, was dir unbegreiflich schien. Consuelo ist ein Blümchen Unschuld; sie liebt den kleinen Anzoleto; sie wird ihn noch ein paar Tage lieben; und wenn du dieses Attachement brüskirst, so wirst du ihm neue Kräfte zuwenden. Wenn du aber den Schein annimmst, nicht darauf zu achten, so wird sie Vergleichungen zwischen ihm und dir anstellen, und diese werden bald ihre Liebe abkühlen.

– Er ist aber schön, wie ein Apollo, dieser kleine Schlingel; er hat eine magnifique Stimme, und er wird Glück machen. Die Corilla ist schon ganz vernarrt in ihn. Er ist ein gar nicht so verächtlicher Nebenbuhler bei einem Mädchen, welches Augen hat.

– Er ist aber arm, und du bist reich; er ist ein dunkles Subject und du bist allmächtig, versetzte Barberigo. Die Hauptsache wäre, zu erfahren, ob er ihr Amant oder ihr Freund ist. Im ersteren Falle wird die Enttäuschung geschwinder für Consuelo eintreten; im anderen Falle wird es einen Kampf zwischen ihnen setzen, und dein Bangen wird verlängert werden.

– Demnach müßte ich gerade das wünschen was ich erschrecklich fürchte, was mich, wenn ich nur daran denke, toll vor Wuth macht. Was hältst du für wahrscheinlich?

– Ich glaube, daß sie keine Amour haben.

– Undenkbar! Der Bursche ist liederlich, dreist, hitzig; und dann die Sitten dieses Volkes!

– Consuelo ist ein Wunder in allen Stücken. Du hast noch nicht Erfahrung genug, ungeachtet all deines Glückes bei den Frauen, lieber Zustiniani, wenn du es nicht diesem Mädchen an jeder Bewegung, an jedem Wort, an jeder Miene abmerkst, daß sie rein wie der Cristall im Schoße des Berges ist.

– Du entzückst mich.

– Sachte! das ist Narrheit, Vorurtheil. Wenn du Consuelo liebst, verheirathe sie morgen, und in acht Tagen hat ihr Herr ihr die Last einer Kette, die Qualen der Eifersucht, die Unerträglichkeit eines mürrischen, ungerechten und treulosen Wächters zu fühlen gegeben; denn der schöne Anzoleto wird das alles sein. Ich habe ihn gestern zwischen der Consuelo und der Clorinda beobachtet, um mich in den Stand zu setzen, ihm seine Sünden und seine bösen Schicksale vorauszusagen. Folge meinem Rathe, Freund, und du wirst bald Ursach haben, mir zu danken. Das Eheband ist unter Leuten dieses Schlages leicht zu lockern, und du weißt wohl, bei dieser Art Frauen ist die Liebe eine entflammte Einbildung, die sich nur an den Hindernissen nährt und steigert.

– Du setzest mich in Verzweiflung, antwortete der Graf, und dennoch sehe ich ein, daß du Recht hast.

Zum Unglück für die Pläne des Grafen Zustiniani, hatte dieses Gespräch einen Zuhörer, auf welchen man nicht rechnete, und dem keine Sylbe davon entging. Nach seiner Trennung von Consuelo, war Anzoleto, aufs neue von Eifersucht gespornt, nach dem Pallaste seines Beschützers zurückgekehrt und umschlich diesen, um sich zu überzeugen, ob nicht etwa eine Entführung im Werke wäre, wie sie damals häufig statt fand und den Patriziern fast ohne Ausnahme straflos hinging. Er vernahm nichts weiter als das Erzählte. Denn der Mond, welcher inzwischen über den Giebeln des Pallastes emporgestiegen war, zeichnete Anzoleto's Schatten auf dem Steinpflaster allmählig immer deutlicher ab, und da nunmehr die beiden jungen Herrn die Anwesenheit eines Menschen unter dem Balcon bemerkten, zogen sie sich zurück und schlossen das Fenster.

Anzoleto eilte hinweg, um in Freiheit über das was er gehört hatte, nachzudenken. Er hatte auch gerade genug gehört, um zu wissen, woran er sich zu halten hätte und um von den tugendhaften Rathschlägen, die Barberigo seinem Freunde gab, Vortheil für sich zu ziehen. Er schlief kaum zwei Stunden gegen.Morgen, und lief dann sogleich nach der Corte-Minelli. Consuelo's Thür war noch verriegelt, aber durch die Spalten dieser schlecht verwahrten Schutzwehr sah er, daß sie noch ganz angekleidet, schlafend, bleich und regungslos wie eine Todte, auf ihrem Bette lag. Die Morgenkühle hatte sie aus ihrer Ohnmacht geweckt, und zu schwach, um sich auszukleiden, hatte sie sich, wie sie war, auf das Lager geworfen. Er stand eine Weile und betrachtete sie voll Unruhe und Gewissensangst. Bald ward er ungeduldig und geängstet von diesem tiefen Schlafe, welcher der wachsamen Gewohnheit seiner Freundin so ganz widersprach, erweiterte er sacht eine Spalte vermittelst seines Messers, steckte die Klinge dann hindurch und schob damit den Riegel zurück. Es ging dies nicht ohne einiges Geräusch ab, jedoch Consuelo war so von Müdigkeit zerschlagen, daß sie nicht davon erwachte. Er trat ein, verschloß die Thüre wieder, kniete neben ihrem Kopfkissen nieder und wartete, bis sie die Augen öffnete. Als Consuelo ihn erblickte, war ihre erste Regung ein Freudenschrei, aber schnell ließ sie die Arme, welche sie um seinen Hals geschlungen hatte, wieder sinken und wich vor ihm mit einer Geberde des Entsetzens zurück.

– Du hast jetzt Furcht vor mir, und statt mich zu umarmen, willst du vor mir fliehen! sagte er mit schmerzlichem Tone. Ach! wie hart bin ich für mein Vergehen gestraft. Vergieb mir, Consuelo, und siehe, ob du deinem Freunde nicht vertrauen darfst. Eine gute Stunde bin ich nun schon da, und sah dich an, wie du schliefst. O, vergieb mir, meine Schwester! es ist das erste und das letzte mal in deinem Leben, daß du Ursach haben sollst, deinen Bruder zu tadeln und zurückzustoßen. Nie will ich wieder die Heiligkeit unserer Liebe durch sträfliche Aufwallungen entweihen. Verlaß mich, jage mich von dir, wenn ich mein Gelübde jemals breche. Sieh, hier bei deinem jungfräulichen Lager, bei dem Todtenbette deiner armen Mutter schwöre ich dir, dir Achtung zu beweisen wie bisher, und auch nicht einen einzigen Kuß von dir zu fordern, wenn du es verlangst, bis uns der Priester eingesegnet haben wird. Bist du so mit mir zufrieden, liebe, fromme Consuelo?

Consuelo drückte statt der Antwort den blonden Kopf des Venetianers an ihr Herz und benetzte ihn mit Thränen. Dieser Erguß schaffte ihr Erleichterung; und bald nachher sagte sie, auf ihr kleines hartes Kissen zurücksinkend:

– Ich gestehe dir, daß ich ganz hin bin; denn diese ganze Nacht hab' ich kein Auge zuthun können. Wir hatten uns so schlimm verlassen!

– Schlaf, Consuelo, schlaf, mein lieber Engel, antwortete Anzoleto; erinnere dich der Nacht, wo du mir erlaubtest auf deinem Bette zu ruhen, während du betetest und an diesem Tischchen arbeitetest. Jetzt ist es an mir, deine Ruhe zu behüten und zu bewachen. Schlafe noch, mein Kind. Ich will in deinen Notenblättern und nur leise lesen, während du noch eine Stunde oder zweie schläfst. Niemand wird heute, wenn es anders heute noch geschieht, vor Abend nach uns fragen. Schlaf also und zeige mir durch dieses Vertrauen, daß du mir vergiebst und den Glauben an mich nicht verloren hast.

Consuelo antwortete ihm mit einem seligen Lächeln. Er küßte sie auf die Stirn, und setzte sich an das Tischchen. Indessen befing sie ein wohlthätiger Schlaf, in den sich die holdesten Träume mischten.

Anzoleto hatte zu lange in Ruhe und Unschuld an der Seite dieses Mädchens gelebt, als daß es ihm schwer werden konnte, nach einem einzigen Tage der Aufregung, sein gewohntes Wesen wieder anzunehmen. Diese brüderliche Zuneigung war, so zu sagen, der normale Zustand seiner Seele. Auch war das, was er in der Nacht unter Zustiniani's Balcon gehört hatte, ganz dazu geeignet, ihn in seinen Entschlüssen zu bestärken. Schönen Dank, ihr werthen Herren! sagte er für sich, ihr habt mir einen Unterricht in der Moral nach euerer Façon gegeben, und der kleine Schlingel wird davon profitiren, ganz so gut wie ein Roué eueres Schlages. Kühlt der Besitz die Liebe ab, bringen die ehelichen Rechte Sättigung und Ekel mit sich, nun, so wollen wir diese Flamme rein erhalten, die euch so leicht auszulöschen scheint. Wir werden uns zu mäßigen wissen, wir werden uns der Eifersucht, wie der Untreue und selbst der Freuden der Liebe enthalten. Erlauchter und weiser Barberigo, Dero Prophezeihungen berathen uns trefflich und es frommt, in Dero Schule zu gehen!

Unter diesen Gedanken ward auch Anzoleto von der Müdigkeit nach einer fast ganz durchwachten Nacht besiegt und schlief ein, das Gesicht in den Händen und die Ellbogen auf dem Tische. Er schlummerte jedoch nur leicht, und als die Sonne zu sinken anfing, erhob er sich, um nachzusehen, ob Consuelo noch schliefe. Das Abendlicht drang durch das Fenster herein und goß einen prächtigen Purpurschein über das alte Bett und die schöne Schläferin. Sie hatte sich aus ihrer weißen Mousseline-Mantille einen Vorhang gemacht, und diesen am Fuße des Crucifixes, das an der Mauer über ihrem Kopfe angenagelt war, befestigt. Dieser leichte Schleier floß anmuthig auf die biegsamen und wunderbar verhältnißmäßigen Formen ihres Körpers nieder; und so in einem rosigen Zwielichte lag sie, das Köpfchen gesenkt, wie eine Blume, wenn der Abend naht, die Schultern überflutet von ihrem schönen Haar, das dunkel von der weißen, glanzlosen Haut abstach, die Hände auf der Brust gefaltet, wie aus weißem Marmor eine Heilige auf ihrem Grabmal, so keusch und engellieblich, daß Anzoleto still ausrief: Ach, Graf Zustiniani! könntest du sie doch in diesem Augenblicke sehen, und mich bei ihr, den vorsichtigen, wachsamen Hüter eines Schatzes, nach welchem es dich umsonst gelüsten wird.

In eben diesem Augenblicke ließ sich außen ein leises Geräusch vernehmen. Anzoleto erkannte das Klatschen des Wassers gegen den Mauersockel unter Consuelo's Zimmer. Selten nur legten Gondeln bei der armseligen Corte-Minelli an, und überdies hielt ein Dämon Anzoleto's Ahnungskraft wach: er stieg auf einen Stuhl und konnte so ein kleines Giebelfenster erreichen, welches dicht am Plafond, auf die Seite wo das Haus am Canaletto lag, hinausging. Er sah deutlich, wie Graf Zustiniani aus seiner Barke stieg und die balbnackten Kinder befragte, die am Ufer spielten. Er war in Zweifel, ob er seine Freundin wecken, oder die Thür verschlossen halten sollte. Aber während der Graf zehn Minuten damit verlor, Consuelo's Mansarde zu erfragen und aufzusuchen, hatte Anzoleto Zeit, eine teuflische Kaltblütigkeit anzulegen, die Thür ein wenig zu öffnen, so daß man ungehindert und geräuschlos eintreten konnte, und sich an das Tischchen zu setzen, wo er eine Feder ergriff, und that, als ob er Noten schriebe. Sein Herz schlug heftig, aber sein Gesicht war ruhig und undurchdringlich.

Der Graf trat ein, auf den Zehenspitzen, denn er machte sich ein neugieriges Vergnügen daraus, seinen Schützling zu überraschen, und freute sich auf den Anstrich von Armseligkeit, den er finden würde, und den er für vorzüglich geschickt hielt, seinen verderblichen Plan zu begünstigen. Er hatte Consuelo's Engagement, seinerseits bereits vollzogen, bei sich, und mit einem solchen Passe hoffte er, nicht gar zu wild und scheu empfangen zu werden. Beim ersten Blicke jedoch in dieses eigene Heiligthum, wo ein anbetungswürdiges Mädchen in englischer Ruhe schlief, unter den Augen ihres rücksichtsvollen oder befriedigten Liebhabers, verlor der arme Zustiniani seine Fassung, verwickelte sich in seinem Mantel, welchen er in gebieterischen Falten über die Schulter geworfen trug und schwankte dreimal hin und wieder zwischen dem Bette und dem Tischchen, ungewiß, an wen er sich wenden sollte. Anzoleto war für den Auftritt gestern Abend beim Einsteigen in die Gondel gerächt.

– Mein Herr und Gebieter! rief er endlich aus, indem er mit geheucheltem Erstaunen über diesen unverhofften Besuch sich erhob; ich will meine ... Braut wecken.

– Nein, entgegnete der Graf, schon wieder gesammelt, und kehrte ihm den Rücken zu, als ob er nur Consuelo gemächlicher betrachten wollte. Ich preise mich glücklich, sie so zu sehen. Ich verbiete dir, sie zu wecken.

Ja, ja, betrachte sie recht, dachte Anzoleto; es ist alles was ich wünschte.

Consuelo erwachte nicht, und der Graf drückte, mit angenommener Freundlichkeit und lächelnder Miene, seine Bewunderung ohne Zwang aus.

– Du hattest Recht, Zoto, sagte er gelassen, Consuelo ist die erste Sängerin Italiens, und ich habe mit Unrecht daran gezweifelt, daß sie das schönste Weib der Erde sei. ...

– Ew. Herrlichkeit fand sie indessen abscheulich, wendete Anzoleto boshaft ein.

– Und du hast ihr ohne Zweifel meine Grobheiten haarklein wiedererzählt? Ich habe mir aber vorgenommen, alles so vollständig wieder gut zu machen, daß ich mir wol Verzeihung auswirken und es dir unmöglich machen werde, durch Auffrischung meines Unrechts mir zu schaden.

– Ihnen zu schaden, theurer Herr! O, wie vermöchte ich das, selbst wenn ich wollte?

Consuelo bewegte sich ein wenig.

– Wir wollen sie nicht erschrecken, wenn sie aufwacht, sagte der Graf; räume mir doch den Tisch ab; ich will den Contract für sie darauf legen, und ihn noch einmal überlesen. Da, setzte er hinzu, nachdem Anzoleto sein Geheiß befolgt hatte, du kannst dies Papier durchlaufen, während sie noch schläft.

– Einen Contract vor dem Debüt! Das ist ja herrlich, mein edler Patron! und dann sogleich das Debüt? Noch ehe das Engagement der Corilla abgelaufen ist?

– Das soll mich nicht hindern. Es ist ein Reugeld von tausend Zechinen ausgemacht: wir werden zahlen; schönes Geschäft!

– Aber wenn die Corilla Cabalen anzettelt?

– Wir lassen sie unter die Bleidächer setzen, wenn sie Cabalen macht.

– Gott sei Dank! Ew. Herrlichkeit kennt keine Hindernisse.

– Allerdings, Zoto, antwortete der Graf barsch, so ist unsere Art; was wir wollen, das wollen wir, und aller Welt zum Trotze.

– Dieselben Bedingungen, welche die Corilla gehabt hat? Für eine Debütantin ohne Namen, ohne Ruf, dieselben Bedingungen wie für eine berühmte Sängerin, die vom Publicum vergöttert ist?

– Die neue Sängerin wird noch mehr vergöttert werden; und wenn ihr die Bedingungen der alten nicht anstehen, so braucht sie nur ein Wort zusagen und ich bewillige ihr das Doppelte. Es hängt ganz von ihr ab, fügte er etwas lauter hinzu, da er bemerkte daß Consuelo wach wurde, ihr Schicksal liegt ganz in ihren Händen.

Consuelo hatte das alles im halben Schlafe gehört. Nachdem sie sich die Augen gerieben, und sich überzeugt hatte, daß sie nicht träumte, schlüpfte sie, ohne sich die Seltsamkeit ihrer Lage einfallen zu lassen, in ihren Bettgang, steckte ihr Haar auf, unbesorgt um die Unordnung, in der es sich befand, hüllte sich in ihre Mantille und eilte, sich mit unbefangener Vertraulichkeit in das Gespräch zu mischen.

Herr Graf, sagte sie, das ist zu viel Güte, aber ich werde nicht so unverschämt sein, Gebrauch davon zu machen. Ich will diese Schrift nicht unterzeichnen, bevor ich nicht meine Kräfte vor dem Publicum versucht habe: es wäre nicht delicat von mir. Ich kann mißfallen, kann Fiasco machen, kann ausgezischt werden. Wenn ich an dem Tage heiser wäre, oder die Besinnung verlöre, oder recht häßlich aussähe, so hätten Sie Ihr Wort gegeben, Sie würden zu stolz sein, es zurückzunehmen, und ich zu stolz, es zu mißbrauchen ...

– Häßlich aussehen, Consuelo! rief der Graf, indem er sie mit entflammten Blicken ansah; Sie häßlich? Da, sehen Sie sich selbst, wie Sie da sind! Er nahm sie bei der Hand und führte sie zu ihrem Spiegel.

Anzoleto wollte schon mit den Zähnen knirschen, als er den Graf so zudringlich sah, allein der fröhliche Gleichmuth, womit Consuelo diese Fadheiten aufnahm, beruhigte ihn gleich wieder.

– Monsignore, sagte sie,indem sie das Stück Spiegel zurückwies, welches er ihr vor das Gesicht hielt, nehmen Sie sich in Acht, Sie möchten mir mein Restchen Spiegel entzweibrechen; ich habe noch keinen anderen besessen und er ist mir werth, denn er hat mich nie betrogen. Häßlich oder schön, ich nehme Ihre Freigebigkeit nicht an. Und dann muß ich Ihnen auch ehrlich sagen, daß ich nicht debütiren und in kein Engagement treten mag, wenn mein Bräutigam hier nicht zugleich engagirt wird. Ich will kein anderes Theater und kein anderes Publicum als das seinige. Wir können uns nicht trennen, denn wir wollen einander heirathen.

Diese kurze und bestimmte Erklärung machte den Grafen ein wenig bestürzt, jedoch faßte er sich sogleich wieder.

– Sie haben Recht, Consuelo, antwortete er: es ist auch meine Absicht, euch beide nicht zu trennen. Zoto soll mit Ihnen zugleich debütiren. Nur können wir nicht verhehlen, daß sein Talent, obwohl bemerkenswerth, dennoch dem Ihrigen untergeordnet ist.

– Das glaube ich nicht, versetzte Consuelo lebhaft und erröthete, als ob ihr selbst eine Beleidigung widerfahren wäre.

– Ich weiß wohl, sagte der Graf lächelnd, daß er Ihr Schüler mehr als des Lehrers ist, den ich ihm gegeben habe. Reden Sie nichts dawider, schöne Consuelo! Als Porpora von euerer Vertraulichkeit hörte, rief er aus: Nun wundere ich mich nicht mehr über manche Vorzüge, die er besitzt, und die ich mit seinen vielen Mängeln nicht zu vereinigen wußte!

– Ich bin dem Signor Professor sehr verbunden, sagte Anzoleto mit gezwungenem Lachen.

– Nun, er wird schon sehen! sagte Consuelo munter. Und das Publikum wird ihn auch Lügen strafen, den lieben, guten Meister.

– Der liebe, gute Meister, entgegnete der Graf, ist, was Gesang anlangt, der erste Richter und der erste Kenner der Welt. Anzoleto wird noch von Ihnen lernen, und wird sehr wohl daran thun. Aber ich muß wiederholen, daß wir keine Norm für sein Engagement feststellen können, bevor wir nicht die Meinung des Publicums über ihn befragt haben. Er soll debütiren, und wir werden suchen, ihn nach der Billigkeit und nach unserem Wohlwollen, auf welches er rechnen kann, zufriedenzustellen.

– Er soll debütiren, und ich auch, erwiderte Consuelo. Wir sind zu des Herrn Grafen Befehl. Aber keinen Contract, keine Unterschrift vor dem Versuche. das steht fest bei mir ...

– Sie sind mit den Bedingungen nicht zufrieden, die ich Ihnen anbiete, Consuelo? Wohlan, bestimmen Sie selbst: da, hier ist die Feder! streichen Sie, setzen Sie hinzu. Mein Name steht darunter.

Consuelo nahm die Feder. Anzoleto wechselte die Farbe, und der Graf, der ihn beobachtete, biß vor Vergnügen in den Zipfel seines Halstuchs, den er zwischen den Fingern drehte. Consuelo machte ein großes X über den Contract und schrieb auf die leere Stelle des Papieres: »Anzoleto und Consuelo werden sich engagiren, unter den Bedingungen, welche der Herr Graf Zustiniani, nach ihrem Debüt im Theater San Samuel nächsten Monat ihnen zu gewähren die Güte haben wird.« Sie unterzeichnete geschwind und reichte dann die Feder ihrem Geliebten.

– Zeichne, ohne hinzusehen, sagte sie zu ihm; du kannst nichts besseres thun, um deinem Wohlthäter deine Dankbarkeit und dein Vertrauen an den Tag zu legen.

Anzoleto hatte im Fluge gelesen, ehe er unterschrieb; Lesen und Unterschrift war Sache einer halben Minute. Der Graf las über seine Schulter hinweg.

– Consuelo, sagte er, Sie sind ein sonderbares Mädchen, wahrhaftig, ein bewundernswürdiges Geschöpf. Er zerriß den Contract und reichte Consuelo die Hand. Wollt ihr beide mit mir speisen? Consuelo nahm es an, bat aber den Grafen, sie mit Anzoleto in seiner Gondel zu erwarten, weil sie noch ein wenig Toilette machen müßte.

Das ist nun sicher, sagte sie, als sie allein war, ein Hochzeitkleid werde ich mir kaufen können. Sie zog ihr Indiennekleid an, brachte ihre Haare in Ordnung und sprang, während sie mit voller Stimme eine von Kraft und Frische sprudelnde Passage sang, die Treppe hinunter. Der Graf wartete aus übergroßer Höflichkeit mit Anzoleto auf der Treppe. Sie hatte sich dessen nicht versehen und rannte fast in seine Arme. Indem sie sich hurtig wieder losmachte, ergriff sie seine Hand und küßte sie nach Landessitte mit der Ehrfurcht einer Geringeren, welche den Abstand nicht überschreiten will. Dann wendete sie sich um, fiel ihrem Verlobten um den Hals und sprang vergnügt und muthwillig fort und in die Gondel hinein, ohne das ceremonielle Geleit ihres etwas verdrossenen Beschützers abzuwarten.

15.

Als der Graf sah, daß Consuelo den Lockungen des Gewinnes unzugänglich wäre, versuchte er die Triebfeder der Eitelkeit in Bewegung zu setzen, und bot ihr Schmuck und Geschmeide an: sie lehnte auch dieses ab. Anfangs bildete sich Zustiniani ein, daß sie seine geheimen Absichten durchschaute, aber bald bemerkte er, daß es bei ihr nur eine Art Bauernstolz war, und daß sie keine Belohnung annehmen wollte, ohne sie durch Leistungen zum Vortheile seines Theaters verdient zu haben. Indessen nöthigte er ihr doch ein Kleid von weißem Atlas auf: er stellte ihr vor, daß sie mit ihrem Indiennekleide nicht schicklich in seinem Salon erscheinen könnte, und daß er sie bitten müßte, aus Rücksicht für ihn, ihre Volkstracht abzulegen. Sie unterwarf sich und gab ihre schöne Taille den modischen Nähterinnen in die Hände, die sie sich nicht übel zu nutze machten und den Stoff nicht sparten. In zwei Tagen war sie in eine elegante Dame verwandelt; sie mußte noch eine Schnur lichter Perlen annehmen, welche ihr der Graf unter dem Titel einer Entschädigung für den Abend, wo sie vor ihm und seinen Freunden gesungen hatte, gab: und sie war auch so noch schön, obwohl nicht wie es zu dem Character ihrer Schönheit stimmte, aber wenigstens wie sie sein mußte, um gewöhnlichen Augen verständlich zu sein. Dies letztere ließ sich freilich nicht vollständig erreichen. Auf den ersten Anblick fesselte und blendete Consuelo Niemanden. Sie war immer blaß, und bei ihrer Gewohnheit viel zu arbeiten und bei ihrem sittsamen Wesen hatten ihre Blicke nicht jenes beständige Blitzen, wie es bei Frauen, die stets nur zu glänzen bedacht sind, die Augen anzunehmen pflegen. Ihr Wesen wie ihre Miene war von Grund aus ernst und denkend. Essen, gleichgültige Gespräche führen, sich im Zwange des Umgangs höflich langweilen konnte man sie sehen, ohne zu ahnen, daß sie schön wäre. Flog jedoch über ihre Mienen das selige Lächeln, welches sich der Heiterkeit ihres Herzens so leicht gesellte, so fing man an, sie angenehm zu finden. Wurde sie nun beseelter, nahm sie lebhafteren Antheil an dem was vorging, war sie gerührt, war sie begeistert, erhob sie sich zu Offenbarungen ihres inneren Lebens, zu Bethätigungen ihrer verborgenen Kraft, so strömte alles Feuer des Genius und der Liebe von ihr aus; sie war ein anderes Wesen; sie riß hin, entflammte, zerschmetterte, ganz wie es ihr gefiel, und ohne daß sie selbst sich Rechenschaft von dem Geheimniß ihrer Macht gab.

Auch fand sich der Graf durch sein Gefühl für sie befremdet und gequält. Es gab in diesem Weltmann künstlerische Saiten, die noch niemals angeschlagen waren, die aber von ihr berührt, in unbekannten Schwingungen erzitterten. Nur drang diese Offenbarung nicht tief genug in die Seele des Patriziers: er fühlte nicht die Ohnmacht und Armseligkeit seiner Versuchungen diesem Weibe gegenüber, das in Allem anders war als Alle, die er bis dahin verführt hatte.

Er schickte sich in Geduld und beschloß, die Wirkung des Neides auf ihr Gemüth zu erproben. Er führte sie in seine Loge und ließ sie den Erfolg der Corilla sehen, damit ihr Ehrgeiz erweckt würde. Allein dieser Versuch fiel sehr gegen seine Erwartung aus. Consuelo verließ das Theater kaltschweigend, ermüdet und nicht aufgeregt von diesem Beifallstoben. Sie hatte an Corilla das wahre Talent, den Adel der Leidenschaft, die gediegene Kraft vermißt. Sie fühlte sich befähigt, über dieses täuschende, erkünstelte und durch ein unordentliches und selbstsüchtiges Leben schon in seiner Wurzel angegriffene Talent zu urtheilen. Sie klatschte mit gleichgültiger Miene, sprach ein abgemessenes Lob aus und verschmähete es, den Schein eines uneigennützigen Enthusiasmus für eine Nebenbuhlerin zur Schau zu tragen, die sie in der That weder fürchten noch bewundern konnte. Einen Augenblick lang glaubte der Graf, sie sei von geheimer Eifersucht gequält, wenn auch nicht wegen des Talentes, doch wegen des Erfolges der Prima Donna.

– Dieser Erfolg ist nichts, sagte er, gegen den gehalten, welchen Sie erlangen werden. Möge er Ihnen nur einen Vorschmack von den Triumphen geben, welche Ihrer warten, wofern Sie vor dem Publicum das sind was Sie vor uns waren. Ich hoffe, was Sie da sehen, macht Ihnen nicht bange?

– Nein, Herr Graf! antwortete Consuelo lächelnd. Dieses Publikum macht mir nicht bange, denn ich denke gar nicht an die Leute; nur daran denke ich, wie man die Rolle, welche die Corilla da gespielt hat, nehmen müßte, um etwas Brillantes daraus zu machen; man müßte es aber dabei auf Wirkungen absehen, welche sie nicht herausgefunden hat.

– Wie? An das Publicum denken Sie nicht?

– Nein! ich denke an die Partitur, an die Absichten des Componisten, an den Geist der Rolle, an das Orchester, welches seine Vorzüge und seine Mängel hat, und wie man die einen benutzen und die anderen, indem man bei gewissen Stellen sich selbst überbietet, verdecken müßte. Ich achte auf die Chöre, die nicht immer befriedigend sind und einer strengeren Leitung bedürfen; ich merke mir die Stellen, wo man alle seine Mittel aufzuwenden, und wieder diejenigen, wo man sich zu schonen hat. Sie sehen, Herr Graf, daß ich an Vieles denken muß, ehe ich dazu kommen kann, an das Publicum zu denken, das von allen diesen Sachen nichts versteht und von dem ich nichts lernen kann.

Die Sicherheit ihres Urtheils und der Ernst, mit welchem sie alles und jedes prüfte, setzten Zustiniani in so großes Erstaunen, daß er keine Frage weiter an sie zu richten wagte, und daß er sich bestürzt fragte, wie wohl ein Galanthomme seines Gleichen mit einem Geiste dieser Art fertig werden sollte.

Dem Auftritte der beiden Debütanten ging all das Treiben voran, welches bei solchen Anlässen gewöhnlich ist. Die Meinungsverschiedenheiten und die Wortwechsel zwischen dem Grafen und Porpora, zwischen Consuelo und ihrem Geliebten nahmen kein Ende. Der alte Lehrer und seine starke Schülerin erklärten sich gegen die Charlatanerie der pomphaften Annoncen und der tausend unsauberen Hülfsmittelchen, in denen wir es an Unverschämtheit und Betrügerei jetzt so weit gebracht haben. In Venedig spielten dazumal die Journale in solchen Angelegenheiten keine große Rolle. Man arbeitete nicht so weislich wie jetzt an der Zusammensetzung des Publicums; man kannte noch nicht die tiefen Wirkungen der Reclame Journalartikel, der auf die Annoncen im hinteren Theile des Blattes verweist. – Anm. d. Uebers., die Aufschneidereien des biographischen Bülletins, nicht einmal die allmächtige Maschinerie des Claqueurwesens. Es gab starke Parteiwerbungen, hitzige Kabalen; aber alles das ging in den Coterien vor und wurde von dem Publikum selbst mit seinen eigenen Kräften durchgesetzt, indem das Publikum wirklich für den Einen und gegen den Andern eingenommen war, und aufrichtig Partei nahm. Den Antrieb dazu gab nicht immer die Kunst. Kleine und große Leidenschaften, die mit der Kunst und dem Talente nichts zu schaffen hatten, lieferten sich so gut wie heut zu Tage Schlachten in dem Tempel. Aber man hatte es noch nicht so weit wie jetzt in der Fertigkeit gebracht, die schlechten Beweggründe zu verstecken und sich den Anschein lauterer Kunstliebe zu geben. Genug, es war dieselbe gemeinmenschliche Grundlage, nur mit einer, noch nicht so sehr von der Civilisation verfilzten Oberfläche.

Zustiniani betrieb Geschäfte dieser Art mehr wie ein großer Herr als wie ein Schauspieldirector. Er ließ sich mehr von seiner prahlerischen Sucht als von den Wünschen seiner Zuschauer leiten. In den Salons bereitete er sein Publikum vor und »chauffirte« den Erfolg seiner Aufführungen. Seine Mittel waren daher niemals gemein Und nichtswürdig; aber seinen kindischen Dünkel, die Einwirkung seiner galanten Passionen und die gewandte Klätscherei der guten Gesellschaft zog er mit ins Spiel. Er trug jetzt Stück für Stück, in der That mit vieler Geschicklichkeit, das Gebäude des Ruhmes, welches er mit eigenen Händen der Corilla aufgebaut hatte, wieder ab. Jedermann sah, daß er einen anderen Ruhm aufzubauen vorhatte, sogleich glaubte man ihn im vollkommensten Besitz des vorgeblichen Wunders, das er demnächst produciren wollte, und während die arme Consuelo noch keine Ahnung hatte von der Leidenschaft des Grafen für sie, hieß es schon in ganz Venedig, das der Corilla überdrüssig war, »der Graf würde an deren statt, eine neue Maitresse debütiren lassen.« Einige fügten hinzu: »er mystificirt sein Publicum total, er setzt sein Theater total herunter! Die neue Favorite ist eine von der Straße aufgelesene Sängerin, eine Person, die nichts kann, die blos eine schöne Stimme und ein passables Gesicht hat.«

Sogleich nun Cabalen zu Gunsten der Corilla, die ihrerseits die Rolle der aufgeopferten Rivale spielte und ihren zahlreichen Schwarm von Anbetern aufbot, um durch diese und deren Freunde die insolenten Prätentionen der »Zingarella« (des Zigeunermädchens) zu bestrafen. Sogleich auch nun Cabalen zu Consuelo's Gunsten, von Seiten der Frauen denen die Corilla ihre Liebhaber und ihre Ehemänner abwendig oder streitig gemacht hatte, oder auch von Seiten der Ehemänner die eine gewisse Gruppe venetianischer Don Juans lieber eine Debütantin als ihre Frauen umringen sahen, oder endlich von Seiten der verschmäheten oder verrathenen Liebhaber der Corilla, welche sich an ihr durch den Triumph einer anderen zu rächen wünschten.

Die wirklichen dilettanti di musica trennten sich ebenfalls in Parteien und fielen theils den ernstem Meistern, wie Porpora, Marcello, Jomelli u. A. zu, welche die Rückkehr der guten Schule und der guten Sachen mit dem Auftreten einer wahrhaft trefflichen Künstlerin verkündigten; theils den Componisten zweiten Ranges, deren leichte Waare die Corilla immer vorgezogen hatte, und die durch den Fall dieser Sängerin sich selbst bedroht glaubten. Die Musiker des Orchesters sahen sich in Gefahr, längst vergessene Partituren wieder vorgelegt zu erhalten und ernstlich arbeiten zu müssen; das ganze Theaterpersonal fürchtete sich vor Reformen, dergleichen bei einem bedeutenden Wechsel in der Zusammensetzung der Truppe einzutreten pflegen; sogar bis hinunter zu den Maschinisten, Ankleiderinnen und dem Friseur der Statisten war alles am Theater San Samuel in Aufruhr für oder wider das Debüt; und es ist mit Wahrheit zu berichten, daß wegen desselben die gesammte Republik in viel lebhafterer Bewegung war als wegen der Regierungshandlungen des neuen Dogen Pietro Grimaldi, welcher soeben in allem Frieden an die Stelle seines Vorgängers, des Dogen Luigi Pisani getreten war.

Consuelo fand sich durch die Verzögerungen und Jämmerlichkeiten, welche ihr an der Schwelle ihrer neuen Laufbahn entgegentraten, gelangweilt und verstimmt. Sie hätte gern unverweilt, und ohne andere Vorbereitungen, als zum Einstudiren ihrer Rolle und für den Gebrauch ihrer Mittel nöthig waren, debütirt. Sie hatte keinen Sinn für diese tausend Intriguen, die ihr weit eher gefährlich als förderlich und jedenfalls überflüssig schienen. Allein der Graf, der die Geheimnisse des Handwerks besser kannte, und der mit seinem eingebildeten Glücke bei ihr beneidet und nicht ausgelacht sein wollte, sparte keine Mühe, um ihr Anhänger zu machen. Er ließ sie alle Tage zu sich kommen, und stellte sie allen Notabilitäten aus der Stadt und vom Lande vor. Consuelo in ihrer Einfachheit und jetzigen Verstimmung unterstützte seine Absicht schlecht; er ließ sie aber singen, und der Sieg war glänzend, entschieden, unbestreitbar.

Anzoleto theilte die Abneigung seiner Freundin gegen die secundären Mittel keinesweges. Sein Erfolg war ihm nicht völlig eben so sicher. Erstlich setzte der Graf nicht gleichen Eifer daran; sodann war der Tenor, dessen Nachfolger er werden sollte, ein Talent ersten Ranges, und er durfte sich nicht schmeicheln, ihn leicht in Vergessenheit zu bringen. Zwar sang auch er jeden Abend beim Grafen; in den Duetten ließ Consuelo mit großem Geschick ihn hervortreten, und er, getrieben und getragen von der Anziehungskraft dieses dem seinigen überlegenen Geistes, erhob sich oft zu einer bedeutenden Höhe. Er fand daher viel Beifall und und Aufmunterung. Jedoch wenn der erste angenehme Eindruck, welchen seine schöne Stimme auf den Hörer machte, vorüber war, besonders wenn Consuelo sich offenbart hatte, fühlte man gar wohl die Mängel des Debütanten und er selbst fühlte sie mit Schrecken. Nun wäre es der Zeitpunkt gewesen, mit erneuter Anstrengung zu arbeiten, aber umsonst ermahnte ihn Consuelo dazu und ließ ihn alle Morgen nach Corte-Minelli kommen, wo sie ungeachtet der inständigen Bitten des Grafen, sich anständiger einzurichten, hartnäckig wohnen blieb: Anzoleto stürzte sich in so viele Demarchen, Visiten, Sollicitationen und Intriguen, hatte den Kopf so voll von Sorgen und elenden Vorsichtsmaßregeln, daß ihm für das Studium weder Zeit noch Lust übrig blieb.

Mitten in dem Gewirre seiner Verlegenheiten sah er auch voraus, daß der mächtigste Widerstand gegen seinen Succeß von der Corilla ausgehen würde; er wußte, daß der Graf diese Sängerin nicht mehr sah und sich in keiner Art um sie kümmerte, und beschloß sie zu besuchen, um sie zu seinen Gunsten zu stimmen. Er hatte sagen hören, daß sie die Vernachlässigung und die Racheversuche des Grafen mit Lustigkeit und mit einer philosophischen Ironie aufnähme, daß sie von Seiten der italienischen Oper in Paris glänzende Anerbietungen erhalten hätte, und daß sie über die Illusionen des Grafen und seiner Umgebung in Betreff ihrer Nebenbuhlerin, auf deren Echec sie zu rechnen schien, einstweilen aus vollem Halse lachte. Er machte sich Hoffnung, mit Feinheit und Falschheit diese furchtbare Feindin zu entwaffnen; und nachdem er sich aufs beste geputzt und parfümirt hatte, drang er eines Nachmittags um die Stunde, wo die Siesta die Besuche selten und die Palläste öde macht, in ihre Gemächer ein.

16.

Er fand die Corilla allein, in einem kostbaren Boudoir, auf ihre Chaise longue hingelehnt und in einem Déshabillé von den galantesten, wie man sich damals ausdrückte. Die Alteration ihrer Züge beim hellen Tageslichte verrieth ihm, daß ihre Zuversicht in Betreff Consuelo's doch nicht so groß sein mochte, als es ihre getreuen Anhänger ausgesprengt hatten. Nichtsdestoweniger empfing sie ihn mit einer sehr heiteren Miene und indem sie ihrem Mädchen winkte hinauszugehen und die Thüre zu schließen, sagte sie, ihm schalkisch auf die Backe klopfend:

– Aha, bist du es, kleiner Schelm? Willst du mir wieder Fleuretten sagen, und meinst, ich wüßte nicht, daß du der abgefeimteste von allen Courmachern und der intriganteste von allen Ehrsüchtigen bist? Sie sind ein Erz-Narr, mein schöner Freund, wenn Sie sich eingebildet haben, mich durch Ihre schnelle Abtrünnigkeit, nach so zärtlichen Erklärungen, in Verzweiflung zu bringen; und es war ein Erznarrenstreich, auf meine Sehnsucht zu speculiren: denn ich habe Sie vollständig vergessen, nachdem ich Sie vierundzwanzig Stunden lang erwartet hatte.

Vierundzwanzig Stunden! aber das ist ungeheuer, sagte Anzoleto, und küßte den schweren und massenhaften Arm der Corilla. Ach, wenn ich es glauben dürfte, wie stolz würde es mich machen! Aber ich weiß wohl, wenn ich so vieler Selbsttäuschung fähig gewesen wäre, Ihnen Glauben zu schenken, als Sie mir sagten ...

– Was ich dir sagte, rathe ich dir, ebenfalls zu vergessen; und wenn du gekommen wärest, so würdest du meine Thür verschlossen gefunden haben. Was giebt dir aber die Dreistigkeit, mich jetzt zu besuchen?

– Zeugt es nicht von gutem Geschmack, wenn man seine Huldigungen denen versagt, die in Gunst sind, sein Herz dagegen und seine Ergebenheit denen zu Füßen legt, die ...

– Sprich es nur aus: denen die abgedankt sind. Das ist eine außerordentliche Großmuth und Menschenfreundlichkeit von deiner Seite, mein hochgeschätzter Freund!

Unter schallendem, und etwas gezwungenem Gelächter warf sich Corilla zurück auf ihr Oreiller von schwarzem Atlas.

Die abgedankte Prima Donna war zwar nicht mehr in ihrer ersten Frische, das Tageslicht war ihr nicht sehr günstig, und der tiefgehende Verdruß der letzten Zeit hatte die Züge ihres schönen und üppig vollen Gesichtes ein wenig erschlafft; aber Anzoleto, der noch niemals eine so geschmückte und so berühmte Frau unter vier Augen sich so nahe gesehen hatte, fühlte sich in jenen Regionen seiner Seele aufgeregt, zu denen Consuelo sich nie herabgelassen und aus denen er freiwillig ihr reines Bild verbannt hatte. Menschen, die vor der Zeit verdorben sind, können für eine sittsame und kunstlose Frau wohl noch Freundschaft fühlen; aber um ihre Leidenschaften zu entflammen, sind die Avancen einer Coquette nöthig.

Anzoleto beschwor die Neckereien der Corilla mit Ergüssen einer Liebe, welche er nur hatte heucheln wollen und nun wirklich zu fühlen anfing. Liebe sag' ich, weil ein passenderes Wort fehlt; aber es ist Entweihung dieses schönen Namens, wenn man ihn auf den Kitzel anwendet, welchen kalt verlockende Weiber, wie Corilla, erregen.

Als sie den jungen Tenor wirklich in Wallung sah, milderte sie ihren Ton und ließ ihre Neckereien zutraulicher werden.

– Du gefielst mir einen ganzen Abend, ich will es gestehen, sagte, sie; aber im Grunde schätze ich dich nicht. Ich weiß, daß du ehrgeizig, daß du also falsch und jeder Treulosigkeit fähig bist: ich möchte dir kein Vertrauen schenken. In einer gewissen Nacht, in meiner Gondel stelltest du dich jaloux, spieltest den Despoten. Das ließ mich endlich einmal Unterhaltung hoffen, denn mich langweilen die faden Galanterien unserer Patricier; aber du betrogst mich, Nichtswürdiger! Du warst in eine andere verliebt, du hast nicht aufgehört jene zu lieben; ja, heirathen willst du ... wen? ... O, ich weiß es genau, meine Nebenbuhlerin, meine Feindin, die Debütantin, Zustiniani's neue Maitresse. Schande euch beiden, uns dreien, uns allen Vieren! so steigerte sie sich, unwillkürlich sich ereifernd und ihre Hand aus Anzoleto's Händen reißend.

– Grausame! rief er, und bemühete sich, ihre fleischige Hand wieder zu ergreifen; Sie hätten das verstehen sollen, was in mir vorging, als ich Sie zum erstenmale sah, und nicht nach dem fragen was mich vor diesem fürchterlichen Augenblick eingenommen hatte. Was in der Zwischenzeit geschah, können Sie es nicht errathen und brauchen wir hinfort daran zu denken?

– Ich lasse mich nicht mit halben Worten und Reticenzen abspeisen. Liebst du die Zingarella noch? Heirathest du sie?

– Wenn ich sie liebte, warum hätte ich sie bisher nicht schon geheirathet?

– Vielleicht, weil der Graf es nicht litt. Jetzt weiß alle Welt, daß er es wünscht. Man sagt sogar, daß er Grund hat, Eile zu wünschen, und die Kleine noch mehr als er.

Anzoleto wurde blutroth, als er das Wesen, welches ihm über alles werth war, so beschimpfen hörte.

– Aha! diese Voraussetzungen machen dich empfindlich, sagte Corilla. Gut. Mehr wollte ich nicht wissen. Du liebst sie; und wann macht ihr Hochzeit?

– Wir machen gar nicht Hochzeit.

– Also Halbpart? Du hast es weit in der Gunst des Herrn Grafen gebracht!

– Um Himmelswillen, Madame! reden wir nicht von dem Grafen und von Niemandem, sondern nur von uns beiden.

– Wohlan, es sei! sagte Corilla. Vermuthlich wird auch um diese Zeit mein Ex-Gebieter mit deiner Zukünftigen ...

Anzoleto war tief entrüstet. Er stand auf, um zu gehen. Allein was hätte er bewirkt? Den Haß dieser Frau, den er dämpfen wollte, hätte er noch mehr entflammt. Er blieb unschlüssig stehen, furchtbar gedemüthigt und unglücklich über die Rolle, welche er sich auferlegt hatte.

Corilla brannte vor Begierde ihn untreu zu machen; nicht weil sie ihn liebte, sondern um sich an dieser Consuelo zu rächen, über welche sie jetzt eben – ob mit Recht, war sie selbst ungewiß – ihre Schmähungen ausgegossen hatte.

– Siehst du nun, sagte sie, ihn mit einem durchdringenden Blick an die Schwelle ihres Boudoirs fest bannend, siehst du, wie ich Recht hatte, dir zu mißtrauen; denn eine von uns betrügst du in diesem Augenblick. Sie oder mich?

– Keine von beiden, rief er, indem er sich vor sich selbst zu rechtfertigen suchte; ich bin nicht ihr Liebhaber, ich bin es nie gewesen; ich habe nicht einmal Liebe für sie, denn ich bin nicht eifersüchtig auf den Grafen.

– Nun, das ist noch schöner! Ha! so eifersüchtig bist du, daß du es leugnest, und kommst hierher ... weshalb? Um dich zu heilen, oder um dich zu zerstreuen? Ei! Schönen Dank!

– Ich wiederhole es Ihnen, ich bin nicht eifersüchtig; und um Ihnen zu beweisen, daß ich nicht aus bloßem Aerger so spreche  ... wissen Sie denn, daß der Graf ebenso wenig ihr Amant ist als ich! Sie ist unschuldig wie ein Kind und ist auch nichts weiter als ein Kind; Niemand hat sich gegen Sie vergangen als Graf Zustiniani allein.

– Ich kann also die Zingarella auspfeifen lassen, ohne daß es dich kränkt? Sei in meiner Loge und pfeife mit; dann sollst du von Stund' an mein alleiniger Geliebter sein. Sage zu, geschwind, oder ich nehme mein Wort zurück.

– O weh, Madame! Sie wollen mich also an meinem Debüt verhindern; denn Sie wissen daß ich mit der Consuelo zugleich debütiren soll. Wenn Sie sie auszischen lassen, so werde auch ich, der ich mit ihr singen muß, ein Opfer Ihres Zornes werden. Und was habe ich Aermster denn verbrochen, um Ihr Mißfallen zu verdienen? Ach, ich habe mich einem lieblichen, verderblichen Traume hingegeben! ich habe mir einen ganzen Abend lang eingebildet, daß Sie einigen Antheil an mir nähmen und daß ich unter Ihrem Schutze Bedeutung erlangen könnte. Und siehe da, nun bin ich der Gegenstand Ihrer Verachtung, Ihres Hasses, ich, dessen Liebe zu Ihnen, dessen Achtung für Sie so weit ging, daß ich Sie vermied. Wohlan, Madame! Fröhnen Sie Ihrem Abscheu! vernichten Sie mich, stürzen Sie mich, verschließen Sie mir die Carrière. Nur, nur sagen Sie mir hier unter vier Augen, daß ich Ihnen nicht zuwider bin, und ich will öffentlich die Zeichen Ihres Unwillens hinnehmen.

– Schlange du! rief die Corilla, wo hast du das Gift der Schmeichelei aufgesogen, das deine Zunge und deine Augen bereiten? Ich gäbe viel darum, wenn ich dich kennte, wenn ich dich durchschaute! So aber fürchte ich dich, denn du bist entweder der liebenswürdigste Liebhaber oder der gefährlichste meiner Feinde.

– Ich Ihr Feind! Und wie dürfte ich es wagen, mir eine solche Stellung zu geben, selbst wenn mich Ihre Reize nicht unterjocht hätten? Haben Sie denn Feinde, göttliche Corilla? Können Sie Feinde haben in Venedig, wo man Sie kennt, wo Ihre Herrschaft stets unbestritten gewesen? Ein verliebter Streit stürzt den Grafen in Schmerz und Zorn. Er will Sie entfernen, er will sein Leiden enden. Er findet auf seinem Wege ein junges Mädchen, welches einige Mittel zu besitzen scheint und sehr gern bereit ist, zu debütiren. Was hat dieses arme Kind verbrochen, welches Ihren berühmten Namen nur mit Schrecken nennen hört, und selbst nur mit Achtung nennt? Sie messen dieser Aermsten insolente Prätentionen bei, von denen ihre Seele nichts weiß. Die Anstrengungen des Grafen, die neue Sängerin seinen Freunden schmackhaft zu machen, die Gefälligkeit dieser selben Freunde, welche ihr Verdienst übertrieben ausposaunen, die Erbitterung der Ihrigen, Madame! welche Verleumdungen ausbreiten um Sie zu kränken und zu reizen, während es ihre Schuldigkeit wäre, Ihrer schönen Seele den Frieden wiederzugeben, Sie erinnernd, wie unangreifbar Ihr Ruhm, Ihnen schildernd, wie Ihre Nebenbuhlerin zittert: das sind die Ursachen dieser falschen Vorurtheile, worin ich Sie zu meinem Erstaunen befangen finde, ja so sehr zu meiner Bestürzung, daß ich nicht weiß, wie ich es anfangen soll, diese Vorurtheile zu bekämpfen.

– Nur zu gut weißt du es, falsche Zunge, sagte Corilla und blickte ihn halb mit wollüstiger Zärtlichkeit, halb mit Mißtrauen an; deine süßen Worte höre ich, aber mein Verstand warnt mich noch vor dir. Ich wette, daß diese Consuelo schön wie eine Göttin ist, wiewohl man mir das Gegentheil versichert hat, und daß sie allerdings Verdienst besitzt, in einem gewissen, von dem meinigen ganz abweichenden Genre, da Porpora, dessen Strenge ich recht gut kenne, sie so mächtig anpreist.

– Sie kennen Porpora? Nun, dann wissen Sie, wie bizarr er ist, wie toll, muß man sagen. Er haßt alle Originalität an den Anderen, und alles Neue in der Kunst des Gesanges; wenn eine kleine Schülerin ihm andächtig jedes Wort aus dem Munde nimmt, und seinen pedantischen Anweisungen sklavisch folgt, so ist er der Mann, der dieses Ding, das eine Skala richtig singen kann, über alle Wunder erhebt, welche das Publikum vergöttert. Seit wann machen Ihnen denn die Schrullen dieses alten Narren Kopfweh?

– Sie ist also talentlos?

– Sie hat eine schöne Stimme und singt in der Kirche wie es sich gehört; aber sie kann von dem Theater nichts verstehen; von einer Kraft, wie sie sie auf der Bühne entwickeln müßte, kann wegen der lähmenden Angst, worin sie sich befindet, nicht die Rede sein, und ich fürchte sehr, daß das Bischen was der Himmel ihr an Mitteln geschenkt hat, ihr im entscheidenden Augenblicke versagen wird.

– Furcht hätte sie? Man hat mir im Gegentheil gesagt, daß sie eine seltene Unverschämtheit besäße.

– Armes Mädchen! Ach! man will ihr also durchaus etwas anhängen? Sie werden sie hören, göttliche Corilla, und Sie werden sich von einem edeln Mitgefühl ergriffen finden. Sie werden sie aufmuntern, anstatt, wie Sie zuvor aus Scherz sagten, sie auszischen zu lassen.

– Entweder du täuschest mich, oder meine Freunde haben mich hinsichts ihrer getäuscht.

– Ihre Freunde haben sich selbst täuschen lassen. In ihrem übertriebenen Eifer fürchteten sie für Sie, sobald sie nur von einer Nebenbuhlerin hörten. Fürchteten ein Kind! Fürchteten für Corilla! Oh, was für Freunde, die Sie so wenig kennen! Ha! wenn ich so glücklich wäre, Ihr Freund zu sein, ich würde besser wissen, was Sie werth sind, und würde Sie niemals so beleidigen, für Sie irgend eine Nebenbuhlerin zu fürchten, und wäre es eine Faustina oder eine Molteni.

– Glaube nur nicht, daß ich mich gefürchtet habe. Ich bin weder neidisch noch boshaft. Fremde Erfolge haben nie den meinigen Eintrag gethan, und haben mich nie verdrossen. Aber wenn ich glauben muß, daß man mich herausfordern und mir wehe thun will ...

– Soll ich die kleine Consuelo hieher zu Ihren Füßen führen? Wenn sie den Muth dazu gehabt hätte, wäre sie schon zu Ihnen gekommen, und hätte Sie um Ihre Unterstützung, um Ihren Rath gebeten. Aber es ist ein so schüchternes Kind. Und überdies sind Sie bei ihr verleumdet worden. Auch ihr haben Freunde vorgeredet, die Corilla wäre hartherzig, rachsüchtig, arbeite an ihrem Sturze.

– Haben sie ihr das vorgeredet? Nun, dann verstehe ich, weshalb du hier bist.

– Nein, Madame! Sie verstehen es nicht; denn ich habe an jene Verleumdungen nicht einen Augenblick geglaubt, und werde niemals daraus glauben. O nein, Madame, Sie verstehen mich nicht.

Bei diesen Worten gab sich Anzoleto, indem er ein Knie vor Corilla beugte, und mit seinen schwarzen Augen funkelte, einen unnachahmlichen Ausdruck von Sehnsucht und Liebe.

Es fehlte der Corilla nicht an Schlauheit und an Scharfblick; aber, wie es Frauen, die außerordentlich von sich eingenommen sind, wol zu geschehen pflegt, die Eitelkeit legte ihr oft eine dicke Binde um die Augen, und sie fiel dann in die gröbsten Fallen. Außerdem war sie in verliebter Stimmung. Anzoleto war der schönste Junge, den sie noch gesehen hatte. Sie konnte seinen honigsüßen Worten nicht widerstehen; und hatte er ihr zuerst nur den Genuß der Rache gewährt, so fand sie sich allmählig durch die Genüsse des Besitzes an ihn gekettet.

Acht Tage nach dieser ersten Zusammenkunft war sie rasend in ihn verliebt und drohete jeden Augenblick das Geheimniß ihrer Vertraulichkeit durch furchtbare Ausbrüche ihrer Hitze und Eifersucht zu verrathen.

Anzoleto, der auch sie auf eine gewisse Art liebte (sein Herz aber kam nicht dahin, sich von Consuelo loszureißen), Anzoleto war selbst sehr erschrocken über den zu raschen und zu vollständigen Erfolg seines Versuches. Indessen schmeichelte er sich mit der Hoffnung, seine Herrschaft so lange zu behaupten, bis er seinen Zweck erreicht haben würde, nämlich zu verhindern, daß Corilla seinem Debüt und dem Erfolge Consuelo's schade. Er behandelte sie mit großer Geschicklichkeit; mit teuflischer Kunst wußte er seinen Lügen den Anstrich der Wahrheit zu geben. Er verstand es, sie zu fesseln, sie zu bereden, sie zu lenken: er brachte ihr die Meinung von sich bei, als ob er nichts an einem Weibe höher zu schätzen wüßte als Großmuth, Milde und Geradheit, und er zeichnete ihr geschickt die Rolle vor, welche sie öffentlich gegen Consuelo spielen müßte, wollte sie nicht von ihm gehaßt und verachtet sein. Er verstand es, seine Zärtlichkeit mit Strenge zu paaren, und indem er seine Drohungen in Lob verkleidete, gab er sich die Miene, als ob er sie für einen Engel an Güte hielte.

Die arme Corilla hatte schon alle Rollen in ihrem Boudoir gespielt, nur diese noch nicht; und es war diejenige, welche sie auch auf der Bühne immer schlecht gespielt hatte. Dennoch fügte sie sich darin, aus Furcht, Genüsse zu verlieren, deren sie noch nicht satt war und die ihr Anzoleto unter allerlei Vorwand geizend, wünschenswerth zu erhalten wußte. Er machte ihr weiß, daß der Graf bei allem Unwillen immer noch in sie verliebt und heimlich eifersüchtig wäre, wie sehr er sich auch des Gegentheils rühme.

Wenn er erführe, sagte er zu ihr, welches Glück du mir zu kosten giebst, so wäre es um meine Debüts, vielleicht um meine Zukunft geschehen: denn die Kälte, womit er mich behandelt, seit du so unvorsichtig warst, ihm meine Liebe zu dir zu verrathen, diese Kälte beweist mit, daß er mich mit seinem Haß ewig verfolgen würde, wenn er erführe, daß ich dich getröstet habe.

Dies war, wie die Sachen standen, in der That nicht sehr wahrscheinlich: vielmehr würde sich der Graf gefreut haben, Anzoleto seiner Braut ungetreu zu wissen. Aber Corilla's Eitelkeit ließ sich gern täuschen. Sie glaubte auch, daß sie von Anzoleto's Gefühlen für die Debütantin nichts zu fürchten habe. Als er sich über diesen Punkt vertheidigte, und bei allen Göttern schwor, nie etwas anderes gewesen zu sein, als der Bruder dieses jungen Mädchens – wie auch thatsächlich wahr – wußte er seinen Betheuerungen einen solchen Schein von Aufrichtigkeit zu geben, daß Corilla's Eifersucht besiegt wurde.

Endlich rückte der große Tag heran, und die Cabale, welche sie geschmiedet hatte, war zernichtet. Zu seinem Vortheile arbeitete sie jetzt in einem entgegengesetzten Sinne; sie zweifelte nicht, daß die schüchterne und unerfahrene Consuelo von selbst durchfallen würde, und wollte dadurch, daß sie hierzu nichts beitrüge, Anzoleto's Dank erwerben. Zum Ueberflusse hatte Anzoleto sie mit ihren tapfersten Champions geschickt zu brouilliren gewußt, indem er sich eifersüchtig auf die häufigen Besuche dieser Helden stellte und Corilla zwang, dieselben ein wenig derb ablaufen zu lassen.

Während der verschlagene Venetianer so im Finstern daran arbeitete, die Hoffnungen der Frau, welche er jede Nacht in seine Arme schloß, zu untergraben, spielte er dem Grafen und Consuelo eine andere Rolle vor. Er rühmte sich gegen diese, daß er ihre furchtbare Feindin durch geschickte Manöver, eifrige Aufwartungen und dreiste Lügen entwaffnet habe.

Der Graf, muthwillig und etwas klatschhaft, wie er war, fand an den Geschichtchen seines Schützlings ein unendliches Vergnügen. Seine Eigenliebe feierte in der Bekümmerniß, welche Anzoleto der Corilla als eine Folge ihres Bruches mit dem Grafen andichtete, einen Triumph, und mit jenem fühllosen Leichtsinn, welcher im Verkehr mit dem Theater und den Galanterien sich auszubilden pflegt, spornte er den jungen Mann zu neuen Ruchlosigkeiten an.

Consuelo sah das alles mit Verwunderung und Betrübniß.

– Du thätest besser, sagte sie zu ihm, an deiner Stimme zu arbeiten und zu studiren. Du glaubst viel gethan zu haben, wenn du den Feind entwaffnet hast. Aber eine rein intonirte Note, ein wohl verstandener Accent würde bei einem unpartheiischen Publicum sicherlich mehr ausrichten, als das Stillschweigen der Neider. Nur an ein solches Publicum sollten wir denken, und ich sehe mit Leidwesen, daß du das nicht thust.

– Sei ruhig, liebe Consuelita, entgegnete er. Du irrst dich in dem Publicum, wenn du es dir unpartheiisch und kunstverständig vorstellst. Die Leute, welche ein Urtheil haben, sind gewöhnlich nicht redlich, und die Redlichen sind so unwissend, daß man nur Keckheit nöthig hat, um sie zu blenden und hinzureißen.

17.

Anzoleto's Eifersucht war eingeschlafen unter den Zerstreuungen, welche er in seinem Durst nach Erfolg und in Corilla's Liebe fand. Zum Glück brauchte Consuelo keinen tugendhafteren und wachsameren Beschützer. Ihre eigene Unschuld verwahrte sie vor dreisteren Zumuthungen des Grafen, den sie gerade dadurch, daß sie so unbesorgt war, in Entfernung hielt. Nach Verlauf von vierzehn Tagen hatte dieser wohlgeschulte Venetianer eingesehen, daß sich in ihr die weltlichen Leidenschaften, welche zur Verderbniß führen, noch nicht regten, und er sparte nichts, um dieselben aufzuwecken. Da er aber auch hierin noch nicht viel weiter gekommen war, als am ersten Tage, so hütete er sich, durch zu großen Eifer seinen Hoffnungen den Stab zu brechen.

Wäre ihm Anzoleto durch Wachsamkeit im Wege gewesen, so hätte ihn der Verdruß hierüber vielleicht zu rascherem Handeln angespornt, aber Anzoleto ließ ihm das Feld frei, Consuelo dachte nichts Arges: und so schien ihm das gerathenste, sich angenehm zu machen, bis er sich unentbehrlich gemacht haben würde. Es gab keine Art von zarter Aufmerksamkeit, von ausgesuchter Galanterie, die er nicht aussann, um ihr gefällig zu werden.

Consuelo nahm diese Vergötterung an, indem sie alles nur auf Rechnung der eleganten und freigebigen Patriziersitte, des leidenschaftlichen Dilettantismus und der Gutmüthigkeit ihres Beschützers schrieb. Sie fühlte für ihn aufrichtige Freundschaft, fromme Erkenntlichkeit, und er, beglückt und befremdet von dieser Hingebung einer reinen Seele, fing an, vor derjenigen Empfindung, die er hervorrufen würde, wollte er sich endlich Bahn brechen, zu erschrecken.

Während er sich furchtsam und nicht ohne süße Befriedigung einem ihm ganz neuen Gefühle hingab (für seine Fehlrechnung tröstete er sich einigermaßen damit, daß ganz Venedig an seinen Sieg glaubte), fühlte auch Corilla, daß in ihr eine Art Verwandlung vor sich ging. Sie liebte, wenn auch nicht edel, wenigstens heiß, und ihre reizbare und herrische Seele beugte sich unter das Joch ihres jungen Adonis. Ein wahrhaftes Bild der unkeuschen Venus, erbeutet von dem stolzen Jäger und zum ersten mal demüthig und schüchtern vor einem bevorzugten Sterblichen.

Ihre Unterwerfung war so vollständig, daß sie Tugenden zur Schau trug, die ihr fehlten, die ihr jedoch, erheuchelt wie sie waren, eine Art süßer Rührung und Wollust zu schmecken gaben: so wahr ist es, daß die Vergötterung, die man seinem Selbst abzieht um sie auf ein anderes Wesen überzutragen, auch die der Größe und der Aufopferung unfähigsten Seelen auf Augenblicke hebt und adelt.

Die Aufregung, in welcher sie sich befand, wirkte auf ihre Leistungen ein, und man bemerkte im Theater, daß sie die pathetischen Rollen mit mehr Wahrheit und mit mehr Gefühl spielte.

Aber da sie in ihrer Eigenthümlichkeit, in ihrem innersten Wesen gleichsam zerknickt war, da es eine heftige und schmerzhafte Crisis war, welche allein diese innere Umwandlung bewirken konnte, so erlag ihre physische Kraft in dem Kampfe, und täglich mehr bemerkte man mit Erstaunen, die Einen schadenfroh, die Andern ernstlich besorgt, wie ihre Mittel abnahmen. Ihre Stimme versagte ihr jeden Augenblick. Die brillanten Capricen, welche sie improvisirte, verunglückten durch Athemmangel und Unsicherheit der Intonation. Verdruß und Angst, die ihr das alles erregte, raubten ihr vollends alle Herrschaft über sich, und bei der Aufführung, welche dem Auftreten Consuelo's unmittelbar voranging, sang sie so falsch und verdarb so viele glänzende Passagen, daß ihre Freunde nur schwach applaudirten und bald vor dem Murren der Gegner bestürzt verstummen mußten.

Endlich erschien der große Tag, und der Saal war so angefüllt, daß man kaum athmen konnte. Schwarz gekleidet, bleich, aufgeregt, mehr todt als lebendig, getheilt zwischen der Furcht, ihren Geliebten scheitern, und der, ihre Nebenbuhlerin triumphiren zu sehen, saß Corilla im hintersten Winkel ihrer kleinen dunkeln Loge auf dem Theater.

In dreifachem blendendem Halbcirkel mit Blumen und Diamanten prunkte das ganze erste und zweite Aufgebot des Adels und der Schönheiten Venedigs. Die »Charmanten« belagerten die Coulissen und nach damaligem Brauche, einen Theil der Bühne. Die Dogeresse zeigte sich mit allen großen Würdenträgern der Republik am Proscenium. Porpora dirigirte selbst das Orchester, und Graf Zustiniani erwartete Consuelo, deren Toilette noch nicht beendigt war, an der Thür ihrer Loge, während Anzoleto als ein antiker Krieger mit aller bizarren Coquetterie des damaligen Geschmacks herausgeputzt, in der Coulisse ohnmächtig wurde, und ein großes Glas Cyperwein hinunterstürzte, um sich wieder auf die Beine zu bringen.

Die Oper war weder von einem Classiker, noch von einem Neueren, weder von Einem aus der strengen Schule, noch von einem modernen Waghals. Sie war das unbekannte Werk eines Fremden. Porpora, der vor Allem um den Erfolg seiner Schülerin besorgt, gern die Cabalen vermeiden wollte, die er durch seinen oder irgendeinen anderen berühmten Namen bei den Componisten aufzuregen mit Recht fürchtete, hatte die Oper Ipermnestra vorgeschlagen und einstudiren lassen, die erste Arbeit eines jungen Deutschen, der in Italien und überhaupt noch nirgend in der Welt weder Feinde noch Sëiden hatte, und der nur schlechtweg Monsieur Christoph Gluck hieß.

Als Anzoleto auftrat, lief ein Murmeln der Bewunderung durch den Saal. Der Tenor, an dessen Stelle er trat, war ein bewundernswürdiger Sänger gewesen; er hatte jedoch den Fehler begangen, mit seinem Rücktritt zu warten, bis das Alter seine Stimme geschwächt und sein Gesicht entstellt hatte: das undankbare Publicum beklagte daher wenig seinen Verlust, und das schöne Geschlecht, welches mehr mit den Augen als mit den Ohren zu hören pflegt, sah mit Entzücken an der Stelle dieses schwerfälligen, runzligen Mannes einen vierundzwanzigjährigen Jüngling, frisch wie eine Rose, blond wie Phöbus, gebaut als hätte Phidias das Modell geliefert, einen ächten Sohn der Lagunen: bianco, crespo e grossetto.

Anzoleto war zu unruhig, um seine erste Arie gut zu singen, aber seine prächtige Stimme, seine schönen Stellungen und ein paar gelungene und neue Passagen reichten hin, um die Frauen und die Landeskinder zu seinen Gunsten einzunehmen. Er hat bedeutende Mittel, hieß es, er wird werden. Er wurde dreimal beklatscht und nach seinem Abtreten dreimal vorgerufen, wie das in Italien Sitte ist, und in Venedig mehr als irgendwo.

Dieser Erfolg gab ihm seinen Muth zurück, und als er mit Ipermnestra wieder heraustrat, hatte er keine Furcht mehr. Aber die Wirkung dieser Scene fiel ganz zu Gunsten Consuelo's aus; man sah, man hörte nur sie. Nun kommt sie, rief man; ja, sie ist's. Wer? Die Spanierin? Ja, die Debütantin, die amante del Zustiniani.

Consuelo trat gemessen und kalt auf. Sie überblickte ihr Publicum, nahm den Beifallsdonner ihrer Beschützer mit einer Verbeugung ohne Demuth und ohne Coquetterie auf und begann ihr Recitativ mit so fester Stimme, mit so gewaltigem Ausdruck, mit so siegreicher Sicherheit, daß schon bei der ersten Phrase bewundernde Rufe von allen Punkten des Saales ausgingen.

– Ha! der Treulose hat mich schändlich belogen! rief Corilla aus, und schoß einen fürchterlichen Blick auf Anzoleto, der sich nicht enthalten konnte, in diesem Augenblick die Augen mit einem schlecht verhehlten Lächeln nach nach ihr zu richten.

Sie warf sich in die Tiefe ihrer Loge zurück und zerfloß in Thränen.

Consuelo sang noch einige Phrasen. Man hörte die cassirte Stimme des alten Lotti, der in seinem Winkel sagte: Amici miei, questo è un portento.

Sie sang ihre erste große Arie und wurde zehnmal unterbrochen: man schrie Bis! Man rief sie siebenmal hervor: es war ein Heulen des Enthusiasmus. Zuletzt brach die Wuth des venetianischen Dilettantismus in ihrer ganzen Gewaltsamkeit aus, welche hinreißend und lächerlich zugleich ist.

Was schreien sie denn nur so? sagte Consuelo, als sie in die Coulisse trat, um durch das Toben des Parterres sogleich wieder hervorgerissen zu werden: man sollte meinen, sie wollen mich steinigen. Von diesem Augenblick an, beschäftigte man sich nur sehr nebenbei mit Anzoleto. Man behandelte ihn gut, weil man in der Beifallsstimmung war, aber die nachsichtige Kälte, mit welcher man ihm die mangelhaften Stellen seines Gesanges hingehen ließ, ohne ihn bei denen, wo er sich hob, übermäßig zu trösten, bewies ihm, daß, wenn auch sein Gesicht den Frauen anstand, doch die spannkräftige und lärmende Majorität, das männliche Publikum nicht viel um ihn gab und seine Jubelstürme der Prima Donna aufsparte. Unter allen denen, welche in feindlicher Absicht gekommen waren, gab es nicht einen, der zu murren wagte, und in der That waren nicht dreie da, welche sich nicht mit fortreißen ließen und dem unwiderstehlichen Drange nachgaben, der Prima Donna ihren Beifall zuzujauchzen.

Die Composition hatte den größten Erfolg, obgleich man sie nicht gehört, obgleich Niemand auf die Musik selbst geachtet hatte. Es war eine Musik, ganz italienisch, gefällig, mäßig leidenschaftlich, die, sagt man, den Schöpfer der Alceste und des Orpheus noch nicht ahnen ließ. Es waren nicht genug überraschende Schönheiten darin, um das Publicum aufzuregen.

Während des ersten Zwischenactes wurde der deutsche Maestro vorgerufen, mit dem Debütanten, der Debütantin, und sogar der Clorinda, die, Dank der Protection Consuelo's, die zweite Partie mit klebriger Stimme und gemeinem Accent abgenäselt, jedoch mit ihren schönen Armen alle Welt entwaffnet hatte: die Rosalba, deren Stelle sie einnahm, war nämlich sehr mager.

Anzoleto hatte Corilla verstohlenerweise beobachtet und ihre wachsende Erschütterung bemerkt: während des letzten Zwischenactes schien es ihm gerathen, zu ihr in die Loge zu gehen um einer Explosion vorzubeugen. Kaum erblickte sie ihn, als sie sich wie ein Tiger auf ihn warf und ihm zwei, drei derbe Ohrfeigen versetzte, von denen die letzte so hakicht auslief, daß sie einige Blutstropfen herauslockte und ein Mahl zurückließ, das sich nicht so geschwind mit dem Roth und Weiß zudecken ließ. Der mißhandelte Tenorist brachte diese Zornergüsse zur Ruhe, indem er vermittelst eines Faustschlags gegen die Brust die Sängerin halb ohnmächtig in die Arme ihrer Schwester Rosalba stürzte.

– Niederträchtiger! Verräther! baggiatore! keuchte sie mit erstickter Stimme: deine Consuelo und du, nur von meiner Hand werdet ihr sterben.

– Unglückliche, wenn dir irgend ein Schritt, irgend eine Miene, irgend eine Unziemlichkeit heut Abend entfährt: ich erdolche dich im Angesichte von Venedig, antwortete Anzoleto bleich, mit knirschenden Zähnen, und ließ vor ihren Augen sein treues Messer blitzen, das er mit aller Geschicklichkeit eines Mannes von den Lagunen zu werfen verstand.

– Er macht gewiß sein Wort wahr, flüsterte Rosalba erschreckt. Schweig still. Komm fort. Wir sind hier in Todesgefahr.

– Ja, das seid ihr, vergesset es nicht, entgegnete Anzoleto. Er ging hinaus, schlug die Logenthür heftig zu und schloß doppelt herum.

Obgleich diese tragi-komische Scene à la Venitienne in einem geheimnißvollem raschen Mezza-Voce ausgeführt worden war, so muthmaßte man doch, als man den Debütanten nach seiner Loge eilig und die Backe im Schnupftuche längs der Coulissen hinstreichen sah, auf irgend einen niedlichen Handel, und der Perruquier, der herbeigerufen wurde, um die Locken des griechischen Prinzen wieder in Ordnung zu legen und dessen Schmarre zu bepflastern, erzählte der ganzen Bande von Choristen und Statisten, daß irgend eine verliebte Katze dem Helden ihre Krallen in's Gesicht gezeichnet habe. Besagter Perruquier verstand sich auf derartige Blessuren und war als kein Neuling wohl vertraut mit solcherlei Coulissenabentheuern.

Das Geschichtchen machte die Runde auf der Bühne, sprang, ich weiß nicht wie, über die Lampen ins Orchester, und von da auf die Balcons; und von da in die Logen, und wieder von dort zurück, unter Weges ein wenig vergrößert, gelangte es in die Tiefen des Parterres. Man kannte noch nicht die Beziehungen Anzoleto's zur Corilla, aber verschiedene Personen hatten ihn um die Clorinda sichtlich bemüht gesehen, und es war die allgemeine Rede, daß die Seconda Donna aus Eifersucht auf die Prima Donna dem schönsten der Tenori ein Auge aus-, und drei Zähne eingeschlagen habe.

Die Einen (Schade, daß im Deutschen hier eine weibliche Form fehlt), waren untröstlich; für die Meisten war es ein köstliches Scandälchen. Man fragte einander, ob die Vorstellung unterbrochen werden müßte, ob der alte Tenorist Stefanini vielleicht in Eile die Partie übernehmen und mit der Stimme in der Hand zu Ende singen würde. Da hob sich der Vorhang und alles war vergessen, als man Consuelo wieder erscheinen sah, so ruhig und erhaben wie zu Anfang. Obgleich ihre Rolle nicht ausgezeichnet tragisch war, machte sie sie dennoch dazu durch die Gewalt ihres Spieles und den Ausdruck ihres Gesanges. Thränen flossen, und als der Tenor wieder auftrat, erregte seine kleine Schmarre nur ein Lächeln. Indessen hatte er es doch diesem lächerlichen Zwischenfalle zu danken, daß sein Erfolg minder glänzend war, als er sonst sein konnte: Consuelo verblieben alle Ehren des Abends; sie wurde von neuem gerufen und bis zum Schlusse wahnsinnig beklatscht.

Nach dem Theater wurde im Pallaste Zustiniani soupirt, und Anzoleto vergaß, daß er die Corilla in ihrer Loge eingeschlossen hatte. Corilla konnte nicht heraus, ohne auszubrechen. In dem Tumulte, der, wie gewöhnlich nach einer so glänzenden Vorstellung, im Innern des Theaters statt fand, wurde ihr Rückzug nicht bemerkt. Aber am andern Morgen kam die zerbrochene Thüre mit Anzoleto's Schmarre zusammen und leitete so auf den richtigen Weg der Intrigue, die Anzoleto bis dahin mit so großem Fleiß geheim gehalten hatte.

Er hatte sich bei dem üppigen Bankett, welches der Graf Consuelo zu Ehren gab, kaum niedergesetzt und alle Abbati der venetianischen Literatur huldigten der Heldin des Tages mit Tags zuvor improvisirten Sonetten und Madrigalen, als ein Bedienter ihm ein Billetchen von der Corilla unter den Teller schob; er las verstohlen, es lautete:

»Wenn du nicht augenblicklich zu mir kommst, so hole ich dich selbst mit Eclat, und wärst du am Ende der Welt, wärst du in den Armen deiner dreimal verwünschten Consuelo.«

Anzoleto that, als käme ihm ein Husten an, ging hinaus, und schrieb folgende Antwort mit Bleistift auf ein Stückchen rastrirtes Papier, dass er im Vorzimmer aus einem Notenbuche riß:

»Komm, wenn du willst; mein, Messer ist immer bereit, und dazu meine Verachtung und mein Haß.«

Der Despot wußte sehr gut, daß bei einer Natur wie diese, mit welcher er es zu thun hatte, Furcht der einzige Zügel und Drohung das einzige schnell wirkende Mittel war. Aber wider Willen war er während des Festes finster und zerstreut, und als man von der Tafel aufstand, schlich er sich davon und lief zur Corilla.

Er fand das arme Mädchen in einem mitleidswerthen Zustand. Krämpfen waren Thränenfluten gefolgt: sie saß an ihrem Fenster, mit zerzausten Haaren, mit ausgeweinten Augen, und ihr Kleid, das sie vor Wuth entzweigerissen hatte, hing ihr in Fetzen über den keuchenden Busen nieder. Sie schickte ihre Schwester und ihre Kammerfrau hinaus, und wider ihren Willen flog ein Freudenblitz über ihre Züge, als sie den bei sich sah, den,sie nicht wiederzusehen gefürchtet hatte.

Aber Anzoleto kannte sie zu gut, um sie trösten zu wollen. Er wußte, bei dem ersten Zeichen von Mitleid oder Reue würde er ihre Wuth wieder ausbrechen und sich in Rachsucht verirren sehen. Er ergriff daher die Wahl, seine Rolle eines harten Unbeugsamen fortzuspielen, und obgleich ihn ihre Verzweiflung rührte, überhäufte er sie mit den grausamsten Vorwürfen und erklärte ihr daß er käme, um auf ewig von ihr Abschied zu nehmen. Er brachte sie dahin, daß sie ihm zu Füßen stürzte, sich ihm bis zur Thür auf den Knien nachschleppte und in tödtlicher Pein gemartert ihn um Verzeihung anflehte.

Nachdem er sie so gebrochen und vernichtet hatte, stellte er sich erweicht; ganz außer sich vor Hochmuth und ich weiß nicht welcher jachen Wallung, als er sah wie dieses schöne und stolze Weib sich vor ihm im Staube wand gleich einer büßenden Magdalene, gab er sich endlich seinem Taumel hin und tauchte sie in neue Trunkenheit. Doch während er umging mit der gebändigten Löwin, vergaß er keinen Augenblick, daß sie ein wildes Thier sei, und bis ans Ende beharrte er fest in der Haltung des beleidigten Gebieters, der verzeiht.

Der Tag fing eben an zu grauen, als dieses berauschte und erniedrigte Weib, – sie stüzte ihren Marmorarm auf den vom Morgenreif benetzten Balcon, ihr langes schwarzes Haar begrub ihr bleiches Gesicht – anhob, mit weichen, schmeichelnden Lauten die Qualen zu beklagen, die ihre Liebe ihr zu dulden auferlegte.

– Nun ja, so sprach sie, ich bin eifersüchtig; und wenn du es durchaus willst, ich bin schlimmeres als das, ich bin neidisch. Ich kann es nicht ertragen, meinen zehnjährigen Ruhm in einem Augenblick verdunkelt zu sehen von einem neuen Gestirn, das sich erhebt, und dem mich eine vergessene, undankbare Menge schonungslos und mitleidlos hinopfert. Wenn du erst das Entzücken des Triumphs und das erdrückende Gefühl des Verfalles kennen gelernt hast, dann wirst du gegen dich selbst nicht mehr so streng und unnachsichtig sein, wie du es gegen mich heut bist. Ich bin noch bei Vermögen, sagst du; beladen mit Eitelkeiten, glücklichen Erfolgen, Schätzen, stolzen Hoffnungen werde ich neuen Gegenden zueilen, neue Liebhaber unterjochen, ein neues Volk entzücken. Wenn alles das auch wahr wäre, glaubst du denn, es könnte irgend etwas aus der Welt mich trösten, wenn mich alle meine Freunde treulos verlassen, wenn ich von meinem Throne gestoßen bin, wenn ich mit meinen Augen muß ein anderes Idol hinaufsteigen sehen? Und diese Schande, die erste meines Lebens, die einzige auf meiner ganzen Laufbahn, sie ist mir unter deinen Augen, – .was sag' ich? nein, durch dich mir angethan, sie ist das Werk meines Geliebten, des ersten Mannes, den ich feigherzig, den ich selbstvergessen geliebt habe! Du sagst noch, daß ich falsch und schlecht sei, daß ich einen erheuchelten Seelenadel, eine erlogene Hochherzigkeit dir vorgespiegelt habe: du hast es ja so gewollt, du, du, Anzoleto. Ich war beleidigt, du schriebst mir vor, ruhig zu scheinen, und ich zwang mich zur Ruhe; ich war mißtrauisch, du befahlst mir, deiner Aufrichtigkeit zu vertrauen, und ich vertraute; ich hatte Wuth und Tod im Herzen, du verlangtest, ich sollte lächeln,und ich lächelte; ich war voll Grimm und Verzweiflung, du hießest mich schweigen, und ich schwieg. Was konnte ich denn mehr thun, als mir einen Character aufzwängen, der nicht der meine ist, und mich mit einem Muthe putzen, den ich nicht habe? Und wenn dann dieser Muth mich im Stiche läßt, wenn diese Marter unerträglich wird, wenn ich rasend bin, und meine Qualen dir das Herz brechen sollten, so trittst du mich mit Füßen und willst mich sterbend in dem Koth liegen lassen, ins den du mich gestürzt hast! O Anzoleto, euer Herz ist steinern, und ich, ich bin so nichts wie der Sand am Strande, der sich quälen und hinwegspühlen läßt von der züngelnden Welle. Ah! schilt mich, schlage mich, mißhandle mich, da es das Recht des Stärkeren ist, aber beklage mich wenigstens im Grunde deiner Seele, und bei der schlechten Meinung, die du von mir hast, erkenne meine unermeßliche Liebe daran, daß ich das alles leide und nur ferner zu leiden verlange.

Aber höre mein Freund, fügte sie sanfter hinzu und umschlang ihn mit ihren Armen: was du mich leiden ließest, ist nichts gegen meine Angst, wenn ich an deine Zukunft und an dein eigenes Glück denke. Du bist verloren, Anzoleto, theurer Anzoleto, ohne Rettung verloren! Du weißt es nicht, du ahnst es nicht; ich aber, ich sehe es und ich sage mir: wäre ich nur wenigstens seinem Ehrgeiz geopfert, diente mein Fall seinen Triumph zu erhöhen! Aber nein! zu nichts als zu seinem Verderben, und ich bin nur das Werkzeug einer Nebenbuhlerin die den Fuß uns beiden auf den Nacken setzt.

– Was willst du mit diesem Unsinn sagen? fragte Anzoleto, ich verstehe dich nicht.

– Und doch solltest du mich verstehen! verstehen wenigstens was diesen Abend vorgegangen ist. Du hast also nicht bemerkt, wie nach dem Enthusiasmus, den deine erste Arie hervorrief, eine Kälte des Publicums für dich eintrat, sogleich nachdem sie gesungen hatte, ach! gesungen, wie sie stets singen wird, besser als ich, besser als alle Welt, und muß ich es dir erst sagen? besser, tausendmal besser als du, geliebter Anzoleto! Ach, du siehst nicht, daß dies Weib dich zertreten wird, sich schon in der Geburt zertreten hat! Du siehst nicht, daß deine Schönheit von ihrer Häßlichkeit verdunkelt ist? Denn häßlich ist sie, dabei bleibe ich; aber ich weiß auch, daß wenn Häßliche gefallen, der Männer Leidenschaft weit heißer und ihre Eingenommenheit weit hartnäckiger ist als für die vollkommensten Schönheiten, welche die Welt besitzt. Du siehst nicht, daß man sie vergöttert und daß du neben ihr überall verschwinden wirst? Du weißt nicht, daß um sich entwickeln und sich aufzuschwingen das Talent auf dem Theater die Anerkennung und den Erfolg so nöthig hat wie das neugeborene Kind, um zu athmen und zu gedeihen, die Luft? daß die geringste Rivalität einen Theil des Lebens, das der Künstler athmet, aufzehrt, und daß eine gefährliche Rivalität die Leere ist, die sich um uns ausbreitet, der Tod der uns ins Herz bohrt? Du erfährst es jetzt an meinem traurigen Beispiel: die bloße Furcht vor dieser Nebenbuhlerin, die ich nicht einmal kannte und vor der du die Furcht mir auszureden suchtest, war genug, um mich seit einem Monat zu lähmen, und je näher der Tag ihres Triumphes heranrückte, desto mehr versiegte meine Stimme, desto mehr fühlte ich mich vergehen. Und doch glaubte ich kaum an die Möglichkeit dieses Triumphes! Wie wird das nun erst sein, seitdem ich ihn verwirklicht, glänzend, unbestreitbar sehe! Weißt du wohl, daß ich nicht wieder in Venedig auftreten kann, vielleicht überhaupt auf keiner italienischen Bühne, weil ich mich demoralisirt fühlen würde, zitternd und mit Ohnmacht geschlagen. Und wer weiß, wo mich nicht diese Erinnerung erreichen, wie weit nicht der Name, nicht sogar die Gegenwart dieser siegreichen Nebenbuhlerin mich verfolgen und wieder in die Flucht schlagen wird? Ach, mit mir, mit mir ist's aus, aber auch mit dir, Anzoleto. Du bist todt, ehe du gelebt hast, und wenn ich so schlecht wäre, wie du sagst, so würde ich mich darüber freuen, so würde ich dich in dein Verderben treiben, so würde ich gerächt sein, anstatt daß ich dir jetzt in Verzweiflung sage: wenn du in Venedig noch ein einziges mal neben ihr auftrittst, so hast du in Venedig keine Zukunft mehr; wenn du sie auf ihren Reisen begleitest, so werden Schande und Nichtigkeit mit dir reisen. Wenn du von ihren Einnahmen lebend, ihren Wohlstand theilend, unter den Flügeln ihrer Berühmtheit ein blasses, elendes Dasein fristest, weißt du wohl, welchen Titel das Publikum dir geben wird? Was ist das für ein schöner junger Mann hinter ihr? werden die fragen, welche dich bemerken. Nichts, wird man antworten, weniger als nichts: es ist der Mann oder der Liebhaber der göttlichen Sängerin.

Anzoleto wurde düster wie die Sturmwolken, welche am Osthimmel heraufzogen.

– Du bist eine Närrin, liebe Corilla, sagte er; die Consuelo ist nicht so gefährlich für dich, wie du es dir heut in deiner kranken Imagination vorgestellt hast. Was mich betrifft, so habe ich dir gesagt, ihr Liebhaber bin ich nicht, ihr Mann werde ich ganz gewiß nicht, und ich will nicht wie ein armseliges Vögelchen unter dem Schirm ihrer breiten Schwingen leben. Laß ihr ihren Flug! Es giebt zwischen Erd und Himmel Luft und Raum genug für alle, die ein mächtiger Trieb emporreißt. Sieh da, schau diesen Sperling an: schwebt er nicht so gut über dem Canale wie die schwerfälligste Möve über dem Meeresspiegel? Aus, fort diese Grübeleien! der Tag vertreibt mich aus deinen Armen. Auf morgen! Wenn du willst, daß ich wiederkomme, so kehre zu der Sanftmuth und Geduld zurück, die mich entzückten, und die deiner Schönheit besser stehen als die kreischenden und wilden Ausbrüche der Eifersucht.

Anzoleto kam aber doch in finstere Gedanken versenkt nach Hause; erst als er lag und eben einschlafen wollte, kam ihm die Frage in den Sinn, wer wohl Consuelo aus dem Pallast Zustiniani geführt und heimgeleitet haben mochte. Dies Amt hatte er bisher noch niemals einem Anderen überlassen.

– Alles in allem, sagte er und versetzte seinem Kopfkissen tüchtige Faustschläge um es sich unter dem Kopf in Ordnung zu bringen, wenn das Schicksal will, daß der Graf mit ihr zu seinem Zwecke komme, ist's für mich auch einerlei, ob früher oder später.

Ende des ersten Theils.


 << zurück weiter >>