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Der König ist eben fortgefahren. Wie immer, wenn er in den Sistlhof kommt, war er ganz allein. – Es ist sein Geburtstag. Wie immer hat er bei der Lori zu Mittag gegessen.
Nur seine Lieblingsspeisen, alles derb und einfach, sehr gut gekocht, sehr schlicht serviert. Er will's so.
Jedes mal, wenn er sich ansagt, heißt es:
»Rindfleisch, Lori, Semmelkren, Apfelstrudel und nur keine Faxen! Und ja keine servierenden Bedienten.«
Also geschieht's natürlich, ganz nach Befehl, das heißt nach Wunsch. Im Sistlhof befiehlt der Herr nie. Er wünscht nur.
Er kommt her in seinen gutmütigsten und ärgerlichsten Stunden.
Für die ist sie da, die Lori. Sie weiß das auch.
Es ist still geworden. Durch die schönen Zimmer mit ihren kostbaren Kunstsachen schwebt noch bläulicher Zigarettenrauch. Es riecht berauschend nach Veilchen. Tausende von Veilchen sind überall in Körben oder Jardinieren aufgehäuft. Sie bedecken den Tisch in Garben und in Bündeln. Veilchen liebt der König, wie er Kinder lieb hat, Jagdtage im Frühlingswald, harmlose, sonnige Menschen. Die Harmlosigkeit, das strahlende Lachen in ihren Augen, hat einst Loris Glück gemacht.
Sie hat nie große Talente besessen, war nie eine klassische Schönheit, aber sie ist immer ein warmblütiger Mensch geblieben, und um die Könige weht es oft kalt.
Er ist heute sehr lieb gewesen, der König. Er hat ihr einen Ring geschenkt und nicht gescholten, weil sie wieder einmal nicht auskam mit ihrer großen Rente.
Zu rechnen hat sie ja nie verstanden.
Sie wird zu viel angebettelt und gibt immer – gibt mehr als sie kann.
Lori ist jetzt ganz allein. Der Hofstaat von Vertrauten, Zofen, Faktotums hat sich verzogen und hält Siesta.
O diese schrecklichen Weiber! Aber entbehren lassen sie sich doch nicht.
Es sind die Masseusen, Manicuren, Frieseusen, die Faiseusen und Artistinnen, welche die Schönheit erhalten. Man muß sie haben, wird man vierzig Jahre alt. Vierzig Jahre! Ja, wirklich! Es ist nicht zu leugnen. Der Spiegel sagt's ja noch nicht, aber das weiß doch jeder, weit und breit, als ständ's im Almanach. Die Lori mit ihrer Sonderstellung, die kennt im Lande doch jedermann.
Es gibt Leute, die ihr Frau Königin schreiben.
Darüber lacht Lori nie. Sie nimmt es ganz ernsthaft.
Ob sie's sein möchte? Frau Königin!
Der Spiegel zeigt eine rundliche Figur in veilchenfarbener Seide, ein frisches Capricengesicht, das dem Alter lange trotzen wird, Lippen, die gern lachen.
Treuherzige Augen, krause rotbraune Löckchen, nicht zuviel Geist, aber Humor, Gefühlswärme und Mutterwitz. Mehr ist nicht da, mehr verlangt man auch gar nicht.
Im Gegenteil. Wie es ist, ist's eben recht.
Jahrzehnte lang schon währt es, dieses eigenartige Leben, das ein kleines Mädel aus dem Volk hoch emportrug.
Lori erfreut sich einer gewissen Popularität in ihrem Vaterland. Sie führt den Titel Vorleserin des Königs und war kurze Zeit eine gefeierte Schauspielerin. Glanzzeiten liegen hinter ihr, sind noch nicht verrauscht. Sie kennt alle Welt und alle Welt kennt sie. Eine Künstlerin des pantomimischen Tanzes ist sie, die große Arrangeurin nahezu aller Tableaus und Tänze in Hofkreisen, in Palästen des Adels und der Finanz.
Sie ist acceptiert in gewissem Sinne und den Damen immer interessant. Ein Kind vom Land, aus der grünen Jägerau, wo der König gern jagt und noch Loris Frau Mutter im eigenen Häuschen lebt, behäbig und anständig. Die Tochter kommt Sommers immer zu ihr; die übrige Zeit des Jahres aber schwimmt sie im Strome des Lebens oben auf und sieht, was Wenige sehen. Einige Prinzessinnen sind wohlwollend für sie und alle Prinzen sind es. Der am meisten zu ihr kommt, ist der Prinz Norbert, ein eigentümlicher Mensch. Sein Wesen ist herrisch, seine grauen Augen blitzen. Sein Mund ist lustig, in dem Blut liegt ihm eine gewiße Melancholie, manchmal ein stählerner Ernst, der Viele stutzig macht.
Er kommt gern und plauscht dann tolles Zeug, hinter dem beobachtender Verstand lebendig ist.
Er ist sehr reich. Der Hof fürchtet ihn, die Prinzen und Prinzessinnen mögen ihn nicht sehr. Im militärischen Dienst hätte er Unstände, wenn seine Charge nicht so hoch und er nicht ein Prinz wäre.
Die Lori sagt manchmal ganz naiv zu ihm: »Hoheit, wissen's, Sie sind eigentlich nicht ein Prinz, sondern ein Mensch.«
Er ist noch nicht verheiratet, aber da der Kronprinz, ein weltscheuer Mann, kränkelt, ist es natürlich seine – Norberts – Pflicht, sich zu bemühen.
Das setzt ihm die Lori auseinander, so oft als möglich.
»Und wissen's, siebzehn Cousinen tun schon heut warten, und eine Cousine muß es ja doch sein. Denken S', Hoheit, an die Stücker acht von der Prinzessin Günterine. Nicht daß ich Grund habe, derer Prinzessin das Wort zu reden.«
»Hat sie Sie wieder geschunden, Fräulein Lori, was? meine süße Tant' Günterine?«
»Das tät sie schon gern, aber ich bin jetzt zu ausgebreitet in der Gnade! Bei der Hoheit Prinzessin Marie tu' ich den Prinzerln das neue Biedermeierballett einstudieren, was Seine Majestät so gern hat. Und den Hoheiterln Karl Franz gib' ich Tanzstund'. Da kommen auch sogar die Prinzessinnen von der Herzogin Günterin.«
»Zu Ihnen?«
»Jawohl, der geistliche Herr Lehrer Winnemann kommt freilich immer mit.«
»Und sonst?«
»Na sonst die lieben impertinenten Suiterln, das allerhöchste Gefolge, das ich nicht leiden kann.«
»Alle mögen Sie nicht leiden?«
»So ziemlich. Bis auf ein Paar. Bis auf die Komteß Grimpsch zum Beispiel. Die is recht nett, die Gräfin Marianne; fein und still.«
Bei diesem Punkt bricht der Prinz immer ab. Bei der Komtesse Grimpsch nämlich. Er hat's dann plötzlich eilig und sieht echauffiert aus. Er schickt der Lori gewöhnlich bald darauf »einen Buschen« und läßt sagen, daß er nächstens wieder kommt.
Dann bleibt er ein Mal lange aus und erscheint wieder ganz unvermittelt.
Lori nimmt alles wie's eben kommt, das ist das Beste bei Hofe. Nie Aufklärung über etwas verlangen. Heute, nach dem intimen Diner mit dem Herrn, das ein eigenes Gepräge herzlicher Bürgergemütlichkeit gehabt hat, sitzt sie im tiefsten Lehnstuhl zwischen blühenden Rosenbäumen eingehuschelt und fühlt sich wohl.
Blumen, Sonne, der König war so nett! Väterlich heiter! Dreimal hat er laut aufgelacht bei ihren Anekdoten. Hat Jagdgeschichten erzählt und ihr ein Kompliment über ihr Kleid gesagt.
Er taut so ganz auf bei ihr, weil sie ihn nie unerwartet um etwas bittet, nie für jemanden bittet, das vor Allem. Einmal im Jahr hat sie freilich einen Wunsch frei. Aber den weiß sie immer taktvoll so zu gestalten, daß er dem Könige angenehm ist.
Lori vis à vis hängt ein Venezianer Spiegel. Sie sieht sich ganz darinnen. Sie findet sich tadellos.
Die Augen halb geschlossen blinzelt sie zu ihrem Bild hinüber.
»Bist doch ein lieber Kerl, den läßt man nicht sitzen.«
»Fräulein Lori, ich habe Ihnen ein Buch gebracht. Sie machen mir zu viel welthistorische, literarische und übrige Schnitzer. Sie können nichts, nichts! Fräulein Lori, schmücken Sie Ihren Geist. Es kommen die Jahre, die uns nicht gefallen.«
Lori reibt sich die Augen und steht auf.
»Entschuldigen Hoheit, ich hab' geduselt. Wo ist denn die Elise, die Gans? Warum meldet sie denn nicht?«
»Die Elise duselt auch. Muß heut' sehr anregend gewesen sein!«
»Ein einfaches Mittagessen.« »Mit Veilchen um 2000 Francs um's Rindfleisch garniert, Fräulein Lori, wo bleibt die Logik?«
Studieren Sie Logik?
Lori wird bös. »Wenn Hoheit mich frozzeln wollen!« »Ich? kein Gedanke. Ich ehre die staatlichen Institutionen der Väter als unantastbar.«
»Was haben Hoheit gesagt von den Tagen, die uns nicht gefallen? das ist von Schiller, Don Carlos, nicht?«
Nein, aber dafür auch nicht von Goethe.
»Meinen Sie damit, daß ich anfang häßlich zu werden?«
»Noch nicht, aber kommen tut es bestimmt. Wer lang lebt, geht aus der Form oder schrumpft ein.«
»So weit bin ich noch nicht.«
»Nein, noch nicht. Sie halten sich noch in Fugen und Grenzen. Sehr nett, diese veilchenhafte Violettheit. Was hat denn diese Frühlingsveilchensymphonie gekostet?«
»Hoheit, ein Prinz, der von Geld reden tut.«
»Aha! Sie wissen's gar nicht. Haben gar nicht nach dem Preis gefragt. Nobel, Fräulein Lori, echt fürstlich!«
»Ja, ein Schmutzian in Geldgeschichten bin ich nie gewesen.«
»Das geht auf mich, weil ich sparsam bin. Also hier ist das Buch, das ich Ihnen gebracht hab.«
»Was anderes wär' mir, mit Respekt zu sagen, schon lieber.«
»Glaub ich, weiß ich! geniert mich gar nicht. Haben Sie schon einmal über Ihre soziale Stellung und Ihr Verhältnis zur Zeitgeschichte nachgedacht?«
»Mein Verhältnis – zu was?«
Lori sieht so ehrlich entsetzt aus, daß der Prinz laut auflacht.
»Ich hab' doch kein Verhältnis, ich bitt' mir aus.«
»Nur ruhig Blut. Sie sind doch eine Persönlichkeit, nicht wahr?«
»Ja.«
»Also. Sie atmen beständig historische Luft, Kronenatmosphäre. Sie wissen alles zuerst. Sie sitzen an der Quelle. Geben Sie sich Rechenschaft darüber? Schreiben Sie ein Tagebuch, Fräulein Eleonore?«
»Reden Hoheit nur nicht hochdeutsch mit mir. Da krieg ich sofort einen öden Magen.«
»Dort steht ja der Kognak. Also haben Sie mich verstanden? Sie sollen Ihr Tagebuch zu schreiben anfangen, Fräulein Lori. Ich hab' Ihnen da ein Muster gebracht, auch ein Tagebuch. Handelt auch von einer markigen Frauengestalt in den Ihren ähnlichen Verhältnissen. Aber früher – viel früher. Da können Sie vergleichen, wie's früher war und jetzt geworden ist. Also lesen Sie das und schreiben Sie dazu Ihre eigenen Eindrücke aus Ihrem Leben. Werden Furore machen.«
Lori nimmt das schön gebundene Buch mit spitzen Fingern und betrachtet es ängstlich. Sie wirft dem Prinzen einen unsicheren Blick zu.
»Eine Bosheit steckt jedenfalls dahinter. Für die Leut', die einmal gewesen sind, interessier' ich mich übrigens schon gar nicht. – Ist das wenigstens was, von dem man dem Herrn was erzählen kann?«
»O ja. Warum nicht,« sagt der Prinz gedankenvoll.
»Ist es lustig?«
»Wie man's nimmt.«
»Aha, ironisch. Das kann ich nicht ausstehn. So wie den Simplizissimus, der sich am Heiligsten vergreift.«
»Tut er das? Woher wissen Sie's denn übrigens. Sie lesen ihn also?«
Lori wird sehr rot. Sie erwidert logisch: »Hoheit sind heut' nicht zum Aushalten.«
»Ich geh' auch gleich wieder. Ich les' den Simpel auch, kann ich Ihnen sagen. Wir lesen ihn alle. Bloß Heiligtümer hab' ich keine in dem Blattl noch gefunden, im Gegenteil. Also Sie werden das Büchel lesen, Fräulein Lori, was? So ab und zu eine Seite. Und dann, dadurch angeregt, selber ein Tagebuch anfangen. Orthographie ist Nebensache. Die soll nicht zwischen Ihnen und der Literatur stehn.«
»Die schon nicht. Es gibt ja so keine.«
»Sehr wahr.«
»Also, wie heißt's denn, das Büchel?«
»Wie's heißt? Pikant und wahr. › Maîtresse en titre.‹«
»Ja! so wie diese Pompadour, die ich einmal g'spielt hab'? Das war keine Roll' für mich. Es ist eine widerliche Person, die ihren Mann sitzen läßt und das Volk aussaugt. Nein, da tu' ich nicht mit. Ich mißbrauche nicht einen mir vom Schicksal auf allerhöchste Ohren gegebenen Einfluß.«
»Sehr schön gesagt. Aber lesen Sie nur dieses Buch. Die Pompadour ist nicht drinnen.«
»Wer denn sonst?«
»Verschiedene interessante Leute. Es ist das Bild eines Hofes und dreier Frauen, die an ihm den Ton angegeben haben.«
»Und handelt?«
»In England, im achtzehnten Jahrhundert.«
»O je, Leut', die schon vorüber sind! Ich les' am liebsten Romane, wo sie sich nach Hindernissen kriegen. Und nicht zu traurig darf es sein, sonst muß ich weinen. Wenn's denen, die sich in dem Buch gern haben, nicht zusammengeht, könnt' ich den Autor prügeln, denn zu was ist der Kerl da?«
»Goldenes Gemüt.«
»Interessieren tut's mich sonst schon einmal – wie eins dermalen so daran war in heikligen Verhältnissen.«
»Bravo!«
»Aber wenn ich einschlaf' beim Lesen, darf's keiner übel nehmen. Und wann ich's les', kann ich auch nicht sagen. Es ist jetzt gar so viel los und ein G'riß um mich überall.«
»Versteh' ich. Dann die vielen Anekdoten, die Sie sammeln müssen. Immer das Neueste.«
»Ja, das schon. Wissen muß ich alles zuerst. Das hat der Herr gern, wenn man ihm erzählt. Aber bösen Klatsch mag er nie leiden.«
»Vielleicht werden S' auch bald einmal von mir was hören, Lori.«
Sie sieht ihn ängstlich an. »Hoheit, bitt' schön, tun S' nichts anstellen. Sie haben ein hartes Köpfl und man hat Ihnen so schon am Zug.«
Der Prinz lacht kurz auf. »Wenn ich mich einmal verfahr', dann helfen Sie mir heraus, was?«
»Ich misch mich nicht gern ein, Hoheit.«
Er sieht sie grübelnd an. »Sie halten sich lang, unglaublich lang. Wie machen Sie's eigentlich?«
Ein helles Rot steigt in ihre Wangen. Sie sagt leise: »Ich habe den Herrn gern. Wirklich gern. 's Gernhaben lehrt einem immer 's Richtige, da kann man nicht fehl gehen. Da ist eine Stimme in einem, leise, aber wie ein Glöckerl so hell, der ihrem Ton folgt man halt und hört auf kein anderes Läuten. So hab' ich 's immer gemacht.«
Sie sieht still mit glänzenden Augen vor sich hin.
»Ich mein, es gibt keine schiefe Stellung in der Welt, die wirklich so ganz schief ist, wenn ein echtes und gerades Gefühl sie trägt. Anfeindungen und Kämpf', die muß man riskieren. Wenn 's nur drinnen, wo Keiner hineinschaut, richtig ist.«
»Hier und da muß es doch auch selbst für Sie schwer sein.«
»Hoheit, ich weiß nicht. Ich bin, wie ich bin. Ich mach' keine Faxen. Ich red' keine hohen Tön' und mach' keine Szenen. Hundertmal haben's gegen mich intrigiert. Mich hat keiner gekauft und mich kauft keiner, das weiß der Herr. Bei mir findet er keinen großen Geist und keine Finefleurmanieren, nichts Kompliziertes. Gar nichts. Aber ein helles Zimmer, in das die Sonne scheint, ein lustig's Gesicht, ein paar G'schichteln vom Volksherzen warm weg, wie es wirklich schlägt. Ich lüg' ihn nicht an. Ich nicht, meiner Seel! Eher kaput gehen. Aber lachen mach ich ihn und das mag er. Er kommt oft einmal schon, in aller Morgenfrüh und dann gehen wir mit den Hunden durch die Gärten, wo alles blüht, und schauen durch's Gitter auf die Gassen, wo das Volksleben aufwacht, die Arbeit. Wir sehn die Arbeiter gehn in's Tagewerk, die klein' Kinder zur Schul', die armen Weiber mit ihrem täglichen Elend. Dann wieder was Lustiges, eine Dummheit zwischen zwei Burschen, eine Liebesg'schicht, die wie ein Mailüftel vorüberweht, Soldaten, die singend ziehn, alte Männer, die politisieren und schimpfen. Na 's Leben halt! auch einmal ein Unglück! einen Toten, den 's tragen, weinende Leut! Der Herr steht zwischen Blumen, hinter Büschen und schaut. Zwischen ihm und der Welt draußen ist das Gitter, – oder ist es doch nicht für eine kurze Viertelstund'. Er hört das Volksherz schlagen. Das hab' ich gern. Da stör' ich ihn nie. Denn ich bin geblieben, was ich war, eine ganz einfache Person. Und ich weiß, die ihn wirklich lieb haben, den Herrn, das sind nicht die alles von ihm nehmen, die so viel genießen, die Hofleut'. Das sind, wahr und wahrhaftig, die sich schwer tun, da draußen, die von der Not.
»Die mögen den Herrn. 's ist aufg'wachsen mit ihnen, besonders auf'm Land, wo ich her bin. Dort sind nicht so viele Schreier. Und eigentlich auch hier in der großen Stadt, da hat der König viele Heimstätten, in kleinen Häusern.
»Ich schau immer, daß er der Volksseel' nur recht nah kommt. Und die Andern, die schaun, daß s' ihn davon weit weg ziehn.«
Der Prinz hat Lori aufmerksam zugehört. Er sieht den Zug von Energie, der plötzlich dem runden Gesicht einen Charakter gibt.
»Der Bischof Mehrenberg hat Ihnen immer die Stange gehalten, Lori.«
»Ihr Beichtvater, Hoheit?«
»Und der von Majestät.«
»Der Mehrenberg! Er sagt: leben und leben lassen! Er hat sich doch selber genug von der Prinzessin Mary anschwärmen lassen.«
Der Prinz runzelt die Stirn.
»Lori, geben Sie acht!«
»Hoheit, das weiß doch jeder!«
»Solang der Mehrenberg Beichtvater bleibt, sind Sie sicher. Und schreiben's also Ihr Tagebuch. Fangen's an, sobald Sie können.«
»Ich hab' halt gar so wenig Zeit! Alle überlaufen's mich, überall soll ich hin. Ich bin in der Mod' für Ballettdressur von kleinen Elefanterln, seit ich die Prinzerln abricht'.«
»Sind die Elefanten?«
»Nein, nein, die sind Elfen oder so was.«
»Mit Ausnahmen.«
»Na ja, nach der Regel. Die hohe Noblesse will mich. Die Haute-Finance reißt sich um mich. Man läßt sich herab. Ich fühle mich sehr gehoben. Und dann stell' ich meine Betrachtungen an in den Salons.«
»Also nur aufschreiben. Adieu, Fräulein E–le–o–nore.«
»Hoheit!«
»Lori also. Und 's bleibt dabei. Wenn ich was anstell', putzen Sie mich heraus.«
»Um Gottes willen!«
»Darauf rechn' ich.«
Sie steht am Fenster und sieht ihm nach, wie er den Parkweg hinabgeht zum Gitter, wo sein Wagen wartet.
Ein Mietwagen, geschlossen. Er fährt am liebsten ganz allein, ohne Begleitung, und man sieht das nicht gerne.
Lori denkt: Wird er was anstell'n und was denn?
O du meine Güt'! Die Albert-Kinder werden ja gleich da sein, 's Menuett eintreten, für das ihre Füß' halt justament nicht gebogen sind. Was einer halt gar nicht ist, das will er absolut immer vorstell'n.
Aha, da sind's schon, die jungen Grafen Strambald Albert von Hohennorden, ihres erlauchten Geschlechtes eigene Ahnherrn. Mina! In den grünen Salon mit diesen jungen Grafen, da können's am wenigsten zerhaun.
Der Älteste, der Miau, Moritz heißt er und läßt sich Miau schimpfen, nimmt ein jedes Stückl in seine Schmierhänd' und taxiert's; so ein Luder! Jemine! die Gräfin Schmörting kommt mit ihnen, die Mietterl!
Ein so ein hochmütiges Rabenvieh ist sie sonst, aber den Albertablegern macht's die Frau Tant'!
Wer möcht' ihr auch sonst die Toiletten zahlen, wenn's die Casa Albert nicht tät'. – Ich komme schon, Elise. Alle Bedienten außer! Der König mag keine um sich, aber die Albert müssen welche haben. Halt! Das Buch muß ich noch aufheben. Zu was er nur das gebracht hat, der Prinz! Es ist bestimmt eine Bosheit drinnen.
Maîtresse en titre? Soll das eine Anspielung auf mich sein? Ich bin ja gar nicht en titre. Die Lori bin ich, mit der raschen Zung' und dem feschen Angreifen der Tatsachen im Leben, die Hoflori.
Was? Die Albertableger sind entrüstet, daß sie warten müssen, sagen Sie, Elise? O je! Auf mich haben schon ganz, aber ganz andere Leut' gewartet und es ist ihnen noch eine Ehr' gewesen. Die Frau Gräfin Schmörting wundert sich? O Gott! ja wenn die Gräfin Schmörting sich wundert, dann freilich! Ich komm' schon. Die Frau Leontin' soll herüber kommen und das Menuett spielen. Aber gleich, daß es bald überstanden ist. Vorwärts!
London im Mai 17..
Mistreß Howard an Miß Bellenden, Ehrendame der Königin Caroline von England:
Meine liebe Miß, ich muß Ihnen schreiben, denn bis ich Sie einmal zufällig zu sehn krieg', das dauert mir zu lang. Man ist hier im königlichen Palast verraten und verkauft, will man mit convenablen Leut' eine ehrliche Red' wechseln.
Ach, meine liebe Miß, mit dem König ist es sozusagen mit Respekt nicht mehr zum Aushalten. In Hannover kann er ja anders sein, aber wenn er nach England zurückkommt, dann helf' uns allen der Himmel!
Ist es hochverräterisch zu sagen, ach wenn er nur dort verblieb? Hat doch unsere liebe Königin Carolin mit dem Hofstaat, so sie sich zusammengestellt, gar fein und geistreich gelebt, besonders in Richmond auf dem Land. Hat mit unserem vielgerühmten Pope gescheit geredt, mit Lord Chesterfield, den beiden Herveys und dem witzigen George Selwyn geplaudert, hat ihre liebsten Damen um sich gehabt, Sie, meine Liebliche, die feine Mistreß Selwyn, die Ladys Montagu und Walpole. Was ist da schön und klug und lustig Hof gehalten worden, indessen Seine Majestät in Hannover Sauerkraut aß und Trampelfüß' hofierte.
Jetzt ist das alles aus. Wir sitzen wieder steifleinen in London und der hohe Herr, den sie heimlich den deutschen Korporal nennen, schwingt die Knut'!
Ach, meine Liebliche, er ist gar sehr erzürnt, der Korporal, Sie im Vorzimmer Ihrer Majestät zu vermissen und zwar schon seit acht Tagen. Wie lang gedenken Sie noch in Twickenham bei der Montagu zu bleiben? Der Korporal ist – autant que possible – liebeskrank nach Ihrer Person, so keck auch Ihr Schnaberl geht und so unglaublich Sie ihn abtrumpfen.
Erbarmnis mit uns! So oft Sie das tun, müssen wir leiden, Königin und Hofstaat. Dann ist er ganz ohne Maßen der Korporal. Schmeißt die Türen, brüllt die Leute an, selbst Lord John Hervey, den favorisierten Kammerherrn der Königin, und den allmächtigen Minister, unseren Walpole, der zu gescheit ist, um nicht niederträchtig zu sein.
Gestern war geheime Ratssitzung neben dem Kabinett des Königs und er hätt' ein Ernennungs-Diplom sollen unterschreiben; wollt' aber nicht. Saß kerzengrade und maulte, hatte seinen absonderlichen Mund, der ein wenig ist wie die zunehmende Mondsichel, fest zugemacht und war im Gesicht noch braun-gelber als gewöhnlich. Wenn er's so macht, sich so anstellt, da ist nichts zu wollen von ihm. Schlich also Lord Chesterfield mit Diplom und Feder melancholisch herein, gefaßt auf Abwinkung.
»Welchen Namen, Euer Majestät, sollen wir eintragen?« Drei Mal fragt er's. Ihr kennt ihn. Er ist sehr zäh, der Chesterfield. Als er zum vierten Mal lieblich lächelnd anhub, brüllte ihn der König plötzlich an: »Den Teufel!«
Nickt der Chesterfield und hebt an zu schreiben. Dann fragt er sacht: »Befehlen Majestät die gewöhnliche Form ›Unseren treuen und vielgeliebten Vetter den Teufel‹?« Haben alle lachen müssen, und des Chesterfield begünstigter Mann ward notiert.
Zu leugnen ist es nicht, Ihr wißt es auch, daß Englands Regierung nicht gar viel Achtung hat vor seinem hannoveranerischen Herrn, der nur seine Manier, seine Anekdoten, seine Sitt' will haben und hier einführen. Aber das geht nit. Nation ist Nation. Muß man heilig halten. Ist so ein Doppelfürst ohnehin ein eigen Ding.
Wie haben sie in den Klubs und Zeitungen revoltiert, als des Königs Äußerung vom letzten Empfang laut 'worden ist, daß die Denbighe Englands beste Edelleut' sei'n, weil sie von den Grafen Habsburg täten abstammen. Das war ein Sturm! Seine fremde Genealogie will er uns aufhalsen, hieß es.
Der König mag unseren alten, heimischen Adel gar nit wohl leiden.
Sehnt sich alleweil heim nach Hannover zu seinen Korporälen und ist ihm unsere galant französische Eleganz ekelhaft.
Ohne Frauen kann er nit leben, aber wir hier, mein' ich, sind ihm allzu fein. Er sehnt sich nach dort, wo die Meisenbuche blühen, das edle Geschlecht so dem Herrscherhaus schon eine Dynastie von Maitressen hat 'geben: die alte Gräfin Platen für den Kurfürsten Ernst August, ihre Tochter, die Kielmannsegge Darlington und die jüngere Platen von Uffeln für den ersten Georg, der auch die Tante der Kielmannsegge, die Frau von dem Bussche-Weih, gar sehr adoriert. Man sagt, unser Herr hätte, da er jetzt so lang in Hannover geblieben, wieder neue Anknüpfung mit solcherlei Damen. Denn das Regieren dort – hält ihn nicht auf.
Jedenfalls ergeht es uns übel seit Sie fort sind, Liebliche, und ich mein', die Königin bereut selbst, daß sie Ihnen Ihre Freiheit wieder hat 'geben. Eifersüchtig, die Arme, ist sie ja wohl nicht. Wie denn auch!
Ist ein zu eigen Ding um ihre Ehe. Hat den Korporal ein neues faible gepackt, sei's in Hannover, sei's hier in London, wem tut er's zuerst bekannt, wer ist seine erste Vertraute?
Die Königin! Gott helf' uns, hat man so was schon gesehen? Läuft zu ihr, oder ist er in Hannover, entsendet er einen Extrakurier nach London mit einem Brief an seine Frau Eheliebste, darinnen er die Eigenschaften und Reiz' der neuerdings Favorisierten derart haarklein schildert, daß unsere Königin sie auswendig weiß, auch wenn sie sie nie gesehen und sie auf hundert Schritt' müßt' erkennen!
Sie erfährt alles. Was die Holde gekostet, mit was für Wort und Getu' sie wird erworben – und so weiter.
Arme Königin! steht da schön und schlank mit geistvollem Feuerblick und weiblicher Anmut zwischen zwei heranblühenden Töchtern, hat das Herz und den Geist und den Charakter, die jemand anderem fehlen, und muß sich lächelnd hineinfinden in's Unglaublichste. Aber die deutschen Maitressen fürcht' sie, das weiß ich. Fürcht's, wenn der König so lang zu den Barbaren geht.
Erst letzthin hat er beim Ball bärbeißig renommiert, daß er noch nie mehr als tausend Dukaten hätt' zahlen müssen für seine Charmeusen. Hat sich die geistreiche Mistreß Selwyn, unseres Georg Frau Mutter, eine Dam' von feinster alter Art, nit können enthalten, ihm zu erwidern:
»Stünd's wie es wollt', ich wär' die letzte Frau, die mit Euer Majestät wollt' ein zärtlich Geheimnis haben. Denn möcht' mich arg schämen, daß man mich, in meiner Sünd', der Königin anpreisen tät'.«
Sagt der König darauf: »Ach was, die Königin muß lieben, was mich liebt. Ist ihre verdammte Pflicht.«
Nun, liebe Miß, bedenken Sie sich doch und kommen Sie wieder. Lassen Sie Ihre holdseligen vierundzwanzig Jahre in unserer Dunkelheit blühen. Weiß ja, Sie sind unabhängig und haben's nicht not, wie ich und mein guter Gentleman, in Vorzimmern die Wänd' zu beleben, aber schließlich sind Sie doch sozusagen unsres Hofes Ziehkind, der Königin Patchen, die sie schon, als sie eine recht beklagenswerte Kronprinzeß gewest, liebevoll hat zu sich genommen.
Sie waren ein arm's klein's Waisenmädel, trotz Ihrer Pfund und Luisd'or, und die Kronprinzeß Caroline hatte man mit raffinierter Grausamkeit von ihren Kindern getrennt, aus Straf', weil ihr Gemahl sich mit dem Vater Georg dem Ersten nicht vertragen. Da hat sie wohl schwer gelitten, die arme, schöne Kurprinzeß, unsere Königin. Sie wissen das alles besser als ich, obschon Sie ein Kind waren, als die Kurprinzeß in die Verbannung zog und statt ihrer eigenen Kinder Sie, meine Liebliche, mitnahm. Sagt es noch heut' immerzu, was für ein Trost Sie ihr sein gewesen.
Ach kommen Sie doch zurück, das Leben der Königin mit ihrem Korporal wird dann leichter sein.
Vielleicht ist er so grimmig, weil sein letzter Staatsstreich gar lächerlich ist ausg'gangen, hat er doch plötzlich erklärt, er wollt' alle Rechnungen zahlen, die sein hochseliger Vater gnädigst unbezahlt hinterlassen. Da fuhren denn zwei große Frachtwagen an vor St. James Palast. Alles Unbezahltes. Seiner Majestät ist von dem Anblick ganz übel worden, hat angehebt, auf gut hannoveranisch fürchterlich zu fluchen: »Schert Euch zum Teufel, Bagage!«
Die Minister haben gelacht und ganz London mit ihnen. Diese Marotten bringen des Königs Ansehen in England um.
Hat er neulich nicht Walpole und Chesterfield, seinem Schwager, erklärt, er wollt' den St. James Schloßpark, das englische Krongut, französieren und dann dem Publikum sperren, wie der österreichische Kaiser seinen Prater und wie er selbst in Hannover den Park von Herrenhausen gesperrt hielt.
»Was kann das viel kosten?« haben wir ihn schreien hören.
Und Chesterfield erwiderte d'rauf doppeldeutig: »Viel nicht, vielleicht bloß eine Kron'!«
Die Sach' hat sich herumgeredet in London und wie der König Tags darauf ausfährt, grüßt ihn kein Mensch weit und breit. Hereingekommen, schmiß und hieb er um sich. Wir haben uns alle verkrochen.
Es ist gar schlimm, wenn ein König kein national fühlender Fürst ist.
Seien Sie gegrüßt, meine allzu Liebliche, und kehren Sie wieder. Ich schreibe heimlich, die Königin weiß nichts davon.
Ewig Ihre
Howard.
P. S. Mein guter Gentleman kommt mit unserem Geld nie aus und ist recht rasender Laune. Die Gehälter bei Hof sein auch gar zu miserabel.
* * *
Miß Bellenden an Mistreß Howard, Garderobière der Königin:
Um mich blühen die Bäume, denen die Londoner Schwärze, die ich dort am Horizont, über Palästen und Häusern, brüten sehe, nichts antun kann.
Sie sind wie Kinderwangen, schneeweiß und rosenrot.
Lady Montagu, meine unruhige Hauswirtin, die klügste, unbeständigste und liebenswürdigste der Frauen, liebt die Blumen, wie sie die abenteuerlichen Reisen, die kecken Erlebnisse und die amüsanten Absurditäten des Lebens liebt. Man weiß nie, was ihr morgen einfallen wird. Sie ist die autokratischste der Zigeunerinnen. O reizendes Twickenham, o reizende Villa Montagu, Nest unter Blütenbäumen.
Ich habe hier meine Zelte aufgeschlagen und bleibe hier. Aus zwei allerliebsten Stuben, in die ich meine tausend Zierlichkeiten und zuckersüßen Möbelchen, meine Nippes, Bücher und Blumen glücklich hineinkramte, tret' ich auf meinen Söller, an dem sich Geisblatt hinaufrankt, und sehe zu meinen Füßen die Themse murmelnd vorüberziehn, die wir alle lieben. Sie wäscht sich rein unter reinem Himmel an saftgrünen lieblichen Ufern, die in London schmutzige und lasterhafte Themse wird hier wieder zur Unschuld vom Lande.
Wie hab' ich sie lieb! Was erzählt sie mir alles! Und drüben liegt unseres großen Pope Villegiatur, eine wahrhaft geistige Nachbarschaft. Miß Le Pell wohnt daneben. Lady Walpole ist bei ihr. Diese Frau mag ich leiden, so wenig ihr Mann, der Premier, mir wirklich gefallen kann. Aber sie ist so aufrichtig, so unheimlich aufrichtig, die Gattin eines Ministers.
Ist es Taktik oder Dummheit? Jedenfalls verblüffend amüsant, wenn einer die böse Zunge über sich selbst ist.
Als der Vater des Königs starb, rechnete doch der ganze Hof darauf, daß Walpole stürze. Denn Sie wissen es ja doch, es hat auch nicht eine Sache gegeben, von Georg dem Ersten aufgebaut, die Georg der Zweite nicht sofort zerstört hätte, als er zur Macht kam. Er riß alles nieder, was sein Vater geschaffen hatte, wie er dessen erstes Testament zerriß und verbrannte, um keine Legate zu bezahlen. Das zweite war in den Händen des braunschweigischen Herzogs. Auch ein Ehrenmann. Er hat es dem König gemütlich verkauft.
Die in den Testamenten Bedachten sind um alles gekommen.
Ach ja, Walpole also! Er galt doch als erledigt. Lady Walpole erzählt es jedem, der es hören will.
»Es fehlte nicht viel, daß man uns in jenen Tagen angespuckt hätte! Wir waren nicht populär, ach, gar nicht populär! Und dazu seufzt sie befriedigt und macht ein liebes, dummes, sanftes Gesichtchen.
Es ist, als ob sie sich dem Genuß hingäbe, ihre beste Freundin auszurichten.
O Gott, Liebe, man warf Steine nach unseren Fenstern! Cope, unser guter Sekretär, wurde mit bitteren Wahrheiten beschimpft, die natürlich meinem teuren Horry galten. Sie nannten ihn den Bestecher. Er stecke jedes Mal, wenn er eine Bill durchbringen wolle, Fünfhundertpfund-Noten in die Servietten seiner Gäste und habe zur Devise: »Jeder Mensch hat seinen Preis.«
Kein Wagen ist in jenen Tagen bei uns vorgefahren, Liebe! Kein einziger! Ach, zu ungerecht war es.
Wissen Sie, was dann über meinen Horry erzählt wurde, als er durch die Königin doch Premier blieb?
Er hätte, um eine Stimme Mehrheit im Oberhaus zu erzielen, seinen einzigen Freund auf der ihm todfeindlichen Bank der Bischöfe gebeten, einige Tage in seinem Haus abgeschlossen zu bleiben. Canterbury, der Erzbischof, hätte uns den Gefallen getan, weil Horry sein Förderer gewesen.
Und darauf hätte Horry ausgesprengt, der Canterbury sei gefährlich krank, aufgegeben.
Alle Bischöfe, die sonst nie zu uns kamen, seien zu uns gerannt, um nachzufragen. Horry hätte mit ihnen allen schön getan, bis jeder geglaubt hätte, er habe Aussicht auf das Erzbistum Canterbury, wenn der Bischof stürbe.
Und so hätten plötzlich alle Bischöfe für meines Horry Bill gestimmt. Der kam gleich darauf mit dem gesunden Erzbischof in's Parlament.
Was sagen Sie? So reden von uns die Leute!
Aber am nächsten Ball der Königin, als der Adel zum Handkuß kam, war er nicht mehr für mich, lauter spitze Ellbogen und Rücken, wie vorher, wo ich hatte glauben müssen, die hoffähige Menschheit bestehe nur aus Rückansichten.
Die Königin hatte die Gnad', mich anzurufen.
»Da sehe ich eine Freundin kommen!« Und hierauf hätte ich über Köpfe wandeln können, alles knixte vor mir!
So redet die Lady Walpole und amüsiert uns, wenn wir in kleinem Kreis auf dem Rasen sitzen und die Kähne auf der Themse ziehen sehen.
Gewöhnlich stürzt sie herein. »Ach, ihr Lieben! Wißt ihr schon, was über uns gesagt wird?« Und ihr vertracktes Gesicht strahlt.
Ist es nicht eigentlich eine ganz gute Taktik, die sie da hat?
Gewöhnlich sind wir nachmittags nicht allein. Es kommen meist die beiden Herveys, Lord Scarborough, Charlie Churchill, die Selwyns, Pope, wenn er bei Laune ist, und hie und da Lord Chesterfield, der gestern einen neuen Kammerjunker bekam, den Obersten Campbell. Ein schlanker Mann mit dunklen Augen. Er wird einmal Herzog von Argyll sein.
Im ganzen sind es liebe und feine Menschen, die hier Lady Marys Sorbett trinken, ihre wundervollen Konfitüren essen und sich von blühenden Bäumen beschneien lassen. Es sind die Menschen unserer teuren Königin, nicht die des Sauerkrautkönigs. Sie haben Witz, Humor, plagen einen nicht mit Moral, aber sie sind auch keine Sumpfplätscherer wie Londons Adel solche in der Mehrzahl hat, ekelhafte, schmutzige, wenn auch hochadelige Leute, die Leute des freudlosen Lasters ohne Grazie und Reiz.
O, wie bin ich froh, fern und doch nah vom Hof hier ein Asyl gefunden zu haben, nicht mehr Eure Luft zu atmen, nicht mehr fortwährend den ungeheuren Reifrock, die unappetitlichen Wulstaufsätze zu tragen, die Massen von Federn, so man armen Vögeln ausrupft. Ich wasche meinen Kopf, lasse mein eigenes Haar frei im Themsewind wehen, trage luftige, leicht rieselnde weiße Seide. Und ich lese – lese alles, was ich am Hof nicht lesen durfte, den Spectator Addisons, der so furchtbar über die Debauchen der Hofgesellschaft herfällt, die Reviews und Magazines des Doktor Hill, die Bosheiten Garricks.
Wissen Sie auch, daß der Adel diesen Hill ganz entsetzlich fürchtet. Unsere vornehmsten Damen, man nennt die Ladies Tankervill, Dorchester, die Herzogin von Portsmouth und Lady Orkney, haben die Morningpost für sich gekauft, um nicht jeden Tag, in Angstschweiß gebadet, erwachen zu müssen mit dem Aufschrei: »Was steht über mich wieder drinnen!«
Sehen Sie, das nun verstehe ich nicht. In mir ist die Furchtlosigkeit des relativ anständigen Menschen. Ich sage relativ. Wir alle stehen ja im Banne unserer Zeit. Es ist eine schlechte Zeit, liebe Mistreß Howard.
Doppelt schlecht für England, in dem fremdes Krautjunkertum und französischer Unflat den guten, alten englischen Geist tot drücken.
Ich bin vierundzwanzig Jahre alt und habe siebzehn Jahre gelebt am Hofe. Ihr alle habt an mir erzogen, nicht meine gnädige Königin allein. Ihr alle sagt, daß ich schön sei.
Wenn ich nach der Unzahl unehrerbietiger und abscheulicher Anträge rechne, die mir von oben herab bis nach unten unermüdlich geworden sind, muß es wahr sein.
Mein Spiegel sagt mir's auch. Aber wollen Sie es glauben, liebe Howard, die Königin hat bis heute keinen einzigen vollkommen anständigen Menschen von ganz einwandfreiem Denken finden können, um mich an ihn zu verheiraten. Und ich will absolut einen solchen Menschen wie ich, frische Luft, reine Kleider, ehrliche Worte, klare Verhältnisse.
Passe ich also an den Hof? Nein!
Es ist mir klar geworden, meine Zeit bei Euch ist um. Ich hab' es der Königin gesagt. Der König ist maßlos frech gegen mich gewesen.
Ich sollte die Ehre haben, seine Favoritin zu werden, aber ich betrachte Favoritinnenexistenzen nicht als Ehren. Fürsten, die Frankreichs Schmutz kopieren, sind nicht Beglücker ihres Volkes.
Ist das nicht Hochverrat? Gehöre ich an den Hof mit solchen Gefühlen?
Pfui! wenn ich nur zurückdenke. Der plumpe Kerl, ohne Geist und Charakter, der Korporal, wie Ihr's nennt, hat mich die letzte Zeit am Hof wahnsinnig gepeinigt und man muß dastehen, kann nicht entfliehen, muß lächeln.
Ich hatte Vorzimmerdienst bei Ihrer Majestät. Fortwährend kam er herein, jeden Augenblick. Lief fort von Ministerräten, Konferenzen, was weiß ich.
»Kleine Bellenden! He! allerliebste Bellenden! Fürcht' sie sich nicht! Wir sind's. Was tut sie? Was macht sie? He? Geb' sie mir ein Küßchen, was? Ordre parieren, sofort!«
Ich habe ihn energisch auf die allerhöchsten Finger geklopft und sogar das zweite Mal einen Stoß gegeben, daß er höchst unköniglich in die Ecke flog.
»Dumme Gans!« sagt Lori entrüstet, das Buch weglegend.
Lori ist schlecht aufgelegt. Sie fühlt Weltschmerz, sonst hätte sie überhaupt nie zu lesen ungefangen.
Lori ist beichten gewesen. Das ist etwas, was sie jährlich dreimal tut, zu Ostern, zu Weihnachten und nach dem Fasching. In schwarzer Seide, Capottehut, großem Gebetbuch, fährt sie aus in der Equipage; tadellos.
Drinnen in der Kirche, zum nächstbesten Beichtstuhl, immer zu einem anderen Geistlichen, das ist angenehmer. Und recht weihevoll, recht leise reden, daß man wenig verstanden wird, wenn man auch alles sagt; dann ein bisserl weinen, handküssen, sacht mit gebeugtem Madonnengesicht hinausrauschen zum Wagen. Es ist die fashionable Stunde, die ganze große Welt staut sich in der engen Gasse, wo die Hofkirche liegt und der Hofzuckerbäcker. Einige gehen in die Kirche, viele gehen schlecken zum Zuckerbäcker.
Lori wird von in Betracht kommenden Augen begutachtet. Die Fürstin Lisi, hübsch und hochnäsig und kokett, auf der heimlichen Suche nach »Aventuren«, die sie dann mit Entrüstung zurückweist; die Gräfin Pimpi gelangweilt häßlich mit zu viel Nase und zu wenig Augenbrauen, Prinzessinnen mit kammerjungferlich nervösen oder sehr prätentiösen Hofdamen, große Herren mit schnarrenden Kavalleristenstimmen, Politiker, die etwas scheu um sich schauen, alte Lebemänner mit Anekdoten; sehr viel millionenschweres Parvenutum, das durch Lorgnetten auf die Prinzessinnen stiert, nach Parfüm riecht und mit Schmuck klappert. Lustige, unbefangene junge Prinzen in Uniform, Offiziere, auf der Such' nach der Million, nette, naseweise Komtessen, die mehr wissen als sie sollen und mehr blicken als sie sagen. Zudringliche Gesellschaftsparasiten, Protzen des Geldes, des Titels, des Ranges, der heimlichen Kriecherfolge. Die Welt!
Sie alle kennen Lori, bemerken sie, beobachten sie wohlwollend.
»Aha! Die Lori ist beichten gegangen.«
»Sehr gute Tenue.«
»Famos schaut sie aus.«
»Netter Kerl.«
»Von wem ist ihr Kleid gewesen?«
Aber die Lori schaut heute keinen an. Sie ist eben schlecht aufgelegt.
Der junge Mann, bei dem sie's mit der Beichte getroffen, war ein unangenehmer Patron mit scharfen Ansichten und muß sie gekannt haben. Merkwürdig abgekanzelt hat er sie. In Verwirrung gebracht, ausgefragt, abgekanzelt. Sie, sie, die Lori!
Die Rede ist ihr stecken geblieben im Hals.
»Sie leben, ja, Sie leben in unkorrekten, unklaren Verhältnissen. Sie schwelgen in Luxus und sind ein einfaches Kind aus dem Volk. Sie leisten nichts und genießen nur. Was wollen Sie bei Gott? Was soll er Ihnen? Ändern Sie Ihre Existenz, dann kommen Sie wieder.«
Lori zog sprachlos ab. Jetzt sitzt sie daheim. Erst hat sie geheult, ihre Hunde um sich, die sie mit großen Augen ansehn, dann hat sie ihre Dienerschaft heruntergemacht, dann hat sie gesungen. Jetzt sitzt sie und liest, um ihre Gedanken abzulenken und dann läßt sie das Buch sinken. Zwischen den Zeilen steht etwas, das sie ansieht, sie kann den Blick nicht wegwenden. Es ist ihre Vergangenheit, das » Wie's früher einmal war«.
Früher, ganz früher, da ist's ein Häusel gewesen, ein einfaches Häusel zwischen Birnbäumen hinter einem Gemüsegarten mit bohnenbewachsenem Holzstaket. Die Berge schaun d'rauf herunter und schicken kräftige Luft in's Tal. Im Sommer kommen viel fremde Leut. Im Winter ist's langweilig. Im Haus wohnt die Frau Mutter, die die Händ' voll Ohrfeigen hat, wenn eins nicht pariert. Ein frischer Fratz mit dickem Hängezopf saust aus und ein und singt mit lauter Stimme: »Ich geh zum Theater, auf's Brett'l will i,« die Mutter pufft und schreit und verzeiht wieder.
Es ist eben das ganz gewöhnliche Leben. Und die vielen Gevatterinnen, nächst der Kaffeekanne, der Witwe Trost und Stütze, summsen sie an: »Ihre Lori wird hübsch.«
Das sagen auch die Sommerparteien in gewählterem Hochdeutsch. Die Frau Mutter nickt, selbstverständlich.
»Ihre Lori! Na ja!« Das sagt endlich auch ein Hofschauspieler, der zufällig in dem Häusel im Grün sein Erholungsquartier aufschlägt zwischen zwei Gastspielen. Er hat sehr schlechte Nerven; die Lori vertreibt sie ihm. Er redet immer nur von sich, worauf die Lori mit viel lauterer Stimme, noch schneller als er, immer nur von ihrer Person redet. Sie macht ihm alles nach und führt ihn vor sich selbst ad absurdum.
Erst hat er eine ungeheure Wut, dann muß er lachen, das Mädel ist drastisch-komisch. Weiß es das? oder weiß es nichts. Darauf kommt er nicht. Es ärgert ihn und reizt ihn.
Er gibt dem Fratzen dramatische Stunden. Der Fratz hat Talent. Der Fratz wird Elevin und kommt in der Hauptstadt an ein Theater, ganz blutjung, und nimmt das als selbstverständlich hin.
Für traurige Stücke ist sie nie viel zu brauchen gewesen, die Lori. Ihr war es eigen, die Menschen des Alltags frisch-warm und herzlich hinzustellen. Sie hatte Talent zum Leben und schuf warmblütige Lebensbilder.
Menschen in kalten Atmosphären auf einsamen Höhen haben Sinn für das.
Theaterschmutz und Theatermisere!
Man pufft und wird wieder gepufft. Man wird angebrüllt und brüllt wieder zurück.
Lori spielte eine ihr aus Bosheit zugeteilte sentimentale Liebhaberin so miserabel, als es in ihrer Natur lag. Sie war nur für glückliche Liebe geschaffen, für unglückliche gar nicht.
Im vierten Akt kam der Höhepunkt. Sie hatte dem Geliebten (er war der Regisseur, den sie haßte, und ihm verdankte sie die Rolle) einen Kuß, den ersten und letzten, zu geben (gleichsam hinschmelzend hieß es in der Rolle, sich auflösend).
Lori dachte: »Öd und blöd, ich werd' dir was.«
Als der große Moment kam, packte sie den über alles Geliebten und haute ihm kräftig eine herunter, dazu flüsterte sie: »'s erste Mal, aber 's letzte Mal nicht.«
Das Resultat war ungeheuer. Fallender Vorhang, Skandal, Zeitungslärm, Gerichtsverhandlung. Lori zahlte den Fünfer, den eine Ohrfeige kostet, mit Genuß, wie sie sagte.
Der Gegenstand ihres Hiebes zog schäumend ab. Sie blieb.
Als sie wieder auftrat, konnte das Theater die Zuschauer nicht fassen. Alle wollten sie sehn. Sie kam in die Mode. Sie begann zu spielen, was sie wollte und was ihr lag. Gestalten aus dem Volk, urwüchsig-derb wie sie selbst war, natürlich in allen Lebenssphären. Der Hof, der die klassischen Stücke floh, wenn er nicht offiziell hineingehen mußte, fing an, das Vorstadttheater zu kultivieren, um Lori zu sehen.
Eines Abends hieß es: »Kinder, nehmt's Euch zusammen, der König ist im Theater.«
Da war der Moment in ihrem Leben gekommen, wo Lori den Blick zur halbverdeckten Eckloge erhob und dort ein Gesicht gewahrte, ihr von Bildern und Briefmarken, von Geldmünzen her bekannt. – –
Jetzt lag die Müdigkeit eines vielleicht unerfreulichen, sorgenvollen, langen Tagewerks auf diesem Antlitz eines stillen Mannes.
Lori griff's an's Herz: Der hat heut' noch nicht gelacht!
Und dann: Den mach' ich lachen.
Alle Theatergeister erwachten in ihr, angefeuert durch ein warmes Empfinden. Sie legte sich hinein, wie sie es nannten, um die anderen mitzureißen. Ihre Augen leuchteten sternenhell, sie sang und tanzte ohne Wildheit, aber von tausend Kobolden des Übermuts beseelt. In ihre Stimme war ein Lerchenton gekommen. Der König hatte sich vorgebeugt und sah aufmerksam auf die Bühne. Es zuckte in seinem Gesicht. Jetzt – lachte er auf, mit dem ganzen elektrisierten Haus. Ein ungeheures Animo hatte alles ergriffen. Und die Lori hatte eingeschlagen, ohne ein Genie, ohne gerade künstlerisch groß zu sein.
Das zeigte sich, als sie in's Hoftheater kam, wo für sie erst ein Fach geschaffen werden mußte. Der kecke Schnabel aus dem Volk.
Über das verstimmte Gesicht des abgekanzelten Beichtkindes zieht ein humoristisches Zucken bei diesen Erinnerungen, das sich allmählich direkt in ein ganz fratzenhaftes Schulkindergrinsen verwandelt.
Sie sagt plötzlich laut vor sich hin: »Freilich könnt' ich auch Memoiren schreiben. So gut wie die zwei englischen Hofdamen. Vielleicht noch besser.«
Die Heiterkeit auf ihrem Gesicht vertieft sich. Vor ihrem inneren Blick erscheint das Häusl im Grün, bei Jägerau, dem königlichen Sommersitz, mit seinem Bohnenstaket, seinen Sommerwohnungen, seinem Hühnerstall und Ententeich. In der Stube steht der Kaffee auf dem Tisch, die Wuchteln stehn daneben, ein Schnapserl ist gastfreundlich da. Die Frau Mutter hat Pfarrer und Gevatterinnen auf einen Jausenkaffee eingeladen. Sie sitzt und strickt hausfraulich eine warme Unterjacke für die Lori und nickt zu des Pfarrers Predigt über die wachsende Schlechtigkeit der Welt. An den Wänden hängen viele Bilder ihrer Tochter, aber nur in hohen Kleidern, das Dekolletierte verachtet sie tief. Sie ist eine tugendstrenge Frau.
Oben in Loris Zimmer wird täglich gelüftet und Ordnung gemacht. Maigrüner Buchenwald schaut herein in heitere, prunklose Stuben.
Im Garten platzen die dicken Pfingstrosen. Schwertlilien und Narzissen blühen.
Die Frau Mutter kommt nie in den Sistlhof und lebt nur vom ihrigen Eigenen, wie sie sich ausdrückt. Und läßt ihre Schuhe dreimal flicken. Sehr fromm ist sie auch.
Also Memoiren geschrieben!
Lori lacht hell auf. Ausgezeichnet! schnell! schnell! Eine muß gleich zum nächsten Laden um ein sehr schönes, dickes Einschreibebuch rennen, um eine goldene Feder, ein künstlerisches Tintenfaß!
Ein literarischer Schreibtisch muß aufgestellt werden. – Inzwischen kann man weiter lesen, um was zu profitieren und den »faden Ding« im Beichtstuhl zu vergessen.
»Daß ich ihm einen Stoß gab, dem König, hat er nicht übel genommen. Im Gegenteil. Es interessierte ihn erstaunlicherweise.
Seine kleine, zierliche Figur, die so merkwürdig mit seiner sonstigen Plumpheit kontrastierte, hüpfte wie ein Gummiball, und er paradierte mir unaufhörlich seine beiden schönen Füße. Der königliche Stolz, mit dem er vor den Kronbeamten dazustehen pflegt, war verschwunden, und seine riesige Perücke wackelte über den Augen, die sich bemühten, mich sentimental zu betrachten.
Ich habe laut herausgelacht, worauf er heftig wurde.
Das war Montag vor zwölf Tagen und recht lästig war es, glauben Sie mir. Eines Königs Aufmerksamkeiten und Umwerbungen sind für eine Frau von meinem Gefühl keine Ehre. Ich empfinde sie eher als Schmach.
Ich sehe, liebe Howard, wie Sie sich scheu umblicken und meinen Brief vor Schreck fallen lassen. Heben Sie ihn nur wieder auf.
Ich hab' es Seiner Majestät selbst in's Gesicht gesagt. Das war am Mittwoch.
Ich saß wartend im Salon der Königin, mit der ich ausfahren sollte.
Sie hatte mich vom Lever des Königs dispensiert, in der sogenannten Löwenhöhle, wo er, ohne sich zu rühren, eine Stunde lang stehen kann, auf den Boden stierend, um nur ab und zu eine Neuigkeit aus Hannover zu verkünden. –
Ich besah eben im Spiegel meinen neuen riesigen Reifrock und den weißen Modeturm falscher Löckchen auf meinem armen Haupt, als durch eine Tapetentüre sehr unköniglich der Korporal hereinschlüpfte.
Er wollte mich um die Taille fassen, wogegen ich energisch protestierte, worauf er mich eine abscheulich renitente, entzückende kleine Krabbe nannte und mich fragte, was ich eigentlich wolle.
»Nichts, Sire.«
»Nichts! Das ist ja reizend von ihr. Gewöhnlich wollen alle was, alle was von dem armen Gog.«
So nennt er sich selber, der Korporal. Mir ist das Blut zu Kopf gestiegen. Ich finde diese Art, per Er und Sie mit uns zu reden, ganz empörend.
»Wollen Sie mich entschuldigen, Sire? Ihre Majestät hat mich befohlen.«
»Soll warten, soll warten, Krabbe! He – was. Hat sie schon mal was Interessantes gesehn? Sollen Wir ihr was zeigen, das die Weiber fasziniert, wenn sie's auch ableugnen, die lieben kleinen verlogenen Bestien.
Komm' sie, da seh' sie her, da kann sie was lernen von ihren Älteren und Besseren. Hoho!«
Er hatte mich mit der einen Hand gepackt und hielt mir mit der anderen ein plumpes Medaillon unter die Nase, ein Doppelbild zweier häßlicher Frauenzimmer in den buntesten Farben.
Es waren die beiden Maitressen, die sein Vater, Georg der Erste, aus Hannover zu uns nach England verpflanzt hat. Die dicke Sophie Kielmannsegge, ein wahrer Elefant von Person, und die besendürre Eberstein, jene Weiber, die deutschen Adel und deutsche Frauen bei uns gründlich, wenn auch unverdient, in Mißkredit gebracht haben.
»Na, was sagt sie? He? Was? Nehm' sie sich ein Beispiel. Soll ich ihr die Medaillons schenken zur Anregung?«
»Sire, Sie vergessen sich!« rief ich wütend. In diesem Augenblick trat glücklicherweise jemand ein. Es war der Kammerjunker Campbell, der hübsche, stille Mensch mit den ernsten Augen.
Er ist erst seit Kurzem im Hofdienst, Sie werden ihn ja auch schon kennen. Er focht tapfer in den Kolonien.
Ich schämte mich tötlich, als er mich so fand mit dem König. Er verzog keine Miene und meldete Seiner Majestät Lord Chesterfield.
Sehr kleinlaut bin ich an ihm vorbeigeschlichen in die Zimmer der Königin. Er hielt mir die Türe offen und sah mich dabei streng an.
Ich fühlte nur eins! Es wurde mir klar in dieser Minute.
Nein! Es geht nicht so fort!
Donnerstag war ich mit dem König noch einmal beisammen und zwar auf dem Subskriptionsmaskenball in Somersethouse am Strande.
Sie gingen nicht, weil sie kein Kleid hatten.
Die arme Königin mußte gehen und ich war mit ihr.
Der König adoriert diese bunt zusammengewürfelten Bälle über alles, da kann er mehr Gog als Herrscher sein.
Es gilt auch bei ihm nicht leicht jemand so viel, als der Schweizergraf Heidegger, dessen gräßliche Häßlichkeit ich eben in ein Paar neuen Karikaturen unseres Hogarth bestaune.
Nein! Wie kann man bloß derart häßlich sein!
Der lustige Vergnügungs-Jonny, wie der Graf heißt, hat doch kürzlich Lord Chesterfield eine Wette abgewonnen, daß er der gräulichste Mensch sei in London. Und er gewann!
Man stellte ihm ein abschreckendes altes Weib vis-à-vis. Aber Jonny zog dessen Kleider an, und siegte. Er ist ausgelassen, aber sehr amüsant. Niemand weiß wie er Gog zu amüsieren.
Also wir gingen alle zum Ball nach Somersethouse, die Königin wunderschön in weißer Seide, à la van Dyck, wahrhaft wie ein Bild von Meisterhand.
Meine Königin Karoline! Sie hat den seelenvollen Ernst deutscher Prinzessinnen, die man in Kargheit und Religiosität zu hoher Frauenwürde zu erziehen pflegt, und dabei die Zartheit vornehmer Engländerinnen, gepaart mit französischer Anmut.
Wie lieb' ich diese Frau! Sie ist der Abgott meiner einsamen Kindheit gewesen und in frühen Tagen verstand ich ihres Lebens stumme, bitt're Not.
Ich denk' es mir als eines der furchtbaren Dinge auf Erden, sich einem minderwertigen Manne gänzlich willenlos unterzuordnen, als bedeutende Frau, um ihn indirekt zu beherrschen. In jeder Ehe ist ja wohl etwas Heuchelei, aber eine ganze Ehe auf Heuchelei aufbauen! Götzendienst tun vor einer Fratze, um auf Umwegen das unumgänglich Nötige zu erreichen! Mir graut! –
Wie schön Karoline lächelt. Sie hat gelernt, sonnig zu blicken mit wehem Herzen. Eine schwere Kunst.
Sie ist Königin von England und Gog ist hannoverischer Junker. Zwischen ihnen steht diese Fremde, die auch zwischen Georg und England steht.
Sie ging zum Ball und lächelte, meine Königin. Gog kam als altenglischer Bedienter. Er machte es so gut, daß ihm freche Masken ihre Teetassen hinhielten. Das hat ihn entzückt. Ich trug ein Kleid als Morgenröte, im Haar eine aufgehende Sonne. Ich gefiel der Königin.
Gog strich unausstehlich um mich herum. Zum Glück wurde er oft abgelenkt. Es gab viel zu sehen.
Londons Hochadel im habillé und déshabillé. Im déshabillé! Mein Gott! Miß Charlie Fane kam als Frau des Rubens.
O guter Gott! Es gehört viel dazu, Rubens' Frau vorzustellen, das heißt – nicht viel Stoff, aber sehr viel anderes. Charlie besaß und zeigte es. Gog umtaumelte sie wie ein Schmetterling.
Charlie Fane ist der ganz neueste Genre jungen Weltdamentums, sehr frech und ganz aufrichtig. Auch geistreich ist sie. Ich hörte sie beim Contretanz zu Gog sagen: »Ja, alter Kerl von Lakai, wenn Ihr ernstlich nicht wollt, daß Ehen gebrochen und falsche Zeugnisse beschworen werden, dann sagt doch Eurem König, er soll Gesetze geben, in denen Ehebruch und Meineid befohlen wird.«
Gog hielt sich die Seiten vor Lachen.
Haben Sie gehört, wie Lizzie Chudleigh kam? Es war ja der Clou des Abends.
Lizzie erschien als Iphigenie zum Opfer bereitet, tatsächlich, liebe Howard! Sie hatte nahezu nichts an. Wir schämten uns alle. Keine Ehrendame hat mit ihr geredet. Auf den Wangen der Königin brannte ein helles Rot der Entrüstung.
Prinzeß Auguste, gutmütig, echt deutsch, wie sie ist, legte der Chudleigh ihren Mechelner Schleier um.
Die aber guckt sie keck an und sagt: »Ach, lassen Hoheit doch. Sie wissen ja, daß jedes Ding seinen Zweck hat.«
Mister Zweck, der deutsche Attaché, ist Augustchens kleines faible.
So reden wir mit unseren Hoheiten, liebe Howard.
Lady Montagu war originell als Kanonissin. Sie paßt für die Rolle wie Gog zum Mönch. Der Augenaufschlag, der Madonnenausdruck ihres raffinierten Capricengesichtchens! ganz köstlich!
Man trug prachtvolle Diamanten und einige unterhielten sich sehr. So unser Gog, der der hüllenlosen Iphigenie auf der Ballmesse eine Uhr um 35 Guineen kaufte (Gog, der Geizhals!) und den Grafen Jonny betrunken machte, um im Schlaf einen Abdruck von seinem Gesicht nehmen zu lassen. Zum Schluß hat Gog der Miß Chudleigh verkündet, daß er ihre Mutter zur Haushälterin in Windsor ernenne und sie dafür vor dem ganzen Hof um einen Kuß ersucht.
Sie küßte ihn resolut.
Lady Walpole erschien nach neuester Mode, den riesigen Kopfputz voll armer, nacktgerupfter Vögel, ihr Mann kam als Schloßvogt Elisabeths, mit einem Gefolge von Truthähnen und Gänsen, deren Matadore die jungen Elegants Oxford und Nottingham darstellten. Sie wußten sich gut als Gans und Truthahn zu benehmen, da sie vorige Woche einen Wettlauf von solchen Tieren von Norwich nach London um 500 Pfund veranstaltet hatten.
Reizend, nicht? diese geistige Blütezeit unseres Adels!
Meine liebe Howard! Wenn Menschen Geld haben, sind sie frech und wenn Menschen Macht haben, werden sie grausam. Tugendhaft ist der Gedrückte, bescheiden der Einflußlose.
Edle Gefühle reifen in der Not, der Sorge, der bangenden Liebe!
Der Mensch ist Zugtier, Bestie, und gehört in's Joch, aber nicht in's Joch der Fürstenhöfe.
Am Tage nach dem Ball ist es dann zwischen mir und Seiner Majestät zum Krach gekommen. Es war Tee bei der Königin, Gog setzte sich neben mich, zog seine Börse, schüttelte sein Geld in meinen Schoß aus und begann die Münzen zu zählen. Ich konnt' es endlich nicht mehr ertragen, sprang auf, daß ihm alle seine Pfennige vor die Füße rollten und rief:
»Sire! Ich kann Sie nicht mehr aushalten!« Tableau!
Die Königin führte mich gütig aus dem Zimmer. Wir hatten ein langes Gespräch, wie man es nur mit ihr haben kann, und ich fühlte es wie eine Mutterhand auf meiner glühenden Stirne.
O, Howard, wie hab' ich geweint! – diese Hand, sie mahnte mich an nie besessene Paradiese!
Am nächsten Tage durfte ich fort, ohne von jemandem Abschied zu nehmen.
Ihre
Bellenden.
P. S. Nebenbei hab' ich Ihnen nicht geschrieben, daß ich auf dem Ball mit Oberst Campbell getanzt habe. Er sah sehr gebieterisch, als Monmouth der Prätendent, aus und ließ sich mir von George Selwyn in aller Form vorstellen.
Wir hatten einen Contretanz zusammen. Seine dunklen Augen ruhten auf meiner Morgenröte. Er blickt streng und ist kein Hofmann. Oft sagt er kurz etwas Schroffes. Auch spricht er englisch, nicht französisch. Wenn er lächelt, tut er es sehr hübsch, eigentümlich ehrlich und warm, wie Menschen bei Hof nicht lächeln. Und der Inhalt seines Gesprächs stach so stark von dem Modeton ab, den man hier beliebt, daß er mich zuerst verwirrte.
Oberst Campbell kommt aus dem Ernst des Lebens. Er hat in Indien schwer und tapfer gefochten, dagegen protestiert, daß man ihn als Aristokraten auf gefahrlosere Posten stellen wollte, und alle Lasten des Soldatendaseins getragen. In seinem Blick ist die Energie eines Mannes, der großer Gefahr in's Aug' geschaut hat. Ein Blick, der monatelang hingeglitten ist über fremde, schweigende Weiten und Weltfernen. Campbell mag vielleicht der seltene Mensch sein, der als Offizier ein Träumer blieb.
So gar nichts Rohes, Gewaltsames, nur Entschlossenes ist an ihm. Er hat nichts vom jungen Engländer du jour. Man möchte meinen, er hat Augen, die in die Einsamkeit zu blicken lernten und von ihr eine Seele erhielten. Er wagte es zu sagen, daß er die rebellischen Schotten und Irländer liebe, daß er für ihre Revolte Verständnis habe. Dabei drückte er zerstreut meine Hand, als sei ich selbst solch ein Rebell, und entschuldigte sich dann. Ich bin sehr rot geworden. Ich fühlte mich plötzlich berufen, ihm, dem Fremden, zu sagen, daß ich hier am Hof nicht bleiben wolle. Er sah mich mit glänzendem Blick stumm an.
Der Contretanz war aus und ich bin ihm buchstäblich davongelaufen. Ich weiß selbst nicht warum.
Sein Blick wärmt, wie nicht Feuer, nicht Sonne, wie nur ein Menschenauge wärmen kann.
Howard, gute Nacht. Wenn ich so d'ran denke: Es war doch der schönste Ball meines Lebens!«
»Das hat sie allerliebst g'schrieben. Sie ist doch ein reizender Kerl! Natürlich verliebt sie sich in diesen Campbell,« sagt Lori. »Klug ist das zwar nicht. Man läßt einen König, der sein allergnädigstes Schnupftuch auf einen geworfen hat, nicht sitzen. Man wird von ihm höchstens sitzen gelassen.«
Dann sagt sie laut, sich selbst zurechtweisend: »Nicht, daß das bei mir jemals geschehen könnte.«
Der König war auch heute da, wie er täglich kommt, wenn auch oft nur auf Augenblicke. Aber heute war er sehr schlechter Laune.
Dann macht er den Mund fest zu, schiebt das Kinn vor und schweigt. Die Freundin erkennt: Man hat ihm etwas Unangenehmes nicht verheimlichen können. Sei es politisch, sei es aus der Familie.
Lori ist gedrückt. Der gereizte Fürst war schwer anzufassen.
Er tadelte alles Mögliche an ihr und um sie her. Es war, als suche er einen Ableiter für heimlichen Ärger.
Sie hat ihm vom Kinderballett erzählt, von der Pantomime der kleinen Prinzen und Prinzessinnen mit dem Hofadel, die sie einstudiert, von deren Vorzügen und Talenten. Dabei war sie müde, totgeredet. Den ganzen Vormittag überliefen sie alte Weiber beiderlei Geschlechts, Wohltätigkeitsbasen, fette Finanzdamen; Gouvernanten, Arrangeure und Komtessen wegen der Pantomine.
Das ging so. Nr. 1: »Liebes Rescherl! Meine Frisur steht mir nicht. Ihre Leontine muß mich Probe frisieren.«
Nr. 2: »Freil'n Resch, Sie, jetzt weiß ich wieder nicht, geh' ich rechts oder links ab, oder gar durch die Mitten.«
Nr. 3: »Bitt' tausend Mal um Vergebung, Fräulein von Resch, das kann nur ein erreur sein, daß die Gräfin, meine Frau, im sechsten Tableau, Aktschluß, links steht und rechts die Baronin Bontoningen. Die Gräfin ist Palastdame, die Bontoningen hat nur im Portemonnaie ihre Ahnen. Ich wundere mich überhaupt. Aber dafür können Sie ja nicht, natürlich. – Nur beeinflussen sollten Sie, beeinflussen.«
»O, Herrgott, Herr Graf!«
»Nix für ungut! Weiß schon! weiß schon! Geht mir auch nicht besser. Na ja, ma' lebt halt. Küß' Ihnen 's Handerl. Immer alter Verehrer. Und gelten's? meine Gräfin steht rechts. Wissen's, ich kann mich sonst gar nicht z' Haus zum Essen trauen. Mir ist es ja so total toute même chose, wo sie steht, oder ob's überhaupt steht, aber sie sein halt alle wieder einmal nicht meiner Ansicht.«
Nr. 4: »Freil'n Lori! Nur auf ein Wört'l! Bitt' Sie, ändern's das, daß der Zick im Ständchentableau hinter der süffisanten Gans, der Zeckenberg, steht und sie anschmachtet.
»'s kommt ihm zu hart an, 's wird total unnatürlich. Er kann nur schmachten, wo's ganz standesgemäß is. Er is halt so geboren, Parvenuadel lauft ihm über's Leberl. Stell'n S'n neben mich, bitt' Sie; mich kennt er. Ich bring' gerne das Opfer. Aber in die Proben nicht, sonst macht die Zecken einen Krawall und das heißt dann wieder: natürlich, diese Komtessen! Ganz zuletzt g'schwind, eh' der Vorhang aufgeht. Zu der Zecken können's ja den Elias Tinsenberg geb'n, der hat nicht so die feinen Nasenlöcher. Adieu!«
Nr. 5: »Gnädigste, grüß' Sie Gott, der Gottschallerl Meanz laßt sagen, er kann als geharnischter Ritter nicht so lang stehen, er hat vom Fasching keine Füß' mehr übrig. Und mit der Fürstin Sissy Mortenas kann er absolut nicht stehen, sie ist noch bös auf ihn, weil er beim Herrschaftentee der Prinzessin Günterine einen Staubzucker auf die Frisur g'schütt hat und die Sissy ist in Verdacht kommen. Sie schaut ihn absolut nicht an. Und anschaun müssen sich die zwei. Sie sind ja noch nicht verheirat't! Also weg mit der Sissy. Nehmen's sonst, wen's wollen. Er ist ein so ein lieber Bursch, der Schallerl. Nur die Mary Purgs nicht, die riecht aus'n Mund, wir haben ihr ein Zahnwasser g'stiftet in einem Kotillonbukett. Und die Daisy Schwezlin nicht, die tritt einen alleweil auf die Zehen. Er ist kitzlich, der Schallerl! dann quietscht er und die Schwezlin mère spannt gleich ihren Segen aus über die zwei, wenn der Schalli quietscht und meint, die Daisy hat ihm schon gelandet.
»Nein! Nur Vorsichtsmaßregeln und keine Katastrophen.
»Geben S' dem Schalli die Blancherl Schleck, die bei Hof keiner anschaut, weil sie nur Contrebande ist mit ihrer nicht geborenen Mutter. Da nutzt der geschminkteste Schwiegervater nichts. Also geben's die Blanche zum Schallerl. Er hat a gut's Herz für die, die nicht ganz reçu sind. Er küßt Ihnen die Händ'! Leg' mich zu Füßen. Die Blanche ist ein Racker. Der Schallerl wird auf sie acht geben, daß s' nix anstellt! Ach, meine gute Resch, grüß' Sie Gott. Sie sehen mich, en plaine chasse, echauffiert! Meine Hoheit läßt gnädigst auf das Bestimmteste ersuchen, daß Ihre Hoheiten, unsere durchlauchtigsten Prinzessinnen, in den beiden Rosen und Kindertableaus nur ganz strikt unter sich mitwirken, nur mit Prinzessinnen von Geblüt!«
»Ja, aber Exzellenz, die Herren Grafen Seebold und Bidenbart und von der Schnautz?«
»Herren, Hofherren, können mitwirken, Hofdamen nicht.«
»Ach so, Hofdamen nicht. Aber die Komteß Marianne?«
»Die Komteß Grimpsch wirkt nicht mit. Sie hat auf die Tücher und Mäntel zu achten! Noch eins. Hoheit Prinzessin Clarisse steht mit Hoheit Prinz Norbert als Marquise.«
»Hm, Exzellenz, dafür war die Komteß Grimpsch bestimmt.«
»Es ist geändert. – Sie paßt nicht.«
»So, sie paßt nicht. Zu lieb hat's aber ausg'schaut, find' ich, mit dem Prinzen zusamm'.«
»Sie paßt nicht. Hoheit läßt bitten, daß Ihre savante Leontine die Prinzeß frisiert.«
»Zu Befehl!«
» Merci. Ach, diese fatigue! Um 6 morgen die Probe? Adieu, meine Gute.«
»Schamster Diener, meine Alte,« hat Lori der Obersthofmeisterin nachgebrummt.
Dann sind noch einige gekommen. Zuletzt die abmagernde Gestalt des höchst bedauernswerten sogenannten zweiten Arrangeurs, des wildgelockten ersten Tanzmeisters.
»Freil'n Lori, ich spann' aus! Ersatzfüß', Lungen und Gedulden sind nicht verteilt worden.
Werden Sie auch aus'n Bett außerg'riss'n und zitiert, Freil'n Lori, zu alle Stund in alle Paläster. Sind Sie auch schon grob 'worden, Freil'n Lori. O Nestroy!
Lieber Holz hacken, als wie aristokratische Kunstleistungen einstudieren!
Ein Bestkegelschieben sollen's veranstalten mit ihren Ahnenknochen. Wer die meisten mitbringt, schiebt als König!
Fuchsteufelwild könnt' man werd'n. Sonst bin ich ein guter Kerl, sag' ich Ihnen. Aber die Gräfin Cary Brüll hat krumme Wadeln und Enkelkinder. Trotzdem will's jetzt der Page von der Kaiserin sein.
»Pagen müssen überall durchschlüpfen können, Exzellenz. Das Gitter hab' ich noch nicht g'sehn, wo Sie durchschlüpfen können,« sag ich ihr, grob wie ein Flegel.
Aber sie bleibt der Page. › Amme in Verkleidung‹ soll das Tableau heißen! Und die Prinzeß Harrison, die Luisette. Sie kann der reizenden Baronesse Enici nicht die Hand geben, sie kann nicht. Die Enici ist niederer Adel, bloß Verdienst; der Papa zwar ein Volkswohltäter, aber bloß Verdienst. Nicht Tradition mit prinzipieller Verdienstlosigkeit.
»Der gute Mann … Er hat gearbeitet. Nun ja, aber – da bezahlt man doch, man verkehrt noch nicht,« das heißt, Seine Majestät verkehrt schon, nimmt den Hut ab vor dem Mann und sagt: ›Ihnen verdank' ich vieles, das mich überleben wird.‹ Aber die Hofstubenmädchen, die können nicht verkehren.
Sie, wann leben denn wir? in welchem Jahrhundert? Da soll ja doch gleich –!«
»Aber, Herr Nazlmann, regen's Ihnen doch nicht auf!«
»Entschuldigen's, Freil'n Lori. Sie sein ja alleweil immer die Liebe, Nette. Einen Hennessy soll ich trinken und rauchen? Und zum Essen bleiben soll ich bei Ihrem guten Paperl? Ich käm' sonst ganz von Kraft? Na, ja. Ich halt's schon noch aus. Unsereins vom Theater is tätowiert mit blaue Flecken, aber sagen muß ich schon, na! die vom Metier sein mir lieber, weitaus.
Es ist ja eine Hetz', alle die aufgeputzten Leut' mit ihrem Schweif von Hofdamen, Bedienten und Gouvernanten; die uralten Schönheiten mit den Rosenhüterln und Spitzenkleiderln, die neckisch sind und Patronessen spielen und beglücken. Nacher die jungen Prinzesserln, die so lieb dumm, und die Komtesseln, die so faustdick schlau gucken. Nacher die jungen Herren, denen alles z' fad ist, nur's Geld nicht, die Schauspielerinnen nicht, die Karriere, die von selber wird, nicht. Und die alten Generäl' mit die schön' Jankerln, die's Pulver nie g'färbt hat. Die jungen Frauen, die recht zeigen, daß sie jetzt alles wissen und noch mehr wissen möchten. Die beglückten » anderen Kreise«, die für schweres Geld a bissl mittun dürfen. Es ist ja eine große Allerweltshetz'. Für's allgemeine Wohl. Jede Proben ist a Soiree mit Büfett und Tee und Toilette. Dann die Buketter für jeden und jede, die Regie. Viel schaut sich nie außer. Sie sagen, sie opfern sich. Na, wenn's gleich das geben möchten, was jedes Gewand von ihnen kostet! Aber das tun's nicht!«
Der alte Mann hat grimmig aufgelacht. Dann ist er gegangen. –
Von 2–4 Uhr muß Lori immer bereit sein, auf den König zu warten, und um 6 Uhr früh um spazieren zu gehen, abends, um Schach zu spielen.
Außer er sagt ab.
Anfragen darf sie nie. Niemals verhindert sein. Wenn sie klug ist, nie krank.
Und heute kam er in der schlimmen Laune.
Nein, die Rückkehr zur fernen Vergangenheit ist heute Lori nicht möglich. Umsonst lockt der mit kindlicher Autorenfreude aufgestellte Diplomaten-Schreibtisch mit dem massiven Tintenzeug, dem dicken Band weißer Blätter.
Es darf die Gegenwart dich nicht beklemmen,
Willst rückwärtsschauend du die Schritte hemmen.
Umsonst hat sie Material aus veilchenduftenden Truhen und kostbaren Mappen gekramt, lose Konzepte von Briefen, ohne Orthographie, mit steifer Hand geschrieben, ein zerfetztes Tagebuch mit Karikaturen zwischen den Zeilen, Zeitungsausschnitte, Zuschriften, Kontrakte, Schenkungsurkunden mit dem königlichen Siegel, vornehme Billetdoux, Wappenbriefe, auch Anhimmelungen von Verehrern, um sich in die Vergangenheit zurückzuleben.
Auf ihrem Herzen liegt ein Druck.
Der junge Zelot, der sie gestern nicht absolvierte! Daß so etwas passieren kann? Ist das nicht eigentlich Majestätsbeleidigung? Loris Begriffe sind unklar.
Aber es drückt, es drückt. Und wenn er jetzt recht unleidlich wird, der König, das ist dann sozusagen eine Himmelsstraf'. Man muß sich gut stehen mit dem Himmel. Absolut! Zu dem nächstbesten Geistlichen nie mehr!
Sozialdemokraten gibt's schon in jedem Stand.
Nachdem Lori zu diesem großen Schluß gekommen ist, zieht sie in ihrem ganz wundervollen Schlafzimmer ein gesticktes Samtkleid an, das wie ein Handschuh sitzt, setzt eine Rosentoque auf und schlüpft in einen prachtvollen Mantel. Dann fährt sie durch die lustigen Straßen des Reichtums und Modehandels in ein stimmungsvolles, altes Stadtviertel zum Palazetto Mehrenberg.
Der ist in altitalienischem Stil, kalt, etwas dunkel, und lehnt sich an den Völkerdom, die schönste Kirche der Stadt. Für Beichtkinder und Bekannte ist der Bischof jederzeit zu Dienst. Lori wartet auf ihn in der Sakristei der Fürstenkapelle, die wie ein Salon aussieht. Rotseidene Möbel, nachdunkelnde Heiligenbilder, in der Luft ein Gemisch von Weihrauch und Eau de Cologne. An der Wand ein Wärmemesser; denn hier beichten die frileusen Prinzessinnen und leicht verkühlten hohen Herrschaften. Eh' sie mit ihrem durchlauchtigsten Sündenpäckchen anlangen, werden sie zwei- bis dreimal an- und abgesagt, erscheint der vertraute Lakai oder gar der Leibarzt und mißt die Temperatur.
Intim-vornehme Traulichkeit erfüllt den Raum. Zwischen halbgeschlossenen Vorhängen aus Spitzen und schwerer Seide blicken alte Stadthäuser herein, kühle, graue Paläste. Die Kapellentür ist offen und drinnen alles voll Blumen. Zu Füßen der lichtblauen Madonna von Lourdes, die echte Perlen trägt und silbergestickten Samt, blüht ein ganzes Topfbeet von Hyazinthen und Jonguillen. Vor dem Hauptaltar liegt betend ein junger, vornehmer Priester. Lori kennt ihn. Es ist der Prinz Senxenberg, der einmal so maßlos lustig war und später so ernst dazusitzen begann bei ausgelassenen Après-soupers, auf flotten Bällen. Jetzt ist er Jesuit. Sein Weg geht nach Rom, um ein starkes Wollen in den Dienst bedrohter Kirchenmacht zu stellen. Er ist mager geworden, seine Züge sind scharf und hart. Von dem übermütigen Offizier, den alle gern hatten – nichts mehr. Scheu starrt ihn Lori an. Ihr wird unheimlich und ein ehrfurchtsvolles Grauen überschleicht sie.
's Katholische das hat's doch in sich. Es muß wahr sein.
Wenn ich jetzt den Prinzen Lixl, den Hochwürden Lixl, o Herrgott, den lieben Kerl, angehen tät', er soll mich beichthören! Aber nein, lieber nicht. Er ist halt auch so ein neuer Besen, der scharf kehrt. Am End' sagt er mir auch, ich soll bereuen. Ich wüßt' nicht was. Lassen wir's lieber. Man weiß nie, die Lustigsten sein später immer die Ärgsten. Am End' knie ich auch noch 'mal da, g'schoren und in der Kutt'n. Ich! Lori, das glaubst Du selber nicht, Schneckerl! Jetzt steht er auf. Gar so traurige Augen hat er 'kriegt, der Lixl.
Sie weicht in's Dunkel eines Beichtstuhls zurück. Der junge Priester tritt ein und kommt an ihr vorbei, langsamen Schritt's, gesenkten Blickes. Die steifen Falten seines Kleides rauschen.
»Hochwürden, Prinz Lixl,« stammelt sie.
Es geschieht unwillkürlich, nur um ihn lächeln zu sehn. Wenn er sich erinnert, er muß ja lächeln.
Jauchzende Schlittenfahrten, Nächte übermütiger Lust, Festesrausch! Das Alles war ihnen gemeinsam. Wenn sie ihm beichtet, hört er seine Beicht'.
Er ist immer ein lieber Mensch gewesen, wie sie dutzendweis' herumlaufen, die lieben Menschen aus großem Haus. Der Hochadel hat angefangen, höflich, sehr höflich zu werden und sich populär zu machen. Die Impertinenz und der rasende Hochmut der Welt für sich, die stets besitzt, doch ohne zu verdienen, sind äußerlich bei vielen Trägern der alten Namen nicht mehr wahrzunehmen, höchstens dans l'heure suprême, wenn die Masken fallen.
Man schüttelt alle Hände und verbeugt sich vor allen Leuten. Man ist ein lieber, talentierter Mensch, der gern, gar so gern was tät' und auch schon immer beinah' was getan hätt', oder sicher noch einmal was tun wird, der nicht immer nur Kavallerie-Offizier sein will. Aber dazwischen ist er's halt doch.
Denn: Die neue Intelligenz, der Sozialismus, läßt den alten Adel nicht zu. Es ist die Ungerechtigkeit des Zeitalters. Weil man Ansprüch' macht und sich soigniert und einfach nicht tut, was man nicht kann und was der Urgroßpapa auch nicht gekonnt hat, steht man alleweil doch abseits und kommt nicht an die Krippen, die heutzutag' der Arbeitsmensch ausfrißt.
Früher hat der g'wußt, was sich g'hört, sie angefüllt, die Krippen, und dem Adel hingeschoben: »Allergnädigster, friß Du allein!« Das ist vorüber.
Der Lixl ist auch eine gute Zeitlang so ein lieber Kerl gewesen, der nette Manieren hat, angenehm redet, Sätze aus dem freisinnigen Volapük der Gegenwart kann, so liebenswürdig lumpt, daß man ihm gerne zuschaut. Ja, gute Manieren hatte er, schön fromm war er, war immer taktvoll und natürlich bei den Dragonern, wo auch zwei Prinzen stehn.
Hat alles mitgemacht, den verrücktesten Sport, auch adelige Gewalttätigkeiten an Untergebenen: den bis zum Tod betrunken gemachten Offiziersburschen, strohdummen Kerl, dem man's hineinschüttet: »Sauf, Trottel.«
Dann hat er auch wieder opferwillig Gutmütigkeit gezeigt, der Lixl, gegen Mensch und Vieh, – Vieh besonders. Über zehn Kerls aus der Mannschaft wird nicht so viel geredet, wie über Pferd und Boxl. Denn es liegt Vornehmheit in diesen Gesprächen.
Der Lixl hat den typischen distinguierten Lebensgang durchgemacht. Erst war er ein lieber Bub, voll Anlagen und netten kleinen Eigenschaften. Dann kam er zu den Jesuiten, dann wurde er Offizier. Und als solcher sehr korrekt, wie Offiziere sein müssen. Er hat nunmehr gedacht und geredet im Klassenjargon. Er hat den Menschen in sich tadellos unterdrückt, ist zugleich Sklave und Tyrann geworden, innerlich vielleicht etwas roh und ohne Ausblick, indifferent für ein großes Lebensbild. Denn auch heute, in der Zeit freier, geistiger Entwicklung, muß der Offizier schweigen. Sozial, politisch und national. Schweigen als Mann, als Staatsbürger. Dafür darf er Rekruten andonnern. Bei denen könnte er zum Volkserzieher werden. Aber der äußere Drill tut's auch. Er hat Privilegien, der Offizier, Standesprivilegien, die manche menschliche Nachteile nennen würden. Später bemerkt er's vielleicht, wenn ihm aus seinem Leben trotz harter Arbeit wenig blieb. Er hat nicht, in sich, sammeln können, was andere Männer in's Alter mit sich nehmen. Hat sich ausgegeben und karg geerntet.
Soweit aber denkt ein Lixl nicht. Die Viecher über alles! darin liegt aristokratischer Schick. Dann kommt erst der Mensch – der gleichgestellte. Der andere – kommt eigentlich gar nicht.
Mit dem ist man nur furchtbar höflich; denn dieser andere, der gewöhnliche Mensch, der staatenausfüllende, ist notwendig. Die haute finance wird ausgenommen. In die geht man sogar. Die verehrt man, denn in der ist die Zukunft, das Positive.
Sie subventioniert den geborenen Menschen in seiner zunehmenden pekuniären Insolvenz, damit er sich unnahbar über der Masse der Nichtgeborenen, nur in die Welt Gesetzten erhalte.
Dieser Lixl ist wie viele gewesen, die Lori an sich vorüberziehn gesehn hat, junge Buben aus vornehmem Haus, gutmütig, wenn das Ich nicht in's Spiel kam, leichtsinnig, gedankenlos, am liebsten in schlechter Gesellschaft. Hat mit Fiakern fraternisiert und Gassenhauer gepfiffen, hat seine Sturm- und Drangzeit durchaus nicht ideal oder auf Menschheitshöhen ausgetobt. Für ihn hätte nie ein Dichter geboren zu werden brauchen und die großen Dinge der Menschheit fand er fad, nur beachtenswert für Professoren. Lustig, lustig, zu lustig und dann nicht mehr lustig ist er gewesen. Den »Nimmerlustig« tauft ihn jetzt sein einstiger intimer Kreis.
Er hatte sich plötzlich, zwischen zwei Lumpereien, in einer Atemschöpfungspause auf den Gütern daheim, bei den Eltern, in eine Komteß verliebt, ein süßes, kleines Mädel mit ehrlichen Augen und einem warmen, tiefen Stimmchen, das dem Herzen wohl tat.
Es war eine Komteß ohne Faxen, aber auch ohne Mitgift und nicht tadellos ebenbürtig; eine bürgerliche Mutter spukte in ihrem Blut.
Die arme, kleine Komteß war nicht hoffähig. So blieb sie bloß ein auf dem Lande erwachsenes, liebes Geschöpfchen, frisch wie Blumen. Viele hatten sie gern. Der wilde Lixl liebte sie. Es ward ein Wendepunkt in seinem Leben.
Er kämpfte sogar um sie in seiner Art. Er, der bis jetzt immer nur »Mir is egal, macht's was wollt's!« gesagt hatte. Aber er konnte sie nicht heiraten. Sie war zu wenig und hatte nichts. Sie war nicht möglich für den Lixl, sie hätte ihm »die Rass'« verdorben, wie seine Mutter belehrend und würdevoll sich ausdrückte.
In beiden Wesen war eine schöne, frühlingswarme Saite eben angeklungen. Sie sprang schrill entzwei.
Es kam ein Abschied im Buchenwald, bei Kuckucksruf und Lerchenschlag, draußen auf grünen Saaten. Die Welt stand im Werden. Für jene Beiden war's das End'. Das junge Mädel litt sehr. Aber ihm verschloß ein herber Stolz, ein bitteres Nichtverstehen, die Lippen. Er verstand nicht, warum dies Glück nicht sein sollte.
Wirkliche Hindernisse waren nicht da. Darin, daß es nicht verstand, lag eben seine Minderwertigkeit, seine nicht richtige Blutzusammensetzung. Es war zuviel junges Mädel und zu wenig Komteß.
Der Lixl benahm sich total unvernünftig und machte natürlich Vorwürfe, wo er sie zu kriegen hatte.
Er warf sich in den grünen Sauerklee, der mit blaßvioletten Immergrünblüten den Waldboden deckte, und stöhnte. Er beschimpfte Schöpfung, Welt, Verwandte, Traditionen. Nur sich selbst beschimpfte er nicht. Er klagte an, ja er fluchte. Aber er sagte nicht: »Blödsinn, das Alles. Komm, wir zwingen's! Es ist Mai. Ich hab' Dich lieb.«
Er riß sie an sich und küßte mit heißem Verlangen junge, zitternde Lippen. Sie machte sich frei, wortlos, mit scheuem Blick.
Sie war die Klügere, die schweigend trug, aber ohne zu wissen warum und wofür, sie trug's, das Sinnlose. Man fand, sie habe Takt, trotz ihres falsch komponierten Bluts, und versprach ihr einen Fasching unter der Obhut einer ganz tadellosen blaublütigen Stiftsdame.
Der Lixl kam zurück in die große Stadt. Kam wild und zügellos. Etwas Rohes veränderte sein Wesen. Den Helm schief auf, den Gang herausfordernd, sah man ihn überall. Oder er rannte in Räuberzivil herum, an unglaublichen Orten, bei unglaublichen Menschen, trank viel und redete laut mit rauher Stimme, redete herausfordernde Sachen. Sein ganzes Wesen war Herausforderung. Er lumpte nicht mehr lustig und gedankenlos. Er lumpte ordinär, mit Berechnung.
Zur Lori kam er ein paarmal im Anfang, wie viele seiner Art kamen, um sich auszuplauschen. Er tat ihr furchtbar leid, wie er so um sein Herzleid herumredete. Aber auch sie verstand ihn nicht und wußte solchem Elend in ihrem natürlichen Denken keine unbedingte Notwendigkeit. Denn sie war dem Volke entsprossen, dessen Magen oft darbt, aber dessen Herz sich sein Recht nimmt, dem gesunden Unterstock des Staates, dem Volk.
Was sie redete, gutgemeint, aber ehrlich, reizte den vornehmen, liebeskranken Lixl. Er haute ihr ihre Türe vor der Nase zu und blieb aus, beleidigt. Sie hätte ihm schön tun müssen, ihn bedauern, ihm Recht geben. Er hatte das Typische seiner Kaste sehr stark. Er wollte immer bedauert werden, wenn er Unrecht hatte.
Dann kamen der Skandal und die Tragödie.
Der Lixl fing an mit einer jungverheirateten, sehr hübschen und sehr albernen Frau eines hohen Vorgesetzten.
Er tat es ohne Entschuldigungsgrund, frech und gleichgültig, ein D'rauflosgeher mit kaltem Blute.
Er zerstörte eine Ehe. Es kam das Duell.
Er erschoß den Mann. Alles das war ihm furchtbar egal, wie er sagte. Die Frau, die in's Elend kam, stieß er mit dem Fuße von sich.
Es folgte die Festungshaft. Er hatte natürlich kolossale Verbindungen und Protektionen. Seinem Nimbus schadete nichts. Er verlor auch seine Charge nicht, wurde bloß versetzt und hieß von da ab der interessante Lixl.
Aber die Reaktion in ihm selbst reifte doch. Reifte unter geistlichem Einfluß, der seine ganze Familie stark beherrschte, und unter dem Blick tiefster Verachtung aus jenen Mädchenaugen, die ihm einst zu Sternen und Wegweisern bestimmt gewesen.
Er sah sie wieder, in der großen Welt. Sie war die Schönheit der Saison. Ein alter, feudaler Fürst bot ihr die Ehe an.
»Eine Ehe ohne Konsequenzen,« wie er ihr freundlich und zahnlos zumurmelte. »Nehmen's mich. Sie riskieren gar nix. Und sie haben ein für allemal Ihre Position und eine glänzende Apanage.«
Der ganze Adel hielt den Atem an. Der alte Fürst ohne Konsequenzen war nächst zwei achtzehnjährigen Majoratsherren, die sich alles erlauben durften, das Ziel aller Mütter, die Partie der Partien.
Aber jener ehrliche Mädchenblick sah über ihn hinweg.
Er begegnete Lixels brennenden, hungrigen Augen, die sie suchten. Einmal sprach er sie an, bat sie um einen Tanz.
Da sagte sie still: »Nein. Ich will Ihre Hand nicht mehr, nie mehr berühren. Sie haben gemordet.«
Er starrte sie verblüfft an.
»Pardon. Es war doch nur ein Duell. Ehrensache eines Kavaliers. Betätigung der Ehre.«
Sie sah ihn groß an: » Ihre Ehre ist die meine nicht.«
Und sie lebte ihr enges, mühsames, lichtarmes Damenleben weiter. Sie heiratete nicht den Fürsten, ging nicht in's Kloster und wurde nicht emanzipiert. Sie trug ihre Last und tat Gutes und Liebes in ihren Kreisen, sich nur das Recht ihrer Persönlichkeit wahrend. Es gibt solche kleine Komtessen.
Der Lixl machte ein Nervenfieber durch. Die Uniform schlotterte um seinen hübschen, schlanken, zum Sport trainierten Körper. Er ließ sich verwöhnen. Eine Gouvernante verliebte sich unglücklich in ihn, er verschenkte interessante Photographien. Man suchte eine Partie für ihn aus. Aber zuerst sollte er eine Reise machen.
Er reiste – kam zurück und meldete sich zum geistlichen Berufe.
Lustig – zu lustig. – Nie mehr lustig.
Der hohe Klerus stürzte sich auf ihn. Sie fahndeten ja nach hohen Namen. Pater Alexander Maria, Prinz Senxenberg. – – –
Durch seine dunklen Büßergebete raunt's vielleicht: Du hast gemordet. Vielleicht auch nicht. Vielleicht war nur der große Ekel vor dem Leben da, der unheilbar bleibt, wenn er einmal kam. Der Ekel derer, die nichts verdient und alles genossen haben. –
»Prinz Lixl, Hochwürden!«
Er hebt den schmalen, dunklen Kopf und sieht Lori an mit feindlichen Blicken. Kein Erstaunen ist in ihnen, keine Dankbarkeit für froh verlebte Stunden. Nur Abneigung, sogar Verachtung. Ein kaltes Ablehnen.
In Loris Wangen steigt das Blut. Ihre Augen funkeln auf! Undankbar seid ihr, vergeßlich für das, was man euch gab. Der Mensch soll dankbar sein, denkt sie. Ihr nehmt und vergeßt. Eure Erziehung ist die hohe Schule des Undanks. Es wärmt nicht, euch zu lieben, weil euch alles, was man euch gibt, selbstverständlich ist.
Das fühlt Lori heftig. Sie sieht dem Prinzen in's Gesicht mit blitzenden Augen.
Er murmelt frostig: »Gelobt sei Jesus Christus!«
Dann rauscht ein zweites Gewand. Mehrenberg, der Bischof, ist eingetreten. Sein schönes Hofmannsgesicht lächelt.
»Lori! Jessas, die Freil'n Lori. Grüß' Dich Gott, Kind!«
Sie küßt mit tiefem Knicks seine feingepflegte Hand.
»Und Sie sind auch noch da, Pater Alexander!«
Mit schelmischem Blick sieht der hochgewachsene, elegante Herr von einem zum anderen und sagt halblaut: »Na, ich mein', Ihr zwei kennt's Euch.«
Lori wirft das Näschen auf, hochmütig ablehnend. Aber die Grübchen vertiefen sich in ihren runden Wangen.
Mehrenberg hat ein harmloses faible für runde Wangen, das zu verbergen ihm nicht einfällt.
»Na wart'! Gleich erzählst mir, was D' wieder angestellt hast. Aber alles! Mit Ihnen red' ich noch später, Pater Alexander. Sie fahren ja erst morgen Abend nach Rom ab. Schau'n noch schlecht aus. Nicht übertreiben mit'n Kasteien! Ihr seid ja so was nicht g'wohnt, Ihr – hm –«
Er sucht nach Worten.
»Na, Lixl,« seine Hand legt sich auf die Schulter des jungen Mannes, den er in der Wiege gesehn, getauft, gefirmt und – ausgeweiht hat. »Na, Lixl, bist jetzt wirklich z'frieden und beinand'. Es ist nicht jedes Sach', nicht jedes Sach', heutzutag' schon gar nicht. Ist für uns recht schwer. Sie nehmen's gar zu scharf. Ich mein', unser Herrgott verlangt sich das gar nicht. Der mag frohe und duldsame Leut' im Priesterstand. Ein neu's Mittelalter – das muß dem jungen Klerus und der jungen Generation weh tun. Na, Lixl, wir reden noch!«
Pater Alexander steht unbeweglich. Er sieht Mehrenberg nicht an, den künftigen ersten Kirchenfürsten im Reiche. Sein Blick sucht immer den Weg an dem vorbei. Seine Verbeugung ist tief, sein Wesen fremd und gemessen.
Lori starrt ihn an, ihr wird kalt um's Herz.
Dann ist er fort. – Der Bischof sieht ihm eine Weile nach.
»Über den sollt' man sich nun freuen. Finden S' ihn zum Freuen? Ich nicht,« sagt er ehrlich. »'s Herz ist ihm erfroren. Und der will Priester sein.«
»Halt mit dem Kopf.«
»Ja – mit dem Kopf, das ist so heutzutag!« Nachdenklich schreitet er ihr in die Kapelle voran.
Er war ein sehr schöner Mensch von strahlend heiterem, tolerantem Wesen, dieser königliche und prinzliche Beichtvater. Hohe Frauengunst hatte seine Karriere gemacht. Man konnte sich ihm anvertrauen, er war immer verschwiegen und er verzieh lieber, als daß er richtete. Zur kirchlichen Repräsentation gleich befähigt wie zum geheimen Vertrauten hoher Herrschaften, hielt er sich auf schwankem Boden.
Er war dem König angenehm, denn er mißbrauchte sein Amt als Beichtvater nicht mit Hetzereien.
In Rom aber mißtrauten sie ihm längst. Er war heimlich ein ganz moderner Mensch nach ihrer Ansicht. Er las alle Bücher, die gegen das Kirchenwesen erschienen, sprach über sie von einem Weltstandpunkt aus in seinem gemütlichen Dialekt, der immer ein wenig nach Lustigmachen klang und verurteilte nie mit Schärfe.
Geldgierig war er nicht und darum ein ungewöhnlicher Vertreter seines Standes. Durch sein Priestertum ging Heiterkeit und ein menschliches Verstehen.
Zwischen ihm und Lori war ein gemeinsamer Zug. Sie kannten beide den König und wußten ihn zu nehmen. Sie mochten beide die Hofgesellschaft nicht und rechneten doch mit ihr.
Mehrenberg weniger. Er war in letzter Zeit übermütig sorglos geworden.
Lori nicht.
Beide bildeten sie ein wichtiges Element dieses Hofes, auf den Grundton desselben gestimmt, den Herrn. Nach ihm richteten sie sich, für ihn fühlten sie mit einer starken, echten Treue. Der König hatte das bis jetzt immer anerkannt.
Lori beichtete und ihr ward vergeben.
Dann saß sie noch ein bißchen in Mehrenbergs Schreibzimmer mit den Bücherschränken und Bildern, den alten, geschnitzten Kassetten voll vertraulicher, hoher Korrespondenz.
Er zog neckend Schubladen auf, in denen solche Briefschaften lagen und ließ sie hineinsehn.
»Das möchten S' lesen, was?«
Auf seinem Arbeitstisch stand ein großes Bild des Prinzen Norbert, das man in der Öffentlichkeit nicht kannte. Auch ihn hatte Mehrenberg zum Beichtkind.
Lori besah die Photographie.
»Der wird sich jetzt nächstens mit der Ältesten von der Günterine verloben,« sagte der Bischof. »Ist auch recht so, ist höchste Zeit. Ich red' ihm alleweil zu.«
Lori seufzte. »Armer Kerl!«
»Was sein muß, muß sein. Es wird gewünscht, alles stimmt. Man muß ihm nicht abreden, Freil'n Lori.«
»Das ist gar nicht notwendig. Er mag sie selber nicht,« rief sie.
Mehrenberg runzelte die Stirn.
* * *
Mir ist jetzt bedeutend leichter, es ist wieder alles in mir geordnet. Der liebe Mehrenberg! Der Himmel ist versöhnt.
S. M. ist heut' um 6 Uhr früh schon zu mir kommen, wir sind spazieren 'gangen, ich hab' die Hund' g'waschen und dann im Veilchenrondeau turnen lassen. S. M. hat recht g'lacht. Dann hab' ich ihm einen sehr guten Kaffee serviert im Gloriettel. Die Leontin', die dörrische (taube) Gans, hat das echte blaue Sevre-Rahmkandl zerhaut.
Um die Ohren soll man ihr's schlag'n! Was haben denn solche Leut' für ein Gefühl für das Echte und Wahre.
Ich hab's immer gehabt. Die Frau Mutter weiß es, daß ich schon als ein Mädl in der Schul' das Feine und 's Ordinäre auseinandergekannt hab'. Es ist in mir. Ich war für Höheres geboren. Und wie ich nach meinem Krawall im Vorstadttheater an's königliche Schauspiel gekommen bin, hab' ich's sogar dort nicht sehr fein gefunden.
Nein, meiner Seel! Sie haben zwar Hochdeutsch gered't, aber sonst? na, fein war'n die nicht!
Die erste Heroine, was sonst ein Genie war abends auf den Brettern, untertags hat man die sehen müssen oder hören. Mit der Bürste hat's ihre Frisiermamsell blau g'haut.
Nachher die Salondame mit die schönen Ellenbogen und dem gelernten Hofton, der Bonvivant, und der erste Tragische. Jesus, haben die g'rauft! Da hat man was lernen können! Ich war ganz baff!
Zuletzt haben's eine Gerichtsperson als Direktor kriegt, damit sie parieren.
Notwendig war's! Sonst hätten's einander auf den Proben erwürgt. Diese Eifersucht! Die Intrigen! Die Klatscherei! Die G'schichten! – Nein!
Ich bin nie gern beim Theater g'wesen. Es ist nicht in mir. Ich bin keine Natur für's Theater.
Und gehaßt haben sie mich, weil ein eigener Genre für mich kreiert ist word'n.
Die Wut! besonders von den Heroischen, die jedes Glas Wasser in die höchsten Sterbetöne verlangen und sagen: »Mach die Tür zu,« wie der Marquis Posa: »Geben Sie Gedankenfreiheit.«
Und dann treten's doch wieder in einer Wurstelmatinee auf und karikieren sich selber. Die Leut! – Charakter haben's nicht.
Mir ist es lang schlecht gegangen beim Königlichen. Ich hab' mich ausschlafen können und spazieren gehn. Bloß der vom Gericht hat mich protegiert. Es sind endlich Stücke für mich herausgesucht worden.
»'s Mädel aus'n Volk,« mit Singen und Tanzen. Der heroische Fadian hat mich drinnen ohne Erhörung lieben müssen. War das für mich eine Freud!
So gut hab' ich das g'spielt, mit Naturtönen, so gelacht hat der König. Laut gelacht. Und der Heroische sich gegiftet. Die Erinnerung geb' ich für einen Orden nicht her! Immer wieder hat das Stück d'ran müssen.
Dann hab' ich's erste Mal bei Hof was vortragen dürfen in einem kleinen Zirkel. Es hat gestäubt von Noblesse und Brillanten.
Der König hat lang mit mir g'redt! Ich hab' ihm von der Jägerau erzählt, wie die Leut in die Berg' dort ihn gern haben. Und Jägerauer Stanzeln hab' ich ihm vorg'sungen.
Er hat mir gar so gut gefallen. Er hat so ein liebes G'schau g'habt, Freundlichkeitsfalten um die Augen, und so g'wiß das Nobel-Einfache, was einer hat, aber nicht lernen oder kaufen kann. Er hat g'sagt: »In der Jägerau, da bin ich gern.«
Man sagt, es wird einem übel vor Respekt, wenn man zum Reden kommt mit einem König. Mir ist gar nicht übel g'wesen, eher, – wie bei uns die Jäger sagen, – sakrisch wohl.
Ich hab's nicht zurückhalten können. »Das hätt' ich nie geglaubt, daß man sich so leicht mit Euer Majestät red't,« hab' ich g'sagt. Und er: »Wir werd'n schon noch öfter reden.«
Wenn ich so jetzt auf mein Leben zurückschau', nicht weil ich abschließ', o nein! Es kommt noch eine Masse Nettes und Liebes, aber wenn ich so zurückschau, trau' ich mich und sag's: Ich bin dem König oft ein Trost und Halt g'wesen. Nicht bloß eine Unterhaltung. Nein! Unterhaltend war's recht oft nicht.
Was ich ihm vorgelesen und vorgesungen hab', und Spaß vorgemacht, das kann bald einer. Aber in mir liegt's, daß ich red'n kann mit ihm und er mit mir, auch ernste Sachen.
Es ist halt oft so, daß zwei Menschen den Schlüssel haben zueinander.
Da drinn liegt's. Den Schlüssel von Herz zu Herz!
Zuerst war's Spielerei. – Und ich, wie ein Narr, hab' nach allem Glänzenden gegriffen und mich d'ran närrisch g'freut; aber doch nicht lang und nicht ganz allein.
Ein ernster Unterton ist immer dag'wesen zwischen mir und dem Herrn. Wenn's schief gegangen ist und er traurig war, hat er mich auch haben wollen. Ich bin das stille Winkerl um sich geworden, in das man verwickelte Garnsträhn' g'worfen hat, zum Auseinanderwickeln, der Kopfpolster für eine heiße Stirn, auf ein unruhig's Herz der kühle Umschlag.
Alle kommen's jetzt seit langem: »Sagen S' Ihm das.« – »Bringen S' Ihm das bei.« »Reden S' Ihm das aus.« »Sie, Sie riskieren ja nichts.« –
Lieber Herrgott! Riskieren tu' ich schon – und oft gibt's was zu schlucken. – – –
Der Rausch hat nicht gar so lang angehalten bei mir. Ich bin ja keine Gans, die schöne Wohnung und Kleideln und Equipage und so weiter – ist alles recht schön. Aber ein anderer hat ja doch immer mehr.
Das ist es eben bei diesen Sachen.
Wenn ich in's Palais Albert geh, dann bin ich wieder der Garnix. Denn die Alberts sind vor lauter Mammon sogar hoffähig 'worden.
Es ist ein prachtvolles Haus mit prachtvollen Gärten, und ist doch ein trauriges Haus, das Palais Albert. So oft ich drinn bin, denk ich mir's. Denn 's ist das Haus, in dem die Leut sich alles leisten können. Alles. Aber nur gekauft. Nichts kommt zu ihnen von selbst. Oder kommt aus ihnen. Wenn sie heiraten, ist's eine Addition, die sie machen, wenn sie Kinder haben, multiplizieren's für die Zukunft und ziehen die Kosten ab, wenn einer stirbt, wird dividiert.
Nur ein Gefühl ist heftig da: Eine ganz unbeschreibliche Menschenverachtung, von oben bis nach unten. Schon die Kinder, denen ich graziöse Ballettschritterln beibringen soll, haben sie.
Sie steht am Portal, diese eiskalte Menschenverachtung, und empfängt die ganze Menschheit wie einen Bettelbrief.
Prinzen, Fürsten, Grafen, Minister, Künstler, Aristokraten und Aristokratinnen, jeder will was, jeder verlangt was, der da hineingeht, denn sonst ginge er überhaupt nicht hin.
Von jedem, den die Öffentlichkeit beneidet, als exklusiv anstaunt, als unberührbar betrachtet wird der wunde Punkt gekannt in diesem Haus, oder Palast oder sagen wir Tempel.
Wie mir der alte Herr von Albert nach dem ersten Kindertheater, das ich zum Spaß bei ihm arrangiert hab', ein Bukett in die Hand gedrückt hat, in jeder Rose war ein echter Perlentropfen, ist mir's herausgerutscht: »Nein, nein! Ich mag nichts von Ihnen.«
Und wie vom Feuer hab' ich meine Händ' zurückgezogen.
Der geistreiche Herr Albert hat die Augenbrauen hinaufgezogen und still gelächelt. Am nächsten Tage hat er mir das Bukett geschickt. Und ich – ich hab's dann behalten.
Jetzt nehm' ich längst alles und möcht noch mehr, find's immer zu wenig. Daran ist er gewöhnt. Verachten tut er uns alle ja so und so.
Aber vergessen kann ich's doch nicht, wie sein ältester Sohn (der war alt geboren, ohne Kindheit und Jugend), wie sein ältester Sohn Jack, Jakob hieß er und das macht sich englisch besser als deutsch, an der Türe gestanden ist und mit seinen dunklen Augen der Fürstin Sandringen nachgeschaut hat, die lächelnd, kokett, an ihm vorbei in's Geschäftszimmer des Vaters gerauscht ist.
Sie hat einen Schwarzfuchsmantel um 40 000 Mark getragen, die Sandringen, und ihr Mann verspielt im Jockey Hunderttausende. Ihr Bruder, der Graf Giorni, hat eine hübsche Frau und ist Stallmeister bei Albert. Die Sandringen war dessen Protektrice. Sie lancierte ihn in der Gesellschaft und gab Flowershours, die er bezahlte. Und trug Toiletten und arrangierte Feste und führte ein Haus, das er bezahlte. Wie jetzt sein Sohn Nat die Schmönting bezahlt.
Die Finanz hält sich ihre Aristokraten.
Sie war sehr gnädig für ihn, die Sandringen, für den Vater Albert. – Jack sah sie kommen, wie sie fast täglich kam, mit ihren Riesenrechnungen, Betteleien, Geschäftstransaktionen. Und wie sie, erschienen noch viele Damen, alt und jung, die an der Börse spielten. Nur mit Gewinn, natürlich. Dafür machten sie Positionen.
Die Sandringen aber hielt die Tete. Ihr Geist erfüllt das Haus Albert senior. Raubtierartige Habgier und despotische Impertinenz der grande dame, die alles darf, waren ihre Waffen.
Sie hat tief in das Familienleben der Alberts gegriffen. Sie schied für immer den Vater von den Kindern und hat ihn zum Judas an ihnen gemacht.
Wie gesagt, das werd' ich mein Lebtag nicht vergessen, wie der junge Jack an der Tür steht und der Sandringen nachschaut, die mit ihrem Päckchen Rechnungen in's Sanktuum des père Albert rauscht. Er hat sie nicht gegrüßt. Es ist etwas in seinem Blick gewesen, das ich, ja wie denn? – das ich altbiblischen, würgenden Haß nennen möcht', den Haß der Christenverfolgungen.
Armer Jack. Der Vater hatte ihn eben brutal aus seiner Nähe gewiesen. Hielt seine Kinder, – auf guten Rat, – sklavisch abhängig.
Jack hat sich bald darauf erschossen.
Er hatte ein armes Mädel lieb und konnte es nicht kriegen, er, der einstige Erbe eines Pflichtteiles von 20 Millionen. Hat sie sehr lieb gehabt, wie seelisch Verkürzte krankhaft und heiß lieben können! Ist vor dem Vater auf den Knieen gelegen. Fortgestoßen hat ihn der.
Ich weiß noch sehr genau – also, wie der blaße Jack damals am Portal war. Ich bin g'rad heruntergekommen von seiner Großmutter, einer stolzen, alten, ungetauften Jüdin, die mir immer imponiert hat. Sie hielt eine Patronage für arme Judenwaisen und hat immer nur Geld für Israeliten hergegeben. In ihr war Vollblut. Aber ihr Kapital steckte auch in des Sohnes Geschäft. Sie konnt' den Enkeln nicht helfen.
Ich hatt' ihr für ein Fest der Patronage einen Dienst getan und dacht' an biblische Königinnen, als ich von ihr wegging. So viel Schönheit und traurige Würde, wie diese Jüdin gehabt hat! – – –
Ich bin an Jack vorbeigegangen.
»Na, Herr Jack, so ernst? Tanzen S' nicht mit am Montag?«
»Tanzen, ich? Der Tanz ist aus,« sagt er langsam.
Sieht mich an mit toten Augen, dreht sich um und geht.
Am Montag darauf hat dann das Haus Albert seinen ältesten Erben begraben. Es war eine sehr schöne Leich'. Zwei Prinzen, der ganze Adel, Militär sind dabei gewesen.
»Verunglückt beim Schießen,« hieß es.
Armer Vater! Sie trösteten ihn sehr, besonders die Sandringen und Konsorten.
Dann hat irgendwo in einer Zeitungsnotiz gestanden, ein hübsches und braves junges Mädel sei in's Wasser gegangen. Ein liebes Kind.
Aber Selbstmord ist irreligiös. Es interessierte wenige. – – –
Miriam, die Tochter der Alberts, ist jetzt längst eine gemütskranke, weltscheue Person, die in ihrem Zimmer Blumen pflegt und keine Rolle spielt. Eine graue Melancholie hält sie gefangen. Jahrelang hab' ich sie überall gesehn, unschön, aufgeputzt wie ein Schlittenpferd, einsam und traurig.
Sie ist voll Talent gewesen und doch verkümmert. Einen vornehmen Lumpen, der sie verachtungsvoll geheiratet hätte, schlug sie energisch aus. Sie ist unverzinstes Kapital. Ihr Vater haßt sie.
Der dritte Sohn, Nat, ist diesem Vater schließlich geglückt. Er wurde Aristokrat. Seine Frau ist eine Gräfin. Er wurde Graf.
Seine Fratzen unterrichte ich – in der Grazie. Es sind die mit den Elefantenfüßerln. Sie tanzen im Hofzirkel mit.
Viel, sehr viel, bin ich im Lauf der Jahre im Palais Albert gewesen, ganz bescheiden, meist als Arrangeurin. Die Gesellschaft gibt sich dort ein Rendezvous. Es ist immer was los, immer viel und gut zu essen. In den Servietten stecken Souvenirs. Der Graf Nat hat prachtvolle Gewächshäuser, die ihm sehr teuer kommen. Parasiten braucht er d'rin nicht zu ziehn die liefert ihm gratis die Gesellschaft, aber teuer kommen sie ihm doch auch.
Die alte, stolze Jüdin ist gestorben. Auf dem Totenbett hat sie phantasiert von glücklichen Zeiten, von einem kleinen Laden, in dem sie Seife und Spagat verkaufte mit ihrem Mann und sechs Söhnen.
Sie feierten damals den Sabbat festlich, dem alten Glauben treu, sie waren damals noch keine Aristokraten.
Die alte, stolze Jüdin hat immer Heimweh gehabt; das Heimweh der unkäuflichen Naturen, die vom alten Uradel der Völker sind.
Kammerdiener, Adjutant, Minister.
Ich fang' mit dem an, der's am besten hat, sich am meisten traut, das Unmöglichste verlangt, am infamsten klatscht und sich am bequemsten ausruht.
Das sind immer der und die, welche frisieren, rasieren, die Schuh' ausziehn, die Kleiderkästen sortieren.
Der Minister hat meist sehr wenig Einfluß, der Adjutant zittert vor Nervosität und Verantwortung, der Herr Bediente zittert gar nicht. Er ist der am wenigsten Angeschriene. Er ist unentbehrlich! Ich mach' ihm selbst auch mein Buckerl.
Auf Reisen und Jagden ist's egal, was der Herr für ein Bett hat. Aber was für eines hat der Bediente! Um das handelt sich's.
Er kann das Zehnte nicht essen. Ich laß ihm sofort das Elfte und Zwölfte machen, wenn er bei mir ist. Ich respektier' jedem Bedienten seine Gefühle und beachte sie, denn ich weiß, Bediente kennen alle Leut', beurteilen alle und machen die Volksstimme. Man weiß nicht, was sie mehr haben, Menschenkenntnis oder Menschenverachtung. Vielleicht geht's in einem, dieses doppelte Gefühl. –
Beim letzten Gesandtentee hat der Lakai einer neuen ein biß'l verlegenen Apparition ganz frech zug'wispelt, wie sie nicht gleich zum Tee Milch und Zucker genommen hat: »Nur Mut, 's geht schon schief.«
Wie frech die Kerle sind, kann sich keiner vorstell'n, und wie infam g'scheit. Spürhunde sind sie mit unfehlbar richtiger Witterung.
Der Adjutant mit den Nerven ist meistens viel dümmer, aber er weiß es nicht. Er tut präpotent und hält's für Verstand. Er verwechselt sich mit den hohen Herrn, denkt per » Wir« von sich, beglückt die Völker und meint, ihm wird gehuldigt. Sein Denken ist konfus. Er redet nur, wenn er gefragt wird.
Der Kammerdiener redet, wenn's ihm paßt. Denn wer das Persönliche in Händen hat, hat Macht über die Person!
Wer die Formen erfüllen muß, wird hin- und hergeschoben als Apparat.
Wer endlich Geist und Inhalt geben soll, ernste Vorkommnisse regeln, der ist der niegeliebte Allverantwortliche, den man braucht und dem man mißtraut.
Bedienter, Adjutant, Minister.
Orden kriegen sie alle drei. Der Wechsel ist groß – bei den Letztgenannten. Jeder bessere Staatsbürger wird nächstens schon einmal vorübergehend Minister gewesen sein. Kammerdiener aber wird nicht jeder.
Hofdamen.
Sie haben mich immer viel schlechter behandelt wie die Prinzessinnen, die ja im allgemeinen natürlich herablassend und nett sind, immer das richtige leere Zeug reden und recht lieb tun.
Mit den Prinzessinnen hab' ich mich im ganzen gut gestanden bis auf den heutigen Tag, die Günterine und die bigotte Maria ausgenommen. Daß die Königin zu mir gegangen ist, in Jägerau, und mich zweimal bei sich hat singen lassen, das hat mich g'stellt und alle Mäuler verstopft. Das war nach der Krankheit, in der ich den König pflegte.
Aber die Hofdamen sind über mich immer sehr chokiert und äußerst ablehnend geblieben. Die Komtesse Grimpsch ist die Erste, die überhaupt mit mir red't, auch wenn sie nicht muß.
Sie ist ein schlankes, blasses Mädel, nicht g'rad' schön, aber sehr einnehmend, hat ein feines Gesicht, hübsche Augen, ihre Züge sind klein und fest. Die Figur ist reizend, biegsam wie eine Weidengerte. Wenn sie lacht, ist's lieb; sie tut's nicht oft.
Lustig schaut sie nicht aus, und hat's nicht lustig bei der alten Günterine. 1200 Mark Gage, ein feuchtes Hinterzimmer, das der Kammerjungfer wohl zu schlecht war, abgelegte Kleider, wenig zum Essen, immer in der Hetz' und die Impertinenzen gratis.
Was ist auch so eine arme Hofdame? Ein Salonstubenmädel, nix weiter.
Wenn die Prinzessinnen mich in Jägerau einmal besuchen (die Philipp, die Heinrich und die Hildegard kommen ja allemal in den Garten Erdbeeren pflücken), dann wedeln hinter ihnen unausbleiblich windhundartig abg'hetzte G'stalten, die ich nicht sein möcht'! Ich, die Lori.
Nicht die kleine Gräfin Matshki, die Polin, die jeden Tag mit einem andern Fuß aufsteht. Nicht die zwirnsdünne Baronin Vazl mit dem Kaffeegesicht, nicht die künstlich fidele Schneuzlieserl.
Ist eine nicht häßlich, nach Vorschrift, wird sie bald abgewimmelt. Na, die Marianne ist nicht häßlich. Wie lang's die macht? Auch natürlich und liebenswürdig ist sie. Armes Ding! Ich kenn' ihre G'schichte. Von zu Haus eigentlich hinausg'worfen. »Ob's Dir paßt oder nicht, Du mußt. Und dank' Dein'm Herrgott auf die Knie, alle Tag!«
Ob sie dankt, die Marianne? Ich glaub' nicht! Es ist und bleibt ein bitt'res Brot.
Die Hofdame darf beim Tanzen zuschaun auf Bällen, schreibt Billetteln, macht Visiten, ist für fremde Taktlosigkeiten verantwortlich. Hat lieb zu schaun, wenig zu reden, alles zu wissen. Aber sonst geht's ihr gut. Und sehr dankbar muß sie sein.
In stillen Stunden denkt sie vielleicht zurück an das einfache Komtessenzimmer daheim, wo die Waldluft hereinstreicht, an die zahmen Rehe, an die Kapelle, wo kleine Geschwister liegen und eine müde Mutter sich ausschläft.
Der Majoratsherr ist vielleicht ein harter Patron, ohne Gewissen, der die Schwestern haßt wie eine Last. So was kommt vor!
Arme Marianne Grimpsch! Ein Mädel aus gutem Haus, das jedem zuviel ist. Es kann nichts Ärmeres geb'n.
Lori! das haben wir nie g'spürt, gelt?
Aber in dieser Komteß mit dem stillen Gesicht ist mehr, als in den anderen Mädeln aus ihren Kreisen, wenn mich nicht alles betrügt. Sie hat Ehrgeiz und Stolz. Sie kann was wundervoll Gutes werden, aber auch was recht Unheilvolles. Eine Null wird sie nie sein. Sie ist namenlos bigott. Eine furchtsame, abergläubische Frömmigkeit hat sie, die mit dem Himmel Kompromisse verhandelt: das geb' ich dir, gib du mir dafür das. Wie viele, die so in der Kirche beten und das für Religion halten! Die Geistlichkeit hat nichts dagegen, denn es trägt Geld.
Die Marianne Grimpsch ist keine von den vergnügungstollen, lustigen Mädeln, die dann später heiraten, und so oft anspruchslos demütige Frauen von Tyrannen und Lumperln, närrisch verliebte Mütter werden, Sklavinnen von verwöhnten kleinen, modernen Fratzen, im Jahrhundert des Kindes. Ist keine mondaine Natur, die sich damit begnügen könnt', als junge Frau aus der Gesellschaft zu glänzen, den Ton anzugeben. Sie scheint mehr. Ein Charakter. Wer denkt und beobachtet, muß sich für sie interessieren. Der Prinz Norbert spricht jetzt oft von ihr, öfter, als mir geheuer ist. Es ist, als müßt's heraus aus ihm, als müßt er sich ausreden bei einem Menschen.
Er hat ja niemanden. Bei mir kann er's tun. Was ich schon alles gehört und beschwiegen hab' in meinem Leben!
Im Prinzen Norbert ist eine gewisse grübelnde Bitterkeit. Er reflektiert gern. Er lebt nicht so dahin und amüsiert sich. Ich mein', er hat ein festes Wollen.
Wilde Jahre liegen hinter ihm. – Aber das ist vorüber.
Im allgemeinen ist er sehr reserviert. Hier spricht er sich aus. Ich red' nichts d'rein. Meist führt er Selbstgespräche und ich hör' ihm zu.
Er hat ein starkes Gerechtigkeitsgefühl und kein mildes Urteil über seine Familie. Über Brutalitäten kann er rasend wild werden.
Möcht' gern wissen, ob sich die kleine Grimpsch bei ihm beklagt.
Letzthin einmal, so erzählt er, war Croquetpartie bei der Herzogin Günterine, und er wird ja fortwährend eingeladen, weil er dort heiraten soll.
Da hat die Hofdam' vergessen, daß Prinzen und Prinzessinnen immer beim Spiel gewinnen müssen, gerade wie sie alle Prüfungen mit Auszeichnung machen, nur aus Liebe heiraten, sich nie irren und alle Schlachten gewinnen.
Die Hofdam' im Eifer des Spiels expediert die Kugel von der Prinzessin Clarisse hinaus. Da d'rauf die Günterine los wie eine Furie und sie zusammengedonnert, und der Prinz Norbert ihr widersprochen. – – –
Ein Spektakel! Er wird ganz blaß vor Zorn, wenn er davon redet.
»Es hat ja heutzutag was Überlebtes an sich, so ein Prinzentum von Gottes Gnaden,« sagt er, »aber so zur Karikatur zu machen braucht man's doch nicht! Es gibt auch Prinzen, die was im Kopf und das Herz auf dem rechten Fleck haben.
Solche Exemplare wie meine Tant' aber machen, daß uns allen alles in Bausch und Bogen abgesprochen wird.
Gerade wie's gleich in der Öffentlichkeit heißt: Kein Offizier ist gescheit, jeder ist brutal, weil ein Generalstabschef ein arroganter Protektionsesel ist, der die Armee ruiniert. Immer gleich generalisieren, das tut das Volk so gern und einzelne von uns geben ihm Grund.«
Er muß ein merkwürdiger Bub gewesen sein, mein Prinz. Ich nenn' ihn meinen Prinzen, weil ich ihn gut kenn'.
Der König hat ihn nicht gemocht. Zu Hause hat er niemanden gehabt, keine Liebe gefunden. Sie erzählen viel von ihm. Wie er fünf Jahre alt war, hat er sich selber einen Frosch gefangen und ihn heiß geliebt, mit ihm konversiert, nur für ihn gelebt. Dann fällt ihm ein, der Frosch sieht blaß aus. In der Freiheit war er glücklicher. Mein Frosch soll ein glücklicher Frosch sein. Er läßt ihn aus, mit Tränen in den Augen. Seine Bonne sagt zu ihm: »Prinz, Sie haben ein sehr gutes Herz.«
»Ja freilich,« stößt er brummig heraus, »ich hab's, wie's Schwein schmutzig ist!«
Dann soll einmal seine Großmutter zu Besuch kommen, es war die alte bigotte Prinzess' von B. mit der verrosteten Angelstimm' und der steinernen Bosheit, die keiner hat ausstehen können. Dem Prinzen, vier Jahr' alt, sagt seine selige Mutter, die damals noch gelebt hat, bei Tisch, um Stimmung zu machen mit den anderen Kindern: »Kinder, die Großmama kommt! Freut Euch! Freut Euch! Na Nordie, Du freust Dich doch auf die Großmama.«
»Nein,« sagt der Nordie.
»Aber Nordie, auf seine Großmama muß man sich freuen, dazu hat man sie.«
»Ich hab' sie, weil ich muß, aber ich freu' mich nicht.«
»Du hast Dich zu freuen, hörst Du, pfui, schlimmer Bub'!«
Den ganzen Tag ward ihm das eingetrichtert. Am nächsten Tag erscheint er um 5 Uhr früh vor Mama ihrem Bett:
»Mama, jetzt muß ich mich noch nicht freuen. Es ist noch vor dem Aufstehn. Ich hab' noch nicht das Leben heut' angefangen. Mama, jetzt kann ich's noch sagen: Ich freu' mich nicht.«
Blieb dabei bis 7 Uhr. Um 7 Uhr meldet er: »Jetzt fang' ich an, mich auf die Großmama zu freuen.«
Stramm, wie im Dienst, und ebenso hölzern freut er sich also. Er gibt den Geschwistern das Beispiel. Er empfängt die Großmutter, er küßt sie, er macht ihr die Honneurs mit steinernem Repräsentationsgesicht.
Keinen Moment ist er bei Tag aus der Rolle gefallen. Erst im Bett hat er geflucht und sich mit den drolligsten Schimpfwörtern über die Großmama erlösungsvoll in Schlaf geredet. –
Liebt er die Hofdame? Ich sage: liebt; nicht ob er verliebt ist. Liegt da was im Werden? Oder ist's nur Mitleid? Endlose Komplikationen kämen heraus.
Solche Heiraten sind meist ein totgeborenes Glück. Sie wecken den Satan in Frauenherzen, die unersättliche Ehrsucht, den tigerischen Neid aller anderen, die der einen nie verzeihen.
In der Auserwählten selbst nagt auch die ewige Unruh, das Immermehrwollen.
Und wer ist sie, diese Marianne? Ist sie wert großer Opfer, ist sie uradelig von Natur? Schuf sie Gott, von Geblüt, dem Charakter nach? Von Geblüt, wie sie bei uns von den Prinzessinnen sagen! Ich wünsch' dem Prinzen Norbert eine Frau von großem Wert.
Ist ja Unsinn, das alles. Nie wird er die Gräfin Grimpsch heiraten. Nie! Und sie selber denkt wohl nicht daran.
Von Hofdamen hab' ich schreiben wollen, von Prinzen hab' ich geschrieben. Wo kommt da die Ideenverbindung her?
Ich weiß es nicht. Und jetzt hab' ich keine Zeit mehr. Ich muß in diese dumme Prob'!
Abends 11 Uhr.
Wie gern hätt' ich den Befehl ignoriert von der Günterine wegen der Rokokogruppe, wie gern! Schon ein paarmal hab' ich mich getraut und aufgedreht bei Arrangements, im Interesse der Sache, damit die Passenden zusammenstehn und der Eindruck nicht verpatzt wird. Aber heute ist es mir nicht gelungen. Sie haben sie richtig bei dem Prinzenballett, dem vaterländischen für nächste Woche, ganz hinausgebissen. Sie tut nicht mit, sie war zu hübsch, die Marianne.
So traurig ist sie gestern, bei der Probe, hinter die Kulissen gestanden und die impertinent blonde Prinzess' Clarisse von der Günterine hat sich aufgeprotzt als Marquise, an ihrer Stelle. Knochen hat das allerhöchste Frauenzimmer, mit Respekt zu sagen! Ein Mammut könnte ihr Herr Vetter heißen. Wenn er sich nur nicht erstößt, der Marquis! Den hat gestern stellvertretungsweise im Anfang der junge Rugez gemacht, statt dem Prinzen Norbert.
Die Marianne ist noch im Kostüm angekommen, sie haben ihr's erst bei der Prob' gesagt, daß sie gestrichen ist. Ich bin ganz zerstreut gewesen, meiner Seel! Das gar zu liebe Rokokofigürl hinter die Kulissen, in der weißen Seide mit Heckenrosen, die Augen voll Tränen! Und vorn an seiner Stelle das blonde Dromedar! Na!
Wir haben geübt, im Schweiß unserer Stirnen. Die Clarisse, bis sich die abbiegt, das braucht was! Die Musik hat recht schön gespielt, recht laut. Alles war bei der Sache.
Ich such' zufällig nach einem Rosenzweig hinter den Kulissen, wo jetzt kein Mensch ist. Da steht in einem Winkel die Marianne in ihrer weißen Rokokoschönheit und dicht neben ihr – der Prinz Norbert. Er red't auf sie ein, ganz blaß, mit energischem G'sicht, ganz selbst- und weltvergessen. Sie, zitternd und scheu – und doch wie verzaubert.
Marianne! Marianne!
Sie kommen also wirklich nicht zurück. Der König hat sich heute über Sie ganz entsetzlich geäußert.
Und zwar zu mir. Er pflanzte sich im Vorzimmer vor mir auf, starrte mich in seiner peinlichen Weise unverwandt an und schimpfte über Sie, bis ich in Tränen ausbrach.
Ich weiß selbst nicht warum, denn er sagte mir dann ein Kompliment.
Ich hatte auch meinen hübschen Tag, trug graue Seide mit rotem Samt und die große schneeweiße, schmeichelnde Puderfrisur. Gog musterte mich gründlich und murmelte dann etwas.
Ach, froh war mir doch gar nicht zumut. Mein guter Gentleman hat bei der letzten Spekulation der unglückseligen Südsee-Company entsetzlich verloren und spielt noch immer Hasard in den Klubs. Er gibt mir kein freundliches Wort mehr. Bei White sind letzte Woche an einem Abend 30 000 Pfund verspielt worden. Im Kakaubaum standen vorgestern 180 000 Pfund auf einem Satze. So wird gewettet!
Wir entarten ganz in England.
Sonntag staute sich die Menge, um den verrückten Lord Baltimore anzustaunen, der mit einem Harem von acht Frauen herumreist und versucht, denen das Essen abzugewöhnen.
Es geht so zügellos zu bei uns, daß der König nun doch endlich einen Erlaß gegen den Höllenfeuerklub wird anbefehlen müssen. Es sind in diesen Klub wieder 15 vornehme, junge Damen eingetreten, die die Ehe verachten und die Religion verspotten. Sie streichen das » Du sollst nicht!« in den zehn Geboten und setzen dafür »Du sollst!« London sollte Sodom heißen.
Sir Robert Walpole, der Premierminister, hat auf seinem Jagdschlosse nie etwas gegen die wildesten Orgien. Brachte ihm doch der Herzog von Grafton letzthin seine Geliebte, Londons verrufenste Gassendirne, zum Abendessen. Es waren königliche Prinzen dabei, und alles fand diese Nancy Parson entzückend.
Lord Grafton ist Bräutigam der schönen Chudleigh, die sich beim König beschwert haben soll, man verleumde sie, daß sie Zwillinge hätte. Korporal Gog soll dazu gelacht und Lord Chesterfield ihr geantwortet haben: »Wir glauben immer nur von allem die Hälfte, holdes Mädchen.«
Und sie bleibt Ehrendame unserer Königin!
Seit Sie fort sind, liebe Miß, muß ich fast den ganzen Tag um Ihre Majestät sein. Immer eingeschnürt, gepudert, immer lächelnd. Aber Caroline selbst lächelt nicht, wenn sie ohne Zeugen ist.
Mein Gott, wie einförmig ist das Leben der Königinnen in allem seinem Wechsel! Wie ist es so grenzenlos öde. Ihre vielen Wohnungen sind nie ein Heim, ihre Nachkommen sind nicht ihre Kinder. Die Seele der Menschen, die sie umgeben, gehört ihnen nicht.
Und das Märchen ihres glücklichen Familienlebens!
Meist sind sie ungeliebte Frauen, die die Staatsräson zu Frauen machte, nicht des Mannes Wahl. Die sucht sich andere, ganz andere Geschöpfe. Es ist doch meist ein sehr unprinzlicher Geschmack, den die Prinzen haben.
Die unglückliche Königin ist täglich sechs bis acht Stunden um den König, wie Sie wissen. Jetzt, seit Sie fort sind, eher noch länger, damit kein anderer Einfluß sich seiner bemächtige, denn es ist in dieser Hinsicht sehr gefährlich mit ihm.
All' diese acht Stunden im tête à tête mit Gog muß die arme Frau ununterbrochen reden und zwar, was sie nicht denkt. Sie muß loben, was sie haßt, schön finden, was sie verachtet, ja sagen zu dem, was ihre Seele verneint, denn er ist in sich selbst verliebt und jedem Rat prinzipiell abgeneigt, auch wenn's der beste wäre.
Er liest nicht gern, beschäftigt sich mit nichts und schläft ein bei den geistvollsten Gesprächen. Rät man ihm von etwas ab, so tut er es ganz bestimmt. Dabei ist er maßlos jähzornig.
Gestern kam Walpole, der Premierminister, zum König, um eine der berühmten, in ihrer Art einzigen Ratssitzungen abzuhalten, die er eingebürgert hat, das Katz- und Mausspiel.
Auf Walpole, den er früher so sehr gehaßt, läßt der König nun nichts kommen, denn der versteht ihn zu nehmen.
O, dieses Possen- und Ränkespiel mit dem Minister, durch das sie sich ihren Mann erhält, wie muß die ehrliche Königin es hassen. Aber seit es eingeführt ist, regiert sie Gog zu Englands Wohl. Er glaubt sich für sie Gottes Ebenbild und Orakel, vor dem sie als Priesterin kniet. Mit ehrerbietiger Demut empfängt sie von ihm dann die Befehle, die zu geben sie ihm selbst auf mühevollsten Umwegen beigebracht hat.
Der gute Gog ahnt einfach nicht, daß er regiert wird.
Er sagt stolz: Bah! meine Vorfahren! Karl den Ersten regierte seine Frau! Karl den Zweiten beherrschten seine Maitressen. Jakob die Priester. Wilhelm männliche und Anna weibliche Favoriten. Ich, bin ich! Ich frage London, wer regiert jetzt, na? Es antwortet unbedingt: der zweite Georg.
Das geheime Einverständnis unserer Königin mit dem Premierminister, auf dem sich Englands Schicksale aufbauen, ist Carolinens Meisterstück. Heute wieder war Walpole beim König, nachdem er vorher zwei Stunden geheim mit der Fürstin in deren Kabinett verhandelte. Ich hielt Wache im Vorzimmer und sagte jedem, Ihre Majestät halte Schneiderkonferenz. Alles Wichtige im Staatsleben wird inzwischen im Kabinett der Königin vorbereitet vor jeder Audienz Walpoles beim König.
Um Elf ist der heute bei Georg erschienen. Um halb Zwölf ist die Königin, wie zufällig, ganz bescheiden bei ihrem Gemahl eingetreten und wollte sich demütig zurückziehen, als sie den Minister gewahrte.
Das hat Gog gefallen. Er ließ sich herab, sie um ihr Bleiben zu ersuchen. Sie hat sich bescheiden in eine Ecke gesetzt und Filet zu machen angefangen. Indessen verhandelten König und Premier.
Gog stellte an Caroline eine Frage.
»Ich verstehe nichts von Politik,« sagte sie schüchtern.
Das entzückte den König. »Doch, doch,« schrie er, »Du kannst reden. Ich erlaub' es. Ich will Sir Robert zeigen, daß ich Dich ganz gut gezogen habe. Sprich nur, sag' eine Meinung.«
Jetzt ging's nun an. Ich meine das besprochene Spiel zwischen Walpole und Caroline.
Sie müssen sich auf Zeichen verabredet haben. Ich konnte es beobachten. Der Premier spielte mit seinem Hut, zupfte an den Falten seines Busenstreifens, rieb an seinem Degen, zog das Schnupftuch. Nach meinem Gefühl hatte das Alles Bedeutung. Zwischen sich machten Caroline und Sir Robert aus dem guten Gog, mit der siebenfachen Schicht seiner Einbildung, was sie wollten, – zu unser Aller Heil.
Ich frage mich manchmal, ob der Minister in unsere Königin verliebt ist. Aber nein! Das hieße den feisten Mann der Handelspolitik und behaglichen Friedensinteressen, den Schloßherrn von Haughton, zu hoch in seinem Gefühlsleben bewerten. Ihm gefallen nicht Frauen, sondern nur Weiber. Die hohe Gestalt Carolinens, ihre träumerische Stirne, ihr tiefes Aug', die edlen Züge ihres feinen Gesichtes sagen einem Falstaff nichts. Nur das Staatsinteresse und die tiefe Mißachtung für den Hannoveraner knüpfen ihn an die Frau, die Englands Heil in kleinen, festen Händen hält.
Anders steht's mit Lord Hervey, unserem geistvollen John, des gefährlichen Witzlings Selwyn Intimen.
Glauben Sie mir, für Hervey ist Caroline ein Schicksal. Unter der Maske des Kammerherrn glüht hier ein Mensch für eine Frau, die er einsam weiß. Ahnt sie das? Ihr stolzer Drang nach Macht wird sie wohl immer behüten, aber wie muß sie leiden! Wird sie nie nach einer warmen Hand greifen, die im Dunkeln bebt und nur wartet, mit starkem Druck die ihre zu umfassen?
Wohl mir, daß ich nicht Königin bin. Ich hätte gewiß nicht die Kraft, solch eine Hand immer zurückzuweisen.
Kommt nicht für uns alle die Stunde, früher oder später, wo die Quellen des Gefühls aus der Seele brechen und wir nicht leben können ohne geliebt und verstanden zu werden?
Die Augen Herveys folgen Caroline wie Pilger einem Stern. Wahrhaftig, ich fühle Mitleid und gönnte dem guten Gog – – –
Miß Bellenden, Sie lächeln verächtlich.
(Lori notiert.)
Das Ballett bei Hof ist vorbei. Sie haben sich alle gegenseitig riesig bewundert, heimlich zum Teil ausgelacht, ein paar haben sich verliebt und mehrere haben sich gestritten, wie's ja immer ist. Um Platz und Rang sind Bände voll geredet und geschrieben worden. Es ist ja doch so gar furchtbar wichtig, wo Eine sitzt, wann Einer hereinkommt, und so weiter.
Blutige Zänkereien zwischen sich früher über alles Liebenden hat's genug gegeben. Etliche welche sind jetzt gegenseitig füreinander Luft.
Ich bin nicht geboren, nicht reçu, nicht plaziert, mir ist also gar nichts g'schehn. Ich war in den Garderoben und hinter den Kulissen, da bin ich ihnen sehr recht. Ich weiß, wenn eins nett ausschaut und wenn nicht. Das hab' ich im Griff. Wenn man jahrzehntelang lebt immer in der Idee, sich gut zu präsentieren, dann lernt man's endlich und kann's schon im Traum.
Die vielen kleinen Prinzerln und Prinzessinnen, die Freud' vom König, sind reizend gewesen. Es ist was Unberührtes um so vornehme Kinder, die in schneeweißer Welt leben. Wenn nur dann allzufrüh und plötzlich nicht die zu große Freiheit über sie käm' und der große Zwang zugleich.
Ein Lampenfieber haben sie gehabt. Immer das Kreuz geschlagen vor dem Auftreten, herzig sind's. –
Ich hab' mich wieder einmal erbaut an einigen schönen, sehr großen Damen, die höflich sind und reden können. Solche Damen haben wir Gott sei Dank, aber sie ziehen sich immer mehr in ihre Welt zurück und schließen sich ab, weil ihnen der Ton heute ein Gräuel ist. Sie überlassen der Arroganz, dem leeren Geschrei, dem impertinenten Parvenutum das Feld. Es ist zu schad'! Sie passen so wunderschön zu meinem König, der immer das Bild gütiger Vornehmheit ist. Sie und die lieben, feinen alten Herren mit der tadellosen Haltung, dem diskreten Witz, dem verbindlichen Wohlwollen. Unsere jungen Herren richten sich zusammen wie Komiker und Bediente.
Nur weniger Manieren haben sie! Woher das kommt? Die jungen Mädeln lassen sich halt von ihnen alles gefallen. Reißen sich um sie. Jedes Milchmariandl halt' sich mehr zurück. Das ist die neue Mod' à l'Anglaise, der weitgehende, kompromittierend ausschauende, eiskalte Flirt. Das ist so wie kalter Aufschnitt von gestern, statt Braten. Bringt jedes warme poetische Gefühl um.
Wenn ein junges Mädl ein Girl wird, hat man genug.
Gibt's noch deutsche liebe Mädchen und stolze Komtessen? Soviel Hübschheit seh' ich, Herzigkeit, Frische! so billig gibt sie sich.
»Graf Franzl, nicht wahr, Sie tanzen den Kotillon mit mir? Bitt' Sie! Graf Franzl hören 's nicht? Ich lauf' Ihnen eine Viertelstund' nach. Meine Miß hat keine Luft mehr.« »Was soll ich tun? Kotillon mit Ihnen tanzen. Ich? Fallt mir nicht ein!« »Aber ja! Dann kriegen's was.« »A was!« »Sicher. Bitt' Sie, tanzen's!« »Schreiben's es halt auf. Wenn ich nicht vergeß' oder sonst was vor hab'!«
Neunmal unter zehn hat Er was anderes vor.
Das Programm von dem Wohltätigkeitsfest ist öde g'wesen; die ewige Selbstanbetung der alten Familien.
Sogenannte geschichtliche Momente, die in der Wirklichkeit ganz anders waren. Ruhmeshistorien im Tanzschritt. Na ja!
Der Saal hat natürlich ein sehr schönes Bild geboten. Toiletten, Schmuck, Orden. Die anderen Kreise, die, welche bezahlen, waren wie immer fasziniert.
Diese anderen Kreise, die haben ja teilweise Illusionen. Die kommen gerannt, die sind geschmeichelt. Man sieht, daß Frauen noch immer stark die Welt regieren. Denn die sind's, die besorgen den Auftrieb, die machen Spalier, die ziehen ihren Herrn, Männern, Vätern usw. den sauer verdienten Mammon aus dem Sack und rennen sich die Füße ab, um bei solchen Gelegenheiten, wie dieses Fest, dabei gewesen zu sein, wenn sie auch keiner dafür anschaut.
Und wenn auch dann der Hausherr seine notwendige Kur nicht machen kann, und die Kinder zerfetzte Wäsche haben!
Aber die Madam und die Mademoisellen sind dort gewesen.
O du liebe Zeit!
Diese anderen Kreise, die alles mitmachen und sich vor lauter Vereinsmeierei kein Familienleben mehr leisten können, keine anständige Häuslichkeit! Die nie etwas erreichen, meistens gar nicht mit einer Notiz beehrt werden, aber doch immer wiederkommen, während daheim arme Familienväter verzweifelnd rechnen, diese anderen Kreise, die kenn' ich auch.
Die fanden und finden den Weg zu mir, wenn sie etwas wollen, was ich verschaffen kann. Da kommt schäbige Noblesse, die sich Billetten schenken läßt und getragene Toiletten kauft. Da seh' ich Fräuleins, nach außen giftig vor Hochmut, und doch so billig zu haben. Alte Damen, die hausieren, Bildeln, Schmuck und allen möglichen Kram teuer verkaufen; Leute, die einen zum Tee einladen und dann einen Ölfarbendruck als Murillo aufhängen; Frauen mit dem Dolch der Wohltätigkeit, auf fremde Kosten, für eigene Ehr' im Gürtel. Das alles ist mir sehr bekannt. Weiber, die fünf Salons haben, aber Mann und Kinder in der Bodenkammer schlafen lassen, und das Mädchen für Alles vielleicht in der Luft aufhängen in der Nacht, weil kein Bett dafür da ist. Damen, die sich Baroninnen und Gräfinnen nennen und an denen alles so falsch ist wie ihr Titel. Dann denk ich mir:
Der Mann bleibt doch der bessere Teil der Schöpfung!
Also noch einmal die anderen Kreise, die sogenannte Welt, die mit dem Hofe Fühlung sucht und sich ruiniert.
Der König glaubt wohl selber nicht, daß diese Kreise der Kern sind von seinem Volk, die gesunden normalen Leute?
Aber kennt er die, die geregelten Existenzen, die fleißig schaffen, langsam und sicher in der Still'?
Kennt er den Werktag und seine Leut? Ich bin nie ganz drauf gekommen.
Ein Volks- und Bürgerkönig ist er nicht. Der läg' in der Zeit. Aber die Tradition sagt: Sei Soldaten- und Adelskönig und Priesterdiener, heut' so, wie einst. Und so geschieht's.
In meinem einfachen Verstand kommt mir das nicht gut vor. Er tut mir oft so bitter leid, mein Herr.
Ich seh' seine Arbeitskraft, seinen treuen Sinn und sein Wollen.
Alle haben ihn gern, sagt man.
Sie hätten ihn wohl gern, aber sie kennen ihn nicht. Er kennt sie nicht. Und das ist traurig.
So viel, so viel Wahrheit entgeht seinem regen Verstand, seinem warmen Herzen.
Ein König, selbst heut', in sozialen Werdezeiten, hat doch recht stark noch immer das alte, enge, blinde Metier.
Er fährt ja überall einmal hin, zu Festen, Gedenktagen, Empfängen. Kirchen weiht er ein, Grundsteine legt er zu Schulen. Er steht dabei, immer auf Stufen, dicht um ihn herum nur drei Gattungen Menschen: Priester, Soldaten, Hofleute. Die nimmt er überall hin mit. Ihr Geist ist immer um ihn, immer der alte Nebel oder Weihrauch, oder wie man's sonst nennen will: dicke Luft, schwer und undurchsichtig. Keine Ausblicke.
Sie lassen auch Männer aus allen Schichten ab und zu mit ihm reden, bei Anlässen. Aber nur Vorgeschriebenes, Kontrolliertes, selbst in der freien Audienz. Sie wissen immer, was geredet wird. Und so weiß er wenig von der Wirklichkeit, der König. Ich weiß viel mehr.
Wenn Stürme zu rauschen anfangen, er denkt nicht warum. Wenn Flammen zucken, er ahnt nicht, warum sie brennen.
Wenn die Stimmen aus dem Volk einmal aufschreien, gleich rasselt ein Säbelklirren. Zwischen König und Volk, als Verständigungsmittel seh ich Militär!
Muß das sein? Ging's nicht jetzt schon anders? Wir sind ja reifer und menschlicher 'worden. Muß immer gleich das Gitter aufgezogen werden?
Selber ein Kind aus dem Volk, steh' ich dem König gegenüber und schweig', wo ich reden möcht'. Seh' ihn täglich und schweig. Es tut mir weh.
Oft mein' ich, ich müßt' heraus mit was, aber er selber, sein Blick, macht mich stumm.
Es ist zu spät.
Er will selbst nicht mehr hören. Er tut seine Pflicht. Ideale und Ziele hat er nicht mehr. Die hat nicht nur das Leben in ihm erschlagen, die töten täglich seine Despoten im Untertanenkleid, die drei alten Faktoren, das Rüstzeug vom Mittelalter her: Priester, Soldaten, Hofleute.
Es ist noch immer ihre Zeit, nicht die des – Volkes.
Herrgott, bin ich erschrocken! Mitten im Schreiben und ich hab' sehr schön g'schrieben, so, wie ich es mir selber von mir nicht erwartet hätte, mitten im schönsten Schreiben nimmt mir eine Hand das Buch weg und eine Stimme liest mit Betonung Ansichten vor, die mir jetzt auf einmal unheimlich vorkommen.
Hab' ich kritisiert? Das darf man ja nicht! Hab' ich nachgedacht und dann geredet?
Lori! Lori!
Zwar, erst reden und dann nachdenken, ist auch nichts.
Natürlich war's der Prinz Norbert, der sich wieder unhörbar eingeschlichen hat. Und da fällt mir ein! Der hat sich gestern schön benommen!
Er ist einfach, im letzten Moment zu den lebenden Bildern nicht erschienen, hat die Prinzeß Clementine stehen und die Günterine toben lassen. Ein aristokratisches Bürscherl hat an seine Stell' als Marquis treten müssen. Und der Prinz hat noch dazu der Günterine ein ganz deutliches Billett geschrieben, daß er nichts dabei zu tun haben will, wenn die Komtesse Grimpsch plantiert wird und wie ein Fetzen wegg'worfen, daß er solche Manieren nicht gelernt hat.
Er ist unglaublich, dieser Prinz.
Es muß ein Fehler bei seiner Geburt geschehen sein. Vielleicht haben's was an ihm verschoben. Er redet ganz gerade heraus, was er denkt.
Sie war blaßblau vor Wut, die Günterine, wie ihr Kleid aus velour frappé. Und nur so gestiegen ist sie. Und die kleine Grimpsch angeschrien wegen nichts, das arme Mäd'l. Sich an Wehrlosen zu vergreifen, ist leicht.
Ich hab' nicht anders können, ich hab' der Marianne ganz laut zug'wispelt: Machen's Ihnen nichts draus, Komtesse. Sie hat mich still ang'schaut mit ihren schönen Augen. Aber zum erstenmal hab' ich eine Härte und Bitterkeit um ihren Mund wahrgenommen. Etwas, das sagt: Ich verzeih' nicht, es kommt mein Tag.
Meiner Seel, das Hofleben verdirbt den Charakter, so man überhaupt einen hat, was bei den meisten ja der Fall nicht ist.
Aber die Komtesse Grimpsch, die hat – – Einen, scheint mir.
Wollen sehn, wie's ausschlagt. Der Trubel nach dem prinzlichen Billett war kolossal.
In aller Eil' haben wir das Aushilfsgraferl angezogen.
Er hat sehr gut gepaßt. Er war gerad' so steif, wie die Prinzeß Clementine.
Der König hätte nichts erfahren sollen. Natürlich hat er's doch erfahren, und einen Zorn auf den Prinzen!
Heut' abend beim Schach werd' ich's ja wahrnehmen können.
Da heißt's dann Acht geben, Lori. Jedes Wort ist zu viel und zu wenig. Reden ist Frechheit – Schweigen Indifferenz.
Die Günterine ist heut' früh bei Seiner Majestät gewesen und dann schäumend nach Strachsburg abgefahren, mit Kindern, Hofdamen. Arme Marianne.
Und da steht jetzt mein Prinz, breitspurig, phlegmatisch, mit lachenden Falkenaugen, in Jägerzivil, liest mir meine frischgebackenen Memoiren vor und sagt dazwischen frech: »Stil charakteristisch, aber in vier Zeilen drei orthographische Fehler.«
Ich reiß ihm das Heft aus der Hand. »Hoheit haben sich schön aufg'führt.«
»Nicht wahr? Ich fahr' jetzt nach Strachsburg.«
»Um Verzeihung bitten?«
Er lacht laut auf, ordentlich triumphierend. »Wo werd' ich nicht!«
Dabei funkelt sein Blick und er hat heiße, rote Wangen.
Ich sag': »Hoheit, wenn Sie noch ein Bub wären, Ihnen möcht' ich heut' eine Teufelei zutraun.«
Er ist bald fort. Der Wagen mit dem Adjutanten hat auf ihn gewartet.
Muß bitter sein, nach Strachsburg diese Fahrt.
10 Uhr abends.
Der König hat nicht Schach gespielt. Er ist zu verstimmt gewesen. Er hat ein strenges Gesicht gemacht, und gesagt: »Es fehlt überall an Selbstzucht, an Disziplin.« Direkt hat er nicht von dem Prinzen geredet. Das tut er nie. Und ich hab' ehrfurchtsvoll geschwiegen.
Der Abend war lang.
Nein! das ist nicht wahr. George Selwyn ist verrückt geworden. Lady Montagu weiß nicht mehr, was sie daherredet. Nein! das ist absolut nicht wahr.
Sie, Mistreß Howard, ausersehen zur offiziellen Geliebten des Königs, der anderen Souveränen nicht nachstehen kann, der eine Maîtresse en titre haben muß.
Ich schäme mich, daß ich nachschwätze, was ich höre, und schäme mich noch mehr, daß ich diese Zeilen an Sie absende. Aber Sie sehen, was bei Hof geredet wird, Mistreß Howard.
Sie, eine ehrbare Frau, die Frau eines Gentleman, Hauswirtin, Mutter, Vertrauensperson der Königin, Sie, nicht mehr ganz jung, von Leben und Ehre gefestigt, Sie, eine Kreatur! – Verzeihen Sie mir diesen Brief. Ich schreibe ihn nur, damit Ihr guter Gentleman die Verleumder zur Rechenschaft ziehe.
In Freundschaft und Empörung
Ihre
Bellenden.
Ehrenwerte Miß! Was Sie erfahren haben, ist vollkommen richtig. Seine Majestät der König Georg der Zweite, unser erlauchter und geistvoller Fürst, Hannovers edles Reis, Englands Stolz liebt mich. – Es geschieht dies nicht bloß aus eigenem heißen Antrieb (sehr heiß), sondern auch auf Wunsch, und mit der allerhöchsten Sanktion der Königin!
Ihre Majestät hat gar nichts dagegen. Ich sende anbei das Billett zurück, das Sie an mich schrieben.
Es enthält Ausdrücke, die leicht mißdeutet werden, und Ihnen schaden könnten.
Sie sind noch recht jung, zu jung, um manches zu beurteilen, ehrenwerte Miß.
Seine Majestät haben geruht, mich zur Gräfin von Suffolk zu erheben, und mir den Landsitz Marblehill zugewiesen.
Es empfiehlt sich Ihnen geziemend die
Gräfin von Suffolk.
Sie glauben zu träumen, holdseliges Fräulein, und tragen mir auf, Sie aufzuwecken. Nein, nein, mein Fräulein, Sie haben gar nicht geträumt. Unser Adel hat eine Bereicherung erfahren. Seine Reihen ziert die Gräfin von Suffolk, eine stattliche, gut konservierte Dame.
Sie tat sehr bescheiden, solange sie die tugendhafte Garderobiere unserer Königin war, und tut nun sehr stolz, seit sie sich des Ballastes dieser Tugend entledigen und die amie du cœur unseres erhabenen Korporals nennen konnte.
Süße Lady Suffolk. Sie schreitet wie ein Pfau und schlägt Rad. Es beneiden sie auch alle.
Und wie es kam? Ach Gott! meine liebenswürdige Miß!
Der Korporal sah Mistreß Howard immer an dem Platze, den Sie verlassen hatten. Er hatte sich daran gewöhnt, jemanden dort zu sehen, nach dem ihn verlangte.
Denn unser guter Georg fühlt bestimmte Gefühle an einer bestimmten Stelle. So ist er. Ein Mensch der Einteilung. Alles hat seine Zeit.
Ja, wie es kam? Miß Chudleigh hat geheiratet und muß sich wenigstens einige Zeit etwas Tugend zulegen, sogar bei uns. Auch kostete sie zu viel, der Korporal liebt gern sparsam. Er möchte einen wohlfeileren Gegenstand für seine Gefühle.
Die letzten acht Tage war er wirklich schrecklich, mein guter Korporal. Ihn zu beschäftigen, war unmöglich.
Seine airs von Galanterie zu ertragen, seinen falschen affektierten Heroismus, wird selbst der Königin und den Töchtern zu schwer. Seine Anekdoten hält ein englischer Magen nicht aus.
Nun hat Walpole die Akzisebill im Parlament eingebracht, zur Bestreitung der Kosten für die stehende Armee, und John Carteret, der Graf von Granville, ist heftig gegen sie aufgetreten. Er führt die Opposition des Oberhauses.
Wir wollen diese Armee nicht, die von dem Haus Hannover seit dem Jakobitenaufstand verlangt wird.
Sie haben keine Idee, wie stark die Strömung gegen sie ist. Fürchterliche Karikaturen erscheinen, Fächer mit dem König und den Ministern darauf, gezogen von einem vielköpfigen Ungeheuer, genannt die Akzise. Ich glaube, das Projekt wird zurückgenommen werden müssen. Dann wehe der Umgebung des Königs. Ihre Majestät hatte ihn am Donnerstag, als die Bill zur Sprache kam, den ganzen Tag nicht verlassen. Gegen abend kam sie plötzlich in ihre Zimmer gestürzt, wo Hervey den Dienst hatte, warf sich auf die Couchette und weinte. Dann rief sie: Nein! die Last ist zu schwer, eine andere soll sie tragen helfen. Ich kann nicht mehr.
Hervey stand dabei und zitterte vor Mitgefühl und Ratlosigkeit.
Beim Souper war der König gespreizter denn je. Er hielt ein Selbstgespräch über Ludwig den Vierzehnten und die Pflicht aller europäischen Souveräne, nicht hinter der französischen Hofhaltung zurückzustehen.
Eine Maitresse gehöre heute zu den unentbehrlichen Attributen der Königswürde wie Krone und Szepter. Die Königin erschien überreizt heiter. Sie stimmte ihm lebhaft zu.
Lachen Sie nicht. Ich glaube, sie selbst hat ihm unsere gute Howard vorgeschlagen. Meiner Treu! Sie erträgt ihn eben einfach nicht mehr allein.
Die Howard ist ein etwas zu reifer Apfel, gutmütig, töricht und charakterlos.
Sie übte die Tugend in Tiraden und Briefen, wie viele Frauen. Schon recht nah Ihrem Sonnenuntergang, hat die Versuchung für sie etwas Berauschendes. Dazu ist sie an Londons größten Lumpen verheiratet, der sie stündlich um Geld quält.
Der König ist nicht in sie verliebt, aber sie kommt ihm gerade gelegen. Er macht seinen roi de France mit ihr. Installiert sie ganz zeremoniell als die Maitresse des Königs.
Ich beneide sie nicht. –
Morgen mehr, wenn es Sie interessiert, mein Fräulein. Und wenn es einen gewissen, hübschen dunkeläugigen Oberst nicht zu sehr aufregen sollte, daß an Sie schreibt
Ihr Ihnen ganz, aber harmlos ergebener
Selwyn.
Mein Fräulein!
Als wir gestern unter den blühenden Linden Ihres Gartens saßen und ich Ihnen von Irland und den schweren Leiden seines Volks erzählen durfte, bin ich sehr glücklich gewesen. War es »eines Toren Paradies«? Ich weiß es nicht. Nur Sie allein können mir darauf die Antwort geben.
Ist dieser Brief eine Vermessenheit? Warum soll ich Ihnen nicht schreiben? Ich sah in Ihren Händen gestern ja auch einen Brief dieses George Selwyn, der über alles zu spötteln beliebt. – – –
Was kann der Ihnen schreiben, Ihnen, dem ernsten Kind.
Nein, Kind ist nicht das Wort. Denn in der guten Gesellschaft Londons gibt es keine Kinder und keine jungen Mädchen.
Sie sprechen über alles und man erzählt Ihnen das Unmögliche. Mein Blut gärt, wenn ich daran denke.
Was schrieb Ihnen Selwyn? Ich bin lächerlich und ein Unverschämter. Nicht wahr? Ein Halbwilder bin ich, das weiß ich ja selbst, und ein tief einsamer Mensch. Aber ich hatte eine Knabenzeit, die ist schön gewesen.
In einem vergessenen Winkel Irlands steht ein altes Schloß. Da wohnten zwei, die sich aus Liebe verbunden hatten, und ich war ihr Kind. Ich bewahre dem Andenken meiner Eltern Sonntagsgefühle.
Sie waren so echte Menschen. Mein Vater, ein Mann, der an Gott und König glaubte, das Vaterland liebte, dem armen Volke half. Meine Mutter, das Bild der Reinheit. Und eine kleine Schwester, weiß wie Schnee. – Das Alles ist tot. Ich habe schon viel begraben, mein Fräulein. Aber ich hab' doch die Gräber, und das Heilige war einmal.
In mir lebt die Tradition, die Frau hochzustellen, lebt unausrottbar, wie der Trieb, den Geknechteten zu helfen.
Ich bin ein armer Soldat, sonst nichts. Ich werde nie zur Ruhe kommen und nie des Lebens Fastnacht feiern.
Einst, wenn ich's erleb', soll ich Herzog von Argyll heißen.
Auch dann werde ich kein Hofmann sein und nie dulden, daß meine Frau am Hofe lebe. Meine Frau. Da ist's heraus.
Meine Frau. O Gott, mein Gott, welche Innigkeit in diesem Worte. Welten liegen darin.
Ich träumte von ihr, seit ich zum Manne wurde. Auf den verbrannten Wüsten Indiens, in seinen wilden Einsamkeiten hab' ich sie geschaut, in stiller Sternennacht.
Eine Vision. Die Maiblume im Dickicht meiner verschlungenen Pfade. Mein Halt und auch mein Kamerad. Sie muß lieben, was ich liebe, und hassen, was ich hasse. Vor allem muß sie verachten, wo ich es tu'. Und meinen Glauben glauben, meinen Lebensglauben. Sie muß stark sein, treu bis in den Tod.
Ich suche keine Herzogin von Argyll. Ich suche die Frau, die mein Widerpart ist, und werde von ihr vieles fordern.
Solch' einen Heiratsantrag erhielten Sie wohl noch nie. Gestern dufteten die Linden an der Themse über uns beiden. Ich lieb' ihre kleinen grünen Blüten, die man kaum sieht und die so süß atmen. Gestern – als ich vor Ihnen ritt, wußt' ich's auch: mein Herz will blühen! Es war voll Frühlingsschauer die ganze Nacht.
Mein Fräulein, darf ich um Sie werben? Können Sie sich's denken, mir einst das Recht zu geben, viel von Ihnen zu fordern, meine Bahn zu ziehen?
Ich werde kein bequemer und kein gefälliger Gatte sein. Ich werde nach wie vor für Unterdrückte kämpfen. Vielleicht auch fallen. Wer weiß es. Ich werde nie an Höfen Dienste tun. Meinem Vater gelobt' ich, den alten Brauch unseres Hauses zu halten und ein Jahr ein Hofamt anzunehmen. Ist dieses Jahr um, werde ich in's Soldatenleben zurückgehen, und dann erst – mich vermählen, wenn ich meine Frau fortführen kann von London.
Meine Frau. Es ist doch wohl ein Traum.
Sagen Sie's ehrlich – sag' es, geliebtes Mädchen. Ist's ein Traum? Dann will ich gehn, fort von Sommernächten und Lindenduft, zurück in die Einsamkeit, mit einem Grabe mehr – im Herzen.
Schick' mir ein Wort und einen Lindenzweig.
Kommen Sie selbst, sich den Lindenzweig zu holen. Und nach den Linden werden die Rosen blühen.
Sie haben mir zwar noch nicht geantwortet, mein Fräulein, aber hier drängen sich die Ereignisse, und ich muß Ihnen weiter erzählen, wie es zugeht an des Korporals höchst verehrungswürdigem Hof. Sind ja doch Sie, mein Fräulein, die Ursache all' dieser Wirkungen. Sie entzogen sich ja Ihrer Untertanenpflicht. Nur ruhig Blut! Nur nicht böse!
Schicken Sie mir den hübschen Oberst nicht. Es ist unnötig, daß die dunkeln Augen mich anwetterleuchten. Oder urteile ich indiskret?
Er ist ja doch nur ein Sommerspielzeug für die schönste der Ehrendamen!
Arm und mit der Idiosynkrasie von Idealen erblich belastet. Sie waren alle so, die Campbells! Hübsche, bildhübsche Burschen, stolz wie Satan, heiß wie sein Höllenfeuer, höchst unweltläufig.
Nehmen Sie ihn nicht. Kehren Sie an den Hof zurück. Der König ist versorgt, er hat seinen pflückreifen Apfel.
Nehmen Sie eher – mich? Nein, mich nicht. Ich heirate nicht. So viel andere tun's ja allerliebst für mich.
Aber ich will Sie beraten, wenn Sie erlauben. Verlassen Sie sich auf mich. Nehmen Sie den hübschen Oberst nicht.
Es wird sehr mühsam sein, mit ihm verheiratet zu leben, sehr umständlich. Ich kenne diese Sorte. Sie paßt nicht für unsere jungen Mädchen, die alles gern klipp und klar haben, die lieben Dinger! mit denen man die unpassendsten Dinge reden kann.
Das hat seinen ganz besonderen Reiz.
Nehmen Sie's nicht übel, wenn ich das sage. George Selwyn darf man nichts übel nehmen.
Nachdem die Frau Gräfin von Suffolk gebührend installiert war, ihre Zimmer, ihre Toiletten ihren Schmuck erhalten hatten, erlebte das atemlos zusehende London neue Köstlichkeiten.
Der König fand, daß eigentlich seine Frau die Maitresse bezahlen solle, da sie mit der Wahl derselben einverstanden sei.
Die Königin refüsiert mit ironischer Ruhe.
Hierauf erschien Herr Howard, der große Gentleman, des Nachts vor St. James und tobte. Der Edle hatte plötzlich Gewissensskrupel und brüllte nach seiner Frau. Er lief zur Königin und schrie, sie müsse die Maitresse bezahlen, unter 1200 Pfund jährlich lasse er sich auf nichts ein. Die Königin ließ ihn hinauswerfen.
Eigentlich hätte sie zahlen können, wenigstens einen Teil, denn sie wußte wohl, was sie tat, als sie ihre Untergebene, ein geistig minderwertiges Frauenzimmer, Georg hinschob. Damit beherrscht sie ihn und die Maitresse.
Nun lief mein Howard zum Erzbischof von Canterbury. Der hat tatsächlich in dieser feinen Sache mit dem König verhandelt.
Und der König zahlt nun – zähneknirschend.
Herr Howard hat sich von seinem sittlichen Entrüstungsanfall erholt.
Seine arme, gute Frau ist nun recht beschäftigt. Wenn der Korporal sie nicht anödet oder ihr Szenen macht, arbeitet sie an der Verjüngung ihrer Reize, was sie früher nicht nötig hatte. Sie strengt sich sehr an.
Die Königin ruht sich etwas aus.
Hervey, der sich wohl Hoffnungen hingab, ist traurig. Sie lächelt ihn liebenswürdig und gleichgültig an.
Was mir bei unserem Gog immer wieder ganz besonderen Eindruck macht, ist seine außerordentliche Nationalitätslosigkeit.
Engländer ist er keiner, den Franzosen möchte er spielen, und viele von uns halten ihn für einen Deutschen.
Er ein Deutscher! Das kann nur wähnen, wer Deutsche nie gesehen hat. Es fehlen ihm alle Grundeigenschaften des deutschen Mannes, die Zuverlässigkeit, die zähe Kraft, der so nüchtern aussehende und doch so tiefe Idealismus. Er hat nur Brutalitäten in sich und naive Charakterdefekte.
Daß er seiner Gattin die Treue bricht, aber auch seine Geliebte nicht einmal liebt, hält er für ein elegantes Raffinement, mit dem er den französischen König übertrumpft, und auf das er sehr stolz ist.
Was soll ich Ihnen sonst noch erzählen? Ihr schönes Gesichtchen fehlt bei Hof. Der dunkeläugige Oberst tut seinen Dienst mit der herben Würde und Verschlossenheit eines deplazierten Fürsten. Ich mache mir den Spaß, so oft als möglich Ihren Namen vor ihm auszusprechen und das heiße Blut in seine Wangen strömen zu sehn.
Der Glückliche!
Nein! so könnte ich nicht fühlen. Mein Empfindungsleben ist ein zerwühltes, zertretenes Treibhausbeet.
Ein entzückendes Spielzeug, dieser Oberst. Aber nicht mehr! ich bitte Sie, ja nicht mehr! Ja nicht!
Richtig! Ich machte mir den Spaß, ihn zur letzten Sensation mitzunehmen, dem Ehescheidungsprozeß der Lady Worseley.
Schade, daß Sie fehlten. Alle jungen Mädchen Londons hatten sich auf den Galerien Rendezvous gegeben.
Der beleidigte Ehemann, Sir Richard Worseley, wurde mit Heiterkeit begrüßt.
Mylady war doch mit einem Offizier davongelaufen.
Um diesen zu retten, hatte sie nun vierunddreißig junge Edelleute vorgeladen, die alle aussagen sollten, sie hätten sich, mit Vorwissen Worseleys, ihrer Gunst erfreut. Siebenundzwanzig kamen tatsächlich.
Das Animo war ungeheuer. Am selben Tag hätte Sir Richard im Unterhaus bei einer Abstimmung nicht fehlen sollen. Der Premier schrie wütend nach ihm.
Als man Worseley bei ihm mit der triftigen Ursache seines Fernbleibens entschuldigte, stöhnte er: »Ja, wenn mich alle im Stich ließen, die so einen Grund hätten, säß' ich ganz allein.« –
Das Wort geht durch London. Ich habe seit langem nichts so Animiertes gesehn, wie diese Prozeßverhandlung der Lady Worseley. Die ganze Gesellschaft war da.
Die Lady trug eine prachtvolle, ganz neue Pariser Toilette.
Campbells Gesicht war eine Studie. Er sah die jungen Mädchen an, als einige Details des Ehebruchs verhandelt wurden. Ich glaubte, es sei ihm übel, so blaß war er. Nach einer halben Stunde lief er mir fort. Er ist ein Narr.
Sie lockten mich unter die Linden und Rosen und sagten mir dort: Vielleicht, vielleicht. Sie versprachen nichts. Den ganzen Sommer sollte ich werben, sollten wir uns erst kennen lernen und verstehn.
Und dann vielleicht auseinandergehn, wie Fremde, Schiffe, die den Hafen nicht fanden.
Geliebte! Geliebte! Du sagst, du schuldest das mir, denn in unreiner Luft seist du aufgewachsen und weißt noch nicht, ob Du in reiner dauernd atmen kannst, entsagen, Dich fügen. Du bist ehrlich, aber hart.
Oder wär' es nur ein Spiel, Mary? Wär' es – ein Spiel? Ich würde Dich erschießen. Das würd' ich bei Gott! Vergib. Ich war heute mit diesem Selwyn im Pfuhl.
Robert.
Ich hab' einen Katzenjammer von dem schmerzhaften Kunstgenuß gestern im Opernhaus.
Das war die neueste Sensation, und ich soll auch geschmeichelt sein, daß der große Dichter und Komponist mir ein Billett dazu geschickt hat.
Man sieht, ich bin en vogue. Der Komponist und Dichter, das ist der Baron Schmeringer von Erdhaus, einer von den neuen reichen Finanzgrößen. Er hat sich entdeckt. Er sagt, er kann dichten und komponieren. Jeder weiß, wo ihn der Schuh drückt, also muß er's auch wissen.
Gut! Damit keiner widerspricht und die andern alle hier es einstimmig auch glauben, geht mein Schmeringer, der das Leben kennt, hin, mietet das ganze Theater (und das Theater läßt sich mieten, hm! wahre Kunst), zahlt die ersten Sänger, verschenkt alle Plätze. Stellt noch dazu (er hat doch Talent, der Mensch) ein Monstrebüfett auf mit Champagner.
Und die Première ist fertig. Alles war da, die ganze Stadt! Ihre Blüte natürlich. Vom Hof die Entouragen. Wirkliche Dichter und Komponisten von Ruf waren auch da. Und Kritiker. Die haben aber meistens gegessen. Im Foyer beim Büfett waren sie mehr, als wie drinnen im Saal. Ich bin gegangen, wie ich überall hingeh', weil's der König sehr gern hat, wenn ich ihm von allem erzähl'.
Das ist ja jetzt meine Hauptaufgabe, seit Jahren.
Lustig erzählen, zerstreuen, ablenken.
Früher war's oft trösten, einmal krankenpflegen. Davor behüt' uns Gott. Ich darf erzählen, Späße machen.
Aber boshaft darf ich nie sein. Karikaturen mag der König nicht. –
Ich hab' ein neues Kleid g'habt, wie sie eines nicht einmal bei der Toilettenrevue vom Monsieur Habel gesehn haben. Nein! was die Toiletten heutzutag' kosten! gut, daß ich eine einköpfige Familie bin.
Und Kredit hab'!
Je weniger man anhat, je enger es ist, desto teurer kommt es.
Ich bin übrigens der Schmerz vom Habel, ich hab' viel zu viel Hüften.
Man kann nichts machen. Ich bin halt aus der Jägerau. Also das Kleid war eine Symphonie von farblosen Farbenahnungen, drapiert von Künstlerhänden. Alles hat geschaut, wie immer, wann ich komm'. Ich hab' einen Platz gehabt neben der Bildhauerin Liesl Nord. Ein armes Waserl mit einer unglücklichen Liebe zum Herrn Doktor Pirnet, unserem großen Volksheiligen und Abgeordneten der Klerikalen.
Die Liesl hat sein Profil ausgehaut und sich dabei in ihn verschossen.
Aber er heiratet sie nicht. Er ist ein zu großer Egoist mit Größenwahn und Grobheit. Das arme Ding! die hätt' keine Hüften! Aber sie hat halt wieder nichts zum Drüberziehn, das schön wär'! So ist das Leben! Ich möcht' wissen, ob ich, wenn ich mir eine unglückliche Liebe zulegen tät', auch meine Hüften verlieren könnt', und so wie das Liesl zur Linie werden.
Aber bei mir ist es schwer. Immer liebe ich glücklich. Es muß das ein eigenes Pech von den rundlichen Leuteln sein.
Da kann man nichts dabei machen. Er, der angebetete Herr Pirnet, dessen Zeitungsblattl jede Hausmeisterin liest, und der mit Grafen öffentlich gern grob ist, ist vorng'sessen zwischen zwei geistlichen Herrn. In einer Loge hab' ich den Herrn Bischof Mehrenberg gesehn, aber nicht sehr heiter.
Was simuliert er?
Sie haben so getan, wie wenn's wirklich Ernst und eine Première wär' in der Oper. Der Baron Schmeringer ist aufgeregt gewesen.
Aufgeregt! was hat er zu fürchten mit dem Souper. Es wär' eine Frechheit gewesen, wenn er dann auch noch Talent gehabt hätt'.
Aber er ist nicht frech. Er hat nämlich gar kein Talent, sogar 's Gegenteil, nach meinem Gefühl, und ich bin musikalisch.
Wenn auch nicht ganz so, wie die Kritiker, die das Schleichen zum Büfett en gros betrieben haben.
Ich hab' schon ausgehalten, auch geklatscht. Es hat ihm ja so viel gekostet!
Überkomponiert und nachgedichtet hat er ja manches, was man hört und was jetzt berühmt ist. Es war modern, auch so eine wilde Wühlerei in scheugewordenen Tönen, ein musikalischer Darmkatarrh, mit Bazillen. Und sehr viel Unverhofftes, wo man's nicht gedacht hätt', und sehr viel sehr Langes.
Dann wieder auf einmal ratsch! aus ist's, wenn man glaubt, jetzt kommt's erst richtig.
Oft bin ich musikalisch erschrocken, oft beinah eing'schlafen, aber im ganzen gut durchgekommen, und hab' den Genius höflich mit entdeckt. Nur daß mir heut' alles weh tut.
Ich habe musikalisches Gliederweh. Mit was reibt man das ein? Die Liesl mit der Linie hab ich zum Essen eingeladen und ihr versprochen, sie darf meine Büste aushaun. Ich hab' ein sehr statiöses Ohr nach allen Regeln, sagt sie, obwohl mein Gesicht sonst nicht regulär ist.
Armes Liesl! Wenn man so hineinlauscht da und dort in's wahre Leben, wie's wirklich ist, ist's Not und Weh zumeist. Und g'rad bei den kleinen, den stillen und einfachen Leuten, die keinen belästigen. Die oberen Klassen nehmen sich schon, was sie brauchen, oder schimpfen laut. Keine Angst um die wehleidige, anspruchsvolle Zucht.
Aber da gibt's so viele zwischen oben und unten. Sind fein veranlagt, sind auch gebildet, haben das Heimweh nach Schönheit und Licht, die tragen recht schwer.
Du gehst so hin und siehst sie nicht auf der Gasse. Du schaust die Reichen an, oder die ganz Armen, die schreiende Not. Was sich dazwischen vorbeidrückt, bescheiden und traurig, der Mann im fadenscheinigen Rock mit dem Bücherpaket, die magere Frau mit Stickereien, der Student, der vom Stundengeben lebt, das blasse Mäd'l, das verblüht ohne Blüte; und die Alten, die nie jung haben sein können. So was fällt keinem auf von uns.
So was ist meine Liesl mit der Linie (der Hungerlinie), und mir hätt's gehen können wie ihr. Ich hab' ein bißl Talent g'habt, sehr viel Glück, bin g'standen am rechten Platzl. Sie hat viel Talent, gar kein Glück und keinen Humor.
Das ist es eben. Humor g'habt hab' ich immer. Und mit dem Karriere g'macht, weil mein Herr den braucht auf seinem Weg.
Das Liesl mit der Linie muß man vor einem guten Essen sitzen sehen, wie heut' bei mir, dann weiß man alles.
Es kann nämlich nicht essen. Es müßt's erst lernen, das arme Ding.
Es hat wohl von Brocken gelebt sein Lebtag, bald so, bald so, im Stehen irgendwas Kaltes hineing'schlungen. Der Magen ist ihm eingeschrumpft, auf's Herz haben's ihm getrampelt.
Arme Leut' essen sehn, das ist was ganz Eigenes. Es rührt einen um in der innersten Seele. Man hat immer das G'fühl, Christus steht da und segnet, besonders was er nicht allen immer geben kann. Ich geh' allwinterlich in einem schlechten Kleid oft und oft in die Wärmestuben. Dort setze ich mich hin und schau.
Das tu' ich, damit ich nicht vergeß, wer ich war. Und dann erzähl' ich meinem einsamen König in seinem stillen Palast. Von den Hungrigen erzähl' ich ihm, von blaugefrorenen Händen, die zittrig die Schüssel halten, von verschämter Not, von verzweifelter Gier. Von denen, die, zwischen Lipp' und Becher halb verhungert, doch noch ein Tischgebet sagen.
Nur die Reichen bitten und danken nicht. –
Das Liesl hat Talent. Es müßte ausgebildet werden. Es müßt' ein paar Jahr in gute Verhältnisse, ohne Sorgen, nach Florenz und Rom. Statt dem, drückt sich's herum, wird ausgenutzt, verkümmert. Der große Volksheilige hat ihm nichts gegeben und nichts verschafft. Seiner ungeheuren Eitelkeit gefällt die blinde Anbetung von dem hübschen blassen Ding. Einmal hat er's mitgenommen nach Süden und ahnen lassen, wie schön die Welt sein kann. –
Ich nenn' das grausam. Aber sie erstirbt vor kritikloser Anbetung und Dankbarkeit. Wenn sie zu ihm darf, sind's Feierstunden, alles, was er tut, ist wunderbar. Sie hat viel Einblick in sein Leben, in das garstige Treiben von seiner Partei und das Zerrbild der politischen Geistlichkeit, auf das er sich stützt, ist ihr sehr vertraut.
Sie erzählt ganz harmlos. Sie weiß, daß er nicht fromm ist im Herzen und kein Menschenfreund, und daß er alles haßt, auch seine eigenste Partei. Sie kennt seine grenzenlose Todesfurcht, sein gieriges Leben! Leben! Leben!
Er wird sie nie heiraten. Er ist zu viel Egoist. Fortreißen soll man's von ihm, das Mädel.
Wenn ich nur Geld hätt', aber ich hab' nie eins. Und wenn ich Schmuck verkauf', wird der König furchtbar bös. Er weiß alles, was ich hab', fragt nach allem von Zeit zu Zeit. –
Aber für die Liesl muß was g'schehn. –
Lang war sie bei mir. Sie hat die stille, ich möcht' sagen körperlose Art von denen, die sich an Ecken wundgestoßen, denen das Schicksal immer gesagt hat: Nein, das kriegst du nicht.
Sie sorgt sich um den großen Mann, um seine heilige Gesundheit. Er ißt zu viel. Daran stirbt sie nicht.
Ich werd' bestimmt etwas tun für das Mäd'l mit der Linie. Wenn ich nur einmal was in der Lotterie gewinnen tät'.
Aber ich hab' halt und hab' zu viel Glück in der Liebe.
Beim Doktor Pirnet fällt mir ein, daß der Prinz gesagt hat, ich atme historische Luft und soll die in Tagebüchern kondensieren.
Das hab' ich schön gesagt! Na also, der Pirnet, der ist ja was Historisches, wenigstens nach seiner Ansicht.
Ich mag ihn nicht und mir imponiert er nicht. Er ist auch einer von den vielen, die unserem König das Leben schwer machen, und seine Partei kann man weder die Blüte der Intelligenz noch des reinlichen Strebens nennen. Weiß Gott nicht.
Aber er ist eine Macht, denn er redet dem gewöhnlichsten Volk seine Sprach', und Habgier kann man ihm nicht nachsagen. Prozessionen, Vereine, Aufzüge hat er gern, alles, was dem Volk gefällt. Seine Politik ist sehr grob, gegen den Adel. Er kann ihn nicht leiden. Für Wissenschaft und Aufklärung ist er nicht. Aber reden kann er, sie glauben ihm alles.
Historische Luft. Das sind die glatten Herrn mit dem Portefeuille, die täglich beim König Vortrag halten.
Die glänzenden Uniformen, die vornehmen Personen und die vielen Politiker, die immer wechseln, die im Parlament so fürchterlich schimpfen, und von denen die Steuern doch immer wieder bewilligt werden.
Das sind die Leut', durch die das Leben teurer wird und teurer, bis daß der kleine Mann nicht mehr weiß, wie er überhaupt leben soll. Das sind die zahllosen Wühler und Schreier, mit denen allen ein König und eine Regierung rechnen muß.
Wenn ich sie zu Gesicht krieg', sind sie lustig, unterhalten sich wie Schulbuben oder sie stolzieren steif und hochnäsig, den Blick in's Leere gerichtet.
Das Volk, das sie schickt und bezahlt, kommt nicht oft auf seine Rechnung mit ihnen. Historische Luft! das sind die Eingesessenen und Hochgebornen mit der Tradition hinter sich, für die die ganz hohen Posten reserviert sind: Diplomatie und Militär.
Die haben's sehr gut. Man liest die Menus von ihren Diners in der Zeitung, hört mit Genugtuung, daß sie nach Ceylon und Davos fahren, sich amüsieren, Orden kriegen. Man freut sich, daß sie alles haben, was sie brauchen.
Wie bescheiden steht neben ihnen die Gestalt des Königs da. Der hat nie viel gekostet. Es ist ihm nicht gegeben, zu verbrauchen. Er bleibt daheim und lebt in Einfachheit und Fleiß. Anspruchsvoll, unerbittlich streng ist er nur im Zeremoniell, in allem, was seine Würde angeht. Da gibt er den feinen Herrn zu tun.
Aber in den Stunden, wo er Mensch ist. Daheim bei uns in den Bergen, wenn er jagt! Das Herz geht ihm auf. Eine Freud' ist's, ihn dort zu sehn. Der Wald ist sein Freund, als ob der König nur ein einfacher Jäger wär!
Dort seh' ich ihn am liebsten, und dort braucht er mich sehr wenig. Dort streicht ihm Waldluft die Stirne glatt. Er macht alles mit sich aus, in der Natur. Nie hab' ich ihn reden hören, sich aussprechen über Bitterkeiten.
Man muß es erraten, wenn man ihn trösten soll, muß das leise und mit Frohsinn tun. Man muß das Gefühl dafür haben für seine Art, die eigen ist, die wenige verstehn.
Historische Luft. Das ist er, der König selber. Er trägt sein Reich, die Prägung gibt er ihm.
Es ist der Tag, an dem Lori die eine Bitte frei hat, ein Gedenktag im Leben des Königs, wie in ihrem eigenen Leben.
Sie hatte ihn gepflegt in schwerer Zeit. Er hatte wochenlang, außer den Ärzten, niemanden als sie um sich sehen wollen. Sie tat ihm alles und erreichte alles, was er anderen in starrem Eigensinn abschlug. Es war der große Wendepunkt, der ihrer Existenz einen Adelsbrief verlieh.
Aus einem halben Spielzeug, der heiteren Sorgenverscheucherin, der harmlosen Freundin müßiger Augenblicke, dem Landkind, das dem König von den Bergen, die er liebte, einen Hauch zutrug, war sie in jenen Tagen zur ernsten Stütze, zur unentbehrlichen Hilfebringerin emporgewachsen, die sein Leben dem Volk erhielt.
Die Königin hatte ihr gedankt und nahm sie von da ab unter ihre Protektion.
Lori gab das Theater, das sie nicht liebte, ganz auf. Sie erhielt den Sistlhof und ihre große Rente, mit dem Titel: Vorleserin. Sie stand auf festen Füßen.
Als der König das erste Mal ausfuhr, fuhr er zu ihr.
Dieser Gedächtnistag wird alljährlich in stiller Feier begangen.
Gewöhnlich erscheint der Herr allein zur Abendzeit. Alpenblumen schmücken den Tisch, einfache Lieblingsspeisen warten. Es ist alles unköniglich, gemütlich und froh. Es ist der seltene Moment, wo ein verschlossener Mensch aus sich heraustritt, in dankbarer, immer frischer Erinnerung, und wo beim Abschied ein Wunsch ausgesprochen werden darf, muß sogar. Es ist der Weihnachtsabend in Loris Leben, obwohl draußen der Flieder blüht. Ihr Herz klopft jedesmal.
Diesen ganzen Tag verbringt sie still für sich. Sie hält Einkehr. Alle die Erinnerungen kommen zu Gast.
Es ist 11 Uhr. Ein Spätfrühlingstag mit feinen Regenschleiern. Überall duftet Flieder herein. Im Garten singen die Vögel träumerisch.
Ein Garten, wie alte Herrenhäuser nahe bei großen Städten ihn haben, halb altertümlich, halb modern, voll von Blumen, Fontänen, Statuen und hellgrünem Laub. Feucht und süß weht es herein, in Loris Wohnzimmer, wo das große Bild des Königs hängt, als einzige Zierde. Sie trägt ein weißes Kleid und sitzt in ihrer Dämmerecke. Auf dem Rasen unter dem Fenster spielen die Hunde. Es regnet leise. Ein Ausruhn ist in der Natur.
Lori hält ihren Gottesdienst, der Erinnerungen. Frühmorgens kam vom König ein Blumenstrauß. Er ist aus dunkelblauem Enzian und weißen Narzissen, Bergblumen. Sie liegen ihr im Schoß und ihre Hände umschließen sie.
In ihrer Seele ist ein tiefer Friede, der ihr heute eigentümlich stark zum Bewußtsein kommt. Sie sagt sich, daß ihr Weg eben vor ihr liegt, daß sie nichts mehr zu fürchten hat. Sie wird immer um den König bleiben. Er hat sie notwendig, er altert stark und um ihn ist wenig Liebe, sehr viel Berechnung und heimlicher Hader.
Es kommt die Zeit, wo er immer mehr eine sorgende Frauenhand braucht, in seinem Leben, wo er vieles nötig hat, was liebelose Pfleger langweilt, wo er erraten sein will in seinen Wünschen und Gedanken.
Die Zeit, wo der Mensch nach dem Menschen begehrt. Wie ist sie schon nahe, schon da eigentlich.
Nun wird Lori auf dem Posten sein. Nun ihm vergelten und sühnen, wenn ein Unrecht war in ihrem Dasein. Die Tage der Freude, sorglosen Leichtsinns neigen zum Schluß. Es kommt die Zeit der Pflicht, der großen Treue.
Denn es wird still und einsam um einen alten Mann.
Nun erst kommt ihre, Loris, große Stunde. Sie hat soviel Herzensjugend. Die wird sie geben mit voller Hand.
Er soll nie grübeln, nie sich sehnen, niemals bangen. Sonnige Gegenwart will sie schaffen um ihn bis zuletzt.
Und dann, – wenn sie's erleben muß, daß sich die Pforten schließen hinter ihm, der ihres Daseins Inhalt war, – heiße Tränen fallen auf Narzissen und Enzian.
Dann wird sie gehn, gleich, keiner kann sie halten, heim in die Jägerau, an's Herz der Berge zurück.
»Aber laß es spät sein, lieber Gott!« Ihre Hände falten sich zum Gebete. »Denn dann – wird's finster sein.« Sie atmet schwer.
Da schellt es am Gittertor, das heute geschlossen blieb, heftig, als rissen zitternde Hände an der Glocke.
Einmal, noch einmal.
Lori springt auf. Türen werden aufgerissen, Schritte kommen heran. Jetzt teilt sich die Portiere. Auf der Schwelle des Zimmers stehen der Prinz Norbert in Zivil und hinter ihm die Gräfin Marianne Grimpsch.
Das junge Mädchen ist aschfahl und hält sich kaum aufrecht. Auf dem Gesicht des Prinzen liegt der Ausdruck einer ehernen Entschlossenheit.
»Hoheit! Komtesse!«
Lori ringt die Hände. Der Prinz atmet rasch.
»Fräulein Lori,« sagt er mit etwas heiserer Stimme, der Stimme eines Menschen, der in höchster Erregung ist, »Sie müssen meiner Braut provisorisch Obdach geben und jede Person, die sich eindrängen möchte, fern halten. Ich fahre sofort zu Seiner Majestät dem König.«
Er dreht sich um und ist fort.
Lori steht da, wie vor den Kopf geschlagen und starrt das Mädchen an.
Marianne Grimpsch hat ihren Hut irgendwie auf, der Reisemantel hängt ihr über den Schultern, darunter trägt sie ein lichtes, gesticktes Abendkleid. Sie hat, augenscheinlich von ihrem Dienst plötzlich fortgerissen, keine Zeit zum Anziehen gefunden. Die peinliche Nettigkeit, die sie sonst charakterisiert, ist an ihrer Erscheinung aus dem Gleichgewicht gekommen.
Die Augen brennen ihr fieberhaft in dem weißen Gesichtchen, um das sich die Zöpfe gelockert haben.
Wie ein nestentfallener Vogel sieht sie aus, ein junges Geschöpf in tiefster Not.
Wahnsinniges Mitleid ergreift Lori. Sie breitet die Arme aus. Marianne kommt näher.
Erschöpft sinkt sie in einen Sessel und sagt:
»Sie hat mich fortgejagt, die Herzogin. Einfach fortgejagt. Ganz plötzlich.
Sie sahen, daß Norbert ein Bild von mir bei sich trug, die kleinen Prinzessinnen, beim Lawn Tennis.
Vor allen Leuten beim Souper hat sie mich dann angeschrien, die Herzogin, und mir die Tür gewiesen als sei ich eine Unwürdige. Das bin ich doch nicht. Wir lieben uns ja! Aber ich habe nichts erhofft.
O, die Schmach! die Schmach! Gebrandmarkt für immer! Ich bin fortgestürzt, der Prinz kam mir nach. Wir sind auf die Bahn. Vier Stunden haben wir unerkannt auf einen Zug gewartet. Dann die schreckliche Fahrt durch die Nacht. Und wir wußten nicht wohin!
So geht's uns, sehen Sie, in Schicksalsmomenten. Wir haben niemanden. Der Prinz steht allein, ich steh' allein. Das hat uns ja so zueinandergetrieben. Ich tat ihm leid. Es war ein furchtbares Leben, mein's.«
»Das glaub' ich wohl, Komteß!«
Lori ist sehr unruhig. Jetzt geht sie zu den Türen und schließt ab. Dann stellt sie Wein und Biskuit hin vor das zitternde Mädchen.
»Nein, nein! Sie können's doch nicht so ahnen, wie das ist, so ein Leben!«
Lori seufzt leise.
»Ich habe ja gar keinen Hinterhalt, das ist's ja eben, das Furchtbare, trotz Vaterhaus und Schwestern. Verstecken muß ich mich. Alle würden mir Unrecht geben, alle mich in's Kloster drängen. Keiner ließ es gelten, daß wir uns lieb haben, er und ich, über alles lieb.«
»Der Bischof Mehrenberg.«
»Ist gegen uns. Sie haben's ihm befohlen. Man merkte schon einmal, daß der Prinz für mich Interesse hat und da kanzelte mich Mehrenberg in der Beicht' furchtbar ab. Von ihm ist nichts zu hoffen. Er fürchtet die Rache der Herzogin, wenn er mich protegiert. Er kennt sie. Und ich weiß, er hat den Auftrag, alles aufzubieten, den Prinzen von mir zu trennen. Er steht nicht so fest, daß er für uns etwas riskieren könnt'.«
»Was soll werden?« stammelt Lori ratlos.
Marianne Grimpsch sieht starr vor sich hin. Ihre Lippen bewegen sich.
»Sie beten, Komteß?« sagt Lori. Sie kennt die Frömmigkeit der Hofdame.
»Sie können hier nicht bleiben. Lassen Sie mich Sie zu Mehrenberg bringen.«
»Nein!«
»Sie sind ja doch sein Beichtkind.«
»Nein! – Warum soll ich hier nicht bleiben? Haben Sie Angst?«
»Für Sie. Es schadet Ihnen.«
»Mir, daß ich hier bei Ihnen bin? Warum?«
Lori schweigt.
»Der Prinz hat Vertrauen zu Ihnen. Er sagt, Sie sind in zweideutigen Verhältnissen eine eindeutig ehrenhafte, brave Natur.«
Ein helles Rot steigt in Loris Wangen. Ihre Finger beginnen ein nervöses Spiel.
»Das ist – sehr lieb von Seiner Hoheit, Komteß! Aber seine Braut darf doch nicht bei der Lori Resch Zuflucht und Unterstand suchen.«
»Seine Braut!«
Es liegt eine solche Welt hoffnungsloser Traurigkeit in Mariannens Stimme, daß Lori sich ganz erschüttert fühlt.
»Der Prinz ist doch zum König gegangen. Was will er dort tun?«
»Rechenschaft fordern für mich und die Wahrheit sagen.«
»Sagen, daß er Sie heiraten will.«
Marianne sieht Lori lange an.
»Sie kennen den König so gut wie niemand. Was wird er sagen?«
»Er wird sehr bös sein.«
»Meinen Sie?«
»Das ist er immer in solchen Fällen. Und wenn er sich auch einmal eine Zustimmung abringen läßt, ein Stachel bleibt zurück! Er mag dann alle nicht mehr, die mit so einer Sache zu tun gehabt haben.«
»Und deswegen wollen Sie mich hier fort haben?«
»Nein, meiner Seel', deswegen nicht, Komteß. Ich bin nicht so feig. Ich riskier' schon 'was. Aber – von hier weg kann sich der Prinz die Braut nicht holen. Beruhigen Sie sich, Komteß Mariann', denken S' nach. Sie haben doch so viel Verwandte, so viel Freundinnen in jedem Palais. Wenn Sie sich schon vor den Geschwistern fürchten, also gut. Der Schrecken, daß Sie verschwunden sind, schadet denen und der Prinzeß Günterine gar nicht, wenn man auch ein weibliches Einsehn haben muß, daß sie wild wird mit ihren Töchtern, wenn eine Hofdam' bei so einer Partie den Prinzessinnen den Rang abläuft.«
Marianne runzelt vor dieser Ehrlichkeit die Stirn.
»Aber die zahllosen lieben, guten Tanten und Cousinen und Freundinnen, Komteß! Na, eine muß doch d'runter sein, auf die ein Verlaß ist.«
»Nein, nicht in meinem Fall.«
»Sie sind zu mißtrauisch 'worden. Denken S' doch nur, Komteß, jede einfachste Person hat irgendeine Freundin, die ihr hilft in der Not und zu ihr hält. Nun gar erst eine Dame wie Sie.«
»Eine Dame wie ich, ja. Meine Kreise, die kennen Sie ja gerade gut. Ist es Ihnen nicht klar, Fräulein Resch, daß ich hundert Freundinnen und Helferinnen in der Not hätt', wenn's mit mir abwärts ging, wenn ich eine elende Partie machen wollt', eine unstandesgemäße. Erinnern Sie sich, wie die kleine Prinzeß Agathe mit ihrem Leutnant durchging, da hat niemand etwas gesehn und gehört, kein Stein ist in den Weg gelegt worden. Aber wo's aufwärts geht, da schweigt die Menschenliebe. Ich kenne das Leben.«
Sie ist aufgestanden. Ihre Nasenflügel beben, in den Augen ist ein tiefer, dunkler Haß, der Haß einer herrisch verlangenden Frauennatur, die gepeitscht wurde, die sich reckt unter dem Joch und eine Freiheit kommen sieht.
Lori schweigt vor dieser erbarmungslosen Lebenskenntnis. Der Prinz tut ihr plötzlich furchtbar leid.
Es ist ein so großer Gegensatz zwischen diesem jungen Frauengesicht und dieser ätzenden Rede. Hat hier Erfahrung und Erziehung unerbittliche Menschenverachtung, Seelenkälte erzeugt? Armes Mädchen.
Lori findet keine Worte. Sie faltet die hübschen kleinen Hände. Mariann' sagt herb:
»Raten Sie, was soll ich tun. Meinen Sie wirklich, daß ich nicht hierbleiben kann?«
»Mein Haus ist ein Vogelhaus. Und heute Abend kommt der König.«
Mit einer gewissen Gier sieht die Hofdame die Sprecherin an.
»Warum haben Sie ihn nicht geheiratet? Es hat Momente gegeben, wo Sie's erreichen konnten.«
Lori wird rosenrot. Es ist, als wolle sie der Komteß die Hand auf den Mund legen.
»Mein Gott! das wär' ja kein Glück.«
»Einerlei. Ich hätt' es erreicht.«
Sie wendet sich ab mit einer gewissen Geringschätzung und starrt hinaus in den feinen Regen, der nach ertränktem Flieder riecht.
Ihr Gesicht wird klein und schmal. Eine Träne löst sich langsam von langen Wimpern und fällt. Leise zuckt ein herbgeschlossener Mund, als wollt' er stammeln: Ich hab' keine Mutter. Gott helfe mir.
Auch Loris Augen füllen sich mit Tränen.
»Kommen Sie, Komteß,« sagt sie. »Ich bring' Sie zu einer braven Person. Dort sind Sie sicher, dort können Sie abwarten. Hier wären Sie gleich entdeckt. Ich übernehm's, Ihnen Botschaft vom Prinzen zu überbringen.«
Rasch eilt sie hinaus und bestellt einen Wagen. Ihr ist eingefallen das Mädel mit der Linie!
Eine Stunde später ist Marianne Grimpsch sicher installiert in einer winzigen Junggesellinnenwohnung der Altstadt, vier Treppen hoch, wo die Häuser noch schief und verwettert stehen.
Es sind Häuser, die eine Geschichte haben. Schön sind sie nicht. Aber man verbirgt sich so gut in ihren hundert Winkeln. Arme, fleißige, unneugierige Menschen wohnen da.
Die Hofdame wird zärtlich umsorgt und schweigend angestaunt von einem weltfremden, romantisch-verliebten, aus Sentimentalität ursoliden Mädel, das sich ängstlich für einen Heros makellos erhält, der es nie ernst nehmen wird. Elise Nord lebt einsam, in zwei Stuben und einer Küche, die nie ein fremder Fuß betritt. Ihr Atelier hat sie anderswo. Sie packt die notwendigen Sachen aus, die Lori der Gräfin mitgegeben. Sachen, bezahlt von königlichem Geld. Die Hofdame bedient sich ihrer mit leicht gekräuselten Lippen. Unfrei sieht sie sich um, läßt sich anbeten, anstaunen, beglückt die Liesl, etwas von oben herab.
Und Lori fährt langsam heim mit sehr schwerem Herzen. So bleiern schwer war's schon lange nicht.
Natürlich ist der Prinz gekommen, kaum daß ich zu Haus war. Aber zur Mariann' darf er nicht. Ich habe ihn angefleht: »Sein's um Gottes willen vernünftig, Hoheit. Der Skandal ist ohnehin schon groß genug.«
Er hat mich angebrüllt: »Was, Skandal? Ich tue meine Pflicht als Mann von Ritterlichkeit und Ehre!«
Ja, die tut er reichlich. Aber närrisch gern hat er sie auch. Und das ist zwar ganz verdienstlos, aber es ist doch sehr hübsch, macht einem immer wieder warm um's Herz.
Denn das Gernhaben, das Selbstlose, Opferwillige, so vom Menschen zum Menschen, das ist und bleibt das Allerschönste auf der Welt.
Er hat wenig gered't zuerst, und ich gar nichts. Ich hätt' ihm gern den Kopf gestreichelt, so wie einem armen Buben. Natürlich hab' ich's nicht getan. So sind wir beide dagesessen und der Tag ist langsam zur Neig' gegangen.
Plötzlich hat er gesagt: »Es kann sein, daß ich mich schlag'.«
»Herrgott! mit wem?«
»Mit meinem Onkel Clemens, der die Komteß aus seinem Haus hat jagen lassen.«
»Hoheit! Hoheit!«
»Jawohl. Wenn der König nicht ja sagt zu meiner Eh'. Eher sterb' ich, als daß ich nachgeb' und das Mäd'l im Stich lass'. Eher sterb ich.«
Das war nicht bloße Verliebtheit. Nein! das war Männlichkeit, adelige, treue, ehrenfeste Männlichkeit.
Eine Ehrfurcht hat mich erfaßt. Ich bin plötzlich aufgestanden. Ich weiß nicht, es hat mich so geschoben, und hab' gesagt, ein bißl heiser: »Hoheit, so weit kommt's nicht. Eher geh' ich zugrund. Denn wer bin ich und wer sind Sie? Ich hab' heut' einen Wunsch frei, der muß mir erfüllt werden. Ich hab' bis jetzt immer taktvoll gewünscht, heute werde ich eine Taktlosigkeit begehen. Jawohl, das werd' ich, meiner Seel'.«
Und bin hinaus bei der Tür.
Zwei Stunden später.
Ich hab' mich angezogen, aber Kleid und alles ist mir heute ganz egal. Ich schau' kaum in den Spiegel. Die Füße zittern mir. In einer halben Stund' kommt der König.
Es ist ein Wendepunkt. – – – Kann mein End' und Verderben sein. Aber ich werd' es tun.
Glaub' ich so an die Komteß, Marianne?
Eine Woche später.
Der König hat sich auf eine Reise begeben. Der Prinz heiratet die Gräfin Grimpsch. Der Bischof Mehrenberg ist in Ungnade gefallen. Seine große Karriere ist aus. Er hat sich's auf allen Seiten vertan.
Es heißt, er kriegt einen hohen Geistlichen aus Rom zur Kontrolle und Assistenz bei seinen Funktionen. Er hat abgeredet – nichts erreicht. Beide Parteien hassen ihn.
Und ich! ich!
Es scheint alles unverändert. Der Prinz hat mir gedankt, die Braut ist bei seiner Tante Hildegard.
Ich hab' dem Prinzen die Red' abgeschnitten: »Sagen's nichts. Ich hab' – ich hab' es tun müssen. Tun müssen!«
Und Gott helf' mir! Ich weiß nicht einmal, hab' ich recht getan, hab' – ich – ihm – was – Gutes – getan – meinem Prinzen?
Ich möcht auf ein Zeitl heim zur Mutter in die Jägerau.
Ach Liebe, Liebste! wie einzig herrlich ist dieser Mann, der mich adoriert. Wie verdien' ich es, so geliebt zu werden? Zwölfhundert Pfund jährlich ist ja gerade nicht viel für eine Frau meines Ranges.
Die arme, gute Königin!
Georg zu verstehen, ist eben nicht jedem gegeben. Sie hat ihn nie verstanden. Er tut mir oft so leid.
Man hat die lächerliche Idee am Hof, er liebe eigentlich wirklich doch nur Karoline. Na, das weiß ich besser!
Freilich sie regiert!
Walpole hat durchgesetzt, daß sie jetzt statt 50 000 100 000 Pfund Zivilliste erhält. Es ist ja wahr, sie tut damit viel Gutes.
Aber dem König ist sie nichts. Er braucht kritiklos weibliche Hingebung. Die hab' ich!
Ach! Es ist so süß, einem König sich hinzugeben. Er ist doch ganz anders wie andere Männer.
Sünde macht er zur Tugend. Er ist ja geweiht. Ich lebe in Ekstasen. Nur die 1200 Pfund sind zu wenig. Die Königin sollte zulegen. Aber sie lächelt mich nur an, kühl und ironisch.
Ich habe sehr schöne neue Toiletten und putze mich stundenlang. Ich seh' jetzt erst, wie jung ich noch bin. Alles hüpft in mir. Der König muß sich wundern. Die hohen Lockentürme mit Vögeln stehn mir reizend.
Ich bin nur eben nie zur Geltung gekommen.
Mein Mann ist mir recht lästig. Er will immer Geld. Ich finde es gemein. Ich will mich von ihm scheiden lassen. Dann bleiben mir die 1200 Pfund allein. Ich verdiene sie ja auch allein'!
Heute habe ich meinem Georg gesagt, daß ich mich scheiden lassen wolle.
Er schrie: »Das ist mir höchst egal,« und lachte. Er hat so viel Witz.
Ich gehe täglich mit ihm spazieren, genau eine Stunde; er hält die Uhr in der Hand, um keine Minute zu verlieren.
Alle Leute sehen uns an.
Wie schön ist das Leben!
Herr Georg Barkley schreibt mir Liebesbriefe. Ich kann sie nicht beantworten, denn er ist bei der Opposition und ich bin Georg treu. Aber es ist doch reizend.
Ich lasse mich scheiden. Mein Mann ist mir zu verächtlich. Ich bin jetzt ganz anderes gewöhnt.
Ihre
Lady Suffolk,
maîtresse en titre Seiner Majestät
des Königs.
P. S. Glauben Sie es ja nicht, wenn man Ihnen erzählt, daß Georg, mein Georg, mich haut.
Sie sahen gestern so traurig aus, als Sie Ihre Majestät, unsere Königin, bei uns fanden. Warum? Darf sie mich nicht besuchen? Ihre Nähe kann nur veredeln.
Wir saßen auf meinem Balkon, unter uns floß die Themse. Ich sah Sie ankommen und sich ruhelos im Garten ergehen.
Ich durfte Sie natürlich nicht heraufrufen lassen. Und als ich Sie später suchte, waren Sie fort. Lord Campbell, Sie sind ein Kind! Ich bin älter als Sie, wahrhaftig. Ich weiß Sie doch auch am Hof und irre nicht verstört umher und habe Vertrauen.
Sie wollen, ich soll nach Irland gehen, Ihre alte Großmutter besuchen? Denn Lady Montagu verreist, die Ruhelose, und ich soll hier allein nicht bleiben. Warum? Ich bleibe gern bei meiner Themse. Empfangen kann ich Sie dann freilich nicht.
Irland, – wissen Sie, der Wahrheit die Ehre, wir Wohlhabenden, Satten fürchten uns vor den Leuten, denen es schlecht geht. Ja, so ist's!
Nun zürnen Sie. Kommen Sie heute, ich mache Sie wieder gut. Kommen Sie sicher. Ich spiele nicht mit Ihnen und gehe vielleicht nach Irland zu der alten Herzogin. – – – Vielleicht.
Ach bitte noch eins. Seien Sie zu Mistreß Howard nicht unfreundlich. Sie machen alle am Hof eine völlige Närrin aus ihr. Der König soll sie mißhandeln, sie ist ja nur Repräsentationsstück seiner Eitelkeiten.
Er geht in kurzem nach Hannover zu der deutschen Maitressendynastie zurück. Dann ist die arme Person verlassen. Ich höre, sie läßt sich scheiden und der alte Geck Barkley macht ihr den Hof. Er hat nichts mehr zu leben. O, wie häßlich ist das Alles. Vielleicht wäre Irland noch schöner?
Mary Bellenden.
Ha, ich atme auf. Ich bin geschieden. Dieser elende Wicht! Aber Geld gab ich ihm kein's. Der König hat bezahlt, mein Georg. Er war etwas schlechter Laune. Ich fiel die Stiege herab, deshalb, nur deshalb muß ich zu Bett liegen.
Die Königin sieht recht ausgeruht aus. Das glaub' ich wohl! –
Ich werde vom König ganz wie seine Frau behandelt.
Er nimmt gar keine Rücksicht. Wie nahe muß ich ihm stehen!
Wissen Sie kein gutes Gichtmittel? Der arme Barkley hinkt.
Lady Montagu ist fort. Kommen Sie nicht mehr hierher. Gehen Sie Dienstag um fünf zu Lady Walpole, dort werd' ich sein.
Ich möchte nun doch vorderhand hierbleiben. Die Passionsblumen blühen so schön. Bacon und Shakespeare haben sie geliebt.
Mary Bellenden.
Ich kann Dienstag nicht kommen. Ich habe Dienst. Hier in Windsor blühen die Passionsblumen nicht.
Ihr gehorsamer
Campbell.
Bitte, kommen Sie sofort und bringen Sie mich zu Ihrer Großmutter.
Der König war heute hier. – Ich sage nichts mehr. Rasen Sie nicht, Sie haben recht in allem. Gebieten Sie nur, ich gehorche.
Ich komme und hole Dich und trage Dich fort mit starken Armen, dem Licht der Sonne entgegen, mein trotziges Mädchen, mein Lieb! Es wird Tag!
Campbell.
Ich kann die Eifersucht Georgs nicht mehr ertragen. Ich ziehe mich zurück nach Marblehill.
Ich habe viel gelitten. – Die Liebe der Könige ist aufregend. Ich bin wie zerschlagen.
Um von Herrn Howard nicht belästigt zu werden, heirate ich George Berkley.
Er betet mich an. Meine 1200 Pfund behalt' ich. Ich riet Georg, die Luft zu wechseln, Hannover beruhigt ihn immer. Er will es tun. Welchen Einfluß habe ich auf ihn! Und doch, ich geh! Es wird zu viel verlangt für 1200 Pfund am Hofe von England. Dies konstatiert bedauernd
Ich bin zu Haus'. Ich hab' jetzt sehr viel Zeit, mein Tagebuch zu führen. Im Winter reis' ich. Im Sommer schreib' ich und bandl' so herum.
Der König kommt nicht mehr zu mir. Alles ist vorüber. Es kam ohne Katastrophen, ohne Eklat.
Ein Jahr ist's her, seitdem der Prinz Norbert geheiratet hat. Sie haben einen Sohn. Der Komteß Mariann' ist alles wie geölt gegangen, nachdem es einmal in Gang gekommen war. Ich hab' sie als Braut gesehn. Sie zog hin wie auf Windesflügeln. Die ganze Stadt kam, sie anzuschau'n. Sie war schön. Das Glück verschönt.
Es war mir rührend, den Prinzen zu beobachten. Das Volk um mich pries den König, daß er's erlaubt hatte. Einige tadelten's auch. Einerlei.
Um die Braut drängte sich liebeglühend ihre ganze vornehme Verwandtschaft. Das war widerlich. Und sie zeigte sich ihnen schon recht kapriziös.
's ist ja wohl ein menschlicher Zug. – Ein paar Prinzessinnen sind sehr lieb zu ihr gewesen.
Die Günterine rast. Am Hochzeitstag hat sie ihr 100 Mark »restliches Salär« zugeschickt.
Na ja! Und jetzt sind sie halt wohl glücklich. Sie ist im Leben stark avanciert. Hat den Mann ihrer Wahl, Glanz und Einfluß. Wird sie sich zufrieden geben?
Sie sagen, mein König hat gealtert. Er geht gebückt, man begegnet ihm nicht viel.
Acht Monat ist's, daß sie ihm verboten haben, zu mir zu kommen, durch den neuen Beichtvater, die Prinzessinnen, vor allem die Günterine.
Das ist die Rache, die so rasch schreitet – und so raffiniert.
Es ist jetzt eine Sünde, zu mir zu gehen. Früher war's keine.
O wie arm ich geworden bin.
Nicht an Geld. Es ist alles dasselbe geblieben. Palais, Equipage und Kleider, das Leben aus dem Vollen. Mich freut aber nichts mehr.
Das Mäd'l mit der Linie hab' ich versorgt. Es schwärmt in Italien. Die Komteß Marianne gab ihm eine Photographie! Sparsam ist sie sehr. –
Der König kommt nicht mehr zu mir. Meine Sonne ist untergegangen. Ich kann nicht viel große Wort' machen. Aber in mir ist's aus.
Ich leb' so dahin. – Ich kann's einmal nicht sagen, wie mir ist. Ich wein' auch nicht. O nein. Und ess' und trink'.
Aber innen! Innen!
Der Mehrenberg stirbt an seiner Ungnad'. Letzthin hab' ich ihn g'sehn – ganz gelb.
»Warum haben Sie sich eing'mischt?« sagt er mir. »Es ist nichts Gut's. Es wird Ihnen nie verziehen und nie gedankt. Es ist Disharmonie. Entweder – oder! Sie haben eine Frau geschaffen, die immer in Zwiespalt sein wird, immer ihre Kinder verkürzt finden. Oder: die will, was ihr nicht zukommt.«
Ich find', er hat nicht Recht. Gar nicht. Alles kommt d'rauf an, wie sie ist, die Marianne. Alles nur auf das, ob sie ein Herz hat, groß, weit und frei, einen freien Geist, ein Selbstgenügen. Nein! ich find', er hat nicht Recht. Es ist mir auch ganz gleich.
Mein König kommt nicht mehr zu mir!
Er ist nicht bös' auf mich. Gar nicht. Aber sie haben gesagt, ihm gesagt: es ist eine Sünde.
Bei mir ist die Sünde. Er glaubt den Priestern unbedingt.
Die haben's ihm beizubringen gewußt, laut Befehl und Intrigue.
Der König soll jetzt meistens recht schlecht aufgelegt sein. Mein Gott, ist's möglich, bin ich ihm wirklich viel gewesen? Ich hab' mir's nie eingebildet. Nur halt' ein bissel was.
Natürlich seh' ich auch sonst vom Hof niemanden mehr. Der Prinz Norbert käm' wohl aber er kommt nicht.
Sie haben gesagt, ich sei die Sünde.
Die Marianne ist rein und fromm. Ihr Kind hab' ich mir letzthin von weitem ang'schaut. Es ist ein schönes Kind, das Kind der Liebe. Es freut mich, daß es geboren hat werden dürfen. –
Ich bin eigentlich nicht verbittert, ich bin nur furchtbar traurig. Mir geht was ab.
Meine Frau Mutter hat Gicht. Ich wickl' sie ein. Sie räsoniert sehr viel zu mir, über mich, mit grober Lieb' und Sorge. Die Leut' in der Jägerau sind recht nett und geradeaus. Es sind so Leut' vom Gebirg; mein Glanz hat sie nie geblendet. Meine Ungnad' ist ihnen nichts. Sie denken sich halt, alles hat seine Zeit. Das ist ja auch wahr. Aber meine Zeit war nicht vorüber. Er hätt' mich gut brauchen können, ich weiß es, bis zuletzt.
Ich war auf ihn gestimmt, wie kein Mensch sonst, mit'n gemütlichen Herzen und heilig g'wiß, ab und zu einmal – ich geh' ihm ab!
Denn im Alter da schließt's Herz keine neuen Freundschaften, und so eins schon gar nicht. Ich kenn' ihn doch.
Er wird halt arbeiten und dann allein sein. Kleine Kinder sind doch nur Minutenspaß. Die wollen Rücksicht. Die nehmen sie nicht.
Die können ihm nicht sorgende Liebe ersetzen, wenn er auch einmal mit ihnen spielt.
In der Stadt hab' ich nicht bleiben wollen. Den Winter durch bin ich herumgereist, so wie ein fashionabler Mensch, der ich nie war. Ich hab' kein Talent dazu. Die Reiserei war tödlich. Erste Hotels, Geflüster, wenn ich komme. Ehrfurchtsvolle Respektlosigkeit, Neid, Schadenfreude. Hol' Euch der Teufel! Was wißt's denn Ihr?
Ich bin umeinander 'zogen in den Höhenlüften und Rivieras, wie ein rechter Narr, und hab' mir einzubilden versucht, je suis souffrante!
Ich hab' mich täglich fünfmal umgezogen, mich ausrauben und anbetteln lassen, hab' meine reichlichen Lebenserfahrungen noch bereichert.
Die scharmantesten Abenteurer sind mir nachgelaufen, weil ich Geld hab'.
Aber auf die Läng' hält das Höhenluft- und Saisonleben keiner aus, der nicht ein biss'l rappelt.
Im April bin ich nach Jägerau zu meiner alten Frau gekommen, die die Gicht hat und dabei immer saure Suppen und Kraut essen will! So bockig ist sie. Und schimpfen kann's! Die lieben alten Schimpfwörter! So wie eine Mutter, schimpft halt doch keiner mit einem! Von keinem tut's so wohl.
»Weg mit dem G'frast!« hat sie g'schrien, wie's meine Ringe, Armbänder und Samtkleider g'sehn hat.
Da bin ich halt in Loden aufmarschiert und dann war es recht. Und glatte Zöpf' hab' ich mir machen müssen. »Weg mit allem Wuckerlwerk!« hat sie ang'schafft.
Ich hab' alles getan, was sie wollen hat. Und mir ist dabei jung um's Herz 'worden. Weit um's Herz, in den engen Stuben, wo die alte Frau sitzt. Am Fenster hat sie Goldlacktöpfe und Frühhyazinthen in Gläsern. Die Hyazinthen sind boshaft, sie wollen nicht blühn. Alle Tag' drei-, viermal schaun wir sie an, reden ihnen zu, regen uns auf. Was haben die Hyazinthen? Dazu singt eine Amsel im Käfig. Auch eine Katze ist da. Der grüne Ofen mit der Bank herum brummt ein heimliches Knisterlied, das von Kindheit erzählt und Weihnachten. Es riecht nach Tannenzapfen, Bratäpfeln. An der Wand hängt dem König sein Bild zwischen Marienbild und Kreuz. Frisches Tannenreisig ist immer d'rum geflochten. Die Holzböden sind schneeweiß, die Möbeln nix wert, aber alt und lieb. Auch in meiner Stuben ist's so. Hell, einfach und sauber.
Alle Tag' fragt die Mutter: »Räumst wohl fein ordentlich z'samm'? Wart', wenn ich wieder die Stiegen hinauf kann und was find'. Weh' Dir!«
Eine Jungfer hab' ich nicht mitbringen dürfen.
Bei Loden und glatte Zöpf' ist es ja egal.
Die Mutter fragt um nichts aus meinem Leben. Wir gehn in die Kirche, wo der alte Pfarrer das Hochamt hält. Es klingen an mein Herz die Marienlieder, wie ich sie einst hab' gesungen. Die lieben Lieder. Und: »Großer Gott, wir loben Dich!«
Huschelig eingesponnen in seinen Winterfrieden, liegt das Dorf den Bergen zu Füßen. O, wie das lauschig sein kann, so ein Winterdorf!
Keine Städter da mit ihren Nerven, Gebrechen und Ansprüchen. Nur meine Leut' aus'n Land'l, die stillen Leut', die der Hochwald erzieht. Wie die nicht neugierig, nicht geschwätzig sind, es ist zum Verwundern! Es gibt ihnen eine Würde, die ich in der Stadt nie g'sehn hab'.
Ich ess' die Speisen, die mir in meiner Kindheit so herrlich geschmeckt haben: Grießknödel, Tommerl, Holzhauernocken und Schmarrn.
Ich trink' den sauern Apfelwein, ich helf' der Mutter stricken.
Aus'n Betbüchel les' ich ihr vor. Sie hält sich nur ein frommes Wochenblatt'l, und der Pfarrer leiht ihr das Buch für Alle. Das findet sie prachtvoll.
Wenn Besuch kommt, reden die Leut' von der alten Zeit. Und draußen raunt der Frühjahrsschnee an Bäumen, die schon treiben, Schneekadeln blühn weiß und grün, blaue Leberblumen, Primeln, gelb wie Gold. In der Luft ist Eisschmelzen und Sonnenwärme. Um Mittag riecht's nach junger Erde. Abends ist's sehr kalt. Man hört nichts, als die eine Kirchenglocke läuten. Sonst ist die Stille groß. Der Mensch kehrt ein in sich, er wird einfach, klein, wird genügsam. Heut' vor einem Jahr! Eine ewige rasende Hetz'.
Manchesmal schreiben mir ein paar Leut' aus der Stadt – vom König. Dann zerreißt mir die Brust das Heimweh. Ich geh' in die Kirche und wein' mich aus. Von meinem Fenster seh' ich das königliche Lustschloß liegen.
Seine Fenster sind zu, die meines Herzens auch. – Dort war ich oft. Hab' Grillen verscheucht, trübe Launen, Sorgen. Hab' Gutes empfangen, auch gegeben. Gott sei Dank!
Wie wird's sein im Sommer? Ich kann nicht fort von hier. Sie verlangen's auch gar nicht. Ich weiß ja, wie's dort ist am Hof. Abgetan ist abgetan.
Ich werd' mich nicht auf den Weg vom König drängen. Nur sehen möcht' ich ihn manches Mal von weitem im Wald. Ob er gut ausschaut, wohl ist? So genau kenn' ich ihn! Gleich weiß ich alles.
Er braucht mir nichts zu sagen. Ich fühl' und versteh' von selbst.
In weißem Nebel bin ich angekommen. Aprilschauer haben mich empfangen. Es war kalt und herb. Eisschollen hat's auf Gebirgswassern getrieben. Von den Höhen ist ein Brausen gewesen. Am nächsten Tag hat's gelenzt, lauwarme Sonne, braungrüne Knospen, kleinkinderzartes Grün da und dort. In der Stadt sieht man das nicht so.
Ich bin einen langen Weg in die Berge gegangen, wo ich überall den König zu sehen glaub'. Steht er nicht dort hinter rieselnden Fichtenästen? Ist das nicht er, was da an den Felsen hingeht? Nein, nein. Es ist nur ein Traum.
Wohl wird er wieder da wandern, aber mir so fern, als wär' er weit, weit fort.
Darein mußt du dich finden, Lori. Es ist aus. Es kommt nichts mehr.
Er ist lange Zeit der Erste im königlichen Forst gewesen. Jetzt hat er sich eigen Wald und ein Haus darin gekauft. Da wirtschaftet er mit der alten Borkengundel und einem Buben Sommers und Winters in der Einöd' hoch oben allein. Manches Mal inspiziert er noch die königlichen Wälder. Man hält sehr viel auf ihn.
Ich hab' den Widgast gekannt als einen knorrig-wilden Buben, der mich gehaut hat und ich hab nach ihm gebissen. Einmal hat er mir den Zopf abgeschnitten, weil er die Eitelkeit nicht ausstehn konnt. Wie ich in die Stadt bin, hat er mich tief verachtet und ich hab' nicht mehr für ihn existiert.
Mehr als zwanzig Jahr' ist's her. Heute hab' ich ihn wieder gesehn. Er ist die Mutter besuchen gekommen. Ich war bei ihr.
Schön ist er nicht. Ein eckig-hartes Gesicht, braun wie Borkenrinde. Schon recht viel Falten, buschige Augenbraunen, unter denen's scharf herausblinkt. Sehr viel Bart, ein lautes, tiefes Lachen, eine gewaltige Stimme. Das war einmal der Sepp.
Er hat mich gemustert von oben bis unten und dann ein unklares »Na also!« von sich gegeben. Dann hat er nur mit der Mutter und überhaupt nicht viel geredet.
Wenn man ihm eingeschenkt hat, schwipp! ausgetrunken war's. Und aufgegessen, was man vor ihn hinlegt. Es ist gewiß seine Art Höflichkeit. Zwei freche Dackeln sind rechts und links von ihm gesessen, ohne ein Aug' von ihm zu verwenden, Schnauz und Kauz.
Ein grundsonderbarer Kerl! Während er mit der Mutter g'red't hat, hat er mich beobachtet, ganz ungeniert und ganz ohne Anerkennung.
Dann sagt die Mutter auf einmal: »In vierzehn Tagen sagen's halt' die Borkengund'l den Absud parat, der für die Gicht so gut ist. Da könnt' ja die Lori einmal hinaufsteigen zu ihr und sich einen holen.«
»Ist gut. Sie kann schon aufersteigen. Das heißt, wenn's steigen kann.«
Er mustert mich kritisch.
»Na ja, ja, ich mein', sie dersteigt's. Ein Stadtkrampen ist die nicht.«
»Alsdann denn,« sag' ich, »vergelt's Gott, Herr Förster.«
»Ist auch nicht not. So in der zweiten Hälften Mai also. Behüt' Gott derweil, lebt gesund.«
Er ist abgetrappst.
»Mutter, das hätten's mir nicht antun brauchen, daß ich da soll hinaufklettern bis zum Borkenhof.«
»Kletter' nur. Bist lang g'nug herumg'sess'n für mein Gusto, wennst mich fragst, viel zu lang.«
Im Mai.
Gestern bin ich hundsmüd' heimgekommen. Mit Buschen roten Seidelbast, Gichtabsud, Fußweh, nasse Strümpf' und dabei eine gewisse Leichtigkeit im Herzen. Schön war's doch, der Mai im Gebirg'.
Ganz früh bin ich fort. So früh, wie ich mir sonst 's Aufstehen nie geträumt hätt'.
Die Sonn' ist g'rad aufgegangen, rosenrot. Die Berg' alle sind, wie Könige bei einer Krönung, in Purpur gestanden, über einer lichtgrünen Welt. Silberne Wasser haben gerauscht. In nassem, braunem Laub bin ich aufwärtsgestiegen. Voll Vogelstimmen war der aufgewachte Wald. Amsel, Pirol, Fink und Kuckuck haben sich Antwort gegeben. Wilde Veilchen, die echten, die nach Jugend und Märchen riechen, nach Kindheitswunderwelten, sind in dunkeltiefer Blüt' gewesen weit und breit. Es hat gerochen nach Erwachen und Werden.
Was das Schönste war und eigentlich nur dem Jägersmann vertraut ist, der Wald hat geblüht.
Das ist kein prachtvolles Blühen, strotzend in tausend Farben. Das ist vornehm und fein und tief. Ganz eigen ist's. Nur kleine Träubchen, feinfaserige Flocken ohne Farbe, silberiggrün verschmelzend mit Nadel und Blatt. Blühender Haselstrauch, Berberitze, Weide, Fichten und Tannenbaum, Erle, Buche, Ahorn. Kleines, vielnamiges Waldgesträuch. Alles bräutlich, verstohlen verliebt in den Frühling, der sich heimlich werbend zu ihm stiehlt. Ein feines Blühen, ein feines Duften, ein heimliches Schwellen, ein ganz zartes Glück.
Am Boden im Kuckucksklee violettes Blühen, am Bach dottergelb, marktschreierisch.
Die leeren Kelche der abgeblühten Schneerosen starren in harten grünen Blättern. Sie haben gelebt, ihre Zeit ist um. Sie waren des Winters eine Freude. Im Mai sterben sie. Ein wehmütiges Schicksal von eigener Art; es ist mir aufgefallen.
Leicht bin ich gestiegen und rasch. Ich kann es noch. Es ist schön, zu Bäumen aufschaun können, ihre Höh' bezwingen. Auf einmal liegen sie unter einem. Ein Stück Welt ist abgetan.
Ich bin auf Bergwiesen voll Narzissen gekommen, die haben weiß und schlank im Wind gewogt. Stille Wasser sind gelegen, überkreist von Raubvögeln. Wild hab' ich huschen gesehn. Und den Auerhahn gehört. Dann hat der Seidelbast um mich zu blühen angefangen, giftig und rosenrot. Mit blauen Augen hat winziger Enzian mich ang'schaut, und die Luft in den Wipfeln herrischer gebraust. Da hab' ich einmal sehr tief geatmet.
Wenn man doch – sich selber ausatmen könnte und etwas, das frischer und stärker ist, zurückempfangen. Aber das kann man nicht.
Die Erde kann gesunden, sich erneun, der Mensch nicht.
Der Borkenhof. Er liegt hoch über Tannen, Wasser und Wiesen. Er schaut weit in's Schöne, den begrabt nie der hohe Winterschnee. Drinn ist es licht und primitiv in stillen Stuben. Ein lustiges altes Weib ist da, ein Hausherr mit geradliniggezeichnetem Charakter und ein dummer Bub', ohne Eltern.
Es wird wenig geredet. Die Gastfreundschaft wird nüchtern, sachlich geboten.
Er hat mich groß ang'schaut, der Sepp, wie ich nicht auch alles, was er vor mich hingestellt, sofort aufgeschnappt hab'.
Er hat mich um gar nichts gefragt, wie meine Mutter. Wir haben nur ganz Gewöhnliches geredet. Es war sehr ausruhend.
Ich war halt auch müd'. Hinunter hat der Widgast mich ein großes Stück begleitet und dabei in kurzen Sätzen vom Wald erzählt.
Man kann über so einen Wald eigentlich sehr viel sagen, was mir nicht eingefallen wär'. Man muß ihn nur gut kennen. Es kommt mir vor, daß es hier Menschen gibt, die etwas Weniges sind, aber dies Wenige gründlich, mit Leib und Seel'. So ist der Widgast. Heut' schlaf' ich gut.
Er will mich heiraten. Mich! Ich soll in den Borkenhof. Er war noch einigemal da, worüber ich mir nichts gedacht hab'. Heut' hat er geredet.
Der Mutter ist's sehr recht. Sie sagt: Ich will's. 's ist Zeit, daß Du gut tust und Ruh' gibst. Ich war einfach starr.
Heiraten, ich!
Soll ich furchtbar lachen oder schrecklich weinen. Heiraten, ich! In den Borkenhof!
Er ist in meine Stub' heraufgekommen, hat sich breitspurig hing'setzt und ganz phlegmatisch gered't: So und so, und das Geld, was Du hast, das gibst jetzt auf und zurück, weißt wohl. Denn Du paßt mir gut, aber dieses Geld paßt mir nicht.
Wärst nicht davongerannt, hätt' ich Dich vor zwanzig Jahren geheiratet. Das wär' g'scheiter gewesen für Dich.
Aber so geht's auch, wir werden gut hausen, ganz gut hausen. Später kannst mich pflegen, das hast ja gelernt.
Ich geb' Dir Nam', Reputation und Versorgung. Alles will ich geben, hörst. Ich allein.
Für Dich ist der Borkenhof gerad' recht. Denn Du bist draußen gewesen im Vollsten und hast es gesehen, daß es doch nichts Wahres ist. Nichts. Komm, bescheid Dich und ruh' aus.
Ich hab' ihm keine Antwort geben können. Es war alles so einfach und rechtlich und echt. Ich hab' ihm ohne Wort gewinkt: gehn soll er – gehn.
In der Nacht darauf hab' ich ihm mein Nein geschrieben. Er wird nicht verzweifeln. Er hat seine Natur. Ich habe nichts.
Juni.
Der König ist da und der Hof. Ich sehe die altgewohnten Gesichter, die glatten, arroganten Gesichter der Erfolgreichen. Gestern ist der Prinz Norbert mit seiner Frau vorbeigefahren. Er hat mich verlegen gegrüßt, sie nicht.
Ich sehe noch viel mehr Priester am Hof als wie früher.
Die Kinder haben geistliche Erzieher. Die Abgeschlossenheit ist strenger geworden.
Die Mutter ist bös auf mich und ich bin so müd'! So müd'! Aber ich geh' herum mit gleichgültigen Mienen. Auch ich hab' meinen Stolz.
Ich leb' wie sonst. Wenn eines vom Hof in der Dämmerung zu mir schlüpfen will, auf einen Klatsch, und das probieren einige, bin ich ganz unzugänglich. Denn so hab' ich's immer gehalten, das Höchste oder nichts!
So erfahr' ich auch wenig von dem, was vorgeht. Täglich um Drei fährt der König vorbei an meinem Haus, neben sich einen der glatten Maschinenmenschen. Gleichgültig geht sein Blick hin über diese Mauern, die ihm nichts mehr sagen. Das ist so bei den Königen – ihre ganz besondere Art.
Aber doch – er ist alt geworden, alt und streng. All' seine tiefe Güte kann ja der zelotischeste Beichtvater nicht ertöten. Aber den König quälen kann er.
Es kommt mir vor, daß Seine Majestät sehr überwacht wird. Wen fürchten sie? Mich? O Gott!
»Reis' doch,« sagt die Mutter krantig, »Du kannst ja reisen. Strolch' umeinand'. Ruh' und Ordnung paßt Dir ja nicht.«
Ich reise nicht. Ich sitze hier wie gelähmt, Blei in den Gliedern, planlos, ziellos. Stumpfsinnig erschein' ich mir.
Juli.
Ein heißer Sommernachmittag im Walde. Ich bin, im Dickicht versteckt hinter hängenden Zweigen, viele Stunden gesessen, viele Stunden.
Da hab' ich den König vorübergehn gesehn, er ist allein gewesen, im Jägeranzug. Ein Glatter wird ja wohl in der Näh' aufgepaßt haben, aber unsichtbar.
Warm haben die Tannen gerochen, die Nadeln geknistert. Es hat gerochen nach Sommer im Wald. Der König schritt wie aufgelöst, in müdem Genießen. Ganz nah', vor mir, bei dem kleinen Felsenquell ist er stehn geblieben. Da ist ein Marienbild angebracht zum Gedächtnis eines Unglücks. Der Herr nahm den Hut ab, er las den Spruch im Stein. Ich sah auf seinen lieben, stillen Zügen die tiefen Falten, die so viel erzählen. Es zitterte mein Herz vor Weh.
O wüßte er! Aber er ist vorübergangen. Gesehn hab' ich ihn doch.
Spät bin ich heimgekommen.
August.
Politische Stürme brausen um den müden König, Hader und Haß. Wer gibt ihm liebevollen Frieden? Wer macht ihn lächeln?
Alle haben keine Zeit, außer für Formen, weil alle nur für sich leben. Ich lebte für ihn. Jetzt bet' ich für ihn.
Ich blätt're in meinem Tagebuch. Es ist mir ein Trost geworden. Der Prinz hat Recht gehabt. Ich les' es durch.
Frivol und seicht ist sein Anfang gewesen, ein buntes Bilderbuch. Jetzt sind die Farben darin alle erloschen. Weiße Blätter seh' ich, mit Tränen darauf.
Wüßt' ich nur eins! Wie soll ich den Rest meines Lebens leben? Wie? und für wen? Für wen?
September.
Sie sagen, daß der König krank sei. Mein Herz steht still.
Seine Abreise wird verschoben. Ärzte kommen. Die Prinzen kommen geeilt. Der Ort ist voll Leben.
Krank – der König. Unser – mein – mein König.
Montag.
Es wird nicht viel sein. Er hat sich verkühlt im Wald.
Mittwoch.
Es ist nicht ernst. Nur langwierig.
Freitag.
Er will sich nicht fügen, nichts nehmen, nicht folgen.
Ich kenn' ihn. So ist er immer.
Samstag.
Es ist doch ernst. Und er geht noch in den Garten ohne Mantel. Es ist niemand um ihn, der ihn sanft zu zwingen weiß. Jetzt muß er liegen! Er, der das haßt, über Alles!
Montag.
Die Ärzte sind sehr besorgt.
Die Umgebung ist machtlos. Der König will niemanden. Alle machen ihn ungeduldig, wütend!
Es herrscht Verzweiflung.
Dienstag.
Eine Gewitternacht. Sterne und Donner dazwischen. Die Mutter ist schlafen gegangen. Ich sitze allein auf der Bank und starre hinüber auf das Schloß. Mein Herz verbrennt dort, wie die Lichter.
Ließen sie mich zu ihm! Nur jetzt, nur heut'! Ich wüßt' ihn zu allem zu bringen. Ihn zu nehmen, zu pflegen, froh zu machen. Sonst kann ich nichts. Aber das kann ich, das. Ich bin wie ein Teil von diesem einen Menschen. Für andere nichts, für ihn alles. Ich fühl' in mir die Kraft, ihn dem Tod zu entreißen, ließen sie mich zu ihm. Ich würde ja dann wieder gehen, gleich gehen. Gewiß! Mein Stolz ist fort. Morgen schleich' ich mich an das Schloß heran, wie eine Bettlerin, würdelos, und flehe. Flehe den Geistlichen an.
Ich mag die Sünde gewesen sein, ja, aber laßt mich zu ihm. Jetzt bin ich das Heil.
Wie laut von ferne die Gebirgswasser rauschen. Was pocht denn? Es ist mein Herz. Nur mein Herz.
Sie alle haben ja keine Ahnung, was er wirklich braucht. Sie schonen ihn nur und täuschen ihn und geben ihm ihre Oberfläche. Er braucht Quellen aus der Tiefe, die die Liebe bringt. Ich seh' ihn bloß an und weiß schon. Ich red' das richtige Wort. Er fügt sich.
Ich bin das Kind aus seinem Volk, das ihn lebend will. Von mir zu ihm strömt seines Volkes gesundmachende Liebe.
Ein Mann geht vorbei. Der Förster vom Borkenhof. Er sieht mich an, kopfschüttelnd, mitleidig.
Endlose – endlose Nacht!
5 Uhr früh.
Hab' ich geschlafen? Ja! Auf der Bank vor dem Haus? Wer schüttelt mich im Dämmern des Tages? Was sind das für Pferde? Ein Wagen? Vor mir steht eine Frau, hinter ihr ein Mann mit glattem Gesicht. Und Lakaien, den Hut in der Hand.
Was ist das? Des Königs Schwester?
Aus meiner Kehle gurgelt ein Laut: »Ist der König tot?«
»Nein, aber er braucht Sie. Sie sollen zu ihm kommen. Er will Sie, Ihre Pflege, Ihre Lieder, Ihr Wesen. Es ist ihm gewohnt, unentbehrlich, wir sehn es ein. Kommen Sie, es ist höchste Zeit.«
Ich stammle: »Es ist höchste Zeit. Aber zwischen ihm und mir der Priester. Wird er –?«
»Er fügt sich. Und er wird beten. Ein Königsleben mißt man mit anderem Maß.«
Nichts mehr in dieses Buch. Ich lebe wieder. Ich – lebe wieder, mein Herr, für Dich. Harmlose Fröhlichkeit und treue Sorge, mehr hab' ich nicht zu geben, nimm sie hin. Und lass' die Menschen ihre Rede reden. Wir wissen, was wir fühlen, wer wir sind.
Weimar. – G. Uschmann.