Saadi
Verse aus dem Gulistan
Saadi

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IX
Von dem guten Betragen im Umgange

1

        Der Baum des Wohltuns, wo er Wurzel je gefaßt,
Dem Himmel breitet er die Zweig entgegen:
Hoffst du zu essen seine Frucht, darfst du nicht an
Den Stamm die Säge des Dankanspruchs legen.

2

        Gott zolle Dank dafür daß er zu Gutem dich geleitet,
Von seiner Gnaden Überschwang du bliebest nicht entblößt.
O rechne nicht dem Sultan an die Dienste die du leistest,
Rechn' ihm die Huld an daß er nicht dich aus dem Dienst verstößt.

3

        Wer Weisheit, Zucht und Frömmigkeit der Welt
Zum Kauf ausstellt,
Ist wie wer Garben aufhäuft in der Scheuer
Und drein wirft Feuer.

4

        Fürst, einen guten Rat geb ich nach Kräften,
Du findest keinen bessern so geschwind:
Nur weise Männer brauche zu Geschäften,
Wiewohl Geschäfte nicht für Weise sind.

5

        Machst du mit einem schlechten dich gemein,
Gleich will er deines gleichen sein. 84

6

        Gib nicht dein Herz dem Liebchen aller Welt,
Gibst du's, so sei dein Herz auf Trennung auch gestellt.

7

        Lösche weil zu löschen ist der Brand,
Wenn er wächst, wird er die Welt anbrennen.
Kannst du mit dem Pfeil ihn treffen, laß
Nicht den Gegner spannen erst die Sennen.

8

        Hartes Wort gib dem nicht, der mit lindem focht;
Beut' nicht Kampf dem der ans Tor des Friedens pocht.

9

        Vorm schwachen Feinde sollst du nicht auf deinen Schnauzbart pochen
In jedem Wamse steckt ein Mann und Mark in jedem Knochen.

10

        Tu nicht, was du »Tu's« den Feind hörst sagen,
Mit der Hand der Reue wird dichs schlagen.
Zeigt er dir rechts einen Weg pfeilgrade,
Dreh dich und geh linker Hand die Pfade.

11

        Lerne Hartes mit dem Linden
Zu verbinden
Wie der Bader
Verbindet, wem er schlug die Ader.Vgl. Rückert »Saadi's Bostan« (1882) S. 17 85

12

        Der Hirte sprach zu seinem alten Vater:
Gib einen Rat verständiger Berater!
Er sprach: sei still und friedlich bei der Herde,
Doch so nicht, daß des Wolfes Zahn frech werde.

13

        Nicht geziemt es erdgebornem Menschenkind,
In den Kopf zu nehmen Hochmut Sturm und Wind.
Du mit solcher Hitz und ungestümem Mut
Scheinst mir nicht von Erde sondern Feuerglut.

14

        Wenn der Mißmutige sich vom Ungemach zum Himmel rettet,
Durch seinen Mißmut bleibt er an das Ungemach gekettet.

15

        Bring, Nachtigall, nur Frühlingskunde,
Laß Unglücksbotschaft dem Eulenmunde.

16

        O höre doch nicht auf das Lob des Redners
Der einen kleinen Vorteil sucht im Kauf;
Wenn du einmal nicht seinen Wunsch erfüllest
Zählt er dir hundertmal mehr Fehler auf.

17
Der Dichter zu sich selbst.

        Laß über deine Kunst dich nicht betrügen
Durch Torenbeifall und durch dein Vergnügen! 86

18

        Ein Jud und Moslem hatten eine Fehde,
Und lachen mußt ich über ihre Rede.
Der Moslem eifert: ist in meiner Bude
Ein Trug, so laß mich sterben, Gott als Jude!
Der Jude sprach: Der Thora schwör ich's zu,
Brech' ich's, so sei ich ein Moslem wie du!
Wenn von der Welt ganz die Vernunft verschwände,
Gewiß ein jeder bei sich selbst sie fände.

19

        Mein Vater, als sein Leben wollt' entrinnen,
Gab mir die eine Lehr und ging von hinnen:
Ein Feuer ist die Fleischeslust, hab Acht
Und gib dem Höllenfeuer keine Macht.
Aushalten kannst du nicht von dem die Gluten,
Lösch heute dies mit der Entsagung Fluten.

20

        Wer sein Gebet nicht hält gewissenhaft,
Dem borge nichts, ob ihm der Mund vor Mangel klafft,
Denn wen nicht kümmert Gottes Schuldigkeit
Dem ist auch deine Schuld nicht leid.

21

        Morgenländischer Ton zu sinischem Gefäß
Wird durch Arbeit ganzer vierzig Jahre,Eine mystische Vorstellung von der Trefflichkeit des sinesischen Porzellans, dessen Feinheit und hoher Wert durch die 40 Jahre erklärt wird.
Hundert macht man in Bagdad an einem Tag
Darum suchst du auch den Preis der Ware.

22

        Glickelein dem Ei entschlüpfend sucht sogleich sein Futter,
Ratlos und ohn Urteil ist ein Kind im Schoß der Mutter.
Jenes, plötzlich was geworden, wird zu nichts es bringen,
Dies in Würd und Hoheit wird sich über alles schwingen. 87

23

        Mit meinen Augen sah ich in der Wüste
Wie Eile gegen Langsamkeit einbüßte:
Das rasche Roß erlag vom Trott dem Reiter,
Langsam trieb sein Kamel der Treiber weiter.

24

        Wenn du nicht ganze Tugend hast, ists besser,
Du hältst die Zung in deines Munds Verschluß;
Die Zungenfertigkeit verrät den Toren,
Die Leichtigkeit verrät die hohle Nuß.

25

        Ein Narr Unterricht einem Esel gab,
Zeitlebens müht' er damit sich ab.
Ein Weiser sprach: wie bist du erpicht
Auf die Torheit, und fürchtest die Schelte nicht!
Reden lernt nicht das Tier von dir,
Lerne du schweigen von dem Tier!

26

        Wo ein Besserer als du bist spricht,
Weißt du's auch besser, widersprich ihm nicht.

27

        Den Bösen ist nichts Gutes abzusehen,
Des Wolfes Sach ists nicht den Pelz zu nähen.

28

        Manch schöner Wuchs hüllt sich in Schleier ein,
Ziehst du sie weg, ists ein Großmütterlein. 88

29

        In einem Tag erkennst du leicht
Welchen Grad des Wissens ein Mann hat erreicht.
Doch trau darum nicht auf seinen Sinn:
Das Böse birgt sich Jahrlang darin.

30

        Siehst du dich selber an für groß und wichtig?
Wer eins für zwei ansieht, ist doppelsichtig.
Bald wirst du sehn an deiner Stirn die Schramme
Wenn du dich stützen willst mit einem Ramme.

31

        Du ließest guten Rat nicht gelten;
Nun mußt du schweigen wenn wir schelten.

32

        Neides Ohnmacht wird natürlich hinterm Rücken summen
Wenn vorm Angesicht die laute Zunge muß verstummen.

33

        Der Bauch lähmt die Hand und fesselt den Fuß,
Der Diener des Bauches dient Gott mit Verdruß.

34

        Zwei schlaflose Nächte hat des Bauchs Gefangner sich gemacht.
Eine Nacht durch schweren Wanst, durch Nahrungssorgen eine Nacht. 89

35

        Der Schlange Kopf auf einem Stein
Und dir ein Stein zur Hand.
Schlägst du nicht gleich den Kopf ihr ein,
So hast du keinen Verstand.

36

        Aus Mitleid den Tiger nicht bestrafen
Heißt einen Frevel begehn an den Schafen.

37

        Ein Leichtes ist's einem nehmen das Leben,
Dem Toten kann man's nicht wieder geben;
Bedenke ein Schütze sich wohl darum,
Der Pfeil vom Bogen kehrt nicht um.

38

        Was Wunder, wenn verstummt in Trauer
Die Nachtigall, die mit dem Raben teilt den Bauer!

39

        Wenn ein Edler von Gemeinen Kränkung litt,
Nicht bekümmern soll er sich sein Herz damit.
Wenn ein schlechter Stein ein Goldgefäß zerbricht
Mehrt sich Steines, mindert Goldes Wert sich nicht.

40

        Wenn sich der laute Schreier spreizen darf
Daß er mit Frechheit einen Weisen warf,
O weißt du nicht? arabscher Pilgersang
Verstummt vor der Soldatentrommel Klang. 90

41

        Ein Weiser ist in Unverständger Mitten
(Ein Gleichnis dessen Wahrheit unbestritten)
Ein schöner Schenke bei der Blinden Schmause,
Ein Koran in der Gottesleugner Hause.

42

        Da Kanan Adel ohne Tugend hatte
Prophetensohnschaft ihm zu gut nicht kam.
Zeig Tugend und hab Adel oder keinen;
Die Rose stammt vom Dorn, von Aser Abraham.

43

        Durch so viele Jahre wird ein Stein zu dem Rubin;
Gib Acht! nicht mit dem Stein zerschlag auf einmal ihn.

44

        Schließ nur das Tor der Lust dem Haus
Wo Weibes Stimme schallet laut heraus.

45

        Erst sei Vernunft und Urteil, dann Güter dir verliehn;
Denn eines Toren Güter sind Waffen gegen ihn.

46

        Kleines zu kleinem wird groß anlaufen,
Korn und Korn ist im Speicher ein Haufen.

47

        Mehr mag ein unverständiger sittenloser
Als ein zuchtloser Weiser taugen:
Den Weg verlor aus Blindheit jener, dieser
Fiel in den Brunn' mit sehnden Augen. 91

90

        Wenn du siehst daß einem im Drecke
Der Esel samt der Ladung stecke,
So bedaur' ihn in deinem Sinn
Aber geh nicht näher hin.
Gehst du hin und willst ihn fragen
Wie der Fall sich zugetragen,
So zeige dann als Mann dich ganz,
Zieh den Esel heraus beim Schwanz.

49

        Das Schicksal wird nicht anders, ob mit tausendfachem Flehn
Danksagen oder Klagen mag aus einem Munde gehn.
Der Engel dem die Winde sind gegeben in Verschluß
Was achtet er's ob ausgehn einer Witwe Lichtlein muß?

50

        Alexander drang mit aller Mühe des Bestrebens
In die Dunkelheit, und trank dann nicht den Quell des Lebens,

51

        Der arme Gierge rennt durch eine Welt voll Not,
Hinter der Nahrung er, und hinter ihm der Tod.

52

        Wer Glück genießt und Ansehn und damit
Kein liebevolles Herz verbinden mag,
Verkünde dem daß Ansehn er und Glück
In einer andern Welt nicht finden mag! 92

53
Der Neidhart

        Ich sah ein Männlein mit verdorrtem Hirn
Am Felle zausen einen Hochgestellten.
Mann, sprach ich, wenn du selbst unglücklich bist
Was sollen es die Glücklichen entgelten?

54

        Kein Unglück wünsche du dem Neider,
Du siehst von selbst es den Unselgen zwacken,
Was brauchest du ihn anzufeinden,
Da ihm ein solcher Feind schon sitzt im Nacken?

55

        Ein humaner Profos ist besser
Als ein brutaler Professor.

56

        Sagt jener Wespe doch, der frechen:
Da du nicht Honig gibst, solltest du auch nicht stechen.

57
Der Scheinheilige.

        O der du machest schwarz vor Gott dein Buch,
Vor Menschen weiß dein Kleid mit heilgem Schein,
Die Hand verkürze die nach Weltgut langt,
Dann mag kurz oder lang der Ärmel sein. 93

58

        Wenn du Hoffnung auf Genesung denkst zu fassen,
Mußt du an den Puls den Arzt dir fühlen lassen.
Frage nur was du nicht weißt! des Frages Schand'
Führt dich zu des Wissens Ehr' an ihrer Hand.

59

        Als Lokman sah daß unter Davids Händen
Das Eisen zu erweichen sich begonnte,
Fragt er ihn nicht: wie machst du's? da er merkte
Daß ohne Fragen er es lernen konnte.

60

        Sei Staub zu Füßen des, der freundlich dir sich zeigt
Und wirf in Staub wer dir sich widrig will beweisen.
Nicht wend' ein gutes Wort an den der ungeneigt,
Denn linde Feile macht nicht rein rostfräßges Eisen.

61

        Solang du's nicht für lauter Fug erkennest,
Sollst du den Mund erschließen nicht dem Worte.
Wann wahr du sprichst und bleibst in Haft, ist's besser
Als wenn dir Lug auftut des Kerkers Pforte.

62

        Wer der Wahrhaftigkeit Gewohnheit hat,
Tut er was Falsches, übergehs mit Fug;
Wer aber dir als Lügner ist bekannt
Wenn er die Wahrheit sagt, sag: es ist Lug.

63

        Ein Hund vergißt dir niemals einen Brocken,
Und wirfst du hundertmal nach ihm den Stein:
Tu lebenslang nur Gutes einem Schlechten,
Beim kleinsten Anlaß wird dein Feind er sein. 94

64

        Willst du haben Ochsenmast,
Mußt du tragen Eselslast.

65

        Geneigt im Wohlstand dich zu überheben,
Im Mangel dich in Kleinmut zu versenken,
In Lust und Leid so mit dir selbst beschäftigt,
Wann hast du Zeit von Dir an Gott zu denken?

66

        Wenn Er am jüngsten Tage streng anredet,
Wie können Heilge bergen ihre Schuld?
O mög er das Gesicht der Gnad entschleiren
Und die Verdammten dürfen hoffen Huld.

67

        Gott behüte, könnten Menschen ins Verborgne sehn,
Keiner könnte vor dem andern ruhig stehn und gehn.

68

        Der Knicker genießt nicht und hält in Verschluß
Sagt: Hoffnung ist besser als Genuß.
Einst siehst du dem Wunsche des Feindes geblieben
Sein Gold und ihn vom Tod vertrieben.

69

        Gar viel schöner als die Rennbahn ist der Waidestand,
Doch das Rösslein hat die Zügel nicht in seiner Hand. 95

70

        FeridunFeridun = altpersischer König, bekannt aus dem Schahname und sprichwörtlich wegen seiner Weisheit und Güte. Er befreite Persien vom Joche des grausamen assyrischen Tyrannen Dhohhat.
    Sururi, »Aus dem Schahnameh«:
        »Feridun war kein Engelsbild von oben,
        Aus Moschus und aus Ambra nicht gewoben;
        Nur edel und gerecht war all sein Tun:
        Sei edel und du bist ein Feridun.«
ließ chinesische Tapezierer
Um seinen Thronsaal her die Goldschrift weben:
Verständiger o halte gut die schlechten,
Die guten werden gut von selber leben.

71

        Der jedem zuteilt von Nahrung sein Stück
Gibt einem entweder Verdienst oder Glück.

72

        Wenn ein Richter sich nur mit fünf Gurken läßt bestechen,
Zehn Melonenbeete wird er dir dafür zusprechen.Melonen und Gurken im Werte wie bei uns.

73

        Wenn die Klaus' ein Jüngling hütet, mags ihm Gott anschreiben
Zum Verdienst; ein Greis wird selbst schon in der Klause bleiben.

74

        Setze nicht auf's Fliessende dein Herz! zu fließen hat
Lang nach des Kalifen Tode Tigris durch Bagdad.

75

        Wenn es dir ist gegeben, freigebig wie Perlen sei,
Und ist dir's nicht gegeben, sei wie Zipressen frei.

76

        Die alten Lappen neu gesetzt in Stand
Sind besser dir als ein geborgt Gewand.

 


 


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