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3.

E ine seltsame Veränderung war in den letzten vier Wochen mit dem kleinen Kuno vor sich gegangen. Das sanfte Kind hatte sich ganz und gar verwandelt, wurde trotzig, scheu und hatte manches mal geradezu Anfälle von Tobsucht.

Soeben war Botho durch einen Diener ins Zimmer Kunos gerufen worden.

Der Knabe wälzte sich auf dem Teppich herum und schlug mit Händen und Füßen um sich.

Als Botho das Zimmer betrat, war Maria bei dem Kinde und wollte es offenbar beruhigen.

»Um Gottes willen, was geht hier vor?« rief der Baron aus.

»Du siehst ja, Dein Kind hat wieder einen Anfall bekommen,« antwortete Maria, »ich fürchte das Schlimmste, und ich möchte Dich eigentlich bitten, einen andern Arzt zu Rate zu ziehen.«

»Kuno, hörst Du mich, erkennst Du mich?« sagte der Baron liebreich zu dem Knaben, und als dieser die Stimme des Vaters hörte, schien er in der Tat etwas ruhiger zu werden.

Botho setzte sich neben den Knaben nieder und fuhr fort, mit sanfter Stimme auf ihn einzureden:

»Sage mir doch, Kuno, hast Du Schmerzen? Nicht wahr, im Kopfe? Aber man wird Dir helfen, liebes Kind. Maria, gib ihm doch Eiskompressen auf die Stirne. – Im übrigen will ich selbst gleich nach dem Dorfe reiten, um Professor Leuthold zu telegraphieren. Er möge kommen, koste es, was es wolle.«

»Eile nur,« sagte Maria, »ich fürchte für das Leben des Kindes.«

»Lebe wohl, mein Junge,« stieß Botho hervor. »Sei gut gegen Deine Mama! Doch, was macht denn Hans?«

»Hans ist gesund und kräftig,« antwortete die Rumänin, »er ist nur traurig, weil er sein Brüderchen entbehren muß.«

Das kam alles so sanft von den Lippen Marias und ihre Augen blickten so seelenvoll und so schmerzlich, daß sich Botho sagte:

»Alles, was Erna mir berichtet, ist nicht wahr. Der Haß gegen ihre Nachfolgerin hat die Unglückliche verblendet.«

 

Fünf Minuten später saß Baron Tresko im Sattel und stürmte dem Dorfe zu.

Nachdem er das Telegramm an Professor Leuthold besorgt hatte, kehrte er ganz gegen seine sonstige Gewohnheit in der Dorfherberge ein.

Das Pferd, das einen ungewöhnlich schnellen Ritt zurückgelegt hatte, brauchte unbedingt etwas Ruhe.

»Geben Sie mir schnell eine Flasche Wein,« sagte er dem Wirt, nachdem er das Gastzimmer betreten hatte. Der Wirt verbeugte sich ehrerbietig vor dem Baron und brachte das Gewünschte herbei.

Es dauerte nicht lange und ein weiterer Gast betrat das ziemlich leere Wirtszimmer.

Es war die elende, heruntergekommene Gestalt eines noch ziemlich jungen Mannes.

Ein mehr als armseliger Anzug bedeckte seinen Körper, das Gesicht war von einem neuentstehenden Bart umrahmt. Er blickte aus tief liegenden Augen hungrig und scheu.

»Wer ist denn der?« fragte der Baron den Wirt. »Das ist doch keiner aus dem Dorfe?«

»Ich kenne ihn nicht,« antwortete der Gastwirt. »Gott mag wissen, wo der her kommt und wohin er will. Aber ich werde ihn gleich mal fragen.«

Er trat zu dem Manne, der inzwischen an einem Tische Platz genommen hatte und fragte ihn, womit er dienen könne.

Der Gefragte forderte ein kleines Glas Bier und ein wenig Käse.

Dann zog er aus seinem Bündel ein Stück Brot hervor.

»Kommt wohl von weit her?« fragte der Wirt.

»Nicht gar so weit,« antwortete der Junge Mann

»Und wohin soll die Reise gehen?«

»Weiß nicht,« lautete die Antwort. »Aber ich möchte nun an Euch eine Frage richten, Herr Wirt.«

»Ei, fragt immerzu, wenn ich antworten kann, soll's gerne geschehen.«

»Sagt mal,« fuhr der Fremde fort, »wißt Ihr nicht, wo die erste Frau des Baron Tresko hingekommen ist, ich meine die Geschiedene?«

Der Baron lauschte angestrengt hinüber. Von Erna war also die Rede?

»Ja, lieber Herr,« antwortete der Gastwirt schlagfertig, »da kann ich Euch keine Auskunft geben. Aber der Herr dort drüben ist der Inspektor des Barons, der wird Euch vielleicht dienen können. Fragt ihn nur, er ist ein guter Mann und wird Euch gern Bescheid geben.«

»Es ist hier von der geschiedenen Frau meines Herrn Barons die Rede,« rief Tresko aus und erhob sich, um zu dem Fremden hinüberzuschreiten.

Der erhob sich gleichfalls und begrüßte den angeblichen Inspektor mit einer tiefen Verbeugung

»Nichts für ungut, Herr,« sagte er, »aber ich möchte gerne wissen, was mit dieser Dame geschehen ist. Von dem Baron ist sie wohl fort, und sie weilt wahrscheinlich überhaupt nicht mehr im Lande?«

»Da könntet Ihr recht haben,« antwortete Tresko, »ich habe gehört, daß sie in England leben soll.«

»Und der Herr Baron ist wieder verheiratet?«

»Jawohl, der Herr Baron ist wieder verheiratet,« antwortete Tresko. »Was blieb ihm denn anderes übrig? Er mußte wohl für sein Kind eine Mutter suchen.«

»Versteht sich, eine Mutter. – Haha, das Kind hat doch eine gute Mutter gehabt. Weshalb hat man es ihr denn entrissen?«

»Das Gericht hat es so gewollt,« versetzte der Baron, »der Mutter, die sich unwürdig aufgeführt, konnte das Kind nicht anvertraut werden«

»Unwürdig aufgeführt?« stieß der Fremde hervor. »Das ist nicht wahr, das ist erlogen, und wenn schon der Richter ein so falsches Urteil gefällt, so werden diejenigen, die daran geholfen haben, dereinst von Gott im Himmel bestraft werden.«

Tresko starrte den Sprechenden an.

Eine Ahnung, daß hier plötzlich ein Zeuge für Ernas Unschuld erstanden sei, leuchtete für einen Augenblick in ihm auf.

Er vermochte kein Wort hervorzustoßen.

»Ja, lieber Freund,« sagte er endlich nach einer langen Pause, »wenn Ihr darüber mehr wißt, dann solltet Ihr es frei heraussagen, aber nicht vor mir, der ich ja mit der Sache nichts zu tun habe. Aber dem Richter in Brandenburg solltet Ihr Euch anvertrauen oder vielleicht dem Advokaten, der damals die Frau des Barons verteidigt hat. Ich kann Euch seinen Namen nennen. Es ist Doktor Sänger, und jedes Kind in Brandenburg wird Euch sagen, wo er wohnt.«

»Was würde es nützen,« murmelte der andere vor sich hin. »Mir würde man ja doch nichts glauben, mir nicht.«

»Weshalb denn nicht«-I«

»Weil – weil ich – ja, entschuldigt, Herr, da bringt mir ja der Wirt den Käse. Habe ein paar Tage nichts gegessen und nun einen Wolfshunger. Aber wenn Ihr gestattet, nehme ich an Eurem Tische Platz. Wenn ich gegessen habe, können wir ja unsere Unterhaltung fortführen.«

»Herr Wirt, bringen Sie dem Manne etwas Besseres zu essen und eine Flasche Wein, auf meine Rechnung natürlich.«

»Nein, tun Sie es nicht, Herr Wirt,« rief der Fremde aus. »Ich kann von keinem Menschen etwas annehmen. Man muß doch wissen, wen man bewirtet. Und Sie wissen es nicht, Herr Inspektor.«

»Nun, dann können Sie es mir ja sagen. Aber – was ist Ihnen denn geschehen, daß Sie gar so an sich selbst verzweifeln?«

Der Zerlumpte schüttelte den Kopf.

»Weshalb soll ich sprechen?« sagte er. »Es lohnt sich ja nicht. Aber schade, – mit Frau Erna wäre ich gerne zusammengekommen. Es wäre gut für sie gewesen. Ja, nach England kann ich nicht hinüber. Das ist zu weit für mich, meine Taschen sind leer.«

Der Wirt trug trotz des Protestes des Fremden die vom Baron bestellten Speisen herbei, und schließlich griff der Fremde tapfer zu und stellte sich dabei wirklich an wie einer, der ein paar Tage gefastet hat. Er verschlang mit Heißhunger alles, was auf dem Tische stand und trank die Flasche Wein leer.

Aber herauszubekommen war nichts mehr aus ihm.

Wie sehr Tresko sich auch Mühe gab, ihn zum Sprechen zu bewegen, er schüttelte immer wieder den Kopf und antwortete:

»Es ist ja alles zu spät, – der Baron ist wieder verheiratet und – ungeschehen läßt sich nicht mehr machen, was einmal geschehen ist. Haben Sie Dank, Herr Inspektor, für die gute Bewirtung, – ich muß weiter. Aber Ihrem Herrn Baron können Sie sagen, daß er ein großes Verbrechen begangen hat. Na, er hat es wohl nicht mit Absicht getan, er wollte nur seine Ehre schützen, aber da gibt es andere Leute, welche Frau Erna absichtlich ins Unglück gestürzt haben. Mit denen wird man noch reden müssen.«

Bevor Tresko noch eine weitere Frage stellen konnte, ergriff der Fremde die Türklinke, blieb noch einmal stehen und rief dem vermeintlichen Inspektor zu:

»Schönen Dank für alles, was Sie mir getan haben. Sie hätten es nicht getan, wenn Sie wüßten, woher ich komme.«

Da war der seltsame Mensch schon fort.

Tresko, der rasch sein Glas leerte, konnte nicht umhin, zu glauben, daß gerade der heutige Tag einen Wendepunkt in seinem Leben bringen müsse. Bald darauf ließ er sich sein Pferd vorführen, schwang sich in den Sattel und ritt langsam nach dem Schloß zurück.

 

Schlimme Nachrichten erwarteten Botho, als er das Schloß betrat.

Maria kam ihm mit verstörtem Gesicht entgegen und teilte ihm mit, daß Kuno im heftigsten Fieber läge, phantasiere und kaum auf seinem Lager zu halten sei.

Botho war bereit, diese Nacht am Bett Kunos zu wachen, aber Maria gab das nicht zu.

»Dir ist Schlaf notwendig,« sagte sie. »Ich werde die Wache übernehmen. Du kannst Dich auf mich verlassen, Botho!«

Der Baron ließ sich überreden und ging zu Bett. Mitten in der Nacht aber wurde er geweckt und man teilte ihm mit, daß der Zustand Kunos sich verschlechtert hatte und man das Schlimmste befürchten müßte.

 

Am kommenden Tage verschlechterte sich der Zustand des armen Knaben noch um einen Grad, Doktor Aventin kam, schüttelte den Kopf und zuckte die Achseln.

»Meningitis,« sagte er, »Gehirnhautentzündung, da gibt es kein Mittel, keine Rettung mehr.«

»Barmherziger Himmel,« stieß Botho hervor, »verlangen Sie, was Sie wollen, Doktor, aber retten Sie mein Kind.«

»Sie können sich denken, daß ich tue, was in meiner Macht liegt,« antwortete der Doktor, »aber unser Wissen hat eben auch seine Grenzen. Bei Kindern endet die Gehirnhautentzündung immer mit dem Tode, und die Eltern dürfen Gott nicht bitten, daß er das Kind leben läßt«

»Ja, weshalb denn nicht?« stieß Baron Tresko hervor.

»Weil das Kind blödsinnig bleiben würde,« antwortete der Doktor. – »Ich finde aber, verehrte Frau Baronin, daß auch Sie sehr angegriffen sind. Sie sollten sich Ruhe gönnen.«

»Das meinte ja auch ich,« sagte Botho, »aber meine Frau will nicht von dem Lager Kunos weichen. Ich habe übrigens Professor Leuthold aus der Residenz berufen. Kommt er nicht heute, so wird er morgen früh bestimmt hier sein.«

»Morgen ist es vielleicht schon zu spät,« versetzte Aventin.

Dann traf er noch einige Anordnungen, bestieg seinen Wagen und fuhr vom Schlosse, zu anderen Patienten, wie er sagte, fort.

 

Am Abend aber fuhr ein anderer Wagen in den Hof des Schlosses ein.

Der sehnsüchtig erwartete Professor Leuthold, der berühmte Spezialist war es, ein Mann von hohen Jahren mit weißem Haar und Bart.

Aber sein Gesicht war rosig und frisch, seine Gestalt erweckte den Eindruck ungebrochener Kraft.

Botho empfing ihn mit der größten Liebenswürdigkeit und teilte ihm die Diagnose Doktor Aventins mit.

Professor Leuthold antwortete:

»Da möchte ich denn doch den Herrn Kollegen hier haben. Vielleicht senden Sie Ihren eigenen Wagen, Herr Baron, der ihn gleich mit zurückbringt.«

Dann begab sich der Professor ans Lager des kleinen Patienten und nahm eine genaue Untersuchung vor.

»Meningitis hat der Herr Kollege festgestellt?« sagte er. »Soso – na, wir werden ja sehen.«

Doktor Aventin kam.

Eine halbe Stunde blieben die beiden Ärzte allein am Krankenbett. Dann wurden Baron Botho und Frau Maria herbeigerufen.

»Ja, ich muß allerdings die Diagnose Doktor Aventins bestätigen,« sagte oder Professor. »Es handelt sich hier in der Tat um Gehirnhautentzündung, welche leider letal ausgehen dürfte. Es schmerzt mich natürlich, Ihnen dieses mitzuteilen, aber es ist doch besser, wenn Sie die volle Wahrheit erfahren. Geben Sie sich also keinen trügerischen Hoffnungen hin, das Kind ist verloren.«

Der kleine Kuno lag ganz apathisch da.

Sein Gesicht war verfallen, seine Züge zeigten einen Ausdruck, der den nahen Tod verkündet.

Sein Atem ging nur noch oberflächlich, seine Lippen glühten und seine Augen waren fast immer geschlossen.

Botho konnte seine Tränen nicht zurückhalten, Maria aber legte den Arm um den Hals ihres Gatten und sagte:

»Gib Dich doch Deinem Schmerze nicht allzusehr hin, lieber Botho. Er ist ganz gewiß gerecht, aber denke, daß Du doch noch ein anderes Kind hast. Im übrigen, solange der Mensch lebt, ist noch immer Hoffnung vorhanden. Wir wollen zu Gott beten, daß er Kuno rettet, ihm zumindest einen sanften Tod bereitet.«

»Ich möchte noch den Schnellzug nach Berlin benützen,« sagte der Professor, indem er seine Uhr zog und einen Blick aufs Zifferblatt warf. »Wie weit ist es nach der Station?«

»Zwanzig Minuten,« antwortete der Baron.

»Ich danke, da können wir gleich abfahren,« erwiderte der Professor. »Unsern Herrn Kollegen können wir vielleicht vor seiner Wohnung im Dorfe abladen.«

Damit erklärte sich Doktor Aventin einverstanden und die drei Herren bestiegen bald darauf den Wagen.

Im Dorfe stieg Aventin ab.

Nun hatte man nur noch fünf Minuten bis zur Station.

Während der Wagen dahinrollte, wandte sich der Professor plötzlich an Botho:

»Lieber Herr Baron,« sagte er, »ich muß Ihnen gestehen, daß ich Sie belogen habe.«

»Wie, Sie hätten mich belogen, Herr Professor?« stieß der Baron erstaunt hervor.

»Ich war dazu gezwungen,« antwortete der Professor. »Denn wir müssen hier sehr vorsichtig vorgehen, und so lange Dr. Aventin zugegen war, hatte ich kein anderes Mittel, als Ihnen mitzuteilen, daß das Kind Gehirnhautentzündung habe. Aber damit habe ich die Unwahrheit gesprochen.«

»Aber was ist denn dem Kinde?« fragte der Baron höchst gespannt.

»Ihr Kind ist vergiftet worden,« antwortete der Professor mit fester, aber halblauter Stimme, damit auch der Kutscher ihn nicht hören konnte.

Botho aber sank in das Polster des Wagens zurück.

»Ja, um Gottes willen,« stieß er hervor, »welche Art Vergiftung ist es denn?«

Das Stationsgebäude war erreicht, die Herren stiegen ab und gingen, da noch reichlich Zeit war, am Perron auf und nieder.

»Ich sage Ihnen noch einmal,« wiederholte der Professor, »Ihr Kind ist vergiftet worden Aber leider vermochte ich nicht festzustellen, welches Gift man ihm eingegeben hat. Dagegen gestehe ich, daß ich meinem Kollegen Aventin nicht traue. Da ein Arzt sich in diesem Falle gar nicht irren kann und er doch eine falsche Diagnose gestellt hat, vermute ich sehr stark, daß der Doktor selbst die Hand mit im Spiele hat. Hat Doktor Aventin Grund, Sie zu hassen, Herr Baron?«

»Dazu hat er nicht den geringsten Grund.«

»So muß er im Auftrage einer anderen Person gehandelt haben.«

»Aber welche andere Person könnte es sein?«

»Das vermag ich allerdings nicht zu sagen. Es kursieren freilich über Sie, Herr Baron, allerlei Gerüchte, aber ich habe ihnen bisher nie Glauben geschenkt. Aber – sagen Sie einmal, Herr Baron, war das Kind bisher gesund?«

»Natürlich war das Kind bisher immer gesund. Immer war es stark und kräftig und besaß vor allen Dingen einen lebhaften Geist, es war auch sehr lenksam und leicht zu erziehen.«

»Hat es aber auch immer eine liebevolle Behandlung erfahren?«

»Meine Frau hat das Kind zuerst sehr sorgsam und gütig erzogen. Dann ist aber hierin eine kleine Veränderung eingetreten.«

»Und wann hat sich dieser Umschwung vollzogen?«

»Vor etwa vier Wochen, und von da ab ging es rapid bergab mit Kuno. Er gebärdete sich wie ein wildes Tier, schlug mit allen Vieren um sich, biß und kratzte, kurz, man konnte ihm nimmer nahen.«

»Gut, und nun sagen Sie, Herr Baron, hat Doktor Aventin immer hier im Lande gelebt?«

»Nein, er hielt sich lange Jahre in Indien auf, kehrte vor zehn Jahren von dort zurück, kaufte sich im Dorfe ein Haus und begann seine Praxis.«

»Also in Indien hat Dr. Aventin gelebt? Das wäre schon eine Erklärung, denn die Inder haben Gifte, über die wir europäischen Ärzte uns noch immer nicht klar sind.«

Der Baron zerrte an seinem blonden Bart.

»Wenn ich nur wüßte, mit wem dieser elende Schurke im Einverständnis sein könnte.«

»Ja, Herr Baron, das müssen Sie eben selbst herausbringen. Übrigens glaube ich nicht, daß der Knabe schon verloren ist. Er ist vielleicht noch zu retten, wenn die Vergiftung, die ihm offenbar allmählich, vielleicht allnächtlich gereicht wurde, plötzlich zum Stillstand gebracht werden könnte. So hätten wir immerhin noch Hoffnung, das Leben des Kindes zu retten.«

»Ach, tun Sie es, Herr Professor, ich werde Ihnen mein ganzes Leben lang dankbar sein.«

»Dazu werden Sie nicht mich brauchen, Herr Baron,« versetzte der Professor, »überhaupt keinen Arzt, dagegen einen tüchtigen Detektiv.«

»Ja, aber wo soll ich einen solchen hernehmen?«

»Ich kenne einen Detektiv, dessen Spezialfach Vergiftungen sind,« antwortete der Professor. »Den Mann werde ich Ihnen schicken. Sind Sie einverstanden, Herr Baron?«

»Von ganzem Herzen. Nur bewirken Sie, daß er so schnell wie möglich kommt.«

»Das werde ich, verlassen Sie sich darauf.«

»Was den Kostenpunkt anlangt,« sagte der Baron, »so spielt der natürlich keine Rolle, trachten Sie nur, daß der Mann wenn möglich noch heute auf meinem Schlosse eintrifft.«

»Wohl, aber sagen Sie, Herr Baron, unter welcher Maske soll denn der Detektiv erscheinen?«

»Ja, da ist allerdings guter Rat teuer.«

»Ich habe eine Idee,« sagte der Professor. »Der Detektiv kann sich bei Ihnen als Krankenschwester einführen.«

»Wird er das können?«

»Diese Leute können alles, was sie wollen. Der berühmte Detektiv Rubber hat schon ganz andere Dinge ausgeführt. Aber, Herr Baron, vertrauen Sie dieses Geheimnis niemandem an. Auch Ihrer Gattin nicht«

»Weshalb ihr nicht? Sie zittert ja ebenso wie ich um das Leben des Kindes.«

»Auch ihr nicht. Folgen Sie meinem Rate. Solche Dinge dürfen nur demjenigen bekannt sein, dem es um die Entlarvung des Verbrechers zu tun ist. Also abgemacht?«

»Abgemacht, Herr Professor.«

Da brauste der Zug in den Bahnhof ein, die Herren verabschiedeten sich, der Professor stieg ein und rief noch vom Abteilfenster dem Baron freundlich zu:

»Es ist also alles besprochen und wir verfahren nach dem verabredeten Plane.«

Dann setzte sich der Zug in Bewegung, und dem zurückbleibenden Botho war es, als ob ein guter Freund von ihm gegangen wäre.



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