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Vorbemerkung

(die zu lesen aber nicht nötig ist)

Die Denkwürdigkeiten des Kardinals von Retz gehören in einzelnen Teilen zu den erstaunlichen Selbstbekenntnissen, womit wenige außerordentliche Männer die Weltliteratur zu bereichern den Mut hatten, und worin dieselben zur Naturgeschichte des Menschen, insofern er ein moralisches Wesen ist, unersetzliche und unvergleichliche Dokumente geliefert haben, deren ewige Bedeutung längst erkannt ist.

Denn es haben diese kostbaren Hinterlassenschaften ein Spezifisches, das ihnen in einer gewissen Richtung eine Bedeutung gibt weit über alle andern literarischen Dokumente hinaus.

Mehr als alle philosophischen Systeme zusammen und mehr auch als alle noch so dokumentierten objektiven Darstellungen von Menschengeschichten und Weltgeschichten, sind diese Bekenntnisbücher und persönlichen Beichten ein Spiegel der menschlichen Natur, ein Geheimkabinett (das dennoch jedem offen steht) zu einem besonders intimen Studium des interessantesten Objekts unserer höheren Neugierde: des Menschen.

Darum neigen gewisse selbständige Beurteiler literarischer Werke, die zugleich leidenschaftliche Erforscher alles Menschlichen sind, immer mehr dahin, etwa das ganze Werk eines Heiligen Augustinus gern hinzugeben gegen seine »Konfessionen«, wie das des unheiligen Jean-Jaques gegen die seinigen, und ist vielen Verehrern des ehrwürdigen Montaigne dessen Werk vor allem um der darin enthaltenen (und off gar nicht ehrwürdigen) Selbstbekenntnisse so über allen Vergleich teuer.

Die drei genannten Namen, nebst einigen andern, stehen längst mit riesigen, für jedermann sichtbaren Lettern eingeschrieben im Buch der Weltliteratur.

Nicht so der Name des Kardinals von Retz. Und das trotz der Kraft und Originalität seines Stils, worin er Rousseau und Montaigne kaum nachsteht, von dem rhetorischen Augustinus nicht zu reden.

Und trotzdem er ganz andere Verbrechen (und Schwächen) zu beichten hat als keiner von jenen dreien.

Aber er ist der geringere Künstler. Und was seinem Buch am meisten schadet: es ist zu einem großen Teil rein politische Geschichte, nämlich eine Darstellung der Bürgerkriege (der sogenannten Fronde) in der Zeit der Minderjährigkeit des vierzehnten Ludwig. Da ist also der Kardinal in erster Linie Geschichtsschreiber Außer seinen Memoiren hat Retz, als erster, eine Darstellung von der gleichzeitigen Verschwörung des Fiesko geschrieben, die unsern Schiller zu dessen Drama angeregt hat, ja seine einzige Quelle war, soviel ich weiß., Erzähler eines Stücks Weltgeschichte, die er selber gemacht hat. Xenophon und Cäsar haben so Geschichte geschrieben. Für Leser mit tiefergehendem historischen Interesse ist Retz auch in diesen Partien in hohem Grad lehrreich. Auch hier entbehrt sein Stil nicht der originellen Würze.

Aber wie hoch man auch den Kardinal von Retz als Geschichtsquelle stellen mag, unendlich größer ist doch die literarische Bedeutung derjenigen Teile seines Werks (etwa ein Fünftel des Ganzen), wo er ausschließlich »Bekenner« ist, wo dieser Priester und Fürst der Kirche sich zeigt in seiner ganzen »menschlichen und allzu menschlichen« Nacktheit.

Und also war man hier darauf bedacht, das Politische und Historisch-Äußerliche, kurz, das Unpersönliche auf das Nötigste zusammenzuziehen und dafür den menschlichen Inhalt in die wirksamste Beleuchtung und Gruppierung zu rücken, ja aus einer Reihe von gleichzeitigen Memoiren und Briefwechseln (Tallemand des Réaux, Saint-Simon, Sévigné, Bussy-Rabutin und anderer) abrundend zu ergänzen.

Dieses Verfahren entkleidet mein Unternehmen der sogenannten »Wissenschaftlichkeit«, die nicht beabsichtigt war, keineswegs aber der dokumentaren Echtheit.

Denn auch einen Roman daraus zu gestalten, lag mir fern, im Unterschied zu meiner »Prinzessin Jungfrau« (München, Verlag Georg Müller), womit sich der Kardinal im Stofflichen vielfach berührt.

Dieses Buch will also kein Roman sein. Sollte es sich dennoch wie ein solcher lesen, um so besser.


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