Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Heilige und der Papst

Wer die »Blümlein des heiligen Franziskus« gelesen hat, der möge über das Folgende sich nicht ärgern, was schon an sich nicht christlich und dreifach unangebracht und im höchsten Grade unschicklich wäre in der Nähe dieses sanften Heiligen. Unzählig – daß jedoch niemand unselig verstehe – Unzählig aber sind die, die diese seltsamen Wunderblümlein nicht kennen; sie werden vielleicht durch das Nachfolgende bewogen, sie kennenzulernen, und wenn sie dann unglücklicherweise vielleicht nicht finden, was sie suchen, so kann das ebensowohl an ihnen liegen, wie an den armen Blümlein.

*

Am oberen Tiberfluß, etwa anderthalb römische Meilen unterhalb Perugia, liegt der Ort Bosko, und auf der Straße dahin, linkerhand auf einem sonnigen Hügel, war einst ein kleines Gehöft zu erblicken, das dem reichen und edlen Herrn Bernhard von Quintovalle gehörte, wo aber nun eine Anzahl Brüder des heiligen Franziskus wohnten, die dieser von seinem nicht allzu fernen Portiunkula her von Zeit zu Zeit zu besuchen pflegte.

So geschah es, daß er auch am 15. Juli im Jahre des Heils 1216 an diesem Orte weilte. Er hatte sich mit der Sommersonne früh von seinem Lager erhoben, das in nichts weiter bestand als dem bloßen Erdboden, und war dann hinausgeschritten in den goldig durchglitzerten Lorbeerhain, der sich hinter dem Häuschen den Hügel hinauf erstreckte. Und vielleicht hat er an diesem Morgen seinen berühmten Hymnus an die Schwester Sonne gedichtet.

Die da webt und flicht
In den Tag ihr goldenes Licht
Und schön ist und in ihrem Schild,
O Herr,
Spiegelt dein strahlendes Ebenbild.

Und da, in seiner poetischen Verzückung, widerfuhr dem Dichter und Heiligen eine Unachtsamkeit. Eine Spinne hatte zwischen zwei Lorbeerkronen ein wundersames Netz ausgespannt, an dem die Tautropfen in der Sonne funkelten wie Diamanten. Franziskus aber war mit seinem Ärmel daran gestreift und hatte das unsagbar feine Gewebe zerrissen, daß die Spinne, die zuvor in seinem Mittelpunkt saß, erschreckt die Flucht ergriffen und sich auf ein Lorbeerblatt gerettet hatte.

Noch mehr aber als die Spinne war Franziskus erschrocken.

»Was habe ich getan, ich Tölpel«, rief er aus; »mit plumpem Dareinfahren habe ich eine wunderbare Schöpfung Gottes zerstört und habe meine Schwester Spinne gekränkt, die Kunstreiche, die es mir so sichtbar vor die Augen gestellt, welche unbegreiflichen Wunder der Schöpfer wirkt in seinen Geschöpfen. Ich Unglücklicher! Zerstören konnte ich das wundersam zarte Werk, aber es wieder herzustellen, vermag ich nicht. Denn unnachahmlich, wie er sich auch vermessen mag, sind dem Menschen die Werke des allmächtigen Gottes im größten wie im kleinsten.«

Ein Geräusch in der Nähe zog seine Blicke seitwärts, und da sah er, von Bruder Juniperus geführt, zwei römische Priester in violenfarbenem Kleid auf sich zukommen, solche, die sich von den Leuten Monsignore anreden lassen.

»Bruder Franz,« rief ihm einer derselben zu, »wir kommen als Boten Seiner Heiligkeit des Papstes; er ist schwer erkrankt und sehnt sich, dein Angesicht zu sehen und deine Stimme zu hören. Es verlangt ihn nach einem Trostwort aus deinem Munde.«

»Seltsam,« sagte Franziskus vor sich hin, »da geht es ja dem Bruder Papst wie der Schwester Spinne. Auch er hat ein Netz gesponnen von feinen und groben Fäden, ein kunstreiches und gewaltiges, die ganze Erde umspannend, und nun streckt der Tod seine Hand aus, die knöcherne, um ihm darein zu fahren, nicht achtend aller Heiligkeit und Majestät.«

»Lieber Bruder Franz,« sprach der andere Priester, »verliere nicht deine Zeit mit einfältigen Reden, komm und folge uns, so ist es dir durch uns von Seiner Heiligkeit befohlen.«

»Meine Schwester Spinne, die ich schwer gekränkt habe,« sprach Franziskus, »bedürfte freilich meines Trostes mehr als der allmächtige Papst – allmächtig in dieser Welt –, und ich sollte sie wohl jetzt nicht allein lassen in ihrer Bekümmertheit. Denn seht, ihr Herren, der Papst trägt zwar auf der Brust ebenfalls das Kreuz, ein Kreuz von Gold und Edelgestein, aber es ist gemacht von Menschenhand, der Spinne jedoch ist dieses heilige Zeichen aufgedrückt von Gott selber; ein dergestalt ausgezeichnetes Geschöpf ist die Schwester Spinne, und so werdet ihr begreifen, daß mir das Herz schwer ist um ihre Betrübnis. Aber ich empfinde auch ein tiefes Mitleid mit meinem kranken Bruder Innozenz, und Gehorsam schulde ich dem Vater der Christenheit, so laßt uns gehen und zu ihm eilen.«

Und also machten sie sich auf den Weg, und es war ein seltsamer Anblick, wie sie auf der weißen steilen Straße hinaufstiegen, zur Seite die beiden Violetten und zwischen ihnen Franziskus in seiner rostbraunen, aus alten Säcken zusammengeflickten Kutte, hinauf zur hochragenden Stadt Perugia, von deren weißen Türmen und Zinnen die höhersteigende umbrische Sonne blendend zurückfunkelte.

Die beiden Priester in ihren violenfarbenen langen Gewändern konnten nur langsam schreiten, und so kam es, daß ein ländlicher Jüngling sie zu überholen im Begriff stand. Er sah phantastisch aus mit seiner kurzen dunkelgrünen Hose und seinem roten Hemd, sonst trug er nichts am Leib, aber am Arm hing ihm ein Weidenkorb, ganz angefüllt mit jungen Turteltauben. Den zartrosafarbenen Vögeln mit den schwarzen Halskrägelchen waren die Flügel über dem Rücken verbunden, und in ergebener Angst, aber wie zitternd schauten die Gefangenen aus ihren zinnoberroten Augen. Bei ihrem Anblick gab es dem heiligen Franziskus einen Stich durchs Herz, und ohne sich um seine Begleiter zu kümmern, schritt er auf den Knaben zu. »Lieber Bruder,« sagte er, »gib mir die Vögel, die Menschen in der Stadt, denen du sie bringen willst, werden sie grausam schlachten und ihr armes Blut vergießen, das wäre ein Jammer.«

Der Knabe sah den Heiligen erst verblüfft an, dann aber, als ob es ihm Gott selber befohlen hätte, reichte er seinen Korb dem Fordernden, den er recht wohl kannte. Franziskus aber setzte sich nieder an der Böschung des Weges, nahm die Tauben heraus auf seinen Schoß und streichelte sie liebreich.

»Ihr Turteltauben, meine Schwestern,« sprach er, »ihr sanften, unschuldigen und reinen, warum habt ihr euch fangen lassen. Ihr seid es, mit denen die Heilige Schrift die keuschen Seelen vergleicht, die frommen und arglosen. So will ich euch nun vor dem bitteren Tode bewahren und euch Nester bereiten, daß ihr Frucht bringet und euch mehret nach dem Gebot des Schöpfers.«

Und dann sich an die Violetten wendend: »Blickt nicht mit so bösen Augen, ihr guten Herren; ich habe meinen Bruder, den Papst, nicht vergessen; aber ihn den Knochenhänden des Todes zu entreißen, sofern Gott diesem Gewalt gegeben hat, steht nicht in meiner Macht. Diese meine süßen Schwestern aber vermag ich zu retten. Grüßet den Heiligen Vater von mir, ich werde zu ihm eilen, sobald ich meine lieben Schützlinge geborgen habe, das wird nicht lange sein.«

Damit erhob er sich, ließ die Priester stehen, denen das Gebaren des Heiligen ganz den Mund verschlagen hatte, und schritt eilig den Weg zurück zur Behausung seiner Brüder.

Also mußten die beiden Priester ohne den Heiligen zu ihrem Papst zurückkehren, der, im erzbischöflichen Palast zu Perugia auf hoch aufgeschichteten Matratzen gebettet, den Todesschweiß auf der Stirn, schon deutlich die Hand vor dem Gesicht sah, die der Knöcherne nach ihm ausstreckte, und der nun fast zornige Augen machte, als ihm seine Boten von den kindischen Albernheiten des verrückten Bettelheiligen berichteten, wie sie sich ausdrückten.

Er war aber einer der großen Päpste, der ganz großen, von keinem je übertroffen, die auf dem Stuhl des Heiligen Petrus oder, wie man vielleicht richtiger sagen würde, auf dem Stuhl der römischen Cäsaren einander gefolgt sind. Sogar jener furchtbare Freigeist Friedrich, König von Sizilien und Kaiser der Deutschen, der Stolzeste der stolzen Hohenstaufen, hat vor dem gewaltigen Innozenz das Haupt gebeugt. Den höchsten Gipfel menschlicher Größe, was die Welt so nennt, hatte dieser Papst erklommen. Königinnen hatte er aus dem königlichen Ehebett vertrieben und andere, Ausgestoßene, in ihre ehelichen Rechte wieder eingesetzt. Vier Könige, darunter der Beherrscher des stolzen Albion, hatten ihre Reiche aus seiner Hand zu Lehen empfangen und ihm Tribut und Gehorsam gelobt, und wahrlich, der unwissende Franz von Assisi, der reine Tor, hat wahr gesprochen mit seinem Bilde von dem gewaltigen Netz, das Innozenz gesponnen, die ganze christliche Welt umspannend, die ihn als ihren obersten Richter anerkannte und anrief bis zu den entlegensten Gegenden hinaus.

Und noch stand Innozenz in der Blüte des Mannesalters. Und mitten in der Ausübung seines Weltrichteramtes hatte es ihn niedergeworfen. Die zwei mächtigsten Handelsstaaten der damaligen Welt, Pisa und Genua, bekämpften sich auf Leben und Tod; da war Innozenz von Rom aufgebrochen, um mit der ganzen Kraft seiner Seele und seiner Persönlichkeit den erbitterten Feinden in den Arm zu fallen. Aber ein Mächtigerer als er, so schien es, war nun zwischen ihn und seinen Vorsatz getreten. In der großen Sommerhitze an den Ufern des Trasimenischen Sees hinreitend, hatte ihn in seinem Durst nach einer Melone gelüstet, deren ein Bauer einen Korb voll des Weges trug. Darauf war ihm übel geworden, und als er gegen Abend im erzbischöflichen Palast zu Perugia anlangte, war er ein vom Fieber geschüttelter todkranker Mann.

Wohl hatte er dazwischen auch erleichterte Stunden, wo ihm die Zunge zwar auch wie gelähmt am Gaumen klebte, aber doch die Geister des Fiebers seinen starken Geist nicht betäubten, sondern ihn zu erhöhter Regsamkeit aufstachelten, daß die Tage und Taten seines erfolgreichen Lebens mit überraschender Lebendigkeit und Gegenwärtigkeit an ihm vorüberzogen, während hart an seinem Lager die arabischen Ärzte sich untereinander zankten in ihrem Kauderwelsch und die Priester mechanisch Gebete psalmodierten, die rotbemäntelten Kardinäle aber im Hintergrunde leise zusammen tuschelten, daß der Papst es zwar nicht hören, aber in ihren Mienen lesen konnte, wie man bereits schon nicht mehr mit ihm rechnete.

Von seinem hochgeschichteten Matratzenlager schweifte sein Auge manchmal durch das Fenster hinaus in die sonnenlichten Fernen von Umbrien, und besonders nach einem Punkt richtete er oft den Blick. Ein kleines Bergstädtchen ragte dort. Das war Assisi. Und wie er sich das sagte, da kam eine ganz besondere Erinnerung über ihn. Kein welterschütterndes, welterstaunendes Ereignis, fast ein Nichts war es, und er kam doch mit seinen Gedanken nicht davon los, und jedes Wort, das dabei gefallen war, wachte in ihm auf, wie wenn sich der Vorfall nicht vor neun Jahren, sondern vor drei Stunden zugetragen hätte.

Es war nämlich damals im lateranischen Palast zu Rom ein junger Mann mit zwei Gefährten vor ihn getreten, ein Mann im Bettlergewand, aber von sanft liebreizendem Antlitz und schönem braunen Bart, ganz wie die Maler unsern Herrn und Heiland abzubilden pflegen. Und dieser Mann hatte ihn gefragt: »Erlaubst du, Heiliger Vater, daß wir alles abtun, rein alles, wonach der Welt Begehren steht, und von der Armut leben?« – »Was ist das für eine Nahrung«, hatte der Papst spöttisch geantwortet. »Sie ist unsere süße Braut, deren wir uns zu vermählen gedenken mit deinem Segen, Heiliger Vater.« Und der Papst hatte gelacht.

»So seid ihr gekommen, den Papst einzuladen auf eure Bettelhochzeit? Geht in Frieden, Kinder, ich will euch meinen Segen nicht verweigern, aber bedenkt, daß es ein Frevel ist, wenn sich der Mensch Dinge unterfängt, die über seine natürlichen Kräfte gehen!« Und gesenkten Hauptes haben sich die drei hinweggeschlichen.

Was half es damals dem Papst, daß ihm die drei Weggeschickten in der Seele leid taten; wenn sie auch zurückgekehrt wären, er würde doch wieder nicht anders gehandelt haben. Er verstand sie nicht. Er traute ihnen vor allein nicht.

Ein Jahrzehnt früher würde er sie vielleicht verstanden haben. Da war er selber ein weltabgezogener schwärmerischer Jüngling gewesen, der in einem kleinsten Kämmerlein des stolzen Grafenschlosses Anagni und dann in seiner Studienzelle an der Pariser Sorbonne und der Hohen Schule zu Bologna sich mit der getrübten Lampe des Aristoteles in dem labyrinthischen Turm der Scholastik heillos verstiegen hatte. Da hat er selber ein kleines Büchlein versaßt, de contemptu mundi. Von der Verachtung der Welt. Wer aber sollte sein eigenes Reich verachten? Und war indessen die Welt nicht sein Reich geworden, in dem er schaltete als der oberste Machthaber?

Aber des päpstlichen Widerspruchs ungeachtet, hatte Franziskus dann doch seine Gemeinde gegründet, deren Mitglieder schon zu vielen Tausenden zählten und hatte seine Jünger ausgesandt in alle Welt, zwei und zwei, wie einst sein Herr und Heiland, in die Lombardei, nach Frankreich und Spanien, nach Deutschland, Böhmen und Ungarn.

In diesem Einfältigen war also eine wunderbare Kraft lebendig. Das ging dem Papst, der auf den Tod daniederlag, plötzlich auf, als wenn ein neues Licht über ihn gekommen wäre.

Und mit dem Licht zugleich entbrannte in ihm der Wunsch, den Heiligen noch einmal zu schauen von Angesicht zu Angesicht, ob er vielleicht diesmal das Geheimnis zu lesen und zu verstehen vermöchte, das jener in der Seele trug, und aus seinem Munde vielleicht ein tröstliches Wort zu hören in dem Augenblick, wo aller Trost der Welt ihn verließ, ein Wort der Zuversicht und vielleicht auch der Verzeihung.

Denn wirklich, es war dem Papst, als ob er dem einfältigen Franz Abbitte zu leisten hätte. Denn die Erinnerung seiner Spottworte, wenn sie auch menschenfreundlich gesprochen waren, drückte mehr und mehr seine Seele.

Und siehe, der heftige Wunsch löste zugleich seine Zunge. »Ist der Bruder Franz von Assisi hier?« fragte er plötzlich mit laut vernehmlicher Stimme, als ob eine hellseherische Kraft über ihn gekommen wäre, um ihm Ungewußtes zu offenbaren.

Die psalmodierenden Priester verstummten. Sie wußten von dem Besuch des Franziskus bei seinen Brüdern; wer hatte es aber dem Papst gesagt?

»Man rufe ihn her«, befahl der Papst.

So war es geschehen, daß jene Violenfarbenen in den frühmorgendlichen golddurchwirkten Lorbeerhain kamen, um den Bruder Franz zu suchen, und fast zornige Augen machte der große Papst dann, als die beiden Priester ohne den Heiligen zu ihm zurückkehrten.

Böse Gedanken durchzogen seine Seele.

»Gewiß, er trägt dir's nach, daß du ihm die Bulle verweigert hast, verweigert hast Schrift und Insiegel, er will sich rächen an dir. Rache ist süß. Gewiß sind auch die Heiligen rachsüchtig, denn wie sollte ein Mensch dahin gelangen, kein Mensch mehr zu sein?«

So dachte der große Papst; er hatte in seinem geräuschvollen und geschäftlich erfüllten Leben viel mit den Kindern der Welt und nie mit einem Heiligen zu tun bekommen.

Doch dann kam dem Papst eine Anwandlung frömmerer Gedanken.

»Ich habe sie verachtet und von mir gestoßen, die heilige Armut,« so dachte er, »nun rufe ich sie, und sie kommt nicht zu mir. Und bin doch nun ärmer als der Ärmste unter allen. O Franziskus, Franziskus, du hast den besseren Teil erwählt.«

Doch diese Stimmung hielt nicht an. Von neuem bekam der Zorn in ihm die Oberhand.

»Aber was wollen sie mit ihrer Armut?« fuhr's ihm durch den Sinn. »Macht wollen sie, Macht über die Welt und die Menschen, wie wir alle. Sie streben nach dem Gleichen wie wir, nur mit andern Mitteln. Nach Macht strebt das Leben, in der niedersten und in der höchsten Kreatur. Macht ist der Sinn des Lebens, und es müßte einmal ein Philosoph kommen, der diese Wahrheit offen anerkennt und ausspräche. Nein, ich hatte recht, diesen Predigern der Armut ist nicht zu trauen. Dieser Franziskus, will er wirklich der Kirche dienen in Niedrigkeit, oder heuchelt er das nur, und will er nicht gar die Kirche untergraben und unterhöhlen und an sich reißen ihre Macht über die Seelen? Ich kann nicht sterben ohne eine Antwort auf diese Frage. Ich muß ihn zur Rede stellen. Mit scharfem Griff will ich hineingreifen in das Geheimnis seiner Seele. O Franziskus, Franziskus. Aber er kommt nicht. Ich bin ja ein sterbender Mann, ich habe keine Macht mehr zu vergeben.«

Und die Augen des großen Papstes blickten hilflos von einer Personengruppe zur andern in dem weiten Raum.

»Schickt mich, Heiliger Vater, ich werde alles versuchen, den Bruder Franz vor Eurer Heiligkeit Angesicht zu bringen.«

Das sprach ein priesterlicher Mann, der sich zu Häupten des Papstes hielt und ihm von Zeit zu Zeit mit einem Batisttüchlein den kalten Schweiß von der Stirn wischte. Es war der Hofkaplan des Papstes, der Vertrauteste seiner Seele. Der Papst nickte zustimmend. Zugleich erhob sich der greise Erzbischof von Perugia, der zu des Papstes Füßen saß. »Ich werde Euch begleiten«, sprach er.

Und die beiden Priester, der Greis und der Jüngling, machten sich auf den Weg. Nicht weit vor dem Tor, genannt von Agobio, erblickten sie in der Ferne den Bruder Franz, der, nachdem er seine Turteltäubchen versorgt und geborgen wußte, sich eiligst auf den Weg gemacht hatte, um dem Ruf des Heiligen Vaters zu folgen.

Aber er war jetzt nicht allein. Zwei Männer in feierlich schwarzer Ratsherrentracht standen vor ihm in ehrfürchtiger Haltung. Sie schienen ihm ein Anliegen vorzutragen.

Der greise Erzbischof von Perugia war nur langsamen Gehens fähig, so geschah es, ehe die Botschafter des Papstes die Gruppe mit Franziskus erreicht hatten, daß diese zum höchsten Erstaunen jener sich in der Richtung auf den Ort Bosko in Bewegung setzten. Da bat der päpstliche Kaplan den Erzbischof um Entschuldigung, und dann eilte er mit mächtigen Schritten den Davonwandelnden nach und rief mit lauter Stimme den Heiligen mit seinem Namen.

Dieser hielt inne in seinem Gehen, und nach einem Wort an seine Gefährten wandte er sich zurück und kam dem Kaplan entgegen, dem die hellen Schweißtropfen von der Stirne rannen, denn schon hatte die feuerheiße Julisonne den halben Weg zu ihrem Zenit zurückgelegt.

»Was setzt dich so in Hast? Priester Gottes,« fragte Franziskus, »und ist das nicht unser ehrwürdiger Herr Erzbischof, den du da hinten zurückgelassen hast und hat euch der Heilige Vater gesandt? Ach, der arme Bruder Innozenz hat sich auch an die zehn Jahre mit einer argen Wölfin herumgebissen, und seine Seele hat schwere Wunden davongetragen. Welt heißt sie, die Wölfin. Aber dem Heiligen Vater droht keine Gefahr mehr von ihr. Zwischen ihr und ihm hat der Bruder Tod seine gewaltige Hand vorgestreckt, und so hat die Welt keine Gewalt mehr über Bruder Innozenz. Für ihn ist keine Gefahr mehr zu fürchten, darum wird er es mir verzeihen, wenn mein Kommen noch einmal einen Verzug erleidet; denn noch muß ich zuvor ein Wort reden mit meinem Bruder Wolf von Agobio, vor dem eine ganze Stadt zittert in tödlicher Angst. Mich jammert der Frauen und unschuldigen Kindlein, die er täglich tötet, so will ich ihn unentwegt aufsuchen und ihm ins Gewissen reden. Seht dort, jene stolzen Herren in ihren Ratsgewändern, sie haben mich unter Tränen angefleht, ich mußte Erbarmen haben mit ihnen, Seine Heiligkeit, der Papst, wird das einsehen und mir wegen einer kleinen Verzögerung nicht böse sein.«

Während dieser Worte hatten sich jene Schwarzsamtenen mit abgezogenen Baretten und tiefbesorgten Gesichtern dem Heiligen wieder genähert.

»Ja, brechen wir auf«, sagte dieser zu ihnen, und ehe noch der Kaplan des Papstes in seiner Bestürztheit ein Wort der Entgegnung fand, war auch schon jede Rede nutzlos geworden und hatten sich die drei dunklen Schattengestalten hinter einer Biegung der Straße seinen Augen entzogen. Auch der greise Erzbischof kam inzwischen heran, es blieb ihm aber nichts übrig, als sich mit dem päpstlichen Liebling auf den heißen Rückweg zu machen, schweren Herzens im Hinblick auf ihren Empfang durch den Papst und nicht ohne menschliche Entrüstung über die Schrullen dieses Narren von Assisi, dem aber allerorten das dumme Volk nachlief, ganz beglückt, ihm den schmierigen Ärmel zu küssen, wie wenn er der Herr Jesus gewesen wäre in eigener Person.

Unterdessen schritt Franziskus, die beiden Ratsherren zu seiner Seite, die Straße hinauf gegen die kleine Stadt Agobio in der unwirtlichsten Region des umbrischen Gebirges. Durch schwarzgraue Felsenschlünde ging der Weg, als ob hier einmal ein höllisches Feuer für ewige Zeit alles Leben weggeleckt habe, daß nur noch der Tod mit aufgesperrtem Rachen gähnte, und es den Wanderer schaudernd überrieselte vor der unmenschlichen Wüste. Denn so steht es in der Beschaffenheit des dortigen Landes, daß oft neben paradiesisch üppigen Gefilden die heillose Öde starrt.

Im Weiterschreiten erzählten die beiden Ratsherren dem heiligen Franziskus noch Näheres von den Untaten des Wolfs von Agobio, und wie alle, wenn sie die Stadt verließen, nur noch in Waffen gingen, als ob sie zu einer Schlacht auszögen; wie aber dennoch der Wolf jeden überwältigte, den er allein traf, so daß fast niemand mehr den Mut fand, sich vor die Stadt hinauszuwagen.

Während dieser Erzählungen waren sie der Stadt näher gekommen, die man zwar noch nicht erblickte, weil immer noch das felsige Geklüft den Blick ummauerte, aber kleine Pflanzungen, wo sich nur ein Stückchen Erdkrume bot, und hier und da ein Fruchtbaum deuteten auf menschliche Nähe. Und lag nicht auch schon etwas wie lebendiges Atmen in der Luft, und hatte einer der Ratsherren den Hauch gespürt? Er wandte den Kopf und in demselben Augenblick stieß er einen Schrei des Entsetzens aus: »Der Wolf!«

Zum Glück stand ganz nahe ein Feigenbaum. Diesen erkletterten im Nu die beiden Ratsherren mit einer Geschmeidigkeit, die man ihnen nicht zugetraut hätte.

In scharfem Trott sah Franziskus den Wolf näher kommen, und das war freilich kein zutraulicher Anblick. Vernehmlich schnob der Bestie der heiße Odem des Hungers aus dem aufgesperrten Rachen, wo ihm zwischen den gelben Zähnen weit die Zunge heraushing, flatternd wie ein rotes Fähnlein.

Franziskus ging dem Tier ruhig entgegen. Der Wolf schien darüber verdutzt, er hielt an in seinem Lauf. Nur ganz langsam und zögernden Schrittes näherte er sich dem Heiligen. Franziskus machte das Zeichen des Kreuzes über der Bestie.

»Mein Bruder Wolf,« sprach er, »ich befehle dir im Namen des Herrn Jesus, dich deiner Gewalttaten für immer zu entschlagen und nie wieder einem Menschen ein Leid anzutun.«

Seine Worte bewirkten ein unglaubliches Wunder. Ganz eingeschüchtert, wie ein sanftes Lamm, kam der Wolf herzu und legte sich, wedelnd mit dem Schweif, zu den Füßen des Heiligen.

»Bruder Wolf,« sprach Franziskus mit liebevollem Ernst, »du hast in dieser Gegend große Missetaten verübt. Du hast die Tiere getötet, die der Menschen Freunde und Helfer sind, ja die Menschen selber hast du vielfach nicht verschont, die ein Gleichnis sind und Ebenbild des allerhöchsten Gottes. Dadurch bist du des Galgens schuldig als ein ruchloser Räuber und Mörder. Alles Volk schreit gegen dich als gegen den Brecher des Landfriedens im Weichbild dieser Stadt. Alle sind deine erbitterten Feinde und haben deinen Untergang beschworen. Ich aber, mein Bruder Wolf, will Frieden machen zwischen dir und ihnen. Du sollst ablassen von Mord und Gewalt, sie aber werden deiner vergangenen Untaten dich entbinden und dich deretwegen nicht zur Rechenschaft ziehen.«

Der Wolf, dem kein anderes Mittel zu Gebote stand, sich verständlich zu machen, wedelte heftiger und freudiger mit seinem Schweif, um anzudeuten, daß er den Vorschlag des Heiligen gern annehme und alles pünktlich halten wolle, was ihm der Mann Gottes auferlegte.

Franziskus aber ergriff von neuem das Wort.

»Dieweil du nun, mein Bruder Wolf,« so sprach er, »freudig annimmst, was ich dir vorschlage, so will ich Sorge tragen und verspreche dir, daß dir die andern alles freiwillig zukommen lassen, was nötig ist, deinen Hunger zu stillen; denn allein dein Hunger ist es, der dich zu deinen Missetaten angetrieben hat. Da aber nicht einmal die vernünftigen Menschen dem Hunger zu widerstehen vermögen, wie sollte es ein unvernünftiger Wolf. Unsere Brüder von Agobio hätten das begreifen sollen. Du aber, Bruder Wolf, versprich mir ausdrücklich, daß du auch wirklich alles halten und keine Kreatur mehr mit Gewalt anfallen willst, weder Mensch noch Tier.«

Der Wolf sagte durch Neigen seines Kopfes, daß er verspreche.

»Wohlan denn, Bruder Wolf,« versetzte Franziskus, »so will ich, daß du dein Versprechen beschwörst und besiegelst durch deinen Handschlag.« Franziskus reichte seine Hand dar und unverzüglich erhob die Bestie den Fuß und legte ihre rauhe haarige Bratze in die schmale weiße Hand des Heiligen.

»Schön, Bruder Wolf,« fuhr Franziskus fort, »und nun befehle ich dir im Namen unseres Herrn Jesus, daß du mit mir kommst in die Stadt, auf daß wir dort vor der ganzen Gemeinde den beschlossenen Frieden kundtun und bekräftigen.«

Damit machte sich Franziskus auf den Weg, und der Wolf folgte ihm; die beiden Ratsherren aber, die Franziskus ganz vergessen hatte, wußten sich vor Erstaunen gar nicht zu fassen über alles, was sie gesehen hatten. Sie kletterten jetzt bedächtig von ihrem Feigenbaum herunter, und in einem vorsichtigen Abstand und mit furchtsamem Zögern schritten sie den beiden nach durch das Perugianer Tor in die Stadt.

Dort ergriff zuerst alles die Flucht bei dem Anblick des Wolfs. Kinder, Frauen und Bürger, alles verschwand von der Gasse, wie wenn ein Sturmwind sie weggefegt hätte. Als sie dann aber, durch die Türspalten und Fenster lugend, mit Augen sahen, wie der Wolf fromm geworden war, da kamen sie wieder hervor, und alles Volk, Mann und Weib, klein und groß, drängte sich hinterdrein nach dem Markt und staunten alle über das große Wunder.

Als dann alles Volk versammelt war und Franziskus nicht ohne Mühe vermocht hatte, daß die Ratsherren der Stadt, auch jene beiden vom Feigenbaum, sich um ihn herstellten, da erhob er gewaltig seine Stimme.

»Liebe Brüder und Bürger von Agobio,« so sprach er, »ihr zittert vor diesem Wolf, der doch nur den Leib zerreißen, der Seele aber keinen Schaden antun kann. Die Bestien aber, die in euch selber wohnen und euch die Seele zerreißen und dem ewigen Tod überliefern, die Bestien in eurer Brust, nämlich eure Laster und Leidenschaften, sie machen euch keine Sorgen, sie hegt und hätschelt ihr und sind doch schlimmere Ungeheuer als alle Wölfe der Wildnis. Ihr wollt sie nicht kennen, diese wilden Tiere. So will ich euch ihre Namen ins Gesicht sagen. Sieben sind es, und von diesen sind zwei böser als alle übrigen, das gefräßige Tier Habsucht und sein Geschwister der giftige Neid. Vor ihnen zittert! Ihrer sucht euch zu entledigen. Der Bruder Wolf aber, der hier vor euch steht, hat mir versprochen und mir sein Wort verpfändet, mit euch Frieden zu halten und sich aller Gewalttat gegen euch zu entschlagen, sofern ihr euch verpflichtet, ihm das zukommen zu lassen, dessen er bedarf. Und ich stelle mich als Bürgen für ihn, daß er den Pakt des Friedens halten wird.«

Da versprach das ganze Volk einstimmig, den Wolf auf gemeine Kosten zu verpflegen.

»Und du, Bruder Wolf,« wandte sich Franziskus an das Tier, »versprichst du ihnen, den Frieden zu halten und Mord und Gewalt von dir abzutun?«

Der Wolf ließ sich auf die Knie nieder und senkte den Kopf zum Zeichen, daß er verspreche.

»So tretet näher, Meister Bartolo,« wandte sich Franziskus an den Ältesten vom Rat, »Euch, als dem Regenten dieser Gemeinde, wird Bruder Wolf sein Wort verpfänden durch Handschlag und Ihr ihm das Eurige.«

Der Angeredete, ganz blaß im Gesicht, machte eine angstvoll abwehrende Gebärde, als er aber merkte, daß in den nächsten Reihen ein freches Lachen sich erhob, faßte er sich ein Herz, trat hervor gegen den Wolf und streckte ihm zitternd die Hand entgegen, und in sie hinein legte der Wolf seine haarige Pfote.

Und niemand dachte mehr daran, noch weiter über die bleiche Angst des Regenten zu lachen, wie groß auch die Lust dazu gewesen war. Der frechste Mutwille verstummte vor dem Wunder.

Alles drängte hinzu und liebkoste und streichelte den Wolf, und nur darüber entstand noch ein Streit, wer das fromm gewordene Tier zuerst bei sich füttern dürfe.

Franziskus aber wandte sich jetzt an die Nächststehenden im Gedränge, des großen Haufens.

»Meine Brüder,« sprach er, »wenn ihr mir eine Liebe antun wollt, so leihe mir einer unter euch eine Eselin. Zwar geziemt es dem Bruder der heiligen Armut und Diener unseres Herrn Jesus einzig, zu Fuß zu wandeln auf dieser Erde. Doch hat er, der nicht soviel besaß, wohin er sein Haupt legte, einmal eine Eselin bestiegen, als die stolze Tochter Zion sich zu seinem Empfang bereitete. Mich aber erwartet zu Perugia der Vater der Christenheit. Zwar braucht er mich nicht, da sich Gott selber seiner erbarmt hat, aber er hat gerufen, und es geziemt mir, daß ich seinem Ruf folge.«

Mehrere Esel waren herangebracht worden, den unansehnlichsten bestieg Franziskus.

In diesem Augenblick entstand eine Bewegung. Wie in Angst und Scheu wich das Volk auseinander, eine Gasse entstand, und durch sie hindurch bewegten sich nun langsam und feierlich eine Anzahl Reitergestalten, wie das arme Agobio sie noch niemals gesehen hatte. An der Spitze ritten auf blankweißen Rossen zwei Männer in weiten faltenreichen Scharlachmänteln, und von der gleichen Farbe waren ihre flachen breitrandigen Hüte mit kunstvoll verknoteten Schnüren. Ihnen folgten vier bewaffnete Kriegsleute und dann ein Knecht, der ein loses gesatteltes Pferd an der Hand führte.

Das Volk umher, vom ersten Erstaunen erholt, fiel in die Knie, mit emporgestreckten Händen um Segen flehend.

Franziskus allein schien sich über die Erscheinung nicht im geringsten zu verwundern. Er wartete auch nicht erst, bis er angeredet wurde.

»Ich bin bereit,« rief er den Kardinälen entgegen, »eures Pferdes bedarf ich auch nicht erst, wie ihr sehet, der demütige Bruder Esel ist mir ein näherer Bruder, und also laßt uns aufbrechen, mein Bruder Innozenz möchte mir böse werden, wenn ich ihn noch länger warten lasse.«

Nicht aus Ehrfurcht, beileibe, aber weil sie als gute Italiener die Symmetrie liebten, nahmen die stolzen Kirchenfürsten den Franziskus und seine Eselin in ihre Mitte, und so setzte sich der Zug in Bewegung, die einzige, hoch aufgemauerte Stadtgasse hinunter zum Perugianer Tor, dessen niedere rundbogige Wölbung die Reiter einen nach dem andern verschluckte.

Die Sonne hatte längst ihren Zenit Überschritten, und bis die Reiter bei dem Dorfe Bosko den Tiberfluß erreichten, dämmerte bereits der Abend. Die beiden rotbemäntelten päpstlichen Botschafter auf ihren weißen Rossen hatten den ganzen langen Weg kein Wort mit Franziskus gesprochen, so blieb ihm Zeit, ungestört seinen Gedanken nachzuhängen.

In seinem vorwegnehmenden Geiste ward ihm Zukünftiges bereits zu leibhaftiger Gegenwart. Er stand an dem Sterbelager des großen Papstes, der über die westliche Menschheit, welche die ganze Menschheit bedeutete für jene Zeit, so unbedingt geherrscht hatte, wie nie ein König oder Kaiser vor ihm. Mit verzerrten Zügen, kalte Schweißtropfen auf der blassen Stirn, lag da auf den hochgeschichteten Matratzen der machtgewaltige Nachfolger der römischen Cäsaren (denn dies war er mehr als der Nachfolger des armen Fischers vom See Genezareth), und die Strahlen der schon niedergehenden Sonne fielen durch die hohen Bogenfenster in das Gemach und lockten ein Geleucht von farbigen Blitzen aus den Rubinen, Smaragden und Diamanten der gewaltigen dreifachen Krone, die zu Häupten des Papstes prunkhaft aufgepflanzt stand.

»Hebt dieses Ding hinweg,« bat Franziskus den Kardinal, der ihn vor das Sterbelager geführt hatte, »meine Augen sind solche Blitze nicht gewöhnt, hebt es hinweg, daß ich zu dem spreche, der unser und der ganzen Christenheit heiliger Vater ist.« Und sinnend stand dann Franziskus noch eine kleine Weile, stumm vertieft in Betrachtung des todverzerrten Antlitzes, aus dem ihn zwei weitaufgerissene Augen wie in flehentlicher Angst anblickten, während der einst allgebietende Mund, mit schmutzigem Schaum umrändert, schon kein Wort mehr zu formen vermochte.

»So darf ich dich endlich glücklich preisen, Heiliger Vater,« sprach dann sanft der Bruder Franz, »denn schon hat meine süße Braut, die heilige Armut, deine Hand erfaßt. Du hast sie immer noch nicht erkannt in ihrer wahren Gestalt, erschrocken und angstvoll ist noch immer dein Blick, aber bald wird es dir wie Schuppen von den Augen fallen, und du wirst selig ihre Schönheit schauen.

Einst hast du sie verlästert, meine süße Braut. Denn wie hast du damals gesprochen, freundlich zwar, und doch nicht ohne Hohn. Das waren deine Worte: ›Ihr wollt euch der Armut vermählen, aber eitel seid ihr auch, darum kommt ihr zu mir, den Papst zu eurer Bettelhochzeit einzuladen.‹ Du wußtest nicht, was dein Mund sprach, du standest im Bann der Welt. Und ein groß Wesen hast du in dieser Welt gemacht, ein lautes, lärmiges, gewaltiges Wesen. Aber Gott wird dir verzeihen. Er hat dir schon verziehen. Denn du hast auch ein kleines, stilles Werk getan. Dies wird bleiben, wenn all das Getöse, womit du die Welt erfüllt hast, verstummt und verschollen sein wird. Dieses stille Werk wird auch dein Fürsprecher sein vor deinem ewigen Richter.

Ich saß einst in dem prunkvollen Lustgarten hinter dem Hause meines Vaters und las in einem kleinen Buche, und dieses Buch ließ mich zum erstenmal die Schönheit meiner Braut erkennen, daß ich aufsprang mit dem festen Entschluß, ihr zu folgen und ihr treu zu bleiben immerdar. De contemptu mundi stand auf dem Deckel des Buches, und darunter stand dein Name. Und siehst du, Bruder Innozenz, schon wird lichter und zuversichtlicher der Blick deiner Augen.« –

Kein Wort sprachen die beiden rotbemäntelten Kirchenfürsten auf dem ganzen Wege mit dem Bruder Franziskus; sie hegten keinen kleinen Haß gegen ihn um des beschwerlichen Rittes willen, den sie ihm zur Schuld legten. Und so hatte auch Franziskus geschwiegen; jetzt aber, während sie diesseits der Tiberbrücke die Straße gegen das hochragende Perugia hinaufritten und er plötzlich links von den hohen Mauern der Stadt die Sonne erblickte, wie sie blutrot in bläulicher Tiefe versank, da konnte er einen närrischen Einfall nicht zurückhalten.

»Seht, ihr stolzen Herren,« sprach er zu den Kardinälen, »seht meine Schwester, die Sonne, die erhabenste, die nächste am Thron Gottes, sie sogar huldigt euch. Eurer Herrlichkeit die Ehre anzutun, hat sie sich in eure eminenzlichen Farben gekleidet.«

Derartigen neckischen Scherzen war Franziskus, in dem doch auch ein Stück von einem Troubadour steckte, keineswegs abgeneigt. Um so abgeneigter waren die Rotmäntel zu seiner Seite, auch nur mit dem leisesten Lächeln darauf einzugehen. Erst nach längerer Weile nahm einer der Kardinäle, zu dem andern sich hinwendend, das Wort.

»Sehen, Eure Herrlichkeit,« sprach er, »die Sonne hat sich in einen violetten Mantel gehüllt, das ist die Farbe, die wir tragen, wenn wir Trauer anlegen, sollte Lothar Conti gestorben sein?«

Dieser Kirchenfürst nannte den Papst schon nicht mehr Papst, sondern nannte ihn mit dem Namen seiner vorpäpstlichen Vergangenheit.

Franziskus aber dachte heimlich: »Nein, mein Bruder Innozenz ist gewiß nicht weggegangen, da er doch weiß, daß sein Bruder Franz zu ihm auf dem Wege ist.«

Er dachte aber anders, als sie eine halbe Stunde darauf in den Säulenhof des erzbischöflichen Palastes einritten und dort vor der inneren Palasttreppe abstiegen. Die aufgeregte Geschäftigkeit, wie die Menschen hier, Priester, Edelleute, Ritter und Dienerschaft, aneinander vorüberhasteten, mit verstörten und giererregten Gesichtern, verkündete allzu deutlich das Ereignis. Der große Papst war gestorben. Beim letzten Scheideblick der niedergehenden Sonne auf sein hochgeschichtetes Lager hat er seinen letzten schmerzlichen Seufzer ausgehaucht. Groß war dieser Papst Innozenz, und nicht gering ist sein Ruhm in der Welt noch heute, doch weit überstrahlt wird dieser Ruhmesglanz von dem einfachen Heiligenschein des seltsamen Bettlers von Assisi, der den Wolf seinen Bruder und die Spinne seine Schwester nannte.


 << zurück