Josef Ruederer
Die Fahnenweihe
Josef Ruederer

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Zweiter Akt

Die gleiche Szenerie wie im ersten Akte.

Der Vorhang der Bühne ist herabgelassen. Vor dem Podium, auf dem Saalboden liegen junge Tannen, ungeordnet durcheinander geworfen. Weitere Stämme lehnen links neben der Verandatür. Tische und Stühle sind besser geordnet. Die Fahne ist entfernt. Vorne rechts sitzen die Stammgäste, Assessor a. D. Knackberger und Premierleutnant a. D. Bernhuber. Sie rauchen in Holzspitzen bedächtig ihre Frühschoppenzigarren. Der Mohrenwirt sitzt bei ihnen. Jeder hat eine halbe Flasche Weißwein und ein volles Glas vor sich stehen.

Nachdem der Vorhang sich erhoben hat, noch kleine Pause.

Knackberger gewichtig: Ja, ja.

Bernhuber in ganz anderem Tone wie Knackberger: Ja, ja!

Knackberger So geht's!

Bernhuber So geht's!

Knackberger Ich hab's übrigens immer g'sagt, daß wir da noch einmal 'was erleben.

Mohrenwirt immer eifrig und voll sichtlicher Freude über den Vorfall: Ja, ja!

Bernhuber s' war vorauszusehen, Herr Assessor, 's war vorauszusehen.

Mohrenwirt Es muß a schöner Skandal gewesen sein, was i so g'hört hab, a schöner Skandal!

Bernhuber Dank mei'm Schöpfer, daß ich nicht dabei war.

Mohrenwirt Ich auch, Herr Premierleutnant.

Bernhuber Das heißt, ich hätt's ganz gern mit ang'schaut, aber man hätt mich net sehen dürfen dabei.

Knackberger So was war noch nicht da die siebzehn Jahr, die wir hier in Pension leben.

Bernhuber Beim frühern Posthalter war so was einfach unmöglich g'wesen.

Knackberger Des war a ruhiger, alter Mann.

Bernhuber Witwer seit dreißig Jahr.

Knackberger Aber unter dem jetzigen Regiment da geht alles drüber und drunter.

Bernhuber Die alten Stammgast werden nimmer estimiert, wie war's denn sonst möglich, daß man uns schon seit zwei Tag da 'reing'steckt hätt in den kalten Raum?

Knackberger Wo's nach Tannen stinkt.

Bernhuber Elf und dreiviertel Jahr verkehren wir hier schon, aber das hat's noch nie geb'n, daß man unser alte Gaststub'n g'weißt und neu ausg'malt hat, wegen so'm Fest.

Mohrenwirt Es is eine Rücksichtslosigkeit ohnegleichen.

Bernhuber Ach was!

Knackberger Man kommt ja ganz aus seiner gewohnten Ruh und Ordnung.

Mohrenwirt Wenn die Herren amal mir die Ehr' geben woll'n, i hab no so a gemütlich's, altdeutsch's Eckzimmer in mei'm Gasthaus, den besten Wein – i tat ja alles, um Sie zufriedenzustellen.

Bernhuber Ja, Herr Moosreiner, wir werden zu Ihnen kommen, denn hier...

Knackberger Tut's nimmer länger gut.

Die linke Flügeltüre wird nach beiden Seiten heftig aufgestoßen. Minna, Flora und Hulda stürzen unter lautem Gelächter herein. Sie haben Hüte auf und Schirme in den Händen. Als sie die Stammgäste erblicken, kichern sie und stoßen sich gegenseitig an. Die alten Herren blicken ärgerlich um.

Hulda knicksend: Habe die Ehre, recht guten Tag zu wünschen, meine Herren!

Bernhuber Sie! Sind S' so freundlich und machen S' die Tür wieder zu, wenn S' da 'rein kommen, gelt?

Flora Können die Herren kein'n Zug vertragen?

Minna So schöne, stattliche Herren! Alle drei lachen.

Knackberger sehr ärgerlich: Haben die Damen nicht g'hört, was der Herr Premierleutnant g'sagt hat?

Hulda Der Herr Premierleutnant! Wo is der Herr Premierleutnant? Des is der Herr Premierleutnant? Ha, ha, ha, ha! Minna! Gelt? Da schaut unser Premierleutnant scho anders aus?

Bernhuber pustet wütend Rauch von sich.

Minna Jawohl, wenn er a bloß bei'm Infanterieregiment in München steht.

Hulda Aber dafür beim Garde-Infanterieregiment!

Minna Der is schon lustiger, wie die Herrn.

Hulda Und etwas höflicher.

Bernhuber aufspringend: Machen Sie jetzt die Tür zu oder nicht?

Flora Oh, wir machen s' gleich von außen zu, Herr... Herr Premierleutnant.

Alle drei eilen lachend zur Verandatüre.

Hulda Na, das is a netts Dorf, Flora, ha?

Sie begegnen im Hinausgehen Frau Wanninger und Frau Specht, die ihnen mit Zeichen des Absehens hastig ausweichen. Die Eintretenden tragen Hut und Straßentoilette. Mohrenwirt erhebt sich und schließt die linke Türe.

Bernhuber ganz außer sich: Ja, was sind denn das für Weibsbilder?

Fr. Specht eilig: Choristinnen sind's, ganz gemeine Choristinnen aus München. Guten Morgen übrigens, Herr Premierleutnant!

Bernhuber Guten Morgen. So eine Gemeinheit war ja noch gar nicht da!

Fr. Specht Net wahr? Ist es net haarsträubend, was man seit gestern abend in dem Haus erlebt hat?

Fr. Wanninger Sie wissen doch hoffentlich schon alles?

Fr. Specht Jetzt kann man ja reden drüber.

Fr. Wanninger sieht sich um: Freilich, 's is ja kei' jungs Mädel da.

Knackberger Uns hat der Herr Moosreiner die ganze Geschichte aufs genaueste hinterbracht.

Mohrenwirt I bin eben eigens herkommen, um's den Herrn zu erzählen, denn sonst hätt' mi kei Mensch mehr da rein 'bracht in das Haus.

Fr. Specht Ja, gelt? Sie hat ja der Posthalter gestern so unverschämt behandelt?

Mohrenwirt Des kriegt er scho no!

Fr. Specht Der hat alle Ursach, still zu sein auf den Skandal hin.

Fr. Wanninger Nein, was war des! Und ich hab' mei Kind dabei g'habt.

Fr. Specht Man muß sich ja vor alle Leut' schämen.

Fr. Wanninger Am besten ist's, wir schauen, daß wir bald 'nauskommen.

Bernhuber Das ist das wahre. Genau so machen wir's auch, denn mit solchen Existenzen, wie mit dem Herrn Posthalter und seinen saubern Stadtfreunden kann ein alter Soldat nicht mehr verkehren.

Fr. Specht Freilich net, man muß der G'sellschaft zeigen, was anständige Leute von ihr halten. I bitt Sie, so ein Mensch, wie der Rettinger!

Knackberger Der Millionenprotz!

Bernhuber Das ist so ein echtes Münchener Früchtel.

Fr. Specht Ja, was der sich aber einbilden soll darauf, daß er Millionär und Reserveleutnant ist?

Bernhuber Auf den Reserveleutnant braucht er sich gar nichts einzubilden, denn seine Wahl zeigt nur, was heutzutage beim Militär für Verhältnisse eingerissen sind.

Knackberger Ja, ja!

Bernhuber Unser Militär ist schlaff und hat keine Disziplin mehr, wie zu meiner Zeit.

Knackberger 's is mit der Justiz ganz genau so, alles geht zurück.

Fr. Wanninger Es wird überhaupt vieles so ganz anders gegen früher, man müßt oft an der Welt rein verzweifeln.

Fr. Specht Wenn man so was erlebt, wie gestern abend, da möcht man schon sagen, es gibt kei Moral mehr.

Bernhuber Und dabei diese Heuchelei, diese angebliche Wohlanständigkeit von der Posthalterin.

Fr. Specht Gelten S', das auch noch? Nein, aber gestern war's damit schon aus, mit der Wohlanständigkeit, denn wir hab'n die Leut gründlich durchschaut. Der Herr Pfarrer und der Herr Amtsrichter sind gleich nachher auf und davon gegangen.

Mohrenwirt Des is recht, des is recht.

Fr. Wanninger die Hände verkrampfend und nach oben blickend: Wenn man nur g'rad eine Ahnung g'habt hätt, eine Ahnung, wenn man nur g'habt hätt, mit wem man da umgeht.

Fr. Specht Die Schwester vom Herrn Pfarrer hat zwar einmal so eine dunkle Andeutung fallen lassen.

Fr. Wanninger O mein Gott, des war auch net warm und net kalt, darauf hin hätt man doch kein' Verkehr abbrechen können.

Knackberger kopfschüttelnd: Nein, wir hab'n schon nicht die leiseste Ahnung g'habt.

Fr. Specht Nicht die leiseste.

Fr. Wanninger Wie hätt ich's denn sonst erlauben können, daß meine Tochter den Rettinger kennenlernt.

Fr. Specht Und wie ihr der glei 'n Hof g'macht hat!

Knackberger Der möcht' sie am End' gar heiraten?

Fr. Wanninger Oh, was glauben S' denn, Herr Assessor? So einem Menschen tat ich doch meine Tochter net anvertrauen, des war ja eine Sünd'.

Fr. Specht Wenn ma sei Kind in solche Verhältnis brächt', in solche Verhältnis! Ja, man darf sich nur wundern, wie wir eigentlich selber als ehrbare Menschen da 'neinkommen sind.

Fr. Wanninger No, um so schneller machen wir, daß wir wieder 'nauskommen.

Fr. Specht Ich glaub's. Ja, ich versichere Sie, wenn ich net bis übermorgen mein Zimmer behalten müßt, weil ich so lang eing'mietet hab', ich tät' auf der Stell' reisen.

Fr. Wanninger Denken S', ich muß deswegen sogar noch vier Tag bleiben. Man kann das Geld doch net verschenken!

Bernhuber Solchen Leuten darf man überhaupt nie was schenken.

Foitenleitner und Nusser kommen durch die Verandatür.

Knackberger Ah, da kommt ja der Herr Bürgermeister!

Foitenleitner und Nusser treten grüßend an den Tisch. Rosl folgt ihnen mit zwei halben Flaschen Weißwein und zwei Gläsern, die sie auf den Tisch setzt.

Bernhuber No, Sie kommen doch noch, wie alle Tag, zum Frühschoppen daher?

Foitenleitner sehr freundlich: Warum denn net? die Herren sind ja auch da?

Knackberger Wir haben noch nichts gewußt, als wir 'reingegangen sind.

Bernhuber Nein, uns hat der Herr Moosreiner erst hier von dem Skandal erzählt.

Fr. Specht Was sagen S' denn dazu, Herr Bürgermeister?

Rosl durch die Verandatür wieder ab.

Foitenleitner Zu was denn?

Knackberger No, zu der G'schicht von gestern abend?

Fr. Wanninger Sie werden 's doch wissen!

Bernhuber Zu dem Skandal mit dem Seehansele.

Foitenleitner lächelnd: Oh, mei, der Seehansele!

Nusser Wenn man auf den hören wollt'. Allgemeines Erstaunen.

Knackberger Wa–s? Wissen Sie denn, was er g'sagt hat?

Nusser Verehrtester Herr Assessor! dieser Mensch schwatzt so viel zusammen in seiner Verbissenheit.

Foitenleitner Und in seiner B'soffenheit.

Nusser Daß er nicht ernst zu nehmen ist.

Kleine Pause. Fr. Specht stößt Fr. Wanninger an. Bernhuber räuspert sich laut.

Knackberger So? So?

Bernhuber Da hört man halt auch einmal eine andere Ansicht.

Fr. Specht Allerdings!

Nusser Aber ich begreife die Herrschaften nicht. Ein Mensch, wie der Seehansele!

Mohrenwirt gereizt: Der tut eigentlich gar nix zur Sach.

Nusser Ja, um was handelt es sich denn dann?

Bernhuber Um das, was jetzt die allgemeine Moral spricht.

Foitenleitner halb pfiffig: Die Moral?

Bernhuber Jawohl, die Moral.

Fr. Specht zu Nusser: Wären Sie nur gestern abend dabei g'wesen, Herr... Herr..., ich weiß net, wie muß man sagen? Herr Hoflieferant.

Nusser Dabei war ich nicht.

Knackberger Dann dürfen Sie auch gar nicht urteilen!

Nusser Waren denn Sie dabei, Herr Assessor?

Knackberger ärgerlich: Nein, aber ich richt' mich stets danach, was die öffentliche Meinung sagt.

Nusser Was sagt denn die?

Fr. Specht Fragen Sie den Herrn Pfarrer und den Herrn Amtsrichter!

Knackberger Merken Sie was? Die sind heut schon nicht mehr zum Frühschoppen 'kommen.

Foitenleitner immer vorsichtig und freundlich: Aber die zwei Herrn sind ja mit'm Herrn Posthalter aufs beste befreundet gewesen bis jetzt.

Bernhuber Eben, bis jetzt.

Fr. Wanninger Wo man halt noch nix g'wußt hat.

Foitenleitner Was hat man denn bis jetzt noch net gewußt?

Alle mit Ausnahme von Nusser im Tone größten Erstaunens: Aber, Herr Bürgermeister! Herr Bürgermeister!

Foitenleitner wieder lächelnd: 's tut mir leid, aber ich hab net mehr und net weniger g'wußt, wie die Herrschaften auch. Alle machen abwehrende Bewegungen.

Fr. Specht Bitte, wir haben gar nix g'wußt.

Fr. Wanninger Gar nix.

Knackberger Absolut nix.

Foitenleitner schlau: Schauen S', mehr hab i eben auch net g'wußt. Allgemeine Bewegung.

Nusser Also bleibt alles beim alten.

Mohrenwirt giftig: Und 's Gemeindekollegium verkauft ganz kalt die Gregoriwiesen an 'n Herrn Posthalter? Gelt?

Bernhuber Imstand wär's dazu, das Kollegium.

Mohrenwirt Und ob! Gelt i hab recht, Herr Hoflieferant, jetzt gestehen Sie 's selber ein?

Nusser Wenn Sie sich nur noch etwas gedulden, Herr Moosreiner, werden Sie es genau erfahren.

Knackberger Aber Sie können doch nicht im Ernst glauben, daß sich der Posthalter noch hier ankaufen will?

Foitenleitner lächelnd: Vielleicht ebba gar weg'm Seehansele?

Knackberger Ja, redet man denn hier rein in den Wind?

Mohrenwirt sehr bissig: Der Herr Foitenleitner is halt net nur Bürgermeister, sondern auch Maurermeister.

Foitenleitner ganz ruhig: Was moant's damit?

Mohrenwirt grimmig lachend: Nix weiter als wie: es gibt aber ganz einträgliche Akkordarbeit auf der Gregoriwiesen! Mehr sag i net.

Fr. Specht Hm!

Bernhuber Hm, hm!

Mohrenwirt Und der Herr Hoflieferant der steht sich auch besser, wenn amal in der Näh wo a Schweizerhotel auf' r gewissen Wies'n steht, da werd hernach viel mehr Wein und Kaffee bezogen.

Nusser der nie seine Ruhe verliert: Herr Moosreiner, Ihre Worte treffen uns nicht, wir wissen, warum Sie so reden.

Foitenleitner Die bewußten, sauern Trauben!

Mohrenwirt wütend: I red so, weil i no a Ehrg'fühl im Leib hab und weil i mi schäm für die ganze Gemeinde.

Nusser Oho!

Mohrenwirt Jawohl, oho! Is das vielleicht net a Schand, wenn Sie unter solche Umständ die Gregoriwiesen wegschmeißen, und wenn der Findelhausverein den Posthalter und sei Frau heut abend bei der Fahnenweih' zu Ehrenmitgliedern ernennen will?

Bernhuber Zu Ehrenmitgliedern?

Fr. Specht und Fr. Wanninger Ah, ah, ah, ah, ah!

Knackberger Nicht übel!

Nusser Ich fürchte, die Herrschaften regen sich wirklich unnötig auf.

Fr. Specht Finden Sie?

Bernhuber Nun, jedenfalls danken wir für so ein Fest!

Fr. Specht Wir halten uns hübsch fern.

Nusser Aber, ich verstehe Sie ebensowenig, wie der Herr Bürgermeister. Gestern noch hätten Sie das Fest ganz vergnügt mitgefeiert.

Fr. Wanninger Ja, gestern!

Fr. Specht Aber heut!

Knackberger Das is ein großer Unterschied.

Nusser Ja, was is denn seit gestern geschehen?

Fr. Specht Öffentlich is alles!

Nusser Wenn Sie aber sagen, daß Sie nur die Öffentlichkeit geniert, dann haben Sie doch alle schon von der Sache gewußt!

Alle Bürgermeister ausgenommen, schreien ganz entsetzt: Ah, ah, ah, ah,!

Fr. Wanninger Herr Hoflieferant, wir müssen 's uns fein verbitten, daß wir vorher schon was g'wußt haben soll'n, wir haben...

Fr. Specht stößt sie an: Pst! Frau Rentbeamte, schauen S' Ihnen um. Da is ja der Mensch mit Ihrer Tochter!

Wally ist von links in den Saal getreten. Rettinger geht neben ihr, eifrig in sie hineinredend. Wally lacht dumm.

Fr. Wanninger rückt unruhig auf ihrem Stuhle hin und her und macht ein Gesicht, aus dem man nicht sehen kann, ob sie sich wirklich ärgert.

Rettinger Den ersten Walzer müssen sie ja noch frei haben, Fräulein Wally.

Wally lacht wieder unbeholfen.

Fr. Specht Der nennt sie schon Wally!

Knackberger Sehr gut!

Rettinger Und auf die erste Franchise da reflektiere ich auch.

Wally Aber ich weiß ja gar net...

Rettinger Oh, Sie müssen mir die Tänze geben!

Fr. Specht mit starker Betonung: Es scheint, d' Frau Rentbeamte sieht den Verkehr gar net ungern.

Fr. Wanninger die immer unentschlossen dasaß: Wally! Komm' her zu mir!

Rettinger kommt mit Wally nach vorn: Die Damen verzeihen, aber wir hatten wichtige Verabredungen für heut abend.

Fr. Specht Möchten vielleicht aber doch umsonst sein, diese Verabredungen, denn das Fräulein darf das Fest nicht besuchen, soviel ich wenigstens bis jetzt weiß, net wahr, Frau Rentbeamte?

Rettinger beißt sich auf die Lippen.

Fr. Wanninger Nein, meine Tochter kann leider nicht kommen.

Bernhuber Leider?

Fr. Wanninger ärgerlich: Nun ja, sie kann halt net kommen.

Fr. Specht aufsehend: Es halt uns hier so nix mehr, also können wir gehen, net wahr, Frau Rentbeamte?

Fr. Wanninger erhebt sich gleichfalls.

Bernhuber Wir schließen uns den Damen gleich an.

Knackberger Wüßt net, was wir noch hier zu suchen hätten.

Mohrenwirt Da bin ich so frei und geh a mit. Ich such'n Herrn Pfarrer auf und will schauen, ob er auf gestern hin noch grad so denkt, wie die Herrn da. Er deutet auf Nusser und Foitenleitner.

Nusser Tun Sie das, Herr Moosreiner!

Bernhuber Zahlen können wir draußen. Also viel Vergnügen für heut abend, Herr Bürgermeister!

Knackberger Recht gute Unterhaltung, Herr Hoflieferant!

Nusser sehr fest: Danke bestens!

Fr. Specht zu Foitenleitner und Nusser: Habe die Ehre!

Wally Mama! Warum müssen wir denn schon wieder fort?

Fr. Wanninger unwillig: Weil wir halt wieder fort müssen!

Fr. Specht So a jungs Mädl braucht net immer alles z' wissen.

Alle ab nach rechts, bis auf Rettinger, Nusser und Foitenleitner.

Rettinger hat dieser ganzen Szene mit schlecht verhaltener Wut und Verlegenheit beigewohnt, jetzt platzt er im gewöhnlichsten Tone los: Da soll aber do' scho' glei'... Möcht' nur wissen, was der Bagage einfallt?

Nusser Regen Sie sich weiter nicht auf, Herr Rettinger!

Rettinger Ums Geld ist einem die ganze, hungrige Gesellschaft neidig.

Foitenleitner Das is 's, und die G'schicht mit 'm Seehansele fahrt ihna halt a a bissel in die Köpf 'rum.

Rettinger So? Sonst nichts mehr? Also, wenn ein gemeiner Lump sich in einer anständigen G'sellschaft so vollsauft, daß er nimmer stehen kann, und wenn mir derselbe Kerl die erbärmlichen Verleumdungen ins G'sicht sagt, nachher glaubt man dem ohne weiters und schaut mich über die Achsel an?

Nusser Nicht alle Leut tun das, Herr Rettinger.

Foitenleitner Wir zum Beispiel glei net!

Rettinger setzt sich zu den beiden: Von Ihnen bin ich ja überzeugt, aber – er deutet zur rechten Türe – die da und der Pfarrer, der Amtsrichter?

Nusser deutet gleichfalls auf die Türe: Was die betrifft, so müssen Sie nichts auf solche Leute geben, die haben ja hier nichts mitzureden, und der Herr Pfarrer...

Foitenleitner Der steht zu uns.

Rettinger Meinen Sie?

Nusser Gewiß! Sie hätten nur hören sollen, wie warm er uns den Verkauf der Gregoriwiese an den Posthalter empfohlen hat.

Foitenleitner Na, na, es is schon alles in bester Ordnung. Geheimnisvoll lächelnd: I trag da herin – er deutet auf die Brust – außerdem was 'rum, was i no net sehen laß, aber 's is was Erfreulich's, Herr Rettinger!

Nusser Pst! Herr Bürgermeister!

Rettinger schnell: Wohl die Zuschlagsurkunde?

Foitenleitner Derf s no net sagen, aber...

Rettinger lachend: Nun, dann bin i schon beruhigt. Leiser: 's is ja auch Ihr Vorteil, Herr Bürgermeister, wenn alles glückt, denn Sie bekommen die Bauten da unten.

Foitenleitner Oh, deswegen!

Nusser Uns ist es d'rum zu tun, daß Sie immer hier bleiben.

Rettinger wichtig: Allerdings, gestern abend da hab' ich mir schon überlegt, ob's net vielleicht besser wär', ich tät hier alles liegen und stehen lassen.

Nusser Oh, das wäre ja furchtbar für uns.

Foitenleitner Na, na, Herr Rettinger, schenken S' uns auch ferner das Vertrauen, wir wissen ja doch, daß Sie allein alles zu bestimmen haben.

Nusser Und daß Sie sozusagen die Seele des ganzen Unternehmens sind.

Rettinger geschmeichelt: Noja. Aber, wenn so was passiert und alles laßt einen gleich im Stich, wenn gar von 'm Haberfeldtreiben gesprochen wird?

Foitenleitner O mei, das Haberfeldtreiben!

Rettinger Glauben Sie nicht, daß man da einen Exzeß befürchten muß?

Nusser Warum nicht gar!

Foitenleitner lachend: 'n Exzeß!

Nusser Skandal möchten die Kerle eben wieder einmal vor den Häusern friedliebender Menschen veranstalten.

Foitenleitner Und dabei a Sündenregister ablesen!

Nusser höhnisch: Weil sie selbst so moralisch sind!

Rettinger Solche Halunken!

Foitenleitner Aber da paßt ja kei' Mensch d'rauf auf.

Nusser Keine Seele!

Rettinger Sie haben gar keine Idee, wer das gewesen sein kann, der gestern abend den Habererzettel an die Tür g'nagelt hat?

Foitenleitner Wer wird 's g'wesen sein? A verkommener Lump jedenfalls.

Nusser Eines von jenen Subjekten, denen nichts heilig ist auf der Welt.

Foitenleitner Und des san unsere Haberfeldtreiber!

Nusser Die Herren Sittenrichter!

Götzensperger steckt den Kopf durch die Verandatür: Nur hereinspaziert, meine Damen, die Luft ist jetzt sauber!

Hulda, Flora, Minna eilen herein, Herr v. Beck folgt ihnen langsam nach.

Hulda So lassen wir 's uns eingehen! Der Herr Rettinger, des is wenigstens a galanter Herr.

Flora Der wirft ein'n doch net naus, wie die z'widern Grantlhauer.

Götzensperger sehr laut zu Rettinger: Laß dir sagen: Die alten Knackstiefeln, die z'erst da war'n, die haben unsere Damen aufs tödlichste beleidigt.

Rettinger Das auch noch? Oh, das sind liebe Kerln.

Hulda Ja, des is 's richtige Wort! Herr Rettinger, Sie g'fall'n mir!

Flora, Minna Mir auch, mir auch, mir auch!

Rettinger hebt Flora bei den Hüften in die Höhe, daß sie schreit: La, la, la, la, la. Er dreht Flora, einen Walzer singend, dreimal um sich herum, und wirft sie ziemlich unsanft auf einen Stuhl links.

Götzensperger der dazu laut juchzte: A Mordskerl is halt der Rettinger; am Gang draußen poussiert er d' Fräulein Wally, da herin d' Flora, und ganz im geheimen – er nähert sich Rettinger vertraulich – d' Frau Posthalterin!

Die drei Choristinnen lachen laut.

Rettinger lachend: Pssst!

Götzensperger Is scho recht!

Rettinger zu den Choristinnen: Warum lacht's denn so?

Hulda pfiffig: Weil wir g'hört haben, was er g'sagt hat?

Rettinger lachend: Gar nix habt ihr g'hört!

Flora Etsch! Soll ich 's sagen, was er g'sagt hat?

Rettinger Ja!

Flora Des hat er g'sagt, warum Ihnen Haberfeld trieben wird! Ha, ha!

Alle lachen, auch die Leute am rechten Tisch.

Rettinger ganz wütend: Hört auf mit der verfluchten Dummheit!

Hulda Aber, Herr Rettinger!

Hr. v. Beck der sich zu Foitenleitner und Nusser gesetzt hat: Geh, alter Freund!

Foitenleitner Lachen S' doch mit, Herr Rettinger!

Nusser Über die Haberfeldtreiber!

Rettinger Ich will amal nix wissen davon!

Hr. v. Beck Ach was!

Götzensperger Das war ja net so g'meint, glaubst am End, wir halten was von die Haberfeldtreiber?

Hr. v. Beck Heut abend lachen wir sie alle aus, bei Hofbräuhausbier und Champagner.

Götzensperger Und wer net kommt, der bleibt weg.

Nusser Das is das Wahre.

Götzensperger zu Rettinger: Jetzt bist wieder vernünfti und denkst an was anders. Mir fallt so grad was ein! I hab mei' Portemonnaie in München drin liegenlassen.

Alle lachen.

Hulda Au weh, Herr Rettinger!

Flora Jetzt heißt's wieder zahlen.

Hr. v. Beck kopfschüttelnd, leise und ärgerlich zu Nusser: Das ist unfein von dem Herrn Götzensperger.

Rettinger die Börse ziehend: Wieviel brauchst denn desmal?

Götzensperger Gib mir halt dreißig Mark, des is a runder Betrag.

Rettinger sehr gnädig und wegwerfend: Da! Weil ich wieder gut aufg'legt bin.

Flora, Minna und Hulda umringen ihn lachend und hüpfend, schreien durcheinander: Mir auch was, mir auch was! Mir auch was, Herr Rettinger!

Rettinger Jawohl! Ihr wärt's die reinsten Raubvögel.

Hr. v. Beck ist aufgestanden: Pfui, Kinder! das paßt sich nicht.

Hulda Was? Herr von Beck?

Minna Gehen S', Sie Wüster! Sie!

Hr. v. Beck Ich finde so etwas unpassend, hier im öffentlichen Lokal!

Flora Unpassend? Wie?

Hr. v. Beck scharf: Unpassend, durchaus unpassend!

Götzensperger höhnisch: Jeee, der Herr von Beck!

Hulda Der gestrenge Herr!

Götzensperger mit Bezug: Sie finden 's Pumpen an 'm anderen Ort wohl feiner?

Rettinger lacht laut.

Hr. v. Beck gereizt: Pardon!

Götzensperger No, tun's nur net so, der Rettinger wird scho' wissen, wo 's Ihnen besser paßt.

Die Choristinnen lachen.

Rettinger lacht ebenfalls.

Hr. v. Beck Herr Aktuar!

Rettinger lachend: Laßt 's jetzt gut sein!

Flora Jawohl! Reden wir von was anderm.

Hulda Der Herr Rettinger soll wenigstens a Flaschen Sekt zahlen, wenn er kein Geld hergeben mag.

Flora und Minna Ja, a Flaschen Sekt.

Hulda So was wird sogar der Herr von Beck fein finden!

Allgemeines Gelächter.

Rettinger Nix zahl i.

Hulda Ach, warten S'. Sie sind schofel.

Pfarrer und Amtsrichter erscheinen unter der Verandatür, gleich hinter ihnen kommt mit glückstrahlendem Gesicht der Mohrenwirt.

Hulda erblickt sie: Halt! I krieg schon'n Sekt! Da kommt ja mein Amtsrichter, der zahlt ein'.

Minna Jawohl!

Flora Des is a nobler Mann!

Alle drei eilen lachend zum Eingang: Guten Morgen, Herr Amtsrichter, guten Morgen, Hochwürden!

Hulda Herr Amtsrichter, retten Sie die Ehre Ihres Geschlechtes!

Flora Und zahlen S' a Flaschen Champagner!

Amtsrichter s ehr steif und etwas verlegen: Verschonen Sie mich mit solchen Scherzen!

Pfarrer Lassen Sie uns gehen!

Hulda Aber pfui! Gestern da waren S' noch so g'schmach.

Flora Und heut will er nix mehr davon wissen.

Minna mit drohender Geste: Warten S', wir sind Ihnen alle recht beees!

Amtsrichter blickt wütend um sich und kommt mit dem Pfarrer nach vorne.

Foitenleitner und Nusser erheben sich.

Mohrenwirt kommt mit triumphierendem Gesichte nach vorne und mißt die beiden, weil er nicht beachtet wird.

Rettinger nicht ohne Bezug: Guten Tag, Herr Amtsrichter, guten Tag, Hochwürden.

Pfarrer nickt leicht.

Amtsrichter sehr kühl: Guten Tag! Unsicher fortfahrend und umherblickend, als spräche er eigentlich nur für sich: Der Herr Pfarrer und ich suchen den Posthalter. Ist er zu Haus?

Rettinger sehr erregt ob der Art des Amtsrichters, den er immer fixiert: Bedaure. Ich weiß nicht, aber ich werde nachsehen. Wenn ich ihn finde, schicke ich ihn her.

Amtsrichter Bitte! Er schiebt sich einen Stuhl am rechten Tische zurecht.

Rettinger halb zur linken Türe gewandt, wieder mit starker Betonung: Guten Tag, Herr Amtsrichter!

Amtsrichter sieht sich nicht mehr um.

Rettinger Guten Tag, Herr Amtsrichter!

Amtsrichter alles überhörend zum Pfarrer: Dann warten wir also hier?

Pfarrer Ja! Es ist mir ohnehin lieb – er wendet sich zum Tische rechts – den Herrn Bürgermeister und 'n Nusser noch sprechen zu können.

Rettinger, der sich ganz unbeachtet merkt, zerrt Beck am Arm heftig zu sich und spricht beim Abgehen durch die linke Türe zu ihm, während er noch einmal sehr gereizt nach dem Amtsrichter blickt. Die Choristinnen haben sich während des Vorganges nach rückwärts zur Verandatür verzogen und sammeln sich um Götzensperger, der ihnen bedeutet, still zu sein und ihm zu folgen. Noch unter der Türe platzen sie, die nur mühsam an sich gehalten haben, heraus und stürmen lachend davon. Götzensperger folgt ihnen.

Amtsrichter der mit dem Pfarrer am rechten Tische Platz genommen hat, dreht sich halb nach der Verandatür um: Unverschämtes Volk!

Mohrenwirt setzt sich in sehr bescheidener Stellung auch an den Tisch. Seine Freude bei der nachfolgenden Szene kann er schwer verbergen.

Pfarrer Müssen sich nicht weiter ärgern, Herr Amtsrichter. Lassen S' die Gesellschaft laufen!

Amtsrichter Nun, sie war die längste Zeit hier.

Pfarrer Hoffen wir's! Er wendet sich mit festem Entschluß an die beiden anderen: Also, meine Herren; was ich Ihnen sagen wollt...

Foitenleitner sehr aufmerksam: ja, Herr Pfarrer?

Pfarrer Ich will gleich direkt aufs Ziel losgehen.

Nusser Wir sind ganz Ohr.

Pfarrer Ist es Tatsache, daß der Verkauf der Gregoriwiese bereits festbeschlossene Sache ist?

Foitenleitner und Nusser sehen sich überrascht an.

Mohrenwirt lächelt sie boshaft an.

Foitenleitner streift den Mohrenwirt mit einem flüchtigen Blick: Ja, Herr Pfarrer, kann man darüber hier reden?

Pfarrer Ganz offen! Es ist mir sogar lieb, daß der Herr Moosreiner dabei ist, dann sieht er um so eher, daß es zwischen Ihnen und mir absolut keine Heimlichkeiten gibt.

Foitenleitner Ja, dann muß ich aber schon 'n hochwürdigen Herrn Pfarrer daran erinnern, daß er uns doch selber gerat'n hat, die Gregoriwiesen an 'n Posthalter zu vergeben.

Pfarrer Ich hab' Ihnen nichts geraten, Herr Bürgermeister, ich habe nur...

Nusser erstaunt: Aber Hochwürden! Kleine Verlegenheitspause.

Amtsrichter Der Herr Pfarrer hat nur eine Meinung geäußert.

Pfarrer Ganz richtig! In Anbetracht der beabsichtigt gewesenen Findelhausstiftung habe ich Ihnen, ich weiß nicht, wie soll ich sagen?

Nusser Nahegelegt.

Pfarrer Nein, das ist nicht das treffende Wort, ich hab' Ihnen nur, – sehr ungeduldig – no ja, es ist ja übrigens ganz gleichgültig, was da zuerst besprochen worden is. Ich möcht Ihnen heut nur sagen, Sie sollen sich den Verkauf von den Gregoriwiesen noch einmal reichlich überlegen.

Foitenleitner ganz perplex: Ja, is des 'm Herrn Pfarrer wirkli Ernst?

Pfarrer Glauben Sie, mir is besonders g'spaßig zumute? Mir ist es sogar voller Ernst.

Nusser der sich gleichfalls kaum fassen kann: Aber so ein Wort in letzter Stunde, es ist ja unmöglich, noch was zu ändern.

Foitenleitner I trag bei mir in der Taschen schon die Zuschlagsurkunden.

Nusser Die dem Posthalter heut abend feierlich überreicht werden soll.

Pfarrer Tut mir leid, ich muß Ihnen trotzdem sagen, daß ich den Verkauf nicht für passend erachte.

Nusser Aber warum denn nur das?

Pfarrer Weil Sie sich damit eine schwere Verantwortung aufladen.

Amtsrichter Sogar eine sehr schwere.

Mohrenwirt nickt lebhaft.

Nusser Wieso nur, Hochwürden?

Amtsrichter etwas leise, leichthin, in vorwurfsvollem Tone: Wie können Sie denn nur so fragen nach den gestrigen Vorkommnissen?

Nusser Aber die Herren müssen gütigst bedenken, daß ich diese plötzliche Sinnesänderung...

Pfarrer Herr Nusser!

Nusser Oder was es ist! Es wirft mit einem Schlage ja alles über den Haufen.

Amtsrichter Wenn Sie selbst nicht fühlen, was hier das rechte ist...

Pfarrer Dann tun Sie uns leid.

Nusser Aber... ich verstehe halt noch gar nicht...

Pfarrer Es scheint mir eben, daß hier Sonderinteressen im Spiele sind.

Amtsrichter Die werden Sie aber doch nicht über das Wohl der Gemeinde stellen?

Pfarrer Das will ich nicht hoffen.

Mohrenwirt reibt sich heimlich die Hände und blinzelt zu den Gemaßregelten hinüber. Pause.

Nusser gekränkt: Von Sonderinteressen ist hier keine Rede, ich bitte zu glauben, daß auch uns das Wohl der Gemeinde am Herzen liegt.

Pfarrer So geben Sie jetzt den Beweis dafür!

Amtsrichter Dann wird man Ihnen glauben.

Peinliche Pause. Mohrenwirt blickt schadenfroh auf die beiden. Nusser und Foitenleitner sehen sich an.


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