Josef Ruederer
Prinz Dschem
Josef Ruederer

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Ein großer Saal im Vatikan mit durch Gewölbe gegliederter Decke. Die einzelnen Felder stellen in der reichen, mit Gold verzierten Malerei des Pinturicchio die Heimsuchung Mariae, das Martyrium des heiligen Sebastian, die Auferstehung Christi und die Flucht der heiligen Barbara dar. Rechts eine hohe Flügeltüre, an der linken Wand ein erhöhter goldener Thronsessel. In die linke Armlehne des Thronsessels ist, wie man es manchmal auf den Kanzeln italienischer Kirchen sieht, ein einfaches Holzkruzifix schief eingelassen, zu seinen Füßen steht eine goldene Schale mit weißen Rosen.

Im Hintergrund führen mehrere Stufen auf eine Marmorestrade, die von zwei, in tiefe Nischen gegrabenen Bogenfenstern abgeschlossen wird. Dort in der Ecke links eine kleine Türe, in der Mitte ein sehr niederer Tisch, auf dem sich Speisen aller Art wie Pasteten, Geflügel, Schinken, Eier, Torten, große Früchte, in goldenen Schüsseln, sowie Wein in silberbeschlagenem Kristall befinden. Rechts in der Ecke der Estrade auf einem Schemel ein ausgestopfter großer Affe.

Hinter dem Tische Prinz Dschem auf einem mächtigen rotseidenen Kissen, das nach rückwärts ein Ausstrecken des ganzen Körpers gestattet, mit überschlagenen Beinen. Er ißt und trinkt mit sichtlichem Behagen, ohne sich auch nur einen Augenblick um das zu kümmern, was um ihn vorgeht. Nach einer Pause erscheint von rechts Vanozza, von Lucrezia um die Hüfte gefaßt und an der Hand geführt. Die alte Frau trägt tiefe Trauer, einen langen Schleier, der zum Rücken herabfällt, sowie einen leichten Reisemantel; die junge ein hellbraunseidenes Gewand, das mit Goldbrokat durchwirkt ist.

Lucrezia Ihr seid ermüdet von der Fahrt?

Vanozza                                                   Ich bin's;
Von Nepi braucht man volle sieben Stunden,
Und dies im Sonnenbrand zurückgelegt,
Will mir, die längst nicht mehr gerückt den Fuß,
Die nur noch sieht die Mauern des Kastells,
Durch Eures Vaters Gunst mir zugewiesen,
Ein Stückchen Himmel und die Kirchenfenster,
Gar schlecht bekommen.

Lucrezia indem sie ihr den Mantel abnimmt:
                                      Doch jetzt seid Ihr da
Und bleibt bei mir, ja, Mutter, seht Euch um!
Das ist der Saal, in dem Ihr selbst gewohnt,
Die Bilder sind's, der Boden samt den Wänden,
Und dort weilt er, von dem ich Euch geschrieben.
    Sie hat nach rückwärts gewiesen.

Vanozza Der Türkenprinz?

Lucrezia                             Das Wunder Roms! Der Dschem!

Vanozza Ein Muselman vollbringt im Vatikan
An Seite Seiner Heiligkeit des Papsts,
Was sonst nur Gott und Märtyrer vermögen?

Lucrezia Nehmt dieses Wort nicht ganz im gläub'gen Sinn;
Der Prinz zog aus von seiner Heimat Strand,
Ein Flüchtling vor des Bruders Dolch und Gift,
Des Sultans, der gebietet in Byzanz,
Vor zwanzig Jahren und durchmaß die Welt,
Wie jene Seele, die verdammt, zu wandern
Von Ort zu Ort, bis sie Erlösung findet.
Kaum gibt's ein Land, das er nicht schon betrat,
Bestaunt, begafft, ein Unbegreifliches,
Ein Märchen schier; dabei ein güt'ger Mann,
Ein reicher Mann, oh, Mutter, er hat Steine,
Brillanten und Smaragden und Saphire,
So groß, schaut her, wie dieses Hühnerei,
Das jetzt sein Mund voll übler Hast verschlingt.

Vanozza Am selben Platz, ich weiß es noch, ließ einst
Der Heil'ge Vater einen Gaukler tanzen;
Der trug ein bunt' Gewand und schnitt Gesichter,
Weil er bezahlt. Jetzt drängen sich schon Prinzen,
Umsonst den Narrendienst zu tun, vor?

Lucrezia Da rätst du falsch; auch diesen treibt die Not!
Nur tut er's nicht um Geld, der Ärmste spielt
Sich selbst was vor aus Kummer und Verzweiflung,
Denn hört: Prinz Dschem ist ein gefangner Mann.

Vanozza Gefangen, wie?

Lucrezia                         Je nun, es winden Rosen,
Von mir gepflückt, sich um die Ketten,
Es grüßt ihn Rom, wie man den Vater grüßt,
Den Papst, wenn das Sanctissimum er trägt,
Es neigt verliebt sich jede Frau vor ihm,
Und doch, das Ganze bleibt ein goldner Käfig,
Ein Prachtgefängnis für den scheck'gen Vogel,
Um den die Fürsten dieser Welt sich streiten
Und jetzt aufs neue ihre Truppen senden.

Vanozza Auf meiner Fahrt, da traf ich Söldner an;
Die Hunderttausend zogen Kopf an Kopf
Und Pferd an Pferd mit Lanzen und Geschossen
Auf freiem Feld in gleicher Himmelsrichtung.
Die wollten ihn?

Lucrezia                   Nur ihn, des Sultans Bruder,
Der als Gefangner eine Macht verkörpert,
Den Islam bannt, das Heil'ge Grab uns sichert.

Vanozza So klug Ihr sprecht als Eures Vaters Tochter,
So weltgewandt, in Staatskunst wohlerfahren,
Am stärksten scheint's wollt Ihr den Prinzen selbst!

Lucrezia Und wenn ich's wollte, wär's mein gutes Recht,
Drum sag' ich ja, ich hab's auf diesen Mann,
Trotzdem Ferrara stündlich um mich wirbt,
Und Hipolyt mich zur Entscheidung drängt.

Vanozza Deshalb befahlt Ihr mich nach Rom? Nun denn,
Da geh' ich lieber heimwärts ins Kastell,
Das einsam liegt und in den Sümpfen modert.

Lucrezia Nicht doch, Ihr steht mir bei als Frau und Mutter!

Vanozza Ich altes Weib leb' einzig im Gebet,
Was kann Euch, junge Fürstin, das wohl geben?

Lucrezia Just im Gebete find' ich mich mit Euch;
Jetzt habt wohl acht, ich zeige gleich, warum.
    Zu Dschem:
Mein Prinz, wie wär's ich sag' Euch langsam auf
Ein Vaterunser und ein Credo?

Vanozza                                           Was
Ihr sprecht ihn an, er spricht mit Euch, Prinzeß?

Lucrezia den Finger auf den Mund:
Doch niemand ahnt's! Der Vater nicht, der Bruder;
Im ganzen Vatikan, in Rom kein Mensch,
Nur dieser Jud, sein Arzt, der weiß davon.

Sie hat auf den Arzt gewiesen, der einige Worte vorher mit gesenktem Haupte durch die Geheimtüre eintrat, sich neben den Prinzen stellte und ihn jetzt mit bekümmerter Miene betrachtet.

Vanozza Und solcher Heimlichkeit dient das Gebet?

Lucrezia Am besten ja! Der Prinz, der liebt's wie den.
    Sie hat auf den Affen gewiesen.

Vanozza Den Affen da? Ihr lästert!

Lucrezia                                           Hört doch selbst
Nun, Dschem?

Vanozza nach einer Pause:
                        Mir scheint, er liebt es nicht.

Lucrezia                                                               Geduld.
Osmanenfürst, hört an; ein Handel droht,
Ein neuer und gefährlicher dazu.
Es geht um Euch, bald naht Don Cäsar sich,
Bald kommen die Gesandten.

Vanozza                                       Er bleibt stumm.

Lucrezia Ich aber, seht, ich steh' an Eurer Seite
Und fleh' für Euch, für den ich täglich flehe.

Vanozza Noch einmal sagt, der Prinz liebt das Gebet?
Er lacht darauf!

Lucrezia                 Er schreckt davor zurück,
Weil wohl er kennt die überird'sche Macht,
Und doch, er wünscht's, wünscht nichts als dieses ein.

Vanozza Prinzeß, Ihr spreizt Euch ganz umsonst vor ihm,
Das kleinste Wort nicht hat er Lust zu geben.

Lucrezia Doch einmal trifft's! Und dann –

Vanozza                                                     Und dann?

Lucrezia indem sie heftig abwinkt und zur Türe weist:   Pst, Mutter!
Daß Ihr mich schont, kein Wort davon verratet!

Sie hat Vanozza den Thron hinaufgeführt und setzt sich nun selbst auf die dem Prinzen zuneigenden Stufen, ohne ein Auge von ihm zu lassen.

Es erscheinen von rechts: Cäsar Borgia mit Marquis d'Estournelles, Kardinal Hipolyt und Graf Isetto. Nachdem sich Cäsar, der ganz in Schwarz gekleidet ist und eine schwere goldene Kette trägt, vor Dschem tief verneigt hat, weist er die Gesandten, die mit dem Ausdruck unverhohlener Neugier ihm folgten, auf den Prinzen.

Cäsar Wohlan ihr Herrn, hochwürd'ger Kardinal,
Und Sohn des edlen Herzogs von Ferrara,
Ihr, Graf Isetto, der nach Rom gesandt
Vom übermächt'gen Königreich Neapel,
Und endlich Ihr, mein Marquis d'Estournelles,
Vertreter des Besiegers aller Sieger,
Des allerchristlichsten Monarchen, der
Sich nennen darf den König der Franzosen,
Ihr steht vor Seiner Kaiserlichen Hoheit,
Steht vor Prinz Dschem, das heißt vor jenem Manne,
Um dessen Dasein sich Legenden bilden,
Vor dessen Gold sich alle Welt verneigt,
Und dessen Haupt – ich sag' durch Gottes Gnade –
Vertrauensvoll sich unserm Schutz empfahl.

d'Estournelles Wahrhaftig, dies Gesicht erkenn' ich wieder.

Cäsar Ihr saht es schon?

d'Estournelles                 Gewiß, erlauchter Herzog,
Zu jener Zeit, da Dschem auf den Kastellen
Als Gast der Johanniter hat gelebt.

Hipolyt Sind zwanzig Jahre schon, da stülpt ein Mensch
Wie allbekannt, Charakter um und Antlitz.

d'Estournelles In einem Punkt nur scheint er mir verändert,
Er schlingt wie toll, so daß man sagen kann,
Was hier durch ihn ward ein geflügelt' Wort:
Der Türk' haut ein als wie des Sultans Bruder.

Cäsar Und wie des Sultans Sohn! Vergeßt es nicht,
Sein großer Vater war der Mahomed,
Der zu Byzanz das Christentum erobert',
Und krumme Säbel niedersausen ließ
Auf jeden, der sich hielt ans Kruzifix.

Isetto lachend: Nun, da seid froh, der tut's nur mit den Zähnen;
Die Pestilenz! Der Mensch frißt wie das Schwein.

Cäsar Ihr habt, mein Graf, auch hier im Vatikan
Die Ausdrucksweise Eures Volkes gewahrt.

Isetto Ihr sagtet selbst, der Prinz versteht kein Wort.

Hipolyt Er spräche einzig seine Muttersprache.

d'Estournelles Und leicht Hebräisch mit dem Arzte.

Cäsar                                                                         Nun,
Wir sind nicht unter uns; auch meine Schwester –
    Er hat nach links gewiesen.

Hipolyt Was? Ihre Hoheit hier?

Isetto                                         Und diese Dame?
    Er hat auf Vanozza gedeutet.

Cäsar hastig: Erst seht Lucrezia!

d'Estournelles                               Zu seinen Füßen?

Cäsar Des Sultans Bruder stellt die Mode dar
In unserer Stadt für Stutzer und für Frauen;
Geht Ihr zum Kapitol, zum Lateran,
Dann trefft Ihr Hunderte von dem Gelichter,
Das ihm zulieb in türk'sche Schals sich kleidet,
Pantoffeln schleift und einen Turban trägt,
Ja, wetten möcht' ich fast den eignen Kopf,
Daß mancher Geck in dieses Affen Haut
Sich nähen möcht', weil er Prinz Dschem gehört.

Isetto Ein seltnes Tier fürwahr, wo kommt es her?

Cäsar Ihn hat der Finder ungeahnter Welten,
Columbus aus Westindien gebracht;
Jetzt steht er da, das Hirn mit Gras gepolstert,
Und gleicht – wem gleicht er doch? — Ei sagt:
Er sieht just aus als wie der Diplomat,
Der heute, dreifach aufgelegt, nach Rom
Gekommen ist, um uns Prinz Dschem zu stehlen.

d'Estournelles Ein scharfes Wort!

Isetto auf Hipolyt weisend:               Es geht auf Euch.

Hipolyt sehr ruhig und gemessen wie immer:                 Wie das?

Cäsar Nun gut, ich nehm's zurück und sag', er gleicht
– Erlaubt, ich geh' ins Kirchliche hinüber –
Dem Prediger, der von uns Tugend fordert.

Hipolyt Fürwahr, so man Euch reden hört, versteht man,
Weshalb an unsrer sturmbewegten Zeit
Auf stets verzweifelte Savonarola.

Cäsar Ehrwürd'ger Kardinal, in Eurer Mission,
Lucrezias Hand zu werben für Alphonso,
Der einst als Fürst Ferrara wird beherrschen,
Nahmt Ihr, es scheint, den Weg auch nach Florenz.

Hipolyt Man kommt nicht wohl daran vorbei.

Cäsar                                                             So wenig
Wie man vorübergeht an den Gesetzen
Der Logik.

Hipolyt             Wie? Was wollt Ihr damit sagen?

Cäsar Daß wir die Staatsräson nicht mitverbrannten,
Da wir des öden Priors von San Marco
Verdorrte Knochen in das Feuer warfen.

Hipolyt Don Cäsar, hört, ich bin und bleib' ein Priester!

Cäsar Das bin auch ich; seit meinem zehnten Jahr
Trag' ich die Würde eines Kardinals
Und legte doch den Grund zum Scheiterhaufen.

Isetto Verzeiht mir, Herzog, das versteh' ich nicht.

Cäsar Dann zieht vom Fischmarkt Eures schmier'gen Hafens
Nach Rom, um dort Historie zu lernen.

Isetto Jetzt aber merkt . . .

d'Estournelles                   Ihr seht in uns Gesandte!

Cäsar Und Ihr in mir, ich hoff's, des Papstes Sohn!

Hipolyt Gewiß.

Isetto                 Indes – –

d'Estournelles                   Erlaubt doch, daß wir reden!

Cäsar Soviel Ihr wollt, doch nimmer geb' ich zu,
Daß Ihr des Vaters heilige Gebote
Mit frevlem Mund erklärt für Narrenstreiche.

Hipolyt Wer tut das?

Cäsar                         Ihr! Doch wahrlich, 's ist vergebens.
Längst trug der Wind in alle Weltenteile
Die Asche jenes geifernden Zeloten,
Und was Prinz Dschem betrifft . . .

d'Estournelles fällt ein:                         So hört ein Wort
Im Namen meines hohen Souveräns,
Im Namen Frankreichs und der Menschlichkeit!

Cäsar Was bittet, was erfleht er von dem Vater?

d'Estournelles Nicht kommt mein Fürst, wie sonst die Fürsten taten,
Des Papstes Roß, den Bügel gar zu halten,
Nicht küßt er in Sankt Peter seinen Fuß,
Er naht sich an der Spitze seines Heers.

Cäsar leichthin: Ich weiß, fünf Meilen hält er vor der Stadt.

d'Estournelles In diesem Augenblick sind's nur mehr drei.

Cäsar wie oben: In einer Stunde nur noch zwei und dann?

d'Estournelles Dann fordert er . . .

Cäsar                                             Ei was? Mein Freund, sagt an!

d'Estournelles Zunächst Ferraras und Neapels Abzug.

Isetto Ha, das ist gut, was meint Ihr, Kardinal?

d'Estournelles Vor allem aber . . .

Cäsar lachend auf Dschem weisend: Dschem! So nehmt ihn Euch!

Isetto Don Cäsar, brav! Ich geb's dem Herrn noch besser,
Spiel' Trumpf auf Trumpf: Den Prinzen will Neapel.

Hipolyt Und glaubt ihn desto sicherer zu wahren?

Isetto Viel besser noch als Ihr, denn Euer Sinn
Geht nur drauf aus, die hochwillkommne Geisel,
Die Henne, die da goldne Eier legt,
Als schwere Mitgift für des Papstes Tochter
Gar möglichst bald zu schleppen nach Ferrara.

Cäsar Respekt, mein Graf, vor Eurer Zungenkraft,
Jedoch, für solch ein schwieriges Geschäft
Hat Euch der Teufel und kein Gott gesandt.

Isetto Derselbe Teufel wohl, den Euer Gott, der Papst
Zu sehen glaubt, wenn er zu Bette geht?

d'Estournelles lachend:
Ist er auch grob, der edle Herr Isetto,
Soviel ich merk': entbehrt er nicht des Witzes.

Cäsar Ihr edlen Herrn, bringt eure Disputation,
Die Teufel, Dschem, und was noch sonst behandelt,
Dem Heil'gen Vater vor in eigener Person.
Der wird in seiner Huld und Weisheit
Entscheiden dann, wo hier das Wahre liegt.
Wird euch den Prinzen geben oder nicht.
Vielleicht die Schwester nach Ferrara senden,
Vielleicht auch hier im Vatikan behalten,
Er wird, wer auf der Welt könnt' es verwehren?
Ihn nach Sankt Peter tragen lassen,
Nach San Giovanni oder Santa Prisca,
Um dort aus ihm 'nen Heiligen zu modeln
Und wird euch gern . . . Er wendet sich zur Türe.
                                      Doch seht, da kommt er selbst.

Unter dem Vorantritt von zwei Kammerherren und vier Hellebardieren erscheint Alxeander VI. in weißseidenem Gewande, den rotsamtenen, pelzverbrämten Kragen um die Schultern gelegt, ein Häubchen aus gleichem Stoffe auf dem Haupte. Er tritt in die Mitte des Saales, die Gesandten verziehen sich nach links, Cäsar nach rechts, das Gefolge nach dem Hintergrund, um dann geräuschlos zu verschwinden. Alles hat sich auf die Knie niedergelassen, auch Vanozza und Lucrezia. Dschem bleibt wie zuerst auf seinem Platze und legt die Arme einige Augenblicke quer über die Brust, indem er das Haupt leicht senkt, dann nimmt er sofort wieder die Gabel und ißt weiter.

Hipolyt noch auf den Knien:
Ferrara neigt sich Eurer Heiligkeit.

Isetto ebenso: Nicht minder tut's der König von Neapel.

d'Estournelles der im Gegensatz zu den andern sich nur auf ein Knie, und das auch nur widerstrebend, gesenkt hat:
Auch Frankreich will den schuld'gen Gruß nicht lassen,
Indes verlangt es, daß –

Alexander winkt ernst ab:       Gemach, erst schaut
Mit mir auf dieses wunderseltne Bild
Und fragt Euch selbst, ob nicht des Jammers Kraft
Weit über Haß und Krieg und Weltenschacher
Ein friedlich Beispiel zur Versöhnung gibt.
    Er hat mit beiden Händen auf Dschem gewiesen.

d'Estournelles indem er sich mit den andern Gesandten wieder aufrichtet:
Des Jammers Kraft?

Alexander nickt:             Mit wohlerwogner Absicht
Befahl ich Euch an diesen Ort, denn da
Vergeht in blödem Fraße wie das Tier
Vor Euerm Aug' des mächt'gen Sultans Sohn.

d'Estournelles Das Mitleid, Herr, ist eine schöne Tugend . . .

Hipolyt Jedoch . . .

Isetto                     Was soll's mit der Gefühlsvergeudung?
Der Prinz, der glaubt doch nicht, ist Muselman.

Alexander Ihr redet, Graf, als wie der Maultiertreiber,
Der zwecklos seine Bestie verprügelt,
Und auf die Frage zur Entschuld'gung sagt:
Das ist kein Christ, der hat ja keine Seele.
Ich aber, merkt, umfaß' mit meinem Herzen
Nicht nur, was Mensch sich nennt: Die Kreatur.

d'Estournelles Wir wissen dieses Mitgefühl zu schätzen.

Isetto Verdoppelt wohl bei Eurer Heiligkeit.

Alexander Ungläubig, sagt: Wer überhaupt glaubt wahr?

Hipolyt So redet der, der Gott vertritt auf Erden?

Alexander So spricht ein Mensch, der siebzig Jahre zählt
Und täglich sich bekreuzt vor dem Gewissen.

d'Estournelles mit unzweideutigem Hohn:
Rodrigo Borgia ist es, der so spricht!

Alexander Graf, wollt Ihr bissig sein, dann meldet heim,
Des Türken Gold, das Euer Herr erstrebt,
Die fünfzigtausend jährlichen Dukaten,
Die Steine, Perlen und die Kronjuwelen,
Die uns der Sultan für den Bruder zahlt,
Erhält er nie.

Isetto lachend zu d'Estournelles:
                      Das sitzt!

d'Estournelles                       Es wär' mir leid,
Wollt Frankreichs Absicht Ihr so nieder schätzen.

Alexander lachend:
Vortrefflich, Ihr verlangt noch mehr?

Isetto                                                         Ha, ha!

d'Estournelles Mein hoher Herr kämpft für die Christenheit;
Der Halbmond auf der Hagia Sofia
Verschafft ihm Pein und treibt ihn nachts vom Lager.
Drum schrieb den Heiland er auf sein Panier
Und trägt ihn vor, wie einst ihn Peter trug,
Begeistert vor den Scharen seiner Ritter:
Gott will es, Gott! So ist sein Spruch, und Dschem
Verlangt er lediglich als Geisel.

Isetto In diesem Sinne eint er sich mit uns.

Hipolyt                                                         Und auch mit mir.

Isetto Ei, Hipolyt, Ferraras ew'ger Werber,
Was wollt Ihr denn? Ihr habt ja keine Macht,
Kaum hundert Mann sind's, die mit Euch gekommen,
Und was für welche? 's ist zum Schweißaustreiben:
Bediente, Sattelknechte und Friseure,
Doch keine Truppen.

Hipolyt                             Die, mein werter Graf,
Ersetzt ein ganz besondrer Trumpf.

Isetto                                                       Der ist?

Hipolyt Ich schweige und ich warte.

Alexander                                         Immerzu!
Das ist das Beste, was Ihr tun könnt.
Gleichmäßig ziert Geduld die Menschenkinder.

d'Estournelles Ganz wie's dem Kardinal beliebt.
Ich aber wiederhol', was ich gefordert.
Was sagt Ihr drauf?

Alexander hat sich im Saale umgesehen und weist jetzt auf Lucrezia. Diese streut, ohne sich um die Anwesenden zu kümmern, aus der goldenen Schale die weißen Rosen auf die Treppe vor dem Prinzen, der bis jetzt gemächlich weiteraß, während der nun folgenden Szene sich aber auf das Kissen zurücklegt und langsam einzuschlafen scheint:
                                  Was ich Euch sage? Schaut!
Schaut auf Lucrezia! Ist sie nicht reich
In ihrer Jugend Glanz und höchster Fülle,
Geschaffen, zu beglücken und zu geben?

d'Estournelles Sonst wißt Ihr nichts?

Isetto                                                   Ihr wollt uns gar verhöhnen?

Alexander Fern liegt mir Spott, wenn ich der Schönheit huld'ge.

Cäsar Auf, auf, ihr Herrn, ergeht euch in Terzinen,
Stimmt Herz und Sinne fröhlich zum Sonett,
Singt doch der Papst in eigener Person
Der Tochter Lob, als wie Petrarca sang,
Wenn die Geliebte er begrüßte.

Alexander                                         Sei's!
Madonnenhaft steht in dem Bild vereint,
Wozu als Vater und als Mann der Kraft,
Der ungebrochnen, heiteren Gemütes
Ich täglich richte mein Gebet als wie
Zu Gott ich bete, daß er mich erleuchte.

d'Estournelles Dies Eure Antwort, Papst, auf meine Frage?

Alexander Ihr hörtet sie.

Isetto                               Als Euer letztes Wort?

Hipolyt Unmöglich, Heil'ger Vater.

Alexander                                       Doch

d'Estournelles                                           Nun dann,
Dies Rom und ganz Italien ist reif,
Fast überreif zum Untergang, drum hört:
Nur eine Stunde noch, und Eure Stadt
Soll eine Schlacht in ihren Mauern seh'n,
Wie seit den Goten sie nicht ward erlebt.

Isetto Bedenkt!

Hipolyt               Ihr steht entblößt von jeder Hilfe.

d'Estournelles Seid Papst gewesen, wenn Ihr Nein verkündet!

Cäsar Uns solch ein Wort! Jetzt Vater, sprecht!

Während dieser letzten Szene hat sich der Arzt, nachdem er sich vom Schlummer Dschems überzeugt hat, durch die Geheimtüre entfernt. Giovanni Sforza dagegen hat sich unbemerkt in zerlumpter Kleidung von rechts in den Saal geschlichen und im Hintergrund gehalten. Jetzt platzt er mit gellendem Gelächter los:

                                                                    Ha, ha!

Vanozza Allmächt'ger Gott!

d'Estournelles                       Wer ist der Mensch?

Isetto                                                                       Der Bettler?

Sforza Ein Bettler? Ja, so sticht's wohl in die Augen.
Jedoch vernehmt, ich bin Giovanni Sforza,
Der thronentsetzte Herzog Pesaros,
Der erste fluchbeladene Gemahl
Von dieser da. Er hat auf Lucrezia gewiesen.

Hipolyt                   Herr steh' uns gnädig bei!

Sforza Und der Vanozza regelrechter Schwieger.

Isetto Das ist die vielgenannte Frau?

d'Estournelles                                     Die Mutter?
Don Cäsars und Lucrezias?

Hipolyt                                       Sie?

Alexander Sind keine Wachen mehr im Vatikan,
Die uns vor solch verwegnem Einbruch schützen?

Cäsar Nein, er soll reden frei und ungestört;
Kein Licht der Welt, das wir zu scheuen hätten.

Sforza Dann will ich Tausende von Opferkerzen
Entzünden vor der Krypta von Sankt Peter
Bis hier herauf, damit ihr Glanz bestrahle
Die grauenvollsten Taten des Jahrtausends.

Cäsar Ihr nehmt den Mund gar voll.

Sforza                                             Ja, Bluthund, du!
Wer hat geschändet Gottes Thron auf Erden
Mit seinem Namen, der zum Himmel schreit,
Mit seinem Gold, das er der Not erpreßt,
Mit seinem Wort, das eitel Lüge heißt?
Dein Vater tat's, und wer, so frag' ich weiter,
Ließ abgeschlachtet wie das Vieh, den Bruder
Don Gandia, des Papstes Lieblingssohn,
Zu nächt'ger Stunde in den Tiber schleudern?

Vanozza immer noch an dem Thron, verhüllt ihr Haupt:
Giovanni, nicht!

Sforza                       Wer hat den zweiten Gatten,
Den Herzog von Biseglia mit eigner Hand
Im Ehebett erdrosselt, und wer hat
Giovanni, mir, dem unbesiegten Manne,
Vor dessen Kraft der Malatesta floh,
Und jedes Eisen brach im Griff entzwei,
Den schlimmsten Schimpf auf Haupt und Haus geschleudert,
Daß kein Gebet ihn wieder heben kann?
Du warst es, du und sie, die Engelgleiche, Er hat auf Lucrezia gewiesen.
In deren Haut sich nicht ein Fältchen zeichnet,
Wenn rings herum die Scheiterhaufen lodern,
Und dicke Ströme des vergoßnen Blutes
Herniederstürzen auf ihr seidnes Kleid,
Sie, die noch täglich meinen Schlaf umgaukelt,
Trotzdem ich täglich sie zur Hölle fluche.
Dies Weib, das, hört es wohl, die Dirne ist
Des eignen Vaters wie des eignen Bruders.

Isetto Daß Euch die Zunge nicht verfaule!

d'Estournelles                                             Wie?

Hipolyt Was lästert Ihr?

Sforza                             Ihr wißt's genausogut
Wie jeder Mensch und ich.

Cäsar                                         Seid Ihr am End?
Dann laßt von mir Euch einen Rat erteilen.
Vor Eurer Kraft, so meint Ihr, brach das Eisen
Zu Nichts entzwei, als wie der Malatesta?
Belegt, beweist uns das vor allem Volk,
Holt nach, was in der Brautnacht Ihr versäumt,
Mit einer Jungfrau, die's nach Euch gelüstet;
Und ich, mein hoher Vater samt der Schwester
Sind gern bereit, voll Buße zu bereuen,
Vorausgesetzt, Ihr leistet, was wir wünschen.

Sforza Fluchwürd'ger Hohn!

Cäsar                                       Bei Ihr, der Unbefleckten,
Beschwör' ich's, wie's Lucrezia beschwört.
Da, diese Herren sollen Zeugen sein!

Isetto finster: Sucht andere!

Hipolyt                                 Gewiß, wir sind nicht hier,
Um Eideshelfer abzugeben.

d'Estournelles                           Nein.
Deshalb zum letztenmal an ihn, den Papst:
Gebt Ihr ihn her, den Prinzen, oder nicht?

Sforza Er tut's, jedoch zuvor muß Dschem das Gift
Der Borgia nehmen, jene grause Mischung,
Die schmeckt am ersten Tag wie süßer Schaum,
Gemengt mit köstlichem Falernerwein,
Um dann am dritten unter Höllenqualen
Die Brust, die Därme jählings zu zerreißen.

d'Estournelles Die Antwort uns!

Isetto                                           Die gültige!

Cäsar indem er auf Alexander weist:                   Vernehmt!

Alexander ringt nach Worten, während er langsam die Stufen zum Thron hinaufsteigt:
Ihr meint, jetzt sei der rechte Augenblick,
Von uns zu fordern, weil's den Anschein hat,
Als stünden klein, erniedrigt wir vor Euch,
Als ob der Biß getroffen hätte tödlich,
Mit dem die Natter unser Sein bedroht?
Nein, Herr Gesandter, Euer König komme,
Er reite durch das ganze Rom zu mir,
Die Brücke her bis zu der Engelsburg;
Ich will dort oben auf der Zinne stehen
Und ihm entgegenschleudern als sein Gott:
Den Kreuzzug predigst du, jedoch in Wahrheit
Kommst du, zu morden und zu stehlen.

d'Estournelles                                             Was?

Alexander weist auf das Kruzifix beim Throne:
Hier, den Gekreuzigten trug Urban vor,
Und mit ihm zog zum Heil'gen Grab der Glaube.
Das war der Papst, den Gottes Hand erkor,
Und seinem Wort entsproß die junge Saat,
Das war der Papst, er gab die neuen Schwingen
Dem Adler des Apostels übers Meer;
Das ist der Papst, er heiße wie er wolle,
Der neu befiehlt, wenn's ihm gemessen scheint,
Und einzig sagt, wann Ihr zum Grabe pilgert.

d'Estournelles Den Kreuzzug? Ihr?

Isetto                                               Das stünd' Euch wahrlich gut.

Hipolyt Dies, Heil'ger Vater, nicht!

Sforza                                               Er predigt ihn,
Zuvor jedoch, ich künd' es noch einmal,
Ermordet und verschachert er den Türken.

Cäsar Wenn's daraufging', das könnt' er heute noch!
Ihr fragt? Ihr staunt? Nun denn, ich bin bereit,
Euch den Beweis mit voller Kraft zu geben.

Alexander Mein Sohn, du willst?

Cäsar                                             Mich ekelt dies Gezeter,
Drum überzeugt Euch selbst.

Er hat hinausgewunken. Vier türkische Diener tragen in gemessenem Schritt einen Sarg mit einem Glasdeckel herein, den sie der Länge nach vor die Stufen der Estrade stellen.

d'Estournelles                             Ein Sarg?

Isetto                                                             Für wen?

Cäsar Für Dschem!

Sforza                       Was sagt' ich Euch!

Isetto                                                         Ein Mord?

Lucrezia die bis jetzt um alles Rosen gestreut und dem Prinzen zugelächelt hat, fährt leicht in die Höhe:
                                                                                Wer spricht?

Cäsar Schön Schwesterchen, hab' keine Angst um ihn,
Es ist ein Spiel, sonst nichts.

d'Estournelles                               Komödie!

Cäsar Sehr gut, Marquis, doch gebt mir freundlichst zu,
Auf dem Theater wie im Leben gibt's
Ein Hin und Her, ein stetes Auf und Nieder.
Drum horcht auch hier recht sorgsam auf die Fabel:
Legt da der Papst den Prinzen Dschem hinein
Und sendet ihn, von Kopf zu Fuß verpackt,
Mit Spezereien vollgepfropft dem Bruder,
In Glas und Seide sorgsam eingebettet,
Dann mag Neapel, Frankreich und Ferrara
Auf allen vieren nach Sankt Peter kriechen,
Der Bajazid, der Sultan geht mit uns!

d'Estournelles Mit Euch?

Hipolyt                             Ihr scherzt!

Isetto                                                   Ein Bündnis mit dem Türken?

Cäsar Zum Schluß und Trutz geschlossen gegen jene,
Die um ein Büchschen Salz ihr Vaterland
Italien dem Fremden schnöd' verkaufen.

Hipolyt Das uns?

Cäsar                   Das Euch, denn Ihr kämpft gegen Rom!

Isetto Ihr nennt Italien Euch und handelt mit Byzanz?

Cäsar Ein Spiel, ihr Herrn, wie könnt's auch anders sein?
Der Prinz bleibt unser hochgeschätzter Gast,
Er ißt, er schläft, er trinkt, ganz nach Belieben,
Doch noch einmal: Ein Wink von uns, und morgen
Verankern sich in Ostia die Galeeren,
Vom Halbmond nach Italien gesendet.

Isetto zum Papst:
Und was sagt Ihr?

Alexander                     Ich weiß von nichts.
Cäsar                                                       Von nichts?
Zu alledem dreihunderttausend Pfund
In barem Gold ist man bereit zu geben,
Schafft Ihr den läst'gen Bruder aus der Welt.
Das nennt Ihr nichts? Ihr seid sehr unbescheiden!

d'Estournelles Oh, Höllenschmach, wie nie sie ward erlebt!

Hipolyt zu Alexander:
Der Sultan wagt's? Er bietet Euch das Geld
Wie dem Banditen, der da lauern soll?

d'Estournelles Rechtfertigt Euch!

Hipolyt                                         Sagt nein!

Isetto                                                             Und widerruft!

Alexander Glaubt was ihr wollt, ich schließ' die Audienz.

Isetto So schreit denn Mord!

Hipolyt mit erhobenem Zeigefinger: Auch ich erheb' die Stimme!

d'Estournelles Genug! Von dieses Alexanders Macht
Wird morgen, wenn er Frankreich widerstrebt,
Kein Marmorstein mehr auf dem andern stehn.

Er eilt mit gezücktem Degen hinaus, Isetto und Hipolyt folgen erregt.


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