J. J. Rudolphi
Schneeglöckchen
J. J. Rudolphi

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Der Goldkäfer

In einer leeren Haselnußschaale, in die eine Maus ein Loch gebissen hatte, lebten einst zwei Käfer, die Mutter und der Sohn. Lange Zeit hatten sie sich mit dem düstern Aufenthalt begnügt, und hatten friedlich zusammengewohnt; aber endlich ward es dem Söhnchen zu eng in der kleinen Wohnung. »Mutter,« sprach der junge Käfer zum alten Käfer, »gebt mir ein Reisekleid; ich will in die Welt gehen, und mir ein eigenes Haus suchen, es gefällt mir hier nicht mehr.« »Bedenke wohl mein Sohn, was du thust,« sprach der alte Käfer, »und verachte nicht das, was du gewiß hast. Freilich, ich gestehe es, unsere Wohnung ist etwas unbequem und eng, aber wenn wir uns ordentlich eintheilen, so haben wir beide Platz. Sie ist auch keineswegs schön gelegen hier in der dichten Hecke, unter dem feuchten Laub, und die Sonne, ich will vom Mond gar nicht reden, muß schon recht hell scheinen, wenn sie uns zur Hausthüre herein leuchten will. Aber wohnen wir nicht sicher? Der Regen dringt nicht zum Dache herein, und der Sturm geht über uns hinweg. Freilich haben wir eine schlechte Aussicht, aber wie wäre es, wenn unser Haus draußen im Freien an der Straße läge? Wie leicht könnte es beschädigt werden? Darum bedenke, was du thust; ohne Zweifel wirst du viel schönere Wohnungen finden, als die unsrige ist, aber glaube nicht, daß alles, was schön und angenehm ist, auch Dauer hat, und Schutz gewährt. Ich fürchte, du wirst einmal durch Schaden klug werden.« »Das wüßte ich doch nicht,« sagte der junge Käfer, »die Welt ist groß, und ich traue mir so viel Einsicht zu, um unterscheiden zu können, was für mich paßt oder nicht. Ich hoffe im Gegentheil euch selbst von meinem guten Geschmacke zu überzeugen, und euch aus diesem düsteren Gefängniß zu erlösen.«

»Ich wünsche dir alles Glück, mein Sohn,« sprach der alte Käfer, »und wenn du durchaus dein Vorhaben nicht ändern willst, so kann ich nichts anderes thun, als dich ziehen lassen.« Darauf zog er ihm ein neues, goldglänzendes Röcklein an, und nachdem er sein liebes Söhnlein noch einmal geküßt, und von ihm Abschied genommen hatte, flog dieser fort.

Nicht weit von seiner Heimath floß eine klare Quelle aus einem Felsen, da setzte sich der junge Goldkäfer auf einen Zweig, der über das Wasser hinragte, und sah hinab und betrachtete mit Wohlgefallen seine schöne Gestalt und den Goldglanz seiner Flügel in dem spiegelnden Wiederschein des Wassers. Er fühlte zum erstenmal die Regungen der Eitelkeit, und begann, eine sehr hohe Meinung von sich zu fassen. »Ich will mir ein Haus suchen, sagte ich zu meiner Mutter, ja, das will ich thun, aber es muß ein Haus seyn, das meiner würdig ist, keine so einfältige Haselnußschale, die kein Mensch ansieht, wenn sie da liegt im feuchten Laube – es muß schön gebaut seyn, hoch gelegen und von Wohlgerüchen umduftet, und gebaut für die Ewigkeit.« Mit dem festen Vorsatz, nicht eher sich niederzulassen, als bis er ein Haus, seiner würdig, gefunden hätte, flog er davon, und kam bald in einen großen schönen Garten, in dem die schönsten Blumen von allen Farben und Gestalten blühten. »Da will ich mir einmal ein Haus suchen,« sprach er, »so schön, wie noch kein Goldkäfer eines bewohnt hat!« Er flog darum auf alle Blumen, und setzte sich auf die Blätter, und schaute herum, aber keine dünkte ihm schön genug. Da sah er, daß in einem Glashause noch einen neuer Garten war von seltsamen ausländischen Gewächsen, Bäumen und herrlichen Blumen. Er kroch darum unter dem Fenster hinein, und sah um sich und verwunderte sich über die Pracht und Anmuth der seltenen Pflanzen. Unter allen Blumen aber gefiel ihm eine besonders. Sie war auf einer sonderbaren Pflanze gewachsen, die fast wie ein behaarter Stock an einem kleinen Pfahle befestigt war, und wenig Angenehmes an sich hatte. Aber ganz oben war eine Blume hervorgewachsen, die übertraf an Schönheit alles, was er je gesehen hatte. Von einem Kelch, der aus hundert grünen, spitzigen Blättchen bestand, rings umschlossen, bildete sie ein hohles Haus, aus dem ein langer Büschel weißer Staubfäden sich hervorstreckte, und einen köstlichen Geruch ausduftete. Sie stand auf der höchsten Stufe eines Gestelles allein, und alle anderen Blumen standen unter ihr, und schienen ihre Dienerinnen zu seyn. »Das muß die Königin der Blumen seyn!« sprach der Käfer, »ich werde sie mir zur Wohnung wählen.« Er flog daher auf sie hin, und ging auf ihren Staubfäden, wie auf einer Brücke hinein. Es war eine herrliche Wohnung, groß und schön gewölbt, und von den feinsten reizendsten Wohlgerüchen. Der Käfer konnte sich nicht genug über ihre Pracht wundern, und sein Glück preisen, eine so herrliche Wohnung zu besitzen. Er breitete seine Flügel aus, und wiegte sich auf den zarten, spitzen Blättern, und sprach voller Freuden bei sich: »O, wie bedaure ich meine Mutter, die in einem so schlechten Hause leben muß! O, wäre sie hier, was sollte sie sich wundern? Wie groß, wie geräumig ist meine Wohnung. Wie schön ist sie gewölbt? Da kann kein Regen mir schaden, und kein Sturmwind mich berühren.« Er fuhr fort, sein Glück zu preisen, und herrliche Pläne für die Zukunft zu entwerfen. Endlich ward es Nacht, und er schlief ein, so sanft, wie er in seinem Leben noch nie geschlafen hatte.

Er träumte von allen Herrlichkeiten, von denen ein Goldkäfer träumen kann, und wachte nicht eher auf, als bis die Sonne zum Fenster hereinschien und summende Fliegen ihn aus seinem süßen Schlummer weckten. Er sag um sich her, aber es war alles viel anders, als es gewesen war. Die zarten Blätter waren verwelkt, und hingen schlaff herab, die schönen langen Staubfäden waren zusammengeschrumpft, und der köstliche Duft war fast verschwunden. Er konnte nicht begreifen, wie das zugegangen sey; er glaubte, er täusche sich, und rieb die Augen aus, aber die herrliche Königsblume war verwelkt, ihre Blätter senkten sich mehr und mehr, und er mußte fürchten, daß sie ihn ganz einschließen möchten. Er schlüpfte darum heraus, und sah sich traurig um; da kam der Gärtner, und schnitt die verwelkte Blume ab, und warf sie auf den Boden zu andern Blättern, die rings herum zerstreut da lagen. Dann nahm er die Pflanze, an der die Königsblume gewachsen war, und setzte sie in ein Eck auf ein Brett, wo sie unscheinbar unter den andern da stand.

»Meine Mutter hat doch recht gehabt!« sagte der Goldkäfer zu sich selbst; »schön war sie, die Wohnung, aber die Herrlichkeit war doch gar kurz. Aber ich weiß, woran es liegt. Das sind lauter ausländische Gewächse, die hier in diesem Hause gezogen werden, die haben keine Kraft und Dauer. Aber ich will hinausgehen ins Freie, wo die Blumen ohne Pflege blühen, dort will ich mir ein Haus suchen.«

Damit flog er durch ein geöffnetes Fenster hinaus, und flog über den Garten auf einen hohen Berg, dort stand ein wilder Rosenstock, und eine weiße Rose entfaltete eben ihre Blätter in den warmen Strahlen der Sonne, und hauchte ihren natürlichen Wohlgeruch aus. »Die Rose ist eine Königin der Blumen, das habe ich oft sagen hören,« sprach er, »sie soll meine Wohnung seyn.« Er flog ohne Umstände hinein, und setzte sich in ihre Mitte. Je höher die Sonne am Himmel stieg, desto mehr bogen sich die Blätter zurück, kam aber eine dunkle Wolke an den Himmel, oder strich ein rauher Wind über die Haide daher, so schien sie ihre Blätter zurückzuziehen, und ein schützendes Dach über ihm zu bilden.

»Das ist eine herrliche Wohnung,« sprach der Käfer, »sie ist freilich nicht so groß, wie die vorige, nicht so zart, und auch nicht ganz so wohlriechend, aber wie schön weiß sie sich nach dem Wetter zu richten, wie aufmerksam ist sie für ihren Gast? Ich bin überzeugt, sie wird heute Abend sich schließen und morgen früh, wenn die Sonne kömmt, die Hausthüre wieder öffnen.« Er hatte ganz richtig vorhergesagt; als es Abend ward, bogen sich die Blätter zusammen, und schlossen sich endlich ganz zu. Der Käfer legte sich ganz zufrieden zu Bette, Wie er am andern Morgen erwachte, und die Sonne an den Himmel kam, schloß sie nach und nach ihre Blätter wieder auf, und der Käfer flog heraus und summte sein Morgenlied, so fröhlich wie er's noch nie gesungen hatte.

Noch eh es Abend ward, kam er nach Haus; »ich will sie nicht warten lassen,« dachte er, »sie wird die Thüre bei Zeit schließen.« Er war noch nicht lange zu Haus, da ging die Sonne unter, und die Rose schloß ihre Blätter wie am vorigen Abend, und da der Goldkäfer immer in der Meinung war, es geschehe aus Sorgfalt für ihn, so schlief er so zufrieden und selbstgefällig ein, daß er mit keinem Käfer in der ganzen Welt getauscht haben würde.

So ging es ein Paar Tage, und der Goldkäfer fing wieder an, die kurzsichtige Bedachtsamkeit seiner Mutter zu bedauern. »Ich begreife nicht, wie sie nur so eigensinnig an ihrer elenden Wohnung in der engen Hasselnußschaale hängen mag? Kann man schöner wohnen als ich? Jetzt bleibe ich noch ein Paar Tage hier, um mich lustig zu machen, dann will ich heim gehen, und meine Mutter holen; sie soll mit meinem Geschmacke zufrieden seyn, und mein Glück mit mir theilen.« Er that wie er gesagt hatte, flog noch ein Paar Tage im Sonnenschein umher, aß und trank und schlief in der Nacht in seiner gesicherten Wohnung. In der dritten Nacht aber erhob sich ein starker Wind, und braußte durch den Rosenstock mit stürmischer Wuth. Anfangs freute sich der Käfer, daß er so schön in den Schlaf gewiegt wurde; als aber der Sturm ärger tobte, und ein gewaltiger Platzregen vom Himmel stürzte, da ward ihm angst um sein schönes Haus. Und er fürchtete nicht ohne Grund, denn ein starker Windstoß riß die Blätter ab, und der Regen strömte hinein, so daß der Käfer sich festhalten mußte, um nicht herausgeschwemmt zu werden. Endlich riß der Wind alle Blätter los und warf den Käfer aus der Rose hinaus. Er breitete eilig seine Flügel aus und ward vom Winde weit hinweggeführt, bis er endlich auf einer weiten Haide niederfiel. In der dunklen Nacht wußte der arme Käfer nicht, wo er hin sollte; er kroch lange auf dem Boden umher, bis er endlich unter einem Steine eine dürftige Zuflucht fand. Er kroch darunter, und erwartete den Tag.

Als der Morgen anbrach, und Sturm und Regen sich gelegt hatte, kroch er hervor auf den Stein, und trocknete sein beschmutztes Röcklein. »Was soll ich jetzt anfangen,« sprach er bei sich, »mein kurzes Glück ist mir schrecklich verbittert worden. Ach, meine Mutter hat doch recht gehabt, als sie sagte, ich solle nicht auf das Schöne, sondern auf das Dauerhafte sehen! Aber soll ich wieder nach Hause gehen! Nein, da müßt ich mich schämen! Was würde meine Mutter sagen? wie würden mich die Kameraden auslachen? Besser such ich mir ein anderes Haus.«

Er flog nun lange auf der Haide umher und gewahrte endlich eine Strohblume, die ihre dürren stachlichen Blätter eben ein wenig öffnete, denn die Sonne stand schon hoch, und hatte die Feuchtigkeit aufgetrocknet. Er schlüpfte mit vieler Mühe hinein und rüttelte und schüttelte so lang, bis er die innersten Blätter ein wenig aus einander gedrückt hatte. »Es ist freilich ein schlechtes Bett,« sagte er, »aber es scheint doch dauerhaft und fest, das wird so leicht kein Sturm zerreißen.« Und er hatte sich nicht geirrt. Denn wenn ein Regen oder ein Sturm kam, so schloß sie ihre Blätter fest zu, und kein Wind war im Stande, sie zu zerstören.

Der Käfer gewöhnte sich in wenigen Tagen an seine neue Wohnung, und ward endlich recht zufrieden. »Freilich wohne ich nicht so bequem, wie in der Rose,« sprach er, und seufzte dabei; »die Blätter sind gar zu stachlich und hart, und an Wohlgerüche darf ich nicht denken; aber ich wohne doch sicher und frei. Seht doch, die Sonne scheint so lustig in mein Kämmerlein, und seh ich zum Fenster hinaus, so liegt die Welt vor mir ausgebreitet, und fliegt eine Mücke oder ein Schmetterling an mir vorüber, so denkt er, seht doch, wie sitzt der Goldkäfer so zufrieden in seinem Nestchen!«

Er hatte einige Zeit so zufrieden mit sich selbst gesprochen, da kam ein seltsames Thier über die Haide daher geschritten; es war grau, hatte einen dicken haarigen Kopf und ein Paar lange Ohren saßen daran, die es bald vor- bald rückwärts beugte. Es suchte auf dem Boden das sparsame Gras und die Disteln, die kümmerlich hier und da zwischen den Steinen hervorwuchsen. Der Goldkäfer sah ihm lange zu, und prieß sich glücklich, daß der Esel nur Gras und gemeine Disteln fresse. Endlich aber sah er die Strohblume. Er biß sie ohne Umstände ab, und fing an, sie mit seinem scharfen Gebiß zu zermalmen. Der Goldkäfer gerieth darüber in einen solchen Schrecken, daß er bewußtlos aus der Blume heraus und auf den Boden fiel. Als er wieder zu sich kam, sah er das schreckliche Thier noch in seiner Nähe, was ihn auf's Neue so erschreckte, daß er eilig davon flog, und nicht eher ruhte, als bis er zu Hause war. Seine Mutter saß eben vor der Thüre, und wunderte sich nicht wenig, ihr liebes Söhnlein, das auf ewig Abschied von ihr genommen hatte, so bald wieder zu sehen. Aber er sprach kein Wort, sondern kroch eilig durch die enge Thüre in die Hasselnußschale. »Nun, wie ist es dir denn gegangen, mein lieber Sohn,« sprach der alte Käfer, »erzähle mir doch« »Ach, ich bitte euch tausendmal um Vergebung,« sagte der junge Käfer; »es ist mir sehr schlecht gegangen.« Darauf erzählte er ihr seine ganze Geschichte, und sprach zuletzt: »Möchten sich doch alle dadurch warnen lassen, die wie ich, das bescheidene Gewisse verachten, und unklug nach dem glänzenden, aber gefahrvollen Ungewissen streben. Aber durch Schaden wird man klug!«


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