Jean-Jacques Rousseau
Rousseau's Bekenntnisse. Zweiter Theil
Jean-Jacques Rousseau

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1747 – 1749

Dieser letzte Mißerfolg raubte mir vollends den Muth. Ich gab alle Pläne auf Emporkommen und Ruhm auf, und ohne fernerhin an wahre oder eingebildete Talente zu denken, die mir ein so dürftiges Durchkommen gewährten, wandte ich jetzt Zeit und Mühe nur darauf an, mir meinen und Theresens Unterhalt zu erwerben, es ganz denen anheimstellend, welche dafür zu sorgen übernommen hatten. Ich schloß mich deshalb völlig an Frau Dupin und Herrn von Francueil an. Dies versetzte mich nicht in großen Ueberfluß, denn mit acht- bis neunhundert Franken jährlich, die ich in den beiden ersten Jahren bezog, vermochte ich kaum meine dringendsten Bedürfnisse zu befriedigen, da ich genöthigt war, mir in ihrer Nachbarschaft in einem ziemlich theuren Viertel ein möblirtes Zimmer zu miethen und am äußersten Ende von Paris, hoch oben in der Rue Saint-Jacques, eine andere Miethswohnung zu bezahlen, nach der ich mich in jedem Wetter fast alle Abende zum Abendessen begab. Ich arbeitete mich bald in meine neuen Beschäftigungen hinein und fand sogar Geschmack an ihnen. Ich trieb eifrig Chemie, hörte mit Herrn von Francueil darüber mehrere Vorlesungen bei Herrn Rouelle, und nun machten wir uns daran, über diese Wissenschaft, deren Anfangsgründe wir uns kaum angeeignet hatten, wohl oder übel Papier zu beschmieren. Im Jahre 1747 brachten wir den Herbst in der Touraine und zwar im Schlosse Chenonceaux zu, einem ehemals königlichen Palast am Cher, von Heinrich II. für Diana von Poitiers erbaut, deren verschlungene Namenszüge man noch heute an demselben bemerkt. Jetzt befindet es sich in den Händen des Herrn Generalpächters Dupin. An diesem schönen Orte unterhielt man sich ausgezeichnet, und da man dort zugleich sehr gut speiste, wurde ich feist wie ein Mönch. Man trieb viel Musik. Ich componirte mehrere Trios für Singstimmen, die ziemlich melodienreich waren, und auf die ich vielleicht in meinem Supplementsbande zurückkommen werde, wenn ich je einen solchen schreiben sollte. Auch Komödie wurde gespielt. Ich schrieb in vierzehn Tagen eine in drei Akten, der ich den Namen »Das unüberlegte Versprechen« gab. Das einzige Verdienstliche an ihr, die man unter meinen Papieren finden wird, ist die ausgelassene Heiterkeit, die durch dieselbe weht. Noch andere kleine Stücke schrieb ich daselbst, unter andern eines in Versen, »Die Allee der Sylvia«, nach dem Namen einer Allee, die sich im Parke an dem Ufer des Cher dahinzog. Durch alle diese vielfachen Beschäftigungen erlitten aber weder meine chemischen Studien noch meine für die Frau Dupin anzufertigenden Arbeiten Unterbrechung.

Während ich in Chenonceaux dick wurde, ging mit meiner armen Therese in Paris dieselbe Veränderung, wenn auch auf andere Weise, vor sich, und als ich zurückkam, fand ich das Werk, das ich in diesem Berufszweige geleistet hatte, weiter vorgerückt, als ich geglaubt. In Anbetracht meiner Lage würde mich dies in unendliche Verlegenheit versetzt haben, wenn mir nicht meine Tischgenossen den einzigen Ausweg, der mich ihr entreißen konnte, gezeigt hätten. Ich habe etwas so Wichtiges zu bekennen, daß ich nicht einfach genug dabei zu Wege gehen kann, weil ich mich durch irgend eine erläuternde Erklärung der zu berichtenden Thatsache entschuldigen oder anklagen müßte und ich hier weder das Eine noch das Andere thun darf.

Während Altunas Aufenthalt in Paris nahmen wir, er und ich, unser Mittagsessen nicht bei einem Speisewirthe, sondern gewöhnlich in unserer Nachbarschaft ein, der Sackgasse der Oper fast gerade gegenüber, bei einer Frau La Selle, der Gattin eines Schneiders, deren Tisch, so dürftig sie uns auch abspeiste, trotzdem wegen der guten und unverdächtigen Gesellschaft, welche sich an ihm zusammenfand, gesucht war. Es wurde nämlich kein Unbekannter zugelassen; man mußte durch einen der regelmäßigen Tischgäste eingeführt werden. Der Comthur von Graville, ein alter Wüstling voller Höflichkeit und Geist, aber demungeachtet ein unverwüstlicher Zotenreißer, wohnte daselbst und zog eine ausgelassene und glänzende Gesellschaft von jungen Gardeofficieren und Reitern der adligen Leibwache dorthin. Der Comthur von Nonant, Beschützer aller Opersängerinnen und Tänzerinnen, brachte wieder täglich alle Neuigkeiten aus der Theaterwelt hin. Die Herren Duplessis, Oberstlieutenant a. D., ein gutmüthiger und bescheidener Greis, und Ancelet,Dieser Herr Ancelet war es, dem ich ein in meiner gewöhnlichen Manier geschriebenes kleines Lustspiel, »Die Kriegsgefangenen« gab. Unmittelbar nach den Niederlagen der Franzosen in Bayern und Böhmen verfaßt, wagte ich es weder zu zeigen noch mich zu demselben zu bekennen, und zwar aus dem eigentümlichen Grunde, weil der König, Frankreich und die Franzosen vielleicht nie mehr und aufrichtiger gelobt worden sind als in diesem Stücke, und weil ich als Republikaner und anerkannter Unruhstifter nicht das Herz hatte, mich als Lobredner einer Nation zu bekennen, deren sämmtliche Grundsätze den meinen zuwiderliefen. Ueber die Unglücksfälle Frankreichs mehr betrübt als die Franzosen selbst, hegte ich Besorgnis, man könnte die Beweise einer aufrichtigen Liebe, deren Entstehen und Grund ich bereits im ersten Theile angeführt habe, mir als Schmeichelei und Gemeinheit auslegen, und schämte mich deshalb, sie zu veröffentlichen. Officier bei der adligen Leibwache, erhielten dort unter diesen jungen Leuten eine gewisse Ordnung. Auch Großhändler, Banquiers, Lieferanten kamen dorthin, aber nur gebildete und anständige, kurz nur solche, die in ihren Kreisen eine hervorragende Stellung einnahmen, wie Herr von Besse, Herr von Forcade und andere, deren Namen ich vergessen habe. Mit einem Wort: man sah dort nur Leute von guter Gesellschaft, alle Stände waren vertreten, nur Abbés und Juristen habe ich dort nie gesehen, und es war ein Übereinkommen, sie nie einzuführen. Diese ziemlich zahlreiche Tischgesellschaft war sehr heiter, ohne in Lärm auszuarten, und trieb allerlei Possen, ohne sich Gemeinheiten zu erlauben. Der alte Comthur verlor bei aller Schlüpfrigkeit seiner Erzählungen doch nie den geschmeidigen Ton des früheren Hofmannes, und nie entschlüpfte seinem Munde ein anstößiges Wort, wenn es nicht so drollig gewesen wäre, daß es selbst Frauen verziehen hätten. Er war für die ganze Gesellschaft tonangebend; alle diese jungen Leute erzählten ihre galanten Abenteuer in eben so freier wie anmuthiger Form, und an Geschichten von Mädchen fehlte es um so weniger, als ein förmliches Waarenlager von ihnen unmittelbar vor der Thür lag, denn von demselben Flure aus, der zu Frau La Selle führte, gelangte man auch in den Laden der Frau Duchapt, einer berühmten Modehändlerin, die damals sehr hübsche Mädchen beschäftigte. Diesen Laden pflegten unsere Herren vor oder nach dem Essen zu besuchen, um mit den Mädchen zu plaudern. Ich würde mich dort ebenso wie Andere unterhalten haben, wenn ich muthiger gewesen wäre. Ich brauchte nur wie sie einzutreten, wagte es aber nie. Auch nach Altunas Abreise aß ich ziemlich häufig bei Frau La Selle; dort hörte ich eine Menge sehr lustiger Anekdoten und nahm auch allmählich, zwar dem Himmel sei Dank nicht die Sitten, aber doch die Lebensregeln an, die ich dort herrschen sah. Verspottete Ehrenleute, hintergangene Ehemänner, verführte Frauen, geheime Entbindungen bildeten dort den gewöhnlichsten Gesprächsstoff, und wer am besten für die Bevölkerung des Findelhauses sorgte, dem wurde am meisten Beifall gezollt. Dies bestach mich; ich bildete meine Denkweise nach der, welche ich bei sehr liebenswürdigen und im Grunde auch sehr anständigen Leuten herrschen sah, und sagte mir: »Da es einmal Sitte des Landes ist, so kann man sie, wenn man darin lebt, auch befolgen.« Das war der Ausweg, nach dem ich suchte. Ich ergriff ihn entschlossen ohne das geringste Bedenken. Nur Theresens Bedenklichkeit hatte ich zu überwinden, die ich erst mit aller erdenklichen Mühe zur Annahme dieses einzigen Mittels, ihre Ehre zu retten, bewegen konnte. Da mir ihre Mutter, die sich überdies vor neuen Kindersorgen fürchtete, zu Hilfe kam, ließ sie sich endlich besiegen. Man wählte eine gewandte und zuverlässige Hebamme, eine gewisse Gouin, ledigen Standes, die an der Ecke von Saint-Eustache wohnte, um ihr die Ausführung des Planes zu übertragen, und als die Zeit gekommen war, wurde Therese von ihrer Mutter zu der Gouin geführt, um bei dieser ihre Entbindung abzuwarten. Ich besuchte sie dort öfter und brachte ihr zwei Karten mit dem gleichen Namenszuge, deren eine in die Windeln des Kindes gelegt wurde. Darauf wurde letzteres von der Hebamme in der gewöhnlichen Weise auf dem Bureau des Findelhauses abgegeben. Im folgenden Jahre der nämliche Uebelstand und das nämliche Auskunftsmittel, nur der Namenszug wurde fortgelassen; keine größere Bedenklichkeit meinerseits; keine größere Lust seitens der Mutter, auf diesen Wunsch einzugehen; sie gehorchte seufzend. Man wird späterhin alle Wandlungen, welche dieser unselige Schritt in meiner Denkweise wie in meinem Leben hervorgebracht hat, kennen lernen. Halten wir uns für jetzt an diesen ersten Zeitabschnitt. Die eben so bitteren und unerwarteten Folgen desselben werden mich nur zu sehr zwingen, darauf zurückzukommen.

In diese Zeit fällt meine erste Bekanntschaft mit Frau von Epinay, deren Name in diesen Denkwürdigkeiten oft genannt werden wird. Sie war ein geborenes Fräulein von Esclavelles und hatte sich vor Kurzem mit Herrn von Epinay, dem Sohne des Generalpächters von Lalive de Bellegarde, verheirathet. Ihr Gatte war eben so musikalisch wie Herr von Francueil. Auch sie war musikalisch, und die Leidenschaft für diese Kunst hatte unter diesen drei Personen eine innige Freundschaft geknüpft. Herr von Francueil hatte mich bei Frau von Epinay eingeführt, ich speiste mit ihm bisweilen zu Nacht bei ihr. Sie war liebenswürdig und zeichnete sich durch Geist und Talente aus; es war sicherlich eine vielversprechende Bekanntschaft. Aber sie hatte eine Freundin, ein Fräulein von Ette, die für boshaft galt und mit dem Chevalier von Valory lebte, dem man auch keine große Herzensgüte nachrühmte. Der Umgang mit diesen beiden Personen war, wie ich glaube, der Frau von Epinay nachtheilig, der die Natur nebst einem sehr begehrlichen Temperamente herrliche Eigenschaften verliehen hatte, es zu mäßigen oder vor sittlichen Verirrungen zu bewahren. Herr von Francueil flößte ihr einen Theil seiner Freundschaft für mich ein und gestand mir sein Verhältnis mit ihr, dessen ich deswegen hier nicht erwähnen würde, wenn es nicht so bekannt wäre, daß es nicht einmal Herrn von Epinay verborgen blieb. Herr von Francueil machte mir über diese Dame sogar im Vertrauen sehr seltsame Mittheilungen, die sie selbst mir nie gemacht hat, und von denen sie mich auch nie unterrichtet glaubte; denn darüber öffnete ich nie in meinem Leben den Mund und werde ihn auch weder ihr noch sonst jemand gegenüber nie öffnen.Die vertraulichen Mittheilungen, die Herr von Francueil Rousseau über Frau von Epinay machte, sind heutigen Tages für niemand mehr ein Geheimnis. Aus den unter dem Namen dieser Dame veröffentlichten Denkwürdigkeiten ersehen wir, daß Frau von Epinay durch Ansteckung ihres Mannes syphilitisch erkrankt war und nun ihrerseits ihren Geliebten angesteckt hatte, der beinahe gestorben wäre. Dieses mir von allen Seiten entgegengebrachte Vertrauen machte meine Lage sehr peinlich, namentlich Frau von Francueil gegenüber, die mich gut genug kannte, um nicht Mißtrauen gegen mich zu hegen, obgleich ich ein Verhältnis mit ihrer Nebenbuhlerin hatte. Ich tröstete nach bestem Vermögen diese arme Frau, der ihr Gatte die Liebe, die sie für ihn hatte, sicherlich nicht vergalt. Ich hörte jede dieser drei Personen einzeln an, bewahrte ihre Geheimnisse mit größter Treue, ohne daß mir eine der drei je eines der beiden andern zu entreißen vermochte, und ohne daß ich einer der beiden Frauen meine Liebe für ihre Nebenbuhlerin verhehlte. Frau von Francueil, die sich meiner zu vielerlei bedienen wollte, mußte sich entschiedene Weigerungen gefallen lassen, und Frau von Epinay, die mir einmal einen Brief zur Besorgung an Francueil übergeben wollte, erhielt nicht allein einen gleichen Bescheid, sondern auch die unumwundene Erklärung, daß sie, wollte sie mich für immer aus ihrem Hause los sein, nur zum zweiten Male eine ähnliche Bitte an mich zu richten brauchte. Ich muß Frau von Epinay Gerechtigkeit widerfahren lassen: dieses Auftreten schien ihr so wenig zu mißfallen, daß sie es sogar Francueil mit Lobsprüchen erzählte und mich später nicht weniger freundlich empfing als sonst. So bewahrte ich mir in den stürmischen Verhältnissen zwischen drei Personen, die ich zu schonen hatte, ja, von denen ich gewissermaßen abhängig war, und die ich von Herzen lieb hatte, bis ans Ende ihre Freundschaft, ihre Achtung und ihr Vertrauen, indem ich mich duldsam und gefällig, aber auch redlich und nachgiebig benahm. Trotz meines einfältigen und linkischen Wesens wollte mich Frau von Epinay zu den Festlichkeiten in der Chevrette, einem in der Nähe von Saint-Denis gelegenen Schlosse, welches Herrn von Bellegarde gehörte, hinzuziehen. Es befand sich in demselben ein Theater, auf welchem häufig gespielt wurde. Man übertrug mir eine Rolle, an der ich sechs Monate ununterbrochen lernte, und die ich mir bei der Aufführung doch von Anfang bis zu Ende souffliren lassen mußte. Nach dieser Probe bot man mir keine Rolle mehr an.

Gleichzeitig mit der Bekanntschaft der Frau von Epinay machte ich auch die ihrer Schwägerin, des Fräulein von Bellegarde, die bald Gräfin von Haudetot wurde. Zum ersten Male sah ich sie kurz vor ihrer Hochzeit; sie plauderte lange mit mir mit der ihr angeborenen reizenden Vertraulichkeit. Ich fand sie sehr liebenswürdig, war aber weit entfernt vorauszusehen, daß diese junge Person dereinst die Entscheidung meines Lebensschicksales herbeiführen und mich, wenn auch ganz unschuldigerweise, in den Abgrund hineinziehen würde, in dem ich mich heute befinde.

Obgleich ich seit meiner Rückkehr von Venedig eben so wenig von Diderot wie von meinem Freunde Roguin gesprochen habe, so hatte ich sie gleichwohl beide nicht vernachlässigt, und namentlich mit ersterem wurde das freundschaftliche Verhältnis von Tage zu Tage inniger. Wie ich eine Therese, hatte er eine Nanette; dies gab unserer beiderseitigen Lage eine Aehnlichkeit mehr. Der Unterschied bestand jedoch darin, daß meine Therese, eben so schön wie Nanette, ein sanftes Gemüth und einen liebenswürdigen Charakter hatte, der einen gebildeten Mann an sich fesseln mußte, während seine Freundin, zanksüchtig wie ein Fischweib, den Augen anderer nichts aufzuweisen hatte, was einen Ersatz für ihre schlechte Erziehung hätte gewähren können. Er heirathete sie dennoch. Das war recht gut, wenn er es versprochen hatte. Ich meinerseits, der ich kein ähnliches Versprechen abgelegt hatte, beeilte mich nicht, ihm nachzuahmen.

Auch an den Abbé von Condillac hatte ich mich angeschlossen, der in der Literatur eben so wenig Bedeutung hatte, wie ich selber, aber dazu geschaffen war, das zu werden, was er heute ist. Ich habe seine Begabung vielleicht zuerst erkannt und seinen Werth zu schätzen gewußt. Er schien an mir gleiches Gefallen zu finden, und während ich, auf meinem Zimmer in der Rue Jean-Saint-Denis in der Nähe der Oper eingeschlossen, meinen Akt Hesiod schrieb, kam er manchmal, um mit mir allein ein picknickartiges Mittagsmahl zu veranstalten. Er arbeitete damals an seinem ersten Werke, dem Versuche über den Ursprung der menschlichen Kenntnisse. Nach der Vollendung desselben entstand für ihn die Verlegenheit, einen Buchhändler zu finden, der den Verlag übernehmen wollte. Die Pariser Buchhändler sind gegen Anfänger anmaßend und hart, und die Metaphysik, welche damals kaum in die Mode zu kommen begann, bot keinen sehr anziehenden Gegenstand dar. Ich redete mit Diderot von Condillac und seinem Werke und vermittelte ihre gegenseitige Bekanntschaft. Sie waren dazu geschaffen, einander zu gefallen; sie gefielen sich. Diderot bestimmte den Buchhändler Durant zur Annahme des Manuscriptes, und der Abbé, dieser große Metaphysiker, erhielt für sein erstes Buch, und noch dazu fast aus Gnade, hundert Thaler, die er ohne mich vielleicht gar nicht erzielt hätte. Da wir in sehr entfernten Stadttheilen wohnten, so kamen wir drei einmal wöchentlich im Palais Royal zusammen und nahmen das Mittagbrot gemeinschaftlich im Hotel zum Blumenkorbe ein. Diese wöchentlichen kleinen Mahlzeiten mußten Diderot außerordentlich behagen, denn er, der sonst fast alle seine Rendezvous versäumte,Var . . . versäumte, selbst die mit Frauen, blieb etc. blieb nie von einer derselben fort. Bei ihnen entstand in mir der Gedanke an die Gründung eines periodischen Blattes unter dem Titel »Der Spötter«, welches Diderot und ich abwechselnd schreiben sollte. Ich entwarf in flüchtigen Umrissen die erste Nummer, was mir die Bekanntschaft d'Alemberts verschaffte, mit dem Diderot davon gesprochen hatte. Unvorhergesehene Hindernisse durchkreuzten unsern Plan, und er blieb liegen.

Diese beiden Schriftsteller hatten vor kurzem das Dictionnaire encyclopédique begonnen, welches anfangs nur eine Art Übersetzung von Chambers sein sollte, ungefähr der des Dictionnaire de Médecine von James ähnlich, welche Diderot so eben beendet hatte. Dieser wollte mich zur Betheiligung an dieser zweiten Unternehmung heranziehen und schlug mir den musikalischen Theil vor, dessen Bearbeitung ich übernahm und in den drei Monaten, die er mir wie allen übrigen Mitarbeitern bewilligt hatte, in höchster Eile und äußerst schlecht ausführte. Aber ich war der einzige, der zu der festgesetzten Zeit fertig war. Ich überreichte ihm mein Manuscript, das ich von einem Lakaien des Herrn von Francueil, einem gewissen Dupont, der sehr gut schrieb, hatte ins Reine schreiben lassen. Ich zahlte ihm dafür zehn Thaler aus meiner eigenen Tasche, die mir nie zurückerstattet sind. Diderot hatte mir seitens der Verleger eine Belohnung versprochen, von der später zwischen uns nie mehr die Rede gewesen ist.

Die Herausgabe der Encyclopädie wurde durch seine Verhaftung unterbrochen. Die »Philosophischen Gedanken« hatten ihm einige Unannehmlichkeiten zugezogen, die jedoch keine Folgen hatten. Einen übleren Erfolg sollte sein »Brief über die Blinden« für ihn haben. Er enthielt nichts, was man ihm hätte zum Vorwurfe machen können, als einige persönliche Anspielungen, über welche sich Frau Dupré von Saint-Maur und Herr von Réaumur beleidigt fühlten und um deren willen er in den vincenner Gefängnisthurm gesperrt wurde. Ich bin nicht im Stande, die Angst zu schildern, die mich beim Unglücke meines Freundes befiel. Meine unselige Einbildungskraft, die alles Ueble gleich von der schlimmsten Seite erblickt, erhitzte sich. Ich sah ihn schon in lebenslänglicher Gefangenschaft. Mir schwindelte fast der Kopf. Ich schrieb an Frau von Pompadour, um sie zu beschwören, ihm die Freiheit zu verschaffen oder mich mit ihm einsperren zu lassen. Ich bekam keine Antwort auf meinen Brief; er war zu wenig vernünftig, um eine Wirkung hervorbringen zu können, und ich schmeichle mir nicht, daß er zu den Erleichterungen beigetragen habe, die man einige Zeit nachher in der Gefangenschaft des armen Diderot eintreten ließ. Wenn sie aber noch einige Zeit mit der nämlichen Strenge gewährt hätte, so würde ich, davon bin ich überzeugt, am Fuße dieses unglückseligen Thurmes vor Verzweiflung gestorben sein. Wenn mein Brief übrigens wenig Erfolg gehabt hat, so habe ich mir auf ihn auch nicht sehr viel zu Gute gethan, denn ich erwähnte seiner nur gegen sehr wenige Leute und nie gegen Diderot selber.



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