Peter Rosegger
Waldheimat
Peter Rosegger

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Dem Anderl sein Tabakgeld

Der Einleger Anderl hatte auf dieser Welt schon mit allem abgewirtschaftet. Er hatte einmal einen großen Bauernhof gehabt, der war verprozessiert worden. Dann hatte er noch eine silberne Uhr gehabt, die war verspielt worden. Hernach hatte er sich auf das Bauerndienen verlegt, dabei war er alt geworden. Alt, mühselig und arm. All das Bedürfnis und Glück des einst so herrischen, anspruchsvollen Mannes hatte jetzt in einer Tabakspfeife Platz – so gut hatte ihn das Leben erzogen. Schwerhörig und halbblind, den Krampf in den Händen und die Gicht in den Füßen! Wenn's nur in der Pfeife gloste und er am Rohre sog, so machte er keinen Einwand und war in säuerlich-süßer Laune.

In die Kirche gehen wollte er manchmal, denn der Anderl stellte sich vor, er habe sein Lebtag hübsch christlich gelebt, und so mochte er den guten Brauch in den alten Tagen nicht gerne abkommen lassen. Aber die Gicht, das war ein höllisch gottloser Kamerad, die hinderte ihn an dem Besuche des Amtes und der Predigt, und so wimmerte der Alte manchmal in einer frommen Sehnsucht: Wenn ich nur wenigstens ins Dorf zum Tabakkrämer kunnt kommen! Auch das war ihm versagt, und so wendete er sich eines Tages zu mir, der ich ein Knabe war in demselben Hause. »Heut' ist der heilige Christtag schon wieder«, sagte er. »Gehst du in die Kirchen, Peter, so sei halt barmherzig und trag' mir mein Vermögen mit. Kauf' damit beim Kramer drei Packeln Tabak – ordinären – kriegst acht ganze Kreuzer heraus und bring' mir alles fein und fleißig heim. Nachher bist dafür brav eine ganze Wochen lang.« Damit gab er mir einen Silberzwanziger, den er am heiligen Abend vom Armenvater als seinen Teil des eingegangenen Armengeldes erhalten hatte.

Ich war nämlich gerne bereit, mein Bravsein auf eine ganze Woche lang zu versichern, übernahm den Auftrag und ging in die Kirche, wo ich hübsch noch zum Rosenkranz zurecht kam. Ich war schon zur selben Zeit manchmal sehr andächtig, und schon zur selben Zeit manchmal gegen die unrechte Seite hin.

Als das Hochamt kam, auf dem Chore die Pauken und Trompeten schallten, am kerzenumstrahlten Altare der Pfarrer stand und die Messe las, huben die Leute plötzlich an, in ihren Stühlen aufzustehen, und begannen (nicht bloß die Weiber, auch die Männer) im Gänsemarsch durch die Kirche zu wandeln, um den Hochaltar herum, und dann wieder zurück in die Stühle. Der Opfergang. An hohen Festtagen pflegten nämlich die Leute während des Amtes einen solchen Rundgang zu machen, um an dem Altare im Angesichte des Pfarrers auf einen dafür bereitstehenden Zinnteller kleine Geldgaben für die Kirche hinzulegen. Ich hatte mich an solchem Opfergange jedesmal beteiligt, um entweder im Auftrage meines Vaters, oder aus eigenem Antriebe einen oder ein paar Kreuzer auf den Teller zu legen. Machte dabei auch allemal eine gute Meinung, sei das Opfer nun zur Erlangung eines fruchtbaren Jahres, oder zur Genesung eines Kranken, oder um Segen für ein anderes, irgend etwas wollte ich für meinen Kreuzer haben; hatte doch der Pfarrer einmal gepredigt: »Es wird alles vergolten. Geschenkt braucht der Herr des Himmels und der Erde nichts von euch.«

Natürlich erhob an diesem Christtage auch ich mich und schloß mich der Reihe an, in welcher jeder und jede unterwegs zum Altar in den Sack griff und aus dem Geldtäschlein die Münze hervornestelte. Auch ich suchte nach meiner Gabe, und nun stellte es sich schreckbar klar heraus, daß nicht ein einziger Kreuzer in der Tasche war. Der Silberzwanziger des Einlegers Anderl war das ganze Um und Auf, sonst nicht ein Pfennig und nicht ein Knopf! – Wieder umkehren zu meinem Stuhl? Sie hätten mich heidenmäßig ausgelacht. Ruhig in der Reihe bleiben und ruhig am Zinnteller vorbeitrotten, als ob er mich nichts anginge? Der Pfarrer stand aber daneben und konnte jedem auf die Finger sehen. Meine Finger unter dem Rock wollten sich bereits an einem Hosenknopfe vergreifen, aber diese Knöpfe waren nicht mehr von Messing, wie einst in der guten, alten Zeit, sondern von schwarzem Hornbein, also für den Teller vollkommen unmöglich. Vor Gott hätte ich mich nicht gefürchtet, einer, der den Willen fürs Werk nimmt, hätte auch einen Hosenknopf für den Groschen genommen – aber der Pfarrer! – In solcher Bedrängnis flüsterte ich dem Nachbar Veitelbrunner zu, der just vor mir ging, ob er mir nicht um Gottes willen einen Kreuzer borgen wollte? – »Ah, du wärest schlau!« flüsterte der Veitelbrunner zurück, »ausgeliehenes Geld opfern! Damit wäre es freilich keine Kunst, sich den Himmel zu kaufen.« Und schaute seitab. – Also kein anderes Mittel mehr, als sich vergreifen an fremdem Gut! Ehe ich mich der Gefahr aussetze, daß der Pfarrer auf mich deutend laut rufen könnte: »Was läufst denn du mit, wenn du nichts gibst!« und die Leute alle ihre Hälse reckten, um den zu sehen, der mitläuft und nichts gibt – ehevor opfere ich das Tabaksgeld des alten Anderl. Länger zu überlegen war überhaupt nicht mehr Zeit; so himmlisch langsam die Reihe sich auch voranbewegt hatte, endlich war ich doch am Zinnteller. Den Silberzwanziger erkrabbelte ich rasch im Sack und legte ihn drauf. Nachher ging's wieder zurück zu meiner Bank. – Jetzt wartete ich auf ein Wunder. Der Herr hat's gesehen, wohin der Zwanziger gelegt worden ist, er weiß auch, daß der alte Anderl keine Freud' hat auf der Welt, als das bisserl Rauchen, und endlich kann sich's jeder denken, was mir bevorsteht, wenn ich ohne Tabak und ohne Geld heimkomme. Das Wunder braucht ja nicht so groß zu sein, wie etwa die Speisung von fünftausend Mann in der Wüste – nur ein ganz kleines Wunderlein, in der Größe eines Silberzwanzigers! – Nein, nichts. Der Sack war leer und blieb's.

Gut, denke ich, wie das Amt aus ist und wir vor der Kirche so ein Weilchen umherstehen, ohne zu wissen warum: wenn Gott kein Wunder wirken will, so muß der Mensch eins versuchen. Zum Krämer ging ich hinein, hauchte mehrmals recht stark auf die Fingerspitzen, weil sie froren, und als man fragte, was ich wünsche, antwortete ich: »Drei Packeln Tabak – ordinären!« und als ich sie hatte: »Dank' schön, bezahlen werde ich sie am nächsten Sonntag« – und zur Türe hinaus. Der Krämer mochte mir wohl ein wenig verblüfft nachgeschaut haben, weiter war aber nichts, und das Wunder war geschehen: Einem jungen Lecker hatte der Mann drei Packeln Tabak geborgt.

Gut. Als ich nach Hause kam, ward ich schon mit Spannung erwartet vom alten Anderl. »Zu Weihnachten sind ja die Rauchnächte«, keifelte er, »wenn der Mensch nichts zu rauchen hätt', das wär' so was!«

Mit einer ganz niederträchtigen Ruhe gab ich den Tabak ab – das erste Packel – das zweite – und das dritte. Der Alte hielt aber immer noch eine hohle Hand her.

»Drei hast gesagt soll ich bringen, da sind sie.«

»Drei, wohl, wohl, drei«, sagte er, »geht schon aus, drei Packeln. Und was du herauskriegt hast?«

– Jesses, die acht Kreuzer! – Wie nach einem Donnerschlag, so war mir die Zunge gelähmt. Natürlich, wenn man nicht weiß, was zu sagen ist! Eingefallen wär's mir im Augenblick: Teuerer ist er worden, der Tabak! Oder: Einen ordinären haben sie nicht gehabt, da hab' ich einen besseren genommen! Aber – fiel mir noch rechtzeitig bei – mit einer Lüge machst du dein Christopfer nicht wett; die Wahrheit kannst zwar auch nicht sagen, wenn du nicht als ein unerhört dummer Junge dastehen willst. Da laß es lieber auf ein zweites Wunder ankommen.

»Anderl!« sagte ich sehr laut, »die acht Kreuzer möchtest mir wohl schenken zum Botenlohn.«

»Ich werde dir schon einmal was schenken«, antwortete der Alte, »meine Gicht, wenn du magst. Aber die acht Kreuzer brauch' ich selber. Gib sie nur her.«

»Anderl, ich hab' sie nicht, mein Sack hat ein Loch.«

»Ah so, verzettelt hast sie«, sagte der Alte, »na, nachher kannst mir sie freilich nicht geben.« Er klopfte sich die Pfeife aus, und abgetan war's.

Ein Loch hatte mein Sack wohl, sonst könnte man nichts aus- und eintun, aber redlich war's nicht von mir und mein festes Vornehmen war, dem Einleger seine Sach' zu vergüten, sobald als möglich.

Sobald als möglich! Woher denn nehmen? Wie ein Stabsoffizier, so stak ich jetzt mitten in Schulden und der Silberzwanziger lag im Kirchenschatz und rührte sich nicht.

Nach Neujahr hub wieder die Schule an, die ich auf ein paar Wochen besuchen durfte. Allein ich ging nicht auf geradem Wege zu ihr, sondern auf weiten Umschlichen durch die Wildgärten. Der gerade Weg führte nämlich am Krämer vorbei. Dieser stand wohl einmal vor dem Schulhause, als ich eintrat, schaute mich auch so ein wenig krumm an, sagte aber nichts, und ich trachtete, daß ich ihm aus den Augen kam.

Da war es eines Tages nach der Schule, daß mir der Lehrer auftrug, ich sollte in den Pfarrhof gehen, der Hochwürdige hätte etwas mit mir zu sprechen.

– Jetzt! dachte ich, jetzt geschieht das Wunder! – Er gibt das Geld zurück.

Doch der Pfarrer, als ich vor ihm stand, machte nicht jenes Gesicht, wie man es hat, wenn man Geld zurückgeben will. Sehr strenge blickte er mich an, daß ich gleich wie ein armer Sünder meine Augen zu Boden schlug.

»Peter«, sagte er endlich mit einem Gemisch von Ernst und Güte, denn er war mir sonst nicht schlecht gewogen. »Peter, mache jetzt keine Geschichten. Gib die Pfeife her!«

»Die Pfeife?« fragte ich ganz treuherzig.

»Gib sie nur her und leugne nicht! Du rauchst!«

»Nein, Herr Pfarrer!«

»Ich habe einstweilen deinem Vater nichts gesagt. Wenn du das Zeug willig hergibst und mir versprichst, das Laster sein zu lassen, so braucht's das Schlagen nicht.«

»Ich tu' aber nicht rauchen!« rief ich laut.

Da hob er den Finger und sagte: »Aufs erste ein zweites Laster! Mich, deinen alten Katecheten, belügen? – Du bist verraten.«

»Wer hat's gesagt?« begehrte ich auf.

»Der Krämer selber, bei dem du den Tabak holst und schuldig bleibst.«

Hellauf gelacht habe ich jetzt, und nachher sachte angefangen zu weinen.

»Also, siehst du? Siehst du's jetzt ein?« fragte er fast freundlich.

Nun mußte freilich alles heraus. »Den Tabak beim Krämer habe ich nicht für mich gekauft, sondern für den Einleger Anderl, der hat mir wohl einen Silberzwanziger mitgegeben.«

»Und was hast du damit gemacht?«

Ich wollte etwas erwidern, stotterte aber nur.

»Heraus mit der Farbe!« rief der Pfarrer. »Was hast du mit dem Silberzwanziger gemacht?«

»Am Christtag – auf – auf den Zinnteller geworfen.«

»Auf den Opferteller? Du? Du wärst es gewesen, der den Silberzwanziger hingelegt hat? Und Geld, das nicht dein Eigen war! Was fiel dir denn ein?«

»Weil ich keinen Kreuzer hab' im Sack gehabt. Und soviel geschämt...«

»Flenne nicht, Peter«, sagte nun ruhig der Pfarrer. »Wenn es so ist, ändert sich die Geschichte.«

»Hab' den Tabak müssen schuldig bleiben und bin auch dem Anderl noch schuldig davon«, schluchzte ich, wahrscheinlich mit dem Ärmling über die Augen fahrend, weil so ein Junge selten ein anderes Taschentuch hat.

»Narrl, Narrl!« lachte der Pfarrer. »Dem lieben Herrgott hast du das Geld gegeben. Und er hat dich sitzen lassen.«

»Ja!« deutete ich mit dem Kopf.

»Das scheint nur so, mein Junge«, sagte er und strich mit der Hand mir das Haar aus der Stirn, »der liebe Herrgott läßt keinen sitzen. Besser verzinst keiner als der! Peter, mich hat's nach der Durchsicht der Opfergaben ohnehin gewundert, daß in meiner Gemeinde einer ist, der um einen ganzen Silberzwanziger Vertrauen zum lieben Gott hat. Konnte mir's aber nicht denken, wer. – Jetzt haben wir ihn. – Und da haben wir noch einen!«

Der Pfarrer machte seine Geldtasche auf, nahm mit zwei Fingern zierlich einen Silberzwanziger hervor: »Es ist zwar nicht der nämliche. Dem Herrn wollen wir das Seine lassen, es wächst sich bei ihm auf höhere Zinsen aus, wenn du brav bleibst. Den da, den nimmst von mir und bezahlst deine Schulden. Und wir zwei, die wir heute nähere Bekanntschaft miteinander gemacht haben, wollen gute Freunde bleiben. So, jetzt kannst zum Krämer gehen.«

Der Krämer fand es ganz selbstverständlich, daß ich meine Schuld beglich, nicht so aber der alte Anderl.

»Du willst mir da die acht Kreuzer erstatten!« rief er barsch aus, als ich ihm die Münzen vorhielt. »Lump, kleiner, du wirst es weit bringen, wenn du allemal deine Schulden bezahlen willst! Ja, ja, ich nehm's schon. So was kann ich brauchen. Aber für ein andermal sei gescheiter!«

Schulden habe ich später noch oft gehabt, aber »gescheiter«, wie es der Anderl gemeint, bin ich nicht gewesen. Er selber war mir ein zu schlimmes Beispiel von dem Erfolg seiner Grundsätze. Daß ihm nichts war geblieben, als ein bißchen Tabak – und ordinärer!


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