Peter Rosegger
Waldheimat
Peter Rosegger

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Als wir zur Schulprüfung geführt wurden

Der Holzbauernhof, in welchem der alte Michel Patterer die Alplschule eine Zeitlang gehalten hatte, lag dreitausendvierhundert Fuß über dem Meere, und so konnte der Mann, welcher sonst nichts weniger als ehrgeizig war, seinem Institut die Bezeichnung »Hochschule« mit gutem Fuge beilegen. Dieser Michel Patterer war früher ordentlicher Lehrer in Sankt Kathrein am Hauenstein gewesen; weil er es im Jahre 1848 ein wenig mit der neuen Mode hielt, – der alte besonnene Mann wird gewußt haben warum – so wurde er von der kirchlichen Behörde kurzerhand abgedankt und langen Fußes davongejagt. Der alte Mann kam nach Alpl, um sich durchzubetteln, allein die Alpler Bauern standen zusammen und sagten: »Bettler haben wir ohnehin zu viele, aber Schulmeister haben wir keinen, und dahier keinen gehabt seit die Welt steht. Machen wir ihn zum Schulmeister, unsere Kinder sollen Lesen und Schreiben lernen; nützt's nichts, so schadet's nichts.«

Der Michel blieb in Alpl und ging mit seinen Wissenschaften hausieren von Hof zu Hof. Je eine Woche lang wurde die Schule in einem und dem anderen der dreiundzwanzig Höfe abgehalten, wo die Kinder der Gemeinde in der Gesindestube zusammenkamen, sich um den großen Tisch setzten und lernten. Wenn die Bäuerin kam, um auf dem Tische ihren Strudelteig auseinanderzuziehen, oder das Gesinde, um Mittag zu essen, mußte freilich der Tisch geräumt werden. Die Kinder gingen hinaus, aßen ihr mitgebrachtes Stück Brot; der Schulmeister setzte sich zu den Knechten und Mägden und tat etwas, wozu damals nicht jeder Schulmeister das Talent hatte – er aß sich satt. Außer der Schulzeit machte er sich in dem betreffenden Hofe auch noch dadurch nützlich, daß er Streu hackte, Heu machen oder Dung führen half und dergleichen. Dabei hatte er stets die ruppige braune Lodenjacke am Leibe, die er vom Grabelbauer geschenkt erhalten, und den Seidenzylinder auf dem Kopf, den ihm der alte Dechant zu Birkfeld einmal verehrt hatte in früheren Tagen. Lachen und weinen muß ich, so oft ich des guten Michel Patterers gedenke; sein Schicksal ist seltsam, und sein Herz war so tapfer und geduldig! Er hatte niemanden mehr auf der Welt, als seine Schulkinder, denen er sein Bestes gab, und wenn er zur nächtlichen Stunde draußen in der Heuscheune lag, ein wenig fröstelnd vor Kälte und ein wenig schwitzend vor Sorge um sein nahes hilfloses Alter, da mag er sich wohl gedacht haben: Wie wunderlich geht's doch zu auf dieser Welt!

Eine längere Zeit war die Schule bei dem obenbesagten Holzbauer eingeheimt, und gerade aus jener Zeit habe ich die kleine Erinnerung, die hier erzählt werden soll.

Jahrelang hatte sich um unsere Alplschule niemand gekümmert, sie war weder anerkannt noch verboten, und da der Mann von der Gemeinde verköstigt wurde, so ging die Sache weiter eigentlich niemanden was an.

Vielleicht, doch! – da ist oben im Gebirge ein Mensch mit dem neumodischen Geiste, und der unterrichtet die Kinder! Da kann etwas Sauberes herauskommen! Wie steht's mit der Religion? Werden die Kinder wohl auch zur heiligen Beichte vorbereitet? Zur Kommunion, zur Firmung? – Das müßte man doch einmal näher besehen! – Und eines Tages hieß es: eine große Geistlichkeit kommt nach Alpl, und es wird strenge Prüfung sein!

Der alte Schulmeister sagte nichts dazu und es war ihm nicht anzumerken, ob er sich fürchte oder freue.

Indes schlief alles wieder ein, und die »große Geistlichkeit« kam nicht. Hingegen war im Frühherbste desselben Jahres etwas anderes. Als in der Krieglacher Ortsschule zum Schlusse des Schuljahres der Tag der Prüfung nahte, zu welchem stets auch der Dechant aus Spital erschien und andere Geistliche und Schulaufseher und Lehrer aus Nachbarspfarreien, kam unserem Michel vom Ortsschulrate der Befehl zu, er habe sich mit seinen Schulkindern am Tage der Prüfung im Schulhause zu Krieglach einzufinden. Und jetzt ging die Not an. Die Schule in Alpl war während der dringenden Feld- und Wiesenarbeiten geschlossen gewesen. Der alte Michel mußte nun von Haus zu Haus gehen, um die Kinder zusammenzusuchen und ihnen zu sagen, daß sie sich am nächsten Erchtag beim Holzbauer zu versammeln hätten, hübsch im Sonntagsgewande, fleißig gewaschen und mit gesträhltem Haar, wie als ob sie am Ostertage in die Kirche gingen. Und die Schulsachen mitnehmen. Wir Kinder wußten nicht recht, was das zu bedeuten habe und was das sei: eine Prüfung! Und unsere Eltern wußten es auch nicht. Aber sie meinten, es würde schon was Rechtes sein, sonst wäre vom Sonntagsgewand nicht die Rede. Nur ein alter Kleingütler, der auf den Häusern umherzuklettern pflegte, um den Bauern ihre Strohdächer auszuflicken, hatte über die absonderliche Sache seine Bedenken. – Eine Prüfung! Ob die kleinen Buben etwa schon tauglich wären zu Soldaten gegen die Franzosen! Man dürfe nicht trauen! Wer heutzutag einen kleinen Buben habe, der solle ihn verstecken! – Solcher Meinung waren die Bauern nicht, und der Heidenbauer sagte frischweg: »Wir von Alpl brauchen unsere Buben nicht zu verstecken, wir können sie schon aufzeigen.«

Trotzdem gab es unter den Schulkindern etliche, denen das Ding mit der Prüfung nicht ganz geheuer vorkam. Aber an dem bestimmten Erchtage fanden wir uns fast vollzählig ein beim Holzbauer. Es dürften unser achtzehn bis zwanzig Kinder gewesen sein. Der Schulmeister hatte sich auf das allerbeste zusammengetan. Er hatte blank gewichste Stiefel, hatte ein schwarzes Gewand an, welches er von einem ehemaligen Kollegen, dem Lehrer in Ratten, ausgeborgt; sein mageres Gesicht war glatt rasiert, das dünne graue Haar glatt über den Scheitel zurückgekämmt. Am Halse stand sogar ein schneeweißer Hemdkragen hervor, ähnlich der Halsbinde eines Geistlichen, und als er nun auch den fast ganz glatt gebügelten Zylinder auf das Haupt setzte, da dachte ich mir: Mit unserem Schulmeister brauchen wir uns nicht zu schämen.

Wir hatten jedes zu Hause je nach Umständen unser Frühstück verzehrt, und nachdem der alte Michel das seine vielleicht nur aus der braunhornernen Dose genommen, machten wir uns auf den weiten Weg nach Krieglach. Unterwegs durch die Wälder gab der Schulmeister mehrere Verhaltensmaßregeln aus: die hohen Herren höflich grüßen, beim Namensrufe sogleich aufstehen (in der Alplschule blieben wir beim Ausgefragtwerden sitzen) auf die gestellten Fragen hübsch laut und deutlich antworten; wenn wir was geschenkt bekämen oder gar in Häusern zum Essen geladen würden, fein artig sein, und Schön' Dank sagen! und halt so weiter. Ob von den Prüfungsgegenständen selbst die Rede war, daran kann ich mich nicht erinnern; der Schulmeister schien der Sache sicher zu sein.

Das Wetter war trüb, nebelig, frostig; ohne eigentlich zu regnen, troff es von den Bäumen. Vor dem Orte Krieglach zum Sandbühelkreuz gekommen, wo im Tale das Dorf stattlich vor uns ausgebreitet lag, machten wir halt. Der alte Michel riß Sauerampferblätter ab, um einzelnen der Kinder damit die Schuhe zu reinigen, und auch wo es sonstwo und wie an uns auszubessern und fürsorglich zu schlichten gab, tat er's. Waren ja doch die allermeisten von uns, besonders die Dirndln, das erstemal in der weiten Welt und sahen einem äußerst ungewissen Schicksale entgegen. Enge aneinandergeschlossen marschierten wir hinter unserem Schulmeister drein durch das große Dorf und der Kirche zu, neben welcher das Schulhaus stand. Das war ein anderes Schulhaus, als wir deren in Alpl hatten, das stand mit seiner doppelten Fensterreihe da wie ein Schloß, und jedes Fenster war so groß, daß ein Reiter auf hohem Roß ganz bequem durch dasselbe aus- und einreiten hätte können. Wir durften aber nicht einmal bei der Tür hinein. Denn davor stand eine kleine alte Frau mit Brillen auf der Nase, diese schaute uns prüfend an und sagte, wenn wir die Kinder aus Alpl wären, so sollten wir uns in die Brennholzhütte hineinsetzen und warten, die Herren hätten eben die Dorfkinder in der Arbeit; wenn sie mit diesen fertig wären, würden wir schon gerufen werden. Als wir drin waren, schlug sie das Lattentor hinter uns zu, so daß es spielte, als wären wir eingesperrt.

Im Schoppen waren aufgeschichtete Scheiterstöße, darauf setzten wir uns und waren recht kleinlaut. Der alte Schulmeister war immer unter uns. Er sagte gar nichts, schnupfte aber sehr oft aus seiner Dose. Nach einer Stunde beiläufig, als unsere Beine schon steif und unsere Nasen schon blau geworden waren, hörten wir vom Hause her ein lebhaftes Getrampel, als ob ein Schock Ziegen über die Stiege liefe. Bald darauf stoben die freigewordenen Dorfkinder auseinander, und wir sahen, wie viele derselben schöne Sachen bei sich hatten, die sie betrachteten und einander zeigten. Da hatten sie Bildchen, rotgebundene Büchlein mit Goldschnitt und in Seidenmaschen gefaßte Silbermünzen. Unser Schulmeister sagte uns, daß solches die Prämien wären, womit die fleißigen Schüler bei der Prüfung beteilt würden. Er deutete nicht an, ob etwa auch uns derlei bevorstünde, für uns gewann aber die bevorstehende Prüfung nun ein anderes Ansehen. Wir wurden gerufen.

Ehrerbietig und leise schritten wir die Treppe hinauf und in das Zimmer hinein. Das war sehr groß und weiß und licht und hatte Bankreihen und roch nach Kindern. Und an der Wand stand eine Kanzel mit Bücherstößen. Und daneben am Schragen lehnte eine große schwarze Tafel, auf welcher noch die Kreideziffern einer Rechnung standen. Beim Anblicke der Zahlen ward mir sofort übel, denn so sehr ich die Buchstaben stets geliebt, so sehr habe ich die Ziffern von jeher gefürchtet. Wir setzten uns auf Befehl stolpernd in die Bänke und packten unsere Schulbücher und Schiefertafeln aus. Der alte Schulmeister war nahe an der Tür stehengeblieben, hatte unsere Ordnung gemustert und machte nun, als die Herren hereintreten, eine tiefe Verbeugung. Die Herren waren freilich danach. Da war ein schlanker ältlicher Priester in schwarzem Talar – der Pfarrer von Krieglach; dann ein junger, ebenfalls schlanker Geistlicher mit einem sehr ernsthaften Aloisiusgesichte, das war der Kaplan; hernach ein wohlbeleibter, rund- und rotgesichtiger Herr mit einer recht großen Glatze – das war der Dechant aus Spital am Semmering. Ferner noch mehrere Herren in schwarzem Gewande und mit dunkeln und roten Bärten und funkelnden Augengläsern. Sie musterten uns mit scharfen Blicken, und einer oder der andere zuckte wohl gar ein wenig die Achseln, gleichsam als bedauerte er, solche arme Hascherln so weit hergerufen zu haben für nichts und wieder nichts. Denn es waren gar kümmerliche Figürlein und gar einfältige Gesichtlein unter uns. Man könne sich's ja denken, flüsterte einer der Herren zu seinem Nachbar, wenn die Kinder aufwachsen wie die Tiere im Walde, und ein solcher Lehrer dazu! Man könne sich's denken!

Da war unter den würdigen Herren auch ein kleiner dicker Kumpan mit stets zwinkernden Äuglein und schmunzelnden Lippen. Er war, soviel ich weiß, ein Gerbermeister und »Schulvater«; er war gekommen, um bei der Prüfung auch sein Gewicht geltend zu machen. Dieser nun trat alsogleich vor, nahm einen Jungen der ersten Bank aufs Korn und fragte ihn: »Wieviel hat dein Vater Kinder?«

»Mein Vater hat sieben Kinder«, antwortete der Kleine.

»Und wieviel hat dein Vater Finger?«

»Mein Vater hat zehn Finger.«

»Falsch«, rief der dicke »Schulvater«, wenn dein Vater sieben Kinder hat, so hat er wahrscheinlich achtzig Finger.«

Auf das gab's ein paar laute Lacher, der gefragte Schüler aber schaute verblüfft drein.

Der Fragesteller wandte sich zur zweiten Bank. »Jetzt will ich dem saubern Dirndel dort eine andere Aufgabe geben. Wenn auf einem Kirschbaum zehn Gimpel sitzen, und ich schieße einen herab, wie viele bleiben oben?«

Das Mädchen stand auf und antwortete: »So bleiben neun oben.«

Zog der »Schulvater« ein sehr schlaues Lächeln und sagte: »Ich glaube, es wird gar keiner oben bleiben, denn die neun übrigen werden davonfliegen.«

Jetzt trat der alte Michel ein paar Schritte aus seinem Hintergrund und, mit gefalteten Händen gegen den Fragesteller gewendet, sagte er sehr demütig: »Wenn ich recht schön bitten dürfte, die Kinder nicht verwirrt zu machen!«

»Ich meine, daß wir in der Schule sind«, nahm nun der Dechant ernsthaft das Wort, »und weil wir gerade auch beim Rechnen sind, so will ich den dort, den Kleinen mit dem roten Brustfleck, fragen.«

Der Kleine mit dem roten Brustfleck war ich.

»Paß nur einmal auf, mein Kind«, sagte der Dechant. »Ein Bauer hat einen Tagelöhner, dem er für den Tag sechsunddreißig Kreuzer Lohn gibt; wieviel Gulden Konventionsmünze wird er ihm für die Woche schuldig?«

»Wenn der Bauer«, begann ich abzuhaspeln, »dem Taglöhner sechsunddreißig Kreuzer gibt, so wird er ihm in der Woche schuldig – in der Woche schuldig – –.« Ich weiß es noch genau, wie mir in jenem Augenblicke zumute war. Als ob ich auf einer sehr hohen Leiter stünde, welche zu schaukeln beginnt. Der alte Michel ruft mir noch zu: »Halt dich fest!« Aber ich sehe und taste keine Sprossen mehr, alles um mich wird blau und voll kreisender Sterne, ich stürze. – Als ich wieder zu mir kam, hörte ich nur, wie unser Schulmeister entschuldigend sagte: »Das ist halt von den Schwächeren einer.«

Ich setzte mich nieder.

An derselben Frage bissen sich noch ein paar andere die Zähne locker. Der eine antwortete, der Bauer würde dem Taglöhner für die Woche drei Gulden sechsunddreißig Kreuzer schuldig; der andere behauptete, der Lohn für die ganze Woche mache vier Gulden zwölf Kreuzer. Endlich stellte es sich heraus, daß beide recht hatten, nur daß letzterer von der Sonntagsruhe Umgang nahm. Diesen fragte daher der Pfarrer von Krieglach ziemlich scharf: »Wie lauten die zwei ersten der Kirchengebote?«

Rasch antwortete der Schüler: »Erstens, du sollst den Feiertag heiligen, zweitens, du sollst die heilige Messe mit gebührender Andacht hören.«

»Nun also! Da gibt's doch keinen Taglohn! – Jetzt möchte ich von deinem Hintermann hören, wieviel bei dem bethlehemitischen Kindermorde der König Herodes Mädchen töten ließ?«

Der Hintermann war wieder ich, aber diesmal kam er mir recht. »Mädchen gar keins«, war meine Antwort.

»Nun, wie kannst du mir das beweisen?«

»Ich kann's beweisen damit, daß der Herodes nur Knaben aufsuchen und töten ließ, weil er den kleinen Jesus umbringen wollte.«

»Ah, vortrefflich!« riefen mehrere. Und der Pfarrer sagt gegen den alten Michel gewendet: »Das ist eine Antwort, die ich von Ihrer Schule nicht erwartet hätte.«

Der alte Mann verneigte sich und sagte: »Religion macht den Kindern die meiste Freude. Ich lasse halt Evangelium lesen und was sie von selber nicht verstehen, das erkläre ich ihnen durch Beispiele.«

»Du, Schwarzäugige, dort unten«, rief jetzt wieder der Dechant drein: »Wie oft soll der katholische Christ beichten?«

»Der katholische Christ soll jährlich wenigstens einmal beichten und zur österlichen Zeit das heiligste Sakrament des Altars empfangen.«

Auf dem Gesichte des »Schulvaters« war die spöttische Miene gänzlich vergangen.

Nachdem in der Religion noch mehrere Fragen klipp und klar beantwortet worden waren, ließ der Pfarrer aus dem Lesebuche ein Stück biblischer Geschichte des Alten Testamentes laut lesen, jedem durch die Bank nur wenige Sätze. Das ging flott und die Herren schauten einander nur so an.

»Wieviel haben Sie in Ihrer Schule Klassen?« fragte der Dechant unseren Schulmeister.

»Eigentlich nur eine, oder gar keine«, antwortete dieser. »Ich teile nicht ab. Wir arbeiten halt fort, bis sie lesen, schreiben und ein bißchen rechnen können.«

Nun verlangte man, daß wir unsere Tafeln zum Schreiben bereit machten. Der Dechant gab folgendes Diktat: »Der Geist des Herrn wich von Saul und ließ einen bösen Geist über ihn kommen, der ihn plagte. Und Siehe, Saul erschlug Tausende und David Zehntausende, denn mit David war der Segen Jehovas.«

Das Diktando war durchgehends fast fehlerlos, nur mir passierte anstatt des heiligen Namens Jehovas ein dummes »J. Hofers«, was sie aber wieder damit entschuldigten, daß ich einer der Schwächsten sei. Die Schriften der übrigen waren so, daß die Herren untereinander sagten: »In der vierten Klasse einer Bürgerschule selbst wäre ein solches Resultat glänzend zu nennen!«

Unser alter Schulmeister stand immer gleich demütig in seinem Hintergrunde.

»Aha, die hat's doppelt!« sagte der Pfarrer plötzlich, als er die Schiefertafel eines Dirndels umgewendet hatte und dieselbe dem Dechanten hinhielt. Die kleine Eigentümerin stand auf und sagte: »Das andere gilt heute nicht, das ist noch von der Schul' her.«

»Wollen einmal sehen, was ihr in eurer Schule für ein Diktando habt«, sprach der Dechant und las laut die Schrift auf der Rückseite der Tafel: »Edel sei der Mensch, hilfreich und gut, das allein unterscheidet ihn von anderen Geschöpfen.«

Sie neigten die Köpfe und der Dechant murmelte: »Nicht übel! Nur schade, daß es vom alten Heiden ist.«

Damit war die Prüfung beschlossen. Die Herren hatten sich zusammengestellt und sprachen leise miteinander. Der Pfarrer schüttelte die Achseln und machte mit den ausgebreiteten Händen eine Geste, die wir erst verstanden, als er sich zu uns wendete und sprach: »Liebe Kinder! Wir sind mit euch sehr zufrieden. Es sind euch auch Prämien vermeint, aber ihr müsset warten, wir haben heute schon alle ausgegeben, sie werden auch nachgeschickt werden. Fahrt nur so fort, lernet fleißig und vergesset die Gebote Gottes und die Gebote der heiligen Kirche nicht.«

Und dann konnten wir gehen. Der alte Michel machte vor den Herren noch seine ehrerbietige Verneigung und ging mit uns. An der Tür soll ihm im Vorübergehen der »Schulvater« ins Ohr geraunt haben: »Die Prämiierten haben es nicht halb so gut gemacht!«

Hernach standen wir auf dem Kirchplatze noch ein bißchen so herum; endlich fand unser Schulmeister, daß es Zeit sei, den Heimweg anzutreten. Die Wohlhabenden gingen noch in den Bäckerladen um je eine Semmel, wir anderen erquickten uns unterwegs an frischen Quellen und stellten Mutmaßungen an, wann wir die Prämien nachgeschickt erhalten, und worin sie bestehen würden. Der alte Schulmeister nahm aus seiner Dose eine Prise um die andere und schwieg.

Auf die Prämien warten wir noch heute.


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