Peter Rosegger
Kleine Erzählungen
Peter Rosegger

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Die Wallfahrer

Wären die Vergnügungsreisen nicht aufgekommen, ich ginge selber mit der Kreuzschar nach Maria-Einsiedeln oder auf den Schutzengelberg oder nach Mariazell oder zu einer anderen Wallfahrtskirche, wie sie gerade in den schönsten Gegenden der Alpen erbaut worden sind. So mit lauter guten Bekannten hintrotten über Berg und Tal, über Felder und Auen, und durch die schönen schattigen Wälder manchmal ein Rosenkränzlein trillern, manchmal ein Liedchen singen, unterwegs keine Kirche übersehen, weil nebenan das Wirtshaus steht, mitunter eine hübsche Kellnerin in Ehren haben, weil sie ein Geschöpf Gottes ist, oder gar ein Wunderbildnis, an dem allerlei Mirakel geschehen können – bigott ein solches Wallfahrten wäre meine Passion!

Und für eine solche Kirchfahrt täte ich meine Kreuzer zusammensparen Jahr und Tag lang – nicht anders als wie es die Mechtildis gemacht.

Die Mechtildis, wer ist denn dies, wenn man fragen darf? Nun, ein recht brav und sauber Mädel ist sie und ist auch noch zu haben. Heißt das, ‘s selb kann ich nicht für gewiß sagen; wenn's wahr ist, was die Leut' reden – sie reden gar viel, wenn der Tag lang ist – so wäscht die Mechtildis dem Kranzbauern Michel die Hemden und die Strümpfe; ja freilich, dann ist sie schon verheißen.

Und wenn wir das brave saubere Mädel schon nicht selber kriegen, so wollen wir doch zum mindesten von ihm erzählen – versteht sich, lauter Gutes und Erfreuliches.

Die Mechtildis also hat eine unbändige Freude, als es der Kirchschlager Pfarrer auf der Kanzel verkündet: »Heuer zum Frauentag geht wieder die Kreuzschar nach Zell: ich wünsche, daß sich meine Pfarrkinder daran recht zahlreich beteiligen. Für die Fahnenträger und den Herrn Kaplan, der auch mitgeht, wird heute abgesammelt!«

Das ist in der Ordnung. Und wer in der Seele das Bedürfnis fühlt, Gott zu Lieb' einen weiten Weg zu seinem herrlichen Tempel zu machen, dort Trost und Erquickung für das bedrängte Herz zu suchen – über den macht sich kein gescheiter Mensch lustig. Wo aber unter dem Scheine der Religiosität die weltliche Gesinnung ihr Spiel hat, dort darf man wohl auch in weltlicher Weise – wie es hier geschieht – davon sprechen.

Wir zweifeln nicht an dem kindlich frommen Gemüte der Mechtildis – aber hier kommt ihr sicherlich von der argen Welt auch ein Fünklein dazu, denn als sie auf der Kanzel das Verkünden hört, da wird ihr ganz heiß in der Brust. Sie weiß, wer gehen wird und sie geht ja auch mir, und das hat sie sich bei ihrem Dienstherrn zu Neujahr ausbedungen; sie will schon brav und fleißig sein, aber nach Zell will sie gehen mit dem Kirchschlager »Kreuz«. Und sie spart jetzt schon im achten Monat von ihrem Mund ab – denn ‘s ist über eine Tagreise nach Zell und der Rückweg ist auch nicht viel kürzer und zwei Gulden braucht man, miteingerechnet das, was man unterwegs den Armen reicht und um was man bei den Zeller Krämern angeschmiert wird. Und erst das Ablaßopfer in der Kirche, dasselb frißt Geld, dasselb! Sollte aber das ersparte Geld nicht langen, in Gottesnamen, so verkauft sie dem Juden die Herbstschur ihres bluteigenen Schafes; zehnmal lieber geht sie den ganzen Winter ohne Strümpfe um, als sie bliebe zurück vom »Kreuz«.

Und nun beginnt die Mechtildis herzinnig zu beten, daß sie sich bei der Wald- oder Feldarbeit doch nicht etwa einen Fuß breche, sondern daß sie kerngesund bleibe und insonderheit, daß die Kalbslederschuhe halten bis zu den gebenedeiten Tagen der Zellfahrt.

Des Kranzbauern Michel läßt ihr sagen, seine Schuhe hätten noch gute Sohlen, und sollt's ihr um etliche Groschen nicht zusammengehen, so sollt' sie gerad denken, sie hätt' einen guten Bekannten bei der Kreuzschar.

Die Mechtildis kann ganze Nächt' lang nicht mehr schlafen, stets der seltsamen Dinge gedenkend, die da kommen werden. Beten und singen wird sie laut zum Himmel hinan und auf steinigen Wegen und durch Wildnisse werden sie die Engel Gottes führen, und – der Michel.

Endlich kommt der Tag. Die junge Maid hüllt sich in die frischgeglätteten Wallfahrrskleider; sie ist schier verklärt und mitleidig lächelnd blickt sie nieder auf das alltägige Treiben im Hofe, wo die Knechte wirten und die Hühner den Staub aufkratzen. Sie – die Mechtildis – ist nun der Erde entrückt und verkehrt nur mehr mit den Himmlischen und ihre Dienstfrau ist die Gnadenmutter zu Zell. Einen großen Laib Brot bindet sie sich noch auf den Rücken, das rote Paraplui – Regenschirm hat sie keinen – zwängt sie sich unter die Achsel und jetzt –

»Behüt' dich tausendschön Gott, Mechtildis!« sagt ihre Bäuerin, »richt' einen schönen Gruß aus bei der Zeller-Mutter und bet' für uns auch was!«

Sie in ihrer Demut verspricht es – verspricht alles zu dieser Stunde; und noch befühlend, ob die zwei Gulden wohl gut ins Jöpplein genäht sind, geht sie still davon und der Pfarrkirche zu, wo sich die Schar versammelt.

Weit im Tal kann man die Glocke hören, wenn sie nun ausziehen mit ihren Brotsäcken und Pilgerstäben und Rosenkränzen und mit der flatternden Fahne – der alte Vorbeter unter ihnen und der junge Kaplan. Der Vorbeter hat vorher zwei Gläser Eierbier getrunken, denn das macht den Hals glatt und fördert die Inbrunst im Gebete.

Und so wallen sie hinaus aus der Gemarkung und hin über Berg und Tal im hellen Sonnenschein, und bedauern die Leute, die sie arbeiten sehen und bedauern die Herrenwägen, die zuweilen vorüberschnurren. Das kein Mensch auf Erden so glücklich ist, wie sie, davon sind sie überzeugt – und das muß uns freuen.

Gebetet und gesungen wird, was das Zeug hält. Gott Dank, daß er den Menschen den trefflichen Rosenkranz gegeben hat und die flinke Zunge zum Frommsein! – Das Auge mag sich weiden an den Dingen, die daheim nicht zu finden, und »Gegrüßet seist du Maria voll der Gnaden« – das ist doch auch kurios, jetzt tun sie dort unten in den Kreuzmatten erst das Kraut anbauen – »und du bist gebenedeit unter den Weibern und gebenedeit ist die« – die Füß' brennen mir schon wie Feuer auf diesem gotteslästerlich argen Weg! Das ist schon gar über – »die Frucht deines Leibes:  heilige Maria. Mutter, – gelt. ihr schenkt mir ein Tröpfel saure Milch, man meint, die Seel' schwitzt sich eins heraus in dieser grauslichen Hitz!«

Mancher möcht' allweg einkehren, aber der Vorbeter sagt: »Gehts laßts euch nit anfechten, die Wirtshäuser sind dem Teufel seine Kirchen!« Hat er aber selber Durst, so findet er schon eine Schenke, die der Teufel nicht gebaut haben kann, weil auswendig an der Türe der »süße Namen« steht.

Besegne ihnen Gott den frischen Trunk! Wir eilen ihnen ein Stückel voraus, wollen gern einmal unter uns selber sein und was Gescheites miteinander reden.

Zell liegt tief im Gebirge. Die Wege sind für den, der sie mit seinen Schritten messen muß, weit und wie es im Ave heißt, gotteslästerlich arg'. Mit spitzen Steinen gepflastert und mit Mühsal – und die Wallfahrer gehen gern barfuß, damit sie an Schuhen sparen und Sünden abbüßen. Mancher Pfad führt über wilde Höhen, völlig bis zu Firnen – durchaus böse Gegenden, wenn Nacht und Nebel, Wind und Wetter eintreten.

Da war es wohl notwendig, daß sich aus der Hirtenklause, aus der Sennhütte ein Einkehrhaus, eine Herberge gebildet hat, die nur im Winter verschneit und verödet liegt, im Sommer aber vom Treiben der Wallfahrer aus allen Gegenden durchtauscht wird.

So haben die Bauern auch ihre Touristenhotels. Kehren wir hier in ein solches ein und warten, bis das Kirchschlager »Kreuz« nachkommt.

Ein stattliches frommes Haus von außen: aus Holz gebaut, mir hellen Fenstern, an den Wänden die Schützenscheiben mit den schwarzen Augen – ‘s ist auch ein Försterhaus. Dann das leuchtende Schindeldach und die Schornsteine, aus denen es immer raucht – denn Hunger hat jeder, der hier ankommt. Hinter dem Hause an den felsigen Hügel gelehnt steht die Stallung: wohnt im Erdgeschoß das Geschlecht der Rinder und Schweine, in den Dachräumen ist begehrenswürdig Heu und Stroh – denn müde ist jeder, der hier ankommt.

Droben am Dachfenster ist die Hochwacht. Dort luget der borstenhaarige Kopf Friedels in die Welt hinaus, ob nicht irgendwo von einer Kreuzschar etwas zu sehen oder zu hören ist.

Eine Weile ist's verzweifelt still, nichts zu sehen und zu hören, als die Häher und die Steinlerchen – die bringen aber kein Geld. Auch ist der Sang der Sennerin und das Jodeln des Kühbuben, das aus der Ferne klingt, nicht zu versilbern. Guckt denn der Friedel noch eine Weile – halt, hörst es nicht wie das Summen einer Hummel? Es ist das Schallen eines Wallfahrtsliedes. Dort unten aus der Schlucht taucht eine rote Fahnenstange auf.

»Sie kommen!« schreit der Friedel. Dieser Ruf kostet manchem Lämmlein, manchem hoffnungsvollen Ferkel das Leben. Selbst das harmlose Hühnervolk stiebt vor solchem Schrei, unheilvoller als der Pfiff eines Geiers, wild auseinander – denn ist etwa ein Prälatenwagen bei der Kreuzschar, so gehen auch die Hühner nicht sicher.

Und siehe, nach einer halben Stunde schwankt die rote Fahnenstange der Kirchschlager – die Fahne selbst tragen sie in einer Blechbüchse – über das Steinkar heran. Heller wird der Gesang, denn die Sänger sehen schon das Wirtshaus. Der junge Kaplan, anzusehen schier wie der heilige Aloisius, ist umgeben von dem schönsten Kranze gottesfürchtiger Jungfrauen. Die Mechtildis jedoch geht etwas weiter hinterwärts – ‘s ist ihr an diesem steilen Berge fast das Mieder zu fest gebunden –, sie schnauft und sie hat in der rechten Hand das Paraplui und an der linken den Michel, daß es doch mag vorwärtsgehen mit harten Kräften.

Mittlerweile ist es Abend geworden und von Kuppe zu Kuppe der Alpenhöhen heran kommen graue Nebel gezogen. Still, aber rasch, in dichten Ballen wogen sie heran und hüllen die Niederung, hüllen das Wirtshaus ein, und siehe, die fromme Wallfahrerschar thront in den Wolken des Himmels.

Daß sie aber auch noch ihre Leiber bei sich haben, die Seelen aus Kirchschlag, das weist das Poltern, unter welchem sie mit ihren staubigen Schuhen und Stöcken, mit ihren Brotsäcken, mit der Fahnbüchse und der Stange in die Herberge einziehen.

Wer aber wollte nicht einziehen durch eine Pforte, über welcher der biblische Spruch steht: »Herr, bleib' bei uns, denn es will Abend werden!« Und das um so lieber, wenn über derselben Pforte, aber an der inwendigen Seite in einem Kranz von Knieholzzweigen die tröstliche Satzung prangt: »Auf der Alm, da gibt's ka Sünd!«

Der auswendige Spruch ist bald erfüllt, so mag denn der inwendige erprobt werden. Vorläufig besetzen sie die Tische, tun ihre mitgebrachten Brote, Krapfen und Schinken aus den Bündeln und lassen sich Gläser dazu bringen, wohl gefüllt aus den Fässern mit dem Bronnen des Heiles. Gott Lob, daß sie recht essen und trinken, dies weist, daß sie gesund sind. Gesundheit und auf Gotteswegen wandeln  wer könnt' sich Schöneres denken! Leider, der gute Vorbeter ist so heiser, daß er kaum nach einem Gläschen Schnaps zu rufen vermag; und als er später zum Kartenspiel kommt, ist es mit seiner Stimme so arg, daß, wenn er ausrufen will: »Gestochen mit dem As, du verd –«, ihm der verdammte Schneider mitten in der Kehle stecken bleibt. Und wie – ich bitt' euch – soll er morgen mit so einem Kerlchen im Halse wieder vorbeten! –Dem Fahnenträger ferner sind die Arme so steif geworden, daß er den Maßkrug nur mit Mühe an den Mund bringt, das Fingerhäckeln mit der Kellnerin aber nachgerade unmöglich scheinen will.

Von den Weibsleuten zieht sich ein guter Teil bei Zeiten zurück auf den Heuboden. Daselbst graben sie sich unter Gekicher und Geglucke Nester, lösen ihre Haarflechten auf und belegen die wunden Füße mit Unschlitt. – Ja, ihr Leut, ‘s ist alles verweichlicht heutzutag'; vor Zeiten haben sich fromme Wallfahrer Sand und Glasscherben in die Schuhe getan, um unterwegs recht viele Sünden abzubüßen. – Ist denn das heutzutag' so sehr überflüssig? Ich glaube nicht! – Indes, meinen sie, was die Sünden anbelangt, so wären sie morgen um die Abendzeit in Zell, und da gäbe es Beichtväter genug. Und manches Mägdlein bildet sich noch ein, es habe gar keine Sünden zu tragen – der Toni-Natzl-Sohn, oder wie er heißen mag, sei weit stärker, der wäre so gut und trage in seinem Bündel auch ihre Sünden, die vorjährigen und die vom Winterfasching her, und auch die vom heurigen Frühjahr.

In der Gaststube geht es bis spät in die Nacht hinein lebendig zu. Kerzendunst und Tabaksrauch vermögen nicht, das Johlen und Lärmen zu ersticken, und die geistlichen Lieder sind zu weltlichen geworden, und die Kellnerin wahrhaftig ist ein hübsches Frauenbild – soll jünger sein, als jenes zu Zell.

Der Wirtssohn, der Friedel, huscht schalkhaften Gesichtes unter den Gästen umher, weiß unterhaltsam zu sein, weiß prächtige Ziffern zu zeichnen auf dem Tisch, macht mit einem Fahrer Zahlen, die tief in die Hunderte gehen, und noch allerlei possierliche Zierarten dazu – ein talentiert' Köpfel, der Friedel! – Und wie geläufig er zu rechnen versteht! – Hat was gelernt, der Friedel! – Auf hohen Bergen können die Zechzahlen nicht niedrig sein, das ist ganz in Ordnung.

Aber manchem verschlägt Friedels hochherzige Ziffer völlig die Rede, nur daß er noch murmelt: »Bigott, wir sind auf dem heiligen Kirchfahrtsweg: ‘s ist Zeit zum Schlafengehen!«

Der Herr Kaplan ist schon früher verschwunden, auch seine Füße waren etwas wund, er mußte sie mit Unschlitt belegen. Die Mesnerstochter, die gelbhaarige Hanne, war so gut und hat ihm, eine neue Magdalena, die Füße gesalbt.

Wohl auch, der Fahnenträger verläßt seine Stang', torkelt auf den Heuboden hinaus.

Ehselb sie noch vollends die Augen schließen auf dem Heuboden, fällt es dem Vorbeter ein: »Du kreuzverzwickelt, sind wir aber fromme Kirchfahrer! jetzt haben wir heut' abends auf das Avebeten vergessen! Sakra, jetzt heben wir aber gleich an!«

Und auf dem finsteren Heuboden beginnt es zu summen.

Noch eine Weile rauscht das Heu und das Stroh – der Wirt hat sein Lebtag noch kein Stroh zu dreschen gebraucht, auf welchem Wallfahrer geschlafen – und endlich wird es still unter dem Dache, nur draußen braust der Wind in den Felsen.

Ich wollt', mir wären die lieblichen Träume der frommen Diener Gottes gegeben, daß ich sie zu weiterem Nutz und Frommen könnte in dies Büchlein tun. – Je nun, ‘s muß gut sein.

Des andern Morgens, noch ehe der Tag anbricht, kriechen unsere Kirchschlager aus ihren trautsamen Nestern hervor. Wieder ausgeruht und ernüchtert, kommt neuerdings der Geist der Frömmigkeit über sie. Hastig kleiden sie sich an; mag vielleicht manche ihr Jöpplein, ihr Schürzlein in der Geschwindigkeit nicht finden oder unversehens in das Schühlein einer Nachbarin schlüpfen – doch in guter Ordnung verlassen sie die Herberge.

Es geht über Stock und Stein, durch Finsternis und Nebel, sie halten sich aber vorsichtig aneinander und gemächlich folgen sie dem Fahnenträger. Der hat ja gar die Fahne aus der Blechbüchse genommen und sie auf die Stange gehangen. Hat es wohl getan, damit die Leute in der Dunkelheit den Weiser besser gewahren oder vielleicht hat er die Fahne schon entfaltet, weil heut' der Einzug in Zell sein wird? Ihr Lob- und Bußgesang schallt in den Berghängen, an welchen schon der Schimmer des Morgenrotes liegt.

Die Kreuzschar trottet davon; im Wirtshause auf der Höh' aber geht der Friedel herum, sammelt die Knochen der gestern zu Gottes Ehre verzehrten Lämmer für neue Suppen, lockert im Stallboden das Heu und das Stroh für neue Schläfer und hat den ganzen Tag für sich etwas zu lachen.

Und die Wallfahrer? Die sind am selbigen Abend glücklich nach Zell gekommen. Mit der roten Fahne und mit Musik sind sie eingezogen in die große weltberühmte Kirche und hoch auf dem Turm ist geläutet worden mit allen Glocken. Kommt auf 38 Gulden zu stehen, der Einzug: doch die Kirchschlager lassen sich's kosten, damit es bei den Zeller Bürgern heißt: Ja, die Kirchschlager, die können sich's kosten lassen!

Vor allem nun – und das ist auch das Nötigste! – suchen die Kirchschlager Leute die Beichtstühle auf. Alles schon besetzt, und sieht man wieder einmal, wie sündig diese Welt ist. Nun, da sie warten müssen, werfen sie sich auf die Knie und rutschen kniend dreimal um den Gnadenaltar, der mitten in der Kirche steht. Die Mechtildis wohl auch. – Reiche Leute freilich, die können sich neue Schürzen und Unterröcke kaufen: unsere arme Magd aber rutscht aus Ersparungsrücksichten auf den bloßen Knien. Die großen breiten Steine tun ihr gar nicht weh, wo aber so ein kleines, scharfes Sandkörnlein liegt, und sie kommt darauf, da möcht' sie schier zusammensinken vor Not. Doch starkmütig überwindet sie den Schmerz, nur die »Zellermutter« sieht ihr Weh, ihr sei es geopfert. – ‘s wär' gut, wenn's ein wenig schneller ginge, denn ihr auf den Fersen nach rutscht der Michel. Schier wollen der armen Magd beunruhigende Gedanken kommen, ob Ersparungsrücksichten hier doch wohl am Platz! Doch ergeben, wie sie ist, überläßt sie alles der Gebenedeiten.

Nach diesem Bußrutschen flüstert der Bursche zur Magd: »Ich denk', Mechtild, wir gehen erst morgen früh zur Beichte.«

»Ich denk' auch, Michel.«

Und nach solcher Eingangsandacht versammeln sie sich in ein Wirtshaus.

Wir aber hätten schier noch Lust, ein wenig in der Kirche zu bleiben, in welche durch die hohen Fenster das Abendrot strahlt, und in welcher vor dem Gnadenaltare ewig die stillen Kerzenflammen brennen.

Ein altes Weiblein kauert einsam davor und betet. Es betet von Herzen; es ist nicht gekommen, um sich zu ergötzen; es ist gekommen, um Trost zu suchen in seiner harten Lage, da es von allen Menschen völlig verlassen ist. Und das Mütterlein, das alles hat begraben, woran jemals ihr Herz gehangen, das keine Hoffnung mehr hat auf dieser Erde als die auf ein baldig Ende und auf das Wiederfinden der Ihren dort im Himmelssaal – es wird getröstet und gestärkt vor diesem Bildnisse: denn nimmer gebrochen ist die Wundermacht – lebt nur der Glaube.

Darum wollen wir still und ohne Lächeln an der Beterin und der Angebeteten vorübergehen und dankbar preisen den Allvater, der jedem, auch dem Ärmsten im Geiste, von seiner allgestaltigen Gnade spendet.

Genießen ja doch auch unsere wackeren Kirchschlager im Wirtshause von solcher Gnade, da sie guter Dinge werden und Gott einen guten Mann sein lassen.

Der Kaplan ist freundlich eingeladen, im Pfarrhofe zu übernachten; aber er sieht es wohl, er kann, darf seine Schäflein nicht verlassen in den unbekannten Räumen des Wirtshauses, um so weniger, da die meisten erst morgen zur Beichte gehen.

Wir wollen alles getrost dem Schutz des Himmels anheimstellen und freuen uns nur, daß unsere zwei Bekannten des andern Morgens ehestens Gelegenheit haben, an den Beichtstuhl zu kommen. – Der Michel kniet lange davor, und als er endlich fertig ist, schleicht er ganz duckmäusig gegen die Altarnische hin, in welcher unter Glas und Rahmen ein »heiliger Leib« ruht. Vor diesem heiligen Leibe soll er, einem Auftrage des Beichtigers gemäß, seine Bußandacht verrichten.

Vor einem heiligen Leib, der bloß aus Wachs ist, tut es doppelt weh, zu knien. Bald zum Glücke oder zum Unglücke, schleicht auch die Mechtild heran; nicht gar weit von dem Burschen kniet sie hin, blickt ihn aber nicht an, sondern tut ihr Bußgebet. Dann erheben sich beide, weichen sich aus und kommen immer wieder zusammen, und endlich draußen in der Kapelle, in welcher der heilige Brunnen fließt, der Brunnen des Lebens, der gut ist gegen schlechte Augen, gegen Lahmheit, gegen andere Gebrechen und sonderlich gegen den Durst – dort ist es, wo sich die beiden jungen Leutchen wieder begegnen, und wo der Michel das Wort flüstert: »Mechtild!«

Das erstemal weist sie ihm keine Antwort, sondern lugt gegen ihre Fußspitzen hinab.

»Mechthild!« sagt der Michel noch einmal. »Was willst denn?« haucht sie.

»Du bist ja ganz dasig; was hat er denn zu dir gesagt?« »Wer?«

»Na, der geistlich' Herr.«

»Was wird er denn auch gesagt haben?« entgegnet sie fast unwirsch. »Wird schon was gesagt haben«, versetzt er.

»Was hat er denn zu dir gesagt?« ergreift jetzt sie die Frage.

»Zu mir?« murmelt der Bursche, »was wird er denn gesagt haben!« »Wird schon was gesagt haben«, erwidert sie hierauf.

»Grad' still ist er nicht gewesen«, gibt er bei. – Und das ist am heiligen Brunnen der Diskurs.

Hierauf nimmt der Bursche den blechernen Schöpflöffel, der beim steinernen Becken an einem Kettchen hängt (weil es Wallfahrer gibt, die nicht allein das heilige Wasser, sondern auch den Schöpflöffel gern bei sich haben möchten), diesen Löffel nimmt der Michel in die Hand und schöpft und trinkt, daß alles Übel von seinem Leibe solle gebannt sein. Dann reicht er dem Mädchen das volle Pfannchen: »Willst auch?«

»Kann mir schon selber schöpfen«, ist die Antwort. Sie schöpft und trinkt aber nicht.

»Bist harb auf mich?« fragt der Bursche.

»Weißt, was mir der Beichtvater gesagt hat?« frägt sie entgegen.

»Ja, was wird er dir denn gesagt haben?« frägt der Michel wieder zurück.

»Er hat gesagt«, flüstert sie und plätschert mit dem Schöpflöffel, »der geistliche Herr hat gesagt, ich und du – wir sollten uns meiden.« »Das hat er zu mir auch gesagt«, versetzt der Bursche.

»Gelt ja!«

»Was hätt' er denn sonst sagen sollen? « meint der Michel, »das ist ja schon so der Brauch. Weißt, Mechtild, der Kirchschlager Pfarrer, der hat vor vierzehn Tagen so scharf gegen das Kartenspiel gepredigt; am selbigen Tag sitzt er beim Schwanenwirt und kartelt mit dem Kaufmann und mit dem Schulmeister bis zwölf in der Nacht. Hat ja recht, wenn's ihn freut; aber predigen muß er, und predigt er gegen die Karten nicht, so predigt er gegen das Trinken oder gegen was anderes, und überall kann er sich selber treffen. – Ja, Mädel, das muß der Mensch nicht so krumm nehmen.«

»Aber die Höll', Michel, die Höll'!«

»Die fürcht' ich nicht«, sagt der Bursche trotzig – sagt es vor dem heiligen Brunnen in Zell.

»Bist denn du ein Heid' geworden«, ruft die Mechtild, »was gehst denn zur Beicht?«

»Weil's der Brauch ist.«

»Ich aber sag' dir, Michel, ich mag dich nicht!« begehrt das Mädchen auf, »wenn zwei ledige Leut' so miteinander gehen, so ist das eine Schlechtigkeit. Ein garstig Leben ist's und ein böses Beispiel!«

»Das, Mechtild«, versetzt der Bursche langsam, »das laß' ich dir gelten. Aber schlecht will ich nicht sein. ‘s ist wahr, unsere Bekanntschaft schickt sich nicht; müssen es anders machen. «

Da wird das Mädel blaß vor Schreck.

»Ein End' haben muß die Liebschaft!« sagt der Michel, »aber dich laß ich nicht!«

»Was willst denn?« frägt sie ängstlich.

»Heiraten will ich dich und gleich auf der Stell'! Sagst ja?« Sie sagt nicht nein, und das kann ihm genug sein. Und darauf, wenn ich schon alles so haarklein erzählen will, trinken sie Wasser – trinken vom Brunnen des Lebens.

Und nach all den verrichteten Andachten kehren die Kirchschlager wieder zurück in ihr Heim, und am Sonntag darauf verkündet der Pfarrer, der vor Wochen die Wallfahrt verkündet hat, folgende Nachricht:

»Es wollen sich verehelichen: Der Bräutigam Michel Partensteiner, katholisch, großjährig, bisher im Dienste beim Kranzbauer. – Die Braut: Mechtildis Klinger, katholisch, minderjährig, derzeit im Dienste auf der unteren Leut. Diese Brautleute werden zur Aufdeckung eines allfälligen Ehehindernisses verkündet heut das erstemal.«

Ein Ehehindernis ist nicht aufgedeckt worden: im Gegenteile hat der Vormund des Mädchens diesem eine kleine Erbschaft zugewiesen. Frisch geheiratet wird, und jetzt sag' mir noch einer, daß das Wallfahren zu nichts nütze ist!

 


 


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