Peter Rosegger
Kleine Erzählungen
Peter Rosegger

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Jung Hanele, die Trutzige

Zwischen Wald und Weide stand der Wiesmeierhof, wie er heute noch steht. Jung Hanele war ganz allein daheim, sie und die große graue Katze. Alles andere war ausgegangen, ausgeflogen, ausgefahren. Die Leute waren bei der Hochzeit im Dorfe. Jung Hanele sollte zwar auch dabei sein, gehörte ja doch dazu, wenn ihre Schwester getraut ward, aber sie hatte mit der flachen Hand in die Luft hineingeschlagen und gesagt, bei so Dummheiten wolle sie nicht dabei sein. Jung Hanele hätte ihn ja selber haben können, den Bräutigam, aber die Mannsbilder waren ihr unsäglich zuwider! Und doch würde sie ihn genommen haben, wenn sie hätte ahnen können, daß ihn sonst die Schwester nimmt – diese falsche Kreatur! – Bei solcher Hochzeit wollte sie nicht dabei sein, da blieb sie hundertmal lieber daheim bei der grauen Katz'.

Was gibst mir, neugieriger Leser, wenn ich dir jung Hanele beschreibe? Das Mädel ist so schön, daß ein gewöhnliches Trinkgeld nicht kleckt! Der Luger-Steff wollte Haus und Hof dafür geben, hat's aber nicht bekommen. Der Petschen-Anden gab seine Ehre dafür, da er eine Verlobte im Stiche ließ, der Hanele wegen, hat sie aber nicht bekommen. Dem Holzknecht Veitl kostet sie vorläufig das ganze Lebensglück, und doch hat er sie nicht bekommen. Sie hatte seidenweiches Haar von rötlicher Farbe, das spielte allerhand Ringlein über die Stirn herab, allerhand Schlangen über den runden Nacken hinunter. Solche Haarschlangen sind das gefährlichste Reptil! Von dieser Spezies war auch die Schlange im Paradiese. – Noch bedenklicher waren die von langen, leicht aufgeschweiften Wimpern eingefriedeten meergrünen Augen; jedem, den sie damit anblinzelte, zuckte es bis ins Mark hinein. Zum Glücke blinzelte sie selten. Und das feingebaute, etwas ins Längliche gezogene Näschen, welch ein unwiderstehlicher Wegweiser hinab zum roten Lippenpaar! Diesen ganz einzigen Mund näher zu beschreiben ist gesetzlich verboten, weil schon mancher, der ihn zwar gesehen, aber nicht küssen durfte, daran verrückt geworden ist. Besagten Mund sprechen zu hören, war weniger gefährlich, wie wir noch sehen werden.

Dieses Dirndl nun war im Wiesmeierhof allein zu Hause. Mit einem Reibeisen schabte sie von dem Salzstocke das Salz für die Mittagssuppe. Die Graue strich weichmütig auf dem Tische um und legte im Vorüberschleffichen manchmal den langen Schweif an die hochgerötete Wange der Maid. Hanele war recht verdrießlich, doch dieses Schmeicheln und Streicheln der Grauen tat ihr fast wohl.

Plötzlich hielt sie in ihrem Salzreiben ein und horchte. Draußen war ein Wagen des Weges herangerollt, und der hielt nun vor dem Hause still. Was kann denn das sein? Sollte es dem Bräutigam zu langweilig geworden sein bei der Hochzeit? – Ein einspänniges Steirerwägel, auf dem Bock der alte Rucker-Ferdl mit dem kleinen braunen Gesicht und dem grauen Schnurrbart drin. Hinter ihm Bündelwerk und der Holzknecht Veitl. Alle vierzehn Nothelfer, der Veitl, der ihr schon dreimal die Lieb' hat abbetteln wollen, und den sie ebensooft kalt hat ablaufen lassen. Ein sauberer Bursche, wie er jetzt aus dem Wagen sprang; sauberer schon, wie der Schwester ihr Bräutigam. Das schwarze Bartl in seinem Gesicht ist zwar nicht groß, man sieht es aber schon. Im Sonntagsgewand stolziert er, und es ist doch Montag. Mit einem Stock geht er und hat doch so junge Füße; gar ernsthaft tut er, wo er sonst doch ein so lustiges Blut ist. Was das heißen soll? Jetzt geht er an die Haustür, dreht an der Klinkel – ist aber zugesperrt.

»Ist niemand daheim?« ruft er. Gott, was der heute für eine heisere Stimme hat! »Ist niemand daheim?« schreit er, das klingt schon heller, und lebhaft klappert die Klinkel. Die Hanele schießt lautlos in der Stube hin und her und reibt die Fäuste ineinander. Er will herein. Was soll sie tun? Macht sie auf so bleibt er nicht draußen; und läßt sie zugesperrt, so kann er nicht herein!

»Oder fürchtest du dich vor mir?« rief draußen der Bursche. – Was hat er gesagt? – Jetzt zeigte sie sich am Fenster: »Fürchten? Ha ha, da müßtest du ein anderer sein, oder ich eine andere!«

»Nun, so riegle auf, Hanele. Es ist was Wichtiges und soll das letztemal sein, daß ich dir Umständ' mach'!«

So feierlich! – Sie ging zur Türe und schob den schweren Holzriegel zurück, damit er sehe, daß sie sich nicht fürchte. Der Veitl, den braunen Lodenhut in die Stirn gedrückt, trat über die Schwelle, ging an ihr vorbei in die Stube, als wäre er des Hauses Herr und sie die Magd. Das wollte sie doch sehen, von woher dieser Mensch heute seine Keckheit hat! Sie ging ihm nach, mitten in der großen Stube stand sie mit festgestemmten Armen still und sagte; »Nu, was verschafft mir die Ehr'?«

»Hanele!« sprach er, seine Stimme war unsicher, in seinem jungen Gesichte zuckten die Muskeln. »Ein Behüt' Gott will ich dir noch sagen . . . weil ich fortgeh'!«

»Ja, ja, die Tür steht eh noch offen«, war ihre Antwort.

»Du kannst wohl froh sein, Hanele. Nachher hast vor mir Ruh' – dein Lebtag lang.«

Sie horchte ein wenig auf.

»Der Rucker-Ferdl fährt mich nach Talham auf den Bahnhof«, fuhr er stockend fort. »Ich gehe nach Amerika.«

Sie ein Weilchen ganz still, dann: »So – nach Amerika gehst. Da hinüber soll ja der Weg so viel naß sein.«

»Wirst gehört haben, daß von Babelbach und Sankt Georgen eine Auswanderergesellschaft nach Amerika geht, da mach' ich halt mit.«

»Wer hält dich denn zehrungsfrei unterwegs?« Wie sie das sagte, es war weder Neugierde noch Teilnahme, es war Spott.

Er antwortete ruhig: »Am Samstag habe ich beim Gericht meine kleine Erbschaft von Vaterseiten bekommen. Herüben kleckt's nicht viel, will ich's halt drüben damit probieren.«

Strich die Hanele ein wenig so an der Wand hin, als wollte sie zum Fenster hinausgucken. »Na, hast recht. Geh nur. In Amerika kriegt man ja alles zu kaufen, wie man hört – auch Leut' – wer umsonst keine bekommt.«

»Sklaven halt ich mir nicht«, antwortete er, ohne den argen Hohn weiter zu beachten. »Wie es mir wird gehen, das weiß ich freilich nicht. Hart wird es schon sein für unsereinen, und anfangs schon gar. Es gehen viel' zugrund'.«

»Wird dir gewiß recht gut gehen. Ich wünsch' dir's!« Also sie; die Worte waren kalt und schrill wie Eiszapfen, die von den Dachtraufen fallen.

»Weiß nicht, wie das ist«, sagte der Bursche und tat bei seinen Fingernägeln um, als wollte er nachsehen, ob sie wohl in Ordnung waren. »Ich hab' kein' Vater und Mutter, kein' Geschwister und nichts mehr daheim, und geh doch hart fort. Recht hart. Wenn ein Mensch wär', der mir zum letzten Abschied ein treuherziges Behüt' Gott tät sagen und ein gutes Wort, und daß ich den ersten Tag, wenn ich fortgeh', nicht auch schon vergessen bin.«

»Wer so weit fortgeht, der muß es freilich auch leiden, wenn er vergessen wird!« gellte sie auf, verzog aber dabei keine Miene.

»Und sonst sagst mir gar nichts?« »Ja, also behüt' Gott, sag' ich!« – Jetzt schwieg der Veitl, auf der Ofenbank schnurrte etwas, und das war die graue Katze.

Der Bursche stellte sich dem Dirndl um einen Schritt näher, bohrte seinen Blick gleichsam in ihr Gesicht, und was er nun sprach, das sagte er leise, aber sehr deutlich: »Du glaubst es, daß ich nach Amerika geh'? Du glaubst es wirklich? Und daß ich drüben ohne deiner anfangen werde, wie ich herüben aufgehört hab'? Und daß es sich nur um den Katzensprung übers Wasser handelt? – Daß ich dir's nur sag', Hanele, ich gehe nicht nach Amerika, ich gehe viel weiter fort.«

»Uh, noch weiter! Wohin denn lauter?«

»Ich will dir meinen Reisepaß gleich zeigen«, sprach er, langte in den inneren Rocksack, wo andere Leute ihre Brieftasche oder ihr Gebetbuch haben, und zog einen Revolver heraus.

In einer schier lustigen Weise schlug das Dirndl die Hände zusammen: »Unter die Banditen willst?«

»Hanele«, sagte er und hielt die Waffe mit beiden Händen prüfend und wiegend so vor sich hin. »Am letzten Sonntag, wie du mir dieselbig' Antwort hast gegeben, daß – nein, ich mag's gar nicht sagen –«

»Ja, ja, ich weiß schon, strapazier' dich nicht.«

»Darauf bin ich schnurgerade in den Markt hinab und hab' mir dieses Pfeiferl gekauft. Du willst mich lebendiger nicht, vielleicht magst mich toter.«

»Aber Bürscherl!« sagte sie mit einer Miene von Überraschung, der man leicht anmerkte, daß sie eine gemachte war, »du wirst dich doch nicht da vor meiner über den Haufen schießen wollen?«

»Schau dir die Komödie nur an«, sagte er mit tiefer Bitterkeit, »ich glaube nicht, daß dir den Gefallen sobald wieder einer tun wird. Kannst dir nachher doch was zugut tun dein Lebtag lang: meinetwegen hat sich einmal einer erschossen.«

»Versteht sich, als ob das was Besonderes wär'! Wenn das Mannsbild nicht einmal so viel Kurasch' hätt, sich das Kügerl in den Leib zu schnellen, dann wär's eh kein Mannsbild.«

»Hanele«, sprach er mit leise zitternder Stimme, »wirst mir eine Handvoll Erden nachwerfen ins Grab?«

»Im Grab hast eh Erden genug«, gab sie zurück.

»Spott und nichts als Spott!« brauste er auf. »Dirn, ich sag' dir's, du wirst mich einmal mit blutigen Fingern aus der Erden graben wollen, aber –«

»Nun? Verschlagt's dir endlich die Red'!«

»Aber ich werd' nicht drinnen sein!« rief er aus.

»Na, so mach!« schrie jetzt draußen der Rucker-Ferdl auf dem Wagen, denn das Pferd strampfte unruhig mit den Vorderbeinen, »schau, daß du fertig wirst, Veitl, die Kathrin wird dir was pfeifen, wenn sie so lang' warten soll!«

»Hörst es?« fragte der Bursche das Mädchen, dabei steckte er den Revolver ein und sein Gesicht veränderte sich von der länglich gezogenen Betrübnis zu einem breitgezogenen Lächeln. Das war ihr gleich nicht geheuer. Er bog seine Knie krumm, streckte seinen Kopf vor:

»Ja, Hanele! Und hast du auch das geglaubt? Hast du denn wirklich geglaubt, daß einer wegen deiner nach Amerika gehen oder sich totschießen wird? Du bist ein kindisches Mädel!«

Sie bäumte sich auf und war sprachlos.

»O nein, Schatzerl«, fuhr er fort, »nicht übers Wasser und nicht unter die Erde. Ich gehe noch viel weiter fort von dir. Nach Amerika könntest du mir leicht nachkommen, aufs Grab könntest du mir Blumen legen und Weihwasser gießen und sagen: das ist meines Liebsten Ruhestatt. O nein, Kindl, so leicht sollst du mich nicht haben. Ins Land, wohin ich jetzt fahre, sind alle und alle Brücken abgebrochen zwischen mir und dir. Ich gehe in den heiligen Ehestand, und der Rucker-Ferdl fährt mich eben nach Talham zum Lindenwirt, wo die schöne Kellnerin ist, die Kathrin. Wir haben heut' miteinand' das Versprechen, und so bin ich unterwegs da bei dir zugekehrt auf ein Behüt' Gott und nichts für ungut. Und jetzt geh' ich.«

»Verdammter Köter!« fuhr die Hanele in diesem Augenblicke kreischend auf und schleuderte das Reibeisen hin gegen die Ofenbank nach der schnurrenden Katze. Diese sprang mit zwei großen Sätzen hinter den Ofen hinauf und trat einen Topf herab, daß er in Scherben barst. Aus dem dunkeln Winkel funkelten ihre grünen Augen.

Der Veitl ging recht behaglich zur Türe hinaus. Die Hanele rief ihm mit gellendem Lachen nach, was das für ein Mann sei, der sich vor einer alten Katz' fürchte? Ob er ihr denn nicht die Gutheit erweisen wollte, das verrückte Vieh vom Ofen zu fangen, bevor es das ganze Geschirr in Scherben stürze? – Auf diesen Leim ging der Vogel. Er kehrte um, und nun begannen beide nach der Katze zu jagen. Diese sprang vom Ofen auf die Wandstelle, trat dort einen blechernen Kerzenleuchter herab sprang auf den Tisch mitten in das stäubende Salz, und nun wurde sie erst wild, sie nieste, sie schnurrte, sie kreischte, sie sprang von Bank zu Bank, von Wand zu Wand, unterwegs allerhand Sachen zu Boden stürzend – endlich flüchtete sie vor den ausgestreckten Armen des Burschen und vor dem greulich drohenden Besen des Dirndls hinter einen großen Schrank. Jetzt war nichts zu machen. Und weil nichts zu machen war, lehnte die Hanele den Besen an die Wand, wendete sich in den Winkel und hub sachte an zu flennen.

Ob sie sich weh getan habe, fragte der Veitl.

Sie schluchzte erbärmlich, war keines Wortes mächtig; endlich begann sie zu lallen und zu klagen über die Falschheit der Männer. Wenn eine in Züchten und Ehren zurückhaltend sei und den Verlockungen des Liebsten nicht auf der Stelle Gehör gebe, gleich laufe der zu einer andern und benutze die gute Ausrede für seine Treulosigkeit.

Der Veitl stand mitten in der Stube und warf ihr das Wort hin: »So?

Aus lauter Züchten bist so hart gewesen auf mich! Hättest mich nach Amerika auswandern lassen aus lauter Züchten, hättest mich in Verzweiflung einen Selbstmord begehen lassen aus lauter Züchten und Ehren! Und zuletzt, Hanele, zuletzt nimmst mich doch?« »Freilich!« schrie sie und wollte auf ihn zueilen.

Er trat einen Schritt zurück: »Aber ich nehm' dich nicht.«

Ging zur Tür hinaus, sprang in den Wagen und fuhr davon, die Richtung gen Talham.

Ein qualvoller Tag war das für Jung-Hanele. Und qualvoll war der Abend, als die Schwester heimkam mit ihrem jungen Manne. Der Maid Herz und Sinn war zu Talham beim Lindenwirt. Dort war ihre Hölle, und doch konnte sie ihre Gedanken und Vorstellungen nicht losreißen von dem Lindenwirtshause, wo nach ihrer Meinung der dümmste der Männer und die schlechteste der Frauenzimmer Verlobung feierten.

Der dümmste der Männer war nicht bis Talham gefahren. Eine Stunde davor, bei der Waldenbühler Gewerkschaft, war er abgestiegen und hatte dem Rucker-Ferdl lachend einen schönen Dank gesagt. Der Ferdl hatte vom Holzknechte einen andern Fahrlohn auch nicht erwartet und fuhr mit seinem Wollenbündel lustig weiter nach Talham zum Weber.

Der Veitl sprach in der Gewerkschaft um Arbeit zu, die er auch fand im dazugehörigen schlagbaren Dreibrunnbergforst. Er stand als Holzknecht ein für Jahr und Tag. Und Amerika? Ha, wer wird nach Amerika gehen, wenn's daheim zu roden gibt! Und der Revolver? Ha, wer wird das Bleikügerl sich in den Leib sprengen, wenn so viele Rehe umlaufen im grünen Wald! Und heiraten? Ha, ha, ha, wer wird's einer einzigen so gut meinen, wenn darob zehn andere Dirndln arg bös' werden! Wir bleiben unsers selber. – Der Waldberg ist steil, die Bäume sind hart, aber unser Holzknecht ist stark. Bei der Wochenarbeit freut er sich auf die Lustbarkeit am Sonntag, und bei der Lustbarkeit freut er sich wieder auf die Arbeit. Im Winter freut er sich auf den Sommer, wenn die Bäume leichter zu schlagen sind; im Sommer freut er sich auf den Winter, wenn die Blöcke auf Riesen und Schlitten leichter zu Tal zu bringen sind. Und Jung-Hanele ist ein Unband, an das er nicht mehr denkt.

Aber Jung-Hanele ist auch ein Weib, und viel sinnt sie darüber nach, wie sie den ihr entkommenen Burschen wieder in ihre Gewalt bekommen könnte. Daß es mit des Lindenwirts Kellnerin nichts geworden, war ihr wohl ein rechter Trost; aber daß auf dem Kirchwege nun der Veitl gar gleichgültig an ihr – der Hanele – vorbeiging, als wäre sie eine Wegsäule, das bekümmerte sie schwer. ja, vor der Wegsäule rückte er fromm sein grünes Hütl, vor ihr rückte er gar nichts, tat, als wäre sie Luft und nicht einmal eine frische, denn er schnupperte mit der Nase, wenn er an ihr vorbeikam.

Daß der Veitl gar so stolz und wegwerfend tat, war ihr übrigens ein tröstliches Zeichen: ganz gleichgültig ist sie ihm nicht; liebt er sie schon nicht mehr, so haßt er sie doch wenigstens, und das ist immerhin etwas... Jung Hanele kennt sich aus.

Übrigens, wenn er falsch war, so kann sie auch falsch sein. Daß sie nach Amerika reisen will, kann sie freilich nicht aussprengen. Daß sie sich erschießen wird, glaubt man wahrscheinlich nicht, und daß sie lebendig in den Himmel fahren wird, glaubt man noch weniger. Das Gerücht vom Heiraten wäre schon recht, aber wenn's dann nicht dazu kommt, ist's für ein Dirndl um so schlimmer. Womit soll sie denn locken?

Eines Tages ist in der Gegend große Neuigkeit. Dem Kaplan von Sankt Georgen ist sie vertraut worden, und der predigte sie von der Kanzel herab zum guten Beispiel: Die Wiesmeier-Tochter geht ins Kloster.

»Um so was ist's schade!« meinten einige Mannsleut', die nur ihr arg schönes Lärvchen kannten. Allein, als Jung Hanele nachher auf dem Kirchwege wieder dem Holzknecht Veitl begegnete, sah sie zwar nicht, was er für ein Gesicht machte, denn sie schlug ihr Auge zu Boden, hörte aber, was er pfiff. Er pfiff das schöne Lied: »Z'Lauterbach han ich mein' Strumpf verlor'n.«

Nun war's in einer der nächsten Nächte, als es in der Holzknechthütte des Dreibtunnbergforstes still geworden und die Holzleute der Reihe nach auf ihren Strohpolstetn lagen, daß der Veitl aus dem Schlafe redete. »Das Unband hat recht«, lallte er, »ins Kloster, dort braucht sie's nicht, was sie nicht hat.«

»Von der Wiesmeierschen phantasiert er«, flüstert einer der Nachbarn zum andern. »Paß auf Freunderl, zwischen diesen zweien gibt's noch was.«

»Ja, weil sie sich spinnenfeind sind«, meinte der andere.

»Ah, ganz natürlich!« spottete der eine.

»Die möchten einander am liebsten auffressen, mein Lieber!«

»Das laß ich gelten, aber anders, als wie du meinst.«

» – Für dort hat sie, was sie braucht«, lallte der Schlafende. Bald darauf allseitiges Schnarchen in der Hütte. – So war der Sommer vergangen und der Winter gekommen. Der ganze steile Berghang hinter der Hütte hinauf war abgeholzt, auf der weiten Schneefläche lag blendender Sonnenschein, und die Knechte waren munter beschäftigt, die gefällten und entästeten Blöcke in Haufen zusammenzuschleifen und dann in das Tal zu schaffen, wo die Kohlenmeiler standen. Die Holzknechthütte stand unter dem Schutze eines Waldschachens von uralten, wuchtigen Bäumen. Wenn dann die Holzknechte des Abends in der rußigen, rauchigen und doch traulichen Hütte ihre Mehlnocken kochten und verzehrten, wenn sie Tabak rauchten oder die aus Verstecken hervorgeholten Stutzen von Staub und Rost reinigten, da gab es allerhand Gespräche über Wald, der geschlagen worden war oder geschlagen werden sollte; über Rehe, die auf Schleichwegen erschossen worden waren oder erschossen werden konnten; über Bauernknechte, die bei der letzten Kirchweihe geprügelt worden waren oder bei der nächsten geprügelt werden müßten; über feine Dirndln, die schon geliebt worden waren oder demnächst geliebt werden würden. Der Veitl prahlte sich laut, daß er deren zwei oder drei habe und überhaupt so viele haben könne, als er wolle. Das war sonst nicht seine Art; der Meisterknecht, ein kluger, alter Bursche, schüttelte darüber den Kopf und dachte: den peinigt die Wiesmeierische!

Solches schien zwar anders zu sein, denn eines Tages, als die Neuigkeit umging, Wiesmeiers Jung Hanele wäre schwer erkrankt, fragte der Veitl gar nicht weitet nach Art der Krankheit, sondern trillerte einen alten Ländler. – Er denkt gar nicht an sie.

»Ich denk gar nicht an sie!« sagte er zu sich selber und sagte es zu jeder Stunde, Tag und Nacht. Da wird es wohl doch wahr sein, daß er nicht an sie denkt.

Jung Hanele lag im Bette, von ihren Angehörigen umsorgt, und wimmerte vor Schmerz und schüttelte sich im Fieber und phantasierte im Schlaf. Der Arzt fühlte ihr den Puls, untersuchte ihre Lunge, ihre Leber, ihr Herz und wußte sich keinen Rat. Es war eine höchst unheimliche Krankheit! Der Puls ging ruhig, das Herz pochte gleichmäßig, die Körperwärme war eine gewöhnliche, und doch der kurze, zuckende Atem, und doch der Schmerz in der Brust und doch das Dahinliegen, das Wimmern und Irrereden im Halbschlummer! Die Schwerkranke verlangte den Geistlichen; der Arzt meinte, damit hätte es noch gute Weile; die Kranke verlangte, man solle in der ganzen Gegend für sie beten lassen; der Arzt meinte, das Beten schade niemals. In den Augenblicken, wo Hanele sich allein sah, atmete sie auf und konnte ein wenig austasten von ihrer schweren Krankheit. »Nun wird er doch kommen«, murmelte sie, »er wird ja hören von meiner Krankheit und wird doch kommen und mich besuchen und mich um Verzeihung bitten.«

Aber er kam nicht. – Ja doch, er kam, er ging die Straße daher, er ging am Wiesmeierhofe vorüber, allein er blickte nicht auf zu ihrem Fenster, denn er unterhielt sich mit einem Nachbarsdirndl, in dessen Finger der linken Hand er die seinen der rechten eingehäkelt hatte. So trotteten sie dahin, schäkernd, lachend – und Jung Hanele sah es und hörte es. Da ward ihr namenlos schlecht, Hören und Sehen verging ihr, sie sank um, schlug ihr Haupt hart an die Wand, und als der Arzt wiederkam, fand er zu seiner Beruhigung an ihr einen fliegenden Puls, eine heftige Glut, ein tobendes Herz – kurz das schönste Fieber.

Das dauerte ein Weilchen so, aber nun war es der Hanele wieder nicht recht. Ihr Vater, der Wiesmeier, tat zwar nicht viel desgleichen, denn auch er war ein harter Kopf. Allein sie merkte es wohl, daß er sich heimlich um sie grämte. Die Wiesmeierin war schon seit einer Weile tot, die eine Tochter war mit ihrem Manne nach Sankt Leonhard gezogen, so blieb ihm, dem Vater, nur noch die Hanele. Da nahm sieh diese oft vor, sie wolle sich alle Dummheiten aus dem Kopf schlagen und nur für ihren Vater leben – allein die »Dummheiten« saßen fester, als ein Mensch glauben mag. Manchmal kommt dem Menschen vor, sie seien ganz in seiner Gewalt, in seinem Belieben, er spiele nur so mit ihnen zum Zeitvertreib und könne sie ablegen, wann er wolle. Und wenn er sie eines Tages tapfer von sich werfen will, da merkt er, daß er's nicht kann, daß er von der Leidenschaft umsponnen, gefesselt ist und daß sie mit dem Menschen spielt, anstatt er mit ihr. Gerade so ging es auch Jung Hanele, welche dem alternden Vater leben und den jungen Holzknecht vergessen wollte, während sie doch beinahe das Umgekehrte tat. Zum Weinen war ihr oft, wenn sie sah, wie wenig sie ihrem Vater sein konnte, und doch sagte sie ihm nie ein Wort der Liebe – er tat's ja auch nicht. Weil aber ihr Herz Nahrung haben wollte, und weil der Holzknecht so gar nicht fort wollte aus der Erinnerung, so nahm sie sich vor, diesen Menschen recht gründlich zu hassen. Es würde schon einmal Gelegenheit sein, ihm etwas anzutun, etwas recht Arges!

Gegen Weihnachten ging es, und alles rüstete sich zum heiligen Feste. Laue Lüfte wehten von den Bergen her, als ob Frühling käme. Jung Hanele hatte am Barbaratage vom spröde gefrorenen, mit Schnee bedeckten Kirschbaum, der hinter dem Hause stand, einen Zweig gebrochen, ihn in ein Wasserglas gesteckt und so an ihr Bett gestellt. Bevor noch der heilige Abend kam, hatte dieser Zweig zwei schöne zarte Blüten getrieben, gerade so, wie jener vor einem Jahre bei der Schwester, die nun einen Mann hatte, und gerade so wie der Kirschbaumzweig vor zwei Jahren bei einer anderen Schwester, die in dem darauffolgenden Sommer gestorben war.

In der Nacht, die dem heiligen Abend vorausging, huben unten im Dorfe die Glocken an zu läuten. Die Hanele ward unruhig, stand vom Bette auf, hüllte sich in einen Lodenmantel und ging hinaus. Auch andere kamen hervor und horchten auf das Läuten. Sie glaubten anfangs, der Meßner habe sich um vierundzwanzig Stunden geirrt und läute schon zur Christmette. Bald merkten sie es, daß die Glocken um Hilfe riefen. Weitum in der Gegend stieg keine Feuersäule auf am Himmel, kein Flammenrot. Und doch verkündete das oft unterbrochene und dann wieder schrill einsetzende Geläute ein plötzliches Unglück. Jemand wollte aus der Ferne ein Donnern gehört haben. Mitten im Winter ein Gewitter? Die Gegend wurde lebendig, die Leute kamen immer zahlreicher aus den Häusern hervor, tiefen einander laut zu, redeten leise, aber aufgeregt und mutmaßten allerlei. Endlich sauste ein Schlitten daher, dessen Insasse schrie kurz und scharf heraus: »Vom Dreibrunnberg ist eine Lawine niedergegangen, hat die Hütte verschüttet mitsamt den Holzknechten!« Und rasch glitt er davon, um die Botschaft weiterzutragen.

Nun war alles auf gegen den Dreibrunnberg. Mit Spaten und Schaufeln und Äxten und Stangen und Krampen, zu Fuß und auf Schlitten eilten sie dahin über die blasse Schneelandschaft. Der Vollmondschein war durch eine leichte Wolkenschicht gedämpft, und doch war es so hell, daß die Laternen, die vom heftigen Föhn ausgelöscht worden, nicht wieder angezündet werden mußten. Der Wiesmeier hatte an den großen Waldschlitten zwei Pferde gespannt, um also seine sieben Knechte zur Unglücksstelle zu befördern. Auch ein in den Lodenmantel eingemummter Halterjunge hatte sich auf den Schlitten geschwungen.

Sie kamen an den Dreibrunnberg, sie stiegen aus, um den Hang hinaufzusteigen zum Waldschachen. Aber den Waldschachen fanden sie nicht. Ein kahler, ruppiger Schneehügel war da, hoch und weit ausgeböscht ins wirre wüste Trümmerwerk des Gehölzes hinein. An diesem Hügel arbeiteten bei rotem Fackelschein schon Männer, der Stelle zustrebend und grabend, wo die Hütte gestanden war. Vorne auf dem Platze, in Schnee gebettet, lehnten zwei der Holzknechte, die in der verschütteten Hütte gewohnt hatten. Sie wurden mit Schnee gelabt und als sie aus der Ohnmacht erwachten, schauten sie sehr betroffen um sich, wußten nicht, wo sie waren, und erzählten nachher von einem schaudervollen Sausen und Brausen und von einem Erdbeben, das alles verschlungen habe. Sie, die beiden, hätten noch einen Sprung gemacht zur Tür hinaus, da diese sich unter Krachen schon zu verschieben begann, wären dann in die Lüfte geschleudert worden – und weiter wüßten sie selber nichts. – Und die anderen, die Kameraden? – ja, die seien wohl auch aufgesprungen, hätten aber wahrscheinlich den Ausweg nicht mehr gefunden.

»Veitl!« Das war jetzt ein gellender Schrei, wer ihn ausgestoßen, wußte man nicht. Der Halterjunge vom Wiesmeierhof hatte einen Eisenkrampen ergriffen und grub an Seite der übrigen mit größtem Eifer drauflos. Eine gesegnete Arbeit war's. Fünf Männer gruben sie aus dem Schnee; einer derselben war schwer, zwei waren leicht verwundet, die übrigen zwei unverletzt, nur betäubt. Der Halterjunge riß jeden empor, daß er ihm ins Gesicht sähe und setzte dann seine Arbeit fort.

»Aber es ist ja niemand mehr drin!« rief ihm ein schwarzer Kohlenbrenner zu. Der junge, immer den Lodenmantel fest um sich gebunden, grub und grub.

Einer der Männer riet, daß – nachdem die Rettung geglückt – man sich eilig entferne, denn oben am Berghange sei es unruhig und bald werde die zweite Lahn niedergehen.

»Veitl!« stöhnte der Junge.

»Ist ja schon voraus«, sprach ein Holzknecht.

»Und ist er noch drin, so gnad' ihm Gott!« sagte ein zweiter. »Dann werden wir ihn ja wohl einmal finden. jetzt heißt's auf sich selber denken.«

Die Fackel war ausgelöscht worden, die Männer verzogen sich, zwei Holzknechte trugen auf einer Bahre den schwer verletzten Kameraden. Über der ungeheuren Schneewucht war die stille dunkle Nacht, nur von dem Scharren und Graben des einen Krampens belebt. Denn der Halterjunge war geblieben, arbeitete unaufhörlich und grub sich in die Massen des Schnees.

Zwischen Balken und Baumstämmen eingeklemmt und gleichzeitig geschützt lag der Holzknecht Veitl lebendig begraben unter der Lawine. Eine Weile mochte er nichts von sich gewußt haben, dann erwachte er, fühlte seine Lage und sein erster Gedanke war: Von einer Schneelahn verschüttet! Er hörte Männerstimmen, hörte Schaufeln und Graben, er wollte rufen, er hatte keine Stimme. Allmählich aber ward es stille. Na, gute Nacht, dachte der Bursche, jetzt wird gestorben. Aber langweilig hergehen wird's. Das Erfrieren und Verhungern geht schwer im Schnee, das Verdursten gar nicht. So eingeklemmt sein! Weh tut's. Nicht einmal in den Hosensack kann ich mit der Hand ums Messer. Ein Aderl aufmachen, und gleich wär's vorbei. Ah nein, wer weiß, ob's ihm recht wär'. Dem da oben, er hat's nicht gern, wenn sich der Mensch selber abtut. Und jetzt muß ich mich gut mit ihm stellen. – Schad' ums Mädel, daß ich's nicht hab' haben können. – Ich will ein paar Vaterunser beten... Das waren so die Gedanken des jungen Holzknechtes, der unter Schnee und Trümmern verzwängt lag. – Da hörte er knistern und graben. Er versuchte es nochmals mit dem Schreien. Ach, war das eine unheimliche Stimme! Vor seinem eigenen Schrei graute ihm. Das Graben wurde noch lebhafter und kam näher. Plötzlich fiel die Wand nieder. Eine wunderbare Dämmerung war vorhanden, in der standen Schneelasten, Bäume und ein Mensch, der jetzt mit dem Krampen einen Balken locker riß und so den eingeklemmten Menschen befreite. Zwei Arme zerrten ihn aus dem Gewirre, und als er frei war, ganz frei und aufrecht unter freiem Himmel stand, da warf der Retter sein Werkzeug hin und lief davon. – Das nächtige Dämmerlicht war hell genug gewesen, der Veitl hatte dem Burschen ins Gesicht gesehen, hatte gut gesehen, hatte mehr gesehen, als er in seinem Leben je zu sehen verhoffen konnte.

Das Unband war's gewesen. – Natürlich nur ihr Geist, denn sie selber ist ja krank. Übrigens, gar so natürlich ist es doch wieder nicht wenn der Leib in Ohnmächten dahinliegt und der Geist tut mit einem Eisenkrampen verschüttete Holzknechte ausgraben...

Der Himmel wurde immer heller, die Wipfel der wenigen noch ruppig aufragenden Tannen standen nicht mehr schwarz drin, sondern grünten sich. Ein Spätzlein zwitscherte. Der Veitl stand so herum und rieb sein Bein. Ein paar Dachbretter lagen im Schnee, eines mitsamt der Firstlatte hing hoch am arg zerzausten Baumast. Sonst von der Hütte keine Spur. Die Schachenbäume waren zerrissen, geknickt, gespalten, ragten teils nur in splitterzackigen Strünken aus den Schneemassen hervor. – Was wird's mit meinen sieben Kameraden sein, dachte der Veitl und war unentschlossen, ob er um Leute gehen oder gleich selbst an der Stelle Hand anlegen sollte. Da hub es an zu donnern, hoch oben am Berghange wurde es lebendig – der Veitl lief in großen Sätzen quer seitab und bald war Baum und Busch eingehüllt von einer ungeheuren Schneestaubwolke. Den Holzknecht hatte eine unsichtbare Macht in einen Wacholderstrauch geschleudert, aus welchem er nach einiger Zeit langsam wieder aufstand, um zu trachten, daß er weiter komme. – Mir scheint, sagte er zu sich selber, der Herrgott fegt heute die Welt aus und unsereiner steht ihm überall im Wege um.

Als er im sicheren Tale auf der glattbeschlitteten Straße dahinging, hörte er zur Rechten und zur Linken von den Bergen her das hohle Sausen niedergehender Lahnen; von manchen, die in fernen Seitentälern abfuhren, dröhnte in den Wäldern nur der Widerhall. Unterwegs fand der Holzknecht auch zwei seiner Kameraden, und er sah und hörte, daß alles gut war. – Wohin wandert jetzt der Veitl? Daran hatte er selbst nicht gedacht – die Füße wußten es besser.

Im Wiesmeierhof war alles beschäftigt mit Vorbereitungen zum Christfeste; im Ofen buk es, auf dem Herde briet es, in den Stuben scheuerte es, in den Ställen legten Knechte dem Viehe frische Streu. Der Wiesmeier selbst schritt schon im Feiertagsgewande umher, um überall nach dem Rechten zu sehen. Der Holzknecht Veitl, welcher in den Hof trat, wich dem Bauer ein wenig aus, hingegen fragte er eine alte Magd, die im Vorhause den Fußboden wusch, nach jung Hanele.

»Hanele? Die wird halt in ihrer Kammer sein«, war die kurze Antwort, die übrigens dem Fragesteller vollkommen genügte. Denn ihre Kammer wußte er zu finden. Heute klopfte er nicht erst artig an, hatte auch keine Ursache, die Klinkel so leise als möglich zu drücken. Schier herrisch trat er ein, und fest trat er auf. Sie saß vollständig angekleidet und mit feuchten Schuhen an den Füßen bei ihrem Bette, sie war eben damit beschäftigt gewesen, die ineinandergeklammerten Hände in dem Schoße, vor sich hinzustarren. jetzt sprang sie auf und machte sich eifrig mit ihrem Gewande zu tun.

Schweigend trat der Bursche zu ihr hin, um mit beiden Händen ihre Rechte zu ergreifen. Sie zog ihre Hand zurück und blickte ihn mit kaltem Erstaunen an.

Er stutzte und sprach: »Nun, Hanele!«

»Nun!« sagte sie mit einem überaus harten Blicke. Was soll das bedeuten? Was hast du hier zu suchen? So fragte dieser Blick. Der Bursche wagte rasch ein zweites, er wollte seinen Arm um ihren Nacken legen und einen Kuß drücken auf ihren Mund. Sie stieß ihn heftig zurück.

Einen Augenblick starr stand er vor ihr. Dann sprach er die Worte:

»Was soll das sein? Du grabst mich mit eigener Lebensgefahr aus der Lahn, und jetzt –«

»Ich dich aus der Lahn graben!« lachte sie grell auf. »Das kunnt mir nicht im Traum einfallen.«

»Ich hab' dich gesehen, du bist bei mir geblieben, wie sie mich all' verlassen haben, du hast mich gerettet!«

»Und wenn's wär'!« entgegnete sie. »Was ging' dich das weiter an! Ich hätt' nur meine Christenpflicht getan und einem Zigeuner gerad' so gern, oder lieber, herausgeholfen. Darauf bilde dir nichts ein!«

Scheinbar bewegungslos stand der Veitl da, aber jedes Äderchen an ihm tobte, schier um einen Kopf höher wuchs seine Gestalt.

»Hana!« rief er plötzlich gellend aus, »kannst denn du kein Mensch sein? – Unband! Mein Weib mußt du werden!« Wütend stürzte er auf sie hin, riß sie an seine Brust, mit ehernen Armen hielt er sie fest, so fest, daß sie atemlos und ohnmächtig war.

In so glühendem Zorne hat noch keiner gefreit, als es jetzt der Holzknecht Veitl getan.

Und jung Hanele? Als sie seine unbändige Kraft empfunden, hat sie sich nicht mehr gewehrt. Wie schmelzendes Wachs am glühenden Eisen, so sank sie hin, sank vor ihm aufs Knie, hielt mit beiden Armen sein Haupt fest an das ihre, daß sie seine Glut erwidern konnte. Und als ihm schon die Sinne vergingen, küßte sie noch heftig seine Lippen, seine Augen, sogar den Scheitel seines Hauptes, und konnte nicht aufhören.

So fand sie der Wiesmeier. Erst als dieser seine Tochter losriß aus den Armen des Burschen, kam Sie zu sich. Einen Schrei stieß sie aus, verdeckte ihr Gesicht mit den Händen – zu Tode wollte sie sich schämen, daß es so plötzlich über sie gekommen war. Daß sie sich zu gleicher Zeit unaussprechlich elend und unaussprechlich selig fühlte, wer glaubt's nicht? – Mit einem kurzen herben Worte wies der Bauer den Holzknecht zur Türe hinaus; ohne ein Wort zu sagen, ging der Veitl davon. Und jung Hanele? Sie stand stramm da, ballte die Fäuste und blickte finster auf ihren Vater.

Dieser tat den Mund auf: »Es geht ja recht lustig her bei dir in der Kammer!«

Sie gab ihm keine Antwort. Sie wendete sich, ging zur Türe hinaus und dem Holzknechte nach.

Dann haben sie geheiratet. Vor der Hochzeit gab es noch manchen Sturm. Und nach derselben? Das geht uns nichts mehr an.

Als der Veitl und die Hanele nach fünfundzwanzig Jahren in einem Kreise von prächtigen Kindern – auch ein Enkel war schon dabei – die silberne Hochzeit begingen, es war erst vor kurzer Zeit, da vertraute der Bräutigam dem Brautführer das Folgende an: »Meine Hanele, das ist eine! So schwer die zu kriegen war, so leicht ist sie zu behalten. Ein braveres Eheweib kannst nimmer finden, aber wenn ich sagen wollt', sie hätt' mir auch nur ein einzigmal mit einem einzigen Worte gestanden, daß sie mich gern hat – so müßt' ich es lügen. Das ist eine!«

Der Brautführer trank auf ihr Wohl. Dann ging er heim und schrieb auf diese Blätter die Geschichte von Jung Hanele, der Trutzigen.

 


 


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