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Fritz! – – Fritz!! – – – Lieber Fritz!!! – – – Fritz!!!«

»Hmmm!«

»Nein, bitte Fritz, wach auf!«

»Ich wache.«

»O Fritz, wenn du wachst, dann mußt du doch hören, daß unser Erni furchtbar schreit.«

»Ich höre nichts.«

»Fritz!!!!«

»Ja, Kerlelein, wenn du mit Ausrufungszeichen redest, dann – – – «

»O Fritz, unser armer Junge!!!«

»Warum arm?«

»Weil er so gräßlich schreit.«

»Alle kleinen Kinder schreien, sie müssen erst zum Stillesein erzogen werden. ›Auch Stillesein ist ein gewaltig Werk‹, singt der Dichter.«

»O Fritz, ich wollt', du wärst auch still. Wie du nachts um zwei Uhr Dichter zitieren kannst, ist mir unverständlich.«

»Mir auch. Du bist schuld, Kerlchen. Ich schlief so süß und träumte von dir.«

»Unsinn! Wie kann man bei dem Geschrei schlafen und träumen.«

»Mein Teil schreit wahrscheinlich nicht, deshalb hörte ich nichts.«

»Fritz, du willst dich doch nicht auf die andere Seite legen?«

»Warum nicht? Ich liege bereits seit 11 Uhr immer auf derselben.«

»Ach, das meine ich natürlich nicht. Ich frage dich bloß, ob du wieder einschlafen willst?«

»Natürlich.«

»Es ist nicht möglich!«

»Gute Nacht, Kerlelein!«

»Friedrich von Rumohr-Rotbach!«

»Kerlchen, geborene Schlieden, mir sind deine sämtlichen Namen nicht ganz gegenwärtig – – –«

»Oh – oh – oh – hör nur das Kind!«

»Er ist Stammhalter der Familie Rumohr und verkündet dies der Welt auf eigene Art. Eine gute Lunge ist ein Segen Gottes. Vielleicht wird er mal Reichstagsabgeordneter –«

»Oder Nachtwächter, Fritz – – o Gott – – er hat schon gar keine Stimme mehr.«

»Die kommt wieder.«

»Fritz, wenn ich nicht wüßte, daß ich am Traualtar einem Ehrenmanne die Hand gereicht habe – –«

» Das hast du, Kerlelein – –! Wird mein Lütten tragisch? Ich kenne dich ja gar nicht mehr. Wie sagte Pfarrer Truling so treffend? Ich sei der Rumohr und du der Humor

»O, mir ist nicht humoristisch zumute.«

»Das merk' ich.«

»Mein einziges, wunzwinziges Kind haben schlechte Menschen auf den wüsten, letzten Flügel eines einsamen, alten Schlosses geschoben, wo es sich tot schreit.«

»Kerlchen, Phantasie hast du, das muß man dir lassen.«

»Und ich arme Mutter bin durch das Verbot eines mit im Komplott befindlichen Arztes an das Bett gefesselt – – –«

»Kerlchen!«

»O, jetzt hört man nichts mehr – – –«

»Gott sei Dank! – – –

»Er ist tot – –«

»Aber Kerlchen! Er macht nur 'ne etwas längere Kunstpause, horch – da fängt er wieder an. Und war es vorher allegro ma non troppo, so ist es jetzt con brio, – con fuoco! – Junge, Junge, nimm Vorspann, – – so – – ahh – – – – –

»Fritz, ich bitte dich, – inständigst – – steh auf.«

»Aber Kerlelein!«

»Fritz!«

»Keilchen, sei doch mein Vernünftiges! Haben wir es nicht Doktor Paul feierlichst in die Hand versprochen, uns seinen Anordnungen fügen zu wollen, die das beste für uns und unser Kind bezwecken?« – Und jetzt sollen wir wortbrüchig werden? Heute, in der ersten Nacht, da wir unsere Elternvernunft erproben sollen?«

»Vernünftig sein ist grausam. O, wie unser Liebling schreit – – –«

»Der Jung' gefällt mir, es liegt Methode drin.«

»Fritz! O Fritz!«

»Und musikalisch ist er, – hör doch bloß, Kerlchen, das muß dich ja glücklich machen. Der Bengel pfeift das hohe C wie 'n Heldentenor. – – Nanu? Was tust du, Kerlelein?«

»Aufstehen will ich! Meinst du, ich wollte die ganze Nacht in diesen Martern verbringen und deine schrecklichen Witze anhören? Ich gehe zu meinem Kinde.«

»Untersteh dich, du böses Kerlelein! – Ich leid es auf keinen Fall! So! – – Ruhig liegen geblieben! Wie du glühst! Ist das auch artig von meinem kranken Liebling? Fieber bekommen? he? Und an mich denkst du gar nicht? An meine Sorge und an Bubis Gesundheit?«

»O Fritz!«

»Nein, jetzt steh' ich auf. Du ängstigst dich doch sonst die ganze Nacht ab – du Erzgeneraldümmerchen.«

»O mein Friedel, du bist so gut – – ich hab' so Sehnsucht nach Kleinchen.«

»Nach dem Schreibalg? Komischer Geschmack! Und nun hör bloß, das ist der rechte, echte Schliedensche Eigensinn, mit dem er losblökt.«

»O, hau ihn bloß nicht, Fritz, lieber guter Fritz, es kann ja auch Rumohrscher Dickkopf sein – – –«

»Kerlelein – –«

»Nein, nein! Ich geb ja nach. Es ist Schliedens Art. Aber hol mir das Kind!«

»Jawohl! Teures Weib, gebiete deinen Tränen! Ich beginne meinen dunkeln Weg, Diese Kerze leuchte mir zu jenen Gemächern, wo unser einziges Kind schmachtet und Molch und Uhu nisten.«

Fritz verschwand durch die Tür, Kerlchen setzte sich im Bett hoch, und ein glückliches Lächeln lag auf seinem etwas blassen Gesichtchen in Erwartung der kommenden Minuten.

Bald trat auch Fritz wieder ein, vorsichtig einen mächtigen Kinderwagen vor sich herschiebend. Es war ein uraltes Gehäuse, eine wahre Familienkutsche und hatte wohl schon Fritzens Großvater gedient.

»Kajüte« nannten die Dienstboten das Monstrum.

»Bringst du ihn, Fritz? Bringst du ihn?«

»Freilich bringe ich ihn. Oder meinst du, ich schöbe Klock 2 Uhr nachts die leere Kajüte durch das Schloß meiner Ahnen aus purem Pläsiervergnügen?«

»Tausend Dank, Friedel!«

»Den nehme ich an. Und morgen kommt wieder die alte Wärterin her, ich will nachts meine Ruhe haben und du sollst sie auch bekommen.«

»Bist du ärgerlich auf mich, Friedel?«

»Na, es geht für'n Schaltjahr.«

»O sieh doch den süßen, süßen Jungen, er guckt uns groß an.«

»Ja, er hat noch nie so unvernünftige Eltern gesehen. Ordentlich überlegen sieht er aus, der Filou.«

»Gib ihn mir, Friedel. – O du Herzenskind, süßes, einziges, du bist gewiß hungrig.«

»Hungrig und – noch so verschiedenes. – Das hat er mit altem, gutem Champagner gemein, daß er trocken aufbewahrt sein will.«

»Das wollen wir gleich haben.«

»So, Kerlelein! Ahh! Wie das Bett wohltut! Bedenke, es ist Januar. Jetzt bringt mich kein Gott wieder heraus. – Ahhh! Wenn ich so überlege, daß ich es nicht um ein Haar besser haben soll, als der geringste Tagelöhner auf meinem Gute – – – ich, der Gutsherr – – –«

»Vor allen Dingen bist du Vater, – das geht vor.«

O nein, ich war erst Gutsherr, ehe ich Vater wurde – –«

»Du liebe Zeit, das sind Sophistereien – – –«

»Kerlchen, ich finde, du hast dir einen etwas erzieherischen Ton angewöhnt, seit du ›Muusch‹ bist, – vergiß aber bitte nie, daß der zu Erziehende wunzklein ist, dort an deiner Brust ruht und – Erni heißt. Erni – hörst du? Nicht Fritz von Rumohr-Rotbach.«

»Ich höre!«

»Das ist gut!«

»Friedel, bist du wieder bös mit mir?«

»Wenn du in dem lieben Tönchen fragst und aussiehst wie eine Madonna von Raffael, kann kein Mensch mit dir bös sein; ich will auch nur dein bestes – –«

»Und deins, Fritz.«

»Nicht stachlig werden, Kerlchen. – Also ich will dein bestes, und das besteht darin, daß wir beide Nachtruhe haben – und morgen wird der Bengel wieder auf den andern Flügel geschoben, und Frau Bulling zu seiner Beaufsichtigung hergeholt.«

»Fritz, eine rechte Mutter soll das selbst tun.«

»Wenn sie gesund ist, – versteht sich. Du aber sollst dich vorläufig noch recht sehr schonen, kleines, blasses Kerlelein. Außerdem wirst du stets eine echte, rechte Mutter sein, die jede liebe Pflicht erfüllt. Aber ich will jetzt keine philosophischen Reden schmettern, es ist halb drei. – Wie der Bengel schlürft! Na, es ist das letzte Mal, daß du Vater und Mutter aufkrakeelst. Gute Nacht, Kerlelein.«

»Gute Nacht, Fritz!«

*

»Fritz! Fritz!! Fritz!!! – – – Fritz!!!!« »Hmmmmmm! – Wwwas ist denn schon wieder?«

»O Fritz, ich weiß nicht, was mit dem Jungen ist. Dreimal hab ich ihn hingelegt, dreimal aufgenommen, ob er wieder hungrig ist?«

»Kerlchen, es ist halb vier. Soll das so fortgehen? Rrrruhe, du Unband!«

»O Fritz, schrei nicht so, er hat sich richtig erschrocken.«

»Das soll er auch. Ich werde ihn mores lehren.«

»Du willst ihn doch nicht schlagen?«

»Wohin denn? Er hat ja noch keine ordentliche Erziehungsfläche. Nun hör bloß, wie er rasaunt!«

»Was hast du mit ihm vor, Fritz?«

»Wegbringen will ich ihn, dann hab ich noch 1 1/2 Stunden Schlaf, bis ich aufstehen muß.«

»Wirst du schlafen können, wenn – –«

»Wie'n Ratz.«

»O Fritz! Gib mir das Kind nochmal! Verhungern soll es nicht.«

»Kerlchen! Du hast dir in unverständiger Jugendzeit vierundzwanzig Kinder gewünscht, damit du ›feste mit ihnen rumtoben könntest‹, – nun, ich sehe uns beide nach dem Vierundzwanzigsten als Astralleiber in der Luft umherschweben. Und nun nimm Abschied von Lohengrin – –«

»O Fritz! Er verhungert!«

»Er platzt!«

»Fritz! Fritz!! Fritz!!! Er hört nicht, – er geht; 0 wie der Junge brüllt! – Rabenvater!!!«

*

»Ruhe in der Bullelloge!«

»Es ist zum Auswachsen!«

»Dabei soll man nun arbeiten!«

»Na, was du arbeitest, Paul, das wird sich hier wohl noch ermöglichen lassen.«

»Bitte, quetsche dich nicht so verächtlich aus, Erni, – mehr Respekt vor deinem Bruder. Er wird dir in ein paar Jahren mit 'ner Doktordissertation unter die Augen springen, daß dir grün und gelb werden soll, wenn du hier in Rotbach als Stoppelhopser herumfuhrwerkst.«

»Ich neige mich bereits jetzt in Demut vor dieser Dissertation.«

»Fritz, was machst du denn da?«

»Was wird er machen, – er dichtet.«

»Natürlich dichtet er, und zwar mit Wucht und Kraft und innerm Drang; gestern ist ihm sogar der Hosenträger dabei geplatzt.«

»Her damit, ich lese es euch vor.«

»Gibst du's gleich her, Elimar? Gibst du's, elender Kerl, Schafkopp – – –«

»Kinder, hier wird nicht mit dem Vornamen angeredet, immer Respekt!«

»Komm, Fritz, du bist der einzige von uns, den die Muse geküßt hat, gib uns von deinem Spendegold.«

»Nein, ich will nicht. – Ihr lacht doch nur.«

»Dummerjahn, – natürlich lachen wir, Lachen ist gesund.«

»Nein, ich will nicht.«

»Trotzbock! Hört zu:

»Seht, wie schön die Morgenröte
Aus dem blauen Meere steigt,
Ach, ich wollt', ich wäre Goethe,
Dann hätt' ich euch was gezeigt.«

»Wunderbar!«

»Das macht dir so leicht keiner nach.«

»In Anbetracht, daß es jetzt auf den Abend losgeht und in unserm lieben Thüringen von irgend einem Meere weit und breit nischt zu sehen ist – –«

»Seht ihr, wie ihr höhnt? Rasselbande!«

»Laßt doch den Fritz in Ruh. Jedes Tierchen hat sein Pläsierchen, er tut euch ja auch nichts.«

»Regt sich der Pädagoge wieder mal in dir, Elimar? Macht nichts, alter Magister. Was wären wir ohne dich? Du bist der geborene Schulrat und hältst uns in Ordnung.«

*

Sie saßen alle um den großen Familientisch.

»Alle Neune«. Das Kegelspiel von Rumohr: Ernst, Rose, Elimar, Fritz, Paul, Harald, Carlo, Adolf, Willy.

Rose, das einzige Mädchen unter den acht Jungens, hatte von den ganzen, ziemlich kriegerischen Unterhandlungen nichts gemerkt, – sie hatte die Finger in die Ohren gesteckt und sah und hörte nichts, sie las.

Rose las immer.

Aber jetzt war sie doch auf die letzte Seite des umfangreichen Buches gekommen, nun zog sie die Finger aus den Ohren, ließ das Buch auf den Schoß sinken und atmete tief. Ein paar leuchtende Blauaugen schauten die Brüder an.

»Himmlisch!« sagte sie.

Ernst nahm das Buch und las den Titel: »Onnen Vissen, der Schmugglersohn von Norderney«. Er strich der Schwester über den blonden Krauskopf.

»Na, Kerlchen, alte Leseratte, war's gar so schön?«

Rose nickte strahlend und noch ganz im Banne der Geschichte.

Jetzt begehrte Fritz auf.

»Du sollst sie nicht ›Kerlchen‹ nennen, Erni, du sollst nicht. ›Kerlchen‹ ist unsere Muusch, unsere einzige, goldige Muusch. – Rose ist Rose, damit basta.«

»Alter Krakeeler,« bemerkte Erni ruhig. »Nu wirst mir wohl verbieten, meine Schwester zu nennen, wie ich will, phhhh!«

»Abstimmen!« schrie Fritz, »Abstimmen, die Majorität entscheidet!«

Sie erhoben sich alle von ihren Sitzen mit den ernstesten Mienen von der Welt.

»Soll denn ›Pate‹ mit abstimmen? Dem fehlt doch noch jegliche höhere Einsicht.«

»Pate« war der fünfjährige Willy, ein stämmiges, blondes Bürschchen, das sofort in ein Zetergeschrei ausbrach, als er seinen Namen in etwas wegwerfender Weise vom älteren Bruder aussprechen hörte.

»Schämst du dich nicht, zu brüllen, Pate? Denkst du denn gar nicht an deinen Namen und seine Bedeutung?«

Willy war der siebente Junge in einer Reihe, und Seine Majestät hatte bei ihm Patenstelle übernommen. Die Fürstin Mutter gleichfalls, und so hatten die Geschwister das vornehme Bürschchen zuerst »gekröntes Haupt« nennen wollen, bis sie sich auf den Namen ›der Pate‹ einigten.

Willy holte sofort nach der Ermahnung ein zerknülltes Taschentuch von zweifelhafter Weiße hervor und trocknete seine Tränen.

»Ich will auch stimmen,« betonte er energisch.

»Na, denn los.«

»Kardinalfrage: Darf man ein anderes Menschenkind als unsere Muusch ›Kerlchen‹ nennen?«

Fritz war der Sprecher. Sein ausdrucksvolles Zigeunergesicht war sehr erregt, seine schwarzen Augen funkelten.

»Nein,« rief Rose energisch.

»Nein,« trumpfte Elimar.

»Nein, nein, nein, nein, nein!«

In den verschiedensten Klangfarben bewegten sich die frischen Kinderstimmen.

»Nee,« rief Pate. Seine Kinderfrau sagte immer »nee«, wenn sie ihm was abschlug.

»Na, dann sind wir ja einig,« meinte Ernst überlegen, »denn ich sage selbstverständlich auch ›nein‹!«

Er weidete sich an den verblüfften Gesichtern der Geschwister. »Ihr seid die Reingefallenen. Hat jemand im Ernst geglaubt, ich würde der Muusch ihren Namen nehmen? Unserer Muusch?«

»Aber denkt euch, Fräulein Kornelia findet beides schrecklich.«

»Was denn, Rosel?«

»›Muusch‹ und ›Kerlchen‹.«

»Hast du schon mal gefunden, daß Fräulein Kornelia irgend etwas an einem von uns behagt?«

»Na, an Fritz doch!«

»Richtig, an Fritz. Das hatte ich vergessen. Aber doch nur, weil er sich zum Dichter rausmausert. Sie denkt dabei an den andern Fritz, der auch dichtet.«

»Friedrich Kerntreu. Er hat wieder ein Buch herausgegeben, Muusch sagt, es sei einzig schön. Ich kam gerade herein, als sie damit fertig war; sie hatte ganz leuchtende Augen und strich so wie liebkosend über das Buch, das kann ich gut verstehn.«

Rose streichelte den »Onnen Vissen«.

»Und Muusch,« fuhr Rose fort, »sagte zu mir: ›Wenn du erwachsen bist, führe ich dich in diese Welt ein, Rose, das ist eine reine, gute, große Welt!‹ Und dann las sie mir etwas, nur ein Stückchen draus vor, ihr wißt ja, wie Muusch liest, – herrlich klang es.«

»Na, da hat also Fräulein Kornelia doch recht mit ihrer Schwärmerei?«

»Ach die!« Rosel verzog das Mäulchen. »Freilich hat sie recht. Aber wie sie das zeigt! Ellenlange Briefe schreibt sie an ihn, er soll ja solch ein guter, liebenswürdiger Mensch sein, und furchtbar ritterlich, dem es nie einfällt zu sagen: ›Lassen Sie mich in Ruhe.‹ Trulings kennen ihn ja, die haben den Eltern von ihm erzählt. Antwort kriegt sie natürlich kaum, höchstens mal 'ne Karte, aber na, ihr wißt ja, was sie mit der für'n Hokus-Pokus macht und immer schreit: ›Mein Tag ist mir verklärt!‹ Und dann setzt sie sich wieder zu einem ellenlangen Brief hin und schreibt als Postskriptum: ›Meine Seele ist immer bei Ihnen! K.‹«

»Der arme Dichter! Fräulein Korneliens Seele hat 'n Riesenumfang, er hat gewiß immer Überfracht, wenn er auf Reisen geht.«

»Hört doch auf mit dem Unsinn! Das ist alles unverständliches Zeug,« murrte Carlo. »Denkt lieber an Muuschs Geburtstag. Ist alles fertig?«

Ein mitleidig-verächtlicher Blick traf ihn aus Ernis Augen.

»Als ob wir uns mit irgend einem andern Thema beschäftigen würden, wenn nicht für Muusch alles klipp und klar wäre. Hier ist das Festprogramm, das ihr morgen feierlich überreicht wird. Also um 4 Uhr Ständchen von uns achten, vierstimmig. Hebe deine Augen auf. Ich hab mir 'ne vierte Brummelstimme dazu komponiert. Dann Ständchen vom Kriegerverein, während wir Kaffee trinken.«

»Und viel Kuchen essen,« warf Willy ein.

»Sehr richtig, Pate. Dann feierliches Hinführen von Muusch nach der Grotte im Park. Hier steigt das von Fritz verfaßte Festspiel: ›Heil dir, edelste der Muuschen‹!«

Fritz machte ein klägliches Gesicht.

»So heißt's ja gar nicht mehr. Fräulein Kornelia hat mir in dem Ding herumgefuhrwerkt, daß es gar nicht wieder zu erkennen ist.«

»Und das läßt du dir gefallen? Du als Dichter?«

»Was soll ich denn machen? Sie ist ja sonst ein ganz vernünftiges Lebewesen, aber die Lehrerinnen gewöhnen sich alle mit der Zeit so 'n dozierenden Ton an –«

»Das Festspiel wird in der alten Fassung vorgetragen,« bestimmte Erni. »Es war wunderschön und wir sind sehr stolz, weil du der einzige Dichter unter uns bist.«

»Na und was will denn Fräulein Kornelia?« brummte Elimar, »Ihre Seele ist ja doch bei Friedrich Kerntreu, und ohne Seele kann kein Mensch 'n Festspiel machen.«

Sehr richtig! Bravo bei allen Parteien. »Also: Sonnenstrahl, Mondschein und Tautröpfchen, dargestellt von Rosel, Carlo und Adolf. Könnt ihr eure Lektion?«

»Natürlich!« tönte es unisono.

»Darauf Überreichung eines Rosenstraußes von Pate, nachdem er sich vorher die Nase geputzt hatte.«

Pate »schnüffelte« und wischte sich dann energisch sein Stumpfnäschen mit dem Ärmel.

»Es hilft nichts, wir müssen ihm Knigge schenken, der Bengel hat keine Manieren.«

»Hierauf unsere neu einstudierten Gesänge: Volkslieder. Solisten: Harald und Paul. ›Gold und Silber hab' ich gern‹. ›Horch, was kommt von draußen rein‹. ›So pünktlich zur Sekunde‹. ›An jedem Abend geh' ich aus‹.«

»Harald, vergiß nicht immer den Text. Pauk ihn nochmal ein.«

»Faß an deine eigene Nase, Paul. Du weißt doch, daß du immer singst: ›So pönktlich zur Sekonde‹.«

»Zankt euch bloß nicht. Ewig hackt ihr und seid doch unzertrennlich.«

»Fräulein Kornelie sagt, es wäre eine unpassende Liederwahl für Kinder,« fiel Rose hier ein.

»Na da soll doch gleich!« Erni fuchtelte erregt mit den Armen in der Luft herum. »Es sind Vaters und Mutters Lieblingslieder. Dame Kornelie vermurkst unsere schönsten Gesänge. ›Mein Onkel ist gestorben, der dort gewohnet hat‹. Oder: ›Mir ist es so wohl, wenn der Tante bedächtig a Sträußele i hol‹.«

»Na, Erni, du kümmerst dich doch nicht drum.«

»I wo, ich singe erst recht: ›Und mir ist so sauwohl, wenn meinem Schätzele bedächtig a Sträußele i hol‹.«

»Steht es so da?« fragte Elimar erschrocken.

Die Geschwister lachten schallend.

»Nein, du altes Haupt auf jungen Schultern, das ›sauwohl‹ ist licentia poetica, dazu bestimmt, Dame Kornelia zu erziehen.«

»Weiter im Programm!«

»Volkslied mit Violinbegleitung. Elimar Violine, Adolf singt: ›Es saßen beim schäumenden, funkelnden Wein‹.«

»Ist das nun alles?«

»Na, zum Schluß quälen wir Muusch um unsere Lieblingslieder, die muß sie singen: ›In meiner Heimat, da wird es jetzt Frühling‹, ›Dort an der Ecke das alte Haus‹ und den ›Drachen‹.«

»Und dann, dann singen wir alle gemeinsam: ›Und wenn wir gehn, so gehn wir alle miteinander zusammen in Fedderns Hühnerstall hinein‹.«

»O ja, man zu!«

»Ein herrliches Lied.«

»Wenn bloß alles klappt!«

»Na, was sollte denn nicht klappen?!«

»Spaß sacht'gen! Erni könnte über einer neuen landwirtschaftlichen Maschine alles totaliter vergessen, Fritz desgleichen über einem Drama, Rose kriegt's Lampenfieber und sagt in ihrer Bedripptheit ›Des Sängers Fluch‹ her anstatt die Sonnenstrahlgeschichte, Paul macht sonst was dummes – –«

»Hör auf Li,« gebot Harald, »ehe mein edler Name dem Gehege deiner Zähne entfleucht. Du hast nett charakterisiert, das muß man dir lassen, Schulmeister, aber meinen Namen schenke ich dir.«

»Na, das sehe ich nun nicht ein,« begehrte Paul auf, »gleiches Recht für alle!«

Erni reckte sich in seiner ganzen, hübschen Größe auf.

»Silentium! Euer Oberhaupt redet.«

»Oberhaupt ist gut.«

»Maul halten! – Der heutige Tag wird also so viel wie möglich zur Einstudierung und Befestigung des Gelernten verwendet. Kleine Einzelheiten zur Verherrlichung von Kerlchen-Muuschs Geburtstag können natürlich noch ausgedacht werden. Jeder von uns, ich sage jeder, bekümmert sich außerdem darum, daß die Ausschmückung von Haus und Hof möglichst nett und programmäßig geschieht. Manchmal ist auf die Mägde kein Verlaß, Willy, du kannst ja sonst noch nicht viel tun, aber du kannst alle Viertelstunden in die Leutestube gehen und nachfragen, ob sie auch fleißig beim Kränzebinden sind, man nennt das ›anpurren‹. Hast du mich verstanden, Pate?«

»Jawohl, Erni. Soll ich jetzt gleich gehen?«

»Das kannst du!«

Willy steckte beide Händchen in die Hosentaschen, um sich ein besseres Ansehen zu geben. »Muusch« konnte das zwar für den Tod nicht leiden und hatte sogar einmal »in einem Anfall von Tobsucht«, wie Erni sich ausgedrückt hatte, sämtliche Taschen sämtlicher Jungens zugenäht, aber das waren vergangene Zeiten, und Willy wollte eben jetzt den Dienstboten imponieren. In der Milchkammer stieß er auf »Male«, die nicht gerade seine Freundin war, weil er im Verdacht stand, mit dem Zeigefinger in Rahmtöpfe zu tunken.

»All wieder in der Milchkammer, Pate?«

Er steckte die Hände noch tiefer in die Taschen.

»Fragen will ich, ob ihr Kränze bindet.«

»Wozu?«

»Na zu Muuschens Geburtstag.«

»Herr du meines Lebens, da fragst du jetzt danach? Die wirden scheene de Keppe hänge lasse, de Blimechens, wann mer se jetzt abrupfe wollte. Na, das machen mer ahms, immer ahms oder nachts, – vor de Frau Baronin ist uns nischt zu viel.«

Willy ging weiter.

Trinchen Lebrecht, die Kuhmagd, schichtete gerade weißen Käse auf und sang:

»Ich lag im Garten und schlief.
Da kam ein Engel und rief:
Kathrinchen, du sollst auferstehn
Und sollst bei deinen Liebsten gehn.«

»Trinchen, kannst du bitte mal deinen Mund zuklappen?« bat Willy. Er fürchtete sich ein wenig; sie hatte eine mächtige Stimme und einen mächtigen Mund, der sich riesenhaft auftat. Sie schnappte gehorsam ab, was sehr komisch klang, und sah das Bürschchen fragend an.

»Bindest du Kränze?«

»Nee, ich mach' Käse.«

»Du sollst aber Kränze binden.«

»Wer sagt en das?«

»Erni.«

»Ich bin nich bein jungen Herrn in Lohn und Brot, und jetzt bleib'ch bei'n Käse.«

»Aber Muusch hat doch Geburtstag, und es darf nicht vergessen werden.«

»Na nu schlägt's dreizehn! Will mir dies Birschchen sagen, daß ich meiner Baronin ihren hohen Geburtstag nicht vergesse, allo marsch naus, um Mitternacht frag' wieder nach.«

»Wann ist Mitternacht?«

»Quatschjendolmes! Wann's zwelfe schlägt.«

Willy trabte weiter.

Die Obermamsell rechnete gerade mit dem Milchmann, sie hatten beide heiße Köpfe, denn das Buch stimmte nicht.

»Bindet ihr Kränze?« fragte Willy.

»Dreiundzwanzig, sechsundzwanzig, vierunddreißig, zweiundvierzig – – –«

»So viel?« fragte Willy, »aber wo sind sie?«

»Fünfzig, sechsundfünfzig – – –«

»Ob ihr Kränze bindet – – –«

Die beiden Beschäftigten sahen sehr rot und zornig den Störenfried an.

»Was willst du?«

»Ob ihr Kränze bindet – –?«

»Na nun bin ich glücklich aus dem Text. Kränze? Für wen denn?«

»Für unsere Muusch!«

»Da brauchst du uns doch nicht zu erinnern, – na ich sag's ja, ausgerechnet das Nestküken kommt und will mahnen, – nun geh man zu, wohin du herkommst – – dreiundzwanzig, sechsundzwanzig, vierunddreißig, zweiundvierzig –«

Willy rannte zu Erni, den er beim Gärtner fand.

»Die Mamsell hat schon zweiundvierzig Kränze mit dem Milchmann gebunden,« berichtete er atemlos.

Erni machte ein ungläubiges Gesicht.

»Sonne Dämlichkeit! Es sollte doch erst heute abend geschehn – da mußt du nachher nochmal nachsehn, Pate, ich selbst hab' absolut keine Zeit.«

»Jawohl, Erni! Nach 'ner Viertelstunde und denn um Mitternacht,« nickte der gewissenhafte Willy und trabte davon. Er stellte sich vor die große Uhr am Ökonomiegebäude und verfolgte aufmerksam die Zeiger und ihr Fortschreiten.

*

Nach dem Abendbrot kam für das Elternpaar Rumohr, sowie für das Kegelspiel erst das eigentliche Beisammensein, das gemütliche »nüßlern«, wie der Gutsherr die innige Aussprache mit seiner Familie zu nennen pflegte.

Fritz von Rumohr, der schöne, stattliche Hausherr, ging, die Hände auf dem Rücken, in dem großen, behaglichen Wohnzimmer auf und ab.

Sein tiefschwarzes Haar war an den Schläfen leicht ergraut, aber die dunklen Augen blitzten jung und lebhaft über sein »Hümpelchen« hin, das da auf dem breiten, großen Familiensofa »runkste«. Der Mittelpunkt des Hümpelchens war im Dämmerschein des Juliabends nicht recht zu erkennen, man konnte ihn nur erraten, da Erni den freundschaftlichen Vorschlag machte:

»Muusch, wenn wir dich totdrücken, sag' bitte ›piep‹.«

»Piep«, sagte jetzt Kerlchen-Muusch auch, stand plötzlich in ihrer ganzen Größe auf, so daß etliche Quälgeister auf den Boden rutschten, worüber alle, Kerlchen am hellsten, in ein lautes, fröhliches Lachen ausbrachen. Wie es unverändert war, das Mütterchen des Kegelspiels. Kein Fältchen auf der Stirn, in die das Haar noch immer in braunen Locken fiel, welche manchmal mit lebhafter Handbewegung fortgestrichen wurden.

Kerlchen schien tatsächlich unverändert, und wie es jetzt mit einem halb traurigen, halb lustigen Schelmengesicht noch einmal »Piep« sagte, weil Adolf Miene machte, an seiner Muusch in die Höhe zu klettern, sah es aus, wie die älteste Schwester der frohen Schar.

Der Gutsherr kam lachend zu Hilfe.

»Räuber, Schurken, Banditen«, drohte er. »Laßt mir auch noch was übrig. Wer jetzt nicht sich still und manierlich hinsetzt und seine Wünsche und Meinungen gesittet vorträgt, der fliegt raus, betragt ihr euch alle wie die Rüpel, dann entführe ich Muusch in mein Zimmer.«

Das half.

Adolf überzeugte sich mit einem Blick in des Vaters Gesicht, daß das Gebrumm nicht allzu ernst gemeint sei, sondern von einem lustigen Augenzwinkern begleitet war, so daß man keine Ursache hatte, »bedrippt« auszusehen, und Erni drückte mit sachtem Ruck Muusch auf das Sofa zurück, während sich die Geschwister ringsum gruppierten.

»Aber wo steckt bloß Willy wieder,« fragte Kerlchen besorgt, »das Essen hat er nur so reingeschlungen, er ist ja heute ewig auf der Achse und kam mir schon ganz matt vor.«

Die Antwort gab die kleine Jammergestalt selbst, die jetzt hereintorkelte, tränenüberströmt und mit allen Zeichen der Erschöpfung.

»Um Gottes willen, Pate, was ist denn los?«

»Sie ham mir rausgeschmissen,« stöhnte Willy.

»Wer denn?«

»Die Mamsell und der Oberknecht und der Gärtner und die Kuhmagd und – alle.«

Er drückte sein Gesicht in den Schoß der Muusch, und diese strich leise und liebkosend über sein etwas struppiges Blondhaar. Diese Liebkosung und das Gefühl des Geborgenseins beruhigten das erregte Bürschchen, und in wenig Minuten war Pate fest eingeschlafen.

»Wo er sich nur so müde gemacht hat?« fragte Kerlchen-Muusch, Fritz von Rumohr aber hob seinen Jüngsten mit starken Armen empor und sagte: »Ein Nachtlager von Granada« wollen wir hier nicht aufführen, ich bring den Kegel in sein Zimmer, Dame Kornelia soll ihn sofort ins Bett schaffen. Carlo und Adolf, für euch ist's gleichfalls Zeit, ihr geht mit.«

Widerspruch gab's nicht in Rotbach.

Die beiden Jungen küßten erst mit tadelloser Verbeugung der Mutter die Hand, dann schlangen sie noch einmal stürmisch die kleinen Arme um sie.

»Goldiges Muusch, gute Nacht!«

»Gute Nacht, Herzensjungen!«

»Kommst du noch zum Beten?«

»Versteht sich!«

Einige geistreiche Ermahnungen, wie »schlafe sowohl, als auch«, oder »schlaf rund, daß du nicht eckig wirst« – wurden den Kleinen noch von den älteren Geschwistern mitgegeben, uralte Schulwitze, die aber von der jüngeren Generation gebührend belacht wurden. Rose erhob sich gleichfalls.

Ihr liebes Kindergesicht, das auffallend dem Vater glich, bekam einen mütterlich sorgenden Ausdruck.

»Ich gehe mit«, sagte sie. »Dame Kornelia hat so 'ne Art, den Willy anzufahren, wenn er ihr schlafend übergeben wird, die mir den ganzen Tag lang nicht gefällt. Ich will den Jungen selbst ausziehen, dann muß sie stille sein.«

»Unsere Rose ist doch ein goldiges Viehzeug,« bemerkte Erni ruhig in wärmster Anerkennung, als die Geschwister das Zimmer verlassen hatten.

»›Goldiges Viehzeug‹ ist nicht parlamentarisch, mein Junge,« meinte Kerlchen-Muusch. »Wenn ich bloß wüßte, von wem ihr diese Ausdrücke habt!«

Einen Augenblick sahen Mutter und Sohn sich an, und dann lachten beide hell, schallend, anhaltend.

»Du Strolch,« sagte Kerlchen.

»Mein einziges Muusch, – aufessen könnt' man dich!«

Der Gutsherr erschien bald wieder.

»Rosel hatte recht, – Dame Kornelia war im Begriff, den Willusch auf Disteln und Dornen zu betten, – Rosel gebot aber ein energisches Silentium und bringt jetzt das Kind zur Ruhe. Ich fürchte, sie ist der Lehrerin bereits über den Kopf gewachsen.«

»Das ist nicht der Fall, Friedel. Gewiß nicht. Ich wohne ja so oft den Unterrichtsstunden bei. Rosel ist immer ehrerbietig gegen Fräulein Kornelia und respektiert das gründliche Wissen der Dame. Nur, wenn die Geschwister angefeindet werden, – dann wird das Mädel zur Hyäne, wie Schiller sagt.«

»Sagt er so? – Na jedenfalls, – von mir hat sie das Hyänenhafte nicht.«

Kerlchen lachte silberhell.

»Das stimmt, du – edelstes Gleichmaß!«

Fritz sah sein Kerlchen strahlend an.

Seine Älteste, – wie er sie so gern nannte. Was war sie doch für ein goldenes Gemüt! Wie hielt sie die Buben in Respekt, trotzdem jeder Einzelne die Muusch vor Liebe beinahe aufaß. Wie konnte sie zärtlich mit ihnen sein und doch wieder so streng, so liebevoll und so gerecht. Er, Fritz von Rumohr, lernte täglich von ihr, von seinem Kameraden, seinem Kerlchen. Aber das merkte sie nicht. Ihm gegenüber war sie ganz die sich Unterordnende, sie faßte das alte Bibelwort: »Er soll dein Herr sein!« streng auf, fragte um jede Kleinigkeit und beriet auch jede wichtige Sache mit dem Gatten.

Glücklich war Fritz von Rumohr, wolkenlos glücklich.

Es klopfte.

Fräulein Kornelia Klammer erschien, um »gute Nacht« zu sagen. Sie pflegte nur dann im abendlichen Familienkreise zu bleiben, wenn aus den Werken des jungen Dichters Friedrich Kerntreu vorgelesen wurde. Daß dies nicht jeden Abend geschah, war entschieden ein Mangel an der Familie Rumohr-Rotbach.

Fräulein Kornelia Klammer schaute zu Fritz von Rumohr wie zu einem höheren Wesen auf, seit sie aber einmal von dem sonst so ritterlichen Gutsherrn sehr unparlamentarisch angefahren worden war, weil sie an Stelle eines wichtigen Buches über Forstwirtschaft Friedrich Kerntreus »Wanderungen durch Tirol« hingelegt hatte, – sah sie ihn nur noch mit Jammerblicken an.

»Wie ein verwundetes Reh«, meinte Kerlchen poetisch.

»Wie'n gestochenes Kalb«, sagte Fritz von Rumohr.

Heute Abend war Fräulein Klammer ganz Gewitterwolke, bereit, sich jeden Augenblick zu entladen.

Kerlchen faltete ganz ergebungsvoll die Hände in den Schoß, und der Gutsherr rief:

»Na, liebe Hausgenossin, Sie haben sicher noch etwas auf der Lampe, – herunter damit, wer vom Kegelspiel ist das Karnickel gewesen?«

Willy war es, der Pate, der Jüngste. Es schiene eine heimliche Bosheit in dem Kleinen zu stecken, die nicht früh genug ernstlich bekämpft werden müsse.

Willy boshaft? Die Eltern sahen sich an und schüttelten die Köpfe.

Doch, doch. Oder ob das nicht boshaft sei, alle Viertelstunde genau auf die Minute ausgerechnet, abwechselnd in den Wirtschaftsräumen zu erscheinen, jeden zu stören in wichtigster Arbeit, um immer wieder die alberne Frage zu tun, ob die Kränze zum morgenden Tage – – – –

Hier stürzten sich die sechs im Zimmer befindlichen Kegel mit lautem Geschrei auf Dame Kornelia, so daß sie beinahe das Gleichgewicht verlor.

»Pscht! Ruhig! Still doch! O Fräulein! Nichts sagen! Muusch, hör nicht, was sie sagt!«

Aber das half alles nichts.

Die Gewitterwolke wollte sich nun mal gründlich entladen.

Niemand könne ihr den Mund verbieten, und die Obermamsell und sämtliche Leute in Hof und Stall wären ganz außer sich zu ihr gekommen und hatten sich über den boshaften Jungen beklagt. – Auch über Fritz müsse sie sich beklagen, er hätte keine einzige Vokabel im Französischen gelernt, und das käme nur daher, weil er seit Wochen nur das Festspiel im Kopfe – –«

»O, o! Pfui! Nein, wie greulich! O Fräulein Kornelia! Alles verrät sie! O es ist schändlich!«

Ja, und der Harald wäre so zerstreut und beinahe wie geistesabwesend, auch seit mehreren Tagen schon – und als sie ihm heute in längerer Rede des Thema des deutschen Aufsatzes »Nutzen des Kaninchens« erklärt hätte, hätte er sie plötzlich laut angeschrien: »Horch, was kommt von draußen rein, – holla hi, holla, hoh – – jawohl, und der Paul, der hätte was »von'n Drachen und von'n altem Haus« gesungen.

Aber weiter kam Fräulein Kornelia nicht, obgleich ihre etwas stechenden Augen bereits Ernst und Rose, die beiden Ältesten, aufs Korn genommen hatten, denn plötzlich öffnete sich weit die Tür zur Diele, und ehe die Dame es sich versah, war sie ganz sanft von den sechs Kegeln hinausgeschoben worden, ganz sanft trotz der Empörung der Kinderseelen, und mit unglaublicher Fixigkeit.

Dann war der Schwarm wieder im Zimmer und schloß die Tür hinter Dame Kornelia. –

Rose, die Fünfzehnjährige, war ganz aus dem Häuschen. Vor innerer Erregung war sie sprachlos geworden und sank auf einen Stuhl. Nicht mal weinen konnte sie, dazu war sie zu wütend.

Erni tobte.

Er war sonst eine mehr ruhige Natur, ließ die Dinge an sich herankommen, war gewissenhaft bis aufs i-Tüpfelchen, gewissenhaft wie der Jüngste, der Pate.

Heute tobte er, denn heute kam die Muusch ins Spiel, die Muusch, deren Geburtstag morgen gefeiert werden sollte, dessen liebe Geheimnisse nun so schmählich verraten worden waren von diesem – – –

»Frauenzimmer! So'n Frauenzimmer!« rang es sich verächtlich von Ernis Lippen. »Daß doch die Frauenzimmer nie dicht halten können!«

»Aber Erni! Sieh doch auf deine Worte! Ich bin auch ein Frauenzimmer!«

»O Muusch!« Erni fand trotz seiner Empörung Zeit, seine Mutter stürmisch zu umarmen. »Red' nicht so, Mutting! Du bist doch kein Frauenzimmer, – warst ja nie eins!«

»Das ist mir neu!«

»Verraten!« schluchzte Rosel jetzt auf. »Alles vermurkst, vermöbelt, verkrixt und verkraxt – –«

Elimar, Paul, Harald und Fritz riefen bloß immer: »Gemein!«

»Kinder, Kinder, ihr seid ja ganz aus den Fugen. Das ist nicht recht, besinnt euch doch nur!«

Kerlchen-Muusch zog jedes Kind einzeln zu sich her, und bald saß das Hümpelchen wieder auf dem Runkssofa, wahrend der Gutsherr händereibend im Zimmer auf und ab lief.

»Überlegt's euch doch!« Die Stimme Kerlchens klang lieb und beruhigend.

»So schlimm ist es ja gar nicht. Daß mein Geburtstag am 31. Juli ist, ist seit 37 Jahren unbestrittene Tatsache, und daß ihr Lieblinge viel zu viel Sums darum macht, – gleichfalls. Jedes Jahr habt ihr mich mit köstlichen Kränzen und Guirlanden überrascht, ich wundere mich nur immer, wo noch alle die Rosen herkommen. Ferner habt ihr mich immer mit so lieben Versen erfreut, habt im Verein mit den verschiedenen Onkels so reizende Festspiele verbrochen – –«

»Aber diesmal ist es von mir allein,« triumphierte Fritz.

»So halt doch deinen Mund,« fuhr ihn Rosel an, und Erni seufzte:

»Es ist, als ob sie Blödsinnsanfälle hätten!«

»Ruhig Kinder! Die eigentliche Überraschung bleibt mir ja doch noch.«

»Muusch, du hattest also von vornherein einen Schimmer, daß wir'n Festspiel planen?«

»Mmm – ja!«

»Aber woher bloß?«

»Erstens an euerm Tuscheln, Zischeln und Köpfezusammenstecken, und zweitens von eurer grenzenlosen Zerstreutheit. Denn als ich neulich Fritzl fragte, wo er seinen zweiten Strumpf gelassen hätte, antwortete er mir: »Tautröpfchen sagt dir gleich Bescheid!« Und dabei machte er ein unglaublich dämliches Gesicht. Na, da dachte ich mir mein Teil.«

»Siehst du, Muusch, du denkst immer. Ich denk mir nie was, wenn Fritzl 'n dämliches Gesicht macht, – reinste Naturanlage bei ihm.«

Fritzl wollte dem Bruder an den Kragen, aber dieser schlug ihm jovial auf die Schulter.

»Ruhig Blut, Anton! Es war nicht so bös gemeint. Wir Geschwister dürfen uns nicht verkrachen, wir müssen in geschlossener Phalanx dem Feinde gegenüber stehen.«

»Bin ich der Feind?«

»Aber Muusch!!!«

»Selbstverständlich ist es Fräulein Kornelia.«

»Ihr habt sie heute unsanft behandelt und werdet ihr noch ein freundliches Wort sagen müssen.«

»Ok dat noch!«

»Es hilft nichts, Erni, – ihr habt sie rausgeworfen.«

»Nein Vater, rausgedrängelt. Ganz sanft, und das kam uns schwer genug an bei unserer Wut.«

»Einerlei, es war nicht ritterlich. Wenn Fräulein Kornelia sich nicht nett gegen euch benimmt, so gibt das euch noch nicht das Recht, unmanierlich zu sein, habt ihr verstanden?«

»Jawohl, Vater.«

»Li, was rutscht du immer auf dem Sofa hin und her. Es ist längst Schlafenszeit für dich, gut Nacht!«

Li hatte schon lange mit unglücklichem Gesicht dagesessen, jetzt schnellte er empor, gab der Muusch einen schallenden Kuß, drückte dem Vater fest die Hand und verschwand. Harald, Paul und Fritz, die sein Schlafgemach teilten, rasten hinter ihm drein.

Die vier Jungen waren todmüde. Aber es war doch ein herrliches Umherstreifen gewesen, ein köstliches Vorbereiten für den Geburtstag der geliebten Muusch.

»Wenn nur alles klappt!«

»Es wird schon, Fritzl. Ihr habt ja alle fein gelernt. Du wirst doch nicht nochmal das Festspiel vortragen wollen? Dann übergeb' ich mich.«

»Es war schon die ganze Zeit zum übel werden.«

»Rasselbande,« rief Fritz gekränkt.

Aber sie nahmen ihm das Festspiel fort, nachdem sie noch einige Stellen daraus zitiert, die für die gegenwärtige Lage sehr passend waren.

»Was hebst du frierend Bein um Bein?«

»O Schwester, kalt ist's im Mondenschein!«

»Was macht denn Elimar?«

»Kinner, Lüd un Menschen, er schläft, – schläft im Stehen.«

»Ei! Marsch ins Bett! Das kann auch nur unserm verträumten Magister passieren, daß er barfuß im Hemd mitten im Zimmer stehen bleibt und einschläft.«

Elimar riß seine großen Augen weit auf und taumelte in sein Bett.

Paul löschte das Licht, trotzdem blieb es fast taghell in dem mondscheindurchleuchteten Zimmer.

Als die ruhigen Atemzüge der Brüder verrieten, daß sie fest eingeschlafen waren, tauchte Lis Kopf lauschend unter der Decke hervor, dann sprang er mit einem Satz aus dem Bett. Sein Kostüm hinderte ihn nicht, mit gewaltigen Schritten durch die Korridore zu eilen und ins Musikzimmer zu stürzen, wo er leise und vorsichtig seine Geige an sich raffte und nun ins Schlafzimmer zurückkehrte.

Hier stimmte er sacht die Saiten, und dann tönte es in wunderbar musikalischer Weise und mit tiefem Verständnis:

»Noch sind die Tage der Rosen.«

Die Brüder schliefen fest, aber ein Schrei durchzitterte die Luft, Dame Kornelia stand in der Tür, die Hände hielt sie vor das Gesicht und hinter den Händen wimmerte sie:

»Aber Elimar! Augenblicklich gehst du ins Bett! Ich schäme mich tot! Dieses Kostüm! Und jetzt noch zu üben! Elimar! O, wie ich mich schäme!

»Und so frei ist mein Herz, und so froh wie der Tag,
Wie die Lüfte durchjubelt von Lerchenschlag.
Ihr Fröhlichen singt, weil das Leben noch mait,
Noch ist die blühende, goldene Zeit,
Noch sind die Tage der Rosen.«

»Elimar!«

Jetzt endlich hörte er, sah er, verstand er. Mit einem Hechtsatz sprang er ins Bett zurück, die Geige nahm er mit, es würde ja wohl noch eine Stunde in der langen, lauen Sommernacht geben, die man ungestört zum Üben benutzen konnte.

Dame Kornelia aber schritt zum neuesten Drama ihres Leibdichters zurück, aus dessen Lektüre sie Elimars Geige rauh gestört.

»Und was haben mir nun noch meine beiden Großen zu sagen?« fragte Kerlchenmuusch, die mit Erni und Rose engumschlungen auf dem Sofa saß.

Der Gutsherr hatte seinen allabendlichen Rundgang durch Hof und Stall und Haus begonnen.

»Einen Haufen, Muusch!«

»Wir haben ja unser Programm fertig, aber du mußt uns nun deins für morgen sagen, damit unsere Bestimmungen sich nicht in die Quere kommen.«

»Das sollen sie nicht!« Kerlchen lachte glücklich. Wir wollen einen recht frohen Geburtstag feiern.«

»Wir wollten, Muusch, es käme nicht so rasend viel Besuch.«

»Der kommt auch nicht, Kinder. Gottlob! Sie sind ja alle im Bade, an der See, im Gebirge, überall zerstreut. Nur Rumohrs machen die Modekrankheit nicht mit, sondern bleiben mit dem Hümpelchen hübsch daheim im gemütlichen, lieben Haus, im schönen, dunklen, herrlichen Thüringer Wald.«

»Wie du das sagst, Muusch! So stolz!«

»Ja, das bin ich! Mein Thüringen!«

»Gleich mal 'n Vers singen, Muusch, – dreistimmig, es klingt so schön! Wie schade, daß Vater nicht da ist mit seinem Tenor.«

Aber da stand der Gutsherr schon in der halbgeöffneten Tür. Wie eine Glocke, voll und klar, tönte sein Gesang zu Kerlchens weicher Altstimme, zu Rosens jubelndem Sopran und der frischen Knabenstimme:

»Wo meiner Kindheit Wiege stand.
Wo ich mein Glück, mein alles fand.
Wo mir so manche Freundesbrust
Entgegenschlug in Leid und Lust:
Mein Thüringen, wie lieb ich dich,
Von ganzer Seele, inniglich,
Vor Sehnsucht möchte ich vergehn,
Ach, könnt' ich dich noch einmal sehn!«

Leise schloß sich die Tür wieder hinter dem Gutsherrn.

Ernis Augen standen voll Tränen, energisch trocknete er sie ab.

»Es ist nur,« – – seine Stimme stockte, – weil ich übermorgen wieder fort muß.«

»Mein Junge! Mein Erni!«

Kerlchen umschloß den Ältesten fest.

»Gelt, es muß sein, Erni, und da ist mein Großer auch tapfer!«

»Freilich, Muusch! Aber, du fehlst mir schrecklich – – ich weiß nicht, ob es bei den andern Jungens auch so ist, – wir sprechen nicht darüber.«

»Aber du hast doch den Hans-Hugo!«

»Ja, den hab' ich! Und den geb' ich auch nicht her, nie! Aber er ist ja so viel älter als ich, – ob ich ihm genügen werde auf die Dauer?«

»Das wirst du, Erni!« nickte Kerlchenmuusch ernst. »Wie ich Hans-Hugo Eulried kenne, wechselt er Freundschaften nicht, wie ein paar Handschuhe. Deine Freundschaft ist doch auch etwas wert, Erni!«

»Ich dank dir, Mutter!«

»Hab nur immer Vertrauen zu mir, gelt, mein Junge? Sag mir alles! Oder dem Vater! In der Stadt, da tritt so manches an dich heran, – viel Schlechtes, – ich versteh da nicht viel davon, – da komm nur zum Vater, er ist dein bester Freund.«

»Das ist er, Muusch, ich weiß, ich weiß! Und ich hab auch gar kein Geheimnis vor euch und will auch nie eins haben. Weißt du, Muusch, ich denk' immer an deine Augen, – die sehen einem bis auf den Herzensgrund. Das sollen sie auch immer können.«

»Mein Junge!«

»Holla, wo ist Rosel geblieben?«

»Sie ist vorhin leise hinausgeschlichen, hast du's nicht bemerkt, Erni?«

»So macht sie's immer. Ein Taktgefühl hat das Mädel – – dabei weiß sie doch, daß ich auch vor ihr kein Geheimnis habe.«

Rosa lugte durch die Türspalte.

»Nur herein, du Ausreißer!«

Sie wurde ein wenig rot.

»Ich hab nach der Diana gesehen, sie hat Junge, es sieht goldig aus, – neun Kegel, wie wir. Gottlob, daß von uns keins ersäuft wird!«

»Rosel! Was für Gedanken!«

Sie lachten alle drei.

»Und nun weiter im Text, wir sind noch kein bißchen von der Stelle gerückt, und es ist Bettgahnstid. Also wer kommt morgen?«

»Ja Kinder, Onkel Reymerstal auf Rebenhügel hat natürlich zugesagt, ebenso Onkel Hagedorn. – »Hurra!« – Frau von Mainro und Nata kommen hoffentlich, na und ich denke, Pfarrers und Lehrers werden auch nicht fern sein. Mit dem aller-allerliebsten Besuch wollt' ich euch eigentlich überraschen, – aber – –«

»Onkel Krone!«

»Ja, Onkel Krone! Der alte Herr will sich wirklich aufraffen und meinen Geburtstag ›verherrlichen‹, wie er selbst schreibt.«

»O Muusch, das ist zu schön!«

»Nun können wir doch morgen ›Boccia‹ spielen und ›Croquet‹, und den Tennisplatz will er anlegen, Elimar lauert auf den neuen Violinbogen, ich will Mandoline lernen – –«

»Kinder, Kinder, habt ihr euch wirklich alle die Spiele und Instrumente bei ihm bestellt?«

»O Muusch, er quält uns doch so um Wünsche. Es sei seine einzige Freude, uns zu beschenken, sagt Onkel Krone, – na und du predigst doch immer, daß man den Mitmenschen Freude machen soll.«

»Du Schlingel!« – – – »Und Großmutti? Kommt sie auch?« – – – »Was denkst du, Junge? Die Fürstin-Mutter läßt sie so leicht nicht los, und mit 65 Jahren reist es sich nicht so, wie mit zwanzig.« – – – »Aber Onkel Krone ist doch noch älter?« – – – »Nein, nein, Onkel Krone ist ein Jüngling, jünger als wir alle!«

»Am liebsten möchte ich jetzt mit Getöse in die Schlafgemächer der Brüder dringen und ihnen die himmlische Neuigkeit in die Ohren brüllen: ›Onkel Krone kommt! Onkel Krone kommt‹!«

»Nein, das laß lieber bleiben, aber fein stille könnt ihr beide jetzt ins Land der Träume wandeln.«

»O Muusch, das Dichten hat der Fritz von dir.«

»So, meinst du?«

»Muusch, du hast uns doch versprochen, uns deine Gedichte und dein Tagebuch lesen zu lassen, wenn wir erwachsen sind.«

»Na ja, – und –?«

»Können wir's nicht bald lesen?«

»Ihr Knirpse?«

»Wann ist man denn erwachsen?«

»Nun, so mit vier-, fünfundzwanzig.«

»Huh, – dann ist man ja tot oder Großmutter.«

»Abwarten und Tee trinken und nun – gut Nacht.«

»Muuschlein, liebes, gutes, süßes, gut Nacht!«

Erni umschlang Kerlchen von der einen Seite, Rosel kam von der anderen.

»Willst du mal 'ne Viertelstunde ganz still halten, Muusch, daß man dich ordentlich küssen kann?«

»'ne Viertelstunde? Man ja nicht.«

»Doch Muusch, wir haben ja sonst gar nichts von dir.«

»Aber erst ich,« rief Erni, ich bin der Älteste.«

»O Kinder, da wird einem ja angst und bange, wenn ihr so planmäßig vorgeht.«

»Ja Muusch, Ordnung muß sein, und wir müssen uns sputen, damit wir fertig sind, ehe die Brandung wiederkehrt, das heißt, ehe Vater von seinem Rundgange erscheint; er wirft uns mit tödlicher Sicherheit raus.«

»O Erni, wenn du erst so lange Reden schmetterst, kommt man ja zu nichts. Küß fix zu.«

»Kinder, ihr seid ein erzverdrehtes Volk!«

»Macht nichts, Muusch, du bist eben anders wie andere Mütter, ganz anders. Meinst du, ich möchte zum Beispiel Franz von Lehmkes Mutter küssen, oder Frau Hillert, oder Frau von Hirtau?«

»Nein, das meine ich nicht, die würden sich's auch schön verbitten.«

»Das ist's ja eben.« Ernis Gesicht wurde ganz sorgenvoll. »Ich denke oft so stark drüber nach, worin der Unterschied zwischen euch liegt. An den Zöpfen, oder dem Chignon, oder der Krinoline?«

»Ach Erni, Krinoline trägt ja kein Mensch mehr.«

»Ich meinte auch nicht Krinoline, ich meinte Reform. Nein, Muusch, du bist eben ganz was Eigenartiges, ganz was Prachtvolles, zu dir kann man immer kommen, du bist immer da, und man braucht keinen langen Sums zu machen; kaum hat man den ersten Satz angefangen, hast du schon alles kapiert; unvergleichlich bist du!«

»Mein alter Junge.« –

»Ganz gewiß, Muusch, das empfinden auch alle, die mit dir zusammen kommen, alle meine Jungens. Natürlich ganz besonders mein Hans-Hugo Eulried, Der geht für dich durch Wasser und Feuer. Du weißt, Worte macht er nicht viel, aber neulich, da sagte er ganz aufgeregt: ›Weißt du, Rumohr, deine Mutter, das is 'ne Mutter‹!«

»O Erni, nun hast du ewig geredet und so ganz unnütz die Muusch umgekriegt und nun hör' ich schon Vaters Schritte – – gute Nacht, Muusch, Mutting, Mütterchen, Liebes, Goldiges, Wonniges, Einzigesserchen!«

»Halt! O! Kinder! Erni! Rosel! Piep! Luft Clavigo!

Der Gutsherr trat über die Schwelle.

»Noch nicht in der Bucht?«

»Oh, wir hatten noch so notwendige Beratungen mit der Muusch. – Gute Nacht, Vater!«

*

»Endlich allein!« seufzte Fritz von Rumohr mit halb wehmütigem Gesichtsausdruck, »weißt du, mein Kerlelein, daß ich doch eigentlich jammervoll wenig von dir habe?«

Er legte seinen Arm um Kerlchen und zog es fest an sich, still ruhte es an seiner Schulter.

»Das Kegelspiel ist furchtbar selbstsüchtig, findest du nicht, Kerlelein?«

»O gewiß nicht, Friedel, es macht nur, es sind 'n bißchen viel, und der Tag hat so jammervoll wenig Stunden.«

»Ach du Fleißiges! Bei dir hat er doch noch viel mehr, als bei anderen Leuten. Um vier Uhr stehst du auf und um elf Uhr legst du dich nieder, ist's nicht gar zu viel für meinen Liebling?«

»O Friedel – ich bin doch gesund!«

»Und nun denk', Kerlelein, wenn der liebe Herrgott uns vierundzwanzig geschenkt hätte?«

»O dann würde jedes Kind eine Stunde haben, das würde dann streng innegehalten!«

»So, und ich?«

»Ach – richtig, du, Friedel.«

»Siehst du wohl, wie du mich ganz über den Kindern vergißt? Nein, nein, nicht solch' erschrockenes Gesichtchen! Meinst du denn, ich dankte nicht täglich dem gütigen Geschick, daß ich solch' ein Mütterlein für meine Kinder hab? Mein Kerlelein! Meins!«

»Friedel! Einziger Herzensfriedel!«

»Also hast du doch deinen alten, grauen Mann noch ein wenig lieb?«

»Du Dümmfert! Immer mehr lieb hab ich dich, jeden Tag mehr, jede Stunde, jede Minute! Und von allen Menschen auf der ganzen weiten Welt stehst du mir innerlich am nächsten.«

»Das ist ja das Schöne! Das macht mich so glücklich!«

»Mein Fritz!«

»Kerlelein, weißt du, weshalb ich dich so ganz besonders– – – na sagen wir mal: ›hochschätze?‹«

»Wie das gelungen klingt!«

»Ist aber doch buchstäblich wahr! – Weil du so unmodern bist! So ganz und gar aus der alten Schule! Du bist nicht nur mein herzlieb Weib, mein süßes Kerlelein, nicht nur die treue Mutter unserer lieben Schar, du bist mein guter Kamerad, – bist eben mein alles

»Friedel!«

»Liebling?«

»Toll glücklich bin ich! Und so stolz! Auf dich und über das, was du mir sagst.«

»Kerlelein, Gott segne dich!«

*


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