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Aus Kerlchens Tagebuch.

Heute komme ich zum ersten Male wieder zu einer ruhigen Stunde, aber doch tut es mir beinahe leid.

Ich habe Sehnsucht nach Chrisli!

Heute hat Fräulein Schapperlabsche wieder in vollem Umfange ihre Tätigkeit aufgenommen und mich hinausgeworfen, wenigstens kommt es mir jetzt beinahe so vor; ich hätte gern noch weiter mit den Kindern gespielt, aber plötzlich stand ich vor der Haustür, und Fräulein Schapperlabsche reichte mir selbst meinen Hut.

Weshalb sie mich wohl nicht leiden mag?

Das heißt, ich kann sie ja auch nicht ausstehn, aber ich hab's doch nie merken lassen, sonst hätte sie mich wohl noch eher hinausgetrommelt, und die armen süßen Dinger wären ganz verlassen gewesen. Ich habe Sehnsucht nach meinem Chrisli!

Nun sitzt der liebe Junge und weint nach seinem Kerlchen, und sie läßt ihn nicht zu mir, dieses Ungetüm.

Der gute, liebe Herr Pfarrer ließ mich ungern ziehn, das weiß ich, es hingen ja auch alle drei Gören an meinem Kleid und rissen mir beinahe den Rock aus den Falten, während Rösi, die er auf dem Arm hatte, mir jauchzend versuchte alle Haare auszureißen.

Mit den Cousinen ist nicht zu reden. Als ich vorhin von meiner Sehnsucht sprach, fingen sie gleich ein Duett an zu singen, natürlich falsch, aber mit viel Gefühl in den höchsten Tönen:

»Ach bleiiiiib bei miiir, und geh nicht fort,
An meinem Herzen ist der schööööönste Ort!«

Dazu ein Lachen und Prusten, daß sie ganz außer Atem kamen.

In solchen Augenblicken ist nichts mit ihnen anzufangen.

Gestern reichte mir Munke sehr feierlich ihre Hand und bat mich, ein Los daraus zu ziehen.

Ich wollte natürlich erst wissen, um was es sich handele, und da sagte sie:

»Natürlich um den Pfarrer. Eine Frau braucht er, aber ich kann das Ungewisse nicht leiden und verzehre mich in rasender Eifersucht. Also wer das kleinste Los zieht, (denn ein großes Los ist er nun wohl nicht, der gute Pfarrer), der darf ihn mit unserm Segen heiraten.

Einverstanden?«

Ich war natürlich nicht einverstanden und wurde sehr böse, aber den beiden Ungetümen war ich nicht gewachsen, wenn ich eine unten hatte, war die andere da.

Na, da nahm ich ein Los, und sie lachten sich krumm und bucklig.

Auch die Cousinen entfalteten Lose, sie waren mindestens einen Meter lang, daran merkt' ich schon, daß es ein abgekartetes Spiel war und ich hielt ein einziges Stückchen Papier in der Hand, daraus stand: »Fru Pastern.«

Seitdem necken und peinigen sie mich bis aufs Blut.

Den ganzen Tag singen sie, d. h. was sie singen nennen, natürlich immer Liebeslieder:

»Im stillen Gaaarten
Will ich deiner wa–arten,
Im grünen Klee,
Im weißen Schnee.«

Oder sie sticheln anderweitig:

»Kerlchen, es paßt prachtvoll. Er ist zweiundvierzig und du siebzehn, was dir an Verstand abgeht, das hat er reichlich, und was ihm an Schönheit fehlt – – o Kerlchen – – laß mich schweigen!«

 

Kapitän Liskow saß in seinem Zimmer und paffte schwere Rauchwolken zur Decke empor.

Er war zum Stillsitzen verdammt, in seinem rechten Fuße rumorte die Gicht, dicht umwickelt lag dieser etwas erhöht auf einem kleinen Faulenzer.

Kerlchen ging im Zimmer umher, wischte Staub, brachte dem Onkel dies und das, plauderte frisch und fröhlich von den Ereignissen auf dem Gute und jagte die lästigen Winterfliegen aus dem Fenster.

Eben zog sie mit kunstgerechtem Griff das Kissen hinter des Kapitäns Rücken höher und rüttelte es zurecht.

»Du Kerlchen,« schmunzelte der Kapitän, »der Mann, der dich mal kriegt, ist nicht angeschmiert, – alle Wetter, kannst du einem den Kram behaglich machen.«

»Meinst du?« lachte Kerlchen. »Papa sagt immer, er müsse mich mal im Dunkeln anbringen, weil ich so ganz und gar nicht hübsch bin.«

»Na es geht,« sagte der Kapitän ruhig, »wirklich, für den Hausgebrauch genügt es. Außerdem sind »Väter« keine maßgebenden Richter, entweder sie übertreiben oder sie verkleinern.«

»Ach du liebe Zeit, von Papa wurde behauptet, er übertriebe.«

Sie lachten beide um die Wette, bis der Kapitän wieder einen »Rucker« verspürte und schmerzlich aufstöhnte.

Kerlchen strich ihm mit der Hand über das Haar. »Armer, lieber Onkel Liskow,« sagte es zärtlich und schaute ihn besorgt an.

»Wie so ein kleines Mutterchen kannst du sein, Liebling,« sagte der Kapitän, »gestern gucktest du den Pfarrer auch so rührend an, als er von der Rösi erzählte.«

»Ach Onkel,« rief Kerlchen lebhaft, »das Dingelchen ist ja aber auch einzig süß, ach und die drei andern auch, mein Chrisli vor allen Dingen. Ich weiß gar nicht, wie ich's ohne die Kinder aushalten soll.«

»Sag mal Kerlchen – – hm! – Du – Kerlchen – au Donnerwetter, mein Fuß – möchtest du – ich meine, – würdest du – unsern Paster heiraten?«

»Ach Gott, Onkel, fang du auch noch an! Die Cousinen quälen mich schon genug, wir haben sogar schon gelost, und ich bekam den Pfarrer.«

»Daß euch dieser und jener– – –!« wetterte der Kapitän. »Diese Walküren machen's doch rein zu toll. Ihr spielt mit dem Feuer, und der arme Paster brennt an.«

»Der Pfarrer?« fragte Kerlchen erschrocken. »Aber natürlich, du Mähschäfchen. Das kann doch ein Blinder mit dem Stocke fühlen, daß es dem Manne schon bedenklich warm unter der linken Westenklappe wird.«

»Oh Onkel! Meinst du die Cousinen – –?«

»Schafköppchen! Nein, die meine ich nicht! Der Pastor hat von dem einen energischen Regiment genug an Fräulein Schapperlabsche erlebt, und wer im Senf gesessen hat, setzt sich nicht gleich hinterher in spanischen Pfeffer, aber wir haben ja außer den Walküren noch ein kleines barmherziges Samariterchen hier – das mir, trotzdem es Kerlchen heißt und ein so verwickeltes Persönchen ist, recht gut in ein Pfarrhaus, verbunden mit Kleinkinderbewahranstalt, zu passen scheint.«

»Oh, Onkel Liskow, ich ginge auch so sehr, sehr gern hin!!!«

Diesmal vergaß der Kapitän vollständig seinen gichtischen Fuß, er sprang hoch auf, um gleich drauf mit schmerzlichem Stöhnen zurück zu sinken.

»Kerlchen, Mädel, Kind, Frauenzimmerchen, was red'st du da?« fragte er erschrocken.

Kerlchen sah ihn treuherzig an, um ihren Mund zuckte es.

»Die Kinder, Onkel, die armen, süßen Kinder! Heute war schon Chrisli hier und wollte überhaupt nicht wieder fort, so fürchtete er sich vor der Cousine. Sie hat ihn mit dem Stock geschlagen, weil er zu uns wollte, da ist er zum Fenster hinaus gesprungen, ach und Klein-Rösi wird nicht jeden Tag gebadet und bekommt die Milch oft kalt, und Didi und Dudu werden nicht gewaschen und bekommen auch schon Haue.«

»Ruhig, ruhig, kleine Deern,« sagte Liskow und streichelte Kerlchen, das ganz unglücklich aussah. »Haue« ist nicht so was Schlimmes für kleine Jungs, wir haben sie alle bekommen.«

»Aber es ist nicht nötig,« beharrte Kerlchen, »ich sag dir, Onkel, sie parieren mir schon aufs Wort, und der Cousine doch noch viel eher, vor der sie sich so fürchten. Ach und mein Chrisli, wenn ich doch zu ihm könnte!«

»Du sprichst immer nur von den Kindern, Kerlchen, wie steht es aber mit dem Vater? Der ist doch hier die Hauptsache.«

»Die Hauptsache?« fragte Kerlchen erstaunt. »Doch nicht die Hauptsache? Das ist doch ein starker Mann, der bringt sich schon allein durch, aber ich hab ihn auch riesig gern.«

»Riesig gern! Hm! Mir kam's immer so vor, als hättest du mich lieber.«

»Dich? Aber natürlich, Onkel!« Kerlchen schmiegte ihre Wange an die seine. »Dich kenn' ich doch aber auch hundertmal besser, – das ist doch selbstverständlich.«

»So! – – – Aber nun sieh mal, mein klein Deern, giebt es denn nun nicht auf der Welt noch jemand, den du über alles lieb hast, viel, viel lieber als mich und den Pastor und – und – na, eben über alles?«

»Oh, Onkel Liskow!«

Zwei Arme schlangen sich fest um seinen Hals, bitterlich fing das Kerlchen an zu weinen.

»Mein Papa, mein lieber, herrlicher Papa!« schluchzte es, »oh Onkel Liskow, wie ich mich nach ihm sehne! Und sieh, ich bin garnicht so gut, wie ihr alle denkt, ich möchte garnicht nur der Kinder wegen ins Pfarrhaus, – oh – ich möchte meinen Papa so gern wiedersehen, und ich darf ja nicht hin, so lange er beim Fürsten Li ist, wenn ich auch nicht verstehe, weshalb. Aber gelt, wenn ich jetzt den Pfarrer heiratete, dann müßte Papa doch mal herkommen, oder der Pfarrer würde mit mir hinreisen – – –«

Der Kapitän streichelte sacht das erregte junge Menschenkind.

»Mien Deern, mien ole, söte Deern,« sagte er mit seltsam rauher Stimme. »O, du kleines, erznärrisches Generaldümmchen. Aber aus so einem Grunde heiratet man nun wirklich nicht. Komm, weine nicht so furchtbar, Liebling, du bist doch sonst so'n tapfrer Kerl. – Ich werd' mal mit dem Pastor sprechen, das ist ein vernünftiges Huhn, das sehr gut Skat spielt und viel besser zu meiner Unterhaltung paßt, als zu so einem lütten Kindskopp. Er soll reinen Wein eingeschenkt bekommen und dann soll er der Cousine ein Donnerwetter über den Hals schicken und dir seine Kinder zur unumschränkten Bemutterung. Und den Papa kriegen wir auch ohne Hochzeit her, dem brauch ich nur zu schreiben, daß sein kleiner Kerl sich hier in Heimweh nach ihm verzehrt und ein ganz mageres, hohläugiges Gestellchen wird – –«

»Nein, nein Onkel, ja nicht, oh nur das nicht!«

Kerlchen wischte sich die Tränen ab, und die Worte überstürzten sich nur so – –, »das darf Papa nie wissen, dann würde er alles im Stich lassen und zu mir kommen, das weiß ich schon, aber das darf nicht sein! Oh nun bin auch schon wieder tapfer – – ich hab mir mal alles von der Seele gesprochen – Du bist so 'n verständiger Mensch, Onkel!«

»Na, is doch was! spricht Schnabel,« lachte der Kapitän, »aber sieh dort, Kerlchen, lupus in fabula, dort kommt der Pfarrer über den Weg und schnurstracks auf das Herrenhaus zu. Nun wollen wir die Sache deichseln nach dem schönen Sprichwort: »Schmiede das Eisen, wie dich selbst, und liebe deinen Nächsten, so lange er warm ist.«

Kerlchen glättete erst noch einmal das Kissen, stellte dem Onkel die Karten, die Cigarren und das Licht in greifbare Nähe, rückte das Faulenzerchen noch etwas bequemer und eilte hinaus, von einem zärtlich liebevollen Blick des Onkels begleitet.

Kerlchen lief draußen dem Pfarrer in die Hände, eine leise Röte stieg in ihr Gesicht, als sie sah, mit welch herzlicher Freude er sie begrüßte, so wie jemand, der nach langen, frostigen Stunden im Schatten plötzlich hellen Sonnenschein vor sich sieht.

Kerlchen erkundigte sich sofort angelegentlich nach ihren Lieblingen, und der Pfarrer antwortete mechanisch und sah immer wieder in die blauen Augen, in denen so deutlich die echte, warme Nächstenliebe leuchtete.

Er stand auch noch und sah ihr nach, als Kerlchen längst davon gegangen war, und aus seinem tiefen Sinnen weckte ihn höchst unmelodisch Onkel Liskows Stimme, der ihm zurief: »Nur immer herein, Mann Gottes, andere Leute sind auch noch da.«

*

Brief des Leutnants Erich Schlieden an Kerlchen.

Mein alter Terle-Terle!

Es ist schon mal so und kann garnicht abgeleugnet werden: Dein großer Bruder, der eigentlich Dich beschützen sollte, kommt jetzt immer zu seinem »Terle« und holt sich Rat.

Kerlchen, ich sitze mal wieder in Ängsten und Nöten, aus denen Du mir gewiß helfen wirst. Meine Emmy macht mir unendliche Sorge, so daß ich Tag und Nacht nur ihr blasses, mageres Gesichtchen vor mir sehe und mich gräme, ohne einen Ausweg zu finden. –

Neulich trafen wir uns mal in Naumburg, ganz heimlich, ich in Zivil, sie im ärmlichsten Hauskleidchen, da die Tante, die zu einer auswärtigen Hochzeit gereist war, den Schrankschlüssel mitgenommen hatte. Dabei zitterte Emmy vor Angst, daß jemand kommen und uns sehen könnte, sie ist ja so ein scheues Vögelchen, mein zartes, sanftes Lieb.

Kerlchen, hilf uns! Emmy muß mal heraus aus den unerquicklichen, ja wahrhaft qualvollen Verhältnissen.

Der Rektor ihrer Schule, ein alter, sehr verständiger Mann, hat ihr bereitwilligst vier Wochen Urlaub zugesagt, aber es ist ja so traurig, daß mein Herzlieb auf dem weiten Erdenrund kein Fleckchen hat, wo sie ihr überarbeitetes Köpfchen zum Ausruhen niederlegen kann.

Fritz von Rumohr hat mir schon seine Großmutter, Frau Heinke Tönningsen, vorgeschlagen, aber ich mag mich an sie nicht wenden, weil unser Verlöbnis so geheim ist, weil ich der fremden Dame nicht reinen Wein einschenken kann und darf und weil Frau Tönningsen eine abgesagte Feindin aller unklaren Verhältnisse ist.

Aber wie eine Oase in der Wüste steht plötzlich Buchenwalde vor mir. Möchtest und könntest Du wohl mit Onkel Waldemar reden? Ich kann ja leider nichts tun, – garnichts, was mich oft beinah bis zur Verzweiflung treibt, aber ich möchte nichts unversucht lassen, um meinem Liebling Erholung zu schaffen, wenn ich auch ängstlich vorsichtig sein muß, damit ich Emmys Ruf nicht gefährde.

Kerlchen, mein treues Schwesterchen, Du hast ja Emmy lieb, Du wirst uns helfen.

Es ist merkwürdig, wie die launische Dame Fortuna mir auf der anderen Seite Wohlwollen über Wohlwollen erweist.

Ich weiß nicht, ob es bis nach Buchenwalde gedrungen ist, daß mein Generalstabswerk Aufsehen erregt, ich werde hierhin und dorthin befohlen, mein väterlicher Freund Oberst v. B. hat mich wie einen Sohn umarmt und beglückwünscht, von Papa erhielt ich einen lieben, herzlichen Brief, der mich glücklich und stolz machen könnte, aber er enthält kein Wort von meiner Verlobung, – – auch mein Oberst reagiert auf nichts – es ist, als sollte die Sache um jeden Preis totgeschwiegen werden.

»Die Sache!« – Mein heiliges Verlöbnis mit einem braven, lieben Mädchen! Aber ich bin auch noch da!

Kerlchen – und noch eins! Denk Dir, der Kaiser will mich sehen. Mich, Deinen unbedeutenden Erich-Bruder!

Nun seh ich bis hierher in meine öde Junggesellenbude, die als einzigen Schmuck Generalstabskarten in allen Größen und Farben trägt, – Deine Augen leuchten.

Ja, Kerlchen, auch ich war beinahe trunken vor Freude, als mein Oberst mir es sagte – diese Audienz wird ein strahlender, leuchtender Punkt in meinem Leben bleiben – – wer weiß, was für dunkle Pfade ich noch wandeln muß. –

Und nun gieb mir bald Antwort, lege ein gutes Wort für Deine Freundin ein, für meinen guten Engel.

Fritz von Rumohr sitzt alleweil in Büchern vergraben, er arbeitet für Fachzeitschriften und strebt entschieden auf den Reichskanzler zu, hast Du eine Ahnung, was ihn so treibt, Terle-Terle?

Gieb mir bald frohe Nachricht über mein Bräutchen und laß Dich herzlich küssen von Deinem

dankbaren Bruder Erich.

*

Aus Kerlchens Tagebuch.

Nun sind wir glücklich vier Provinzmädels im Buchenwalder Herrenhause.

Mein lieber Erich-Bruder hätte sich nicht so abzusorgen brauchen, Onkel Waldemar und Tante Hedwig üben die Gastfreundschaft im großen Stil.

»Immer her mit dem Frauenzimmerchen,« rief Onkel, als ich ihm von Emmy sprach. »Ist sie hübsch? Kann man sie vorzeigen? Schöne, junge Mädchen kann man nie genug um sich haben.«

Und nun ist Emmy der Liebling von allen.

Sie ist aber auch immer sanft und gut, läßt sich von den Cousinen bis aufs Blut necken, lacht fröhlich laut oder stillvergnügt mit, nimmt nie etwas übel, ballert nicht die Thüren zu, was bei den Walküren und mir stets eine Ableitung unseres Zornes ist, sie hört stundenlang Tantchens Reichstagsreden zu, ohne auch nur einmal durch qualvolle Gebärden anzuzeigen, daß sie die Wände hochgehen möchte.

Für Onkel ist ihre Sanftmut eine bewundernswerte Eigentümlichkeit, für die er gern jedesmal einen harten Taler Eintrittsgeld bezahlte, wenn Emmy es verlangen würde.

Er ist selbst so sehr jähzornig und kommt oft hart mit seinen Leuten aneinander, die nicht mehr so gut und willfährig sind, wie sie es bei seinem Vater waren; davon erzählt er uns oft und nennt es »den Zug der Zeit«.

Hat er jetzt irgend einen Ärger mit seinen »Instleuten« in Sicht, oder naht die »ole Annameller«, ein furchtbar böses, altes Weib in Buchenwalde, die noch dazu nicht richtig im Kopfe ist, – dann geht Emmy hin, beruhigt, tröstet und weiß immer das rechte Wort.

Gestern kam Klaas Hinrichsen auf den Gutshof, er hatte Brennholz schlagen sollen, war aber so betrunken, daß er auf keinem Bein stehen konnte. Onkel wies ihn vom Hof, und da wurde der Kerl so wütend, daß wir dachten, er schlüge seinen Herrn gleich tot.

Onkel ging ruhig ins Haus, aber nun war es wirklich sehenswert, wie unvernünftig wir Frauenzimmer uns alle benahmen. Alle, mit einer Ausnahme.

Klaas Hinrichsen stand vor unserm Stubenfenster und schimpfte wie toll, in der Hand hielt er einen großen Stein, der wohl in unsere Fenster fliegen sollte.

Tante Hedwig hatte sich in die äußerste Ecke des Zimmers zurückgezogen und weinte und redete, die Walküren schimpften, daß es nur so hallte, ich wunderte mich trotz der Aufregung über den reichen Schimpfwortschatz, über den sie verfügten, ich selbst war so wütend über den undisziplinierten Kerl, daß ich nur an Revolver und Reitpeitsche dachte, letztere hielt ich bereits in der Hand und nach ersterem schielte ich unausgesetzt.

Jetzt schäme ich mich natürlich mordsmäßig und habe so viel gute Sanftmutsvorsätze gefaßt, daß es einen Hund jammern kann.

Emmy war aus dem Zimmer gelaufen, und auf einmal sahen wir sie ruhig, wie »wenn nix wär,« mit der mächtigen Gartenspritze das Rasenrundteil vor dem Herrenhause gießen. Und wie der Klaas Hinrichsen uns immer näher an das niedere Fenster rückte und der Stein in seiner Hand so lebendig wurde, schwapp, bekam er plötzlich einen Strahl über sich, daß er nichts hören und sehen konnte und mit einem Schlage nüchtern wurde. Und nun flog Emmy auf ihn zu: »Oh Klaas, nehmen Sie's ja nicht übel, ich wollte uns wieder eine Eisbahn auf dem Rasen schaffen, und nun hat's Sie getroffen; kommen Sie schnell, Klaas, damit Sie sich umziehen, der Herr hat einen alten Anzug für Sie bereit.«

Klaas lief ganz dumm und frierend und ernüchtert hinter ihr drein, und in diesem Zustand muß ihm plötzlich klar geworden sein, was er für ein Esel war, in solcher Verfassung auf den Hof zu kommen, besonders, da der »Herr« erst gestern die Arznei und den Doktor für seine kranke Frau bezahlt hatte.

Er hat nachher im Normalzustand den Onkel um Verzeihung gebeten, und sie ist ihm gewährt worden, Emmy aber hat er gestreichelt und sie »sinen goden Engel« genannt.

Onkel gab nachher Emmy einen tüchtigen Kuß. »Wo haben Sie denn das gesehen, wie man mit betrunkenen Leuten umgeht, Sie sanftes, kleines, zartes Lilienstengelchen?« fragte er bewundernd.

»Vom Herrn Oberst Schlieden,« entgegnete Emmy errötend, und nun erinnerte ich mich plötzlich auch dieser guten Methode meines lieben Papas und dachte: »Oh Kerlchen, so schlau konntest du auch sein, schäm dich!« Na, und wenn ich mich erst mal schäme, dann tu ichs auch gründlich.

Am Nachmittag erzählten wir Onkel Liskow und dem Pfarrer die Geschichte, und sie lachten so herzlich und guckten Emmy erstaunt an, sie sieht eben garnicht so aus wie »Gartenspritze.«

Von Emmys Verlobung mit Erich hat niemand eine Ahnung, wir bewahren unser Geheimnis gut, denn wir sprechen, auch wenn wir allein sind, garnicht darüber. Emmy bekommt regelmäßig Briefe von Erich und ich weiß, daß sie sie wie ein Heiligtum aufhebt und viel liest und viel darüber weint, sie hat mich auch gebeten, sie zu lesen, aber ich habe nur in einen mal ein paar Blicke geworfen und schnell wieder aufgehört, Erich schreibt so stürmisch, – – so so – so rasend zärtlich – – ich möchte nicht solche Briefe bekommen. – – –

*

Ach, ich bin so glücklich! Pastors Kinder haben Scharlach und Fräulein Schapperlabsche auch.

Nun ist Rösi ganz zu mir übergesiedelt, denn sie ist noch nicht angesteckt, Emmy pflegt bei Pastors, denn sie hat Scharlach schon gehabt, während ich mich vor Ansteckung hüten soll, Munke und Bümi sind nach S. zu Luttewete gereist, und nun ist es still in Buchenwalde, aber so entzückend gemütlich. Die Stunden, die ich mit Klein-Rösi verlebe, sind beinahe noch köstlicher als – als – nun etwa als meine Musikstunden bei Meister Johannsen, so ein kleines Kindchen ist doch etwas gar zu süßes!

Onkel Waldemar und Onkel Liskow lachen immer so über mich und necken mich und singen Lieder, aber ich lach' tüchtig wieder, und Tante Hedwig singt sie zur Tür hinaus:

»Nur eine Mutter weiß allein,
Was lieben heißt und glücklich sein,
oh wie bedaur' ich doch den Mann,
Der Mutterglück nicht fühlen kann.«

Nach diesem herzzerreißenden Gesang verschwinden die beiden »bedauernswerten Geschöpfe« immer schleunigst.

Ich habe Emmy nun schon viele Tage nicht gesehen, sie darf ja nicht zu uns und schreiben darf sie auch nicht, aber Trina von Pastors und Jochen, der Knecht von uns, haben sich auf dem Futterboden ein Rendez-vous gegeben, und auf die Art ist es zu uns gekommen:

»Dat lüttge Frölen Emmy is en Engel un se wirtschaft' so verstänni as en Olsch, un se is sanft un doch enerisch mit de Kinner, un wat Frölen Adlberta is, de giwwt sik all mit de Tid, denn se is gor tau krank un ward so schön plegt, un der Herr Paster hat en ganz anner Gesicht kregen, wil da gorni mehr schimpt ward in sin Hus.«

*

Von Papa und Muusch habe ich wieder liebe, liebe Briefe, recht wehmütig und sehnsüchtig klingen sie, – auch schon deshalb, weil Fürst Elimar so unendlich leidet.

Zeitweilig soll sein Geist ganz schwach sein, ach das ist noch das Traurigste! Unser frischer, fröhlicher Prinz Li! Wenn ich an die Vergangenheit und an Schwarzhausen und alles das so denke, dann möchte ich mich hinwerfen und weinen, weinen, weinen.

*

Das war einmal ein stiller Heiligabend bei uns.

Wäre nicht auf ein Stündchen das Gelaufe und Getrampele von den Dorfkindern gewesen, die im großen Saale ihre Bescherung bekamen, dann hätte man kaum einen Laut vernommen, denn Rösis Jauchzen, als sie den Lichterbaum sah, war doch zu zart, als daß es durch die große Weihnachtsstille hätte dringen können.

Von Luttewete kam ein flehender Brief, daß Onkel und Tante ihr zum heiligen Abend die Schwestern lassen möchten, sie selbst fühle sich nicht wohl genug, um im Winter die Reise nach Buchenwalde zu machen. Natürlich wurde die Erlaubnis sofort erteilt, wenn auch mit schwerem Herzen, denn zum Heiligabend ist man doch am liebsten mit dem ganzen Hümpelchen zusammen. Aber Onkel sah, wie das Heimweh in mir tobte, und ich mußte doch auch die Zähne zusammenbeißen, da wollte er wohl nicht weniger tapfer sein, als das Kerlchen.

Einen ganzen Berg Geschenke fand ich auf meinem Tisch, alle so lieb und gut ausgesucht, und einen ganz einzig lieben Brief von Fritz von Rumohr, der lag in einem Pappschächtelchen, in das eine einzige, leuchtend frische Rose gepackt war, – sie duftete mit dem Tannenbaum um die Wette.

Ich konnte den Brief nicht mehr lesen, denn wir gingen zur Christmette, aber ich nahm ihn mit in die Kirche und hielt ihn fest in der Hand, als ich für alle meine Lieben in der Ferne betete. – – – – – – – – – –

In der Kirche sah ich auch Emmy zum ersten Male wieder. Wir setzten uns einander gegenüber, denn Pastors Kinder sind jetzt im »Schälen«, und da muß ich mich Rösis wegen sehr in Acht nehmen. Emmy nickte mir so lieb und gut zu, ach, ich hätte ihr so gern ein paar treue Worte gesagt, denn sie sah so geisterhaft blaß aus, und als die Orgel anfing zu brausen, sah ich, daß sie weinte.

Wunderschön sprach unser Pfarrer. –

So hab ich noch nie das Evangelium der Liebe predigen hören, selbst die Bauern schauten ganz erstaunt ihren »Herrn Paster« an. Und jeder, der am Pastorenstuhl vorbei ging, gab auch Emmy einen Gruß, die den Sitz inne hatte, auch die Frauen grüßten sie freundlich, wie eine alte Bekannte, denn das Scharlachfieber ist im ganzen Dorf verbreitet, und Emmy soll außer der strammen Arbeit im Pfarrhause viel Gutes im Dorfe getan haben.

 

Wir nickten uns nach dem Gottesdienst nur ganz still und ernst zu, sie wollte ruhig den heiligen Abend im Pastorat bleiben und den Kindern Geschichten erzählen, und so schritt ich allein zwischen den beiden Herren über den verschneiten Weg nach dem Herrenhause.

Der Sternenhimmel war so klar, ich mußte immer hinauf schauen und mir den »großen Bären« betrachten, denn mein Herzensvater hatte mir gesagt, jeden Abend wolle er da hinauf gucken und mich grüßen aus weiter Ferne. –

 

Zu Hause im großen, behaglichen Wohnzimmer, das vom Weihnachtsbaum bis in die kleinsten Ecken beleuchtet war, saßen wir dann alle am Kamin und lasen unsere Briefe, was für eine liebe Stunde war das!

Von Muusch bekam ich so treue Grüße, ach, das gute, kleine Muusch! Sie schreibt eine Menge liebe Sachen vom Fürsten Li, er ist jetzt so recht ihr Schmerzenskind, denn Erich und ich sind ja immer gesund gewesen, und an Erichs Verlobung scheint sie gar nicht mehr zu denken, ich glaub', es wäre ihr unfaßlich, daß jemand unserm Herzensvater in einer Sache widerspricht, wie es doch Erich tut.

Gott weiß, wie alles noch enden mag.

*

Mir schreibt Väterchen:

»O Du mein altes, liebes Kerlchen, zürne Deinen Eltern nicht, daß sie das Fest aller Feste fern von Dir begehen.

Unsere Gedanken sind jede Stunde bei Dir.

Wäre Fürst Elimar körperlich und geistig noch der Alte, so könnte ich mit ihm sprechen, und er würde mir freudig einen kurzen Urlaub gewähren, so aber darf ich kaum von ihm weichen, er hält beinahe immer meine Hand fest und ist heftig und jähzornig, wenn ich mich einmal entferne.

Aber im nächsten Jahre wird und muß sich viel entscheiden. Ich will mich nicht wieder von Dir trennen, geliebtes Kerlchen, ich will Deinen weiteren Lebensweg verfolgen, so lange eine gütige Vorsehung mir dies erlaubt. Wie gern möcht' ich Dich einmal spielen hören! Und nächstes Jahr, mein Kerlchen, wollen wir auch Dein liebes Altstimmchen ausbilden lassen, Meister Johannsen wird uns mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Dann wollen wir köstliche Musikabende haben, nicht wahr, Kerlchen, und immer so weiter leben ganz für uns, bis –bis –nun, bis eines Tages Dein Herzchen auch noch für einen andern schlägt, als für mich, Deinen alten Vatting, der Dich so gern am Herzen eines braven treuen Mannes geborgen sähe, wenn der große Armeebefehl von unserm alten HErrgott kommt.

Deine liebe, kleine, zarte Mama ist so wenig für harte Schicksalsschläge geschaffen, Erich und Du werdet ihr einst sehr viel sein müssen, – alles! Ich verlasse mich da ganz auf meinen tapferen Kerl, und unser Erich wird auch, wills Gott, Raison annehmen. In dem Bengel steckt so unendlich viel, ich bin auf sein Werk geradezu stolz, aber allzu weich darf ich mich ihm gegenüber nicht zeigen, sonst kommt er wieder mit seiner unsinnigen Bitte, und die muß ich ihm zu seinem eigenen Besten verweigern.

Erich ist mit Leib und Seele Soldat, nicht eine Sekunde wird er ohne des Königs Rock glücklich sein, selbst an der Seite der geliebtesten Frau. Und nun behüte Dich Gott, liebes, teures Kind. Seinem Schutze empfehle ich Dich.

Dein treuer Vater Schlieden.«

*

Buchenwalde am ersten Feiertag.

Sie haben mir etwas Schreckliches gesagt, die Menschen da draußen. – Hilf mir Gott! Sie sagen, mein Vater wäre tot. Mein Vater! Nicht wahr, lieber Gott, das kann doch gar nicht wahr sein? Den Vater nimmst du mir doch nicht, gelt lieber Gott – was soll ich denn ohne ihn anfangen, ach – ich bin doch sein Kerlchen, sein einziges, liebes Kerlchen – hör mich – ach hör mich – – – – Vater unser, der du bist im Himmel – – – – –

*

Abends.

Tot! Tot! Ich höre das Wort überall. Ich lese es aus den Mienen aller Menschen, die um mich sind. Mein Vater ist tot. »Ich hatt' einen Kameraden, einen bessern find'st du nit.« Das war sein Lieblingslied. Sein Regiment wird es spielen, wenn man – – – – –

*

Am zweiten Feiertag.

Ich kann nicht zur Kirche gehen, ich kann es nicht. Gott hat mir meinen Vater genommen. Ich kann nicht einmal weinen, und das soll so wohl tun, sagen die Menschen. Sie sind alle gut zu mir, ich merke es an ihren Worten, aber ich fühle nichts dabei. Vorhin war der Pfarrer bei mir und wollte mich mit zur Kirche nehmen, aber ich sah ihn trotzig an. Da stöhnte er auf und sagte: »Oh du armes Kind.«

Ja, ich bin ein armes, armes Kind.

Morgen fahren wir alle nach Schwarzhausen, ich muß ganz still und gefaßt scheinen, denn ich hörte es wohl, wie die Tante vorhin weinend rief: »Ob wir sie nicht lieber hier lassen?« Nein, tausendmal nein, ich bin ja nicht krank und auch nicht aufgeregt, ich will ja ganz still mein Väterchen auf seinem letzten Weg begleiten, ich ging ja immer mit ihm, wenn wir beisammen waren.

Oh du, du! Gelt, diese dummen Menschen? Mich wollen sie zurückhalten, dein Kerlchen! Vater! Ich sehne mich so nach dir! Hol mich zu dir! Ach, ich kann dich nie mehr sehen, kann dir nie mehr das schöne volle Haar streichen, in dem sich der schmale Silberstreifen mitten durch zieht. Morgen bringen sie dich aus dem sonnigen Süden, und in Schwarzhausen auf unserm lieben, tief verschneiten Kirchhof, da senken sie dich ein. Ist dir kalt, mein Väterchen? Dein Kerlchen giebt dir sein Herz mit, sein warmes. Sieh, da kommt dein Regiment, da sind deine braven Jungens und deine Kameraden, die dich alle so verehren. Da kommt die Fahne. Achtung! Präsentiert das Gewehr! Vater, Vater! – – – Ich hatt' einen Kameraden, einen bessern find'st du nit. – – – – – – – –

*

Sylvesterabend.

Nun kommst auch du ans Einpacken, mein liebes Tagebuch. Wenn ich dich wieder herausnehme aus dem Koffer, dann bin ich bei fremden Leuten.

Drunten sitzt mein Mütterchen. Sie ist ganz gebrochen, ganz starr und teilnahmelos seit dem Tage, da Papa, vom Herzschlage getroffen, tot vom Pferde sank. Nun muß ich tapfer sein, mein Väterchen hat es mir ja noch geschrieben, er verläßt sich auf sein Kerlchen.

Die Cousinen sind sofort hierher gekommen und trauern so innig mit mir, sie können es nicht fassen, daß ich fort soll. Und es ist doch eine so bittere Notwendigkeit. Mein armes Mütterchen braucht mich vorläufig gar nicht; Onkel hat für sie drei liebe, trauliche Zimmer im Buchenwalder Schloß bestimmt, da kommen viele von unsern lieben, alten Möbeln hinein – unsere alte Dorette bleibt bei Mama, und den alten Johann übernimmt der gute Onkel Waldemar als Gärtner. So bleibt doch hier so ziemlich alles beim alten.

Nur ich bin gefragt worden: »Was soll aus dir werden?« Onkel hat es nicht getan. Er hat meine Hand genommen und gesagt: »Dein Platz ist hier,« Tante Hedwig, Munke und Bümi haben ihn mit Bitten unterstützt.

Aber fremde Leute hab' ich fragen hören: »Was wird aus ihr,« und Tante Emerenzias harte Stimme hat mir erklärt, was ich jetzt bin: »Ein armes Mädchen höherer Stände.« Das soll schlimmer sein, als ein armes Handwerkerkind, das sich überall bei braven Leuten verdingen kann.

»Und du bist am schlimmsten dran,« sagte Tante Emerenzia mitleidslos, »denn du hast dir den »Hof« für ewige Zeiten verscherzt, Fürst Elimar geht seiner Auflösung entgegen und kann nichts mehr für dich tun, ich aber auch nicht, denn ich habe nur meine Leibrente.«

Tapfer, Kerlchen, tapfer, – ich habe die Zähne zusammen gebissen – nur nicht sich unterkriegen lassen!

Erich ist wieder nach Berlin gefahren, furchtbar blaß und hohläugig sah er aus, als hätte er viele Nächte durchwacht, nicht mal einen Gruß konnte ich seiner Emmy mitnehmen, wir haben beide nicht daran gedacht.

Onkel Liskow hat mir auch einen Platz in seinem Heim angeboten, aber – – nein, ich würde mich nie von meinem Mütterchen trennen, wenn es nicht die Not erheischte.

Ich muß etwas verdienen – ich bin ein ganz – armes Mädchen.

Onkel hat von einer Bürgschaft gesprochen, die mein Vater übernommen hat, – – er war ja immer so gut, mein Herzensväterchen – – und nun verläßt er sich auf sein Kerlchen, er hat es mir geschrieben in seinem letzten Briefe auf dieser Erde.

Hilf mir Gott, daß ich tapfer bleibe.

Auch Fritz von Rumohr sah ich in Schwarzhausen; gerade als sie Väterchen in die Erde senkten, stand er neben mir.

Ich fühlte, wie seine Augen immer auf mir ruhten, so gut, so schützend, aber er konnte nicht sprechen, nur »Kerlchen« raunte er mit tränenerstickter Stimme, und ich sagte müde: »Fritz, lieber Fritz!«

 

Mein Weg steht mir wenigstens klar vorgezeichnet. Bis jetzt durfte ich nur Kerlchen sein, jetzt soll ich Gesellschafterin, »Fräulein« werden. Bis zum Februar bleibe ich hier, dann trete ich meine Stelle bei »Kommerzienrat Käfermann« in H. an. Es war die einzig annehmbare unter den vielen, die angeboten wurden, obgleich Onkel den Brief der Kommerzienrätin zerknüllte und zornig ausrief: »Die Frau ist wohl verrückt mit ihren Bedingungen?« – – –

Nur vorwärts! Tapfer sein!

Als ich vorhin in mein Stübchen kam, fand ich Emmy darin. Ich hatte sie gebeten, mir etwas ordnen zu helfen, denn ich hab so viel jetzt zu tun und zu schreiben.

Emmy hatte den Kopf auf die Arme gelegt, in ihrer Hand hielt sie den Brief, den letzten meines Väterchens, den ich immer wieder durchgelesen und auf dem Tische liegen gelassen hatte. Als ich eintrat, sah ich in zwei tieftraurige Augen, aber in ein entschlossenes Gesicht. »Verzeih, mein Kerlchen, ich hab mich mit deinem guten, lieben, weitsehenden Vater unterhalten und seine Worte haben mich auf den rechten Weg gewiesen. Es tat weh, Kerlchen, furchtbar weh, aber ich weiß jetzt, was ich zu tun habe; Kerlchen, denk' immer gut von mir!«

Ich nahm ihre Hand und schmiegte mich an sie, – so saßen wir im dämmerigen Stübchen, zwei gar verlassene Provinzmädels – – –

Tapfer, Kerlchen! Tapfer!!! – –


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