Felicitas Rose
Heideschulmeister Uwe Karsten
Felicitas Rose

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Hüttchen, im November.

Etwas, wofür ich Mutter Alzlev gar nicht genug danken kann, ist, daß sie mir langsam, kaum merklich und doch fest – den Jähzorn abgewöhnt hat. Ein böses Erbteil unserer Familie.

In meiner Kindheit war er erschreckend an mir aufgetreten, später empfand ich ihn als etwas Unvornehmes, erdrückend häßliches. Und vermochte ihn doch nicht ganz zu bannen.

Mein Uwe meint, – er hätte ihn noch nie an mir gewahrt. Gott sei Dank! Ich würde mich auch zu Tode geschämt haben.

Aber Uwe dankt das Gleichmaß meiner Gefühle nicht mir, sondern seiner Mutter. Mit ihr bin ich ja die vielen, vielen Vormittage zusammen, sie lernt mich kennen, wie kaum sonst jemand, und hat manchen »Anfall« mit erlebt, der irgendeine Kleinigkeit oder auch einen wichtigeren Vorfall betraf, der gewöhnlich mit meinem Uwe zusammenhing. Aber jetzt bin ich schon ganz zahm geworden und nehme mich immer mehr zusammen. Nur bei Kleinigkeiten braust noch sekundenlang mein heißes Blut auf und kann mein Antlitz jäh röten und meine Augen funkeln machen.

So auch heute! Weiß kaum die Ursache und brach hinterher in kindische Tränen aus.

»Mien Döchting!« So ernst und so eindringlich sprach Mutter Alslev. Ein seltsames Zucken, wie Humor und wie tiefe Rührung, flog über ihr altes Gesicht. »Mien Döchting, weetst wat? De lütte Uwe mellt sik, – äwer nu darfst du ok nie mehr unverstännig sien.«

Und doch war sie selbst so unverständig, in Tränen auszubrechen. Dann zog sie mich auf ihren Schoß und gab mir unbeholfen tausend Schmeichelnamen. De lütte Uwe? – Ich errötete heiß und barg mein Gesicht an ihrer Brust. – Lief dann hinaus in die spätherbstliche Heide und achtete nicht des Sturmes.

Denn der Sturm in meinem Innern war stärker.

Ich schlang den Arm um eine der knorrigen Föhren und lehnte mein heißes Gesicht an die kühle Rinde.

O allgewaltige Natur! Wie bist du wunderbar groß und heilig! Was gelobte ich alles unter der stillen Föhre! Ein ganz anderer Mensch wollte ich werden! In mir drängte und jubelte es, und über allem wogte eine jauchzende Sehnsucht nach meinem Uwe.

Still, mit gefalteten Händen stand ich da.

Da kam er aus dem Hüttchen geschritten.

Und ob er noch weit von mir war, ich las es aus seinen Augen, aus seinem federnden Gang, aus dem Recken seiner hochragenden Gestalt: »Die Mutter hatte mit ihm gesprochen!«

Jetzt stand er vor mir und küßte meine Hand, was er sonst nie getan, denn er hatte diese Sitte der großen Welt nicht gekannt und nicht geübt.

Sorgfältig, beinahe scheu und demütig legte er seinen Arm um mich, und so schritten wir langsam nach dem Hüttchen. Aber plötzlich umfaßte er mich stark und gewaltig, ein jauchzender Schrei entrang sich seiner Brust, und so trug er mich, ein seliger Mann, über die Schwelle seines Hauses.

Hüttchen, am Heiligabend.

Zum zweitenmal schon duftet und leuchtet die Tanne, aber diesmal ist's ein ganz besonderes Leuchten.

Weil ich ja selbst aus ganz anderen Augen schaue, ein ganz anderer Mensch bin.

O ihr Lichtchen, ihr gelben, duftenden Wachslichtchen, wie macht ihr unser Stübchen so hell!

Aber zwei Lichtchen werden aufwachen – – die leuchten heller als ihr, die werden wie Gottes Sterne sein. – – –

Das sind die Augen meines Kindes.

Wo bist du, Kindlein? Ich habe Heimweh nach dir.

Mein kluger Uwe kann auch närrisch sein.

Er hat an diesem heiligen Weihnachtsabend die alte Urväterwiege frisch angemalt, – mit herrlichen blauen und roten Rosen, und der schöne Spruch leuchtet und glänzt: »Unse HErrgott schall dat Kind wohren.«

Und während ich geschäftig und rasch die Lichter anzündete und die Gaben ordnete für ihn und Mutter Alslev und für unsere Leute, saß der närrische, kluge Mann und schaukelte sacht die leere Wiege.

Ursula, – dein Glück wird zu groß! – –

Herrgott, wer soll es mir hüten?

Immenhof, Hüttchen, im Mai.

Heute schaukelte mein närrischer Mann ein Paket im Arm, als sei es ein Kind. – Es war sein neuestes Werk, das der Verleger eben gesandt: »Ei, Uwe,« schmollte ich, »nun werde ich immer mehr eine Dichter- und Gelehrtenfrau, und du versprachst mir doch, daß ich nichts als ›de Schoolmeestern‹ sein sollte. Warum wirst du so berühmt?«

»Weil – weil – weil – – – «

Er küßte mich, – wieder und wieder.

»Weil ich dich so liebhabe, Urschel.«

Dies die Logik des berühmten und gelehrten Uwe Karsten.

Zum Schreiben komme ich kaum noch.

Es ist schwer, diese Blätter vor Uwe zu verbergen.

Warum verberge ich sie ihm überhaupt?

Ich weiß es nicht, es ist nur Scheu von mir.

Unser Hüttchen wird immer herrlicher.

Das Morgenstübchen wird zum Kinderstübchen – – ich bin den ganzen Tag beinahe darin, alles liegt geordnet und wartet – – – Gestern saß mein Uwe darin, er ahnte es nicht, daß ich ihn sah, seine Hand strich liebkosend über all die Sächelchen. – – –

Es war der Wunsch von Mutter Alslev, alles so früh wie möglich vorzubereiten für das kleinwinzige Bürgerlein von Immenhof.

Uwe verbessert mich und meint, es würde ja gar kein Bürgerlein, es würde ein »Heidebuer«. So ist's mir auch recht.

Alles ist gut und schön und recht, was mein Herzliebster tut. Ich will ihm in nichts mehr widersprechen, dem Klugen, Gütigen, der mich so zart umsorgt und umhegt wie eine Mutter, der mich behütet und bewacht wie ein treuer Bruder, der mir jeden Wunsch an den Augen absieht, wie eine sorgende Schwester, und der mich liebt – – wie eben mein Liebster. In jedem leisen Gedanken will ich ihn jetzt als meinen Herrn erkennen, – – o ihr verschwiegenen Blätter, warum ist Ursula so sanft? – Weil das kleinwinzige Büblein schon jetzt Ehrerbietung vor Herrn Lehrer Alslev lernen s«Il. Närrische Urschel!

Hüttchen, am 22. August. Mein Uwe, ich habe heute die verzauberte Heiderose gesehen!

Wenn ich es dir sagte, würdest du wieder lächeln, aber das tut mir weh ...

Ein seltsames Schauen war es.

Ich schritt den kurzen Heideweg von unserm Hüttchen nach dem Hünengrab. So wundergut war mir zumut.

Da sah ich die Heiderose kommen, sie schwebte auf mich zu, – ernst und doch lächelnd – ein leuchtendes Lächeln – ich mußte an meine tote Mutter denken, an der man solch ein Lächeln pries. Und die leuchtende Gestalt legte etwas in meine geöffneten Arme – und verschwand.

Uwe, mein Uwe, nun möchte ich doch, daß du, lachtest, denn mir ist seltsam bang. Wenn es ein Traum war, wie kann er so lebendig sein? Wie kann er mein Herz so belasten, das doch dem heiligsten Glück entgegenschlägt? Ei so lache doch, mein Herzensschatz, lach' mir mein Herze leicht.

Ich höre den Schritt von Mutter Alslev im »Kinderstübchen«.

Jeden Tag kommt die Eifrige, Gütige und sieht nach, ob die alte Wiege noch leer ist.

Vielleicht, Mutter Alslev – heut nacht – – –

Guter Gott, mir ist so eigen – – –

Müde bin ich zum Umsinken, und doch fühle ich eine ungeahnte Kraft in mir.

So seltsame Widersprüche!

Aber ich stehe ja auch an einem Markstein und Wendepunkt meines Daseins.

»Lebe rein dies kurze Leben«, soll einst mein Mütterchen zu der kleinen Ursula Diewen gesagt haben, die in der Wiege schlummerte. Und hat mich geküßt und ist dann von mir gegangen zur ewigen Ruhe. Habe ich diesem Worte unverbrüchlich nachgelebt?

Müde bin ich, – aber ich habe noch einen Brief zu schreiben, einen Brief an Lubruder:

»Alles, alles soll dem Uwe gehören, versprich es mir, Lubruder. Nicht dem Kinde allein, nein, seinem herrlichen Vater. All den Reichtum des Hauses Diewen lege in meines geliebten Schulmeisters Hände, es ist wenig, es ist arm gegen den Schatz seiner gewaltigen Liebe und gegen das Glück, das er mir gab.«

Mein Uwe, nun habe ich mein Haus bestellt.

Wie wird mein Blick mit einmal so weit und hell!

Heideschulmeister! Uwe Karsten Alslev! Wie groß und berühmt ist mein stiller Einsiedler geworden!

Hier hast du meine Gabe, du Lieber! Die lächelnde Zauberrose legt etwas Herrliches in meinen Arm, an meine Brust. Ein Kindchen ist es, unser Kindchen, Uwe Karsten!

Wie wirst du deinen Sohn nennen?

Uwe Karsten, oder Ernst, wie mein Väterchen?

Einen Uwe Karsten Alslev kann es nur einmal auf der Welt geben.

Ernst Alslev, habe deinen Vater lieb!

Mein Uwe! Hab' Dank! Hab' Dank!

Hüttchen, am 26. August.

Zürnt mir nicht, ihr weißen Blätter.

Mein Glück wird zu groß, – – ich kann es nur noch singen, – so schwer noch sagen und kaum noch schreiben.

Ihr seht ja auch selbst, ihr Blätter, daß es mit euch zu Ende geht. Nur wenige sind noch unbeschrieben, und was dann?

Da kommt sie wieder, diese seltsame Sehnsucht und mahnt und winkt und ruft. Bin ich zu glücklich gewesen?

Oder habe ich es zu stark immer betont? Darf man es nicht sein auf dieser kalten, wunderlichen Welt?

Ach, für mich ist sie ja nicht kalt, – in Uwes Armen, an Uwes Herzen, in Uwes Hüttchen ist's warm, ist sonniger Sonnenschein.

Jetzt erst werde ich gut, jetzt erst bin ich fromm.

Du lieber Herrgott, ich soll Mutter werden!

Durch deine Güte und Uwes große Liebe soll ich ein Kindchen haben.

O so ein liebes, süßes, kluges Kindchen!

Das weiß ich alles!

Und ich werde durch ein dunkles Tor voller Schmerzen gehen, o wie hart sind diese Schmerzen – – aber dahinter ist alles licht, o so licht!

Denn mein Kindchen wird wachsen und groß werden, groß und herzensgut wie sein Vater, mein herrlicher Uwe!

Und wird ihm alles geben an Liebe, Vertrauen, Ehrfurcht und Treue, was mir noch übrigblieb zu geben.

Du lieber Herrgott, nimm meinen Dank!

Täglich und stündlich will ich ihn stammeln, weil ich so glücklich bin.

Vergib, daß ich dem Herrn der Welt Vorschriften machen wollte, – früher einmal, als ich noch nicht so darüber nachgedacht, wie völlig mein armes Leben in deiner Hand liegt.

Du lieber Herrgott, noch immer schreitet die Sehnsucht neben mir, aber ich frage sie nicht mehr, wohin sie mich führt. Du weißt es, und dir vertraue ich.

Aber du willst ja, daß wir bitten sollen, unablässig bitten – und so bitte ich dich, daß du mir eines gewährest: »Laß mich mein Kind sehen, lege es mir noch ans warme Mutterherz, und dann will ich sagen: ›Herr, dein Wille geschehe!‹«


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