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Unterdessen schritt Holmar mit den Kindern seinem Tagesziele zu. Es war ein großes Luxusbad mit palastartigen Bauten und Villen für Sommergäste aus allen Weltgegenden, deren nicht alle nur wegen der Heilquellen hier Wohnung zu nehmen pflegten. Wurden viele von dem Reiz einer bunten Geselligkeit hergelockt, die ihren Sommerfasching feierte, so ließen sich andere durch die Schönheit der Gegend anziehen, um, nur mit flüchtigem Blick auf das farbenschillernde Treiben, die abliegenderen Wege durch Gebirg und Wald zu wandeln. Im eigentlichen Städtchen aber sind bescheidene Häuser und Straßen, wo man dem Werktag sein Recht einräumt, wo man sich um redlichen Verdienst müht, wo gearbeitet, gelehrt und gelernt wird, wie überall. Durch eine dieser Straßen fragte sich Holmar nach dem Hause des Gymnasiallehrers Gebhart, eines seiner ältesten Studiengenossen. Da wurde ihm aus einem Fenster ein freudiges Willkommen zugerufen, und gleich darauf empfing Gebhart mit seiner Frau und seiner Mutter die Ankommenden. Man hatte sie längst erwartet. Die Frauen waren unterrichtet, daß Holmar seine beiden Mädchen in Knabenkleidern mitbringen werde, und nahmen sich mit halb lachenden, halb bedauernden Gesichtern der kleinen Wandergesellen an, um sie zu erquicken und zu pflegen. Gebhart zeigte die lebhafteste Freude, nicht nur, daß Holmar den wiederholten Einladungen einmal nachgegeben, sondern auch, daß er den kleinen wissenschaftlichen Kongreß gerade nach seinem Wohnort verlegt habe. Es war ihm von Wert, nicht nur für seine Hausgäste, sondern auch für die gelehrten Herren den Wirt in der Stadt machen zu können. Die Erwarteten waren bereits eingetroffen und hatten sich nach Holmar erkundigt. Und da der Abend kam, ließ Holmar seine Kinder getrost unter der Obhut der Frauen, um mit Gebhart die wissenschaftlichen Genossen an einem bestimmten Orte aufzusuchen. Da die Verhandlungen derselben den Gang dieser Geschichte nicht sonderlich berühren, so mögen die Herren ihre Sache unter sich beraten.

Am anderen Morgen schritt Adelheid Pistorius allein durch den Garten ihrer Wohnung, welche sie mit ihrer Freundin teilte. Das gestrige Wiedersehen lag ihr in Gedanken und machte ihr mehr zu schaffen, als ihr eigentlich erwünscht war. – In der zwar einfach, aber gewählt gekleideten Dame, welche langsam durch die Gänge wandelte, war jene Adelheid von der Alpenwanderschaft kaum wieder zu erkennen. Schöner hatte sie freilich nicht werden können, aber dennoch sah sie besser aus. Ihre Züge waren reifer, energischer geworden, das Mürrische, Gleichgültige und Düstere war verschwunden und hatte einem Ausdruck von ruhiger Klarheit Platz gemacht. Ihre klugen Augen blickten scharf und ernsthaft über die krumme Nase, und das braune volle Haar, welches sie endlich nach Frauenart hatte wachsen lassen, umgab die hohe Stirn mit starker Flechte. Die einstige Phantasietracht hatte sie gleich nach dem Tode ihres Vaters abgeworfen. Wenn sie ihm mit der Pietät der Tochter bis zum letzten Augenblicke Gehorsam geleistet, so wollte sie nun nicht mehr den Sonderling spielen, sondern anderen Frauen gleich erscheinen. Wenn einst bei dem jungen Mädchen sich ein gewisser Trotz gegen diese äußeren Vorteile ausgesprochen, so war das mehr eine Art von Notwehr unter der Gewalt eines fremden Willens. Sobald dieser für sie nicht mehr da war, erwachte der weibliche Sinn in ihr und verlangte das nachzuholen, was ihr so lange verwehrt worden war. Jetzt wollte sie sich sogar mit Wahl, mit Geschmack gekleidet sehen. Sie blieb immer noch in bestimmten Grenzen, denn daß sie sich nicht schöner machen konnte, wußte sie; daher man auch ihre eleganteste Tracht eher etwas zu matronenhaft als ihren Jahren angemessen nennen konnte. – Sie fing eigentlich erst von dem Augenblick ihrer Freiheit an sich ihrer Natur gemäß zu entwickeln, und daß sie eine durchaus weibliche Natur war, darüber fühlte sie sich zuweilen selbst überrascht. Freilich richtete sich noch immer, wenn sie auch den unregelmäßigen Gelehrtenkram aus der frühen Jugend über Bord geworfen, ihr hauptsächliches Interesse auf wissenschaftliche Dinge. Geistig lebte sie doch in dem Bereich der Männer, in Büchern, in der literarischen und künstlerischen Welt, wie sehr sie sich immer bestrebte, unter Frauen zu sein und Frauenart zu bewahren. – Herr Pistorius war nicht eigentlich ein Verschwender gewesen, aber bei seiner Art zu reisen und in den Tag hinein zu leben, war die Hälfte seines Vermögens draufgegangen. Blieb für die Tochter somit kein großer Besitz übrig, so war es für ihre Ansprüche immer noch genug, um sich bequem und nach Belieben ihr Leben zu gestalten. Des Reisens war sie gründlich überdrüssig, aber doch schien sie den Boden noch nicht finden zu können, wo es ihr geeignet schien, Fuß zu fassen.

Da lernte sie einmal unterwegs Metella kennen, der sie bei ihrer Reiseerfahrung einige Dienste leisten konnte. Die junge Frau, harmlos wie ein Kind, schloß sich der Selbständigeren vertraulich an, und Adelheid fand so viel Gefallen an diesem Wesen, welches so ganz im Gegensatz zu dem ihrigen stand, daß sie sich bald mit ihr befreundete. Sie glaubte plötzlich eine Pflicht gefunden zu haben. Metella war so unselbständig, so erfahrungslos und, obgleich sie in der Gesellschaft lebte, so ohne Lebens- und Menschenkenntnis, daß Adelheid es sich zur Aufgabe stellte, erziehend auf sie zu wirken und ihren guten Willen auch auf das sehr verwöhnte Söhnchen zu erstrecken. Die Frauen kannten einander noch kaum ein Jahr, und obwohl sie Wohnung und Häuslichkeit für gewöhnlich nicht zusammen teilten, hatten sie sich so miteinander eingelebt, daß Metella in den meisten Fällen ihren Willen dem der Freundin anheimgab. In den meisten – in manchen gingen sie doch weit auseinander. Metella war schön, liebte es, den Männern zu gefallen und etwas übermütig mit ihnen zu spielen. Sie war sehr umringt und umworben, aber in dem einen Punkte selbständig genug, etwas ganz Besonderes für sich zu erwarten, wenn sie sich wieder verheiraten solle. Und sie hoffte es. Sie war ein lachendes Weltkind, aber mit gutem Herzen, und selbst wo sie innerlich berechnender schien, hielt Adelheid ihren Egoismus für verzeihlich. Nun hatte Metella gestern abend das Gespräch noch so oft auf Holmar gebracht, daß die Freundin den Eindruck, den dieser auf die schöne Frau gemacht, nicht verkennen konnte. Und als sie morgens allein durch den Garten schritt, sann und überlegte sie vielerlei. Ob ein solches Paar wohl zu denken sei? Ob Metella geeignet wäre, Holmar glücklich zu machen? Wie Holmar sich zu der schönen Frau stellen werde? Ob sie selbst hier etwas fördern solle, oder ob es besser sei, etwas zu hintertreiben, was kein dauerndes Glück verspreche? Aus ihrem Sinnen wurde sie aufgescheucht durch Lachen, Jauchzen und Händeklatschen. Hastig wendete sie sich, und sah Metella leicht wie ein junges Mädchen in zierlichem weißen Morgenanzuge hinter ihrem Knaben herjagen. Beide liefen auf sie zu, um sie zum Frühstück zu rufen. Metella brach im Vorübergehen eine Teerose, um sie vor die Brust zu stecken.

Sie saßen noch zu drei beim Frühstück unter der Veranda, als Boso ausrief: »Da geht der Herr von gestern!«

»Wer? Wo?« fragten die Damen.

»Der mit den Mädchen in Bubenkleidern! Da, er sieht her! Hier wohnen wir – hier!« Boso war aufgesprungen und schrie aus Leibeskräften über den Vorgarten hinweg.

»Um Gottes willen – Boso! Hast du gar keine Lebensart –?« rief Metella und wollte ungehalten sein. Schon aber lächelte sie, denn Holmar stand grüßend am Gitter und fragte: »Darf ich – ?«

Gleich darauf stieg er die Stufen zur Veranda hinauf. Metella wollte um Entschuldigung bitten für die Unart ihres Knaben, Holmar aber bat, seine eigene so frühe Störung zu verzeihen. »Es war,« sagte er, »nicht meine Absicht, schon jetzt vorzusprechen, doch bekenne ich, daß ich das Terrain etwas rekognoszieren wollte, um später keine Zeit zu verlieren.«

Metella lachte vergnügt über diese Offenherzigkeit. Er sei, fuhr er fort, auf dem Wege zur ersten Sitzung des wissenschaftlichen Kongresses, welcher nach der gestrigen freundschaftlichen Verhandlung den besten Erfolg verspreche. In den Morgenstunden von zwei, höchstens drei Tagen hoffe man mit den Beratungen fertig zu werden. Adelheid griff das Thema auf und ließ sich von dem Unternehmen wie von den gelehrten Herren erzählen. Der jungen Frau war das langweilig. »Da Sie die Nachmittage frei haben,« so redete sie dazwischen, »dürfen Sie demnach Einladungen annehmen – denn Ihrem Besuche geben wir vollgültigen Wert! Es gibt heut' einen Spaziergang in kleinerer Gesellschaft nach dem Försterhause. Wollen Sie sich uns anschließen?«

»Die Kinder geben Sie uns jedenfalls mit!« sagte Adelheid, »wenn Sie sich von Ihren Genossen nicht gut trennen können.« Holmar zeigte sich bereit zu dem einen wie zu dem anderen und verabschiedete sich, da die Stunde der ersten Sitzung gekommen war. Er reichte Adelheid die Hand, und es schien ihm nichts natürlicher, als sie auch der jungen Frau darzubieten. Sie gab sie ihm mit einem Lächeln der Überraschung, und er schüttelte sie ihr ganz ohne Umstände.

»Nein!« rief Metella vergnügt, nachdem er sich entfernt hatte, »nein, so ein Mann ist mir noch nicht vorgekommen! Er bekennt mit der naivsten Offenheit, daß er vor unserer Tür habe das Terrain rekognoszieren wollen, und beim ersten Besuch drückt er mir kameradschaftlich die Hand! Und das geschieht alles mit so guter Manier, ja eigentlich artiger, als wenn ein anderer die höflichsten Redewendungen ableiert. Adelheid –! Ich kann mir vorstellen, daß der in seiner Jugend ein Reisegefährte gewesen sein muß, den man nicht vergißt! Aber Sie waren gar nicht recht freundlich gegen ihn. Was haben Sie?«

»Ich bin in allem Ernst mit ihm unzufrieden!« entgegnete Adelheid. »Die Verkleidung seiner Töchter in Knaben hat mir einen so unangenehmen Eindruck gemacht –«

»Lassen Sie nur!« rief Metella munter. »In kurzer Zeit wollen wir ihn so weit haben, daß er uns noch dankt, wenn wir ihm bei der Entpuppung der Knaben in Mädchen beistehen!«

Die junge Frau machte sich heut' ganz besonders schön, und die Freude, bezaubernd auszusehen, durchleuchtete ihr Gesicht. Holmar kam mit den Kindern, und gemeinsam machte man sich auf den Weg. Und als sie so dahinschritten, die Kleinen voran, dachte Adelheid: Eine hübsche Familie! Die geborene Pistorius als eine Art von Schwiegermutter immer nebenher! Wer weiß?

Der Weg nach der Försterei, kaum eine halbe Stunde weit, führte durch den Wald, wo hier und da eine Gruppe, mit welcher man sich verabredet hatte, die Spazierenden bewillkommnete und sich ihnen anschloß. Es waren Damen und Herren, die letzteren in der Mehrzahl, jüngere und ältere; unter ihnen der Graf Lindberg, ein Witwer in den besten Jahren. Daß Metella der Mittelpunkt der Gesellschaft war, zeigte sich bald, und besonders suchte der Graf ihre Nähe immer wieder zu gewinnen. So kam man vor dem Försterhause an, rastete eine Weile bei einfachen Erfrischungen unter den Bäumen, um dann nach verschiedenen Aussichtspunkten wieder aufzubrechen. Holmar hatte es einzurichten gewußt, mit Adelheid ein wenig zurückzubleiben, und da Metella sehr umworben war und die übrigen sich auch unterhalten fühlten, schien man sich um die Nachzügler nicht zu kümmern. Bald waren alle hinter den Bäumen verschwunden, und langsam wandelten die beiden letzten nebeneinander. – »Adelheid!« begann Holmar nach einer Weile, »ich wußte um Ihren Aufenthalt und habe darum das Ziel meiner Reise hierher verlegt –«

»Da Sie es sagen, so glaube ich es,« entgegnete sie. »Haben Sie Gelegenheit gesucht, mit mir zu reden, so gebe ich sie Ihnen. Also ohne Umschweife, was wollen Sie mir sagen?«

»Dasselbe, was ich bei unserem letzten Begegnen zu Ihnen gesprochen! Sie wiesen mich ab, betraten mein Haus nicht mehr, und gingen davon; ich sollte nicht erfahren, wohin. Ein Jahr ist darüber vergangen. Ich habe alles ernstlich erwogen – meine Wünsche sind noch dieselben!«

»Holmar!« erwiderte Adelheid, deren Stimme eine unverkennbare Aufregung verriet; »wenn ich eitel wäre, dürfte ich sagen, das ist unerhörtes Glück für – mein Gesicht und meine Jahre! Ich weiß aber, daß dabei von Glück nichts für uns beide erwachsen kann. Geben Sie doch diese Torheit auf! Sie werden sich doch nicht weismachen, daß Sie das für mich fühlen, was die Männer Liebe nennen?«

»Ja!« sagte Holmar laut.

»Nein!« rief sie noch lauter. »Nein, sage ich, nein! Unterstehen Sie sich zu lügen.« – Holmar, dessen Züge sich verfinsterten, wollte reden, sie aber schnitt ihm das Wort ab: »Sagen Sie gar nichts! Ich werde Ihnen besser sagen, wie es um Sie steht! Sie halten mich für eine leidlich verständige Person; das freut mich, denn auch ich bin überzeugt, daß mein Verstand mich, Gott sei Dank, ganz gut durch das Leben bringt! Sie können mit mir über allerlei, sogar über Ihre gelehrten Dinge reden – das macht Ihnen Freude. Mir auch! Aber, Holmar, darum heiratet man eine solche Person noch nicht! – Sie wissen, daß ich Ihre Kinder lieb habe, darum meinen Sie, daß ich eine gute Mutter für die Kinder abgeben würde. Holmar, auch darum dürften Sie eine solche Person noch nicht heiraten! Aber Sie fühlen Freundschaft für mich – schön! vortrefflich! Auch ich nenne Sie mit voller Überzeugung meinen Freund, und ich bin aufrichtig froh, daß ich es kann; aber es liegt meinen Wünschen ganz fern, mich darum für das Leben an Sie zu binden. Gesetzt aber, es genügte zu meinem Lebensglücke – zu dem Ihrigen genügt es nicht! Sie sind dazu noch zu jung, und überdies – ich kenne Sie!«

Holmar sah die Sprecherin scharf und fragend an: »Nun? Was verbirgt sich hinter dieser Wendung?«

Sie stutzte über seinen Ausdruck und den Ton seiner Stimme. »Von der besten Seite kenne ich Sie, lieber Freund!« entgegnete sie einlenkend. »Ich glaube nun zu wissen, was für eine Frau Sie brauchen. Jedenfalls keine, wie ich bin, am wenigsten mich selbst. Sie brauchen Jugend, Lebensfrische, etwas Schönheit darf auch dabei sein, sonst schrumpfen Sie zusammen und büßen alle Elastizität des Gemüts ein. Daß Sie die Tollheit ausbrüten konnten, mich heiraten zu wollen beweist schon, wie weit es mit Ihnen gekommen ist!«

Schweigend gingen sie eine Weile nebeneinander her; der Mann mit finsterem, fast grimmigem Gesicht, Adelheid mit wohl beherrschten Mienen, wie in dem Gefühl einer ernst gemessenen Pflicht. Endlich begann Holmar: »Sie reden wie jemand, der der Sache innerlich ganz fern steht und sie nur mit dem Verstande betrachtet. Aber auch da überzeugen Sie mich nicht –«

»Das ist glaublich!« fiel Adelheid schnell ein. »Wenn man seit Jahr und Tag einen Plan hat in sich einwachsen lassen, so ist der nicht schon durch eine Stunde vernünftiger Gegenrede zu vertreiben. Vielleicht macht Ihnen die Geschichte noch ein Paar Tage lang zu schaffen. Dann aber muß es genug sein; denn ich habe nun zum letzten Male darüber gesprochen, und Sie wissen nun, daß ich – meine Freiheit um keinen Preis aufgebe.«

»Ah so! Also darum!« rief Holmar in einem Tone, der mehr bitter grollend als nur betrübt klang; »das ist freilich etwas anderes!«

»Nein!« entgegnete Adelheid schnell. »Es ist nichts anderes, sondern logische Folgerichtigkeit. Denn meine Freiheit ist in unserem Falle auch die Ihrige. Willigte ich in Ihre Wünsche ein, so wäre für Sie keine Möglichkeit, mit guter Art wieder loszukommen. Gesetzt auch, ich wollte festhalten – für Sie würde naturgemäß der Zeitpunkt eintreten, wo Sie sich nach Ihrer Freiheit oder sonst einer besseren Lage sehnten. Sie würden durch mich unglücklich sein, und Ihr Unglück wäre auch das meine. Darum kann ich sagen und wiederholen, daß ich meine Freiheit nicht aufzugeben denke. Schon um auch für Sie das bleiben zu können, was Sie bisher in mir gefunden zu haben glauben. Wäre mir in meiner Jugend ein annehmbarer Freier begegnet, ich hätte mit der Zeit vielleicht eine gute Hausfrau werden können. Inzwischen bin ich durch meine andauernde Erziehung aus der Art geschlagen, in allem bin ich krumm und verdreht geworden wie ein Pfropfenzieher, aber nicht so regelmäßig wie der. Für die Ehe tauge ich nicht mehr. Sie aber, Freund Holmar, sollen wieder heiraten. Wer weiß, ob ich Ihnen nicht eine Frau aussuchen könnte, die alles hat, was Sie brauchen!«

Holmar fuhr heftig auf: »Unterstehen Sie sich!« rief er. »Ich brauche Ihre eigenen Worte.« Es empörte seinen Stolz, in dem Augenblicke einer Enttäuschung zugleich eine Bevormundung über sich ergehen zu lassen.

Seine Begleiterin stutzte über diesen erregten Ton und schwieg. Es vergingen einige Minuten, ohne daß beide im Weiterschreiten ein Wort wechselten. Aus der Entfernung erschollen fröhliche Stimmen, helles Lachen, und dazwischen zeterten die Amseln mit zankendem Gekreisch, als ob sie sich diese Eingriffe fremder Töne in ihr Waldeigentum verbäten. Adelheid blieb stehen. »Holmar!« begann sie, »mit einem Mißklang wollen wir den Tag nicht abschließen! Sie werden bald einsehen, daß ich recht habe. Geben Sie mir die Hand! Wir wollen uns vertragen, als wäre unser Gespräch gar nicht geführt worden. Die Hand darauf, Holmar!«

»Nein! nimmermehr!« rief er schroff, die dargereichte Hand zurückweisend. »Mit einer so jämmerlichen Freundschaftsposse schließe ich nicht ab! Und jetzt hören Sie mich! So weit sind wir miteinander vertraut, daß ich offen sprechen darf. Sie wollen gegen mich den festen Charakter spielen, sind aber doch nicht geschickt genug, um sich unter dieser Maske zu verbergen. Es wäre denn, daß Sie sich über sich selbst täuschten. Das glaube ich nicht. Täuschen Sie sich aber nicht über Ihr eigenes Empfinden, so wollen Sie mich täuschen und belügen! Das ist auch wieder so unter dem großen Bewußtsein der Pflicht für andere ein Opfer, eine Selbstvernichtung, wobei Sie doch nicht klar genug denken! Denn daß durch Ihre Selbstvernichtung auch anderes mit erschüttert, zugrunde gerichtet werden kann, das übersehen Sie. Auch ein starrer Kultus der Pflichtmäßigkeit ist Eitelkeit! Sie schmeicheln sich, etwas Besonderes getan zu haben, und trotz dieser Genugtuung haben Sie dauernd gegen Ihr eigenes aufrührerisches Empfinden anzukämpfen. Eine schöne Belohnung für die Eitelkeit – ich wiederhole und betone es – für die Eitelkeit, die große Seele, den starken weiblichen Charakter zu spielen! Wozu diese ganze Posse? Adelheid – von dem Tage an, da wir uns zum ersten Male gesehen, war ich in Ihrem Herzen – leugnen Sie es mir ins Gesicht, aber leugnen Sie es nicht vor Ihrer eigenen Seele! Sie liebten mich – ohne daß ich es ahnte! Ich war zu jung, um es zu erkennen. Es kam mir erst zum Bewußtsein, als ich selbst von tiefen Schmerzen und Kämpfen erfahren hatte. Da erwachte ich, da erst zog die tiefste Neigung für Sie in mein Gemüt, und wie Sie sich immer selbst vor mir verbargen, ich erkannte doch, daß mich noch niemand aus Ihrem Herzen verdrängt hatte. Und heut' – und hier – spreche ich noch dieselbe Überzeugung aus! Sie könnten mir für das Leben gehören – Sie möchten es sogar – aber nein! Das trotzig hochgespannte Bewußtsein, im Verzichten etwas zu leisten, betört Sie zur Gegenwehr! Wenn Sie sagen, es sei alles an Ihnen krumm und verdreht, so berichtige ich Sie dahin, daß alles bei Ihnen sonst in Richtigkeit steht, daß aber diese eine Regung – sei es Stolz, Eitelkeit, Selbstverhöhnung oder was sonst für ein Dämon, oder sei es auch etwas von Hause aus Edles und Gutes – daß diese eine Regung Ihre Natur verdrehen und verkümmern, Ihr Glück unterwühlen wird. Haben Sie, wenn ein Glück sich bietet, nicht mehr die Fähigkeit zu sagen: Ja, ich will glücklich sein. Dann gehen Sie mir mit der Seelenstärke und Charaktergröße des Ablehnens! Es ist grüblerische Selbstbespiegelung, es ist krankhafte Überspannung, es ist Schwäche, vor der ich gar keinen Respekt habe. Doch was rede ich! – Es sei genug!«

Adelheid erschrak, sie fühlte sich im Innersten ergriffen. Er hatte sie durchschaut bis in das Geheimste der Seele. Was sie selbst sich nicht klar gemacht oder zugestanden hatte, er sprach es aus als Tatsache, und sie schauderte und hatte kein Wort der Entgegnung. Immer schneller war sie dahingeschritten, zitternd vor Erregung, während er mit ernstem und bestimmtem Tone in ihr Gemüt und Gewissen redete – jetzt war es ihr wie eine Erlösung, daß Titus ihnen hastig entgegengelaufen kam und sie mit Holmar nicht mehr allein zu sein brauchte.

Titus flog so atemlos heran, kaum der Worte mächtig, daß Holmar, noch unter dem Bann innerer Bitterkeit, heftig auf das Kind losfuhr, indem er es wegen des schnellen Laufens schalt, das ihm schädlich sei. Als er aber den Schreck und die Tränen in seines Titus Augen sah, bereute er seine Heftigkeit und suchte einzulenken. Er nahm sein Töchterchen bei der Hand, streichelte seine Wangen und fragte in sanfterem Tone nach dem Grunde seiner Hastigkeit. Es kam denn heraus, daß Puck und Boso auf einem Baume säßen und nicht wieder herunter könnten. – Von Titus geführt, gelangte man zu einer etwas verkrüppelten jungen Eiche, deren Geäst kaum in Manneshöhe sich auszubreiten begann. Hier saß auf dem untersten Zweige Boso in recht hilfsbedürftiger Stellung, das zarte Gefieder stark verschoben und mit Spuren des Kletterns bedeckt, wahrend einen Ast höher Puck in ganz bequemer Stellung kauerte. »Ich war eher oben als Boso,« rief Puck, »und ich wäre auch schon wieder unten, wenn er nicht dazwischen säße, so daß ich nicht über ihn hinweg kann!« Holmar, zu Verhandlungen nicht aufgelegt, hob den Knaben herunter und öffnete die Arme, um dem zweiten Opfer der Abenteuersucht zu helfen. Dieses aber wollte sich dergleichen nicht gefallen lassen und erklärte mit der Entschiedenheit, wie sie einer Ehrensache geziemt, die Rückfahrt allein antreten zu können, und Holmar mußte lächeln trotz seiner ernsten Stimmung, als er seinen Puck regelrecht und gewandt herabklettern und auf dem Boden anlangen sah.

Ein Teil der Gesellschaft hatte sich zu der Gruppe gesammelt und stand beobachtend, lachend, händeklatschend dabei, während andere, unterrichtet, daß ein Mädchen in den Knabenkleidern steckte, mißbilligender dreinsahen. Diese Art väterlicher Erziehung sei denn doch höchst bedenklich, flüsterte man einander zu, und die Kinder müßten bald wieder unter die Obhut einer Mutter. – Die Gesellschaft vervollständigte sich mittlerweile, und auch Metella kam mit dem Grafen Lindberg und einigen anderen heran. »Wo ist denn Professor Holmar geblieben?« fragte sie, sich umschauend. Auch die Augen Adelheids suchten vergeblich nach ihm. Er hatte mit seinen Kindern einen Seitenpfad durch den Wald eingeschlagen und war mit ihnen bereits auf dem Heimwege begriffen.

Neben Adelheid, welche nach dem sie im Innersten aufregenden Gespräche ihre ganze Fassung zusammenzunehmen hatte, ging jetzt Graf Lindberg. Er war ein alter Bekannter von ihr aus Italien her, wo beide unter fast übereinstimmenden Schicksalen zusammengetroffen waren. Der Graf mußte mit seiner unheilbar kranken Gemahlin in Mailand liegen bleiben, und zwar in demselben Hause, in welchem Adelheid mit ihrem Vater zum letztenmal Wohnung genommen hatte. Herr Pistorius starb, und der Graf schenkte dem allein stehenden jungen Mädchen Teilnahme, suchte ihr sogar einige Dienste zu leisten. Dafür war Adelheid mit ihrer Hilfe bei der kranken Gräfin sogleich bereit und blieb noch ein paar Wochen bis zum Tode derselben in ihrer Nähe. Seitdem hatten die einzelnen Leidensgenossen nichts voneinander gehört; jetzt aber, bei einem Wiedersehen nach vielen Jahren, brachte die Erinnerung ihnen ein freundschaftliches Einverständnis. Durch Adelheid hatte der Graf die schöne Frau erst kennen gelernt, der er jetzt seine Huldigung darbrachte, eine Huldigung, welche augenscheinlich eine ernste war. Und da er bereits gemerkt hatte, daß Metella mit ihren Entschlüssen sich von der Freundin sehr abhängig gemacht hatte, so trug er dieser jetzt den Plan zu einem neuen, umfassenderen Ausfluge vor, der schon seit mehreren Tagen besprochen worden war, mit der Bitte, daß auch sie sich daran beteiligen möge.

Es handelte sich um eine Partie zu Pferde nach einem entfernteren Ziele. Wenn Adelheid und Metella zusagten, dann gab es eine Kavalkade von acht Damen und acht Herren, eine Doppelquadrille, von der man sich großes Vergnügen versprach. Als Kavalier für Adelheid hatte sich der alte Fürst N., mit einem russischen Namen, bereits erboten. Die Berittenen sollten ihren Weg durch den Wald nehmen, während andere am Feste Beteiligte zu Wagen vorausfahren wollten, um den Zug am Ziele mit Musik zu begrüßen. Ein Picknick und Waldfest, unterstützt durch eine landwirtschaftliche Niederlassung, genannt »Adlers Horst«, stellte die angenehmsten Stunden in Aussicht. – Adelheid war von Jugend auf mit ihrem Vater in Griechenland, in Italien, in Ägypten, und zwar in ihren einstigen Eulengewändern, so viel zu Pferde gewesen, sie hatte sich später bei ihren Gastfreunden in England regel- und kunstgerecht im Reiten einschulen lassen, so daß sie einen solchen gesellschaftlichen Ausflug mit unternehmen durfte. Sie ging, während der Graf diesen Plan und seine Bitte vortrug, in ganz andere Gedanken versenkt und kaum halb zuhörend dahin, und um das Gespräch nur nicht zu verlängern, sagte sie zu allem ja und versprach ihre Beteiligung. Als Adelheid abends in ihr Zimmer zurückkehrte und sich allein wußte, warf sie sich erschöpft in einen Sessel, um von sich abzutun, was sie an Gesprächen und leerem Redekram hatte müssen an ihr Ohr klingen lassen, und sich ganz dem Eindruck hinzugeben, den Holmars letzte Worte ihr hinterlassen. Jede Wendung, fast jeder Satz hatte ihr Inneres getroffen, als etwas Unerwartetes, Erschreckendes und nur zu richtig Beobachtetes. Ihre Liebe war von ihm erkannt worden – und in ihrem Schweigen mußte er ein Zugeständnis erblicken! Die mühsam erkämpfte Energie, ihres Rückhaltens, ihres Selbstaufgebens wollte er einer Schwäche gleich erklären: sie sollte die Rücksichtslosigkeit haben, gegen ihre künstlich erzwungene zweite Natur, glücklich sein zu wollen – hieß das nicht das Recht einer Leidenschaft in ihr anrufen, die noch nie in ihr erloschen war? Nein, niemals! Als vor Jahren der erste Sturm, den seine Verbindung mit Dora über sie gebracht, nachgelassen hatte, faßte sie den Entschluß, mit sich in Ordnung zu kommen. Es sollte zu Ende sein und sie gewann viel über sich. Sie glaubte sich fest gesichert gegen sich selbst, als sie ihm dann bei der Krankheit seiner Kinder ihre Hilfe bot. Sie täuschte sich in ihrem Herzen, aber auf ihre Fassung durfte sie bauen. Als er ihr seine Hand antrug, durchströmte sie das Gefühl höchsten Glückes, und dennoch wies sie ihn ab und entfloh ihm. Sie fürchtete ihre Unvollkommenheit ihm gegenüber, sie fürchtete das Schönere, das ihm einst neben ihr in die Augen fallen konnte, sie fürchtete eine Enttäuschung für ihn und für sich. Viel von dem, was sie dem Freunde heut' entgegnet hatte, war ihre Überzeugung – nicht des Herzens, aber des Verstandes. Und nur der Verstand sollte bei ihrem Denken und Handeln den Ausschlag geben. Aber in was alles hatte sie sich mit diesen verständigen Reden heut' hineingeredet! Er nannte es wegwerfend eine Posse – und Adelheid wußte in diesem Augenblick, daß es eine Posse war! Eine Rolle, die sie sich selbst so lange vorgespielt hatte, bis sie glaubte, daß es ihre wahre Natur sei. Und nun hatte sie ihn zurückgewiesen, zum zweitenmal, mit sehr bestimmten Worten; und sie wußte jetzt, daß er eine wahrhafte Neigung zu ihr empfinde, und sie fühlte, daß es in ihr aufquoll, als ob eine mühsam unterdrückte Leidenschaft sich jetzt erst mit Gewalt Bahn brechen wollte. Jetzt, da vielleicht alles für sie verloren war! Sie schlug die Hände vor das Gesicht, als gelte es, Tränen, die sie herannahen fühlte, zurückzudrängen. Vorwürfe gegen sich selbst, Trostlosigkeit und doch ein unnennbares Glück, von ihm geliebt zu sein – wenn auch mit Groll und Tadel, wenn auch vielleicht, um nur von ihm aufgegeben zu werden – es war ein sonderbares Gemisch von erhebenden und niederdrückenden Empfindungen, die durch ihre Seele gingen. Eine Stunde hatte sie im Dunkeln gesessen, da hörte sie an die Tür pochen. Metella schickte ihre Dienerin, mit der Bitte, das Fräulein möge ihr zu Hilfe kommen, da Boso gar zu unartig sei und nicht zu Bette gehen wolle. Adelheid erhob sich, richtete sich straff in die Höhe, ihre Hände ballten sich fast unter dem entschiedenen Vorsatze, daß sie nun wieder Fräulein Pistorius sein wolle. Sie ging hinüber und fand die ratlose junge Mutter fast weinend gegenüber der Ungezogenheit ihres Lieblings. Adelheid ließ sich kurz berichten, um was es sich handelte, und ergriff dann den Knaben, um ihm ein paar tüchtige Ohrfeigen zu versetzen. Schnell nahm sie darauf den Arm der erschreckten Mutter, welche über eine so bestimmte und rauhe Handlungsweise fast ebenso aus der Fassung geraten wollte wie ihr Sohn. Während Boso aus Leibeskräften hinter den Frauen herbrüllte, führte Adelheid Metella in das Nebenzimmer. Die Exekution hatte ihr wohl getan, zumal sie sich sagen durfte, recht gehandelt zu haben. Nicht so Metella. Diese wollte zurück, um ihren Knaben zu beruhigen. Die Freundin aber hielt sie neben sich fest. »Lassen Sie ihn sich ausschreien!« sagte sie, »nachher wird er gefügiger werden.« Metella wendete ein, der Knabe sei noch nie geschlagen worden, und sie halte es überhaupt für schädlich, ihn so in seiner Ehre zu verletzen. »Er läßt schon nach,« entgegnete Adelheid, »und bald wird er aufhören zu schreien. Und ich versichere Sie, morgen wird er sogar gegen mich artiger sein als sonst. Wenn Sie selbst in Ihrer Kindheit niemals einen Klaps bekommen haben – gut, es wird nicht nötig gewesen sein. Was mich betrifft, so kann ich auf eine ganze Reihe scharfer Ohrfeigen – nötig oder nicht – von der Hand meines Vaters zurückblicken. Die letzte erhielt ich als Mädchen von sechzehn Jahren. Ich machte es freilich auch arg genug, denn ich suchte auf dem Posilip das Grab des Cicero. Nach diesem Denkzettel weiß ich bestimmt, daß auf dem Posilip nicht Cicero, sondern Virgil begraben ist. Ich versichere Sie, bei der männlichen Erziehung wird eine Menge Kenntnisse philologisch-historischer Art in dieser Manier dauerhaft gemacht!«

Metella lachte, zumal Boso sich wirklich beruhigt hatte und, wie die Dienerin meldete, zu Bette gegangen war. Und da Adelheid zum Schluß das gelehrte Gebiet berührt hatte, kam durch eine nicht zu kühne Gedankenverbindung Metella schnell auf Holmar zu sprechen. »Er scheint denn doch ein wunderlicher Mann!« sagte sie. »Heute morgen noch die naivste und angelegentlichste Zuvorkommenheit, und nachmittag auf unserem Waldspaziergange entfernt er sich von uns, geht uns endlich ganz davon!« Adelheid wollte aufrichtig sein und wenigstens bekennen, daß sie sich länger mit ihm unterhalten habe, aber Metella schnitt ihr die Rede ab, indem sie fortfuhr: »Man sollte ihn zu überreden suchen, sich an der Reitpartie zu beteiligen! Er würde zu Pferde gewiß eine gute Figur machen. Überdies – einige von den Herren sind nicht sehr unterhaltend.«

»Aber doch Graf Lindberg?« entgegnete Adelheid lächelnd.

»Nun ja doch!« meinte Metella. »Unterhaltend ist er wohl; ein gebildeter Mann, und auch recht artig. Aber dennoch – er ist nicht eigentlich apart. Man redet zusammen immer dasselbe; was man dort und da in der Welt gesehen hat, wie die Saison im Winter in B. gewesen, welche Gegend man in diesem Sommer bereist hat und welche man für den nächsten wählen möchte.«

»Ja, was meinen Sie denn, daß Professor Holmar Schönes mit Ihnen reden würde?« fragte Adelheid. »Der steckt immer in Büchern bis über die Ohren. Würde es Sie sehr unterhalten, wenn er Ihnen von Kelten, Pelasgern oder Petschenegen erzählte?« »Ich weiß nicht, was das für Leute sind – aber es müßte ganz interessant sein, sich darüber von ihm unterrichten zu lassen. Sie scheinen keine gar zu günstige Meinung mehr von Ihrem Jugendfreunde zu haben. Ich denke besser von ihm und wage es darauf, ihn zu unserer Partie aufzufordern.«

»Dann wäre er aber in der schönen Quadrille überzählig,« warf Adelheid ein. Metella sah sie überrascht an, sie mußte zugeben, daß der Zuwachs nicht in den Plan der übrigen paßte. »Wer weiß auch, ob er reiten kann?« fuhr Adelheid fort, indem sie sich erhob. »Gelehrte wie er haben meist nicht Gelegenheit gehabt, sich zu Pferde zu üben. Und ich wünschte des Rosselenkens auch unkundig zu sein, dann wäre ich nicht in die Gefahr gekommen, zu dieser Partie aufgefordert zu werden. Eine Eule gehört nicht in den Sattel.« Sie verabschiedete sich zur guten Nacht, und ließ die Freundin etwas verstimmt zurück. Denn Metella, in einem einzigen Kreise aufgewachsen, ohne Kenntnis anderer Lebensgebiete und eigentlich ohne besondere Erfahrung, konnte sich nicht vorstellen, daß ein Mann wie Holmar nicht auch ein gewandter Reiter sein sollte. Andererseits verdroß es sie, daß Adelheid, die den Mann doch genauer kannte, im Gespräch über ihn so wenig ausgiebig blieb und nicht mehr die beste Gesinnung von ihm zu haben schien. Endlich aber hoffte sie doch etwas ausfindig zu machen im Laufe der drei Tage, die man noch Zeit hatte, ihn, wenn nicht unter den Berittenen, doch in der größeren Gesellschaft auf dem Festplane zu sehen.

Adelheid aber bereute sorgenvoll, ihre Beteiligung zugesagt zu haben. Je mehr sie es überlegte, desto mehr bestärkte sich ihr Entschluß, die Zusage zurückzunehmen. Vorauszusehen war freilich, daß Metella eine Scheu tragen werde, allein das Fest mitzumachen, und daß der ganze Plan durch die Absage zweier Damen eine Änderung erfahren müßte. Aber ihr war die Gesellschaft so gleichgültig, daß sie Vorwürfe und üble Meinung kühlen Mutes würde ertragen haben. Nun aber erschien am anderen Morgen Graf Lindberg voll freudigen Dankes und war überrascht, ja bekümmert, daß sie sich anders besonnen; es gab eine lange Unterhaltung, ein inständiges Anliegen, und endlich ließ es Adelheid, ärgerlich über sich selbst und über die Leute, bei ihrer Zusage bleiben.


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