Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Maigraf.

Erstes Capitel.

Die alte Stadt Hildesheim sah an einem regnerischen April-Abende des Jahres 1523 recht finster und ungemüthlich aus. Der Monat April hat nun einmal die Gewohnheit, übler Laune zu sein, ja, man rechnet es dem unbeständigen Gesellen hoch an, wenn er der lieben Sonne gestattet, einmal ein paar Tage die Gegend zu besichtigen und ihre Pläne für den Sommer zu machen. Heute Abend aber geberdete er sich in einer Weise, daß Allen, die sich seinem Windeswehen auszusetzen wagten, Hören und Sehen verging. Er jagte seine Diener, die Regenwolken und Stürme, über die Giebel der Stadt hin, daß die Wetterfahnen ihrer Pflicht, nach Einer Seite zu weisen, nicht mehr nachkommen konnten, und mit kreischender Stimme fortwährend um Entschuldigung für ihr unwillkürliches Tanzen baten. Aus den Dachrinnen strömte das Wasser auf die Straßen, welche fast ganz menschenleer waren, oder ab und zu eine Gestalt zeigten, welche in ihrem hastigen Laufe plötzlich umkehrte, um ihrer davongeflogenen Mütze nachzurennen. Die hier und da erleuchteten Fenster der Giebelhäuser bewiesen, daß es noch nicht spät sei, und wer hinter ihnen seiner Arbeit pflog, oder am Feierabend im Kreise der Seinigen saß, pries den Segen des schützenden Hauses, und streckte sich behaglicher aus, wenn der Wind plötzlich lauter und wilder um die Scheiben heulte.

Während so in den meisten Bürgerhäusern das Lämpchen friedlich dämmerte, hatten in Einem Hause der Stadt hundert Lampen zu thun, eine Menge festlicher Räume zu erleuchten, und ein glänzendes Spiel von Farben, lachenden Gesichtern, tanzenden Reihen und schwatzenden Gruppen zu ihrem Rechte kommen zu lassen.

Das war auf dem Rathhause. Dort auf der Galerie des großen Saales, der im Schmucke von Fahnen, Waffen und Mooskränzen prangte, spielten die Stadtpfeifer im Sonntagsstaate zum Tanz auf. Es war kein gewöhnlicher Tanz, sondern ein ganz besonderes Fest. Darum bliesen die Trompeter ihre Backen zu einer ungeahnten Fülle auf, darum hantierten die Fiedler mit den Bogen so eifrig, daß ihre Ellbogen zuweilen einen Angriff auf die nachbarlichen Rippen des Paukenschlägers machten, welcher seinerseits das Kalbsfell seines Instrumentes mit einer Leidenschaft behandelte, die über Amtspflicht ging. Nur in Momenten, wo der Uebergriff des Fiedlers zu feindselig wurde, benutzte er den Rücken des Letzteren für einen vergeltenden Paukentriller.

Die Bewohner von Hildesheim hatten Grund, in diesen Tagen heiter und guter Dinge zu sein, denn Jahre voller Mißgeschick und Kriegesplage waren vorübergegangen, und ein Friedensschluß verbürgte jetzt die Ruhe und den Wohlstand der kommenden Tage. Der Bischof von Hildesheim hatte, in der besten Absicht, die Stadt an den Rand des Verderbens gebracht. Er suchte durch Sparsamkeit die große Schuldenmasse, welche auf seinem Stifte lastete, zu heben, und durch Verträge und Verhandlungen manche schwere Verbindlichkeiten gegen Fürsten und Herren von sich zu wälzen. Eine dieser Verhandlungen, mit den Herren von Saldern, führte zu ernsteren Mißhelligkeiten und, da die Herren endlich mit den Waffen sich ihr Recht verschaffen wollten, zum Kriege. Beide Theile verbanden sich mit kriegerischen Fürsten; bald standen einander die Herzoge von Braunschweig und Lauenburg gegenüber. Schlachten wurden geschlagen, wobei die arme Stadt, da des Bischofs Waffen im Nachtheile blieben, unendlich zu leiden hatte. Noch schlimmer wurde es, als der Kirchenfürst, obgleich vom Kaiser bereits in die Reichsacht gethan, auf die Entscheidung der Waffen bestand, und neue Hülfsvölker warb, und nun der König Christian von Dänemark, als Vollstrecker der Reichsacht, das Gebiet des Stifts und die Stadt selbst eroberte. Die Bürgerschaft, obgleich gegen das Verfahren ihres Kirchenherrn gestimmt, hatte sich doch zum Kampfe verstehen müssen, denn es galt, die Mauern ihrer Stadt vor dem Feinde zu vertheidigen. Jetzt war sie, nachdem sie das Blut ihrer Söhne fließen gesehen, um so mehr zum Frieden geneigt, als sie nur aus Nothwehr die Waffen ergriffen hatte. Die Schreckensscenen dieses Krieges gehören nicht zu unserer Erzählung, zumal derselbe vorüber, und der Friede, nach Monaten der Verhandlung, endlich geschlossen und besiegelt ist. Die Stadt athmete nun leichter auf, und der Rath hatte Alles, was von Freunden und Feinden noch in der Stadt oder Umgegend sich aufhielt, zu einem glänzenden Versöhnungsfeste eingeladen.

So wogte denn der Tanz durch den Saal, die seidenen und sammtenen Gewänder rauschten, weiße und bunte Federn wehten, Edelsteine blitzten, und schöne Augen glänzten in der Freude und im Genusse des Festes. Es war aber auch eine stattliche Versammlung, für welche die Pfeifer auf der Galerie sich anstrengten. Da tanzten zwei Herzoge, da tanzten die Grafen und der hohe Adel des Landes, es tanzten die Söhne der patricischen Geschlechter der Stadt. Und manche schöne Hildesheimerin, die ihr Leben lang an diesen Abend dachte, wünschte sich, daß es alle Woche einen Krieg und glänzenden Friedensschluß gäbe. Diese Wünsche theilten die Väter und älteren Herren aber nicht. Im Gegentheil sah mancher, der bittere Opfer gebracht hatte, wehmüthig in das bunte Gewoge des Tanzsaales hinein, bis sich durch Zufall oder schnellen Entschluß seine Miene plötzlich erheiterte, und er einem der Nebensäle zuschritt, wo behäbige Herren lachend und schwatzend beim Becher saßen.

Hier ging das Bechern noch nobel und mit Sitte her, zwei Treppen tiefer jedoch, unter den Wölbungen des Rathskellers, hatte man bereits angefangen, weniger auf ein gutes Gespräch, denn auf einen stets gefüllten Krug zu halten. Hier saßen Männer, die gern sitzen blieben, wenn sie einmal saßen. Alte Haudegen in Thaten und Worten, denen das Dreinschlagen so zur anderen Natur geworden war, daß sie, wenn sie recht aus Herzenslust lachten, den Tisch mit Faustschlägen dermaßen mißhandelten, daß er ächzte und in seinen Fugen erbebte. Hier tönte keine Musik, als die der klirrenden Becher und zinnernen Kannendeckel, und das eben so harmonische Geschrei von hundert Kehlen, die in Betreff ihrer Laute nicht eben wählerisch waren. Diesen Raum verließ eben ein junger Mann von keckem und kriegerischem Aussehen, um sich hinauf in den Tanzsaal zu begeben.

Dort war den Stadtpfeifern auf eine Viertelstunde Ruhe vergönnt. Die schönen Damen saßen in Reihen da, und nahmen, zum Theil mit niedergeschlagenen Augen, die Huldigungen zierlich geputzter Tänzer entgegen, während andere von keckerem Wesen in Gruppen standen, sich lustig machten, flüsterten, kicherten und die Falten ihrer Gewänder ordneten. Wer all die Farbenpracht an den Festkleidern der Damen und Herren nur recht beschreiben könnte! Das war nicht jenes todte Weiß und Schwarz, in welches sich heut zu Tage die tanzende Jugend getheilt hat, und welches höchstens einmal von einem matten Rosa oder Wasserblau unterbrochen wird. Nein, da sah man in kostbaren Sammt- und Seidenstoffen das tiefste Blau, das triumphirendste Roth, da sah man violettes Mieder zum hochgelben Kleide, ein wie Perlen glänzendes Grau mit blauer Stickerei. Auch wohl ein schimmerndes Weiß, aber dann war's gewiß vom schwersten Seidenstoff, und durch einen bunten Aufschlag oder Besatz gehoben. Das sah nun freilich nicht so leicht und luftig aus, wie die schwebenden Ball-Feen unserer Tage es lieben, aber man ras'te auch nicht so wirbelhaft durch den Saal, man tanzte in gemessenem Schritte. Man brauchte nicht zehn oder noch mehr Tanzgewänder für einen Winter, sondern besaß ein oder ein paar Prachtkleider, die man immer auf's Neue zur Schau tragen durfte. So saßen und standen die Damen umher, während die Tänzer auf und nieder schritten, bald hier bei einer Gruppe stehen blieben, bald zu einer anderen traten, oder in den Nebenzimmern ihre Kühnheit durch einen Becher Wein zu erhöhen suchten.

Etwas entfernt von diesen Gruppen saß auf einem erhöhten Sitze eine Schönheit, welche nur zu wohl wußte, wie sehr sie die ganze Schaar der Mädchen überstrahlte, und sich, wie eine Fürstin, in stolzer Hoheit kaum verneigte, wenn die vornehmsten Herren und ausgezeichnetsten Tänzer, die sich fortwährend um sie drängten, sie begrüßten und ihr ihre Huldigung darbrachten. Es waren Damen anwesend, welche ihr an Rang gleich kamen, Töchter hoher adeliger Familien; Fräulein Richilde von Schauenburg aber wußte sich durch auserlesenes Wesen zu der ersten Dame des Festes zu machen, welche nicht jeder Tänzer zum Tanze aufzufordern wagte. Freilich, wer sie da sitzen sah, ein Diadem von köstlichen Steinen auf der schönen Stirn, den herrlichen Leib in ein Gewand von dunklem Purpur-Sammt gehüllt, während von den Schultern ein Ueberwurf von feinem weißem Pelz nachlässig herabglitt; wer dieses edel geformte Haupt sah, wie es sich mit langsamer Bewegung hin und wieder von der Unterhaltung ab, und nach der Thüre des Saales wandte, der mußte ihr den Preis zuerkennen, wenngleich er einer anderen Tänzerin zueilte, die ihm ein mehr heiteres Entgegenkommen gewährte.

Jetzt trat der junge Mann, welchen wir kürzlich den Rathskeller hatten verlassen sehen, in den Nebensaal, und die vielen Begrüßungen, welche ihm zu Theil wurden, deuteten auf eine weitverbreitete Bekanntschaft in bürgerlichen und soldatischen Kreisen. Er wußte sich überall schnell los zu machen, und ging dem Tanzsaale zu. Er durchschritt ihn mit stolz nachlässiger Haltung, indem er sich gradeswegs Richildens erhöhtem Platze entgegen bewegte. Das Fräulein aber hatte ihn bei der letzten Wendung ihres Hauptes eintreten sehen, und schnell eine eifrige Unterhaltung mit dem Herrn von Diepholz begonnen. Jetzt stand der junge Mann neben ihrem Sessel. Er wußte, daß das Fräulein ihn eintreten gesehen, denn er hatte ihren Blick erhascht. Er wußte, daß diese Unterhaltung ihr überaus gleichgültig sei, und daß sie nicht bemerken wolle, wie er neben ihr stehe, und so stemmte er nachlässig einen Arm in die Seite, betrachtete die schöne Gestalt einige Augenblicke mit höhnischem Lächeln, und machte dann eine Bewegung, als wollte er den Platz wieder verlassen. Plötzlich aber, und schneller als sonst, wandte sich das majestätische Haupt herum, und gab somit dem Herrn von Diepholz das Zeichen seiner Entlassung.

Einige Secunden lang maßen sich vier schöne Augen mit herausfordernden Blicken. Dann fragte der junge Mann: »Will das Fräulein von Schauenburg jetzt einen Reihen mit mir tanzen, oder heißt es wiederum: nachher?«

Durch Richildens Züge ging ein kaum merkliches Zucken, und kalt erwiederte sie: »So lang Ihr diesen Ton nicht lassen könnt, werde ich nicht mit Euch tanzen.«

Der junge Mann verneigte sich eben so kalt, warf den Kopf zurück und wandte sich, um sich zu entfernen.

»Rambert!« rief es da plötzlich hinter ihm mit gedämpfter, halb gebietender Stimme. Er wandte sich und erblickte Richilden, die sich halb erhoben hatte, und mit der Hand krampfhaft ihr goldenes Halsband preßte, während glühendes Roth ihre Wangen überzog.

»Nun?« fragte Rambert und stellte sich vor sie hin.

»Sehr gut!« sagte Richilde, indem sie ein Lachen in ihr Antlitz zwang: »Ihr befleißigt Euch einer überraschenden Kürze in der Unterhaltung. Es ist neu, solche Manieren, die allenfalls im Kriegslager angebracht sind, in den Tanzsaal mitzubringen.«

»Es thut mir leid,« entgegnete Rambert, »nicht so viel anmuthige Worte bei der Hand zu haben, wie jene süßen Herren, welchen Fräulein Richilde neuerdings ihr Ohr zu schenken beliebt.«

»Muß ich nicht? Ob jedoch die Worte der süßen Herren anmuthig waren, darüber ließe sich noch streiten.«

Mit diesen Worten lehnte sich das Fräulein in den Sessel zurück, und warf einen verachtenden Blick auf die Gruppen des Saales. Dann aber, nach kurzer Pause, warf sie in spielender Art die Worte hin: »Wo hat denn Herr Rambert den ganzen Abend gesteckt? Wahrscheinlich im Rathskeller unten! Ach, freilich da findet er Gesellschaft nach seinem Sinne! Mich wundert, daß er nicht im Lederkoller zum Tanze kommt, mit Reiterstiefeln, ein Commandowort auf den Lippen.«

Rambert sagte nichts, und lächelte. Darüber verlor das Fräulein einigermaßen die Fassung. »Rambert,« rief sie, »kein Wort? Ihr steht da wie ein Bild! Gut, ich kenne Euch jetzt! Ich will das letzte Wort zu Euch gesprochen haben!«

Rambert trat einen Schritt näher. »Richilde,« sagte er, »lassen wir diese Art, uns zu peinigen! Ihr wißt, daß ich eine bessere Gesellschaft weiß, als jene im Rathskeller unten, zu welcher mich Eure Laune getrieben hat, Ihr wißt, daß ich nicht immer stumm wie ein Bild bin. Hört auf, mit mir zu spielen, wie mit jenen Gecken, und zwingt mich nicht zu einem Betragen, welches unser nicht würdig ist!«

»Welches unser nicht würdig ist!« wiederholte Richilde. »Sehr schön, daß Ihr in das unwürdige Betragen auch das meinige mit einschließt! Was das Eurige betrifft, so gebe ich Euch Recht.«

In diesem Augenblicke begannen die Stadtpfeifer ein neues Tanzstück, welches der Paukenschläger mit einem so begeisterten Effectschlage einleitete, daß mehrere Gruppen von jungen Damen erschreckt auseinander fuhren. Rambert wollte noch einmal sprechen, schon aber reichte Richilde dem auf sie zukommenden Grafen von Hoya die Hand, und trat zum Tanze an. Rambert biß sich auf die Lippen, ein glühender Zorn zuckte durch seine Brust. Er blieb auf dem Platze stehen, und sah zu, wie der Tanz sich in Bewegung setzte. Wenige Minuten darauf aber schritt er, scheinbar so gleichgültig, wie er gekommen war, aus den Sälen und die Treppe hinunter. Hier stand er einen Augenblick still, und da er sich allein sah, stampfte er mit dem Fuße ein wenig auf den Boden, und sagte mit halb unterdrücktem Grolle: »Sie soll mich nicht länger am Narrenseil führen! Das Spiel mag zu Ende sein!«

Da der Tanz ihm verleidet war, und er einen Ekel empfand vor der bechernden Gesellschaft im untersten Raume, beschloß er, nach Hause zu gehen, ein Entschluß, der dem jungen Manne keine angenehmen Aussichten für den Abend gewährte, wovon wir den Grund später erfahren werden. Er mußte sich, als er auf die Straße trat, fester in seinen Mantel hüllen, denn die Winde, an welche er oben im Saale am allerwenigsten gedacht hatte, feierten in dieser Nacht auch einen Tanz. Der Regen hatte aufgehört, und die Sterne sahen kalt und klar vom dunkeln Nachthimmel.

Rambert hatte durchaus keine Eile, um nach Hause zu gelangen, ein paar Mal blieb er sogar stehen und überlegte, ob er nicht wieder umkehren sollte. Während er so einen Augenblick still stand, und zwar an einer vor dem Winde etwas gedeckteren Stelle, glaubte er einen brenzlichen Geruch wahr zu nehmen. Er forschte umher und sah, wie dicke Qualmwolken dem Rauchfang eines benachbarten Hauses entstiegen, und vom Winde das Dach herunter gejagt wurden. Rambert war überzeugt, daß im Hause Feuer ausgebrochen sei, eilte auf die Thür zu und suchte durch kräftige Schläge gegen dieselbe die Bewohner zu wecken. Es dauerte lange, ehe ihm das gelang, und während er nach stärkerem Pochen einige Schritte auf die Straße zurücktrat, sah er die ersten rothen Flammen bereits durch das Schindeldach schlagen. Es war eine Straße, in der fast alle Häuser aus leichtem Holzfachwerk gebaut, und mit Schindeln gedeckt waren. Daher galt es rasche Hülfe, wenn bei dem die Flamme nur höher entfachenden Windeswehen hier ein großes Unglück abgewandt werden sollte. Immer heftiger pochte und rief er an der Thür, schlug an die Fensterläden der Nachbarhäuser, und suchte die Umgebung aus dem gefährlichen Schlummer zu wecken. Aber erst nachdem er an dem Gelärm der Hofhunde eine Unterstützung gebunden hatte, erhellten und öffneten sich einige Fenster und ließen ein lautes Geschrei der Gegenüberwohnenden hören. Endlich öffnete der Besitzer des brennenden Hauses, ein Krämer, der noch spät mit dem Lichte auf seinem mit mancherlei feuergefährlichen Gegenständen angefüllten Boden gewesen war, und so den Brand verschuldet hatte. –

»Rettet vor Allem die Menschenleben, Euer Dach brennt lichterloh!« schrie ihm Rambert entgegen. Er stürzte sich in das Haus, und die Treppe empor, während der völlig besinnungslose Eigenthümer ihm ächzend folgte. »Wo sind Eure Kinder?« fragte der junge Mann. Der Krämer zeigte auf eine Thür, und klammerte sich bebend und sprachlos an das Treppengeländer. Aber schnell wurde er aus seinem Halbschlaf und Taumel der Angst durch den jungen Wecker aufgerissen, welcher ihn bei den Armen faßte, und mit einem kräftigen Schütteln rief: »Faßt Euch! Weckt das Gesinde! Rafft das Werthvollste zusammen!« –

Darauf eilte Rambert in das bezeichnete Gemach, und riß zwei Kinder mit den Betten aus den Gestellen, ungeachtet des lauten Schreiens, welches die Frau des Krämers bei seinem Geschäft erhob. Er flog mit seiner Beute hinunter, und setzte dieselbe auf der andern Seite der Straße ab. Von Neuem eilte er hinauf, und rief der geängstigten Mutter entgegen: »Wie viel Kinder sind hier noch?«

»Noch drei!« schrie sie mit bebender Stimme, indem sie das kleinste fest einwickelte, und es ihm mit den anderen übergab. Er rief im Hinuntereilen eine Magd an, die in grenzenlos verwahrlos'tem Costüme die Hände rang, ihm zu folgen, und stellte sie, unten angelangt, als Wache an bei der Gruppe der schlaftrunken weinenden und, trotz der Betten, im Nachtwinde frierenden Kinder. Als er zum dritten Mal in's Haus trat, waren sämmtliche Bewohner munter, rannten schreiend und in Verwirrung die Treppen auf und ab, und schleppten die nutzlosesten Gegenstände hinunter.

Schon war das ganze Haus mit Rauch angefüllt. Die durch die offene Hausthüre hereinströmende Zugluft lockte die Flamme tiefer hinab, und bald brannten die Gemächer, in welchen noch kurz vorher der friedliche Schlaf geherrscht hatte. An Rettung des Hauses war nicht mehr zu denken. Ja, schon brach das Unheil auch über das Nachbarhaus herein, über dessen Dach der Wind die hoch aufsteigende Flammensäule warf.

Mittlerweile war es auf der Straße lebendig geworden. Haufen von Menschen drängten sich, indem sie einander mehr hinderten, als behülflich waren, durcheinander, und der unheimliche Ruf: »Feuer!« dröhnte durch die Stadt. Da taumelte der unglückliche Krämer halb erstickt vom Rauche aus dem Hause, und mit dem Schrei: »Mein Weib!« sank er auf einen Haufen geretteter Gegenstände kraftlos nieder.

Noch einmal eilte Rambert in das der Zerstörung verfallene Haus. Er tappte bis zur Hälfte der Treppe empor, der Qualm versetzte ihm den Athem. Ein brennender Balken prasselte vor ihm nieder, und glühende Trümmer polterten die Stufen hinab.

»Wo seid Ihr, Frau?« schrie Rambert, schier verzweifelnd an der Rettung des Weibes, da er sich selber fast dem Ersticken nahe fühlte.

»Hülfe!« rief es da in seiner Nähe. Mit Todesverachtung that er die letzten Schritte hinauf, ließ noch einmal seine Stimme ertönen, und tastete mit den Händen die glühende Wand entlang. Da stieß er mit dem Fuße an einen Gegenstand. Rasch bückte er sich danach, und fand eine zusammengesunkene Gestalt am Boden, welche er augenblicklich emporzog. Er nahm sie, so gut es ging, auf den Arm, und suchte mit seiner Last nach der Treppe. Ohne erhebliche Verletzung gelangte er hinunter, und übergab, von einem Freudengeschrei empfangen, die Ohnmächtige einer Schaar von Weibern. Tief athmete er auf, als er die Nachtluft wieder um sein Antlitz wehen fühlte, und ruhte einige Augenblicke von der Anstrengung aus. Sodann aber schickte er sich an, sein Rettungswerk im Nachbarhause fortzusetzen. Denn auch hier wüthete die Flamme schon, und leckte gierig nach den Giebeln des dritten und vierten Hauses hinüber. Bei der Unzulänglichkeit der Löschanstalten der damaligen Zeit war das Schrecklichste vorauszusehen. Eine Menge Hände waren zwar in Thätigkeit, die Feuereimer flogen hinauf und hinab, aber das morsche Holz der Häuser schien die Gluth begierig in sich zu saugen, und noch ehe die Flamme es berührt hatte, in Kohlen zusammen zu stürzen. So kam es, daß in Zeit von zwei Stunden fünf Häuser in rauchende Gluthhaufen verwandelt waren, während die nächsten dem gleichen Schicksale entgegen zu gehen drohten.

Auf dem Rathhause schien der Tanz auch eine Unterbrechung erlitten zu haben. Man sah unter der helfenden oder gaffenden Menge hier und da Feder-Barette, und unter den vom Winde auseinander gewehten Mänteln glänzende Festkleider.

Rambert blieb in unausgesetzter Thätigkeit. Er erlebte in den übrigen Häusern ähnliche Auftritte, wie in dem des Krämers. Er war überall, stieg auf Leitern und Dachsparren, sein Gesicht war von Rauch geschwärzt, sein Kleid zerrissen und verbrannt. Er achtete keine Verletzung oder Gefahr, und arbeitete mit allen Kräften dem furchtbaren Element entgegen. Mit der Zeit hatte es sich von selbst gemacht, daß seinem Commando Alles gehorchte, daß man ihn als denjenigen ansah, der hier allein helfen und retten konnte. Eben stand er auf den obersten Sprossen einer hohen Leiter, und hieb mit der Axt auf die brennenden Balken eines Dachstuhls, um durch ihr Niederstürzen das Weitergreifen des Feuers zu verhindern, als er neben sich in der Gluth der Flamme ein Gesicht sah, dessen Inhaber in gleicher Thätigkeit begriffen war. Das Gesicht kam ihm bekannt vor, doch erlaubten die Umstände nicht, dem weiter nachzuforschen. Während aber der Balken niederstürzte in den schwarzen Grund der vier rauchenden Wände, rief Ramberts Nebenmann: »Krach, da liegt er! den hätten wir glücklich herunter! Jetzt, Junker, an den nächsten!«

»Christian!« entgegnete Rambert, »mein Jugendkamerad aus der Mühle – Du bist's doch?«

»Versteht sich,« sagte Christian, während Beide mit den Aexten draus los hieben, »freilich bin ich's. Haben uns seit fünf Jahren nicht gesehen, hab' Euch aber gleich wieder erkannt. Finden uns bei einer heißen Arbeit wieder! Ich war auf der Galerie im Rathhause; mein Vetter, der Paukenschläger, hat mich herein gelassen.«

»Tüchtig drauf los gehauen, so – da liegt er! Puh, das qualmt!« Mit diesen Worten begleitete Christian den nächsten heruntergeschlagenen Balken.

Es mochte jetzt wohl gegen vier Uhr Morgens sein, als der Wind sich legte und das Feuer an den massivsteinernen Wänden eines hohen Giebelhauses einigen Widerstand zu finden schien. Das Dach dieses Gebäudes war von Ziegeln, reichte aber sehr tief hinab, und es galt, dieses durch Wassergüsse den Flammen unangreifbar zu machen. Bei der rasch von einigen Dutzend Händen gebildeten Eimerkette war Rambert wieder der Erste, und fand, in der tollkühnsten Stellung auf dem Dache sitzend, seinen früheren Nachbar wiederum neben sich.

»Wenn meine Liese hört« – sagte Christian, indem er Rambert den Eimer reichte – »daß ich hier beim Brande bin, was wird das Weibchen eine Angst ausstehen!«

»Bist Du verheirathet?« fragte der Andere, das Wasser über das Dach verbreitend.

»Versteht sich!« entgegnete Christian. »Seit zwei Jahren. Mein Vater starb vor drei Jahren, in derselben Woche, wo Euer Herr Vater seliger aus der Welt ging, und ließ mir die Mühle. Na, ich dachte: allein sein ist nicht gut, und zu Johanni drauf ging ich mit des Weidenmüllers Liese zum Altar. Sie ist ein gutes Ding, die Liese! Das Aelteste ist ein Junge, hernach kam ein Mädel, das wird nächsten Monat ein Jahr.«

»Christian, ich gratulire – aber gib den Eimer her!« sagte Rambert.

Die Verringerung der Gefahr, welche sich unter dem Einflusse einer mehr geregelten Abwehr immer mehr zu dämpfen schien, machte ein ferneres Gespräch der Jugendkameraden möglich, und so fuhr der redselige Christian fort:

»Nun, Junker, der Krieg ist aus, Gott sei Dank! und jetzt bleibt Ihr doch in der Stadt und führt Eure Geschäfte fort?«

»Meine Geschäfte?« entgegnete Rambert. »Wenn ich meine Geschäfte fortführe, bleibe ich mein Leben lang draußen unter Waffen und Lagerzelten. Nicht Jedem wird es so gut wie Dir, daß er gleich eine schmucke Liese findet, die ihn daheim warm hält. Ich muß mich draußen im Pulverdampfe erwärmen, oder bei Gelegenheiten, wie die heutige – da, gieße mal einen Eimer dort die Wand entlang, sie hat's nöthig!«

Christian ließ dem glühenden Mauerwerk das kühle Bad angedeihen und sagte: »Was die Liese betrifft – nu, was brauchte es denn gerade eine Liese zu sein, für Euch würde sich Eine mit noch schönerem Namen finden. Platz hättet Ihr auch in Eurem großen Hause, und wenn der alte Meusel mal stirbt –«

»So verkaufe ich den ganzen Plunder,« fiel Rambert ein, »und bin frei wie der Wind, der über die Haide fährt.«

Noch eine Weile suchte Christian das Gespräch über diese Angelegenheit fortzuführen, endlich aber sagte Rambert: »Ich denke, wir sind für heute fertig. Laß uns nach Hause gehen, das Feuer kann nicht weiter fressen, es sind nur noch die Trümmer, welche fortglimmen.«

In der That war die Gefahr vorüber. Die Morgenluft ging kalt und schneidend über die rauchende Brandstätte von sechs Häusern, und blaß und trübe brach im Osten der Tag an. Rambert und Christian stiegen herab. Nur wenige Personen befanden sich noch auf der Straße. Rambert ordnete schnell noch Einiges zur weiteren Bewachung der Trümmer an, und verhieß einigen jammernden Hausvätern, die, nachdem sie ihre Familie anderwärts untergebracht hatten, die öde Stätte betrachteten, so viel fernere Hülfe, als in seinen Kräften stände. Darauf verabschiedete er sich von Christian, der im Morgengrauen nach seiner Mühle wanderte, und schritt seinem Hause zu, welches sich in einer entfernter gelegenen Straße befand. Auf sein Klopfen erschien sogleich ein altes Männchen in einem etwas abgeschabten Pelze, die Lampe in der Hand, und rief, vor Schrecken zurückfahrend: »Um Gottes willen, Herr Rambert, wie seht Ihr aus! Zerrissen das schöne Festgewand, und verbrannt, und im Gesichte schwarz wie ein Mohr!«

»Ich komme auch aus des Satans Küche, alter Hausgeist,« entgegnete Rambert, »und wenn ich nicht fürchten müßte, daß die Farbe, die ich mir da habe in's Gesicht malen lassen, sich unvertilgbar in Deinen zierlich gefalteten Runzeln festsetzen würde, so würde ich Dir einige zärtliche Küsse der Dankbarkeit schenken.«

»Wahrhaftig, Ihr habt rechtschaffen gehandelt, Herr Rambert,« sagte der Alte, »aber so sehr hättet Ihr Euch der Gefahr nicht aussetzen sollen. Ich hab's wohl gehört. Wascht Euch nur schnell den Ruß aus dem Gesichte.«

»Meusel!« entgegnete der junge Hausherr, »ich danke Euch für den sehr nützlichen Kinderfrauen-Rath. Ja, nehmt die Ueberzeugung mit Euch, daß ich Wasser und sogar Seife an mein Gesicht wenden werde! und nun, altes Geschöpf, laßt mich noch eine Stunde zu Bette gehen, denn ich bin müde.«

Meusel gab ihm die Lampe, und während sein junger Herr sich zur Ruhe verfügte, ging er lächelnd und kopfschüttelnd an das frühe Werk des Tages.

*

Zweites Capitel.

Das Haus, welches Ramberten gehörte, lag in dem vornehmsten Theile der Stadt, wo hohe steinerne Giebel an der Straße in Reih' und Glied standen, und durch saubere, hervorspringende Erkerthürmchen mit kunstvoller Steinarbeit, Sandsteinplatten mit eingemeißelten frommen Sprüchen, und andere kostbare Verzierungen der Façade, Kunde gaben von der Wohlhabenheit ihrer Bewohner. Ramberts Haus war zwar eines der größten und höchsten, nicht aber eines der schönsten in der Reihe. Es zeichnete sich aus durch ein düsteres und verschwärztes Aussehen. Die kleinen Fensterscheiben im ersten Stock waren ziemlich blind, in den höheren Stockwerken sogar völlig mit Staub bedeckt und zersprungen. Das Haus war nur fünf Fenster breit, hatte aber eine bedeutende Tiefe. Es erweiterte sich zu einem Hinterhause, und stieß mit diesem an das Flüßchen Innerste, zu welchem Treppen von mehreren Gallerien herunter führten. Hier hingen seit fünfzig Jahren an Stangen lange Streifen von blauem, rothem, grünem Tuche herab. Die Wellen des Flusses und die farbigen Tuchstücke wechselten fort und fort, das Bild war aber für die ältesten Nachbarn immer dasselbe gewesen. Ramberts Vater hatte die Tuchfärberei getrieben und Geschäfte im großen Styl gemacht. Das Haus blühte und wuchs, und die Familie wurde zu denen der höchsten Patricier gerechnet. Der Verstorbene war zum Mitgliede des Rathes erhoben worden, und strebte die hohe Achtung, in welcher sein Haus stand, durch die Bildung seines Geistes zu rechtfertigen. Er hatte unter seinen Collegen einen Freund, den Dr. Musculus, Bruder seines langjährigen Geschäfts-Factors Meusel, einen grundgelehrten Mann, der nach der Sitte jener Zeit seinen prosaischen deutschen Namen in das gelehrter und bedeutender klingende Lateinische übersetzt hatte.

Dr. Musculus erschloß seinem Freunde das vielbewegte Treiben, in welchem die besten Geister jener Zeit sich dem Dunkel des Mittelalters entrangen, und hatte, soweit es die Geschäfte des Rathsherrn erlaubten, einen gelehrigen Schüler. Der Letztere hatte seine Gattin sehr früh verloren, und da seine eigenen Geschäfte und seine Stellung im Rathe ihm keine Zeit für die Erziehung seines einzigen Kindes, eines Sohnes, übrig ließen, vertraute er denselben fast ganz dem Dr. Musculus an, welcher über eine größere Mußezeit zu verfügen hatte. Der junge Rambert theilte jedoch die Vorliebe der beiden alten Herrn für die Studien in keiner Weise, und noch weniger zeigte er besondere Lust für das Familien-Geschäft, die Tuchfärberei, so daß der gelehrte Herr Mühe hatte, seinen Zögling mit den Jahren auch an Kenntnissen fortschreiten zu lassen. Es war der Lieblingsgedanke des Rathsherrn, sein Sohn solle studiren, und dann eine hohe Stellung in der gelehrten Welt einnehmen, während das Geschäft des Hauses unter der Leitung eines Verwandten fortbestehen könne. Ein Gedanke, der, besonders was den ersten Theil betrifft, den Knaben oft zur Verzweiflung brachte. Endlich aber, nach unsäglichen Qualen, ward der angehende Gelehrte auf die Universität nach Wittenberg geschickt, und dort den ausgezeichnetsten Männern von seinem Lehrer auf's beste empfohlen. Zwei Jahre lang hatte er sich hier aufgehalten, ohne daß jedoch seine gelehrten Gönner Gelegenheit gehabt hätten, viel Gutes über ihn nach Hause zu berichten, als jener Krieg ausbrach, welcher die kühne Jugend der Stadt Hildesheim zu den Waffen lockte.

In diesen drohenden Tagen starb Ramberts Vater eines plötzlichen Todes, und damit schien das Schicksal des Sohnes entschieden zu sein. Er verließ sofort Wittenberg und stellte sich unter die Fahnen des Herzogs von Sachsen-Lauenburg, welcher für das Stift, und somit für die Stadt Hildesheim die Waffen ergriffen hatte. Das Geschäft der Familie Ramberts stand unter der vortrefflichen Leitung des alten Meusel, und war somit keiner Gefahr ausgesetzt, wiewohl der junge, kriegslustige Repräsentant der Firma nicht das geringste Interesse dafür bezeigte, und nur darauf hielt, daß ihm seine Wechsel zu rechter Zeit übersandt würden. Meusel war oft in großer Sorge darüber, daß er die ganze Verantwortlichkeit für ein so bedeutendes Haus zu tragen hatte, zumal sein junger Herr sehr große Summen brauchte, und die Aussicht nicht fern lag, daß derselbe sein Leben lang außerhalb des Hauses unter den Waffen bleiben werde. Denn Fehden gab es zur Zeit genug.

Rambert bildete sich inzwischen völlig zum Krieger aus. Durch seine Tapferkeit in der Schlacht bei Soltau, wurden ihm ehrenhafte Auszeichnungen zu Theil, und diese, verbunden mit den Geldmitteln, über welche er zu verfügen hatte, brachten ihn in Verbindung mit den vornehmsten und lebenslustigsten Herren im Lager und auf den Zügen durch die Städte. Seine Kühnheit, sein Uebermuth und seine Laune fesselten die Männer, während seine vortheilhafte Erscheinung ihm überall in den Herzen der Damen das Wort redete.

Drei Jahre hatte der Krieg gedauert. Nun war der Friede geschlossen, und mit dem größten Verdrusse sah der junge Held sich durch den letzteren einer so verächtlichen Thätigkeit, wie der der Tuchfärberei zurückgegeben, ja, sogar von Ansprüchen zurückgefordert, die der ängstliche Herr Meusel nicht länger zurückhalten konnte.

Es war zehn Uhr Morgens, als der Letztere auf den Zehen in das Zimmer schlich, in welchem sein junger Principal schlief, und, was er, schon ein paar Mal gethan hatte, die Bettvorhänge behutsam aus einander schob. Rambert erwachte bei seinem diesmaligen Erscheinen, und rief, indem er sich dehnte: »Meusel, müßt Ihr mir denn die Hauptsorge meines Lebens beim Erwachen gleich in Eurer Gestalt entgegen bringen? Oder seid Ihr so eitel, Euer pergamentenes Geschäftsgesicht für ein Stück Morgensonne ausgeben zu wollen? Ich kann Euch nicht helfen, theure Stütze meines Hauses! Ihr lebt in diesem Punkte in einer beklagenswerthen Täuschung – jetzt fangt Ihr gar noch an zu lächeln! O Meusel, Meusel, wer hätte Euch solche Thorheiten zugetraut!«

Meusel, der es schon von früher her gewohnt war, in dieser Weise mit sich spielen zu lassen, entgegnete ruhig: »Es ist zehn Uhr, Herr Rambert, ich wollte nur zusehen –«

»Morgen oder Abend?« fiel ihm Rambert in die Rede. »Es ist mir sehr gleichgültig, wie lange ich geschlafen, ich habe ja nichts zu thun! Aber ich will aufstehen zur Plage und schändlichen langen Weile.«

Meusel entfernte sich, und Rambert kleidete sich an. Er sah sich im Gemache um, und dann aus dem Fenster in den trüben, nebeligen Morgen hinaus. Die Abenteuer der verwichenen Nacht kamen ihm wie verworrene Träume vor. Er ging in's Nebengemach, das einstige Wohn- und Studierzimmer seines Vaters. Hier stand und lag noch Alles so, wie der Verstorbene es verlassen hatte. In der Mitte ein großer, stark gebauter Eichentisch, ein Schreibzeug darauf, und ein mit Leder bezogener Lehnstuhl darneben. An den getäfelten Wänden gebohnte Schränke, alte Erbstücke, geschwärzt vom Alter, mit kunstvollem Schnitzwerk versehen. Ein paar Bücherbretter und mehrere alte Gemälde, Bildnisse seiner Vorfahren, darunter auch das seiner seligen Mutter, deren er sich nur aus frühester Knabenzeit erinnerte.

Ein eigenes Gefühl überkam Rambert, als er nach mehreren Jahren zum ersten Male wieder, und zwar heute als alleiniger Besitzer, dieses Zimmer betrat. Jede Gestalt auf den alten Bildern richtete die Augen so fest auf ihn, jede schien ihm zuzurufen: Bleibe hier, schaffe treu und bürgerlich, wie wir es gethan, und mehre den Segen des Hauses! Die alten Schränke aus Urväterzeit schienen sich zu dehnen, als wollten sie auf ihren plumpen Eichenfüßen ihm entgegen gehen und sagen: Mach' auf, Thüren und Laden sind noch ganz und heil, wir wollen dir den Erwerb schon bergen und festhalten! Auf dem Tische aber lag vor dem Dintenfasse das große Hauptbuch des Hauses aufgeschlagen, das sah dem alten Meusel zum Sprechen ähnlich, und schien zu sagen: Schlag' um, Blatt für Blatt, es war immer Ordnung! Jetzt komm' und laß keine Unordnung werden, die alten Herrn da an der Wand müßten sich deiner schämen! –

Rambert setzte sich in den Lehnstuhl vor das Buch, und versank in sehr ernste Gedanken. Alles schien ihn hier an bürgerliche Pflichten zu mahnen, und trat kalt und verweisend seiner Neigung entgegen. Er malte sich das Leben aus, wie es sich ihm hier im Gange der Geschäfte eintönig eröffnete, und konnte einen Widerwillen dagegen nicht bekämpfen. Ja, derselbe wuchs und steigerte sich, wenn er den Vergleich zog zwischen diesen Umgebungen und dem unumschränkten, lebendigen Treiben des Kriegerlebens, aus welchem das schöne, verlockende Bild Richildens leuchtend emportauchte. Eine Weile saß er stumm und vor sich hinbrütend da, dann erhob er sich plötzlich und schritt mit den Worten: »Es geht nicht, es geht nicht!« im Zimmer auf und nieder.

Da öffnete sich die Thür, und herein trat Meusel, gefolgt von einer alten Frau, welche das Frühstück brachte. »Endlich,« sagte er, »haben wir den jungen Herrn einmal zu Hause, und nun hoffentlich für immer! Ich habe das Hauptbuch gleich herauf getragen. Habt Ihr es vielleicht schon angesehen?«

»Angesehen hab' ich's,« entgegnete Rambert, indem er sein Frühstück begann, »aber gelesen hab' ich nichts darin, diesen Genuß überlass' ich Euch ganz und ungeschmälert.«

Meusel schob mit einem Seufzer das kostbare Kleinod etwas bei Seite, damit kein Flecken darauf käme, und begann wiederum: »Wißt Ihr auch, Herr Rambert, wer jetzt die geringen Geschäfte der Haushaltung besorgt?«

Rambert füllte seine Schale auf's Neue mit Warmbier und erwiederte: »Nein, Meusel, das weiß ich nicht. Lebt denn die alte Trude nicht mehr?«

»Ach, die hat den seligen Herrn nicht lange überlebt,« sagte der Alte. »Seitdem kommt ihre Schwester, Frau Barbara, täglich auf ein paar Stunden in's Haus. Ich würde sie gebeten haben, ganz herein zu ziehen, aber sie hat selbst ein Häuschen am Thore – da steht sie, kennt Ihr sie nicht mehr?«

»Freilich kenn' ich sie noch,« entgegnete Rambert, indem er der Alten die Hand reichte. Sie schlug mit freudigem Gesicht ein, und Rambert betrachtete mit Wohlgefallen die würdige Gestalt der Alten, die ungebeugt von der Last der Jahre, im Schmucke ihres grauen Haars und der reinlich saubersten Kleidung, vor ihm stand.

»Was werde ich die Muhme Barbara nicht mehr kennen,« fuhr er fort, »die so manchmal eine Strafpredigt oder einen wohlverdienten Schlag an meine Erziehung gewandt hat! Hört, Frau Barbara, wenn Ihr mich näher kenntet, würdet Ihr zu der Ueberzeugung kommen, daß meine Erziehung noch nicht vollendet sei! Der Unhold da, Meusel genannt, hat das in der ersten Stunde des Wiedersehens gewittert, und plagt mich jetzt in jeder erdenklichen Weise!«

»Nun, was noch fehlt,« entgegnete Barbara, indem sie das Frühstücks-Geschirr abräumte, »muß der junge Herr jetzt selbst an sich wenden. Es ist wohl möglich, daß bei dem bunten Leben Manches versäumt worden, doch nun ist ja Friede, und Ihr habt Ruhe und Zeit, nachzuholen und zu schaffen.«

»Da haben wir's!« lachte Rambert. »Jetzt gibt auch die schon zu, daß ich grenzenlos verwahrlos't sei! Will denn die ganze Welt mich schulmeistern? Wenn ich hier bliebe, so machte ich Euch zum Tort so viel tolle Streiche, bis Ihr wenigstens darin unbedingt überein kämet, daß ich der vollendetste Taugenichts meines Jahrhunderts sei!«

Meusel machte bei diesen Worten ein etwas ängstliches Gesicht, Barbara aber sagte: »Dazu kann es nach dem, was Ihr in vergangener Nacht verrichtet habt, nicht kommen. Wer sein Leben so muthig und edel zur Rettung der Hülfsbedürftigen in die Schanze schlägt, der ist von Grund aus brav und ein Ehrenmann. In der ganzen Stadt ist nur Eine Stimme darüber. Wäret Ihr nicht bis zum letzten Augenblick thätig gewesen, den schrecklichen Brand zu dämpfen, o Gott, das Unglück hätte für die ganze Stadt furchtbar werden können ! Ihr habt ein edles Werk gethan, Herr Rambert.«

»Warum nicht gar!« fiel ihr der Angeredete in's Wort. »Es war kalt, der Wind pfiff mir um die Nase, da wollte ich mich nur ein wenig wärmen. Wie steht es denn mit dem Feuer?«

»Es ist aus, nur der Rauch steigt noch. Ach, es ist ein trauriger Anblick! Nun, es freut mich, daß Ihr Euch meiner noch erinnert. Wenn Ihr nichts dagegen habt, so behalt' ich bis auf Weiteres bei Euch die Aufwartung.«

Mit diesen Worten nahm Barbara das Geschirr zusammen, und verließ das Zimmer. Meusel aber blieb am Tische stehen, öffnete das Hauptbuch, und warf halb bittende, halb verlegene Blicke auf Rambert. Dieser dehnte sich mit lachendem Gesichte im Lehnstuhl der Länge nach aus, sah ihm eine Weile zu, und sagte dann: »Nun, Meusel, was fangen wir jetzt an?«

Meusel schob ihm das Buch hin. »Oder wollt Ihr lieber erst einen Gang durch das Haus, die Böden und Speicher machen?« fragte er schnell. »Vielleicht habt Ihr einige Aenderungen im Sinne, wiewohl ich verbürgen kann, daß sich die bisherige Einrichtung als sehr gut bewährt hat.«

»Davon bin ich fest überzeugt,« versicherte Rambert, »und darum werde ich mir auf den Bodentreppen nicht den Hals brechen. Aber strengt jetzt einmal Eure Rechenkunst an. Auf wie hoch veranschlagt Ihr das Haus, das Geschäft, kurz, den ganzen Familienbesitz, der auf mich Unglücklichen gekommen ist?«

Meusel nannte im Geschäftston schnell und bereitwillig eine Summe, die ihrem Eigenthümer so über Erwartung groß vorkam, daß er ausrief: »Was? das ist ja eine unglaubliche Menge Geld! Nun, meinetwegen! Wißt Ihr jemanden, der bereit wäre, uns diese Summe dafür zu zahlen?«

Meusel verfärbte sich, ein Zittern überkam ihn, er mußte sich mit einer Hand auf die Tischplatte stützen, während die andere krampfhaft das Hauptbuch umfaßte.

»Ihr müßt nämlich wissen,« fuhr der junge Hausherr fort, »daß ich nicht übel Lust habe, alle meine Habseligkeiten zu verkaufen, und Euch obenein, obgleich ich der Gewißheit lebe, daß, da man mir für Euch wenig geben wird, ich Euch werde als Zugabe verschenken müssen. Wie denkt Ihr darüber?«

Meusel suchte sich zu fassen, und mit fest sein sollender, aber völlig gebrochener Stimme entgegnete er: »Herr Rambert, Ihr seid Herr über Euer Eigenthum – Ihr könnt frei darüber verfügen, aber – verzeiht mir altem Manne – ich – ich – –«. Er stockte, die Stimme versagte ihm. Rambert sah ihm erstaunt in das erblichene faltige Gesicht.

»Herr Rambert,« fuhr der Alte fort, »ich habe seit fünfundzwanzig Jahren in diesem Hause gelebt, das Blühen des Geschäftes war meine Freude, mein Stolz, mein Alles, denn ich habe nichts weiter auf der Welt. Wenn Ihr mich jetzt gehen heißet, wenn ich die Schwelle verlassen soll, die mir bisher geheiligt war – –.«

Die Worte erstarben dem alten Manne auf den Lippen; er stand und weinte wie ein Kind.

Rambert erhob sich bestürzt, stellte sich vor ihn, legte seine beiden Hände auf seine Schultern, und sagte: »Meusel, so ist es nicht gemeint, daß ich Euch hinaustreiben wollte! Euer Bleiben sollte eine der Hauptbedingungen des Verkaufes sein. Wolltet Ihr aber das Haus verlassen, so habt Ihr ein Anrecht auf ein sorgenfreies Alter, und das sollte Euch gewährt sein. Ich weiß, was Ihr meinem Vater gewesen seid.«

»Daran dachte ich noch gar nicht,« entgegnete Meusel. »Brächten es die Verhältnisse mit sich, so würde mir mein Bruder gern ein Plätzchen für meine alten Tage gönnen. Aber ich würde es nicht lange überleben, mit angesehen zu haben, wie dieses Haus und Geschäft, welches Euerer Familie nun bald zweihundert Jahre gehört hat, in andere Hände überginge. Doch, was liegt an mir! Nein, Herr Rambert, im Namen Euerer Familie laßt mich reden, und Euch davor warnen, einen übereilten Schritt zu thun. Ihr seid der einzige Sohn des Hauses, der einzige Erbe dieser Güter. Sie kommen aus wackeren Händen, ihre Besitzer waren immer echt und edel bürgerlich gesinnt, ja, es war ihr Stolz, Bürger dieser Stadt zu sein. Ihr, der Letzte, strebt aus diesen bürgerlichen Schranken heraus. Euer Sinn zieht Euch in adelige Kreise, in die der Krieg Euch gebracht hat – verzeiht mir, um Gottes willen, es ist vielleicht das letzte Mal, daß ich zu Euch rede! Ja, Herr Rambert, das hat Euch recht sehr geschadet! Ihr habt den Stolz verloren, mit welchem Euere Vorfahren auf das Wachsen ihres Hauses, und auf den Kreis ihrer Kinder blickten, die bestimmt waren, es weiter wachsen und blühen zu lassen. Ihr habt Euch einen anderen Stolz angeeignet – und der richtet das ganze Werk Eurer Väter zu Grunde. Was zweihundert Jahre bestanden hat, und nicht etwa morsch und hinfällig, nein, kräftiger und sicherer, als jemals dasteht, soll das nun so hingegeben werden in Hände, die es vielleicht verwahrlosen und verschleudern? Euer Herr Vater würde sich im Grabe umdrehen! Seht, Herr Rambert, es mag auch vor Alters schon Mancher in der Familie gewesen sein, dem es nicht zu Sinne war, daheim zu bleiben und zu schaffen. Wenn der Brüder mehrere waren, da mochte das angehen, aber wo es der einzige Erbe war, da hat er sich gewiß gezwungen, und hernach ist's gegangen! Ihr seid nun jetzt der einzige Erbe, Herr Rambert – – seht, da an der Wand hangen ein Stücker sechs von Eueren Vorfahren, seht Euch ihre Bilder an, und haltet ihr Werk in Ehren! Und dort, seht das Bild Euerer seligen Frau Mutter an!«

Der alte Mann konnte nicht weiter reden, er wankte zu einem der gemauerten Fenstersitze, und stützte erschöpft und halb gebrochen den Kopf auf die Hand. Rambert schritt mit untergeschlagenen Armen erregt im Zimmer auf und ab, und lange Zeit wurde die Stille des Zimmers nur von den Tritten des Schreitenden unterbrochen.

Endlich fuhr sich Rambert mit der Hand über die Stirn, trat beruhigt vor Meusel hin, faßte die Hand des Alten, und sagte: »Meusel, Ihr habt gesprochen! Ihr seid ein altes Erbstück der Familie und dürft Euch etwas erlauben. Ihr habt sogar in gewissem Sinne gut gesprochen. Jetzt laßt mich auch reden. Für's Erste gebe ich Euch das Versprechen, eine Wartezeit von vier Wochen versuchsweise im Hause auszuhalten, dann wollen wir weiter sehen. Ferner enthebe ich Euch der Verpflichtung, während dieser Zeit über einen möglichen Verkauf zu grübeln oder nach einem Käufer zu forschen.«

Meusel athmete auf, und sah Rambert mit einem dankbaren Blicke an. »Drittens,« fuhr der Letztere fort, »gebe ich Euch die feierliche Versicherung, daß ich Euch für einen Ehrenmann und für eine der besten alten Häute halte, die mir je vorgekommen sind; und schließlich will ich auf Euren Vorschlag eingehen, und mit Euch einen Gang durch das Haus, die Böden und Speicher machen. Doch nein – Ihr seid angegriffen, ich werde allein gehen. Trinkt ein Glas Wein und ruht aus. Ihr habt zu Nacht wenig geschlafen. Das Glas Wein – Ihr dürft es auch multipliciren oder noch andere Rechenkünste damit anstellen – das trinkt Ihr auf das Fortbestehen unserer alten Freundschaft! Und jetzt, mein altes, verteufelt eigensinniges Meuselchen, gebt mir das riesige Schlüsselbund, ich will einen Gang durch mein unbekanntes Reich machen!«

Meusel nahm das Hauptbuch unter den Arm und schritt langsam die Treppen hinunter. Er hatte einen schweren Schlag erhalten, so schwer, daß er ihn nicht nur in der Seele, sondern auch in allen Gliedern empfand. Er knüpfte im Herzen an einen Verkauf des Hauses so eine Art von Untergang der Welt an, und dachte mit Entsetzen über die Frist von vier Wochen hinaus, die sein Principal sich selbst gesetzt hatte. Und doch, wie wohlthuend war es ihm, daß Rambert ihn schließlich sein »Meuselchen« genannt hatte! Er ließ sich so gern von ihm hänseln und necken, denn er liebte ihn zärtlich. War's doch der Erbe des Hauses, in welchem all sein Streben, sein Sinnen und Denken aufging, und war's doch ein Jüngling von so vortrefflichen Eigenschaften, die durch seine Thätigkeit bei dem nächtlichen Brande ein nur noch glänzenderes Licht erhalten hatten. Er beschloß, Alles dran zu setzen, ihn für die Leitung des Hauses und der Geschäfte zu gewinnen, und plötzlich schoß es ihm durch den Sinn, seinen Bruder dabei um Hülfe anzusprechen. Rasch und mit dem heißesten Segenswunsche trank er das ihm verordnete Glas Wein, und schickte sich an, den Dr. Musculus auf einige Minuten zu besuchen.

Rambert stieg indessen die Treppe hinauf, welche in das zweite Stockwerk führte. Hier fand er einige Zimmer, die noch wohl eingerichtet waren, während in anderen alter Hausrath umherstand, dessen Nutzen ihm nicht klar wurde, obschon manches Stück einer Hausfrau überaus schätzenswerth erscheinen mochte. Die nächste Stiege, welche in den schon schmäler werdenden Giebel führte, brachte ihm des Interessanten noch weniger. Da standen alte Kisten und Kasten, zerbrochene Stühle und andere derartige Gegenstände.

Ein Schrank fiel ihm auf, der, ziemlich hoch und dabei roh gearbeitet, an der Wand lehnte. Es war ihm, als müsse sich an diesen Gegenstand eine Erinnerung aus der Knabenzeit knüpfen, ohne daß er jedoch gleich darauf kommen konnte. Noch einige knarrende Treppen bis auf den Oberboden stieg er hinauf und wieder hinab, und stellte sich dann auf's Neue vor den räthselhaften Schrank hin. Was war's, das ihn an diesen, nur durch seine Höhe merkwürdigen, sonst aber so unscheinbaren hölzernen Hausveteranen fesselte? Halt! Aus seinem Gedächtniß tauchte plötzlich eine der anerkennenswerthesten Ohrfeigen empor, und – richtig, auf diesen Schrank hatte er einst ein kleines Mädchen gesetzt, Martha, das Töchterchen der Frau Barbara. Dann hatte er, um sie zu necken, die Leiter, auf welcher Beide hinaufgestiegen, weggenommen und war davon gelaufen. Andere Gegenstände hatten darauf seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, und erst spät Abends, als die angsterfüllte Mutter das Kind lange vergeblich gesucht, hatte er sich ihrer erinnert, und die Suchende zu der vom Weinen und in der Dunkelheit vor Angst halb todten Kleinen geführt. Er war in diesem Augenblick mit der einstigen Ohrfeige seines würdigen Herrn Vaters völlig einverstanden. Was aber mochte aus der kleinen Martha geworden sein?

Mit dieser Frage, die ihn freilich nur flüchtig berührte, stieg er die Treppen wieder hinab, um im Nebengebäude die eigentlichen Geschäftsräume zu betrachten. Gesellen und Arbeiter grüßten ihn freundlich, aber mit jenem Ernste, der dem Herrn gebührt, welcher nach langer Abwesenheit das Haus einmal vom Boden bis zum Keller revidirt. Er sah sie regsam und in voller Thätigkeit, und doch konnte er ihrer Arbeit nur geringe Theilnahme schenken. Auf den Böden fand er große Quantitäten von Farbehölzern aufgeschüttet, andere trockene Farbestoffe in Fässern, und eine Menge Geräthschaften, deren Zweck er als Knabe wohl erfahren, aber längst wieder vergessen hatte.

Nach dieser Wanderung trat er auf eine der hölzernen Galerieen hinaus, von welcher Treppen zum Flusse hinunter führten. Hier eröffnete sich ihm ein Ueberblick über die Rückseite einer Häuserreihe am anderen Ufer, der in seiner Verwirrung von hervorspringenden Ecken, schiefen, hohen und niederen Dächern, Treppen, Galerieen und moderfarbigen Wänden, ihm so wenig anmuthig als möglich däuchte. Noch immer hing hier wie vor Jahren an den lang hervorspringenden Stangen seines Hauses der blaue Tuchstreifen neben dem rothen, und der schwarze neben dem grünen, als wären sie niemals abgenommen worden; alle aber schienen sich bei seinem Heraustreten zu bewegen, wie flatternde Fahnen, und zurufen: »Willkommen, Herr des Hauses! Wer lang hat, läßt lang hängen! Bleib' hier und schaffe, daß noch viele unseres Gleichen hier in Lüsten und Sonnenschein trocknen!« – Während Rambert auf der Galerie hin und her schritt, bemerkte er einige Stäbe derselben, welche er einst mit bunter Farbe angestrichen hatte.

Ueberall fand er Erinnerungen, die ihn festzuhalten schienen, die ihn zurück forderten und ihn in den heftigsten Streit seiner Empfindungen versetzten. »Und was liegt denn an diesem alten Gemäuer und Holzwerk?« sagte er zu sich selbst. »Wär' es denn ein so großes Unglück, wenn das, was zweihundert Jahre meiner Familie gehört hat, in andere Hände überginge? Wenn ich, dem dieser lästige Besitz gehört, dieses Unglück nicht erkenne, was kann mir daran liegen, wie Andere darüber denken? Das ganze Haus hab' ich durchstöbert, und nichts gefunden, was mir bewiese, daß gerade ich in seinem Besitz bleiben müsse. Was also sollte ich hier? Das bürgerliche Leben reizt mich nicht, stößt mich im Gegentheil ab. Ist es da nicht ein Unrecht, wenn ich mich von alten Vorurtheilen festhalten lasse, und hier mein Leben in die lästigsten Schranken zwänge? Und was würden meine Kriegskameraden sagen, wenn ich einen so hausbackenen dummen Streich machte? Und – Richilde! Unmöglich – dieses Haus und sie, in ihrer stolzen, königlichen Schönheit! Es geht nicht, es geht nicht!«

In diesen Gedanken wurde er unterbrochen durch die Nachricht, daß im Vorderhause Jemand sei, der ihn zu sprechen wünsche. Es war ein Bote von Fräulein Richilde, welche ihn zu einem Spazierritt auffordern ließ.

Obgleich Rambert noch am Abend vorher den Entschluß gefaßt hatte, jede Annäherung an das Fräulein fortan zu vermeiden, so konnte er jetzt doch dem Drange nicht widerstehen, ihrer Aufforderung zu folgen. Er ließ sein Pferd satteln und beeilte sich, seine Hauskleidung mit einer besseren zu vertauschen. Meusel kam eben von seinem Besuche zurück, als er seinen jungen Herrn gestiefelt und gespornt die Treppe herab kommen sah. »Hört, Meusel,« sagte dieser im Vorübergehen, »ich will, daß an die in der letzten Nacht Abgebrannten eine Geldsumme vertheilt werde. Ich selbst würde ihnen vielleicht zu viel oder zu wenig übermachen, was verstehe ich davon! Drum überlasse ich Euch die Sache. Richtet das nach Gutdünken ein, aber ohne Knauserei – ich habe jetzt keine Zeit, ich will ausreiten.« –

Mit diesen Worten schwang er sich in den Sattel und sprengte die Straße entlang, verfolgt von den neugierigen Blicken der Nachbarn. Meusel gerieth über diesen Auftrag in nicht geringe Verlegenheit. Hatte er gleich seit einigen Jahren fast selbstständig mit dem Vermögen des Hauses geschaltet, so trat seine Gewissenhaftigkeit jetzt, da der Erbe daheim war, einem solchen Thun lebhaft entgegen, zumal seine und Ramberts Ansichten über Viel und Wenig, wie er wußte, sehr verschieden waren. Dennoch mußte er nach einigem Ueberlegen eine Verfügung treffen, obgleich er voraussah, daß sein Principal nicht damit zufrieden sein werde.

*

Drittes Capitel.

Richilde stand an einem Fenster im Hause des Bürgermeisters, ihres Verwandten, und blickte die Straße entlang, welche Rambert herauf geritten kommen mußte, während eine Zofe noch Einiges an ihrem Reitanzuge ordnete.

»Wollt Ihr das schwarze Federhütchen aufsetzen, gnädiges Fräulein, oder das Sammtbarett?« fragte die Zofe. Richilde schien die Frage zu überhören, sie blickte, in Gedanken verloren, hinaus, und es schien, als ob ihre Augen in dieser Minute keinen bestimmten Punkt festhielten, sondern, nach innen gewandt, im Herzen eine reichere Beschäftigung fänden. So entschied die Zofe sich denn für das Federhütchen, welches sie auf dem schönen Haupte des Fräuleins befestigte. Hierauf ging sie im Zimmer einer schweigenden Thätigkeit nach, bei welcher sie zuweilen mit einem forschenden Blicke verstohlen nach der Herrin hinschielte.

»Sagtest du nicht etwas, Brigitte?« rief das Fräulein nach einer langen Pause, wie aus Träumen erwachend.

»Nein, nein!« entgegnete die Zofe, welche eine nochmalige Aenderung am Anzuge des Fräuleins zu vermeiden wünschte. »Doch, doch!« fuhr sie, schnell in eine andere Bahn des Gesprächs einlenkend, fort: »vor einer halben Stunde sprach ich wieder ein paar Frauen, die neue Wunderdinge erzählten von der Aufopferung des Junkers Rambert bei dem nächtlichen Feuer.«

»So!« entgegnete Richilde, sich zur Gelassenheit zwingend, »was sagten sie denn?«

»Ei, sie meinten, er müsse durch und durch feuerfest sein,« log die Zofe. »Er habe Rauch geschluckt, daß jeder Andere auf der Stelle des Todes gewesen wäre. Drei Frauen habe er aus den Flammen getragen, und Kinder ein halbes Schock. Endlich habe noch ein wunderschönes Mädchen im Feuer um Hülfe geschrieen. Da sei er ganz außer sich gerathen, und mit den Worten: ›Ich komme, Geliebte, ich komme!‹ habe er sich in das brennende Haus gestürzt. Als er sie glücklich heraus brachte, hing sie an seinem Halse, und war gar nicht wieder los zu kriegen – ach, das soll so rührend gewesen sein!«

»Ganz gewiß!« sagte das Fräulein gelassen, »er hat recht gethan. Unsere Ballherren hüteten sich wohl, es ihm nach zu thun.«

Brigitte war schon im Begriff, durch neue Uebertreibungen und Lügen ihre Herrin zu quälen, als ein Hufschlag die Straße herauf dröhnte. Richilde that einen schnellen Blick hinaus, schritt die Stiegen hinab, und schwang sich nach kurzer Begrüßung Ramberts auf ihr schon bereit stehendes Pferd. In raschem Trabe flogen Beide zum Thore hinaus. Es war ein schöner Anblick, als die beiden kühnen jugendlichen Gestalten dahinsaus'ten. Keines schien jedoch Lust zu haben, zuerst das Wort zu nehmen, und so mußte einige Zeit lang der schnelle Ritt das Schweigen beschönigen. Richilde hemmte zuerst die Eile des Trabes, indem sie zu ihrem Nachbar sagte: »Ihr habt eine mühevolle Nacht gehabt!«

»Und das Ballvergnügen ist Euch durch das Feuer wohl auch etwas verkürzt worden?« entgegnete Rambert schnell.

»Freilich, es war schade!« meinte die Dame. »Ich tanzte gerade mit dem Herzog von Lauenburg. Wir sprachen auch von Euch.«

»Von mir? Aber sicherlich nichts Gutes!«

»Dazu hatte ich freilich keine Gelegenheit!« bestätigte Richilde. »Der Herzog erging sich allerdings in großen Lobeserhebungen, brachte wieder die Geschichte Eurer Heldenthaten vor, wie Ihr in der Schlacht bei Soldau die Hauptschanze des Feindes genommen, und dergleichen oft gehörte Stückchen. Ich hielt geduldig aus; als er sich aber auch über Eure persönliche Liebenswürdigkeit verbreiten wollte, da konnte ich nicht umhin, ihn eines Besseren zu belehren.«

»Und überzeugtet ihn natürlich völlig!« sagte Rambert. »Was gilt's, schönes Fräulein, Ihr habt dem Herzog über meine persönliche Liebenswürdigkeit gar nichts gesagt! Ihr habt mich nicht gelobt und nicht getadelt, sondern darüber geschwiegen. Eben weil Ihr von meiner Unliebenswürdigkeit zu sehr überzeugt waret, eben darum habt Ihr geschwiegen! Die Hand auf's Herz, hab' ich nicht Recht?«

Richilde lachte. »Eine Mitteilung habe ich ihm jedenfalls gemacht,« fuhr sie fort, »über die er sich höchlichst verwunderte. Nämlich die, daß es heiße, Herr Rambert wolle seiner Heldenlaufbahn entsagen und sich in eine bürgerliche Stellung begeben. Ist's nicht eine Tuchfärberei, oder so etwas?«

Rambert empfand diesen Stich nur zu tief. Seine Wangen glühten, er biß sich auf die Lippen, um seiner Aufwallung Herr zu werden.

»Es ist so etwas, allerdings!« entgegnete er nach einer Pause leichthin. »Und warum sollte ich's nicht thun? Das stolze Fräulein Richilde hätte dann die schöne Erinnerung, einmal in ihrem Leben mit einem verkappten Tuchfärber auf vertraulichem Fuße gestanden zu haben, eine Erinnerung, die freilich stets etwas düster gefärbt sein würde! O, es war eine arge Täuschung!« lachte er, »als ein gewisser Rambert, bei Gelegenheit einer Gesandtschaft, an den Hof nach Braunschweig kam, und auf dem Balle von dem Fräulein von Schauenburg für einen adeligen Herrn genommen wurde! Als sie sich dann öfter wiedersahen – und, kurz und gut, als sich nach dem Friedensschlusse ein ganz gemeiner hildesheimer Färbermeister in ihm ergab!« ….

Richilde schwieg lange Zeit, endlich sagte sie ernster: »Rambert, wollen wir ein vernünftiges Wort mit einander reden?«

»Ich zweifle, daß wir's können!« sagte er.

»Eure Familie hat ein bürgerliches Gewerbe getrieben,« fuhr sie fort, ohne auf seine Antwort zu achten, »sie ist aber auch vielfach, wie ich gehört habe, aus ihren Schranken heraus und in die Verwaltung der Stadt getreten. Wie dem auch sei, Ihr scheint mir weder für das Eine, noch für das Andere berufen. Ihr gehört in andere Kreise, das habt Ihr überall bewiesen. Schon mancher bedeutende Kriegsheld ist aus bürgerlichen Verhältnissen hervorgegangen. Er war tapfer, hatte ritterlichen Sinn, machte sich im Kriege verdient, erregte die Aufmerksamkeit der Fürsten, und wurde für seine vielfachen kriegerischen Verdienste endlich vom Kaiser zu den höchsten Ehrenstellen erhoben.«

»Bis dahin« – fiel Rambert schnell ein – »mußte er aber wahrscheinlich warten, bis ihm ein Ritter-Fräulein die Hand reichte?«

»Muß denn das der Schluß sein?« fragte Richilde.

»Ihr habt Recht, das in Zweifel zu lassen,« entgegnete Rambert, »dadurch bleibt der Betreffende in gehöriger Spannung, und wenn er am Schlusse ausgelacht wird, so – ist es dem Tropf ganz recht! Doch Ihr müßt mir noch erzählen, wie sich gestern Abend bei der fatalen Unterbrechung der Ball verlaufen hat.«

Mit diesen Worten gab Rambert dem Gespräch eine andere Wendung, das sich von nun an in den Formen des leichten oder auch leichtfertigen Scherzes bewegte, wobei man die beiden Gefährten oft lachen hören konnte. –

Als sie bei ihrer Rückkehr zum Thor herein ritten, bemerkte Rambert am Fenster eines niedrigen kleinen Häuschens ein Mädchengesicht, dessen Züge ihm auffielen. Er erinnerte sich, daß dies das bescheidene Besitzthum der Frau Barbara sei – sollte die kleine Martha so schön geworden sein? –

Schweigend ritt er an der Seite des Fräuleins durch die Straßen, und auch dieses schien des leichten Gespräches überdrüssig zu sein. So langten sie vor dem Hause des Bürgermeisters an, wo Rambert aus dem Sattel sprang und Richilden behülflich war, vom Pferde zu steigen. Sie nahm seinen Dienst an und sagte mit leiser Stimme: »Rambert, gedenkt meiner Worte!« worauf sie schnell im Hause verschwand.

Rambert gedachte ihrer Worte. Das Ziel, welches sie ihm als erreichbar zeigten, lockte ihn nur zu sehr. Seine Sehnsucht flog mit ausgebreiteten Flügeln jenen Kreisen des bewegten Welttreibens entgegen, und doch verletzte ihn die Art, wie Richilde ihm den Lebensweg vorgezeichnet hatte. Ihre Hand schien ihm, wenn er mit seinen Gedanken allein war, des höchsten Preises werth, kein Kampf däuchte ihn zu schwer, der ihm ihren Besitz versprach, und doch schied er nach jeder Begegnung von ihr mit dem Gefühle einer gewissen Erbitterung. Die Vertraulichkeit Beider war einst eine innigere gewesen. Erst nachdem Rambert ihr seine bürgerlichen Verhältnisse mitgetheilt hatte, war ein Ton der Neckerei in ihre Gespräche gekommen, welcher immer mehr den Charakter der Gereiztheit und des Ernstes annahm, und gewöhnlich durch Kälte und Leichtfertigkeit verdeckt wurde.

Rambert wußte, daß sie ihn anspornen wollte, sich kriegerische Lorbeeren zu erwerben, er ahnte, daß er nur auf diesem Wege zu ihrem Besitze gelangen konnte, und um so unleidlicher mußte ihm der Gedanke erscheinen, sich durch das bürgerliche Leben fesseln zu lassen. Heute aber verließ er sie in einer Stimmung, die an Gleichgültigkeit grenzte. Nicht als ob er sich vorgenommen hätte, ihr zum Trotz die Tuchfärberei zu betreiben – nein, er beschloß, der ausgezeichnetste Feldherr seiner Zeit zu werden, und – sie aus Rache sitzen zu lassen.

Als Rambert in seiner Wohnung anlangte, fand er im Zimmer seines Vaters den Dr. Musculus, welcher in Erwartung des jungen Hausherrn, seines Schülers, in einigen Büchern, die er aus dem Schranke genommen hatte, blätterte. Der Doctor war ein kleiner, schmächtiger Mann mit sanften Gesichtszügen, aber sehr lebendigen braunen Augen, die, verbunden mit einem feinen Zuge um den Mund, ihm zu Zeiten den Ausdruck der Verschmitztheit geben konnten. Er ging dem Eintretenden mit lebhafter Freude entgegen, und begann:

»Ich habe mir's in Eurer Abwesenheit hier schon bequem gemacht, lieber Rambert, und will Euch nur gleich sagen, daß ich gekommen bin, mich bei Euch zum Abendessen einzuladen.«

»Sehr willkommen!« entgegnete Rambert; »aber ich zweifle, daß in meinen vier Mauern Etwas zu haben ist, das eines solchen Gastes würdig wäre.«

»Darüber seid ganz ruhig,« sagte Musculus, »ich habe Frau Barbara herbestellt, und selbst den Küchenzettel gemacht. Es ist bereits Alles im Gange, und Barbara versteht ihre Sache. Ich bin ein alter Junggesell, ein Gutschmecker dazu, und pflege mich nicht tollkühn zu einer Mahlzeit anzubieten, über deren Qualität ich nicht völlig beruhigt bin. Wir werden ein Fischchen haben, dann ein Hühnchen, und endlich ein Brätchen, und Ihr sollt finden, daß Ihr einen recht guten Tisch führt. So war's zu Lebzeiten Eures Herrn Vaters, so muß es auch ferner sein.«

»Vortrefflich! Aber Wein! Wein!« rief Rambert, indem er nach der Thüre eilte, um welchen zu bestellen.

»Ohne Sorgen, mein lieber Rambert!« sagte der Doctor, ihn zurückhaltend: »Ohne Sorgen! Ich kenne den Weinkeller Eurer Familie von Alters her, und war selbst unten, um die vorzüglichsten Sorten auszuwählen. Dort unterm Tische steht der Korb mit mehreren Henkelkrügen und Bechern.«

»Immer besser!« entgegnete Rambert, sehr vergnügt über den alten Herrn, indem er den Korb erhob und die Krüge auf den Tisch stellte. »Ihr kommt mir auf das Beste zu Hülfe, da ich die Schätze meines Hauses selber nicht kenne. Laßt uns, ehe Frau Barbara uns den Imbiß bringt, untersuchen, welche Sorte die vorzüglichste sei.«

»Ich dächte, zuvörderst Burgunder!« meinte Musculus, indem er sich behaglich in den Lehnstuhl niederließ.

Rambert goß die duftende, purpurne Fluth in den silbernen Becher, und reichte ihn dem Doctor, welcher erst nippte, dann mit eingekniffenen Augen zu schlürfen begann, und endlich den Becher niedersetzte mit den Worten: »Ein alter Bekannter! Er hat sehr gewonnen.«

Rambert nahm nun ebenfalls Platz, und da es ihm willkommen war, sich durch ein Gespräch fesseln zu lassen, und der Doctor mit der Absicht, viel zu besprechen, erschienen war, so kam bald die lebhafteste Unterhaltung in Gang.

Musculus hütete sich, Ramberts Verhältniß zu den Geschäften des Hauses in den Vordergrund des Gespräches zu bringen, er hoffte auf ganz anderem Wege zum Ziele zu kommen. So begann er denn mit den Ereignissen der letzten Nacht, lobte seinen ehemaligen Schüler höchlich für seine hülfreiche Thätigkeit, und brachte ihn dann selbst auf die Ereignisse des Krieges, die er sich von Anbeginn bis zu Ende erzählen ließ. Er schien völlig damit einverstanden, daß der Gegenstand seiner einstigen gelehrten Bestrebungen den Studien den Rücken gewandt habe, er zeigte durch Zwischenfragen ein so reges Interesse für die Abenteuer des Krieges, daß sein Wirth in die beglückteste Erzählungs-Stimmung kam und in seinem Herzen den Doctor für den liebenswürdigsten Mann der Welt erklärte. Dieser sprach dem Burgunder, wie jener seinen Erinnerungen, mit Hingebung zu, und füllte sich den Becher eigenhändig, wenn der Erzähler es in der Gluth der Schilderung vergaß.

So überraschte sie die tiefe Dämmerung, und endlich wurde es finster um sie her. Die alten Bilder schienen aus der Dunkelheit herauszutreten und sich am Tische zu versammeln, damit ihnen keines der geliebten Worte ihres jüngsten Enkels verloren ginge, zugleich aber, um dem alten Freunde des Hauses leise ins Ohr zu flüstern: Halt ihn! halt ihn bei uns! Die alten Schränke gaben ihre Freude über die neu beginnende Geselligkeit im Zimmer von Zeit zu Zeit durch ein gedämpftes Knacken zu erkennen, und immer dichter webte sich der träumerische Schleier häuslichen Behagens um die Sprechenden. Der Alte schien zu verstehen, was leise um ihn wehte, flüsterte und durch die Dämmerung ging; er nickte still mit dem Kopfe, hob den Becher und trank ihn aus mit dem Gedanken: Auf daß er bleibe!

Da wurde die Thür geöffnet, und ein blendender Lichtstrahl scheuchte die Dämmerung in die fernsten Ecken zurück. Meusel erschien mit einem schweren Armleuchter, auf welchem drei Kerzen brannten, und Frau Barbara folgte, um mit weißem Linnen den Tisch zu decken. Meusel setzte sich als Dritter zu Tische, und bald erschien das Fischchen, das Hühnchen und das Brätchen, und der Burgunder mußte dem königlichen Rüdesheimer weichen. Frau Barbara hatte ihre Sache vortrefflich gemacht, und Rambert spielte seine Rolle als angenehmer Wirth mit vielem Eifer. Er war in der besten Laune, neckte sich mit Meusel, und lachte mit Musculus über manche Auftritte vergangener Jahre, in welchen er verurtheilt war, sich bei dem Doctor zum berühmten Gelehrten auszubilden.

Musculus lehnte sich, nachdem er seine Mahlzeit beendet hatte, im Armsessel zurück, und begann in behaglichem Tone: »Ja, ja, da sitzen wir einmal wieder im alten Zimmer beisammen, wie das bei Lebzeiten Eures Herrn Vaters so oft geschah! Auch da sprachen wir oft von Krieg und Fährlichkeiten, wenngleich wir meist die Feldzüge des neuen Geistes, der so mächtig schaffend, in Deutschland seine Siege feiert, mit unseren Gedanken verfolgten. Nun, bei Euch, lieber Rambert, ist das anders. Ihr zieht das Treiben der ehernen Waffen dem der geistigen vor – die menschlichen Naturen sind eben verschieden! Es war ein guter Gedanke von mir, Euch heut zu überraschen, denn lange werdet Ihr wohl nicht in Euren väterlichen Räumen verweilen. Wann denkt Ihr uns wieder zu verlassen?«

Meusel warf seinem Bruder einen bedenklichen Blick zu, Rambert aber entgegnete: »Am liebsten schon in den nächsten Tagen. Doch leider habe ich jenem abscheulichen kleinen Ungethüm, Meusel genannt, erst heute früh versprochen, ganze vier Wochen auszuhalten.«

»Das ist allerdings ein leichtsinniges Versprechen,« sagte der Doctor, »und ich zweifle, daß Ihr es erfüllen könnt. Was sollt Ihr hier im Hause? Die bürgerlichen Geschäfte liegen Euch fern, die Arbeit des Hauses flößt Euch keine Theilnahme ein, Ihr wißt weder oben noch unten darin Bescheid, und würdet durch eine plötzliche Betheiligung daran mehr aus dem Gange bringen, als befördern. Ihr habt kein Geschick dazu – es liegt eben nicht in Eurer Natur.«

Meusel wurde bei diesen Worten seines Bruders, die völlig wider die Abrede zu sein schienen, sehr unruhig, und da er durch einige Gläser Wein eine gewisse Kühnheit erlangt hatte, so rief er: »Aber Herr Rambert hat freiwillig sein Wort gegeben, und ich hoffe, er wird es als ein Ehrenmann halten!«

In Rambert selbst widersetzte sich eine Stimme dem Ausspruche des Doctors, daß er gar kein Geschick für das Haus habe, und darin mehr verderben als fördern werde. Die kurzen Stunden, in welchen er vor dem gelehrten Herrn hier den Wirth in seinem Eigenthume gemacht, hatte ihm eine Art von behaglichem Selbstbewußtsein gegeben, in welchem es ihm gar nicht so unmöglich erschien, den Geschäften des Hauses nach allen Seiten hin obzuliegen. Obwohl diese Regung noch ziemlich leise in ihm auftrat, so war sie doch plötzlich da, und er wunderte sich selbst darüber, daß er ihr nicht lebhafter entgegen zu treten vermochte.

»Meine vier Wochen« – sagte er darauf – »muß ich nun schon hier absitzen! Und wenn ich auf die Unterstützung zweier solchen Freunde rechnen dürfte, vielleicht wäre es dann doch noch möglich, mich in dieser Zeit nützlich zu machen.«

»Es käme auf die Probe an,« erwiderte Musculus. »Aber, mein werther Rambert, ich weiß Zeiten, wo ich oft verzweifelte, mit meinen Kräften Euch die Werke des Friedens angenehm und mundrecht zu machen. Euer beweglicher Sinn lief mir immer davon – doch vielleicht hat sich das geändert. Zuvörderst aber – wie wär's, wenn wir jenem dritten Krüglein, welches ich Eurem Keller entnommen habe, auch noch zu Leibe gingen?«

Während Rambert bereitwillig die Becher füllte, fuhr der Doctor fort: »Nach Ablauf dieser vier Wochen also denkt Ihr, gleich jenen Rittern, von welchen die Sagen uns melden, auf neue Abenteuer auszugehen? Vielleicht habt Ihr Euch einen bestimmteren Plan, als jene, für Eure Fahrt entworfen?«

»Es heißt,« sagte Rambert, »daß der Kaiser ernstlich wider Sickingen und seine Verbündeten rüste.«

»Hm!« murmelte Musculus, indem er seinen Becher von den Lippen absetzte. »Also wider Sickingen! Ich weiß nicht, ob Ihr Euch die Gründe dieser Fehde ganz klar gemacht habt. Wie ich die Sache sehe, ist das Recht auf Sickingen's Seite, und den Kaiser trifft der Vorwurf der schreiendsten Undankbarkeit. Wem hat Karl die deutsche Krone zu verdanken? Hauptsächlich den Bemühungen des mächtigen Ritters von der Ebernburg, um dessen Gunst Frankreich und England vergeblich buhlten. Wer hat dem Kaiser jene ersten großen Summen, die er bei seiner Thronbesteigung brauchte, vorgeschossen? Wiederum Sickingen. Wer hat seine Rechte in Deutschland vertreten? Wer seine Schlachten gegen Frankreich geschlagen? Ebenfalls Sickingen. Wir alle sahen in der Jugend unseres neuen Kaisers freudig eine neue bessere Zeit für Deutschland heraufziehen, aber seit dem Reichstage zu Worms sind wir enttäuscht. Ich will von den religiösen Conflicten für jetzt schweigen, und eben so von den Gesinnungen, welche Sickingen und sein Freund Hutten vertreten. Seht dort an der Wand die Bücher, die von ihnen ausgegangen sind, sie waren die Freude, das Entzücken Eures Vaters! Unsere Zeit liegt in gewaltigen Wehen, und ich sehe Tage kommen, wo das Unterste zu oberst gekehrt wird. Der Kaiser und die Reichsfürsten suchen die Kraft des Adels und der Städte zu brechen. Die Verbindung wider Sickingen ist sehr mächtig, und sehr möglich ist es, daß sein und der Seinigen Verderben gekommen. Wer sich zu ihm gehalten, wird dann unterliegen, seine Güter werden der Gegenpartei anheimfallen. Wer sich zum Kaiser oder seinen Bevollmächtigten hält, wird mit seinen Gütern bei dem ungeheuren Heeresaufwand aushelfen müssen, er wird das Seinige vergeuden, ja selbst der persönliche Ruhm, welchen er erlangt, wird nicht überall anerkannt werden. Männer von ausgesprochener Geistesrichtung, von hervortretendem Wesen sind auch auf der Seite der Reichsfürsten nicht mehr angesehen, und selbst die besten schwimmen endlich willenlos im allgemeinen Strome dahin.«

Musculus hatte ruhig, aber ernst gesprochen, und da Rambert, in welchem sich zwar mancher Gedanke des Widerspruchs regte, ohne daß er noch die Form der Entgegnung finden konnte, schwieg, fuhr der Doctor fort: »Während die Gedanken der alten und der neuen Zeit die Welt immer feindlicher bewegen, um endlich im blutigen Kampfe kriegerischer Parteien aufzulodern, ist es dem Bürger gegeben, den schönen Pflichten der Menschlichkeit, des Gesetzes und der Sitte nachzuleben. Nicht unberührt soll er bleiben von dem, was die Welt im Großen bewegt, aber er soll das, was sie zerrüttet, mit unscheinbaren, aber starken Waffen von seinen Mitbürgern abzuwenden suchen. Der Wohlstand ist die Grundlage für das Aufblühen der Städte. Wem von seinen Vätern ein Besitz übermacht worden ist, der hat die Pflicht, ihn zu erhalten, nicht allein für sich, nein, für das allgemeine Wohl. Denn um ihn werden sich die Bedürftigen schaaren, er wird ihnen behülflich sein durch Arbeit, Rath, Unterstützung. So wird sein Ansehen wachsen, er wird seiner Stadt von Nutzen, ja, er wird ihr nothwendig werden. Stellt sich so der Bürger der allgemeinen Verwirrung entgegen und sucht aufrecht zu halten, wo so Vieles stürzt, so ist seine Thätigkeit von Bedeutung für das Vaterland, und mehr werth, als wenn er sein Eigenthum draußen im Kampfe zersplitterte. Auch der Bürger braucht Kühnheit, Tapferkeit und hohe Gesinnung, auch die Aufgabe seines Lebens fordert einen ganzen Mann.«

Meusel saß mit gefalteten Händen da, ihm wurde fast andächtig zu Muthe, und es erfaßte ihn die tiefste Ehrfurcht vor seinem gelehrten Bruder. Dieser aber fuhr fort: »Freilich ist nun mancher Mensch anders angelegt. Nicht Jeder hat Bürgersinn, und es ließe sich wohl auch denken, daß Jemand, von ganz bestimmten Grundsätzen erfüllt, das Gegentheil vorzöge. Darüber zu streiten, wäre ein langes Capitel! – Doch ich glaube, es wird spät, die Bürgerstunde hat geschlagen. Nun, mein lieber Rambert,« sagte er, indem er sich erhob, »Euer vortrefflicher Wein hat mich schwatzen gemacht, ich habe allerhand Ansichten ausgesprochen, wiewohl ich einräume, daß man billig auch anders denken könne.«

Rambert aber faßte des Doctors Hand und sagte: »Alter Herr, ich habe Euch wohl verstanden! Ich will mich bedenken – noch aber habt Ihr mich nicht gefangen!«

Musculus verabschiedete sich darauf und schritt, von seinem Bruder begleitet, die Treppe hinab. An der Hausthür wandte er sich plötzlich und sagte: »Halt, daß ich's nicht vergesse! Wie viel ist in der Casse?«

Meusel nannte eine bedeutende Summe.

»Gut,« sagte Musculus, »halt' es beisammen! Ich habe einen Plan, dessen Ausführung Geld kosten wird. Der Grafenstand muß uns helfen!«

»Um Gottes willen!« rief Meusel, »was hast Du vor? Der Grafenstand?«

»Sei kein Thor!« entgegnete der Doctor. »Der Mai ist vor der Thüre – verstehst Du jetzt?«

Und Meusel verstand seinen gelehrten Bruder, und war seelenvergnügt über den neuen Plan.

Rambert ging aufgeregt im Zimmer auf und ab, als der kleine Mann wieder eintrat.

»Wartet nur,« sagte er, mit dem Finger drohend, »ihr alten schlauen Füchse habt Euch gegen mich verschworen, aber ich will Euch schon entgehen! Keine Widerrede! Schlaft wohl und träumt Euch ein ganzes Paradies von Rechen-Exempeln!«

Meusel ging, aber auf Ramberts Augen wollte sich noch lange, lange der Schlaf nicht senken.

*

Viertes Capitel.

Vierzehn Tage waren vergangen, die Aprilstürme hatten noch in den Mai hinüber geweht, aber nun versprach die weichere Luft die baldige Einkehr der schönen Blüthenzeit. Die Grasspitzen sprangen schon auf Wiese und Anger hervor, die Knospen der Castanienbäume dehnten sich im Saft, und an vielen Fenstern der Stadt sah man Sträuße von Schneeglöckchen stehen. Auch der alte Rosenstrauch an der Mauer des Domes, der damals schon fünfhundert Jahre zählte, dehnte und reckte seine alten Zweige, und dachte: Es geht noch! Von der Wurzel bis in die Zweiglein ist Alles noch frisch und gesund, und ein paar Hundert Jahre soll das Knospen und Blühen noch fortgehen! Und er hat es gehalten, denn noch heute steht der achthundertjährige Rosengreis in kräftiger Fülle da, bedeckt sich in jedem Frühling mit einem wogenden Meer von Blüthen, und hat auf der ganzen Welt nicht seines Gleichen an Kraft und Herrlichkeit.

Die fürstlichen und ritterlichen Gäste waren sämmtlich aus Hildesheim abgereist. Rambert hatte Manchem Lebewohl gesagt, Viele hatte er vermieden, denn er wollte über sein Zurückbleiben keine Verwunderung, und für sein Mitgehen keine Aufforderung hören. Aber mächtig zog es ihn den lebendigen Bildern der reisigen Gruppen nach, und er hatte Mühe, seiner Sehnsucht zu gebieten.

Richilde war in Hildesheim geblieben, obgleich dies nicht ihr ständiger Wohnort war. Noch ein Mal hatte sie Ramberts Begleitung bei einem Spazierritte gewünscht, noch einige Mal hatte er sie flüchtig gesprochen, jedes Mal war er nach den gewöhnlichen Neckereien in unbehaglicher Stimmung von ihr gegangen. Aber so oft er auch Willens war, sie aus seinem Herzen zu verbannen, es wollte ihm niemals gelingen.

Die Hälfte der Frist, die er sich selbst gesetzt hatte, war unter wenig Freuden und viel Mißbehagen vorüber gegangen. Er hatte das Hauptbuch durchstöbert, in dem Gefühle, einen Rattenkönig von Zahlen auseinanderwickeln zu müssen. Er hatte sich durch Meusel in sonstige Geheimnisse des Geschäfts einweihen, und über das Werk seiner Arbeiter, über die verschiedenen Hölzer, Fässer, Kübel, Bütten und sonstigen Gerätschaften belehren lassen. Meusel kam ihm darin mit fast fieberhaftem Pflichteifer zu Hülfe, ja, er suchte, da er seines Herrn Vorliebe für den Scherz kannte, manchmal spaßhafte Wendungen bei seinen Erläuterungen anzubringen, was dem kleinen Manne so komisch ließ, daß Rambert oft laut auflachen mußte. »Meusel, alter Hauskobold!« rief er dann, »es muß weit mit mir gekommen sein, wenn Ihr zu meiner Erheiterung den Hanswurst zu spielen unternehmet!« Und allerdings war seine Laune oft wild genug, so daß seine Arbeiter zuweilen darunter zu leiden hatten. Er hatte sich eine ungefähre Kenntniß der laufenden Geschäfte und Arbeiten erworben, war aber, wie alle Menschen, die eine Sache nur halb verstehen, sehr geneigt, jeden geringen Verstoß auf das Härteste zu rügen, um sein Verständniß in ein recht glänzendes Licht zu stellen, während der Kundige durch eine eben so geringe Wendung den Fehler ohne Umstände verbessert hätte. Ein Mal war er sogar in Gefahr, von den Gesellen wegen eines höchst auffälligen Irrthums ausgelacht zu werden, wenn Meusel ihm nicht schnell zu Hülfe gekommen wäre.

So kam er denn in seinem Hause in den Leumund eines sehr strengen Herrn. Doch fehlte es auch nicht an Gelegenheiten, die ihm Liebe und Achtung erwarben. Die Sorge, welche er für die abgebrannten Familien getragen hatte, war ruchbar geworden, und so wurde er, ohne es zu wissen, oder zu wollen, das allgemeine Stadtgespräch, bei welchem man an sein Zurückbleiben in der Stadt so manche Hoffnung knüpfte.

Indessen vergingen ihm die Tage langsam genug. Am Feierabend besuchte er zuweilen den Rathskeller, wiewohl ihm die Unterhaltung mit seinen Mitbürgern über die Angelegenheiten der Stadt keinen Antheil entlockte. Zuweilen gesellte er sich zu Musculus, ohne daß jedoch Beide das Gespräch über die öffentlichen Angelegenheiten wieder aufgenommen hätten. Zuweilen auch machte er sich über die kleine Büchersammlung seines Vaters, und schon zwei Mal war es vorgekommen, daß er sich einige Stunden darein vertieft hatte.

Eines Nachmittags strahlte die Sonne hell in seine Fenster, sie schien ihn heraus zu rufen, und er beschloß, einen Gang vor das Thor zu machen. Draußen begegnete ihm Christian, der ihn vergnügt anredete und ihn einlud, mit nach seiner Mühle zu wandern. Rambert ging darauf ein.

»Seht, Junker,« sagte Christian, »da kommen schon die Störche! Ein Paar Schwalben haben sich heute auch schon ein Fenster an meiner Mühle ausgesucht. Wartet einen Augenblick, ich will meinem Friedel hier schnell einen Haselstock abschneiden, man muß ihm immer Etwas mitbringen.«

Sie standen bei den Haseln, die überdeckt waren mit Blüthenkätzchen und grünen Knospen, welche sich in der weicheren Luftwelle und im Sonnenschein wiegten. Unter dem welken Laub, das die bemoos'ten Erlenstämme umgab, sahen blaue Veilchen in Menge hervor.

Die Jugendkameraden schritten einen leichten Hügel hinan, hinter welchem die Mühle lag.

»Christian,« sagte Rambert, »wie oft haben wir uns in dieser Gegend umhergejagt, Haselstöcke geschnitten und Krieg gespielt, wie oft haben wir uns beim Klettern die Kleider zerrissen! Was ist aus dem dicken Peter geworden, der überall zu ungeschickt war, und dessen armes Fleisch so oft das Opfer unserer Kampfeswuth wurde?«

»O, der ist noch dicker geworden!« entgegnete Christian. »Er hat seines Vaters Brauerei übernommen, ist übermäßig stolz auf sein Geld, und hat eine Frau geheirathet, die noch dicker ist, als er. Sie haut ihn aber, wie es heißt.«

»Also auch sie!« lachte Rambert. »Er scheint vom Schicksal dazu bestimmt zu sein. Ferner der Niklas Strobel – wo stolzirt der jetzt mit seinen Säbelbeinen?«

»Auch der ist zu vielem Gelde gekommen!« berichtete Christian. »Sein geiziger Ohm, von dem er abhing, ist gestorben und hat mehr hinterlassen, als Alle geglaubt hatten. Der Niklas hat studirt, und ist jetzt Schreiber im Rathe. Man sagt, er werde es noch weit bringen. Jetzt baut er sich ein großes Haus.«

»Und der lange Kunz?«

»Ach, schweigen wir von dem!« sagte der junge Müller mit Wegwerfung. »Der hat Streiche gemacht, daß man sich schämen muß, mit ihm einst Gemeinschaft gepflogen zu haben. Er ist ein Lump geworden. Erst hat er sein Vermögen zur Hälfte in der Stadt durchgebracht – und es war ein hübsches Vermögen! Hernach, wie er es so weit getrieben hatte, daß Jeder sich seines Umgangs schämte, hat er sein Haus verkauft und sich davon gemacht. Er ist in den Krieg gegangen, und da ist's bald alle geworden. Letzt war er in Hildesheim unter den Landsknechten des Braunschweigers. Ich mag nichts weiter sagen, aber wenn man den einmal am Galgen sieht, so ist's nicht zu verwundern!«

Rambert schwieg nach Anhörung dieser Schilderung einige Minuten still. Die Mühle war erreicht. Ihre Lage war nicht auffallend schön, aber sie konnte im Sommer, umgeben von hohen Bäumen und Gesträuch, mit dem rauschenden Bache, ein frisches, anmuthiges Plätzchen genannt werden.

Frau Liese empfing die Eintretenden mit einigem Schrecken, dann aber, nachdem sie erfahren, wen ihr Christian mitgebracht habe, mit verlegener Freude. Der Gast ließ sich Brod, Käse und ein Glas Milch gern gefallen, und eine Stunde verging unter Gesprächen aus der Knabenzeit. Frau Liese, an deren Kleidern sich die Kinder festhielten, hörte an einem etwas entfernteren Platze, aufmerksam zu. Rambert gewann die Herzen der jungen Gatten noch mehr, als er ihren Aeltesten, ein kleines dickes Geschöpf, auf das Knie nahm und reiten ließ. Mit dem Versprechen, seinen Besuch zu wiederholen, verließ er die Mühle.

Auf dem Heimwege, den er allein antrat, bedachte er seine Lage von allen Seiten. Es schien ihm wohl thunlich und billig, daß sein väterliches Gewerbe fortgeführt werde, aber es machte ihn mißmuthig, daß gerade er dazu auserkoren sei, den es eine unsägliche Last däuchte. Zwei Reiter trabten an ihm vorüber. Sie lachten und sprachen laut miteinander. Er sah ihnen seufzend nach, und seine Augen hafteten noch lange an der Stelle, wo der Wald ihm ihren Anblick entzogen hatte. Endlich fuhr er auf, stampfte mit dem Fuße auf den Boden und rief: »Meusel mag's fortführen – ich halt's nicht aus!«

Als er in die Stadt zurückkam, und den Blick über die ersten Häuser am Thore gleiten ließ, erkannte er wiederum Barbara's Häuschen, und beschloß, die bescheidenen Räume, die er als Knabe hin und wieder besucht hatte, zu betreten. Das Haus war einstöckig, hatte aber sein Giebelchen, wie alle seine Brüder in der Reihe. Rambert überschritt die Schwelle, klopfte an die Thüre, und als nach abermaligem Pochen ihn Niemand aufforderte, einzutreten, nahm er sich die Freiheit, die Thüre zu öffnen. Niemand war im Zimmer. Bei aller Bescheidenheit der Einrichtung herrschte in diesem kleinen Raume die größte Sauberkeit, und man sah es ihm an, daß seine Bewohnerinnen ihre Dürftigkeit doch in das Gewand der Anmuth und des Geschmackes zu kleiden strebten. Blendend weiße Vorhänge hingen an den niedrigen Fenstern, durch deren reinliche Scheiben die letzten Strahlen der Sonne fielen. Beide Fenster waren voll von Blumentöpfen. Goldlack, Nelken und Rosen standen in Blüthe und erfüllten das Zimmer mit Duft, während ein Zeisig und ein paar Hänflinge im Bauer zwitscherten.

Rambert sah sich einige Augenblicke um, und da Niemand erscheinen wollte, hatte er die Kühnheit, in einen Wandschrank zu blicken, dessen Thürchen geöffnet stand. Er erblickte mehrere Reihen Bücher. Was ist das? dachte er, dergleichen hätte ich hier nicht erwartet! Er nahm einige derselben heraus, las auf den Titeln die Namen Huttens und Anderer, die sich gleichfalls in seines Vaters Sammlung befanden, und sah endlich in einem dieser Bücher den Namen Musculus eingeschrieben. Also der, dachte er, setzt sein Schulmeisteramt hier bei den Weibern fort! Schließlich gewahrte er ein in Nürnberg gedrucktes Liederbuch, und setzte sich damit an's Fenster, wo auf dem Tische ein Nähzeug bekundete, daß Frauenhände noch kürzlich hier thätig gewesen waren. Zehn Minuten mochte er geblättert haben, als er hörte, wie im Nebenzimmer eine Thüre geöffnet wurde, und bald darauf Jemand geschäftig darin umherging. Es war ein leichter, huschender Tritt. Ein Schlüssel wurde gedreht, der Deckel einer Truhe schien geöffnet zu werden, und eine helle fröhliche Mädchenstimme fing bei großer Geschäftigkeit an zu singen:

Ich stund auf hohen Bergen
Und sah ins tiefe Thal,
Ein Schifflein sah ich fahren,
Darin drei Grafen war'n.

Das Uebrige wurde nur gesummt, aber deutlicher war dann die Stelle zu verstehen:

Und als er kam vor's Kloster,
Gar leise klopft er an,
Wo ist die jüngste Nonne,
Die zuletzt ist kommen an?

Die Antwort auf diese Frage blieb aus, die Theilnahme für die Nonne schien zu schwinden, dagegen versetzte die Sängerin sich plötzlich an die Stelle eines Kriegers und sang in lustigster Weise:

Steh' ich im Feld,
Mein ist die Welt.
Bin ich nicht Officier,
Bin ich doch Grenadier.
Steh' in dem Feld wie er,
Weiß nicht, was besser wär',
Juchhe, ins Feld,
Juchhe, ins Feld!

Gleich darauf folgte eine gesummte Tanzweise, und daran schlossen sich unvermittelt die melancholischsten Töne des Liedes:

Kein Feuer, keine Kohle
Kann brennen so heiß,
Als heimliche ….

Da brach das Lied ab. Ein Kastendeckel wurde zugeworfen, ein Schlüssel gedreht, die Thüre schnell geöffnet. O weh, welch ein Anblick, da saß ein Mensch, sogar ein Mann!

Rambert sprang auf, das Buch fiel zu Boden. Er bückte sich, und hob das Linnen auf, welches Martha vor Schreck hatte fallen lassen. Sie stand da, wie übergossen von Scham, das Antlitz bis unter die goldenen Zöpfe, die von den Schläfen herabfielen, geröthet.

»Ei, ei, kleine Martha,« begann Rambert, »wenn Ihr Thür und Thor so offen stehen laßt, müßt Ihr gewärtig sein, daß Euch ein Dieb in's Haus schleicht!«

»Ich war nur auf dem Boden,« stotterte Martha, sich entschuldigend, »um etwas Linnen zu suchen.«

Sie stand, wie an die Stelle gefesselt, mit klopfendem Herzen und niedergeschlagenen Augen da, und konnte kein Wort weiter hervorbringen. So fing denn Rambert von Neuem an: »Ihr seid recht groß geworden, kleine Martha!« Er wollte eigentlich sagen: schön, doch fiel ihm glücklicher Weise ein, daß das die Verwirrung des jungen Mädchens noch vermehren könnte. »Ich glaube,« fuhr er fort, »Ihr kennt Euren Jugendkameraden nicht mehr!«

»O ja,« entgegnete Martha, indem sie lächelnd zu ihm aufblickte, »ich kenne Euch noch. – Wo nur die Mutter bleibt!« fügte sie mit einem ängstlichen Blicke nach der Thüre hinzu, »ich glaube, sie wird in Eurem Hause sein.«

»Fürchtet Ihr Euch denn vor mir?« fragte Rambert., »Scheut Ihr Euch, mit mir allein zu sein? Ich bin nicht schlimmer geworden, als da ich hier war, hier habt Ihr meine Hand darauf!«

Martha war schnell mit ihren Händen auf dem Rücken, und sah ihn, indem sie sich ein Herz faßte, schalkhaft an. »Dann seid Ihr noch gerade schlimm genug!« sagte sie. »Es war gar nicht recht, so hereinzutreten, und sich an's Fenster zu setzen – und da habt Ihr gar den Schrank aufgemacht! Doch, da höre ich die Mutter auf der Schwelle!«

Eilig ging sie zur Thüre und öffnete. Frau Barbara machte beim Anblick des unvermutheten Gastes erstaunte Augen, schien aber, als sie ihn erkannte, erfreut über seinen Besuch.

»Viel Ehre, Herr Rambert!« sagte sie. »Es freut mich, daß Ihr meine Wohnung nicht vergessen habt.«

»Beinahe hätte ich sie wieder verlassen müssen,« entgegnete Rambert. »Die kleine Martha – nein, verzeiht, die Jungfrau Martha, muß man jetzt sagen – die hätte mich am liebsten gleich wieder weggeschickt!«

»Ja,« sprach Barbara, »das ist ein großes Mädchen geworden! Nun, Herr Rambert, wenn Ihr's nicht übel nehmt, setz' ich mich an meine Arbeit, sie muß heute noch fertig werden.«

»Niemand lasse sich stören,« sagte er. »Ich setze mich dazu, und wir plaudern ein Weilchen.«

Barbara setzte sich an's Fenster, um das letzte Tageslicht für ihre Arbeit zu benutzen. Rambert rückte sich einen Stuhl zu ihrem Platze hin, während sich Martha etwas entfernter mit ihrem Nähzeug hielt. Sie sprachen von vergangenen Zeiten. Rambert brachte alte lustige Geschichten in Erinnerung, bei welchen Martha, die seit der Rückkehr ihrer Mutter unbefangener geworden war, bald mehr und mehr aufthaute.

»Neulich habe ich auch den hohen alten Schrank auf dem Boden gesehen,« sagte Rambert, »auf den ich die kleine Martha einst setzte. Wißt Ihr wohl noch?«

»Gewiß!« entgegnete Martha, »ich weiß es noch, als wär's gestern geschehen. Erst spielten wir unten, dann locktet Ihr mich immer höher die Bodentreppe hinauf, und als das nicht so schnell gehen wollte –«

»Da nahm ich Euch auf den Arm und trug Euch hinauf,« fiel Rambert ein.

»Dann zeigtet Ihr mir allerlei Kisten,« fuhr Martha fort, »und erzähltet Geschichten davon, die mir ein tiefes Grauen erregten. Ich glaube, jedwede sollte eine Löwenhöhle sein, und Bären und Wölfe saßen in allen Ecken. Komm', sagtet Ihr, jetzt müssen wir fliehen! Da auf dem Felsen sind wir sicher! Ich sah keinen Felsen, aber daß wir fliehen müßten, war auch meine Meinung. Ihr hattet schon die Leiter an den Schrank gestellt und rieft: Klettere hinauf, ich vertheidige Dich im Rücken gegen die Unthiere! In Todesangst betrat ich die Sprossen und klomm empor, und Ihr folgtet, mit einer langen Stange bewaffnet. Endlich saßen wir oben. Ihr gabt mir ein Blumenstäbchen zur Vertheidigung in die Hand, während Ihr selbst mit der Stange tapfer in die Tiefe stießet, und mir erzähltet, wie viel scheußliches Gethier unten von Eurer Hand erschlagen läge.«

Rambert und Barbara lachten, Martha aber fuhr fort: »Dann sagtet Ihr: Siehst Du die giftige Schlange, die da in der Ecke zusammengeringelt liegt? Die muß ich erlegen! Ich hatte zwar vorher bereits an der Stelle eine Waschleine liegen sehen, jetzt aber sah ich die Schlange in ihrer ganzen Furchtbarkeit vor mir. Ihr stiegt hinab, nahmt die Leiter weg, damit kein wildes Thier zu mir herauf könne, und kämpftet einen Heldenkampf mit dem Gewürm, mußtet aber endlich die Flucht ergreifen. Ich hörte Euch die Bodentreppe hinunter springen, und saß nun allein auf meinem Felsen. Mein Blumenstäbchen krampfhaft in die Hand gepreßt, erwartete ich das Herannahen all der gräßlichen Geschöpfe, die Ihr mir beschrieben hattet. Ihr bliebt lange, und immer lauter schlug mir das Herz. Ich wagte einen Blick von meinem Platze hinunter, mir war's, als läge eine schwindelnde Kluft unter mir, und ich mußte mich fest an den Rand anklammern. Jetzt hörte ich's rascheln – das mußte die Schlange sein! Immer näher drang das Geräusch aus der dunklen Ecke, und endlich kam etwas mit einem Sprunge hervorgeschossen. Es war allerdings etwas Lebendiges, nämlich eine Ratte. Sie kam bis in die Mitte, spitzte die Ohren und that einen hellen Pfiff, der mich so erschreckte, daß ich fast hinuntergestürzt wäre. Da fuhren plötzlich aus allen Ecken eine Menge Ratten hervor, es war, als ob sie eine Berathung hielten, und ich war überzeugt, daß sie es auf mich abgesehen hatten. Aber es geschah nichts, sie huschten wieder auseinander, und ich konnte sie mit den Augen nicht mehr verfolgen. Schon war es dunkel geworden, und jetzt stieg meine Furcht auf den Gipfel. Ich hätte schreien mögen, aber ich konnte nicht. Ich zitterte und bebte, weinte still vor mich hin, und sah und hörte nicht mehr, was um mich her vorging.«

»Schändlich, abscheulich war's von mir, Euch da oben sitzen zu lassen!« rief Rambert aus. »Die Ohrfeige, welche ich davontrug, war eine viel zu gelinde Strafe. Halt!« fuhr er fort, da plötzlich diese alten Erinnerungen auch in ihm lebhafter wurden, »halt, jetzt fällt mir auch das Ende dieser Geschichte ein! Kam ich nicht am Morgen darauf hierher?«

»Ja,« entgegnete Martha, »und brachtet mir einen Apfel!«

»Richtig! Und bat Euch mein Vergehen ab, und sagte, verlaß Dich drauf, kleine Martha, das will ich künftig wieder gut machen. War's nicht so?«

Martha erröthete und schwieg. Rambert aber fuhr fort: »Und das, was ich als großer Junge von zehn Jahren an dem kleinen, kaum vierjährigen Mädchen verbrochen, habe ich, so viel ich weiß, noch nicht gut gemacht!«

»Thorheiten!« sagte Barbara. »Was ist da gut zu machen? Ihr waret eben ein Springinsfeld. Wie oft haben wir Euch hier vorüber nach der Mühle laufen sehen!«

»Da komm' ich auch heute her, Frau Barbara. Ihr seht, es ist noch so, wie es war, nur – daß es ein wenig anders geworden ist! Der Christian hat eine schmucke Liese, der dicke Peter seine noch dickere Frau, die ihn haut, der Niklas Strobel ist ein Gelehrter und hat einen Platz im Rathe in Aussicht, und ich – nun, was aus mir werden wird, das mag Gott wissen, ich seh' aber noch kein Heil!«

Barbara sah ihn groß an. »Nicht?« sagte sie verwundert. »Nun, wenn Einer Grund hat, zufrieden zu sein, so seid Ihr's doch, Herr Rambert! Hört, jetzt habe ich Euch einmal allein, jetzt will ich ein Wort zu Euch reden.«

»Keine Predigt, Frau Barbara!« unterbrach Rambert sie. »Ich weiß, was Ihr sagen wollt, und gebe Euch im Voraus Recht. Tuch färben ist für viele Leute gut, in die Welt gehen für manche noch besser! Kleine Martha, jetzt entscheidet einmal! Was würdet Ihr thun, wenn Ihr zu wählen hättet?«

»Was versteht das Mädchen davon!« fiel die Mutter ein.

»Nein,« rief Rambert, »Martha soll ihre Ansicht aussprechen. »Wenn Ihr ein Mann wäret, und es stände Euch die Wahl zwischen einem Kübel blauer Farbe, in den sich das ganze Leben wie ein schrecklich langer Streifen Tuch hineintauchen soll, oder einem muthigen Roß, das Euch lustig in den Krieg trüge, was würdet Ihr thun?«

Martha zögerte. Endlich blickte sie verstohlen von unten herauf, und sagte: »Ich glaube, ich spränge auf's Pferd, und jagte in die Welt.«

»Ach, Du albernes Ding!« entgegnete die Mutter, indem sie ihre Arbeit zusammenlegte.

Rambert aber sprang jubelnd auf, klatschte in die Hände, und rief: »Seht Ihr? seht Ihr? Das ist das erste vernünftige Wort, das ich in Hildesheim höre!«

Auch Martha war aufgestanden, da die Dunkelheit das Arbeiten verhinderte, und Rambert merkte aus dem Wesen Barbara's, daß es Zeit sei, sich zurückzuziehen. Er empfahl sich mit dem Versprechen, bald wieder zu kommen. Barbara aber eilte ihm schnell nach, und hielt ihn an der Hausthür fest.

»Ein Wort noch, Herr Rambert,« sagte sie. »Daß Ihr uns öfter besuchen wollt, ist mir gewiß lieb und angenehm; dennoch aber muß ich Euch bitten, es nicht zu thun. Verzeiht, ich kann nicht anders! Ich bin eine Wittwe, mein guter Ruf ist fast Alles, was ich besitze . . . .«

»Aber, Barbara, was fällt Euch ein!« rief Rambert entrüstet.

»Die üble Nachrede der Nachbarn,« fuhr sie fort. »Ihr seid ein junger Herr, und kümmert Euch um böse Zungen nicht, wir aber sind wehrlos dagegen, wir müssen uns darum bekümmern! Gebt mir die Hand darauf, daß Ihr mir die Bitte nicht übel deuten, sie aber auch gewähren wollt!«

Rambert zögerte, darauf einzugehen. Endlich gab er ihr die Hand mit den Worten: »Es ist schade, aber – Ihr habt Recht. Ich will nicht wieder kommen.«

*

Fünftes Capitel.

Wenn die Sonne einmal die ersten Blätterknospen gesprengt hat, dann überkleiden sich in Einer warmen Nacht alle Zweige mit lachendem Grün, und des Wachsens, Blühens und Duftens ist kein Ende. Eine Woche war vergangen, sie hatte die Welt verändert, der volle prangende Mai hatte in aller Wunderpracht sein Reich über die Erde ausgebreitet. Der alte Rosenstrauch wiegte auf kräftigen Armen seine Millionen Purpurknospen im Sonnenschein, und zeigte mit würdigem Ahnenstolz das Heer seiner hoffnungsvollen Kinder dem blauen, heiteren Frühlingshimmel. Und draußen auf Wiesen und Feldern, im Wald und auf den Hügeln das saftige Grün, das Blumenmeer, das Singen, Zwitschern, Trillern und Jubeln, die veilchenduftigen Lüfte – wie soll man das alles beschreiben, das hundertmal Beschriebene und doch nie Erreichte?

Aber für die Stadt Hildesheim war der Mai immer von ganz besonderer Bedeutung. Hier herrschte nämlich seit vielen hundert Jahren eine Sitte, die den Mai feierte, und der Mairitt genannt wurde. Einer der angesehensten und verdienstvollsten jungen Bürger ward zum Maigrafen erwählt und ritt im Gefolge des Rathes und der Bürgerschaft hinaus ins Freie, um dort mit einem Kranze geschmückt zu werden und den Mai zu begrüßen. Draußen auf der Waldwiese wurde ein Volksfest gefeiert, und nachdem mehrere Wagen voll grüner Maien (Birkenreiser) geschlagen waren, setzte sich der Zug Abends wieder in Bewegung, um den Mai mit Jubel und Musik in die Stadt zu führen. Gastmähler und Festlichkeiten aller Art schlossen sich daran, die Maienbäume wurden an den Rath und die Bürgerschaft vertheilt, und der Maigraf genoß ein Jahr lang eine ehrenvolle Auszeichnung.

Es war ein schöner Gedanke, das neu erwachte Leben des Jahres in der personificirten Jugend, der Gestalt des Jünglings, begrüßen zu lassen, und eine Frühlingsfeier, die sich den schönsten Sitten des deutschen Lebens anschließt. Es rinnt eine unerschöpfliche Quelle tiefster und reinster Poesie von Urväterzeit her durch das Leben des deutschen Volkes. Je mehr man ihrem oft verborgenen Laufe folgt, und auf ihren Grund blickt, desto mehr Goldkörner wird man entdecken.

Bis gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts erhielt sich die Sitte des Mairittes, zu dieser Zeit aber wurde sie, nicht weil sie sich ausgelebt hatte, sondern aus Nützlichkeitsgründen, vom Rathe abgeschafft! Noch heut zu Tage schmücken wir zu Pfingsten die Häuser mit Birkenreisern, und es ist möglich, daß diesem ziemlich allgemeinen Gebrauche etwas mit jenem Mairitte Gemeinsames zu Grunde liegt. Das grüne Birkenreis zu Pfingsten und der Tannenbaum zu Weihnachten sind die Fest-Standarten, welche der Deutsche in seinem Hause aufstellt, als Symbole seines Zusammenhanges mit der Natur.

In Hildesheim war man seit Wochen schon mit der Frage beschäftigt, wer in diesem Jahre die Ehre des Mairittes davontragen werde, und da dieselbe vom Bürgermeister bis zum ärmsten Handwerker allgemein als eine solche anerkannt und geschätzt wurde, so hegten Viele den Wunsch und Manche die Hoffnung, den Titel des Maigrafen zu erlangen. Unter den Candidaten zu dieser Würde, deren Namen man am häufigsten hörte, schien Herr Niklas Strobel bis jetzt der am meisten Begünstigte, denn er ließ es an Besuchen bei den Rathsherren nicht fehlen und erschien auch häufiger in den Wirthshäusern, um sich bei der Bürgerschaft populär zu machen. Seine Verdienste waren, wenn er selbst sie beim Wein oder Bier aus einander setzte, allerdings sonnenklar. Und da er so gelehrt wie ein Buch sprach, ja, seine Rede sich oft zu einem Styl erhob, in welchem Lateinisch und Deutsch nicht mehr zu unterscheiden waren, so mußte seine Zuhörer wohl ein ahnungsvolles Staunen überkommen, und sich die Ueberzeugung bei ihnen festsetzen, daß nur er zum Maigrafen erwählt werden könne.

Plötzlich aber trat unvermuthet ein neuer Aspirant auf, der im Verlauf weniger Tage fast eben so viel für sich zu haben schien, als Niklas Strobel. Dies war der reiche dicke Peter, der, wie man sagte, weniger aus eigener Ehrsucht, als auf dringendes Verlangen seiner noch dickeren Gattin, ernsthafte Schritte that, den Kranz zu gewinnen. Auch er machte Besuche bei allen Mitgliedern des Rathes, auch er saß allabendlich in einem Wirthshause, und bekämpfte seine Abneigung gegen das Sprechen, und bald bildeten sich zwei Parteien, die einander feindlich gegenüber standen.

Eines Abends trafen die beiden Candidaten in demselben Wirthshause zusammen. Nachdem sie einander erst eine Weile mit scheuen, aber mißachtenden Blicken gemessen hatten, ließ Herr Strobel einige Worte fallen, in welchen nicht undeutlich zu verstehen war, daß er ein dickes Bierfaß und den schönen Wonnemond für ungereimte Dinge halte. Der Dicke witterte etwas von einem Verständniß, streifte den Aermel auf, und gab, indem er seine volle Faust auf den Tisch fallen ließ, zu verstehen, daß es ihm ein Leichtes sei, eine magere Kreuzspinne zu zerschmettern, wäre sie gleich mit aller Gelehrsamkeit der Welt gemästet. So entfernten sich Beide immer weiter von dem Standpunkte gegenseitiger Hochachtung, und die Folge davon war, daß die vielfachen lieblosen Verdächtigungen, mit welchen sie sich hinter dem Rücken befeindeten, die Bürger an ihren Vorzügen irre machten, und man endlich keinen von Beiden als Repräsentanten des Frühlings zu sehen wünschte.

Im hohen Rathe hatten indessen beide Aspiranten ihre Gönner, und unter diesen – da die Stadt zwei Häupter an der Spitze ihrer Verwaltung führte – jeder einen Bürgermeister gewonnen. Eine dritte Partei schien sehr unentschieden zu sein, wenigstens äußerte sie weder für den Einen, noch für den Anderen, besondere Zuneigung. Zu dieser gehörte Dr. Musculus.

Endlich kam der Tag der Berathung, welche nach allgemeiner Ansicht eine etwas stürmische zu werden drohte. Die beiden Haupt-Candidaten wurden vorgeschlagen. Das Für oder Wider ward erwogen, und schon schien die Wage sich auf Herrn Strobel's Seite zu neigen, als Musculus sich erhob, und einen neuen Candidaten vorschlug, nämlich Rambert.

Die Peterianer und Strobelianer waren erstaunt oder suchten durch ein Achselzucken ihre Gleichgültigkeit an den Tag zu legen. Die sämmtlichen Unentschiedenen aber gaben ihren lebhaftesten Beifall zu erkennen, und zeigten sich plötzlich als eine längst entschiedene und fest geschlossene Partei. Sogleich begann Dr. Musculus die Verdienste seines Candidaten in das rechte Licht zu setzen. Er begann mit Ramberts Vater, und erinnerte mit den rührendsten Worten und Wendungen an die Zeit, da der vortreffliche alte Herr noch in gemeinsamem Wirken mit den Versammelten hier an demselben Tische gesessen, und wie man dem für das Wohl der Stadt nur zu früh Dahingeschiedenen den Dank für seine Verdienste eigentlich noch schuldig geblieben sei. Dabei führte er sein rothgewürfeltes Taschentuch vor die Augen, und durch die ganze Rathsversammlung ging eine sichtbare Bewegung. Hierauf kam der Doctor auf den Sohn zu sprechen. Er schilderte die ausgezeichneten Eigenschaften des jungen Mannes, und erzählte von seinen Heldenthaten in dem jüngst durch Gottes Hülfe beendeten Kriege. Von der Schanze, die er fast allein erobert, von seiner Geistesgegenwart, durch welche er den rechten Flügel der herzoglichen Reiterei gerettet, und von sonstigen Zügen seiner Tapferkeit, die er zu Gunsten der Stadt bewiesen habe.

Dagegen erhoben sich nun mancherlei Stimmen. Man wollte an den Krieg nicht gern erinnert sein, und ein Sprecher, welcher sogleich vielfache Unterstützung fand, äußerte: Das sei alles recht schön und dankenswerth; aber wenn der junge Mann auch augenfällige kriegerische Verdienste habe, so zeige er doch seit seiner Rückkehr nach Hildesheim durchaus nicht, daß er als Bürger betrachtet sein wolle. Er vermeide allen Umgang, lebe zurückgezogen, und sein Benehmen sei kalt und herrisch. Er könne also auf eine Ehre, die lediglich auf bürgerliche Tugenden gegründet werden müsse, keinen Anspruch machen.

Darauf nahm der Doctor das Wort. »Ich gebe zu, meine Herren Collegen,« sagte er, »daß der junge Mann bis jetzt nur in geringer Verbindung mit seinen Mitbürgern steht, aber gerade das spricht für ihn. Er kommt aus einer kriegerischen Thätigkeit, die ihn mehrere Jahre sein väterliches Geschäft hat versäumen lassen. Diese Versäumniß fühlt er jetzt nur zu tief, und so sitzt er in der angestrengtesten Arbeit verborgen zu Hause, und sucht mit dem regsten Eifer das Versäumte nachzuholen. Sähet Ihr ihn nur, meine Herren Collegen, sähet Ihr ihn, wie er gleichsam von unten herauf dient, wie er die Arbeit des Lehrburschen, des Gesellen, von freien Stücken nachträglich erlernt; sähet Ihr ihn dann mit seinem Geschäftsführer rechnen und calculiren; sähet Ihr ihn endlich in den späten Mußestunden noch denselben Studien obliegen, welche einst seinen Herrn Vater selig, unsern weiland Collegen erfreuten – oh, Ihr würdet anders und besser von ihm denken! Er fühlt, daß er, als ein junger Mann, noch viel zu thun habe, um sich den Namen eines würdigen Bürgers unserer Stadt zu erwerben, darum flieht er müßige Vergnügungen und die Gelage der Trinkstuben. Aber wenn es darauf ankommt, für das Wohl seiner Mitbürger in die Schranken zu treten, ja, sich für sie aufzuopfern – wer ist da der Erste? Wir haben es gesehen neulich bei jenem schrecklichen Brande« – – Und nun folgte eine glänzende, begeisterte Schilderung jener Auftritte, welche die ganze Stadt wußte und bereitwillig anerkannte.

Ein schallender Beifall aller Rambertianer begleitete den Schluß dieser Rede. Die Peterianer und Strobelianer waren verlegen, sie konnten gegen diese Begründung nichts einwenden. Doch fanden sich noch ein paar Stimmen, die für ihre Vorgeschlagenen zu sprechen versuchten. Musculus aber hatte sich nicht niedergesetzt, und zeigte damit, daß er noch nicht zu Ende sei. Er räusperte und schnäuzte sich mit vieler Umständlichkeit, und begann von Neuem:

»Die erste That des jungen Mannes für das Wohl seiner Vaterstadt zeigt uns, daß ihn derselbe Eifer beseele, wie seinen Herrn Vater, unseren weiland Herrn Collegen. Und wie bescheiden und anspruchslos ist das Wesen dieses Jünglings! Heut erst war es, als ich ihn sagen hörte: ›Ich habe recht viel zu thun, um mich meiner Stellung als Bürger dieser Stadt würdig zu machen! Nur zu tief fühle ich, daß meine Mitbürger keine Zuneigung zu mir hegen können. O, gäbe es nur recht viel zu schaffen und zu wirken, daß ich ihnen meine Liebe an den Tag legen könnte! Gäbe es Noth und Gefahr, wie neulich – doch nein, um einen solchen Preis will ich ihre Zuneigung nicht erkaufen, lieber will ich verkannt und im Verborgenen leben!‹ Meine werthen Herren Collegen, gestehen wir uns nur, daß wir die Klage des jungen Mannes über die mangelnde Zuneigung seiner Mitbürger selbst auf dem Gewissen haben. Denn ist ihm wohl für seine Dienste bei jenem furchtbaren Brande auch nur das geringste Zeichen des Dankes, der Aufmunterung oder der Hochachtung von unserer Seite zu Theil geworden? Nein, dies ist versäumt worden! Wir sind also noch in seiner Schuld. Nun aber weiß ich, daß unser liebenswürdiger Jüngling so viel treuen Biedersinn, so viel ächte Bürgertugend im Herzen trägt, daß ihn ein Beweis der allgemeinen Hochachtung, wie ihm die Ehre des Mairittes zeigte, auf's tiefste rühren würde. Ja, ich hege die Ueberzeugung, daß wir dadurch uns selbst nützen. Denn wir erziehen uns einen edlen Bürger, der mit seinem Blut und Leben in jeder Gefahr für das Wohl seiner Vaterstadt auftreten wird.«

Die Beifallsbezeugungen der Rambertianer wiederholten sich, ja, es war sichtlich, daß eine überwiegende Menge aus den Heerlagern der Strobelianer und Peterianer zu ihnen überging.

Man schritt zur Abstimmung, welche den Namen Ramberts als den von der Mehrzahl gewählten ergab. Die Sitzung wurde geendet, und Dr. Musculus beauftragt, dem jungen Bürger seine Wahl zum Maigrafen zu verkündigen. –

Am Abend dieses verhängnißvollen Tages saß Rambert ohne eine Ahnung dessen, was über ihn beschlossen worden war, in seines Vaters – jetzt seinem Studirzimmer, und war wirklich über eines der Bücher gebeugt, welche ihm Musculus, sobald er das Schwinden seines Widerwillens gegen das Lesen gemerkt, bereitwillig übersandt hatte.

Es ging seit etwa einer Woche etwas in ihm vor, über dessen Ergründung er zwar nicht grübelte, was ihn aber auf Stunden in einen ganz wunderbaren Zustand versetzte. Oft fühlte er schon des Morgens den Drang, zum Thor hinaus zu wandern, wenngleich die Blüthenpracht des Maien nicht die Ursache davon zu sein schien. Zweimal war er aus einem völlig unbegreiflichen Grunde auf den Boden gestiegen, hatte einen alten Schrank kopfschüttelnd betrachtet, und war langsam wieder in sein Studirzimmer gegangen. Meusel kam eines Tages halb außer sich vor Freude über die Art, wie sein Herr sich jetzt angelegentlich um das Haus bekümmerte. Rambert fragte ihn nämlich nach einer gewissen alten Wäschleine, die seines Wissens früher auf dem Boden gewesen sei. Da dieser keine Auskunft darüber geben konnte, sagte er, er wolle sogleich Frau Barbara darüber befragen, was ihm jedoch Rambert auf das nachdrücklichste verbot.

Heute Nachmittags hatte er sich anheischig gemacht, einer Aufforderung Richildens zum Spazierritte zu folgen. Schon setzte er, in nicht eben angenehmer Laune, den Fuß in den Steigbügel, als Gegenbefehl kam, da Richilde Besuch von auswärts erhalten hatte. Wie beflügelt schwang er sich in den Sattel, jagte zum Thor hinaus und zu Christian auf die Mühle. Dort hatte er mit den jungen Gatten gescherzt, mit den Kindern getanzt und gejubelt. Jetzt saß er daheim und, nachdem er mit Meusel sein Abendbrod verzehrt, einsam bei seinem Buche.

Es war eine alte Liederhandschrift, worin er las, und durch die er, wie es schien, überaus gefesselt wurde. Vorzüglich war es eine kleine Anzahl von Gedichten, die den Namen Herrn Walthers von der Vogelweide trugen, bei denen er verweilte, um sie immer und immer auf's Neue zu lesen. Eines derselben lautete:

Müßte ich noch erleben, daß ich die Rosen
Mit der Minniglichen sollte lesen,
So wollt' ich mich so mit ihr erkosen,
Daß wir immer Freunde müßten wesen sein..
Würde mir ein Kuß zu einer Stunde
Von ihrem rothen Munde,
So wär' ich an Freuden wohl genesen!

Dann wandte er das Blatt um und las:

Der Reif der thät den kleinen Vöglein weh,
Daß sie nicht mehr sungen,
Nun hört' ich's wonniglicher als eh',
Nun ist die Haide entsprungen.
Da sah ich Blumen streiten wider den grünen Klee,
Wer ihrer länger wäre;
Meiner Frauen sagt' ich diese Märe.

Uns hat der Winter kalt und andere Noth
Viel gethan zu Leide,
Ich wähnte, daß ich nimmer Blumen roth
Ersäh' auf grüner Haide.
Doch schadet's guten Leuten, wär' ich todt,
Die nach Freuden ringen
Und die gerne tanzen unde springen.

Versäum' ich diesen wonniglichen Tag,
Ist's Thorheit ohne Maßen,
Und Thorheit, wenn ich mich der Freud' entschlag'.
Dennoch muß ich lassen
Alle meine Freude, der ich weiland pflag.
Daß Gott euch alle segne
Und euren Wunsch, daß mir ein Heil begegne!

Wunderbar ergriffen blickte Rambert auf diese einfachen Verse, von welchen er sein Auge nicht abwenden mochte. Und doch, er fand noch ein Lied, das ihn gleich darauf schöner als alle übrigen däuchte.

Wissen möcht' ich, wie es darum sei:
Lange sah ich nicht mit Augen sie,
Sind ihr meines Herzens Augen bei,
Daß ich ohne Augen sehe sie?
Da muß ein Wunder sein geschehen!
Wer gab ihm, daß zu aller Zeit
Es sonder Augen sie mag sehen?

Wollt ihr wissen, was die Augen sei'n
Damit ich sie seh' durch alle Land?
Das sind all die Herzgedanken mein,
Die durch Mauern dringen und durch Wand.
Ja, hütet sie auch noch so gut,
So sehn sie doch mit vollen Augen
Herze, Will' und all der Muth!

Werd' ich jemals ein so seliger Mann,
Daß sie mich ohn' Augen sehen soll?
Wenn mich ihr Gedanke blicket an –
Ach, vergolten ist's dann wundervoll!
Süße, meinen Willen lohne mir,
Sende gütig mir auch deinen Willen,
Denn der meine dienet dir!

Rambert blickte von seinem Buche auf, und indem er seine Augen nach der Wand richtete, schien es in der That, als ob sie durch Mauern und Steine hindurch drängen, und ihren Weg nach einem kleinen Hause richteten, dessen Schwelle sein Fuß nicht betreten durfte.

In diesem Augenblicke wurde heftig an die Thür gepocht. Rambert fuhr zusammen und suchte das Buch im Schranke zu verbergen. Herein aber trat der Doctor Musculus mit der vergnügtesten Miene von der Welt. »Endlich!« rief er, »endlich treff' ich Euch, und zwar über den Büchern, wie es scheint! War heut schon zweimal hier. Nun aber beiseit mit den Studien, mein Junge! Lustig, frischer Gesell! Alle graue Gelehrsamkeit hinab und ersäufet im Flusse des Lebens!«

»Wo kommt Ihr her, Herr Doctor?« fragte Rambert, der sich über die Stimmung seines Gönners mit absonderlichen Vermuthungen trug.

»Von wilden Kämpfen!« rief der Gelehrte. »Von Schlachten der List und Kühnheit, von einem Streite, wo auch Lug und Trug dem Tapferen beistehen mußte! Mundus vult decipi! Nun aber Wein her, grüne Hoheit, und sobald die goldene Flüssigkeit im Becher perlt, will ich Ew. Liebden große Dinge verkündigen!«

»Sagt einmal, Doctor,« begann Rambert mit Staunen, »haben wir die Naturen ausgetauscht?«

»Wenn das wäre,« entgegnete Musculus, »so würde ich nicht schlecht dabei wegkommen, nämlich nach dem, was ich heute der Welt über Euch verkündet habe. Aber nur Wein her, blühender Knabe, ich habe heute noch keinen Tropfen über die Lippen gebracht, wohl aber viel der ermüdenden Worte. Laßt uns trinken! Auch der deutsche Meusel soll zu seinem lateinischen Bruder kommen, auf daß die Zahl der Grazien uns günstig sei!«

Rambert flog zur Thür hinaus, um das Nöthige zu besorgen. Musculus aber stellte sich, da er sich allein im Zimmer sah, vor das Portrait von Ramberts Vater, und murmelte vor sich hin: »Alter, treuer Camerad, heute habe ich das Meinige, vielleicht sogar ein Uebriges gethan! Ich habe viel gute Tage in Deinem Hause erlebt, es wird bestehen und fortwachsen, und blühende Enkel sollen noch mit Ehrfurcht zu Deinen wackeren alten Zügen hinaufsehen!« –

Bald darauf kehrte Rambert zurück, beschwert mit einigen Krügen Wein, und begleitet von Meusel. Und als die Becher gefüllt waren und Alle sich niedergesetzt hatten, erhob sich Musculus, machte eine tiefe Verbeugung vor Rambert, und begann: »Ich freue mich, Ew. Liebden als Erster in Eurer neuen Würde begrüßen zu dürfen! Der Rath unserer Stadt hat Euch in heutiger Sitzung zum Maigrafen dieses Jahres erwählt!«

Rambert traute seinen Ohren nicht. »Mich? Zum Maigrafen? Wie komm' ich dazu?« rief er. »Wie kann ich das annehmen?«

Meusel aber sprang auf, sein Gesicht strahlte vor Wonne, er faßte den Becher und schrie: »Es lebe der Maigraf! Es lebe der Maigraf!« Dann warf er sich mit Freudenthränen seinem lateinischen Bruder in die Arme.

Der Maigraf aber stand in Gedanken versenkt da, und sagte nichts. Fröhliche Bilder aus früher Knabenzeit tauchten in seiner Erinnerung auf und stellten ihm die Ehre eines solchen Tages mit glänzenden Farben dar. »Aber,« dachte er, »wenn ich es annehme, spreche ich dann nicht geradezu aus, daß ich ein Bürger der Stadt sein wolle? Erschwert mir das nicht den Plan, mich dem Waffenhandwerke hinzugeben? Und dann wieder – schlage ich es aus, so muß ich fort, so bin ich zum letzten Male über Frau Barbara's Schwelle geschritten! Aber hat sie nicht selbst mir gerathen, in die Welt zu gehen? Hm, wüßte ich nur, ob sie es gerne sähe, wenn ich nun doch hier bliebe?« –

Solche Fragen gingen mit Einem Male bunt durch seine Seele und brachten ihn in nicht geringe Verwirrung. Dann aber brach sich plötzlich die Freude über seine Wahl, gemischt mit jugendlicher Eitelkeit, in ihm Bahn. Er sah den Zug zum Thor hinaus schwanken, er sah sich als den gefeierten Mittelpunkt eines allgemeinen und schönen Festes, und rasch ergriff er sein Glas mit den Worten: »Wohl! Ich nehm' es an!«

Nun war die Freude groß, und die alten Wände des Zimmers hörten einen Jubel, wie sie ihn seit langen, langen Jahren nicht vernommen hatten. Es gab vielerlei für das Fest zu berathen und zu besprechen. Meusel holte eine Schreibtafel, notirte die Summen, welche für diese und jene Einrichtung ausgesetzt werden mußten, und machte ein langes Verzeichniß aller für das Fest nöthigen Erfordernisse. Bei diesen Beschäftigungen und Gesprächen saß das Dreiblatt noch lange beisammen, als die Stunde der Mitternacht bereits geschlagen hatte.

*

Sechstes Kapitel.

Der Tag des Maienfestes war gekommen. Hell und freudig ging die Sonne auf, und schon bei ihrem Erscheinen sprang Rambert von seinem Lager, um sich festlich anzukleiden; denn die Feier sollte schon bei früher Tagesstunde beginnen. Er legte ein neues Wamms an von feinem braunem Tuch, mit gleichfarbiger Seide geschlitzt, und ein eben solches, eng anliegendes Beinkleid. Den hochfahrenden Federhut ließ er heut bei Seite, und wählte an seiner Statt ein schlichtes schwarzes Barett, wie die Bürgerssöhne jener Zeit es trugen.

Bald war er fertig und trat in das Nebenzimmer, wo das Morgenmahl schon bereitet stand. Aber welche Ueberraschung! Alle Bilder an den Wänden waren durch Meusel's Hand bekränzt, während der Alte selber schon im Sonntagsstaate seines Gebieters harrte. Rambert öffnete das Fenster – grünes Laub kam ihm entgegen, er sah hinunter, und erblickte sein Haus mit Kränzen und Gewinden geschmückt. Es war der Zoll der Dankbarkeit, welchen die Familien, denen er beim Brande hülfreich gewesen war, heimlich in der Nacht dargebracht hatten. Schon sah er ab und zu ein paar geputzte Menschen in heiterem Gespräch die Straßen entlang, und dem Thor entgegen schreiten. Sie blickten im Vorübergehen nach seinem Hause, und grüßten hinauf.

In großer Hast beendete er sein Frühstück, denn es galt noch vielerlei anzuordnen. Er ging in den Hofraum hinab, um notwendige Befehle zu geben. Hier hatten sich alle seine Gesellen und Arbeiter im Sonntagsstaat aufgestellt, und aus ihrer Mitte trat der Altgesell hervor, um ihn mit einer Anrede als Maigrafen zu begrüßen, worauf Alle in schallendes Lebehoch ausbrachen. Rambert dankte, reichte Jedem die Hand, und ließ Wein und Festkuchen vertheilen.

Nach diesen Privat-Feierlichkeiten im Hause galt es aber noch eine Menge Geschäfte abzumachen; denn der Maigraf mußte die ganze Festlichkeit des ersten Tages aus eigenen Mitteln bestreiten, und genoß nur die Ehre desselben; erst am zweiten Tage bewirthete der Rath den Erwählten und sich selber. Da stand nun der Hof ganz erfüllt von allerlei eigens für das Fest gemietheten Dienern, welche, in Gemeinschaft der Gesellen, der Befehle ihres Herrn harrten. Die Köche hoben Körbe voll Speisen auf die Wagen; auf der Treppe zum Weinkeller ging es auf und ab, und Fässer, Kannen und Krüge wurden mit ihrem köstlichen Inhalt aus ihrer langen Nacht ans Tageslicht getragen, und hinausgeschafft vor das Thor.

Rambert hatte, obgleich in den letzten Tagen Alles geordnet worden war, die Fülle zu thun. Er mußte den Hausherrn und die Hausfrau in Einer Person spielen, und die Schlüsselbunde rasselten und klirrten in seinen Händen. Da galt es Geschirre, da Tafeltücher aus den von Alters her gefüllten Schränken zu holen; hier wurden alte große Ehrenbecher und Humpen aufgepackt und zu ganz besonderer Sorgfalt empfohlen; dort diese und jene Geräthschaften fortgeschickt; der ganze reiche Inhalt des Hauses kam heute mit seinen lange verborgenen Schätzen an den Tag.

Es mochte etwa sechs Uhr sein, als Alles unter Meusel's Oberbefehl glücklich hinausgeschafft war. Vor dem Hause hatte sich eine große Menge gesammelt, und wogte, in Erwartung des Zuges, mit Scherz und Lachen durcheinander. Rambert aber ging hinauf in sein Zimmer und durchmaß es mit schnellen Schritten, indem er die rasch ihn durchkreuzenden Gedanken ab und zu durch eine Betrachtung der bekränzten Bilder seiner Vorfahren unterbrach. Das schöne Antlitz seiner jugendlichen Mutter schien heute so glücklich zu lächeln, während er in den Zügen seines Vaters eine heitere Zufriedenheit zu lesen glaubte.

Da ertönte von fern ein dumpfes Dröhnen, wie Paukenschlag, dann wurde der Klang von Pfeifen und Trompeten hörbar, und unter der lauter sich bewegenden Menge erscholl es: »Sie kommen! sie kommen!« Rambert eilte in den Hof, und bestieg sein Pferd.

Immer näher kam der Zug der Berittenen mit schmetternden Jubelklängen. Voran zwei Fahnenträger, dann die Musikanten. Hei, was schlug der Paukenschläger auf seinem Gaul heute wieder so eifrig rechts und links auf das Kalbsfell seines Instrumentes, und was bliesen die Trompeter ihre Backen auf, es war eine Pracht! Hierauf folgten die beiden Bürgermeister, dann der Rath der Stadt, endlich die Gewerke, sämmtlich zu Pferde. Alles ordnete sich vor dem bekränzten Hause. Und als Rambert aus dem weit geöffneten Thor herausgeritten kam, und mit frohem Gesicht grüßte, da war ein Gedröhn und Geschmetter und Jubelgeschrei, das gar nicht enden wollte! Die beiden Bürgermeister aber nahmen den Würdenträger des Tages in ihre Mitte, und langsam setzte sich der Zug durch die Straßen in Bewegung. Die Fenster flogen auf, Tücher wurden geschwenkt, die Menge schrie, frohlockte und drängte nach. Am Thore angekommen, blickte der Maigraf verstohlen nach einem kleinen Hause. Doch die Thür schien verschlossen, die Fenster waren verhängt. Der prächtige rothblühende Apfelbaum aber, der auf dem Hofe stand und weit über den Giebel des Häuschens schaute, der schwenkte seine duftenden Zweige, und wies hinaus, als wollt' er sagen: »Such' sie draußen! such' sie draußen!«

Und hinaus ging der Zug, an ländlichen Hütten vorbei, wo Frauen und Kinder in die Hände klatschten und grüßten; zwischen blühenden Obstbäumen, Saatfeldern, Wiesenteppichen fort zum Ilseder Walde. Frisch wehte die reine Morgenluft, und trug den Kommenden die Düfte des ganzen Frühlings entgegen. – Auf einem grünen Rasenplatze vor dem Walde hielt der Zug. Die Musik stellte sich schweigend zur Seite auf, während die übrigen Berittenen von den Pferden stiegen, und einen großen Halbkreis bildeten, in dessen Mitte sich die beiden Bürgermeister mit dem Maigrafen hielten. Kaum hatten aber die Pauken und Trompeten zu schmettern aufgehört, da begann im Walde das köstlichste Früh-Concert von vielen Tausend befiederten Sängern. Der Pirol rief, die Finken trällerten die prächtigsten Tonleitern, Amseln und Drosseln sangen dazwischen, die Käfer und Bienen summten und brummten. Durch die Bäume ging ein Wehen und Grüßen, die jungen Zweige neigten und beugten sich, und die goldene Sonne schien liebevoll und freudig vom blauen Himmel.

Am Rande des Waldes aber stand ein vierspänniger Wagen, hoch beladen mit Maien, und um ihn waren die Bauern aus sieben Dörfern, welche zum Gebiete der Stadt gehörten, versammelt. Der Aelteste der Bürgerschaft trat jetzt hervor und empfing von dem Aeltesten der Bauern einen großen Kranz von Birkenlaub, worauf er sich an die Versammelten mit folgender Anrede wandte:

»Besonders großgünstige Herren und Freunde! Wir Bürgerschaft der Stadt Hildesheim thun uns gegen Eure Gunsten freundfleißigst bedanken, daß dieselben diesen Ehrenritt dem alten Gebrauch zufolge und Beförderung der Stadt-Gerechtigkeit gerne thun wollen. Und bitten wir Bürgerschaft, es wollen Eure Gunsten auf künftigen Montag in den Pfingsten bei uns erscheinen, und unsere lieben Gäste sein, auch dasjenige, was der liebe Gott an Speise und Trank verleihen wird, in Fröhlichkeit mitgenießen und vorlieb nehmen. Weil dann auch wohlhergebracht und ein alter Gebrauch, daß man bei diesem Einritte einen Maigrafen pflegt zu wählen, und ist dabevor mit Bewilligung beider Herren Bürgermeister erwählet, wollen wir demnach demselben den Kranz hiermit übergeben, freundlich bittend, er möge zu Ehren seiner Stadt brav und treu bleiben, wie selbiger sothane Eigenschaft schon jüngst erwiesen, und allem Trübsal und Ungerechtigkeit als guter Bürger steuern und wehren. Wir Bürgerschaft, beneben meiner wenigen Person, tragen dessen gute Zuversicht, und wünschen dem Herrn Maigrafen nochmals dazu Glück, Heil und Gottes Segen!«

Hierauf überreichte er den Kranz dem ersten Bürgermeister, welcher auf Rambert zuging und ihm denselben schräg über die Schulter und Brust hängte.

In diesem Augenblick wurden rechts und links Böller gelös't, Pauken und Trompeten lärmten und schmetterten darein, unterstützt von einem Jubelgeschrei, das durch Wald, Hügel und Wiesen erscholl. Gleich darauf ertönten, wie ein Echo aus der Ferne, mehrere Böllerschüsse, welche den Jubel beantworteten, und den Zug auf die eigentliche Festwiese riefen. Rambert erhielt noch einen Kranz auf das Haupt, der ganze Zug schmückte sich mit grünen Zweigen, Alles stieg wieder zu Pferde, um sich dem zweiten Theile des Festes entgegen zu bewegen. Voran flogen die Fahnen im Morgenwind, ihnen folgten die Stadtpfeifer, dann zwischen den beiden Häuptern der Stadt der bekränzte Würdenträger des Tages. Hinter dem Maigrafen schwankte der hochaufgeladene Wagen mit dem Tribut des Waldes, und daran schloß sich das übrige Gefolge wie vorher an.

Maigraf, was dachtest, was empfandest Du da? Dein Gesicht strahlte in blühender Jugend und Freudigkeit, Deine Gestalt hob sich auf dem Rosse, als Du um Dich schautest auf Dein blühendes Frühlingsreich und den Krönungszug Deiner jubelnden Vasallen. Du sprachst wenig, aber Deine Seele war hochbeglückt und es stand im Leuchten Deiner Augen zu lesen, wie ein schweigendes heiliges Gelübde!

Bei Uppen an dem Passe war auf einem weiten Anger ein lebendig buntes Bild zu sehen. Da flatterten Fahnen an hohen Stangen, lange Tafeln waren gedeckt, Zelte aufgeschlagen, und in Buden standen Schüsseln mit Broden, Würsten, Fleisch, Kuchen, Wein und Bier, in langen Reihen aufgestellt. Alles das war durch die Freigebigkeit des Maigrafen heute unentgeltlich zu haben, und schon saßen Familien und Gruppen schmausend und lachend auf dem Rasen vertheilt, während andere, die vom Krönungsplatze aus einen kürzeren Weg über die Hügel genommen hatten, in Zügen auf den Plan herabstiegen. Jetzt kündigten Pauken und Trompeten aus der Entfernung das Herbeikommen des Maigrafen an. Noch einmal wurden zu seiner Begrüßung die Böller gelös't, noch einmal regte sich ihm zu Ehren ein tausendstimmiges Jubelgeschrei. Die Berittenen sprangen von den Pferden. Der Bekränzte schritt mit einem Theile seines Gefolges den Plan entlang, schüttelte die Hände, grüßte, nöthigte, daß es sich Niemand an irgend Etwas fehlen lassen möge – was, nebenbei gesagt, gar nicht zu befürchten stand – sprach hier mit einer Gruppe, lachte dort mit einer anderen, kurz, er machte den Wirth in einer Weise, die alle Herzen eroberte. Es darf nicht verschwiegen werden, daß er sein Auge vielfach forschend in die Schaaren der Frauen und Mädchen wandern ließ, ohne jedoch zu entdecken, was er zu finden wünschte.

Dann wandte er sich zurück zu den gedeckten Tafeln, um bei dem hohen Rathe der Stadt seine Rolle als Gastgeber fortzuspielen. Reden wurden gehalten, Gesundheiten und Ehrenbecher ausgetrunken; auf den Maigrafen von Seiten des Rathes; auf den hohen Rath von Seiten des Maigrafen; auf die Stadt, auf die Bürgerschaft, auf die Bürgermeister – wer kann sie alle behalten! Das Festmahl wurde lebhafter, die ehrsamen Herren des hohen Rathes ließen einen Theil ihrer steifen Würde fahren, und knöpften die Herzen auf. Und schon nach einer Stunde lag mancher mit der Versicherung ewiger Freundschaft an der Brust des Maigrafen.

Rambert glaubte mit der Zeit an diesem Tische genug der ewigen Freundschaft hingenommen zu haben. Er entfernte sich heimlich, um sich nach einer anderen Gegend des Platzes zu wenden, wo bei dem Klange der Fiedeln und Pfeifen der Tanz auf grünem Rasen bereits begonnen hatte. Als er an einer großen Bretterbude, welche die Hauptküche vorstellte, vorüberging, gewahrte er Meusel, der sich eben erschöpft von langer Thätigkeit in eine Ecke derselben zurückzog, um sein Mittagsmahl einzunehmen. Er ging zu ihm hinein.

»Alte, treue Seele!« sagte er. »Ihr opfert Euch heute für Alle! Wollt Ihr nicht zu uns an die Tafel kommen?«

»Laßt mich nur hier, Herr Rambert,« sagte Meusel, »ich bin hier mehr am Platze, ein Aufseher ist denn doch von Nöthen. Es ist ein großer Tag für Euch, wir wollen lange daran denken!«

Rambert ergriff einen Becher, stieß freudig mit dem Alten auf ein langes, glückliches Beisammenbleiben an und setzte sich zu ihm. Während dessen näherte sich Musculus, der den Maigrafen gesucht zu. haben schien, der Gruppe. »Ei, sieh da,« rief er, »das nenne ich bescheidenen Sinn bei dem Helden des Tages! Ich komme, Ew. Liebden einen Vorschlag zu machen. Es hatten sich nämlich zwei Eurer früheren Kameraden große Hoffnung auf die Ehre des Tages gemacht, und es wäre recht schön, wenn Ihr denselben zur Abwendung aller Verstimmung etwas recht Liebes erwieset. Ihre Namen sind Niklas Strobel und Herr Peter, welches letztere feiste Geschöpf sich in diesem Augenblicke dort an der Tafel befindet.«

Rambert eilte sogleich zur Gesellschaft, suchte sich das Wort zu verschaffen, und brachte die Gesundheit seiner beiden Jugendkameraden aus, indem er so viel Lobendes als möglich von ihnen aussprach. Niklas Strobel und der dicke Peter fühlten sich versöhnt, bedankten sich, und erzählten, wie sehr sie sich über seine Wahl gefreut hätten. Hierauf ließ Rambert sich zu der noch dickeren Ehehälfte des Dicken führen, welche in einem Zelte mit noch einigen Frauen in Unterhaltung begriffen war. Er stellte sich ihr als den Jugendfreund ihres Gatten vor, sagte ihr einige der gewinnendsten Artigkeiten, und bewirkte, daß die Dame, überaus geschmeichelt, sich gegen alle Welt in Lobeserhebungen über den Maigrafen ergoß.

Aber die Augen des Letzteren gingen nach dem Tanzplatze, der ihn wie ein Magnet an sich zog, obgleich ihn auch wieder ein Unglaube erfüllte, daß er dort finden werde, was er suchte.

Rambert mischte sich unter die Tanzenden, indem er die erste, beste frische Dirne aufforderte, welche, stolz auf ihren Tänzer, sich lustig im Reigen schwingen ließ. Er tanzte mit einem Dutzend Töchter der Stadt, immer den Kreis mit den Augen durchforschend, und dann diejenige in den Arm nehmend, welche gerade vor ihm stand – Eine aber fehlte, und sie mußte fehlen, wie er sich endlich selbst sagte. Eben hatte er zum letzten Male herumgeschwenkt, als er eine Gruppe, die plötzlich aus der Erde hervorgewachsen zu sein schien, vor sich sah.

Fräulein Richilde, in Begleitung ihres Stallmeisters und einiger Diener, blickte hoch von ihrem Rosse herab auf den Kreis der Tanzenden. Ihr erster Anblick machte Rambert befangen, bald aber trat er zu ihr mit der Bitte, abzusteigen, und an dem Feste Theil zu nehmen. Richilde schüttelte kalt und ablehnend das Haupt. Sie grüßte flüchtig, wandte schnell ihr Pferd, und verließ mit ihren Begleitern den Platz. Das war so rasch und plötzlich vorgegangen, daß es Rambert wie eine Erscheinung vorkam, und er sich in Gedanken darüber langsam vom Tanzplan entfernte.

Da hörte er Jemanden mit raschen Schritten hinter sich herkommen, und erkannte Christian. »Glück und Heil, Herr Maigraf!« rief dieser ihm entgegen.

»Brav, Christian, daß auch Ihr heute hier seid,« erwiederte Rambert. »Aber wo ist Frau Liese?«

»Zu Hause, wir haben auch Gäste. Die Frauen haben Euch auf den Plan ziehen sehen, aber hier draußen mitmachen mochten sie nicht. Ich will eben einmal heim und zusehen, wie es bei ihnen steht.«

»Wer sind Deine Gäste?« fragte Rambert, in dessen Seele eine frohe Ahnung aufstieg.

»Nur zwei,« entgegnete Christian. »Die Frau Barbara, Ihr kennt sie ja, und ihre Tochter.«

»So! Ist die Mühle weit von hier?«

»Nur etwa eintausend Schritt hier über den Hügel.«

»Dann laß mich mit Dir gehen, ich möchte ein wenig von dem ermüdenden Treiben ausruhen!«

Christian schlug einen Fußsteig ein, und Rambert schlüpfte ihm eilig durch das Gebüsch nach, um nicht bemerkt zu werden. Zwei Augen aber hatten ihn glücklich noch erwischt, und in dem Kopfe, welchem sie zugehörten, entstand der Entschluß, dem Maigrafen ein wenig nachzuspüren.

*

Unter den blühenden Obstbäumen in dem kleinen Garten hinter der Mühle gingen Frau Barbara und Frau Liese auf und nieder, bald im regsten Gespräche begriffen, bald auf die Töne der Musik hörend, welche gedämpft von dem Tummelplatze des Festes herüber drangen. Barbara hatte Anfangs durchaus nicht die Absicht gehabt, sich auch nur in die Nähe des Festes zu begeben. Sie, die in ihrer Jugend bessere Tage gesehen, aus diesen aber wenig mehr an Glücksgütern gerettet hatte, als ihren guten Ruf, wachte über diesen ihren Schatz mit großer Sorgsamkeit, und so schien es ihr durchaus unstatthaft, daß sie, als eine Wittwe, mit ihrem Kinde sich solchen ausgelassenen Lustbarkeiten anschließen sollte.

In Martha's jugendlichem Herzen regte sich zwar der Wunsch, den Maigrafen draußen in seiner Umgebung zu sehen, sehr lebhaft. Doch verschloß sie ihn tief, sogar auch da noch, als Christian am Tage vorher als alter Freund bei der Mutter erschien, und die Frauen auf die Mühle zu sich einlud. Seinem freundschaftlichen Dringen gab Barbara endlich nach, unter der Bedingung, daß sie gemeinsam nur von fern den Zug auf den Plan kommen sehen wollten, um sich dann in die Mühle zurückzuziehen. Darauf war Christian eingegangen, da Frau Liese, der Kinder wegen, doch nicht von Hause hätte wegbleiben können. Und so hatte Frau Barbara in aller Frühe eine Arbeit eingepackt, und sich mit ihrer Tochter auf den Weg gemacht. Draußen hatten sie, von einem entfernten Platze aus, den Festzug herbeikommen sehen, und sich darauf mit Frau Liese zur Mühle zurück gewandt. Hier rüstete die letztere ein gemeinsames Mittagsmahl, während sie es ihrem Gatten nicht verübelte, wenn er bei dem Feste blieb, um sich einige Stunden zu erlustigen.

Schon war es Nachmittag, die Frauen hatten einige Stunden mit ihrer Nähterei fleißig vor der Gartenthüre gesessen, und spazierten jetzt ein wenig zwischen Beeten umher, die jungen Pflanzen und blüthenbedeckten Bäume musternd. Martha hatte den Garten verlassen, um mit den Kindern im Walde Blumen zu pflücken. Sie war dem Laufe des Mühlbaches gefolgt, und wand an einem Kranze von gelben Himmelsschlüsseln, indem sie mit ihren kleinen Begleitern scherzte. Unter einer Buche, durch deren junges saftiges Grün die Sonne spielte, ließ sie sich nieder, um den Kranz zu vollenden.

»Was singt da so?« fragte jetzt der kleine Friedel, indem er auf die entfernten Töne der Musik horchte.

»Das ist der Mai!« sagte Martha, »hör' nur zu, was er singt, man kann jedes Wort verstehen:

Die beste Zeit im Jahr ist mein,
Da singen alle Vögelein.
Himmel und Erde ist voll
Viel Gesangs, das lautet wohl.
Voran die liebe Nachtigall,
Macht Alles fröhlich überall
Mit ihrem lieblichen Gesang,
Deß muß sie haben immer Dank.

Habt Ihr's verstanden?«

»Ja!« sagten die Kinder. »Kann das Wasser auch singen?« fragte Friedel weiter.

»Freilich!« entgegnete Martha. »Hört nur, wie es da murmelt und gurgelt, und dazwischen ganz leise singt:

Die tiefen, tiefen Wasser,
Die haben keinen Grund,
Laß ab von deiner Liebe,
Sie ist dir nicht gesund!

Habt Ihr das verstanden?«

»Ja,« sagten die Kinder. »Kann das da auch singen?« fragte Friedel abermals.

Martha aber überhörte die Frage, und fügte in tiefen Gedanken Blume zu Blume in ihrem Kranze, so daß Friedel seine Frage drei- bis viermal, und jedesmal in gesteigertem Tone, wiederholen mußte. »Was denn? was denn?« fragte sie endlich, durch den Ungestüm des Fragers aus ihren Gedanken aufgestört. »Den Kranz meinst Du? Gewiß, die Himmelschlüssel können auch singen. Hör' zu, die singen:

Du bist mein, ich bin dein,
Deß sollst du gewiß sein!
Du bist beschlossen
In meinem Herzen,
Verloren ist das Schlüsselein,
Nun mußt du immer darinnen sein!

Verstanden?«

»Ja!« sagten die Kinder. Aber Friedel war jetzt im Zuge, er wollte alles Mögliche singen hören, so daß Martha lachend aufsprang, ihren fertigen Kranz sich auf das Haupt setzte, und nach dem Tacte der Musik lustig mit dem Wißbegierigen um den Baum tanzte. Da aber durchbrachen zwei Männer das Gebüsch. Christian nahm sein kleines Töchterchen auf den Arm, und tanzte ebenfalls herum, während der Maigraf zur Seite stehen blieb, und die Gruppe betrachtete.

Martha ließ erschreckt ihren Tänzer fahren, daß er fallend sich dreimal überkugelte, und stand einen Augenblick verlegen still. Schnell gefaßt aber, rief sie dann mit Unwillen:

»Nein, das ist doch zu böse von Euch! Immer seid Ihr mit Einem Male da, wo man Euch nicht brauchen kann! Neulich in der Stube, und jetzt hier. Was sucht Ihr hier?«

»Nur nicht so heftig, kleine Martha!« entgegnete Rambert. »Was ich hier suche? Wenn ich nun sagte: Euch!«

»Das wäre geradezu schlecht! Ihr dürft mich nicht suchen!«

»Warum soll ich Dich nicht suchen dürfen, Martha? Sieh, ich dachte Dich auf dem Anger beim Tanze zu finden …«

»Ihr habt nun gesehen,« fiel sie schnell ein, »daß ich bei solchen Tänzen nicht zu finden bin!«

»Richtig, Martha!« entgegnete er. »Erst hoffte ich es, und jetzt freut es mich, daß Du nicht mit bei jenem Tanze warst. Sei ruhig und verständig, kleine Martha, und höre – ich habe Dir ein Wort zu sagen.«

Er ergriff ihre Hand. Martha überlief es eiskalt, sie blickte scheu nach Christian um. Und da sie sah, daß dieser mit den Kindern den Ort verlassen hatte, wollte sie entfliehen. Doch sie konnte kein Glied regen und mußte Rambert ihre Hand lassen. Ehe jedoch dieser von Neuem zu sprechen angefangen hatte, wurde ganz in der Nähe plötzlich eine Stimme laut, und Beide fuhren erschrocken auseinander.

»Ei, ei,« sagte Musculus, welcher vor ihnen stand, »mein Pathchen Martha ist ja auch recht schön bekränzt! Das sieht aus wie Maigraf und – Maigräfin!«

Martha erbebte im Innersten bei diesen Worten. Sie riß den Kranz von ihrem Kopfe, und warf ihn von sich. Thränen stürzten ihr aus den Augen, und wie ein gescheuchtes Reh eilte sie davon, und war bald hinter den Bäumen verschwunden.

Rambert that einige Schritte, um ihr zu folgen, kehrte aber schnell wieder um, und sagte zu Musculus: »Doctor, diesmal bin ich mit Euch nicht zufrieden!«

»Das ist sehr glaublich,« entgegnete Jener. »Desto zufriedener bin ich mit mir. Aber gehen wir, junger Maigraf, da rufen schon Pauken und Trompeten zum Rückzuge in die Stadt.«

Rambert folgte schweigend dem Rathsherrn. Als sie auf dem Plane ankamen, wo der Zug sich bereits ordnete, wurden die Böller noch einmal gelöst, und dann schlugen die Reiter, mit dem beladnen Wagen, einen Strom von Fußgängern im Gefolge, den Heimweg ein, um den Mai in die Stadt zu führen. Der Maigraf aber saß zerstreut und verstimmt auf seinem Rosse, und schien wenig Antheil zu nehmen an dem Jubel, mit welchem man den Abend seines Krönungstages feierte.

*

Siebentes Capitel.

Martha hatte ihre Flucht erst gehemmt, als sie am Gartenzaune stand, durch dessen offene Pforte sie Christian und ihre Mutter erblickte. Erschöpft lehnte sie sich an den Zaun, indem sie ihren Thränen zu gebieten suchte. Was hatte sie in einer einzigen kurzen Minute erlebt! Regungen, welche sie still in sich verschlossen, oder höchstens spielend den leicht vergessenden Kinderohren verrathen hatte, waren plötzlich durch das von fremden Lippen, und noch dazu halb spottend, hingeworfene Wort »Maigräfin« ausgesprochen worden, und hatten in ihrem jungfräulichen Herzen das Gefühl der tiefsten Schmach zurückgelassen. Was hatte ihr Rambert sagen wollen? Eine Vereinigung mit ihm schien ihr etwas ganz Unmögliches, ja, auch er mußte das wissen – und doch hatte er sie zurückgehalten, und sie war bei ihm stehen geblieben! Sie zürnte auf ihn, sie hatte das Bewußtsein, ein Verbrechen begangen zu haben, und ein Schwindel ergriff sie, so daß sie nach einer Stütze suchte, um sich aufrecht zu erhalten. Und was mußte Musculus, der brave alte Herr, der ihrer Mutter so viel Gutes erwiesen, von ihr denken, da er sie allein, Hand in Hand mit Rambert im Walde angetroffen hatte?

Solche Gedanken gingen mit erschütternder Gewalt durch ihre Seele, und als sie vom Garten her die Stimme ihrer Mutter vernahm, welche nach ihr fragte, verzweifelte sie fast an der Möglichkeit, den Blick derselben ertragen zu können. Ihre ganze Kraft zusammennehmend, flog sie zu dem in der Nähe fließenden Mühlbache, um sich die verweinten Augen klar zu waschen. Schon aber kam ihr die Mutter entgegen, sah ihr betroffen in's Antlitz und sagte: »Martha, Du hast geweint?«

»Es ist nichts, Mutter!« entgegnete sie, während doch das Gefühl, zu ihrem Unrecht noch eine Lüge hinzuzufügen, ihre Verwirrung nur vergrößerte.

»Nichts?« fragte Barbara. »Christian sagte, er habe Dich mit Herrn Rambert allein gelassen – ist das etwa auch nicht wahr?«

»Ja, es ist wahr!« rief Martha, von Neuem in Thränen ausbrechend, indem sie sich an die Brust ihrer Mutter warf. »Ja, er war da, auch der Doctor Musculus war da!«

»Von dem sagte mir Christian nichts,« warf die Mutter ein.

»Er kam, als Christian weggegangen war – er hätte es nicht thun sollen! O, Mutter, jetzt nicht weiter! Laß mich nur jetzt schweigen, gute Mutter, zu Hause sollst Du Alles erfahren, Alles!«

Frau Barbara mußte sich dazu verstehen, das Gespräch hier abzubrechen, zumal das junge Ehepaar eben aus dem Garten trat, um seine Gäste zu suchen. Die Mutter drang darauf, sich sogleich auf den Heimweg zu machen, was die Müllersleute jedoch nicht zugeben wollten. »Sie haben,« sagte Christian, »gerade zum Aufbruch geblasen, und es wird ein Gewühl und Gedränge auf dem Wege sein, daß Ihr besser noch wartet. Mancher hat heute Eins über den Durst getrunken, da wird es für Euch Frauen besser sein, wenn der Zug sich erst verlaufen hat.«

»Und,« fuhr Frau Liese fort, »einen kleinen Abendimbiß müßt Ihr auch noch bei uns einnehmen, so gut wir ihn haben. Wenn es nachher zu dunkel wird, bringt Euch der Christian bis an's Thor.«

Barbara und Martha blieben. Ein ländliches Abendessen wurde verzehrt, und nach einer Stunde erbot sich der junge Müller, sie nach Hause zu begleiten. Die Dämmerung war gekommen, Martha ging am Arme ihrer Mutter schweigend hin, während Christian den Weg durch Gespräche über das Fest zu verkürzen suchte. Er war ein lebendiger, braver Bursche, der für Barbara und ihre Tochter die freundschaftlichste Gesinnung hegte. Frau Liese hatte ihn heimlich gefragt, warum Martha so verweinte Augen habe, was ihm selbst noch gar nicht aufgefallen war. Schnell erinnerte er sich, daß er sie im Walde mit Rambert allein gelassen, in dem arglosen Glauben, daß Beide ihm wohl folgen würden, und nun sagte ihm Martha's Wesen, daß etwas für sie Unangenehmes vorgefallen sein müsse. So suchte er einen Theil seiner Mitschuld durch Unterhaltung abzutragen, und verabschiedete sich endlich am Thore der Stadt von den Frauen mit der Aufforderung, die Mühle recht bald wieder zu besuchen.

Es war dunkel geworden, als Barbara den Schlüssel aus der Tasche zog, um die Thüre ihres Häuschens zu öffnen. »Wo willst Du hin, Martha?« fragte sie, da sie sah, daß ihre Tochter das Zimmer, welches Beide eben betreten hatten, wieder verlassen wollte.

»Im Hofe einen Krug Wasser holen,« erwiederte Martha. »Mich dürstet.«

»Bleib' hier, mein Kind, ich will Dir zu trinken holen,« sagte die Mutter, indem sie hinaus ging. Bald kehrte sie zurück, und brachte das frische Brunnenwasser

»O, Mutter, wie gut bist Du!« rief Martha bewegt.

»Sei Du auch meine gute Tochter!« sagte die Mutter. »Komm', setz' Dich zu mir, und erzähl' mir. Du hättest nicht so weit mit den Kindern in den Wald gehen sollen!«

Es war dunkel im kleinen Zimmer. Barbara setzte sich auf einen Stuhl am Fenster, während Martha sich zu ihren Füßen auf eine hölzerne Fußbank niederließ.

»Ich war nicht eben weit entfernt von der Mühle,« begann Martha, »hatte Blumen gepflückt, und sprang mit dem kleinen Friedel um den Baum, als Herr Rambert und Christian, ich weiß nicht, wie, aus dem Gesträuch kamen. Christian lief mit den Kindern davon, ich merkte es erst, als ich mit Rambert schon eine Weile allein stand. Was ich zu ihm sagte, weiß ich nicht mehr, aber ich glaube, ich habe ihn gescholten. Und dann . . . .«

»Nun? Und dann?« fragte Barbara.

»Dann ergriff er meine Hand, und sah mich an – mit Augen – Mutter, mir vergingen die Sinne! Er wollte zu mir sprechen, da stand plötzlich der Herr Pathe Musculus zwischen uns, und nannte mich – Maigräfin!«

»Das sagte der Herr Pathe? Und was thatest Du?«

»Ich meinte,« fuhr Martha fort, »der Boden finge unter meinen Füßen an zu beben, und lief, bis ich Dich im Garten wiedersah. Ach, Mutter! gute, liebe Mutter! . . . .«

Barbara ahnte, was in ihres Kindes Seele vorging, sie nahm Martha's Hand in die ihrige, und sagte nach einer Pause: »Es war sehr unrecht von dem Herrn Pathen, und ebenso von Herrn Rambert! Ich werde mit ihm sprechen.«

»Nein, thu' das nicht, liebe Mutter!« fiel Martha schnell ein. »Um Gotteswillen nicht! Ach, könnt' ich mit Dir fort aus der Stadt, weit, weit weg! das wäre am besten! Sieh, wenn er noch einmal so vor mir stünde, so plötzlich und unerwartet – Mutter, das wäre schrecklich!«

»Denke nicht daran, liebes Kind,« – sagte Barbara mit einem Seufzer.

»Muß ich nicht?« entgegnete Martha. »Ach, wie soll ich meine Gedanken los werden? Es ist manchmal, als wenn sie ihn gerade herbei zögen. Eine Angst überfällt mich zuweilen, wenn ich an ihn denke. Es ist mir, als stände er schon hinter mir und legte seine Hand auf meine Schulter! – Ach, Mutter – meinst Du, daß Träume in Erfüllung gehen? Neulich hab' ich ganz wunderlich geträumt. Ich saß, wie damals als Kind, auf dem Schranke in Rambert's Hause, und konnte nicht herunter. Da kam eine Ratte und fing an zu mir zu sprechen, und sagte: Wenn dieses Haus dein ist und alles, was darinnen, dann thu' uns nichts! Und plötzlich stand Rambert unten, aber nicht als ein Knabe, sondern groß, wie er jetzt ist, und breitete die Arme aus, und sagte: Spring' herab, ich fange dich, sie warten unten schon auf die Braut! Ich sprang – und war erwacht.«

»Kind, Kind!« schalt die Mutter in sanftem Tone. »An solche Träume und Gedanken klammerst du dich? Bedenke, weß Standes Rambert ist, und was wir sind! Es ist ja ganz unmöglich!«

»Ich weiß, es ist unmöglich!« sagte Martha mit von Thränen erstickter Stimme. »Seit ich ihn ein paar Mal mit dem schönen, edlen Fräulein habe ausreiten sehen, weiß ich erst recht, daß es unmöglich ist. Und doch – Mutter, warum hielt er heute im Walde meine Hand fest, warum sah er mich an, daß mir die Sinne vergingen? Gott mag mir helfen, ich kann meinen Gedanken nicht mehr gebieten! Ich möchte sterben bei dem Gedanken, daß eine Andere sein Weib werden soll – ich muß es glauben, und dann wieder kommen mir Gedanken, daß mir vor Freude das Herz zerspringen will! Mir ist, als hätte ich erst angefangen zu leben, seit er aus dem Kriege zurück ist. Wie soll ich leben, wenn er einst fortgeht? Mutter, verzeih mir – ich kann nicht mehr beten, ohne daß der Gedanke an ihn sich zu mir drängt und meine ganze Seele ausfüllt, mich bald in Jubel und Entzücken, bald in Schmerz und Verzweiflung versetzt! Er ist mein Abgott! Sterben möchte ich, sterben, denn mit ihm leben ist ja nicht möglich!«

Ein heftiges Weinen und Schluchzen unterbrach Martha's Stimme, und in fieberhafter Aufregung verbarg sie ihr Gesicht an den Knieen der Mutter. Barbara hatte einen solchen Sturm im Herzen ihrer Tochter nicht erwartet, und unfähig, zu rathen oder zu helfen, brach auch sie in Thränen aus, und Beide saßen lange stumm weinend in der Dunkelheit bei einander.

Endlich nahm die Mutter wiederum das Wort. »Du mußt dich zu fassen suchen, mein armes Kind, und auf Gottes Hülfe vertrauen! Ach, ich will beten, daß er dir Trost und Frieden gebe, weiter kann ich ja nichts für dich thun! Sieh, es gab eine Zeit, da war ich jung wie du, und – wußte auch von Herzeleid zu sagen. Gott versagte mir damals, woran meine Seele hing, und ich meinte keinen Trost im Himmel noch auf Erden zu haben. Mit den Jahren ward ich verständiger und ruhiger – es mußte gehen, und es ging.«

»Verzeihe mir, gute Mutter,« entgegnete Martha, »daß ich dir diesen Schmerz mache! Ich hätte schweigen und ihn in mir verschlossen tragen sollen.«

»Nein, mein Kind, nein!« eiferte Barbara. »Du hast Niemanden auf der Welt als mich, dem du dich vertrauen kannst, und du sollst das nicht unterlassen. Ich habe auch nichts weiter als dich, und sollte ich mit dir nicht gern Alles tragen wollen?«

Martha stand auf und umarmte ihre Mutter. Sie fühlte ihr Herz erleichtert, und gelobte sich in diesem Augenblicke, ihre Liebe zu bekämpfen, und allein für ihre Mutter zu leben.

»Laß uns zu Bett gehen!« sagte Barbara nach einer Weile, und bald sahen die Sterne in die enge Kammer, wo eine arme Wittwe mit ihrer Tochter sich aus dem Wirrwarr rastloser Gedanken der Gabe des erquickenden Schlummers entgegen sehnten.

Aber noch in eine andere Kammer schienen die Sterne und sahen auch in ihr schlummersuchende Augen. Der Maigraf war spät von der, für ihn unerquicklichsten Schlußfeier des Tages, vom Rathhause zurückgekehrt, und hatte sich unentkleidet auf das Lager geworfen. Wie spukhafte, zusammenhangslose Traumbilder zogen die Ereignisse des Tages an ihm vorüber, bis sie sich endlich verschlangen, und wesenlos durch einander gingen. Nach einer Stunde unruhigen Schlafes fuhr er auf. Er fand sich angekleidet, und trat ans Fenster. Das helle Sternenlicht schien ihn hinaus zu locken aus den finsteren Wänden des Hauses. Bald däuchte es ihm unmöglich, länger im Zimmer bleiben zu können. Seine Stirn glühte, und er beschloß, hinaus zu gehen aus der Stadt, um sich in der reinen Nachtluft zu erfrischen.

Leise schlich er die Treppe hinunter, drehte behutsam den Schlüssel der Hausthür, und eilte dem Stadtthore zu, durch welches er wenige Stunden vorher den Mai hereingebracht hatte. Da fiel ihm ein, daß das Thor nothwendig verschlossen sein mußte, und er täuschte sich darin nicht. Er hätte den Thorwärter wecken, und sich unter irgend einem Vorwande den Ausgang verschaffen können; aber ein anderer Weg fiel ihm ein, der ihm vorzüglicher erschien, der freilich aber auch gewagt genug war, zumal für einen Hildesheimer Bürger und Maigrafen. Er erinnerte sich nämlich aus seiner Knabenzeit eines sehr bequemen Ueberganges über zwei Gartenmauern, zu welchen dann noch die Stadtmauer kam, welche, als dritte, von dem Garten des Dr. Musculus aus zu ersteigen war, und von welcher man durch einen Sprung in's freie Feld gelangen konnte.

Bald hatte er die beiden Gartenmauern überstiegen, und als er jetzt im Baumgehege seines einstigen Lehrers stand, überkam ihn der Gedanke: Wenn du hier ertappt würdest! Rasch that er einige Schritte, um zu der altbekannten Stelle zu gelangen, wo ein Altan das Ueberschreiten ungemein erleichterte, als er plötzlich fehl trat und über ein Brett stolperte, auf welchem ihm eine Menge umknickender kleiner Blumenstöcke die Verwüstung ahnen ließen, die sein Sturz hier hervorgebracht haben mußte. Schnell suchte er an die Mauer zu gelangen, aber – o weh, der Altan war verschwunden! Was thun? Sein Gedächtniß kam ihm wiederum zu Hülfe. Er erinnerte sich einer etwas verwilderten Ecke des Gartens, wo ein Schuppen stand, und wo er früher öfter eine Leiter gesehen hatte. Glücklich fand er die Leiter, erstieg mit ihrer Hülfe die hohe Mauer, that einen kühnen Sprung, und war im Freien.

Eilig förderte er seine Schritte durch die dämmerhelle Nacht und gelangte nach kurzer Wanderung auf den weiten Anger, von welchem jetzt die letzte Spur des gestrigen Treibens verschwunden war. Das Gebüsch und die Bäume, welche ihn zum Theil einschlossen, warfen ihre Schatten auf den Rand, und drüber standen die klaren, hellen Sterne. Rambert überschritt den Plan seiner Länge nach. Das leise, geheimnißvolle Wehen der Nacht drang zu seinem Ohr, ab und zu kam der verfrühte Ruf eines Vogels aus dem Walde. Es war die Stunde, wo die Nacht sich schweigend rüstet, um dem Morgen Platz zu machen.

Wie umgewandelt, fühlte Rambert sich jetzt erst ganz als Maigrafen in seinem Eigenthume, als überwache er sein schlummerndes Reich, und zugleich glaubte er nie reiner und besser empfunden zu haben. Erringe ich Eines noch, dachte er, dann sei der letzte Rest meines bisherigen Lebens hinter mich geworfen! Dahin das Streben in's Weite, alle Ruhmsucht und hochfahrendes Wesen, und ich will glücklich und Glück spendend in engen Schranken ein Mensch sein!

Mit solchen Gedanken lenkte er seine Schritte dem Fußwege zu, auf welchem Christian ihn gestern geführt hatte. Er suchte nach der Stelle, wo er mit Martha gestanden, ohne den Platz finden zu können. Die feuchten Zweige benetzten sein Gesicht, indem er durch die Büsche streifte. Schon hörte er den Mühlbach rauschen, und in der Mühle die ersten Hähne krähen. Er mußte ganz in der Nähe sein, und doch schien ihm Alles verändert. Da fielen seine Augen auf eine lichtere Stelle des Rasens. Er erblickte Etwas, und mit innerstem Herzensjubel eilte er dahin, und hob es vom Boden auf. Es war der Kranz von Schlüsselblumen, welchen Martha von sich geworfen hatte, noch frisch und duftig, und feucht vom Thau der Nacht. Sei du mir ein günstiges Vorzeichen! rief er. Ich nehme dich dafür! Du hast ihr schönes Haupt geschmückt, du mußt von ihren Gedanken wissen – und du kündest mir Freude und größeres Glück, als ich verdiene!

Lebhafter wurde es schon in den Zweigen. Der Fink guckte wohlgemuth trällernd aus seinem Neste, und aus dem Grase stieg die erste Lerche in die Morgendämmerung hinauf. Rambert eilte nach der Stadt zurück. Es schien ihm, als habe er das Ziel seiner Wanderung erreicht, und glücklich verbarg er den Kranz unter seinem Gewande auf der Brust. Als er das Thor erreichte, wurde dasselbe eben für die ersten Werkleute geöffnet. Er drückte den Hut in's Gesicht und schlüpfte hindurch. O, wie gern wäre er an der Thüre stehen geblieben, hinter welcher Martha noch in süßem Schlummer lag! Aber der Bäcker gegenüber öffnete gerade seinen Laden und schien ihn zu erkennen, denn er rückte an der weißen Nachtmütze.

Sein Haus fand Rambert schon geöffnet. Scheu wie ein Dieb schlüpfte er hinein, und kam ungesehen die Treppe hinauf. Dann legte er den Kranz vor sich auf den Tisch, setzte sich in den Lehnstuhl, und starrte lange auf das duftende Gewinde, bis sein Haupt auf seine Arme fiel, und er in dieser Stellung einschlief.

*

Achtes Capitel.

Früh um sieben Uhr ging Meusel in seines Herrn Arbeitszimmer, um demselben Rechnung und Rechenschaft abzulegen über die Kosten des Festes, über den Verbrauch der hinausgeschafften Vorräthe, und den Zustand der benutzten Wirthschafts-Gegenstände. Er fand Rambert in ungewöhnlicher Lage schlafend, betrachtete ihn eine Weile aufmerksam, und legte die Bücher und Rechnungen auf den Tisch, um sich auf leisen Sohlen wieder zu entfernen. Plötzlich aber erwachte der Schlafende, rieb sich die Augen, und sah dem Alten frisch und freudig ins Gesicht.

»Guten Morgen, Meuselchen!« rief er. »Ich bin eine Schlafmütze! Das darf nicht wieder vorkommen!«

»Habt Ihr die ganze Nacht in dieser Lage zugebracht?« fragte Meusel besorgt.

»Kurz und gut, ich habe ausgeschlafen!« entgegnete Rambert. »Nun aber frisch an die Arbeit!«

»Ich will erst das Frühstück kommen lassen,« sagte Meusel. »Frau Barbara hat sich heute nicht eingestellt.«

»Das ist ganz recht so!« rief Rambert schnell. »Die Frau darf sich unseretwegen nicht versäumen. Dieser Interims-Zustand muß in meinem Hause nun doch einmal aufhören. Wir wollen ein paar Mägde miethen, uns überhaupt mehr häuslich einrichten. Der Tobias soll für's Erste noch aushelfen, und jetzt das Frühstück bringen. – Beiläufig, wer hat es denn heute bereitet?«

Meusel schmunzelte. »Ihr werdet es kaum errathen,« sagte er. »Die dicke Frau Peter, des reichen Vierwirths Ehehälfte, schickte heute in der Frühe dem Herrn Maigrafen eine Kanne des schönsten Eimbecker Bieres, mit der Versicherung, daß sie die künftigen Lieferungen für das Haus sehr gern übernehmen wolle. Ich bat die Magd, zehn Minuten im Hause zu bleiben, um rasch das Nöthigste zu Eurem Frühstück anzuordnen, da Frau Barbara ausgeblieben sei. Sie war auch bereit, uns zu unterstützen. Ich führte sie in die Küche, aber da fehlten Milch, Eier und andere Dinge, und so lief sie davon, um sich bei ihrer Frau Rath zu holen. Nicht lange darauf kam sie wieder, und brachte auf einer silbernen Platte eine Kanne gewürzten Warmbiers, und einen Teller des feinsten Backwerks, nebst einer Empfehlung der Frau Peter, und dem Wunsche, daß dem Herrn Maigrafen das Frühstück wohl bekommen möge!«

»Sehr gut, Meusel!« sagte Rambert. »Wir gehören also nicht zu denjenigen, welche Frau Peter zu hauen gesonnen ist. Meinen Dank werde ich persönlich abstatten. Aber was muß man von uns denken, Meusel? Da wohnen wir in diesem großen Hause, das Geschäft blüht aufs beste, während Küche und Speisekammer in so verwahrlos'tem Zustande sind!«

»Freilich,« entgegnete Meusel, »der selige Herr hatte nicht große Bedürfnisse. Von dem Wirthschaftsgeräth ist vieles schadhaft geworden, während ich etwas Neues nicht anzuschaffen wagte. In den drei letzten Jahren vollends, wo das Wohnhaus so gut wie leer stand.«

»Das soll Alles anders werden!« fiel Rambert ihm in's Wort. »Wir wollen hernach selbst in Küche und Speisekammer revidiren gehen – Gott gebe uns nur Verstand, daß wir merken, wo es eigentlich fehlt! Für jetzt aber, mein Meuselchen, laßt uns das Peter'sche Frühstück heraufbringen.«

Tobias, der Stallknecht, brachte auf der silbernen Platte die duftende Entgegnung der gestrigen Artigkeiten des Maigrafen, und entledigte sich dieser ungewohnten Pflicht mit so anerkennenswürdiger Anstelligkeit, daß er auf der Treppe nur ein Drittel aus der Kanne schüttete, während das Backwerk freilich Stück für Stück die Stufen herunter rollte. Meusel sammelte es sorgfältig hinter ihm auf, und legte es wieder auf den Teller, ehe er die Thür des Zimmers öffnete.

»Sieh, sieh!« sagte Rambert, als er die Kanne in einem dampfenden Fußbade stehen sah, »Frau Peter hat es sehr gut gemeint!«

Tobias machte ein verlegenes Gesicht und retirirte nach der Thür, wobei er nur einen einzigen Stuhl umwarf, den Ofen aber durch einen heftigen Anprall erbeben machte. »Das also,« fuhr Rambert fort, »soll hinfort unsere häusliche Bedienung sein? Sieh nach dem Rappen, Tobias! Meusel, wir haben Eile, um in Ordnung zu kommen!«

Tobias ging, und während Rambert und Meusel sich zum Frühstück setzten, war der Letztere mit der in Aussicht stehenden Eile sehr einverstanden. Er fühlte sich in einem inneren Kampfe, er hatte die Frage auf der Zunge, ob Rambert denn nun entschlossen sei, sich bleibend an die Spitze des Geschäfts zu stellen, und konnte sie doch nicht über die Lippen bringen. Mancherlei hingeworfene Worte erfüllten ihn zwar mit froher Hoffnung, dennoch aber konnte er, so lange die Versicherung ihm nicht mit klaren Worten gegeben war, Angst und Befürchtungen nicht los werden.

»Das Frühstück ist gut,« sagte Rambert nach einer kurzen Pause. »Wir wollen uns unsere künftige Köchin durch Frau Peter empfehlen lassen. Nun aber sagt mir, Meusel, warum ist jene Thür dort durch einen Schrank versetzt?«

»Jene Thür?« entgegnete Meusel. »Der selige Herr brauchte eben nur dieses eine Zimmer, und so hat er alle Schränke, die er benutzen konnte, hier vereinigt.«

»Das ist recht schön, Meusel, aber ich gestehe, daß mir dieses eine Zimmer zu eng ist. Der Schrank soll weg, und die Thür künftig geöffnet werden. Außerdem müssen noch einige Veränderungen vorgenommen, Anschaffungen gemacht und Verbesserungen eingerichtet werden. Das Nebenzimmer will ich neu täfeln lassen, Tische, Sessel und eine Menge anderer Dinge sind einerseits nicht in genügendem Vorrath da, zum Theil auch in schlechten Zustand gekommen. Seht einmal diese Fenstervorhänge an! Ich erinnere mich, daß sie in ihrer und meiner Jugend roth waren, jetzt tragen sie das ausgesprochenste Olivengrün zur Schau. Wir müssen künftig darauf sehen, daß wir mit Anstand Gäste aufnehmen können, denn nicht immer werden wir sie draußen auf dem Anger bewirthen wollen.«

So verheißend solche Worte für Meusel auch waren, so mischte sich doch eine Besorgniß anderer Art in seine Freude. »Herr Rambert,« sagte er, »die neuen Einrichtungen werden sicherlich sehr schön werden – sehr kostbar – aber wißt Ihr denn auch, was uns der gestrige Tag gekostet hat? Sechshundert und fünfzig Gulden!«

»Das ist Geld genug!« sagte Rambert. »Indessen kommt solch ein Tag wahrscheinlich nur Ein Mal im Leben vor. Wir werden uns neu einrichten, wie es uns geziemt, wir werden aber auch sparen und die sechshundert und fünfzig Gulden wieder einbringen. Da ist mir gestern beim Feste eine Nachricht über die neuesten Kriegsrüstungen zugekommen, und ich habe sogleich beschlossen, mich an diesen zu betheiligen,«

Meusel erbleichte. An Kriegsrüstungen betheiligen? Was sollte das heißen?

»Herr Rambert,« sagte er, »ich verstehe nicht – mein Gott, ich denke …«

»Ihr sollt sogleich klarer sehen,« fuhr Rambert fort. »Es handelt sich nämlich um eine Lieferung von fünfhundert Ellen Tuch. Um diese werden wir uns bewerben. Noch heute werde ich den Kriegs-Commissarien schreiben, und dann wollen wir Tuch färben, Meuselchen, so lang, daß wir die ganze Erde darein wickeln können, und der Zipfel noch bis an den nächsten Stern wehen soll!«

Meusel stand freudestrahlend auf. »Und Ihr bleibt hier?« rief er. »Bleibt Herr des Hauses für immer?«

»Das hängt noch von Umständen ab,« entgegnete Rambert heiter. »Vielleicht – hoffentlich! Ich kann jetzt nichts weiter thun, als – abwarten. Aber nun an die Arbeit! Zeigt mir die Rechnungen! Haha, da ist Euer anderes Ich, Eure Geliebte, Euer Kleinod, das Hauptbuch! Gebt das Unthier her, wir wollen uns seiner Betrachtung widmen.«

*

Nachdem Beide einige Stunden gearbeitet, und sich über mancherlei Geschäfts-Angelegenheiten besprochen hatten, begann in dem alten Hause ein lebendiges Treiben und Wirtschaften. Der junge Hausherr machte mit seinem Verwalter eine abermalige Wanderung vom untersten Keller bis zum obersten Boden, Küche und Speisekammer mit eingeschlossen, und betrachtete diesmal seinen Besitz mit regerem Interesse. Er ließ sich belehren, und zeigte überall in heiterster Stimmung das Bestreben, das Gute zu fördern, das Schadhafte zu verbessern. Nur in der Küche konnten, da auch Meusel in vielen Dingen keinen Rath wußte, die Forschungen zu keinem Resultate kommen.

»Was sind wir für hülflose Geschöpfe, Meusel!« begann Rambert, indem er die einst glänzend eingerichtete Werkstätte der Mittagstafel überblickte. »Wir wissen hier eben so wenig Bescheid, wie mein Tobias in einem wohl geordneten Zimmer. Wo werden wir heut etwas zu Mittag herbekommen?«

»Es würde Alles recht gut stehen,« entgegnete Meusel, »wenn bald eine junge Herrin in's Haus käme, nämlich eine solche, die eben ganz Hausfrau sein wollte.«

»Sehr richtig, Meusel!« sagte Rambert, »vorzüglich ist Eure Clausel von Wichtigkeit: nämlich eine solche, welche u. s. w. Aber wo bekommen wir eine solche her? … Was nun unser heutiges Mittagessen betrifft, so wollen wir einmal aus der Gesellenküche, und zwar mit an dem Tische der Gesellen speisen.«

»Ei,« erwiderte Meusel, »Ihr solltet Euch bei meinem Bruder anmelden. Er führt einen guten Tisch, und würde sich freuen, Euch zu bewirthen.«

»Das wollen wir künftig einmal thun, Meusel. Für heut setzen wir uns zu den Gesellen. Man muß sich an Alles gewöhnen, und ich habe im Felde schon schlechter gespeis't.«

Nach Beendigung dieses Rundganges besichtigte Rambert die neue Einrichtung, welche er in den Zimmern des ersten Stockwerkes angeordnet hatte. Der an sein Wohnzimmer stoßende Raum war dreifensterig, noch wohl erhalten, auch mit genügendem Mobiliar versehen. Er war vor Alters das Prunkzimmer des Hauses gewesen, doch hatten die Ledertapeten, so wie auch die goldgepreßten Lederbezüge der Armsessel etwas gelitten. Nachdem aber mehrere Schränke des Wohnzimmers hier aufgestellt, und der Raum von Staub und altem Geräth, das man hier aus der Hand gesetzt hatte, gesäubert worden war, machte er einen recht stattlichen Eindruck, und Rambert sagte sich, daß, wenn die Kerzen des Kronleuchters angezündet würden, dieser Saal noch für einige Zeit den Glanz des Hauses zu repräsentiren vermöchte.

In seinem Wohnzimmer hatte er, durch Wegräumung alter Gerätschaften, zwei kleinere Wandflächen gewonnen, und an diesen beschloß er die Zeichen seines einstigen Kriegerstandes aufzuhängen. Tobias war bei dieser Arbeit besser als sonst zu gebrauchen. Tüchtige Eisenstäbe und Nägel wurden eingeschlagen, und zwei Gruppen von Waffenstücken gebildet, welche, da Rambert einst viel auf schöne Waffen gehalten hatte, einen glänzenden Wandschmuck bildeten. Brustharnisch, Sturmhaube, Schild und Lanze bildeten die eine Gruppe, während die andere aus einer ganzen aufrecht stehenden Rüstung bestand, über welcher sich Schwerter und Kugelbüchsen kreuzten. Als das letzte Stück aufgehängt war, und Tobias sich entfernt hatte, legte Rambert den Hammer aus der Hand und sagte: So, da hängst du nun am Nagel, du wildes Eisenzeug, das ich niemals ablegen zu können meinte! Ruhe jetzt aus, bis die Noth mich einmal treibt, zu dir zu greifen. Und du, altes Zimmer, sollst mir jetzt Arbeitsgemach, Ahnensaal und Rüstkammer sein, es wird sich mit einander vertragen! –

Dann nahm er den Primelkranz vom Tische, betrachtete ihn, und betrachtete jenen anderen, welchen er als Maigraf getragen hatte. Ihr beiden Kränze seid es, dachte er, die mich umgewandelt haben! Jenen grünen dort, die unverdiente Bürgerkrone, gab mir meine Stadt, und knüpft Hoffnungen daran, die zu erfüllen, meine und meines Hauses Ehre erfordert. Er kann mir nicht mehr genommen werden; doch dieser blühende, den mich ein günstiger Zufall finden ließ, ist noch nicht mein. Und doch muß er mein werden, wenn ich die Pflichten, die der andere mir auferlegt, freudig erfüllen soll!

Da wurde an die Thüre gepocht, und ein Diener Richildens trat in's Zimmer. Das Fräulein, meldete er, wolle noch heut abreisen, und wünsche Herrn Rambert vorher noch einmal zu sprechen.

Richilde? Wie weit, wie weit kam dieser Ruf her! Wie weit war das schöne Bild, welches ihm einst, wie seine nun zur Ruhe gebrachten Waffen, so begehrungswürdig erschienen, in den Hintergrund getreten! Sie will mich sprechen? dachte er. Darf ich denn jetzt noch vor sie treten? jetzt, da ich ein Anderer geworden bin? Was kann ich ihr sagen? Doch, sie will es – gut! Vielleicht bin ich's ihr auch schuldig, daß ich ihr Wahrheit gebe. Mit diesem letzten Schritte sei die Vergangenheit abgethan!

Er entließ den Boten mit dem Bescheid, daß er in einer Stunde dem Fräulein aufwarten werde, und begab sich in das Hinterhaus, um sich mit seinen Gesellen zu einem derben Hirsebrei und Rindfleisch zu Tische zu setzen.

*

Neuntes Capitel.

Richilde ging, bereits im Reisekleide, zwischen schweren gepackten Koffern auf und nieder, während ihre Zofe noch Dies und Jenes zusammensuchte, und sich, da ihr die Abreise aus der Stadt überaus ärgerlich war, ab und zu durch eine boshafte Anspielung zu rächen suchte. Das Fräulein hörte kaum darauf, ihre Gedanken harrten dem entgegen, von welchem sie heute Abschied zu nehmen gedachte, um ihn bald – so hoffte sie – in einer größeren Weltstellung und unter glänzenderen Umgebungen wieder zu begrüßen. Sie hatte beschlossen, heut alle Neckereien bei Seite zu lassen, und wahr und offen mit ihm zu reden. Was ihr Stolz so oft unter der Maske kalten Spottes verborgen, die ganze Fülle ihres liebenden Herzens, drängte sich beim Herannahen der Trennungsstunde immer lebhafter hervor, und noch niemals hatte sie es so tief empfunden, daß Rambert der Mann ihrer Wahl sei.

Der Anblick, welchen er ihr beim Maienfeste, geschmückt mit dem Bürgerkranze, gewährt hatte, erfüllte sie mit der ernstlichen Furcht, daß er sich für das bürgerliche Leben entscheiden möchte; doch war ihr die Verwirrung in seinen Mienen, als er sie plötzlich vor sich sah, nicht entgangen. Noch traute sie sich die frühere Gewalt über ihn zu, und schnell faßte sie den Entschluß, dieselbe über ihn auszuüben, und ihn seinen Umgebungen zu entreißen. Sie rüstete sich schnell zur Abreise, um sich nach dem dermaligen Hoflager des Kaisers zu begeben. Vielleicht – so berechnete sie – bleibt er in seinem trotzigen Sinne fürs Erste in der Stadt zurück. Bald aber fühlt er den Druck seiner engen Schranken, sein Herz verlangt hinaus in das bewegte Treiben der Welt, und in meine Nähe, wo Lorbern und Liebe seiner harren!

Rambert wurde gemeldet. Eilig ging Richilde dem Nebenzimmer zu, und vor ihr stand der Maigraf in dem schlichten gestrigen Anzuge, welchem nur der Kranz fehlte. –

»Ich wußte, daß Ihr kommen würdet,« sagte sie, indem sie ihm lebhaft entgegen ging. »Ich muß abreisen, Geschäfte rufen mich an den Hof des Kaisers. Wann sehen wir uns dort wieder?«

»Wahrscheinlich niemals,« entgegnete Rambert. »Im Kriegskleide werde ich mich schwerlich jemals wieder unter die Ritter und Edlen drängen, und so vermuthe ich, daß ich den Hof des Kaisers niemals zu Gesicht bekommen werde, es sei denn, daß meine Stadt mich einmal in einer Gesandschaft dahin sendete.«

Richilde war auf eine derartige Entgegnung nicht unvorbereitet, obwohl sie das Abprallen des ersten Pfeils bitter genug empfand.

»Ihr reis't ab, Fräulein,« fuhr er fort, »und es ist zweifelhaft, ob wir uns jemals wiedersehen. Laßt mich den Abschied, den ich von Euch zu nehmen denke, in das Gewand einer Erklärung kleiden – ich bin es Euch schuldig.«

Richilde ließ sich mit fragenden Blicken in einen Lehnsessel nieder, während Rambert ihr gegenüber Platz nahm. –

»Ihr habt mich gestern,« begann er, »in Umgebungen gesehen, die fortan die meinigen bleiben werden, welchen ich mich wenigstens ohne Noth nicht mehr zu entziehen denke. Der Kranz, den meine Mitbürger mir auf das Haupt setzten, hat für mich eine tiefe Bedeutung gewonnen. Er ist das unlösbare Band, das mich an die Werke des Bürgerstandes knüpft. Kein Verdienst hat mir die Ehre des gestrigen Tages eingetragen, ich fühle es tief, und fasse den Kranz als eine ernste Mahnung auf, mir das in Zukunft zu erwerben, was das Glück mir freigebig geschenkt hat. Mein Platz ist fortan in meiner Vaterstadt, meine Arbeit und Sorge soll ihrem Wohle gelten.«

»Wenn man Euch aber,« entgegnete Richilde rasch, »den Lorberkranz kriegerischen Ruhmes aus der Ferne zeigte, würdet Ihr da nicht das leicht verwelkende Birkenlaub gern mit ihm vertauschen?«

»Nachdem ich das Birkenlaub auf meiner Schläfe gefühlt habe, nicht mehr!« sagte Rambert. »Ich glaube, daß es genug ist, wenn der Mensch einen Kranz erwirbt. Hat er ihn aber, so soll er ihn halten und sich seiner würdig zeigen. Mir hat das Glück die Bürgerkrone zugeworfen, während der Lorberkranz nur als ein zweifelhaftes Ziel in der Ferne liegt. Ich werde die erstere nicht um des letzteren willen fallen lassen. Nicht daß ich Ruhm und Ehre des großen Welttreibens für werthlose Güter zu erklären gedächte, nein, gewiß nicht, aber ich glaube sie für's Erste entbehren zu können. Meine Waffen hab' ich in meinem Arbeitszimmer in Gruppen aufgehängt, sie werden mir immer ein angenehmes Erinnerungszeichen bleiben. Vielleicht lege ich sie einmal wieder an, wenn es gilt, die Thore meiner Vaterstadt als treuer Bürger zu vertheidigen, früher aber gewiß nicht. Ihr glaubt nicht, wie gut sich das blanke Eisenzeug mit dem bürgerlichen Zimmer verträgt, es hängt da, als gehörte es hinein.«

Richilde traute ihren Ohren nicht. Alles, was Rambert sagte, klang so bewußt und ernst, und doch auch so freudig, daß sie es weder für das Resultat einer trüben Entsagung, noch für leicht hingeworfenen Spott halten konnte. Dennoch sah sie ihn mit zweifelhaften Blicken an, und fügte: »Geht, das ist nicht Euer Ernst!«

»Doch!« entgegnete Rambert, »doch! Es ist mein Ernst. Wie die Umwandlung mit mir so eigentlich vorgegangen ist, das wüßte ich selbst kaum zu sagen. Genug, ich fühle, daß man auch in engen bürgerlichen Schranken beglückt sein könne. Sind diese doch der Lebenskreis, dem ich entsprossen bin! Mein Streben hat eine bestimmte Richtung bekommen, während ich früher ohne rechtes Bewußtsein dessen, was ich wollte, dahinlebte. Legte ich jetzt noch einmal die Waffen an, um auf Kriegsruhm in die Welt auszuziehen, was wäre ich Besseres als ein Abenteurer? Und was nützte ich der Welt? Gebietet mir doch die Noth nicht, das Schwert zu ziehen! Ihr wundert Euch, Fräulein, aber ich muß es aussprechen: Mein ganzes bisheriges Leben mit all seinem Denken und Thun ist zu Ende, und als ein Anderer beginne ich ein neues Leben.«

Richilde erblich, das hatte sie nicht erwartet. Sie rang nach Fassung, aber ihre Mienen verriethen die Erregung ihres Herzens. Rambert sah die schöne Gestalt des Mädchens, an welcher seine Augen einst mit lebhaften Wünschen gehangen hatten, vor sich, und es überkam ihn eine Ahnung dessen, was in Richildens Herzen vorging. Sie sprach nicht zu ihm, es schien, als könne sie keine Worte finden. Mit lebhafter Rührung betrachtete er sie, und mit Einem Male schien die Erinnerung dessen, was sie ihm einst gewesen war, wieder in ihm wach zu werden.

»Richilde,« sagte er in plötzlicher Selbstvergessenkeit, »mein Leben habe ich mir unverrückbar vorgezeichnet, es ist ein anderes geworden, als Ihr es für mich ausgesonnen hattet. Sind Euch die Grenzen zu eng, um es mit mir zu theilen?«

Richilde schwieg und machte eine abweisende Bewegung.

»Sprecht, Fräulein,« fuhr Rambert fort, »von einem Worte hängt in diesem Augenblicke viel ab. Könnt Ihr Eure hochfahrenden Pläne aufgeben, und die Hand eines einfachen Hildesheimer Bürgers …«

Das Fräulein ließ ihn nicht ausreden. Ihre Fassung kehrte mit ihrem Stolze zugleich zurück. »Geht, geht!« rief sie. »Um Gottes willen, geht!« –

Schnell erhob sie sich und that einige Schritte nach der Thür.

Auch Rambert kam plötzlich zu sich, und das Bewußtsein dessen, was er in einem bethörten Augenblicke aufs Spiel gesetzt hatte, machte ihn erröthen. Die Gestalt Martha's trat vor seine Seele, und eine strafende Stimme seines Gewissens rief ihm zu: Entflieh, entflieh, denn alles, was du hier noch geben kannst, ist Trug und Lüge!

Auch er hatte sich erhoben, und indem er die Blicke zu Boden heftete, sagte er: »So gilt es, Abschied zu nehmen.«

»Kein Wort mehr!« rief Richilde. »Lebt wohl!« Damit eilte sie in's Nebenzimmer, zog die Thür hastig hinter sich zu und verschloß dieselbe. Die Zofe war hinausgegangen. Schnell drehte sie auch den Schlüssel der anderen Thür ab, und als sie sich allein sah, warf sie sich mit leidenschaftlichem Schmerz in einen Sessel und brach in die heftigsten Thränen aus. Was im Verlaufe der nächsten Stunde durch ihre Seele ging, müssen wir verschweigen. Noch vor Ablauf des Tages jedoch nahm sie, scheinbar in ruhigster Fassung, Abschied von ihren Verwandten, ließ den schweren Reisewagen vorfahren, und verließ die Stadt.

*

Zehntes Capitel.

Am nächsten Morgen nahm Rambert eine Stunde wahr, in welcher Meusel im Hinterhause den Geschäften nachging, um in dem kleinen Zimmer des Alten einige Veränderungen zu treffen, die denselben überraschen und erfreuen sollten. Ein neuer gepolsterter und mit Leder überzogener Lehnstuhl wurde hereingetragen, und ein schöner, kostbarer Pelzrock über einen Sessel gebreitet. Der Hausherr selbst trug einige werthvolle Kupferstiche von Albrecht Dürer in Rahmen herbei, die er mit Tobias' Hülfe an den Wänden befestigte. Eben wollte er sich wieder aus dem Zimmer entfernen, als der Bewohner desselben eintrat, und mit Erstaunen den Schmuck und die Geschenke bemerkte.

»Ich wollte Euch,« sagte Rambert, »eine kleine Freude bereiten, guter Alter; denn Eure Verdienste um mein Haus nach Würden zu belohnen, sehe ich keine Möglichkeit. Wärmt Euch denn in diesem neuen Pelzrocke. – Ihr werdet darin recht stattlich aussehen! Und wenn Ihr Euch hier im Lehnstuhl ausstreckt, dann denkt, daß der Geber Euch ehren will, daß er Euch herzlich lieb hat, und daß er Euch ewig dankbar sein wird. Nun, guten Morgen, Meuselchen, ich will zu Eurem Bruder gehen!«

Meusel stand in sprachloser Rührung vor seinem jungen Principal, ergriff seine Hand und umarmte ihn mit Thränen, welche seine Worte des Dankes ersetzen mußten. –

Rambert machte sich auf den Weg zum Doctor Musculus. Er fand den gelehrten Herrn im Garten beschäftigt, und zwar über ein Nelkenbeet gebeugt, auf welchem er einige umgebrochene Pflanzen durch junge Sprößlinge ersetzte. Er war in diese Arbeit, da er die Gärtnerei mit großer Vorliebe trieb, so vertieft, daß er den Herbeischreitenden nicht bemerkte, und sich erst, nachdem er die Begrüßung desselben vernommen hatte, emporrichtete.

»Ah, Ergebenster, mein Herr Maigraf!« rief er aus. »Ihr findet mich mit meinem Steckenpferde beschäftigt. Seht nur, was mir Aergerliches begegnet ist! Da ist Jemand über mein Nelkenbeet geschritten – was sage ich, geschritten? Mit beiden Füßen muß er darauf herum gestampft haben, denn die Hälfte meiner kostbaren Nelken ist verdorben. Der Bösewicht muß recht deßhalb in meinen Garten gebrochen sein, um mir diesen Aerger anzuthun; denn nichts ist entwendet worden. Ein Dieb kann es also nicht gewesen sein.«

»Wann ist das Unglück geschehen?« fragte Rambert, in welchem die Ahnung seiner komischen Verschuldung aufstieg.

»In der Nacht nach dem Maienfeste,« entgegnete Musculus. »Am Morgen darauf, als ich meine Lieblinge, wie jeden Tag, zu beobachten ging, sah ich das Unheil, und fand an der Mauer noch die Leiter angelehnt, vermittelst welcher der Schändliche über die Mauer entflohen war. Gestern wurde ich nur halb fertig mit der Wiederherstellung des Verdorbenen, nun aber wird die Pflanzschule wohl in Ordnung sein. So – nur noch ein paar Stäbchen sind hier fest zu binden, – Schöner Morgen heute, nicht wahr? Was bringt Ihr mir denn, Herr Maigraf?«

»Lieber Doctor Musculus,« entgegnete Rambert, »ich hätte etwas recht Ernstes mit Euch zu besprechen!«

»Oho, ein Geschäft? Nun, heraus damit!«

»Ja, ein Geschäft, welches nothwendig ist, und einen guten Ausgang haben muß, wenn ich mich jemals in meinem Hause heimisch fühlen soll. Kurz und gut, ohne viele Worte, wollt Ihr mein Freiwerber sein?«

Musculus sah ihn schmunzelnd von der Seite an. »Ah, eine Maigräfin?« sagte er. »Nun, wo soll ich denn eine solche für Euch auftreiben?«

»Ihr kennt sie, Doctor, Ihr habt selbst verhindert, daß ich ihr schon neulich eröffnet, was ich für sie fühle.«

»Also die kleine Martha, mein Pathchen? Aber hat Er auch bedacht, mein junger Maigraf, daß sie ein geringes, armes Mädchen ist, und daß Seine Vorfahren sich ihre Frauen aus den ersten Geschlechtern der Städte wählten?«

»Sie bringt ihre Schönheit, ihre Unschuld und ihre Liebenswürdigkeit mit,« entgegnete Rambert, »und weiter brauche ich nichts. Des Besitzes ist in meinem Hause genug. Wenn Martha mich haben mag …«

»Richtig!« fiel ihm Musculus in's Wort, »das ist die Frage. Gut, ich will mich heute gegen Abend in den Sonntagsstaat werfen – denn früher erlauben es meine Geschäfte nicht, und bei Frau Barbara als Freiwerber vorsprechen.«

Rambert wollte ihm seinen Dank ausdrücken, Musculus aber rief: »Nicht zu früh, Herr Maigraf! Hernach das Weitere! Jetzt muß ich in die Rathssitzung.«

*

Der Tag däuchte dem Helden unserer Erzählung überaus lang. Er nahm diese und jene Beschäftigung in Angriff, aber nichts wollte heut fördern. Bei Tische berieth er sich mit Meusel über die Herbeischaffung einer Auswahl schöner Nelkenstöcke. Dieser schien sich zu freuen, daß sein junger Herr Geschmack an der Blumenzucht finde, und wußte sogleich einen Geschäftsfreund in Nürnberg, bei dem man dergleichen erlangen könne, worauf er sich des Breiteren über den großen Garten, welchen Rambert vor dem Thore besaß, ausließ.

Mit erwartungsvollem Herzen harrte Rambert dem Abend entgegen. Endlich wurde es dunkel. Er nahm einen Mantel um, und schlich sich hinaus, denn es hielt ihn nicht länger im Hause. Jetzt, sagte er sich, muß der Doctor zu Barbara gegangen sein! Mit klopfender Brust schritt er durch die Straßen, indem er sich dem kleinen Hause Barbara's bald näherte, bald sich wieder entfernte. So stand er auf feiner Kreuz- und Querwanderung plötzlich vor dem Portale des Doms, wo die Abendandacht eben beim Geläute der Glocken zu Ende ging. Aus dem herrlichen Gotteshause strömten die Andächtigen, und indem er seine Blicke zerstreut über dieselben gleiten ließ, erkannte er Martha, die mit dem Gebetbuche schnell nach Hause eilen wollte. Sie bog in eine Seitengasse zwischen Gartenmauern ein, er folgte ihr auf dem Fuße. Martha hörte die Schritte des sie Verfolgenden, und förderte beängstigt die ihrigen. Bald hatte er sie eingeholt, ging an ihrer Seite und rief: »Endlich, endlich! dieses Mal, kleine Martha, läufst du mir nicht davon!«

»Jesus!« rief Martha erschreckt, da sie seine Stimme erkannte, und ihre Kniee wankten. »Seid Ihr wieder da, wo ich Euch nicht erwartete? Kommt Ihr wieder, um mich zu ängstigen? Verlaßt mich, Herr Rambert, verlaßt mich!«

»Martha!' entgegnete Rambert, »ich lasse dich nicht mehr, bis du über mein Geschick entschieden hast!«

»Um Alles, redet nicht weiter!« gab Martha zur Antwort. »Nur hier auf der Straße nicht weiter!«

»Jetzt, jetzt oder niemals!« rief der Maigraf, indem er das geängstigte Mädchen fest hielt. »In deiner Hand liegt es, mich für immer los zu werden, oder mich für immer zu behalten. Willst du mein Weib werden, Martha? Nur die Eine Frage beantworte mir!«

Durch Martha's liebendes Herz ging ein Sturm von Freude, Zweifel, Furcht und Schrecken. Einige Augenblicke versagte ihr die Sprache, dann hörte Rambert die halb erstickten Worte: »Ach Gott, es ist ja nicht möglich!«

»Warum nicht, Martha?« fragte er. »Bin ich Dir nicht recht? Ich habe den Pathen Musculus zu Deiner Mutter geschickt, daß er als Freiwerber um Deine Hand für mich anhalte, Du aber sollst mir, da ich Dich hier treffe, selbst sagen, ob Du mir gut bist, ob Du mein sein willst.«

Martha leistete keinen Widerstand mehr. Mit seligem Weinen sank sie an seine Brust, und ließ sich von den stürmischen Armen des Geliebten umschlingen. »Mein Glück, meine Martha!« jubelte Rambert, indem er den Mantel um des Mädchens Schultern schlug, und mit ihr, die er mehr trug als führte, zum Hause der Mutter eilte.

Frau Barbara saß mit gefalteten Händen am Fenster, wahrend der Doctor langsam das Zimmer durchschritt. Beide schwiegen, und, wie es schien, in beglückter Erwartung. Da wurde draußen eine Stimme laut. Barbara fuhr auf, der Doctor hemmte seinen Schritt, die Thür ward geöffnet, und Martha und Rambert traten Hand in Hand ein.

»Mutter Barbara!« rief Rambert, »willigt Ihr ein?«

»In Gottes Namen!« entgegnete Barbara. Da warf sich Martha entzückt an die Brust ihrer Mutter, und in der Hütte der armen Witwe war Jubel und Freude.

*

Vier Wochen darauf war in dem alten Patricierhause ein reges Leben und Treiben, der Maigraf des Jahres feierte sein Vermählungsfest, Bunt ausstaffirte Diener flogen die Treppen hinauf und hinab, und verteilten Geld und Speisen unter die Menge, welche die Hausthür umdrängte. Im Saale aber lachten und schmaus'ten die Gäste an der kostbar und prächtig besetzten Tafel. Frohsinn und jugendliches Selbstbewußtsein glänzte auf dem Gesicht des Bräutigams, während die holdeste Demuth, gemischt mit innigster Wonne, aus den Augen der reizenden geschmückten Braut strahlte. Schon schien das Mahl beendet zu sein, die Gäste saßen oder standen in Gruppen umher. Da traten Braut und Bräutigam zu dem Doctor Musculus, und führten ihn in das anstoßende Gemach, welches die Waffenkammer, den Ahnensaal und das Studirzimmer des Hausherrn zugleich darstellte, und wo auf einem Blumenbrette eine Auswahl der schönsten Nelkenstöcke in Töpfen ausgestellt war.

»Hier, mein theurer Doctor,« begann Rambert, »biete ich Euch einen Ersatz für die verdorbenen Pflanzen, denn der Bösewicht, welcher sie zertreten hat, war – ich!«

»Was, Ihr?!« rief Musculus erstaunt.

»Ja wohl, ich!« sagte der Maigraf, und erzählte sein nächtliches Abenteuer. »Seht dort die beiden Kränze!« beschloß er endlich. »Ueber dem Bilde meines Vaters hängt meine Maigrafenkrone, über dem meiner Mutter das Gewinde von Frühlingsblumen, das meine Maigräfin einst im Walde wegwarf, und welches ich mir in der Stunde der Nacht wiederholte. Beide Kränze sind welk, aber hier im Herzen grünen und blühen sie fort und ketten mich mit unlösbaren Liebesbanden an mein Haus und an meine Vaterstadt!«

Mit diesen Worten umschlang er freudig sein schönes junges Weib, während Meusel, der die Rede mit angehört hatte, nichts Besseres zu thun wußte, als sich seinem lateinischen Bruder in die Arme zu werfen.

*


 << zurück weiter >>