Roda Roda und Carl Rößler
Der Feldherrnhügel
Roda Roda und Carl Rößler

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Dritter Akt

Freier Platz auf einem Hügel. Links der Gasthof »Zur schönen Aussicht« – ein Haus mit Erdgeschoß und erstem Stockwerk. Das Haus nimmt auch noch die linke Hälfte der Hinterbühne ein. Vor den Fenstern des Erdgeschosses offene Läden. Im ersten Stockwerk geschlossene Fensterläden. Vor dem Haus Tische. Nach rechts hinten freier Ausblick, rechts Gebüsch. Man hört fernes Geschütz und Gewehrfeuer – schon ehe der Vorhang aufgeht und auch später von Zeit zu Zeit.

Erste Szene

Der Bezirkshauptmann. Die Wirtin.

Der Bezirkshauptmann. Sie sind die Besitzerin des Gasthofs und für alle Gäste verantwortlich.

Die Wirtin. Aber Herr Bezirkshauptmann, bei mir wohnen nur feine Leute. Oben wohnt ein Herr und eine Dame, und da unten die Zimmer hat eine Dame gestern für ein paar Tage mieten lassen.

Der Bezirkshauptmann. Frau v. Landiesen?

Die Wirtin. Ja, so heißt sie. Sie kommt heute – die Jungfer mit dem Gepäck is schon da.

Der Bezirkshauptmann. So? Das Gepäck will ich mir einmal ansehen. Bitte, zeigen Sie mir die Zimmer. (Ab ins Haus.)

Die Wirtin (folgt ihm).

 

Zweite Szene

Der Oberst, Riedel, Koruga. Später ein Ulan.

Der Oberst tritt mit Riedel von rechts auf, hinter ihnen Koruga. Alle Soldaten tragen in diesem Akt Marschadjustierung.

Riedel. Hier, Herr Oberst, ist die beste Aussicht aufs Manöverterrain. 91

Der Oberst. Ganz richtig. Hier führen wir den deutschen Herzog her. Wo ist denn unser Kurfürst?

Riedel. Hoheit steht beim Wagen von Frau v. Landiesen und erklärt ihr das Manöver.

Der Oberst. Vielleicht erklärt er es mir auch. Denn mir ist bis jetzt nur eins klar: daß mir der Korpskommandant eine famose Mausefalle aufgestellt hat. »Verteidigung von Dohndorf gegen einen überlegenen Feind.« Überlegene Feinde pflegen einen zu schlagen. Na, ich werde die Niederlage tragen wie ein Mann.

Riedel (hat mit einem Feldstecher ausgespäht). Der Herzog ist ganz vorn in der ersten Linie.

Der Oberst. Er ist noch jung. Ihm macht das Soldatenspielen noch Spaß.

Ein Ulan (bringt mit erhobenem Arm eine schriftliche Meldung, ruft im Auftreten). Herr Oberst v. Leuckfeld!

Riedel (öffnet das Kuvert, das er gezeichnet dem Ulanen zurückgibt).

Der Ulan (ab).

Riedel (liest). »Die Sandhügel bei Dohndorf von feindlicher Infanterie besetzt. Stärke unbestimmt. Palitschek, Leutnant.« – Schon wieder rechts. Herr Oberst, der Feind geht rechts vor.

Der Oberst (lächelnd). So? Dann schicken Sie ein Bataillon nach links.

Riedel. Aber, Herr Oberst . . .

Der Oberst (energisch). Ein Bataillon nach links! Ich weiß schon, warum.

Riedel (zögernd). Herr Oberst, ich fürchte . . .

Der Oberst. Fürchten Sie sich nicht.

Riedel. Verzeihung, Herr Oberst . . . es ist aber gegen alle taktischen Prinzipien . . . 92

Der Oberst. Ich führe heute Zukunftskrieg. Und dann sagen Sie, bitte, dem Rittmeister v. Lützelburg: wenn der Herzog etwas sehen will, soll er hier auf diesen Hügel kommen. Wir treffen uns unten bei der Kirche.

Riedel (geht eilig ab).

 

Dritte Szene

Der Oberst, Koruga, der Bezirkshauptmann.

Der Bezirkshauptmann (kommt aus dem Haus. Er hat die letzten Worte gehört). Die Hoheiten kommen also hierher? Du muß man ja absperren. Ich bitte dringend darum.

Der Oberst. Gewiß, wenn Sie meinen . . .

Der Bezirkshauptmann. Ich fühle mich zur äußersten Vorsicht verpflichtet, Herr Oberst. Diese russische Dame . . .

Der Oberst. Unser Kurfürst hat sich ja gestern mit ihr sehr angefreundet.

Der Bezirkshauptmann. Ja, die hohen Herren haben leicht unvorsichtig sein. Aber wir Beamten! Wenn dem hohen Herrn etwas passiert, wird nicht er gemaßregelt sondern ich. Wissen Sie, was die Russin getan hat, Herr Oberst? Hier in diesem Haus hat sie sich zwei Zimmer gemietet.

Der Oberst. Es wohnen ja viele Menschen hier, jetzt im Sommer . . .

Der Bezirkshauptmann. Herr Oberst, Sie sind ein Optimist. Ich bin andrer Ansicht. Ich habe das Gepäck der Dame gesehen. Wissen Sie, was ich gefunden habe? Photographenapparate. Ich halte sie für eine Spionin. Sie wird von hier aus das Manöver beobachten wollen.

Der Oberst. Meine Taktik kann sie ruhig an Rußland 93 verraten. (Zu Koruga.) Der Platz hier wird abgesperrt. Nehmen Sie Ihre Ordonnanzen zusammen und instruieren Sie sie!

Koruga. Jawohl, Herr Oberst. (Er ruft.) Ordonnanzen zu mir!

Der Oberst (ab mit dem Bezirkshauptmann nach hinten).

 

Vierte Szene

Koruga. Kunitschek. Lummatsch. Nepalek usw.

Die Ordonnanzen sind von rechts herbeigelaufen und in Reih und Glied angetreten.

Koruga. Also, ihr laßts nur herein, wen ihr kennts oder wer Karte hat. Ihr stellts euch rund herum, wer ich jedem einzelnen seinen Posten schon anweisen. Und wenn einer von die Hoheiten euch was fragt, gescheit antworten, wie ich euch gelernt hab! Alsdann nochmals genauest wiederholen! Du, Kunitschek . . .

Kunitschek (unterbricht ihn). Jawohl, königliche Hoheit! (So oft Kunitschek angeredet wird, blickt er scheu und verprügelt weg.)

Koruga. Du viersitziger Hammel, du viersitziger – schau nicht so langsam, wenn ich mit dir red. Bin ich königliche Hoheit? Dreck bin ich. Wer is königliche Hoheit?

Kunitschek. Is sich . . . Is sich . . .

Koruga. Lummatsch – wer is die königliche Hoheit?

Lummatsch. Die königliche Hoheit is . . . König sein Weib.

Koruga. Zwölf Jahr dien ich schon, aber so hoffnungslosen Jahrgang hab ich noch nicht gehabt. – Königliche Hoheit is Herzog und Oberstinhaber. Wann er herkommt, was wird er dich fragen? Was interessiert einen Herzog? Wie du heißt. Was ist dein Vater? Was bist du in Zivil? Schmeckt dir Essen? Wie is Behandlung? Das 94 interessiert einen Herzog. – Alsdann ich bin jetzt der Herzog. (Er setzt sich in Szene und schreitet großartig auf Kunitschek zu. Leutselig.) Sie, Ulan, was is Ihr Vater?

Kunitschek. Kuhhirt.

Koruga. Das geht nicht. Das is nicht fein genug. Da denkt sich Herzog was Schönes von unserm Regiment. Dein Vater ist landwirtschaftlicher Beamter, merk dir. Und was bist du in Zivil?

Kunitschek. Auch Kuhhirt.

Koruga. Du darfst Kuhhirt sein, du bist noch jung. – Schmeckt Ihnen Essen?

Kunitschek. Heut nicht.

Koruga. Warum nicht?

Kunitschek. Hab ich heut noch nix kriegt.

Koruga. Du Hirsch, du buckliger! Wann du das sagst zum Herzog, gibt er dir a Watschen höchsteigenhändig, daß dir das Fett stockt. Du hast zu antworten. »Menage ist gut und reichlich.« – Also. wie is Menage?

Kunitschek. Gut und reichlich.

Koruga. Nepalek, wie is Menage?

Nepalek (Sopran). Gut und reichlich.

Koruga. Zwitscher nicht, du böhmische Nachtigall. Lummatsch, wie is Menage?

Lummatsch. Gut und reicht nicht.

Koruga (brüllt ihm ins Ohr). Reichlich–lich–lich.

Lummatsch (brüllt). Gut und reichlich–lich–lich.

Koruga. Na endlich! – Also, lieber Kunitschek, wie is Behandlung?

Kunitschek. Gut und reichlich.

Koruga. Du Wallach, du melancholischer! Wie is Behandlung?

Kunitschek. Königliche Hoheit, Wenzel Kunitschek heiß ich. 95

Koruga. Königliche Hoheit braucht dich nur sehen, weiß er gleich, du heißt Wenzel Kunitschek. Du kannst gar nicht anders heißen. Du brauchst übrigens gar nix zu sagen. Wann der Herzog kommt, versteck ich dich im Gebüsch.

Kunitschek (grinst beglückt).

Koruga (ahmt ihn nach). Du bist mir so sympathisch – ganzen Tag könnt ich dich ohrfeigen. – Lummatsch, wie is Behandlung?

Lummatsch. Behandlung ist zeichnet.

Koruga (brüllt). Wie is Behandlung bei diesem Regiment? (Er steckt ihm die Faust unter die Nase.) Du Taschendieb, du nichtswürdiger! Behandlung ist ausgezeichnet. Also, wie is Behandlung?

Lummatsch. Behandlung is ausgezeichnet.

Koruga. Na endlich! Eher richt ich Mistkäfer ab, zu bellen, als solche Kerle zu gescheit antworten. Vorwärts auf eure Posten! Reeechts – um! Marschieren – mir nach! Schriiiet – Marsch! (Im Abgehen.) Verfluchte Professoren slovakische!

Alle (ab nach hinten).

 

Fünfte Szene

Jäger. Rimanski.

Jäger (kommt mit Rimanski von rechts. Er ist sehr verkatert). Die Hitz! Die Hitz! I kann nimmer. Felddienstübung für fünfzig Kreuzer Übungszulage – dös macht ja kein Dienstmann für das Geld.

Rimanski. Wann bist denn abgeritten?

Jäger. Drei Uhr früh direkt aus der Offiziersmesse. Das war eine feuchte Nacht! Der Major sagt gestern abend zum Rittmeister Mirkowitsch: »Schau, daß der preußische Offizier a bißl trinkt.« Um elf sagt der Mirkowitsch zum Turek: »Du, ich kann nimmer. Schau du, 96 daß er a bißl trinkt!« Um zwölf lallt mir der Turek zu: »Du, Jäger, trink mit dem Preußen – ich bin fertig.«

Rimanski. Und du?

Jäger. Zwei hat er schon untern Tisch getrunken gehabt, wie ich daran gekommen bin. Der Preuß verstehts.

Rimanski. Hat er dich auch untergekriegt?

Jäger. Ich weiß nicht, was das war. Auf einmal seh ich was Weißes durchs Zimmer laufen.

Rimanski. Aha, weiße Mäuse.

Jäger. Nein, so eine Art Perlhuhn. Aber groß wie ein Kalb. Das Symptom hat mir genügt. Da hab ichs aufgegeben.

 

Sechste Szene

Die Vorigen. Lützelburg. Minka.

Lützelburg (kommt mit Minka von hinten). Morgen, meine Herren! Wie gehts? Wieder wohlauf?

Jäger. Ich danke Ihnen noch gehorsamst, Herr Rittmeister, daß Sie mich heute früh zum Stall gebracht haben.

Lützelburg. Bitte sehr. Es war bloß etwas mühsam. Herr Kamerad wollten partout auf dem Dach der Oberrealschule schlafen.

Rimanski. Da pflegt er öfters zu übernachten.

Lützelburg. Dann hatten Sie die Güte, mich etwas gewaltsam zu einem Sonnenbad aufzufordern. Es war einigermaßen schwierig, Sie zu überzeugen, daß Mondschein ist.

Minka. Der Herr Oberleutnant kennt sich eben in der Astronomie nicht aus.

Jäger. Gnädigste verhöhnen mich, und ich bin so schon halb tot.

Lützelburg. Herr Kamerad hätten eben, wie ich, nach 97 all dem vielen Alkohol einen steifen Grog nehmen sollen. Dann wäre Ihr Kopf heute klar.

Minka (zu Lützelburg). Sie scheinen viel zu vertragen.

Lützelburg. Ja, Gnädigste – werde vom Trinken immer frischer. Konstruktionsfehler im Nervensystem.

Jäger. Wasser! Wasser! Ich gebe den Alkohol dauernd auf. (Ab ins Haus.)

 

Siebente Szene

Rimanski. Lützelburg. Minka. Die Oberstin.

Die Oberstin (kommt).

Die Offiziere (grüßen).

Lützelburg. Gnädigste, erlauben Sie mir, Ihnen Ihr Töchterchen zu übergeben. Ich muß meinem Chef entgegen. (Er salutiert, ab nach hinten.)

Minka. Auf Wiedersehen, lieber Herr Rittmeister! (Sie blickt ihm nach.)

Rimanski. Wollen die Damen nicht auch rasch etwas frühstücken? Von der Terrasse sieht man alles brillant.

Die Oberstin. Ja, gern. Wir kommen gleich nach.

Rimanski (ab).

Die Oberstin. Ich finde es recht unpassend, daß du allein mit Rittmeister Lützelburg fortgegangen bist.

Minka (ausbrechend). Mama, ich möchte den Preußen so gern heiraten.

Die Oberstin (im Abgehen). Unsinn! Du bist erst sechzehn. In zwei Jahren kannst du frühestens an so was denken.

Minka (heult). In zwei Jahren – wer weiß, in wen ich da wieder verliebt bin. (Ab mit der Oberstin ins Haus.) 98

 

Achte Szene

Ornstein. Ornsteins Vater. Koruga.

Koruga (kommt von hinten mit Ornstein und dessen Vater. Koruga sucht seine Begleiter zurückzuhalten).

Ornstein. Was heißt abgesperrter Raum? Mein leiblicher Vater wird doch noch sehen dürfen das Manöver?

Der alte Ornstein. (Er sieht aus, wie der Großvater von Karl Kraus am Schabbes aussah. Also vornehm. Jede Geste des geliebten Vaters wird vom jungen Ornstein kopiert). Ich will doch einmal sehen, (innig) wie mein Sohn zu Pferd sitzt und durchs Feld dahinsprengt.

Koruga. Is Platz abgesperrt für Unbefugte. Hab ich Auftrag.

Der alte Ornstein. Bin ich unbefugt? Ich hab doch die Tribüne drüben gepachtet und verkauf die teuern Sitze.

Koruga. Na, gehen S' auf Ihre Tribüne zusehen!

Der alte Ornstein (vertraulich). Nu, sieht man denn was von der Tribüne?

Koruga. Tut mir leid, darf ich nicht.

Der alte Ornstein. Wer ich Ihnen auch einmal einen Gefallen tun. Wenn Sie sich wollen versichern lassen, werden Sie zu mir kommen aufs Bureau, werd ich Ihnen machen Extrabedingungen für Lebensversicherung.

Koruga. Danke, ich versicher nicht mein Leben.

Ornstein. Recht hat er. Is das auch ein Leben, was man versichert?

Koruga. Wann aber jetzt wer kommt?

Der alte Ornstein. Nu, dann werd ich bescheiden weggehen.

Der Kurfürst von Vicenza (kommt von hinten mit Rittmeister Mirkowitsch. Im Auftreten). Danke, Herr Rittmeister! Ich will Sie nicht Ihrem Dienst entziehen.

Mirkowitsch (salutiert und geht ab). 99

Vicenza (zu Koruga). Wachtmeister, das ist doch der abgesperrte Platz?

Koruga. Jawohl, königliche Hoheit!

Vicenza (sieht den alten Ornstein, der ihn verlegen grüßt. Sehr freundlich). So . . . äh . . . sind auch hier?

Der alte Ornstein (bescheiden). Entschuldigen Sie, ich bin der Vater vom Ornstein.

Vicenza (verständnislos). Vater von Ornstein! – Ah, da gratulier ich. Und was sind Sie?

Der alte Ornstein. Ich bin Generalinspektor.

Vicenza. So, so. Ich bin auch Generalinspektor. Von der Kavallerie. – Und Sie?

Der alte Ornstein. Von der Columbia Versicherungsgesellschaft.

Vicenza. Sehr interessant. Na, geht die Sache gut, diese Columbia?

Der alte Ornstein. Einmal ä so – und einmal ä so.

Vicenza. Schön. Ich wünsche Ihnen das letztere. – Wachtmeister, erklären Sie diesem Ulanen, er hat sich unten am Hügel hinzustellen, und wenn eine Dame in einem Wagen kommt, soll er den Weg herauf zeigen.

Der alte Ornstein (ist unauffällig abgegangen).

Ornstein (zieht tief die Kappe; sehr höflich, mit Zivilverbeugung). Gewiß, königliche Hoheit! Wenn Frau v. Landiesen kommt, werd ich sie heraufführen.

Koruga (ab).

Vicenza. Ein sehr intelligenter Mann. Ich verleihe Ihnen die Medaille des Erlöserordens.

Ornstein (ab – mit einem Gesicht, als hätte ihn jemand in eine Kiste Sporen gesetzt).

 

Neunte Szene

Vicenza, Turek, Karl Eberhard, Lützelburg.

Man hört eine Autofanfare. 100

Turek (tritt auf). Seine königliche Hoheit, Herzog Karl Eberhard.

Herzog Karl Eberhard von Friesland (ein blonder junger Mann, schlank, sympathisch, bescheiden, stramm, in deutscher Uniform. Er kommt von hinten. Hinter ihm Lützelburg).

Karl Eberhard. Morgen, Vicenza!

Vicenza. Servus. Friesland! (Sie küssen einander.) Endlich kann ich dir die Hand drücken, lieber Vetter! Vorhin bei der offiziellen Begrüßung warst du ja so okkupiert . . . (Zu Lützelburg.) Morgen, Herr Rittmeister! Na, was sagen Sie zu der Gefechtsübung?

Lützelburg. Prachtvoll, Hoheit!

Karl Eberhard. Großartiges Gelände. Jedem Taktiker muß das Herz höher schlagen. (Zu Lützelburg und Turek.) Die Herren werden die Vorgänge wohl verfolgen wollen.

Lützelburg. Zu Befehl, köliche Hoheit.

Karl Eberhard. Bitte, sich nicht stören zu lassen. Wir plaudern hier ein wenig.

Lützelburg. Zu Befehl, königliche Hoheit!

Karl Eberhard. Wenn der Gegner zum Sturm ansetzt, holen Sie mich.

Lützelburg. Zu Befehl, köliche Hoheit. (Mit Turek ab.)

Vicenza. Du, der eignet sich eminent für den Hofdienst. Er kann (ahmt ihm nach)»köliche Hoheit« in einer Silbe aussprechen. – Es ist sehr schneidig von dir, nach der langen Autofahrt so direkt ins Manöver zu kommen.

Karl Eberhard. Ich durfte mir nicht entgehen lassen, eure berühmte Kavallerie im Gefecht zu sehen. Und meine Frau wollte ich so spät wie möglich verlassen.

Vicenza. Schade, daß die Herzogin nicht mitgekommen ist. 101

Karl Eberhard. Meine liebe Frau kann leider nicht. (Lächelnd.) Wir erwarten doch . . .

Vicenza. Richtig – ihr habt ja draußen das Siebenkindersystem. Ah, da gratulier ich.

Karl Eberhard. Und wie gehts deiner lieben Frau?

Vicenza. Bei der ist so was nicht zu befürchten – so viel ich weiß.

Karl Eberhard. Ich bedaure sehr, daß sie nicht kommt.

Vicenza. Ist sie dir sehr sympathisch? Bei der Bevölkerung ist sie kolossal beliebt.

Karl Eberhard. Eure Bevölkerung ist überhaupt ungemein loyal. Wie mich die Leute empfangen haben – es hat mich fast verlegen gemacht. Die Menschen sind viel wärmer als bei uns . . .

Vicenza. Die Verschiedenheit ist nicht so groß. Bei euch spielen sie Skat, bei uns Tarock – das ist zwischen dem Bürgertum von Süd und Nord der völkerpsychologische Unterschied. Jedenfalls freue ich mich, daß wir mit dem Empfang deinem Geschmack entsprochen haben.

Karl Eberhard. Ich bin entzückt.

Vicenza. Hast du den Bezirkshauptmann gut überstanden?

Karl Eberhard. Er hat sich ziemlich ausführlich geäußert . . .

Vicenza. Ich lasse die Leute prinzipiell nicht ausreden. Bei der kleinsten Pause fahre ich dazwischen und antworte schon.

Karl Eberhard. Darf man denn das?

Vicenza. Wenigstens drei Jahre meines Lebens habe ich dadurch erspart. Allerdings habe ich an Sympathien eingebüßt.

Karl Eberhard. Heute morgen bist du aber doch sehr bejubelt worden.

Vicenza (kneift die Augen zu). Lieber Vetter, das täuscht mich nicht. Soll ich dir einmal verraten, wie das gemacht wird? (Er ruft.) Watzlawik! – Das ist nämlich mein 102 Schatten. Der muß immer in meiner Nähe sein. Watzlawik!

 

Zehnte Szene

Vicenza. Karl Eberhard. Watzlawik.

Watzlawik (kommt aus dem Gebüsch; er ist groß, hager; Gehrock, Ordensbändchen, Zylinder, den er gleich abnimmt; ernste Amtsmiene).

Vicenza. Sie, rufen Sie einmal!

Watzlawik (ruft stockheiser). Hoch! Hoch! Hoch! (Die Stimme versagt ihm.)

Vicenza. Dieses ist nämlich der Beruf dieses Mannes. Gestern waren wir im Wöllersdorfer Bezirk, Popularität haschen. Ich stehe auf dem Balkon und nick und nick Wohlwollen hinunter – aber die Völker haben gar nicht wollen. Und da hat sich Watzlawik etwas überanstrengt. – Watzlawik, gehen Sie nach Haus und ruhen Sie sich aus. Sie sind für heute beurlaubt. Ich bin mir einstweilen beliebt genug. Aber morgen mit frischen Kräften. Hoch, Hoch!

Watzlawik (ab).

Vicenza. Das ist mein Claquechef. Seit zehn Jahren reist er mir nach, der Polizeiagent. Hast du auch so viel unter den Behörden zu leiden?

Karl Eberhard. Sie sind manchmal etwas übereifrig.

Vicenza. Mich überwachen sie wie einen Taschendieb.

Karl Eberhard. Das sind die Unannehmlichkeiten des Metiers.

Vicenza. Unser Geschäft wird von Tag zu Tag unbequemer. Die Leute werden immer demokratischer. Den bessern Fürstenfamilien bleibt nichts übrig, als auszusterben.

Karl Eberhard (mit Überzeugung). O, wir denken noch nicht daran. (Man hört schießen.) Die Seitenkolonne scheint also doch einzugreifen. 103

Vicenza. Von mir aus!

Karl Eberhard. Willst du es nicht mit ansehen?

Vicenza. Ich bin überarbeitet. Eine Woche habe ich hinter mir – entsetzlich. Vorgestern Fahnenweihe des Kaninchenzüchtervereins. Nachmittag Rout bei meiner Tante, der Mizi – Vortrag mit Lichtbildern »Ergebnisse der Missionstätigkeit im östlichen Grönland«. Gestern: Schlußprüfung im Offizierstöchterinstitut, darnach Ausführung eines Märchenspiels »Vom Osterhasen« – dreizehn Bilder und ein Prolog. Ich hab mich nach einer Grundsteinlegung direkt gesehnt.

 

Elfte Szene

Die Vorigen. Lützelburg.

Lützelburg (kommt und meldet). Königliche Hoheit, das Zentrum setzt zum Angriff an.

Karl Eberhard (wendet sich ihm zu). Ich komme. (Zu Vicenza.) Du bleibst hier?

Vicenza (erblickt Frau v. Landiesen). Ich kann die Kavallerie besser von hier oben beobachten. Die harte Pflicht, Vetter . . .

Karl Eberhard und Lützelburg (ab nach hinten.)

 

Zwölfte Szene

Vicenza. Frau v. Landiesen. Ornstein.

Von rechts ist Frau v. Landiesen mit Ornstein gekommen.

Ornstein (bleibt im Hintergrund. Er macht eine einladende, kupplerische Handbewegung von Frau v. Landiesen nach Vicenza hin und verschwindet).

Vicenza. Kommen Sie endlich, liebe gnädige Frau? Ich habe ganz unvorschriftsmäßige Sehnsucht nach Ihnen. Setzen Sie sich zu mir und plaudern wir! 104

Frau v. Landiesen. Aber da kehren Sie ja dem Manöver den Rücken und sehen nichts.

Vicenza. Die werden schon ohne mich fertig. Im Vertrauen: militärische Vorgänge sind mir in tiefster Seele wurscht.

Frau v. Landiesen. Sind Sie eine so friedliche Natur?

Vicenza (anzüglich). Ich bin im Augenblick sogar für Abrüstung.

Frau v. Landiesen. Es wäre schade um das schöne Militär. Die Menschen sind so interessant . . . Ich taue hier ganz auf. Der eine ist gemütskrank, der andre ein Weiberfeind, der dritte ein Prinz – alles neu für mich. Man weiß gar nicht, wem man zuerst Aufmerksamkeit schenken soll.

Vicenza. Ich bitte höflichst um gnädige Berücksichtigung.

Frau v. Landiesen. Sie sind verheiratet . . .

Vicenza. Nicht der Rede wert.

Frau v. Landiesen. . . . also haben Sie Chancen bei mir. Fremde Ehemänner sind mir immer sympathisch.

Vicenza. Ehemänner sind eben Fachleute in der Liebe. Junggesellen sind nur Dilettanten.

Frau v. Landiesen. Es kommt nicht auf den Familienstand an. Es ist Talentsache. Einer hat Begabung für die Musik, der andre für die Liebe.

Vicenza. Ich bin total unmusikalisch – da bin ich hoffentlich der andre. (Er erfaßt ihre Hand.) Wunderschön. so mit Ihnen zu plaudern.

Frau v. Landiesen (entzieht ihm ihre Hand). Hoheit vergessen Ihre Kavallerie.

Vicenza. Ich finde die Stellung der Kavallerie (er deutet auf sich) im Augenblick sehr vorteilhaft. (Er küßt ihr stürmisch die Hand.) 105

Frau v. Landiesen. Ja, was machen Sie denn da?

Vicenza (hat sie um die Schulter gefaßt). Die Kavallerie umgeht den linken Flügel und sucht Fühlung mit dem Feind.

Frau v. Landiesen (steht auf). Die Kavallerie soll in der Reserve bleiben und nicht zum Angriff übergehen.

Vicenza (greift nach ihrer Hand).

Frau v. Landiesen (klopft ihm auf die Finger).

Vicenza (erschrocken, sieht sich um). Um Himmels willen – wenn ein Polizeimensch Sie gesehen hätte! Drei Monate. (Er reibt sich die Hand.) Mein Angriff ist also abgeschlagen?

Frau v. Landiesen (kokett). Daß die Männer gleich so mutlos sind! (Hofknix) Aus Wiedersehen. Hoheit!

Vicenza. Wo wollen Sie denn hin, Gnädigste?

Frau v. Landiesen. Zu meiner Zofe. Ich habe mir hier Zimmer reservieren lassen.

Vicenza. Das ist ja großartig.

Frau v. Landiesen. Nach dem anstrengenden Manöver will ich mich etwas erholen.

Vicenza. Ich habe Erholung auch sehr nötig nach dem anstrengenden Manöver. Erlauben Sie mir, Ihnen einen Staatsbesuch zu machen?

Frau v. Landiesen. Sie können doch hier nicht weg – vom Manöver . . .

Vicenza. Das werden wir gleich haben. (Er ruft nach rechts.) Sie, Ulan!

 

Dreizehnte Szene

Vicenza. Frau v. Landiesen. Kunitschek.

Kunitschek (kommt und salutiert).

Vicenza. Sie, Ulan, wenn abgeblasen wird, rufen Sie mich. Ich bin da im Haus. Haben Sie verstanden?

Kunitschek. Wenn abgeblasen wird, geh ich in Haus und ruf. 106

Vicenza. Brav! Wissen Sie, wer ich bin?

Kunitschek. Königliche Hoheit, Wenzel Kunitschek heiß ich. Vater is landwirtschaftlicher Beamter, ich Kuhhirt. Menage ist gut und reichlich, Behandlung ausgezeichnet.

Vicenza (zu Frau v. Landiesen). Der ist für abgekürztes Verfahren. (Zu Kunitschek.) Brav! Da haben Sie einen Silbergulden und ein leutseliges Lächeln. (Ab mit Frau v. Landiesen ins Haus.)

Kunitschek (langsam ab).

 

Vierzehnte Szene

Am Fenster: Jennewein und Lili. Später Vicenza.

Im ersten Stock wird der Laden geöffnet.

Jennewein (steckt den Kopf hervor. Hinter ihm Lili). Mäderl, es ist ja schon heller Tag. Komm heraus!

Lili. Ich schäm mich so. Und Mama weiß von nichts.

Jennewein. Sie wird sich schon das Richtige denken.

Lili. Du mußt ihr telegraphieren.

Jennewein. Gleich, Schatz, geh ich aufs Telegraphenamt.

Unten öffnet sich das Fenster, Vicenza steckt den Kopf hervor.

Vicenza. Ah, guten Morgen, Jennewein!

Jennewein. Guten Morgen, Hoheit!

Vicenza. Auch hier? Da gratulier ich. Interessantes Manöver – was? (Er schließt den ersten Fensterladen.) Ganz neue taktische Probleme. (Er schließt den zweiten Laden.) Besonders für die Kavallerie. (Er schließt den dritten Laden.)

Jennewein und Lili (zurück ins Zimmer, als sie Gestalten unten sehen). 107

Fünfzehnte Szene

Der Oberst. Riedel. Später Jennewein, Koruga.

Der Oberst (kommt von hinten mit Riedel, Koruga und einem Ulanen).

Riedel. Herr Oberst, die Meldungen lauten alle: Umfassung rechts.

Der Oberst (raucht eine Zigarette). Schicken Sie noch ein Bataillon nach links.

Riedel. Pardon, Herr Oberst . . .

Der Oberst. Heute ist ein ungrader Tag – heute greife ich links an.

Riedel. Um Gottes willen, Herr Oberst!

Der Oberst. Aber, lieber Riedel, was nutzt das alles? Es ist doch ein Geheimnis, das alle wissen: heut wird dem Obersten Leuckfeld der Kragen gebrochen.

Jennewein (erscheint am Fenster, stutzt, als er den Obersten sieht, und salutiert).

Der Oberst. Ja, Herr Rittmeister, wo kommen Sie denn her?

Jennewein. Ich wohne hier oben.

Der Oberst. In ländlicher Abgeschiedenheit? Was treiben Sie denn da?

Jennewein. Ich lerne Slovakisch. (Er schließt den Laden.)

Riedel (hat unterdessen einen Zettel durch einen Ulanen weggeschickt).

Koruga (kommt). Seine Exzellenz, der Herr Korpskommandant.

Der Oberst (zu Riedel). Passen S' auf. Rr, Rr . . . (Er macht die Bewegung des Sägens.)

Riedel (tritt beiseite).

Koruga (zieht sich zurück). 108

 

Sechzehnte Szene

Der Oberst. Riedel. Der Korpskommandant. Zwei Offiziere. Später Jäger.

Der Korpskommandant (mit zwei Offizieren; er trägt Generalsuniform mit drei Sternen auf dem Kragen; Sechziger, Salonmann, niederträchtig höflich, überhöflich). Morgen, Herr Oberst! (Er salutiert mit einem Finger.) Ich gratuliere Ihnen! Wiewohl Sie das schöne Regiment schon drei Jahre führen, ist es Ihnen doch nicht gelungen, es ganz herunterzubringen. (Herzlich.) Ich danke Ihnen.

Der Oberst (verbeugt sich und salutiert stumm).

Der Korpskommandant (sehr höflich). Ich habe mir den Kriegerverein angesehen, den Sie ein Ulanenregiment nennen. Nur schade, daß dieser Beduinenstamm, der da unten sein Nomadenleben führt, seine Turnübungen vor den Augen des Kurfürsten von Vicenza vornehmen darf.

Jäger (kommt und meldet). Herr Oberst, vor dem (mit Betonung) rechten Flügel feindliche Artillerie im Anmarsch.

Der Korpskommandant. Von wo haben Sie das beobachtet?

Jäger. Vom Wirtshaus . . . von Dohndorf. (Ab.)

Der Korpskommandant (zum Obersten; überhöflich). Wie gedenken Sie, in Ihren interessanten Dispositionen fortzufahren?

Der Oberst. Herr Oberleutnant Riedel, schicken Sie noch ein Bataillon (mit Betonung) nach links.

Der Korpskommandant (tollwütend). Herr, das ist ein Rotationsmanöver. Wir kriegen ja die Drehkrankheit. Bitte, nehmen Sie Ihre Karte!

Der Oberst (zu Riedel, gemütlich). Herr Oberleutnant, haben Sie zufällig eine Karte bei sich? Ich meine, eine Landkarte? 109

Riedel (reicht ihm eine Landkarte).

Der Korpskommandant (streng). Wie wollen Sie denn das Bataillon links vorgehen lassen?

Der Oberst. Über die Brücke.

Der Korpskommandant (dezidiert). Die Brücke ist abgebrochen.

Der Oberst. Davon stand allerdings nichts in der Annahme für das Manöver.

Der Korpskommandant (energisch, jedes Wort betonend). Ich breche die Brücke hiemit ab. Was veranlassen Sie?

Der Oberst. Ich lasse sie hiemit reparieren.

Der Korpskommandant (wütend). Gut. – Ihre linke Kolonne kommt aber zu spät. Was tun Sie dann?

Der Oberst. Ich warte es ab.

Der Korpskommandant (zornig). Na, nervös sind Sie nicht, Herr Oberst, das muß ich gestehen. Bei der Besprechung sehen wir uns wieder! (Ab mit seiner Begleitung.)

Der Oberst (reibt sich die Hände. Zu Riedel). Wenigstens hab ich ihn vor meinem seligen Ende noch geärgert. Die Besprechung wird ja doch mein Requiem. Da wird er mich mit Vitriol einsegnen und begraben, und ich leb als Pensionist fröhlich weiter.

 

Siebzehnte Szene

Der Oberst, Riedel, Hechendorf. Später der Fähnrich.

Man hört jodeln.

Hechendorf (kommt in Gebirgskostüm; er wirft den Hut empor). Hollöröhhühü!

Der Oberst. Hechendorf! Wie siehst denn du aus?

Hechendorf. Das ist die Marschadjustierung der Pensionisten. Wenn bei Graz Manöver sind, sieht man uns hordenweise so. 110

Der Oberst. Ein hübsches Kleidchen. So was lasse ich mir auch machen.

Hechendorf. Ist es schon so weit?

Der Oberst. Kein Mensch kennt sich in dem Manöver mehr aus. Der Korpskommandant hat sich so geärgert – wenn er keine Feldbinde um den Bauch gehabt hätte, wäre er geplatzt.

Hechendorf (fanatisch). Nur nicht leichtsinnig sein! Du weißt was auf dem Spiel steht. Entschuldige, daß ich dir meinen Rat als Fachmann im Patzen aufdränge: tu noch im letzten Moment, was du kannst. Laß deine Geschütze womöglich den eigenen Stab beschießen. Man muß patzen bis zum letzten Blutstropfen.

Der Oberst. Meinen letzten Blutstropfen gedenke ich in Graz in aller Ruhe zu verzehren.

Der Fähnrich (kommt atemlos und meldet). Große feindliche Kolonnen rechts.

Der Oberst (laut und freudig). Herr Oberleutnant Riedel: habe ich noch eine Reserve?

Riedel. Ein halbes Bataillon.

Der Oberst. Schicken Sie es nach links.

Hechendorf. Bravo, Leuckfeld! Nicht nachgeben! Immer mutig ausweichen!

Der Oberst. Also los, meine Herren, in die Schlacht! (Er trällert den Radetzkymarsch. Ab mit Riedel, dem Fähnrich und Hechendorf.)

Starkes Geschütz- und Gewehrfeuer, das plötzlich abbricht.

 

Achtzehnte Szene

Jennewein. Lili. Die Wirtin,

Aus dem Haus kommt, nachdem das Feuer aufgehört hat, Jennewein mit Lili. Hinter ihnen die Wirtin, die den Tisch deckt, Frühstück serviert und gleich abgeht. 111

Jennewein. Komm nur heraus, Lili, wir frühstücken draußen. Die Luft ist rein.

Lili. Ich schäme mich so . . . Ist auch wirklich niemand da?

Jennewein. Komm nur, der Oberst ist schon weg.

Lili. Was wollte denn der Oberst hier?

Jennewein. Nun, es ist doch Manöver.

Lili. Ja, ist denn Manöver hier?

Jennewein. Hast du denn nicht schießen gehört?

Lili. Nein.

Man hört heftiges Gewehrfeuer, Geschützdonner, Sturmsignale, Trommelwirbel, Hurrarufe.

Lili (hält sich die Ohren zu). Um Gottes willen!

Jennewein. Aber, Lili, das ist doch nur ein kleines Ständchen, das uns meine Kameraden am Hochzeitsmorgen bringen.

Man hört abblasen. Jennewein und Lili küssen einander einstweilen.

Jennewein. Die Schlacht ist zu Ende. – Trink doch Kaffee, Mäderl.

Lili. Rudi . . . Aber die arme Mama . . . .

Jennewein. Es wird einen kleinen Sturm geben, den mußt du eben tapfer aushalten.

Lili. Und wir fahren nach Tyring in die Schloßkirche . . .

Jennewein. In die Kirche gehe ich nur, wenn du sehr artig bist.

Lili. Rudi, du bist abscheulich!

 

Neunzehnte Szene

Jennewein. Lili. Die Gräfin. Der Bezirkshauptmann. Später Kunitschek.

Die Gräfin (kommt mit dem Bezirkshauptmann). Lili! 112 Und Sie, Herr Rittmeister. Diese Herzlosigkeit! Ihr frühstückt!

Jennewein. Wollen Sie nicht mithalten, liebe Schwiegermama?

Die Gräfin. Was macht ihr denn da?

Jennewein. Wir besprechen unsre Scheidung.

Die Gräfin. Herr Rittmeister, was haben Sie mit meiner Tochter getan?

Lili (stürzt auf die Gräfin zu). Mutter, ich bin so glücklich!

Jennewein. Siehst du – das hab ich dir ja gleich gesagt.

Der Bezirkshauptmann (ist in einen Stuhl gesunken; grade unter Vicenzas Fenstern; hilflos). Es ist ein unlösbares Rätsel, wo der Kurfürst geblieben ist. Ich habe ihn durch meine besten Organe überwachen lassen – ich habe die ganze Umgebung abgesucht – er ist wie vom Erdboden verschwunden.

Lili, Jennewein und die Gräfin (unauffällig ab).

Kunitschek (kommt, klopft ans Fenster, salutiert). Hoheit! Abgeblasen is. Manöver ist zu Ende. (Er salutiert wieder.)

Kunitschek (ab nach rechts).

Der Fensterladen wird geöffnet – eine Hand in Hemdärmel winkt ab.

Der Bezirkshauptmann (hat begriffen – schleunigst ab mit abwehrenden Geberden, die um Pardon bitten).

 

Zwanzigste Szene

Der Korpskommandant. Der Oberst. Sämtliche Offiziere.

Der Korpskommandant (kommt von hinten mit dem Obersten, hinter ihm in einigem Abstand nach und nach alle Offiziere).

Der Korpskommandant (stützt den Obersten). Es tut mir 113 leid, lieber Herr Oberst, daß wir Sie noch einmal so anstrengen mußten. Bitte, einen Stuhl für den Herrn Obersten, er ist müde.

Der Oberst (strahlend). Danke gehorsamst, Exzellenz – so lang halt ichs schon noch aus.

Der Korpskommandant. Sie müssen für Ihre Gesundheit etwas tun. In diesem Herbst vielleicht Bozen und dann Karlsbad . . .

Der Oberst (anzüglich). Ich nehme vorerst ein Schwefelbad.

Der Korpskommandant (wendet sich ärgerlich von ihm ab zu den Offizieren, die sich in einer Front rangiert und gleichzeitig salutiert haben). Meine Herren, die Annahme des Manövers ist Ihnen bekannt, die Durchführung haben Sie gesehen. Ich habe das Manöver einfach nicht verstanden. Ich nicht. Ich habe abblasen lassen, weil ich die Situation für total verhagelt halte. Dieses obdachlose Herumirren von beschäftigungslosen Kolonnen konnte ein fühlender Mensch nicht länger mit ansehen. (Zum Obersten, scheißfreundlich.) Gefreut hat mich nur das Ulanenregiment. Das war eine Galakomikervorstellung des Zirkus Leuckfeld.

 

Einundzwanzigste Szene

Die Vorigen. Karl Eberhard. Lützelburg. Später Vicenza.

Karl Eberhard (kommt von hinten mit Lützelburg. Die Offiziere salutieren).

Karl Eberhard. Guten Tag, meine Herren! (Zögernd, lauernd.) Nicht wahr, Exzellenz– es war doch sehr interessant?

Der Korpskommandant. Jawohl, königliche Hoheit!

Karl Eberhard (zum Obersten). Man hat gesehen, wie fleißig Sie den russisch-japanischen Krieg studiert haben. 114

Vicenza (kommt aus dem Haus. Er ist verlegen. Er knöpft noch rasch ein paar Knöpfe seines Rockes zu. Alles salutiert). Warten die Herren schon? Pardon, ich habe nur noch rasch die Spezialkarte studiert. Also . . . (Er macht eine hilflose Bewegung zum Korpskommandanten und zu Karl Eberhard – tastend, unsicher – sieht diese beiden immer wieder an.) Also . . . ich freue mich, meine Herren, – nicht wahr? – Ihnen im allgemeinen – nicht wahr? – meine Zufriedenheit aussprechen zu können – ohne natürlich dem Urteil Seiner königlichen Hoheit vorzugreifen.

Karl Eberhard (liebenswürdig und überaus bescheiden). Wenn Hoheit gütigst erlauben?

Vicenza. Aber bitte sehr, natürlich.

Karl Eberhard. Dann möchte ich nur sagen: die Ausgangssituation war für den Herrn Obersten sicher so ungünstig wie möglich. Er hat aber seine Chancen wesentlich verbessert. Im Ernstfall wäre die Schlacht bei Dohndorf ein Paradebeispiel für erfolgreiche Umgehung des Gegners nach japanischem Muster.

Vicenza (erleichtert). Mit einem Wort ein Japaner. Ah, da gratulier ich. (Er geht auf den Obersten zu und schüttelt ihm die Hand.) Ich habs immer gesagt. Ich kann Ihnen also im großen und ganzen Glück wünschen. Die Führung der Truppen ins Gefecht, die Ausnützung ihrer Feuerwirkung, die Verwendung der Maschinengewehre zur Erschütterung der Einbruchsstelle – das alles war mustergültig im Sinn einer modernen Kriegführung. Nicht wahr Exzellenz?

Der Korpskommandant (macht eine verlegene Verbeugung).

Vicenza. Na also – er sagts auch. (Zu den Offizieren – bedenklich.) Nur eins, meine Herren, muß ich leider tadelnd bemerken: eine bestimmte Schwadron ist ins 115 gegnerische Feuer gradezu hineingerannt. Es war kurz vor der Entscheidung, in der allgemeinen Aufregung des Endkampfes. Ich will die Schwadron nicht näher bezeichnen. Der betroffene Herr wird das selbst fühlen.

Mirkowitsch, Turek und Jäger (nacheinander). Jawohl.

Vicenza (freut sich über die Zustimmung, nickt den Herren freundlich, dann Karl Eberhard triumphierend zu). Jawohl. (Endlich zum Korpskommandanten). Exzellenz?

Der Korpskommandant (devot). Ich habe den lichtvollen Ausführungen Ihrer Hoheiten nichts hinzuzufügen.

Der Oberst (steht links vorn).

Hechendorf (ist unauffällig aufgetreten und steht neben ihm).

Der Oberst (halblaut zu Hechendorf). Was sagst du zu meinem Pech?

Hechendorf. Patzer! Nicht einmal patzen kannst du.

Der Oberst. Patz, so viel du willst, einem Vorgesetzten gefällts doch.

Vicenza. Ich bin stolz auf Sie, lieber Oberst – nächstes Jahr sehe ich Sie als General. Ich gratuliere.

Der Oberst (abwehrend). Ich habe eben Glück gehabt . . .

Vicenza (unterbricht ihn). Nur keine falsche Bescheidenheit. Glück hat auf die Dauer nur der Tüchtige, sagt schon mein Kollege Moltke.

Karl Eberhard. Seine köliche Hoheit und das schöne Re'ment – hurra, hurra, hurra!

Lützelburg (stimmt ein, bei jedem Ruf etwas später als Karl Eberhard).

Vicenza. Servus, Servus, Servus. (Er wendet sich zum Gehen.)

 

Vorhang

 


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