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4.

Zur festgesetzten Stunde hielt der Wagen des Kammerherrn vor der Villa des Kommerzienrats. Noch nie hatte der alte Junggeselle solch sorgfältige Toilette gemacht und so jugendlich ausgesehen, als bei diesem Besuch, selbst nicht, wenn er zur großen Cour bei Hofe erschien. Der röteste Karmin färbte seine Wangen, die schwärzeste Tusche Bart mit Augenbrauen, und seine Perücke, ein wahres Meisterwerk, saß untadlich auf dem würdigen kahlen Haupte. Dazu trug er seine beste Uniform mit sämtlichen Orden und Sternen, die auf der wattierten Brust gleich einer glänzenden Milchstraße strahlten und ihm ein höchst imposantes Aussehen verliehen, so daß er selbst seinen ihn begleitenden Neffen verdunkelte.

Mit jener bezaubernden Liebenswürdigkeit, die dem alten Hofmann bei ähnlichen Gelegenheiten zu Gebote stand, begrüßte er jetzt den Kommerzienrat und die Damen des Hauses, welche er durch seine aristokratische Feinheit und vollendeten Formen entzückte. Seine ganze Erscheinung, jeder Blick, jedes Wort war darauf berechnet, einen angenehmen Eindruck zu machen und Bewunderung zu erregen. Wie geschickt verstand er es, die schnell erkannten Schwächen dieser Parvenüs zu benutzen, ihrer Eitelkeit zu schmeicheln und durch einige artige Phrasen die Herzen zu erobern! Jedem einzelnen wußte er etwas Verbindliches zu sagen oder eine Höflichkeit zu erweisen.

Mit dem Kommerzienrat sprach er über Geldangelegenheiten und Politik wie ein Eingeweihter, mit den Damen über das letzte Hoffest und die Toiletten der hohen und höchsten Herrschaften, wobei er nicht verfehlte, einige allerliebste Geschichten und die reizendsten Komplimente einzuflechten. Bald fand er, daß die lange hagere Mutter eine auffallende Aehnlichkeit mit einer wegen ihres imposanten Wuchses berühmten Herzogin habe, bald erinnerte ihn das blasse, kalte Gesicht der Tochter an die interessante Prinzessin Charlotte, eine der gefeiertsten Schönheiten des Hofes.

»Es ist wirklich merkwürdig,« sagte er, mit seinen falschen Zähnen lächelnd. »Je länger ich das gnädige Fräulein betrachte, desto mehr frappiert mich diese wunderbare Aehnlichkeit. Dieselbe Physiognomie, derselbe anmutige Mund, dieselben bezaubernden Augen. Man möchte fast glauben, daß Sie eine Zwillingsschwester unserer reizenden Prinzessin sind«

»Der Herr Baron belieben nur zu scherzen,« erwiderte Fräulein Rosa vor Freude errötend.

»Durchaus nicht. Fragen Sie nur meinen Neffen, der wird es Ihnen bestätigen, wenn er nicht blind ist.«

»In der That,« stotterte dieser verlegen, »ich finde auch eine gewisse Aehnlichkeit, wenn auch nicht in dem Grade –«

»Unbegreiflich, daß du das nicht auf den ersten Blick bemerkt hast. Sobald ich die Prinzessin sehe, werde ich ihr erzählen, daß sie eine Doppelgängerin hat. Das wird sie gewiß sehr interessieren.«

»Sie sind zu liebenswürdig. Ich fürchte nur, daß man Ihnen nicht glauben wird.«

»Deshalb werde ich Sie um Ihre Photographie bitten, damit jeder Zweifel schwindet.«

»Meine Photographie!« versetzte sie kokett. »Ich weiß wirklich nicht, ob ich recht thue – «

»Wie, Sie können so grausam sein und mir meine erste Bitte abschlagen? Womit habe ich Ihr Mißtrauen verdient? Wenn ich noch ein junger Mann wäre – «

»O! Der Herr Baron sind weit jünger, als ich mir vorgestellt habe.«

»Kleine Schmeichlerin!« sagte er, ihr galant die Hand küssend. »Sie werden mich noch eitel machen. Und die Photographie –«

»Sie sollen sie haben, wenn Sie mir versprechen, sie keinem Menschen zu zeigen.«

»Ich werde sie wie einen teuren Schatz bewahren,« flüsterte er, »sie auf meinem Herzen tragen.«

Natürlich fand sich Fräulein Rosa durch die Artigkeiten des Kammerherrn höchst geschmeichelt und den lebhaften Onkel weit liebenswürdiger als den stummen Neffen, der neben dem geschmeidigen Hofmann eine traurige Rolle spielte. Die Kommerzienrätin teilte ganz und gar die Ansichten ihrer Tochter, besonders als der schlaue Kammerherr ihr im Laufe der Unterhaltung in feiner Weise zu verstehen gab, daß er keineswegs gesonnen sei, sein Leben als Junggeselle zu beschließen.

»Ich wundere mich nur,« sagte die kluge Dame, »daß Sie nicht schon längst eine passende Frau gefunden haben.«

»Mein Gott!« seufzte er. »Das ist nicht so leicht, meine Gnädige! Ein solcher Schritt bedarf der reiflichen Ueberlegung.«

»Der Herr Baron werden zu große Ansprüche machen und hauptsächlich auf hohe Geburt sehen.«

»In diesem Punkt denke ich wie die englische Aristokratie. Charakter und Verdienst adeln den Mann, Schönheit und Tugend das Weib.«

»Bei solchen Gesinnungen kann es Ihnen gewiß nicht schwer fallen –«

»Ich habe kein Glück und komme überall zu spät. Man muß so jung wie mein beneidenswerter Neffe sein, um zu reüssieren.«

»Die Jugend thut es nicht,« erwiderte die Kommerzienrätin mit vielverheißendem Lächeln. »Ein vernünftiges Mädchen sieht nicht auf das Alter, sondern auf solidere Eigenschaften und wird einem älteren, würdigen Mann gewiß den Vorzug vor einem jungen, leichtsinnigen Gecken geben. Unsere heutige Jugend bietet keine Garantie.«

»Da muß ich Ihnen leider recht geben. Die jungen Leute sind meist blasiert; sie leben zu rasch und zu verschwenderisch. Das habe ich meinem Neffen immer gesagt. An meinen Ermahnungen und Ratschlägen habe ich es nicht fehlen lassen. Hoffentlich wird er jetzt vernünftig werden und sich so großen, unerwarteten Glückes würdig zu machen wissen.«

In dieser gerade nicht allzuvorteilhaften Weise suchte der würdige Onkel die Wünsche und Angelegenheiten seines ihm vertrauenden Neffen zu fördern, indem er unter der Maske natürlichen Wohlwollens und verwandtschaftlicher Teilnahme seine eigenen egoistischen Zwecke mit dem größten Glück verfolgte. In der That war der Besuch des Kammerherrn ein epochemachendes Ereignis in dem Hause des Kommerzienrats und die ganze Familie schien vollkommen bezaubert von seiner Liebenswürdigkeit und seinen echt aristokratischen Allüren, als er sich von ihr unter gegenseitigen Freundschaftsversicherungen, Händedrücken und süßem Lächeln empfahl. Gleich einem Gott hinterließ er eine Schar begeisterter Verehrer und Anbeter, die zu ihm, wie zu einem höheren Wesen, emporblickten. Die ganze Atmosphäre schien durch seine bloße Gegenwart geheiligt und von einem Weihrauchsduft erfüllt.

»Ein entzückender Mann!« rief die Kommerzienrätin, »ein echter Aristokrat!«

»Und gar nicht stolz,« fügte der Hausherr hinzu. »Man spricht mit ihm so ungeniert, wie mit einem alten Freund.«

»Dabei ist er höchst amüsant,« bemerkte Fräulein Rosa. »Ich habe mich in meinem ganzen Leben nicht besser unterhalten. Man vergißt ganz sein Alter.«

»Ich finde, daß er sich merkwürdig konserviert hat,« sagte die Mutter. »Er sieht höchstens wie ein älterer Bruder seines Neffen aus.«

»Da wird der Baron noch lange auf das Majorat und die Erbschaft warten müssen.«

»Ich glaube, daß der Kammerherr ernstlich daran denkt, sich zu verheiraten. Er hat mir selbst Andeutungen gemacht.«

»Das wäre eine fatale Geschichte für den Baron.«

»Allerdings, höchst unangenehm.«

Der Kommerzienrat machte ein bedenkliches Gesicht und sah bald seine Frau, bald seine Tochter mit fragenden Blicken an, während die beiden Damen im stillen ihre Betrachtungen an stellten und den Neffen mit dem Onkel verglichen, wobei sich entschieden die Wagschale zu Gunsten des letzteren neigte. Dieser war nicht minder von seinem Besuche bei der Familie Stricker befriedigt, über welche er sich mit der größten Anerkennung äußerte.

»Scharmante Leute!« sagte er zu dem Baron. »Besonders hat mir die Tochter gut gefallen.«

»Ich glaube, daß du an Fräulein Rosa eine Eroberung gemacht hast. Fast müßte ich eifersüchtig auf dich sein.«

»Wo denkst du hin? In meinem Alter –«

»Du siehst heute wie ein Jüngling aus und warst so liebenswürdig wie noch nie.«

»Nur in deinem Interesse,« versetzte der Kammerherr mit falschem Lächeln. »Was thut man nicht für seine Verwandten? Ich habe nur an dich dabei gedacht!«

»Ich bin dir auch für deine Gefälligkeit zum größten Danke verpflichtet und werde nie deine Güte vergessen, lieber Onkel!«

»Keine Ursache, mein Junge! Nicht der Rede wert. Wenn ich dir nützen kann, so macht es mir Vergnügen.«

In diesem Augenblicke konnte Brandenstein unmöglich an der Aufrichtigkeit seines würdigen Onkels zweifeln, so neu ihm auch dieser plötzliche gemütliche Ton in dem Munde des alten Egoisten war. Er machte sich Vorwürfe, daß er ihn bisher falsch beurteilt und ihm unrecht gethan habe. Kein Vater konnte besorgter für das Glück seines Sohnes sein, als der gute Kammerherr, den er für kalt und herzlos gehalten hatte.

Einige Tage nach diesem Besuch gab der Kommerzienrat zu Ehren des Kammerherrn ein Diner, das sich durch seinen wahrhaft fürstlichen Luxus auszeichnete. Schon der große Speisesaal mit seinem riesigen Büffett von geschnitztem Eichenholz und die geschmackvoll arrangierte Tafel gewährte einen ebenso imposanten als gefälligen Anblick und zeigte eine förmlich verschwenderische Fülle von strahlenden Silberschalen, vergoldeten Aufsätzen, kostbarem Meißner und Sévres-Porzellan, französischen Blumenvasen und englischen Krystallgläsern, welche den Reichtum des Besitzers verkündigten.

Das Menu war ein kulinarisches Meisterwerk und übertraf die kühnsten Erwartungen des Kammerherrn, der einer der größten Feinschmecker war. Wie er der Kommerzienrätin versicherte, hatte er selbst an der königlichen Tafel nicht so vortrefflich gespeist, keine solche feine Colchesteraustern, keinen besseren Sterlet, keine so zarten Haselhühner genossen, keinen so duftigen Johannisberger und Lafitte getrunken. Dieser Umstand verlieh der Familie Stricker in den Augen des für derartige Genüsse höchst empfänglichen Gourmands einen neuen Reiz und steigerte noch seine Achtung für dieselbe.

Aber nicht nur die Zunge und der Magen, sondern auch das Herz des alten Junggesellen sollte bei dem Diner die vollste Befriedigung finden. Fräulein Rosa, welche zwischen dem Onkel und dem Neffen gleich einer den Kranz verteilenden Siegesgöttin saß, schien nur Augen und Ohren für den ersteren zu haben. Das süßeste Lächeln belohnte seine galanten Phrasen und Komplimente, die schmachtendsten Blicke seine immer kühner werdenden Schmeicheleien. Sie scherzte und kokettierte mit ihm, ließ sich von ihm eine Rose aus ihrem Blumenstrauß rauben und aß mit ihm ein Vielliebchen, als er beim Nachtisch sie darum bat.

Wenn auch der Baron ihr auffallendes Benehmen bemerken mußte und ihm nicht entgehen konnte, daß sie ihn kaum beachtete, so war er nichts weniger als eifersüchtig auf die Erfolge seines Onkels. In seiner Unschuld glaubte er, daß der Kammerherr nur seinetwillen der jungen Dame den Hof machte, um ihm zu nutzen, und daß Fräulein Rosa aus demselben Grunde mit ihrem alten Anbeter kokettierte und sich die Huldigungen desselben gefallen ließ, um die Zustimmung des Onkels für ihre Heirat mit dem Neffen zu erhalten.

Außerdem war Brandenstein gerade heute im hohen Grade verstimmt und zerstreut, da er aus der Zeitung die stattgefundene Verbindung seiner früheren Geliebten mit dem Herrn von Rabeneck erfahren hatte. Diese Nachricht versetzte ihn in eine verzeihliche Aufregung und weckte die traurigen Erinnerungen an sein verlorenes Glück. Während er an der Seite seiner Zukünftigen saß, dachte er unwillkürlich an die reizende Agnes, an seine erste und einzige Liebe, stellte er im stillen Betrachtungen und Vergleichungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart an.

Trotz seines Leichtsinns empfand er in diesem Augenblicke einen tiefen Schmerz, eine Anwandlung von Scham und Reue. Er konnte sich nicht verschweigen, daß er Fräulein Rosa nicht liebte, daß sie ihn ungeachtet ihrer vielen Vorzüge gleichgültig ließ, daß ihn weniger ihre Schönheit und ihr Geist, als das Vermögen ihres Vaters anzog. Bei näherer Bekanntschaft kam sie ihm kalt, berechnend und gefühllos vor, wie eine Blume ohne Duft, wie eine kostbare Kamelie ohne Wohlgeruch.

Zugleich wandelte ihn ein Ekel vor sich selbst und seiner eigenen Thorheit an. Mehr als je fühlte er das Unwürdige seiner durch eigene Schuld herbeigeführten Lage, quälten und peinigten ihn von neuem die Mahnungen seines nur mit Gewalt zum Schweigen gebrachten Gewissens. Das schmachvolle Abkommen mit Herrn Lachmann, der gemeine Schacher mit seinem Herzen, der Verrat an seiner Liebe, das alles wirkte lähmend und ernüchternd auf seinen Geist und raubte ihm seine gewöhnliche liebenswürdige Unbefangenheit und Heiterkeit.

Statt sich mit seiner interessanten Nachbarin zu unterhalten, starrte er stumm vor sich nieder und weder die pikanten Scherze der geistreichen Rosa, noch die glänzenden Erfolge des Onkels vermochten ihn aus seinem dumpfen Brüten zu reißen. Selbst als der Kommerzienrat einen vorher sorgfältig mit Hilfe seiner klugen Frau ausgearbeiteten und auswendig gelernten Toast auf seine Gäste ausbrachte und darin ganz besonders die Anwesenheit des Kammerherrn und des Barons als eine seinem Hause widerfahrene Ehre in begeisterter Rede feierte, vergaß Brandenstein, mit dem Wirt anzustoßen und für solche Auszeichnung zu danken, was dieser natürlich Übelnehmen mußte. Noch weniger dachte er daran, die ihm und seinem Onkel erwiesene Artigkeit in der entsprechenden Weise zu erwidern, wie dies unter den bekannten Verhältnissen allgemein von ihm erwartet wurde.

Dafür erhob sich zur rechten Zeit der schlaue Kammerherr, um eine im voraus für alle Fälle einstudierte Rede zu improvisieren, welche ein Meisterstück diplomatischer Rhetorik war und mit einem wahren Beifallssturm von der Gesellschaft aufgenommen wurde. Von donnerndem Applaus unterbrochen, sprach er zuerst von den hohen Verdiensten des Kommerzienrates, die sich derselbe um die Kultur und Gesittung der Menschheit im allgemeinen und seiner Mitbürger im besonderen als Holzhändler erworben, indem er Wälder gelichtet, das Feuer des häuslichen Herdes genährt und die Frierenden erwärmt habe, wofür ihm der Dank der Mit- und Nachwelt und die gerechte Anerkennung der Regierung gebühre, die ihm bisher noch keineswegs in dem Maße zu teil geworden, wie der Redner wünsche, aber mit Sicherheit erwarten dürfe, da er sich schmeichle, mit den allerhöchsten Intentionen einigermaßen vertraut zu sein.

Hier folgte eine kurze Unterbrechung, indem mehrere vom Champagner angefeuerte Gäste ein lautes Hört! Hört! erschallen ließen, worauf der Kammerherr in demselben schmeichelhaften Tone fortfuhr, den Kommerzienrat mit den größten Wohlthätern der menschlichen Gesellschaft zu vergleichen und ihn den bedeutendsten Männern der Gegenwart beizugesellen.

»Ein solcher Mann,« fuhr der Redner mit einer geschickten Wendung fort, »adelt seinen Stand und darf den höchsten Lohn beanspruchen. Aber kein Fürst auf Erden kann ihm mehr geben, als er bereits besitzt, – eine Frau, welche alle weiblichen Tugenden in sich vereint, und eine Tochter, die wie die Rose unter den Blumen, durch ihre Schönheit und Anmut alle Herzen entzückt und – bestrickt

»Bravo! Bravo!«

»Und nun,« rief der Kammerherr, seine Stimme erhebend, »lassen Sie uns das Glas erheben und auf das Wohl dieser glücklichen Familie leeren, die, wie einst die Fugger und Welser, nicht nur durch ihren Reichtum, sondern auch durch ihren adligen Sinn sich den ersten Geschlechtern zur Seite stellen darf und den Ruhm und Glanz jener alten Handelsfürsten und jener schönen Tage erneuert, wo der Kaiser selbst an der Tafel des Bürgers speiste und ein Königssohn um die Hand der schönen Welserin warb. So möge auch dies Haus blühen und gedeihen und Herr Stricker mit seiner Familie hochleben.«

»Sie leben hoch und abermals hoch!«

Der Jubel und der Beifall, den diese zeitgemäße Rede fand, wollte kein Ende nehmen. Der Kommerzienrat war zu Thränen gerührt, die Damen begeistert und sämtliche Gäste erklärten einstimmig, nie einen schöneren Toast gehört zu haben. Mit einem Schlage wurde der Kammerherr der Held des Tages, der bewunderte Mittelpunkt der Gesellschaft. Alle drängten sich um ihn und waren von seiner Liebenswürdigkeit bezaubert. Selbst die wenigen Liberalen fühlten sich von seiner geschickten Verherrlichung des Bürgertums geehrt, besonders aber die Kommerzienrätin durch seinen Vergleich mit den Fuggers und Welsers geschmeichelt.

Fräulein Rosa aber, welche bei der Erwähnung der schönen Welserin eine nie gekannte Freude empfand, dankte ihm mit ihrem süßesten Lächeln und reichte ihm ihre Hand mit einem Blicke, der ihn zu den kühnsten Hoffnungen berechtigte. Kurz, sein Triumph war so vollständig, wie er ihn nur wünschen konnte, und ließ ihn nicht länger an seinem Glücke zweifeln. Selbst der Baron, der noch immer in Gedanken saß, fand jetzt, daß Fräulein Rosa auf Kosten des Neffen den Onkel bevorzugte und ihn in einer fast auffallenden Weise zurücksetzte. Weit entfernt jedoch, den wahren Grund dieser Ungnade zu ahnen und sich deshalb zu beunruhigen, gönnte er dem eitlen Kammerherrn einen solchen Erfolg, dem er nicht die geringste Bedeutung beilegte.

In dieser Täuschung wurde der Baron noch durch die erheuchelte Freundlichkeit des alten Intriganten bestärkt, der mit gewohnter Schlauheit seine wahren Absichten zu verbergen wußte und seinen Neffen mit wahrem Vergnügen zu hintergehen suchte, bis dieser endlich aus seiner unerklärlichen Verblendung erwachte und nicht länger an der Gemeinheit seines würdigen Onkels und an Rosas Verrat zweifeln konnte. So leicht er sich auch über den Verlust der jungen Dame tröstete, so tief mußte ihn, abgesehen von allen sonstigen Unannehmlichkeiten, das perfide Benehmen eines so nahen Verwandten schmerzen. Zwischen beiden kam es eines Tages zu äußerst erregten Auseinandersetzungen, welche notwendigerweise einen unheilbaren Bruch herbeiführten und mit einer unversöhnlichen Feindschaft endeten.

Für Brandenstein konnten die traurigen Folgen seiner unbegreiflichen Sorglosigkeit nicht ausbleiben. Sobald die Verlobung des Kammerherrn mit der Tochter des reichen Kommerzienrats Stricker bekannt wurde, erschien schon am frühen Morgen Herr Lachmann mit einem unheilverkündenden Gesicht. Die Wut und der Aerger des getäuschten Gläubigers kannte keine Grenzen; der sonst so feine und artige Dandy hatte sich in ein wildes, blutgieriges Tier verwandelt und die freundlich lächelnde Maske abgeworfen.

»Wie kann man nur so dumm sein,« schrie er grimmig, »und sich eine solche Partie vor der Nase wegfischen lassen! Sie haben sich um eine Viertelmillion und mich um zwanzigtausend Thaler gebracht.«

»Das thut mir am meisten leid, aber Sie werden einsehen –«

»Daß Sie der leichtsinnigste Mensch auf Gottes Welt sind. Haben Sie sich nicht verpflichtet, alles daranzusetzen, um die junge Dame zu gewinnen? Haben Sie mir nicht versprochen, so liebenswürdig als möglich zu sein, mit allen Ihnen zu Gebote stehenden Mitteln sich um die Hand der Tochter zu bewerben, sie zu bezaubern, sie mit einem Wort wahnsinnig verliebt zu machen?«

»Es war auch nicht meine Schuld,« versetzte der Baron, unwillkürlich lächelnd, »daß ich nicht reüssierte; wer hätte denken sollen, daß mein eigener Onkel –«

»Ihr Herr Onkel ist ein kluger Mann, der im kleinen Finger mehr Witz und Verstand hat, als Sie im ganzen Leibe. Sie sollten sich schämen –«

»Ich muß Sie bitten, sich zu mäßigen, Herr Lachmann!«

»Ich will mich nicht mäßigen, ich will mein Geld!« schrie der erzürnte Gläubiger nur um so lauter.

»Sie müssen noch einige Geduld haben –«

»Nicht einen Tag, nicht einen Augenblick. Wenn Sie nicht zahlen können, so werde ich Sie verklagen. Sie sollen mich kennen lernen, Sie –« das gemeine Schimpfwort erstarb auf den Lippen des wuchernden Dandys, als der Baron plötzlich aufsprang und den an der Wand hängenden Revolver ergriff. Im nächsten Augenblick war Herr Lachmann mit solcher Eile verschwunden, daß er einige Stufen der Treppe herabstürzte, ohne sich jedoch einen erheblichen Schaden zu thun. Einen Augenblick hielt Brandenstein den Revolver nachdenklich in seinen Händen, indem er überlegte, ob es nicht besser, seinem elenden Dasein ein Ende zu machen. Nur der Gedanke, daß man glauben könnte, er habe aus Verzweiflung wegen seines Korbes, aus unglücklicher Liebe für Fräulein Rosa Stricker sich das Leben genommen, hielt ihn zurück, nur die Furcht vor der Lächerlichkeit rettete ihn. Diesen Triumph wollte er der kalten, herzlosen Kokette nicht gönnen.

Trotz seines Leichtsinns konnte er sich nicht seine wirklich verzweifelte Lage verhehlen. Von seinem Onkel hatte er keine Unterstützung, von seinem wütenden Gläubiger keine Schonung zu erwarten. Wenn es ihm nicht gelang, die Ehrenschuld zu bezahlen und die auf sein Wort ausgestellten Wechsel einzulösen, so war er verloren und es blieb ihm nichts übrig, als seinen Abschied zu nehmen. Er dachte an seine Freunde, für die er sich nur zu oft mit ansehnlichen Summen verbürgt hatte, auf deren Erkenntlichkeit er jetzt mit Sicherheit rechnete. Mit ihrer Hilfe hoffte er, das nötige Geld noch aufzubringen und das ihm drohende Geschick abzuwenden.

Zu diesem Zweck suchte er zuerst seinen besten Kameraden, den Lieutenant von Kragstädt auf, dem er in ähnlichen Verlegenheiten beigestanden. Als der Baron ihn mit seinem Anliegen bekannt machte, zuckte der gute Freund mit den Achseln und nahm eine wahre Trauermiene an.

»Das nenn ich wirklich,« sagte er mit Bedauern, »ein ausgesuchtes Pech. Wärst du nur gestern gekommen, so hätte ich dir mit Vergnügen das Geld gegeben. Leider habe ich im Jeu alles wieder verloren. Denke dir, daß ich bereits fünfhundert Fritzen gewonnen hatte, als mich der Teufel reitet, die Bank zu übernehmen. In einer Stunde war ich ausgebeutelt und habe keinen Groschen übrig behalten.«

»Mein Gott! Und ich habe so sicher auf dich gerechnet. Was soll ich anfangen?«

»Wie wäre es, wenn du dich an Stutterbach wendetest. Der Kerl hat gestern ein rasendes Glück gehabt und seinen Schnitt gemacht. Er wird dich nicht stecken lassen. An deiner Stelle würde ich mich keinen Augenblick besinnen. Du findest ihn jetzt noch sicher zu Hause.«

Natürlich eilte der Baron zu seinem Freunde Stutterbach, um ihn nicht zu versäumen. Leider kam er zur ungelegenen Zeit, da jener gerade Damenbesuch hatte, eine verheiratete Cousine, welche der Lieutenant mit sichtlicher Verlegenheit ihm vorstellte. Wider Willen sah sich der arme Brandenstein gezwungen, an der lebhaften Unterhaltung teilzunehmen. Während er vor Ungeduld verging und von den ernstesten Sorgen gepeinigt wurde, mußte er den Liebenswürdigen spielen und zum bösen Spiel noch gute Miene machen, bis sich endlich die Cousine empfahl. Erst jetzt konnte er dem Freunde sein Anliegen anvertrauen, indem er ihm zugleich zu seinem gestrigen Glücke gratulierte.

»Mein Gott,« sagte dieser verdrießlich, »Kragstädt übertreibt wie gewöhnlich. Ich habe höchstens hundert Louisdor gewonnen, eine wahre Lumperei.«

»Auch damit würdest du mir einen großen Gefallen erweisen.«

»Es thut mir aufrichtig leid, dir nicht dienen zu können, aber du kennst ja das alte Sprichwort: Wie gewonnen, so zerronnen. Kaum hat man ein paar Groschen, so werden sie einem wieder abgenommen. Da war Romberg heute früh bei mir und hat mich beschwatzt, ihm seine braune Fuchsstute für sechzig Louisdore abzukaufen, und den Rest mußte ich meiner Cousine geben. Ich bedauere, daß du nicht eine Stunde früher gekommen bist, dann hätte ich dir mit Wonne geholfen.«

Mit immer schwererem Herzen irrte Brandenstein bis zum späten Abend von einem Freunde, von einem Kameraden zum andern, überall vergebens anpochend. Den einen fand er nicht zu Hause, der andere entschuldigte sich höflich und der dritte gab ihm einen guten, aber nutzlosen Rat oder machte ihm selbst noch Vorwürfe wegen des unverzeihlichen Leichtsinns und der Unvorsichtigkeit, einen Ehrenschein auszustellen. Die wenigen, welche ihm gern helfen wollten, hatten kein Geld, und die Geld hatten, wollten ihm nicht helfen. Wenige Stunden reichten hin, Brandensteins Menschenkenntnis zu bereichern und ihm die Augen über seine sogenannten Freunde zu öffnen.

Unterdes hatte auch der rachsüchtige Gläubiger seine Drohung wahrgemacht und den Baron rücksichtslos wegen der von ihm eingegangenen Ehrenschuld verklagt. Selbstverständlich mußte er seinen Abschied nehmen und das Regiment verlassen, da er nicht im stande war, das Geld zur rechten Zeit zu zahlen. Wenige Wochen später war der einst so beliebte Baron von Brandenstein, der eleganteste Dragoneroffizier, der Abgott der Damen, der besten Gesellschaft, ein armer, verlassener, aufgegebener und vergessener Mann, den niemand mehr kannte und von dem keiner seiner früheren Bekannten etwas wissen wollte.


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