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3.

Einige Tage nach dieser Unterredung mit Herrn Lachmann stattete der Baron der Familie Stricker den angekündigten Antrittsbesuch in der von ihr vor dem Thor in der Rahe des Tiergartens bewohnten Villa ab. Unwillkürlich imponierte ihm die schöne, stattliche Besitzung, sowie die wahrhaft gediegene innere Einrichtung, welche an Komfort und Luxus nichts zu wünschen übrig ließ, wenn auch hier und da eine gewisse Ueberladung und ein Mangel an feinerem Kunstsinn sich bemerkbar machte. Die kostbaren Tapeten, die schweren Sammetportieren, die hohen venezianischen Spiegelgläser, die prachtvollen Kandelaber, die teuren Möbel, die eleganten mit den glänzendsten Seidenstoffen überzogenen Viktoriachaisen und Diwans verrieten in etwas schreiender Weise mehr den Reichtum, als den Geschmack des Besitzers, wie man dies in den meisten modernen Wohnungen unserer reich gewordenen Bourgeosie findet, welche einander mit wenig Ausnahme auffallend ähnlich sehen.

Ebensowenig vermochte Herr Kommerzienrat Stricker weder in seiner äußeren Erscheinung noch in seinem ganzen Wesen den Parvenü im besseren Sinn zu verleugnen. Unter seiner scheinbaren Gemütlichkeit und Einfachheit verbarg der frühere Holzhändler einen ungewöhnlichen Grad von kaufmännischem Scharfblick und eine noch größere Portion von Ehrgeiz, der von seiner, aus einer angesehenen, aber armen Beamtenfamilie stammenden Gattin fortwährend genährt und gestachelt wurde. Hauptsächlich auf ihren Rat beteiligte er sich an allen öffentlichen Vereinen und patriotischen Sammlungen mit bedeutenden Summen, weshalb er vor einigen Jahren mit dem Titel eines Kommerzienrats beehrt worden war.

So sehr auch diese Auszeichnung seiner Eitelkeit schmeichelte, so war all sein Sinnen und Trachten auf Höheres gerichtet. Der bloße Kommerzienrat befriedigte ihn nicht mehr; er wollte, wie einer seiner Freunde, Geheimrat, womöglich in den Adelstand erhoben werden. Da aber dies Ziel nicht so leicht zu erreichen war, wie er gehofft, so sollte wenigstens seine Tochter, welche er wahrhaft anbetete, einen hohen Adligen, mindestens einen Baron heiraten.

Mit diesem Wunsch ihrer Eltern war auch Fräulein Rosa einverstanden, da sie von frühester Jugend kein höheres Glück kannte, als der von ihr beneideten Aristokratie anzugehören, in einer Equipage mit einem Wappen zu fahren, ihre Wäsche mit einem adligen Namenszug zu zeichnen und vor allen Dingen zu den Hofbällen geladen zu werden. Um diesen Preis war sie bereit, jeden einigermaßen leidlichen Mann zu nehmen.

Im übrigen war Fräulein Rosa zwar keine besondere Schönheit, aber gut gewachsen und wohl gebildet. Ihr Gesicht zeigte regelmäßige, nicht uninteressante, nur etwas scharfe Züge. Die hohe Stirn, von dünnem, aschblondem Haar umgeben, die durchdringenden grauen Augen, die dünne, gerade Nase und die feinen, blutleeren Lippen ließen leicht eine jener vorwiegend kalten Verstandesnaturen erkennen, welche wenig oder gar kein Herz besitzen und gewohnt sind ihre Gefühle ihren Interessen unterzuordnen. Da sie in der That eine gute Erziehung in einem höheren Töchterinstitut genossen hatte, eine vornehme Tournüre besaß, eine geschmackvolle Toilette machte, sich mit vielem Verstand zu benehmen wußte und in der Unterhaltung mehr Geist verriet, als er ihr zugetraut, so gefiel sie dem Baron weit besser, als er erwartet hatte.

Er selbst bemühte sich, sein Herrn Lachmann gegebenes Versprechen zu erfüllen und auf Kommando so liebenswürdig zu sein, als es ihm unter solchen Verhältnissen überhaupt nur möglich war. Beide Teile waren oder schienen wenigstens mit dem ersten Eindruck so zufrieden zu sein, daß der Kommerzienrat seinen Gast dringend aufforderte, den Besuch zu wiederholen, was dieser natürlich mit vielem Vergnügen zu thun versprach. Fräulein Rosa begleitete die Aufforderung ihres Vaters mit einem freundlichen Lächeln und einem Glück verheißenden Blick, der ihn kaum noch daran zweifeln ließ, daß er vor ihren Augen Gnade gefunden. Auch die Frau Kommerzienrätin, deren Stimme hier maßgebend war, wiederholte dringend und mit einem gewissen Nachdruck die Einladung ihres Gatten, indem sie zum Abschied dem Baron ihre etwas knöcherne Hand reichte, auf die er einen respektvollen Kuß drückte.

Im ganzen nahm Brandenstein von der Villa und ihren Bewohnern eine weit günstigere Meinung mit, als er vermutet hatte. Wenn auch der Kommerzienrat nicht ganz den Parvenü verleugnen konnte, so besaß er doch Takt und Klugheit genug, um sich nicht auffallend lächerlich zu machen, während die Frau Kommerzienrätin, abgesehen von ihrer Eitelkeit und ihren Prätensionen, eine wirklich feine Dame war. Konnte auch Rosa sich an Schönheit, Anmut und Liebenswürdigkeit nicht mit Agnes messen, vermißte er auch an ihr die Reize der verführerischen Flora, so mußte er doch zugestehen, daß sie höchst geistreich, interessant und unterhaltend war, was er wohl zu würdigen wußte. Dazu kam noch der Glanz und Reichtum ihrer Umgebung, der wie ein goldener Nahmen ihr Bild hob, ihr in seinen Augen einen strahlenden Nimbus verlieh. Unwillkürlich übertrug er das angenehme Gefühl, das der Anblick der reizenden Villa, der eleganten Einrichtung, des behaglichen Komforts und gediegenen Luxus in ihm hervorgerufen, auf die Person der jungen Dame, welche auf diesem Hintergrund ihm wie die Göttin des Ueberflusses erschien, aus deren Füllhorn die schönsten Gaben und – reichsten Geschenke ihm entgegenwinkten.

Aehnliche Gedanken und Betrachtungen beschäftigten die zurückgebliebene Familie Stricker, nachdem sich der Baron von ihr verabschiedet hatte. Auch hier wurde das Hauptgewicht zunächst auf die äußeren Verhältnisse, auf die gesellschaftlichen Vorteile, auf den Rang und vor allem auf den Adel des Bewerbers gelegt und nur nebenbei seine sonstigen Eigenschaften, seine körperlichen und geistigen Vorzüge oder Fehler in Erwägung gezogen. Für Rosa schien es vorläufig genügend, daß Brandenstein Offizier und Baron war, daß er ihr die aristokratischen Kreise öffnete und ihr eine höhere exklusive Stellung geben konnte. Natürlich war es ihr auch lieb, daß er noch dazu ein ansprechendes Aeußere, eine elegante Figur besaß und so geistreich und liebenswürdig war. In diesem Augenblick dachte sie nur an das Aufsehen einer derartigen Verbindung, an den Neid ihrer bürgerlichen Freundinnen, an die Rolle, welche sie in der aristokratischen Welt zu spielen wünschte. Im Geiste sah sie sich bereits am Hose vorgestellt, zu den königlichen Gesellschaften eingeladen und mit dem höchsten Adel verkehren. Der Kommerzienrat hoffte dagegen, durch diese Verbindung endlich seine ehrgeizigen Wünsche erfüllt zu sehen. Da er zuvor die genauesten Erkundigungen über Brandensteins Verhältnisse und Familienbeziehungen eingezogen hatte, so wußte er genau, daß sein zukünftiger Schwiegersohn zwar selbst kein Vermögen hatte, sondern ziemlich verschuldet war, daß er aber einen reichen Onkel besaß, der als Inhaber des Majorats, königlicher Kammerherr und Mitglied der Ordenskommission ein hohes Ansehen genoß. Hauptsächlich diesem Umstande hatte der Baron den so überaus freundlichen Empfang in der Familie Stricker zu verdanken, welche sich im stillen noch mehr für den alten Onkel als für den jungen Neffen interessierte. Schwerlich hätte der Kommerzienrat einem armen Offizier die Hand seiner Tochter bewilligt, schwerlich wäre Fräulein Rosa so liebenswürdig und aufmunternd gegen ihn gewesen und noch weniger hätte die Kommerzienrätin ihn so dringend eingeladen, wenn nicht dieser Onkel ihnen gleich einem unsichtbaren Gott alle Pforten und Herzen geöffnet haben würde, was natürlich Brandenstein nicht ahnte.

Der nächste Besuch, den Brandenstein schon im Laufe der folgenden Woche abstattete, konnte nur dazu beitragen, den günstigen Eindruck der ersten Bekanntschaft zu erhöhen, da er fast wie ein alter Freund des Hauses empfangen und auf das liebenswürdigste genötigt wurde, den Abend im vertrauten Familienkreise zuzubringen. Bald saß er in behaglicher Stimmung vor dem französischen Marmorkamin, der eine angenehme Wärme ausstrahlte, und rauchte mit Erlaubnis der Damen eine vorzügliche Cigarre des Kommerzienrats, während Fräulein Rosa an seiner Seite mit wirklich aristokratischer Grazie in dem massiven silbernen Ssamowar den echt russischen Karawanenthee bereitete, wobei sie hinlängliche Gelegenheit fand, ihre schönen Arme und sorgfältig gepflegten Hände auf das vorteilhafteste zu präsentieren.

Daneben behielt sie noch immer so viel Zeit, mit dem Baron ein interessantes Gespräch über die neuesten Ereignisse und wichtigsten Erscheinungen in der Litteratur und Kunst zu führen und ihn durch ihre vielseitigen Kenntnisse, durch ihr scharfes, meist treffendes Urteil, durch ihre wirklich geistreichen Bemerkungen zu überraschen und zu fesseln, bis der Diener zu dem unterdes im Speisesaal angerichteten Souper die Gesellschaft abrief.

Auch bei Tisch herrschte jene heitere Gemütlichkeit, welche gewöhnlich der Genuß eines feinen Mahls, eines guten Weins, der Anblick einer mit elegantem Porzellan, englischem Krystallglas und frischen Blumen besetzten Tafel und einer animierten Gesellschaft hervorzubringen pflegt. Die allerdings mitunter zu große Jovialität und etwas geräuschvolle Fröhlichkeit des Hausherrn wurde durch das wirklich taktvolle Benehmen der Damen gemildert und abgeschwächt; auch genügte ein einziger scharfer Blick der Kommerzienrätin, den gehorsamen Gatten in die gebührenden Schranken zu verweisen und seiner natürlichen Lustigkeit einen notwendigen Dämpfer auszusetzen.

Nach dem Essen ließ sich Fräulein Rosa von dem galanten Baron erbitten, eine Probe ihres musikalischen Talents abzulegen und auf dem prachtvollen Konzertflügel von Bechstein ein melancholisches Notturno von Chopin mit mehr Bravour als Gefühl vorzutragen, obgleich sie diesen Mangel durch den schmachtenden Ausdruck ihres Gesichtes und durch ein zärtliches Schielen ihrer auf ihn gerichteten Augen zu ersetzen suchte. Natürlich war der Baron von ihrem Spiel entzückt und versicherte, nie einen ähnlichen Genuß gehabt und selbst von der Gräfin Leinitz, einer berühmten musikalischen Virtuosin und Schülerin von Liszt, das bekannte Notturno nicht vollendeter gehört zu haben, wodurch sich Fräulein Rosa und besonders der Kommerzienrat höchst geschmeichelt fühlten.

Unterdessen benutzte die kluge Dame des Hauses die nach einer solchen musikalischen Leistung gewöhnlich stattfindende Pause in der Unterhaltung, um unter dem Anschein einer unter diesen Verhältnissen natürlichen Teilnahme, sich nach den näheren Umständen, vorzugsweise aber nach den Angehörigen des Barons in einer so diskreten und liebevollen Weise zu erkundigen, daß er nicht den geringsten Anstoß daran nehmen konnte. Wie er ihr unbefangen mitteilte, hatte er frühzeitig seine Eltern verloren; was sie jetzt mit tiefem Bedauern vernahm, obgleich ihr dieser Umstand längst bekannt und vollkommen gleichgültig war.

»Und besitzen Sie keine nähern Verwandten?« fragte sie ihn mit sichtlichem Interesse.

»Nur noch einen Onkel, den Kammerherrn von Brandenstein,« versetzte er arglos.

»Ihr Herr Onkel macht gewiß ein großes Haus?«

»Das ist nicht der Fall, da er unverheiratet geblieben ist.«

»Also noch ein junger Mann?«

»Bitte um Verzeihung,« entgegnete der Baron lächelnd.

»Mein Onkel Bodo ist um zwei Jahre älter als mein verstorbener Vater, ein starker Fünfziger, obgleich er sich gut konserviert hat.«

»Unter diesen Umständen denkt Ihr Herr Onkel doch nicht mehr daran, sich zu verheiraten.«

»An seinem guten Willen liegt es nicht,« versetzte Brandenstein mit seiner gewöhnlichen Sorglosigkeit und unbedachter Offenherzigkeit.

Unbemerkt tauschte die kluge Mutter einen verständnisvollen Blick mit ihrer ebenso klugen Tochter aus, welche während dieser für sie so wichtigen Unterhaltung scheinbar gleichgültig in einem photographischen Album blätterte und mit großer Aufmerksamkeit die darin enthaltenen Bilder betrachtete, was sie jedoch nicht hinderte, auf jedes Wort zu achten. Im stillen berechneten beide die Hoffnungen und Aussichten der Barons, welche durch seine eigenen Mitteilungen einigermaßen in Frage gestellt wurden, wenn der Kammerherr sich wirklich trotz seines Alters noch zu einer Verbindung entschließen und seinen zukünftigen Erben durch eine Heirat und mögliche Nachkommenschaft um das Majorat bringen sollte; woran Brandenstein in seinem Leichtsinn niemals ernstlich gedacht hatte.

Umsomehr beschäftigte sich die vorsichtige Kommerzienrätin mit der Möglichkeit eines solchen Falles, über den sie sich unter allen Bedingungen erst die nötige Aufklärung zu verschaffen suchte. Zu diesem Behuf deutete sie dem Baron in zartester Weise an, daß es ihr unter den obwaltenden Verhältnissen zur größten Ehre und zum höchsten Vergnügen gereichen würde, seinen verehrten Onkel kennen zu lernen und in ihrem Hause zu empfangen. Zugleich gab ihm die kluge Dame mit vieler Feinheit zu verstehen, daß die Gegenwart eines so nahen älteren Verwandten, der am Hofe und in der Gesellschaft ein so großes Ansehen genoß, nur seinen eigenen Wünschen förderlich sein und seine Bewerbungen nur unterstützen würde, da der Kammerherr gewissermassen als Haupt der Familie seine Zustimmung und Billigung zu der beabsichtigten Verbindung seines Neffen geben und dieselbe gleichsam sanktionieren müsse.

Dies leuchtete auch dem Baron vollkommen ein und er versprach deshalb, das nächste Mal seinen Onkel mitzubringen, obgleich zwischen ihm und dem Kammerherrn gerade nicht das beste Einverständnis herrschte, da der letztere, wie dies häufig vorzukommen pflegt, seinen mutmaßlichen Erben und Nachfolger nicht besonders zärtlich liebte und auf ihn aus mehrfachen Gründen nicht gut zu sprechen war. Diesmal hoffte jedoch Brandenstein, seinen Onkel, dessen Egoismus und Geiz er nur zu gut kannte, durch die Aussicht auf eine so glänzende Partie und den damit verbundenen Wegfall des ihm bisher bewilligten Zuschusses zu dem gewünschten Besuch leicht zu bewegen.

In dieser Absicht begab sich der Baron am nächsten Morgen zu dem Kammerherrn, den er sonst ungeachtet der nahen Verwandtschaft nur selten sah, außer wenn er in Geldverlegenheiten sich befand und, von seinen Gläubigern verfolgt, sich an ihn wenden mußte, was jedoch meist ohne Erfolg geschah. Derselbe war in der That der Typus eines alten Junggesellen, selbstsüchtig und herzlos, mißtrauisch und nur aus seinen eigenen Vorteil bedacht, grenzenlos eitel und von sich eingenommen, beschränkt aber schlau, falsch aber geschmeidig wie ein Aal, schmutzig geizig trotz seiner bedeutenden Revenuen, ein inkarnierter Egoist, ein verknöcherter Hofmann, ein alter Geck und Roué, ein moderner Harpagon, halb Fuchs, halb Affe.

Wie der alte Janus zeigte auch der Kammerherr zwei verschiedene Gesichter, ein jugendlich heiteres am Tage, wenn er bei guter Laune war, und ein altes griesgrämiges des Nachts, oder wenn er einen Verdruß hatte. Mit Hilfe seines geschickten Kammerdieners vermochte sich der häßliche Satyr in einen doch ganz leidlichen Adonis zu verwandeln. Wenn er seinen kahlen Kopf mit der französischen Perücke bedeckte, sein falsches Gebiß einsetzte, den grauen Schnurrbart und die Augenbrauen schwarz färbte, die gelben Wangen rot schminkte und die wattierte Uniform mit den goldenen Stickereien trug, so konnte man ihn höchstens für einen angehenden Vierziger halten. Ebenso geschickt, wie seine körperlichen Gebrechen, wußte der Kammerherr seine geistigen Fehler unter der Maske einer künstlichen Liebenswürdigkeit und erheuchelten Gutmütigkeit zu verbergen und die Welt über seinen wahren Charakter und seine Beschränktheit zu täuschen, so daß er in der Gesellschaft und besonders am Hofe sich einer großen Anerkennung und Beliebtheit erfreute.

Trotz dieser unleugbaren Vorzüge, womit er noch sein bedeutendes Einkommen als Majoratsherr verband, war der Kammerherr ein alter Junggeselle geworden, da er zu seinem Leidwesen noch immer keine passende Partie gefunden hatte, obgleich er fortwährend auf Freiersfüßen ging. Die Schuld lag hauptsächlich an seinem ungemeinen Geiz, indem er die mit einer Heirat verbundenen größeren Ausgaben und die Ansprüche einer jungen Frau auf seinen Geldbeutel fürchtete. So oft auch sein leicht entzündliches Herz in Flammen geriet, genügte der bloße Gedanke an eine Vergrößerung seines Hausstandes, an die unvermeidlichen Kosten für Toilette, Equipage, Theater und anderweitige Vergnügungen ihn wieder abzukühlen. Außerdem stand der Kammerherr, wie die meisten alten Junggesellen, unter der Herrschaft seiner noch ziemlich jungen und leidlich hübschen Wirtschafterin, welche alle seine kleinen Schwächen und Bedürfnisse kannte und sich besonders durch ihre ausgezeichnete Kochkunst ihm unentbehrlich zu machen wußte.

Aus diesen Gründen war der Kammerherr bis jetzt ledig geblieben, obgleich er gerade in der letzten Zeit ernstlicher als je damit umging, eine vorteilhafte Partie zu suchen, um sich von dem Joche der besagten Wirtschafterin zu befreien, welche, wie er erst jetzt vor kurzem entdeckt hatte, ihn im Einverständnis mit dem Kammerdiener in wahrhaft unverschämter Weise bestahl und ausplünderte, wie dies unter solchen Verhältnissen nicht auszubleiben pflegt. Gerade als der Baron seinen Onkel zur ungewohnten Stunde nach langer Abwesenheit überraschte, fand er denselben mit ähnlichen Zukunftsplänen beschäftigt.

»Läßt du dich auch wieder einmal sehen?« sagte der Geizhals in jenem verdrießlichen Ton, womit man einen unwillkommenen Gast zu begrüßen pflegt.

»Verzeih', lieber Onkel!« entgegnete Brandenstein so freundlich als möglich, »aber ich wollte dich nicht inkommodieren.«

»Ich kann mir schon denken, um was es sich wieder handelt,« brummte der Kammerherr.

»Du würdest mir den größten Gefallen erweisen, wenn du die Güte hättest –«

»Unter keiner Bedingung!« rief der entrüstete Junggeselle, den bestürzten Baron unterbrechend. »Ich bin nicht gesonnen, deinen liederlichen Lebenswandel länger zu dulden, und muß dir ein und für allemal erklären, daß ich wegen deines unverzeihlichen Betragens höchst empört bin. Deine Frivolität auf dem letzten Subskriptionsballe ist mit allgemeinem Mißfallen bemerkt worden und du hast es einzig und allein nur der Rücksicht auf meine Person und auf unsere Verwandtschaft zu danken, daß man höhern Orts die fatale Angelegenheit übersehen hat.«

»Es ist doch kein Verbrechen, mit einer schönen Schauspielerin zu tanzen und ihr den Hof zu machen.«

»Aber man muß vor allem die äußeren Dehors beobachten. Das bist du mir und deiner Stellung schuldig. Mich kümmert nicht, was du im geheimen thust, aber wenn du an einem öffentlichen Orte, der noch dazu durch die Gegenwart des Hofes gewissermaßen geheiligt ist, mit einer solchen Person Champagner trinkst und dich so auffallend kompromittierst, daß man darüber spricht, so bleibt mir nichts übrig, als mich von dir loszusagen und meine Hand von dir abzuziehen.«

Dazu nahm der Kammerherr die Miene tiefster sittlicher Entrüstung an, obgleich er in seiner Jugend und selbst jetzt noch in diesem Punkte wenigstens mit seinem leichtsinnigen Neffen wetteiferte, nur mit dem Unterschiede, daß er seine Schwächen besser zu verheimlichen wußte. Auch wollte der würdige Onkel nur die willkommene Gelegenheit benutzen, um unter dem Vorwand der beleidigten Moral das von ihm vorausgesetzte Gesuch des Barons abzuschlagen, weshalb er in demselben Tone fortfuhr:

»Du bist wirklich auf dem besten Wege, dich zu Grunde zu richten. Wie ich weiß, hast du mehr Schulden als Haare auf dem Kopf und borgst bei Juden und Christen. Es ist unverantwortlich, wie du es treibst, ein wahrer Skandal, wie du lebst. Ich schaudre, wenn ich an die Folgen denke. Nacht für Nacht schwärmst du in der liederlichsten Gesellschaft, mit notorischen Spielern, mit zweideutigen Frauenzimmern herum. Doch du irrst dich, wenn du glaubst, daß ich dir helfen werde. Von mir hast du keinen Groschen, keinen Pfennig zu erwarten.«

»Aber, lieber Onkel!« unterbrach der Baron die moralische Vorlesung des Kammerherrn. »Du thust mir diesmal unrecht und täuschest dich. Ich verlange kein Geld von dir, nur einen Freundschaftsdienst, den du mir hoffentlich nicht abschlagen wirst.«

»Das kennen wir,« versetzte dieser mißtrauisch. »Du kommst nur, wenn dir das Messer an der Kehle sitzt.«

»Mein Wort darauf, daß du heute nichts derartiges zu befürchten hast. Im Gegentheil! Ich stehe im Begriffe, mein Glück durch eine reiche Heirat zu machen.«

»Was, du willst dich verheiraten?« rief der überraschte Kammerherr, ungläubig den Kopf schüttelnd. »Das kann doch nur dein Scherz sein.«

»Mein voller, heiliger Ernst. Ich habe mich bereits den Eltern meiner Zukünftigen vorgestellt, und, nach dem freundlichen Empfang zu schließen, haben dieselben nichts gegen meine Person einzuwenden. Auch die Tochter scheint sich für mich zu interessieren und nicht abgeneigt, mir ihre Hand zu reichen.«

»Und darf man fragen, wer die Dame ist?«

»Fräulein Stricker.«

»Doch nicht die Tochter des reichen Kommerzienrats Stricker, der das große Haus unter den Linden und die schöne Villa im Tiergarten besitzt? –«

»Allerdings!«

»Mensch! Du träumst wohl. Der Vater ist ja ein mehrfacher Millionär, einer unserer ersten Geldmänner. Die Geschichte muß wohl einen Haken haben.«

»Daß ich nicht wüßte.«

»Das Mädchen ich gewiß bucklig oder sonst mit einem unheilbaren Fehler behaftet.«

»Keineswegs! Fräulein Rosa ist so schlank und gerade wie eine Tanne gewachsen, zwar nicht ausfallend schön, aber interessant und anmutig, sehr gebildet und eine vorzügliche Klavierspielerin.«

»Mir steht der Verstand still. Aber willst du mir nicht erzählen. Ich bin auf das höchste gespannt, von dir die näheren Umstände zu erfahren. Du weißt am besten, wie sehr mich dein Glück interessiert.«

Während Brandenstein, natürlich mit Verschweigung der eigentlichen Veranlassung und einiger nicht unwesentlicher Umstände, seinem Onkel die gewünschten Mitteilungen über seine Beziehungen zu der Familie des Kommerzienrats machte, konnte sich derselbe trotz seiner verwandtschaftlichen Verhältnisse nicht eines stillen Neides über das Glück seines Neffen erwehren. Das Bild, welches dieser von seiner Zukünftigen entwarf, noch mehr aber der Reichtum ihres Vaters und der Gedanke an eine Viertelmillion Mitgift versetzte den alten, geizigen Junggesellen in eine fieberhafte Aufregung, da ihm eine derartige Partie als das höchste Ideal, als das Ziel aller seiner Wünsche stets erschienen war.

»Je größer der Strick, desto größer das Glück,« sagte er nach einer Pause mit ungezwungenem Lächeln. »Du bist wirklich ein beneidenswerter Schlingel, dem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Nun, ich freue mich, daß du endlich daran denkst, solide zu werden, und gratuliere dir von ganzem Herzen.«

»Ich danke dir,« erwiderte der Baron etwas verlegen, »aber noch bin ich nicht so weit. Du kannst jedoch wesentlich dazu beitragen, die Angelegenheit zum Abschluß zu bringen.«

»Mit vielem Vergnügen, mein guter Junge, wenn du mir sagen willst, was ich für dich thun kann,« erwiderte der Kammerherr, froh darüber, daß wenigstens sein Geldbeutel nicht in Anspruch genommen wurde.

»Ich wollte dich nur ersuchen, der Familie meiner Zukünftigen einen Besuch zu machen. Da der Kommerzienrat ein großes Gewicht auf deine Zustimmung legt und du als mein nächster Verwandter gewissermaßen Vaterstelle bei mir vertrittst, so würdest du mir damit einen großen Gefallen erweisen und wesentlich meine Werbung unterstützen. Du vergiebst dir nichts dabei, da Herr Stricker zwar ein wenig Parvenü, aber sonst höchst respektabel ist und den besten Ruf genießt. Auch glaube ich nicht, daß du gegen eine Partie mit einer Bürgerlichen unter solchen Verhältnissen etwas einzuwenden hast.«

»Durchaus nicht. Ich bin über solche Vorurteile erhaben. Im Notfall kann man ja den Vater adeln lassen; was bei meinen Verbindungen nicht allzuschwer sein wird.«

»Das ist mehr, als ich zu hoffen wagte. Du bist wirklich zu gütig. Wie soll ich dir dafür danken, lieber Onkel!«

Zum erstenmal seit langer Zeit schieden die sonst keineswegs so zärtlichen Verwandten im besten Einvernehmen von einander, nachdem der Kammerherr den Tag bestimmt hatte, wo er mit seinem von dieser unerwarteten Güte überraschten Neffen die Familie des Kommerzienrats mit seiner Gegenwart beehren wollte, worüber diese die größte Freude empfand.


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