Rainer Maria Rilke
Worpswede
Rainer Maria Rilke

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Fritz Mackensen

Figuren-, Porträt- und Landschaftsmaler, Bildhauer und Radierer. Geboren 8. April 1866 in Greene, Braunschweig. Schüler von Peter Janssen, F. A. Kaulbach und Dietz. Begründer der Künstlerkolonie Worpswede (1889). 1908 Lehrer, 1910 bis 1918 Direktor der Kunstschule Weimar. Lebt in Worpswede.

»Meine Empfindung bleibt immer die gleiche. Sie kann sich nur im bewundernden Anschauen der Natur weiterbilden.« Dieses »bewundernde Anschauen« ist der Grundzug seines Lebens. Dieses »bewundernde Anschauen« wandte er schon 1884 auf das Land an, das er nicht vergessen konnte und zu dem er immer wieder zurückkam. In diesem »bewundernden Anschauen« wuchsen die Ziele, die er sich gestellt hatte und die Freunde, die ihn umgaben; sie strömten die Kraft von Idealen aus, die er selbst ihnen verlieh. So bekam die Freundschaft eine große Bedeutung für ihn. Gerne allein, aber vor Vereinsamung bang, suchte er immer nach Gleichgesinnten und fand sie. Mit einem lieben Genossen, dem Maler Otto Modersohn, kam er im Juni 1889 wieder nach Worpswede. Ein anderer sollte nachkommen. Man wartete auf ihn; aber statt seiner traf, in den ersten Tagen schon, sein gemeinsamer Abschiedsbrief an die Freunde ein: Alexander Hecking, der Bildhauer, von dem Mackensen so Großes erwartete, hatte sich im Münchener Hofgarten erschossen. Sein letzter Wille sicherte Mackensen die Möglichkeit, etwas unbekümmerter zu arbeiten. Mit diesem erschütternden Ereignisse, dem die Freunde verstört und hilflos gegenüberstanden, setzte die Worpsweder Lernzeit ein. Es war, als sollten sie noch einmal auf den Ernst des Berufes hingewiesen werden, dem Verzweiflung und Tod so nahe ist, solange er nicht das ganze Leben durchdrungen hat. Sie hätten dieses schmerzlichen Aufrufes kaum bedurft.

Sie gingen an die Arbeit, einer dem anderen helfend, einander begreifend, wetteifernd miteinander. Bald kam als dritter Hans am Ende hinzu. Und sie fühlten alle, daß dies der Anfang eines neuen Lebens war, und daß sie ganz ebenso wie jene Kolonisten, die aus dem Knechtdienst um der Freiheit willen herübergekommen waren, sich ein neues Land voll Heimat und Zukunft urbar machten. Der Sommer verging mit Schauen und Staunen. Unerwartet schnell war der Nachmittag da, an dem man zum letztenmal die liebgewordenen Wege durchs Moor ging, ein fortwährendes Abschiednehmen im Blick, der sich schwer trennen konnte. Niemand sprach. Endlich auf einer Brücke stand man still. Unten lag der Schiffgraben mit seinem schweren farbigen Wasser und in seiner Tiefe klang in reichen Spiegelbildern die Herrlichkeit des Herbstes und des Himmels an. Zusammengefaßt in dem engen Rahmen dieser Ufer, gleichmäßig überzogen von den dunklen Lasuren der ruhigen Wasserfläche, schien noch einmal alles Glück, das die letzten Wochen gebracht hatten, in einem Bilde vereint zu sein. Es wirkte so stark, daß in den Dreien, die da schweigsam und traurig beisammenstanden, fast gleichzeitig der Entschluß reifte, nicht mehr an die Akademie zu gehen und den Winter über in Worpswede zu bleiben. Mackensen, der für einige Tage nach Düsseldorf gereist war, schrieb, ungeduldig wieder zurückzukehren, in einem Brief an seine Freunde: »Kinder, wir wollen auf unserem Stück Erde zusammenhalten, wie die Kletten, um später dazustehen wie die Bäume in der Kunst.«

So brach der erste Worpsweder Winter an. In dem großen Bauernhofe der Witwe Behrens wurde den jungen Malern ein wohnliches Heim bereitet und man hielt sie dort wie die Söhne des Hauses. Hans am Ende war nur zeitweilig da, aber die beiden anderen erlebten das ganze langsame Verklingen des Herbstes, gingen zusammen durch die großen Stürme des November und fanden sich an den langen Abenden, wenn der Teekessel summte, in der warmen wohnlichen Stube ein. War man im Sommer und Herbst meistens schweigend draußen umhergegangen, jeder für sich suchend, findend und lauschend, so kam nun eine Zeit der Gespräche und der Auseinandersetzungen, die sich oft in dem vom Qualm der langen Pfeifen ganz unwegsam gewordenen Zimmer weit in die stürmische Nacht hinein ausdehnten. Was wurde da nicht alles erörtert! Die Eindrücke des Sommers stiegen auf, wurden verglichen, geprüft, aneinandergehalten. Man suchte sich klar zu werden, was an diesem und jenem Motiv das Zwingende, das Überzeugende war. Weshalb es wirkte und worin seine Wichtigkeit lag. Man gedachte Böcklins, der das Tiefste und Wesentlichste aus der Natur herausholte und der es so selig zu sagen verstand. Erinnerungen aus Rembrandt stiegen auf und verbanden sich damit; die Landschaft in Braunschweig mit dem großen Gewitter und die Radierungen, vor allem diese. Und wenn man, ganz erschöpft von Gesprächen, nicht mehr weiter konnte, las man. Man las Bücher aus Norden. Björnson besonders. Der schien etwas Verwandtes zu haben. Man begriff die harten, ragenden Bauernfiguren, man sah sie, man lebte unter ihnen. Man begriff diese Frauen, die einmal geliebt und später gearbeitet hatten. Und die ernste, choralartige Begleitung, mit welcher die nordische Natur und die Nähe eines nördlichen Meeres jene kargen, wie in Eichenholz geschnittenen Schicksale umgab, glaubte man vor den Fenstern zu hören . . . Immer wieder hörte man von einem neuen Buche, und jedes folgende brachte irgend etwas Großes, dem man zustimmte und daran man sich freute, hinzu. Die Welt wuchs. Man fühlte das Vorhandensein Gleichgesinnter überall auf den tausend verborgenen Wegen der Natur und, während man hier in der Entlegenheit dieses Moordorfs einschneite, war man auf einmal weniger allein.

 

So ließ man den Frühling kommen. Diesen ernsten, innigen Worpsweder Frühling, der mit dem Rostbraunwerden des Gagelstrauches fast wie ein Herbst beginnt, bis die unbeschreiblich hellen Grüns der Birken wie Knabenstimmen einfallen. Aber es kam noch zu keiner eigentlichen Arbeit. Der Eindrücke waren zu viele. Und was früher war, wußte niemand. Den beiden schien es, als hätten sie noch nie gemalt, als hätte überhaupt noch nie jemand gemalt, und es war unendlich schwer, den ersten Anfang zu machen. Man wußte genau, was man wollte, und Mackensen notiert einmal: »Ich habe gestern morgen Bilder gesehen, so originell, wie sie nur ein Millet gemalt hat; ein Leben in größter Einfachheit . . . dann die Frau, am Feuer sitzend, dann der Mann mit dem Kind! Es stürmen tausend Ideen (ausführbar) auf mich ein.« . . . Dieses »ausführbar« in Klammer ist bezeichnend. Es nimmt sich sehr zurückhaltend und unsicher aus und scheint froh, an keinen Zeitbegriff gebunden zu sein. Die Stunde war noch nicht gekommen. Ja, im Herbst des folgenden Jahres, 1890, mußte man sogar nach Hamburg gehen, um Geld zu verdienen. Mackensen malte Porträts. Modersohn machte den zaghaften Versuch, im Hamburger Kunstverein drei kleine Landschaften auszustellen. Aber die Bilder wurden nicht aufgehängt, im Gegenteil; man stellte sie ihm auf einem leeren Kohlenwagen wieder zu.

 

Und als der Frühling kam, kehrten beide, mit einem befreiten Atemholen, nach Worpswede zurück, das sie nun schon ganz als ihre Heimat betrachteten. Nun kam ein Jahr gemeinsamer Arbeit. Unzählige Studien wurden gemalt. Modersohn, dessen Art es entsprach, alle starken Eindrücke in raschen Daten festzustellen, brachte manchen Tag bis zu sechs Blätter mit nach Hause. Eine Weile lang wurde Mackensen mitgerissen; ein Wettlauf entstand, bei dem er unterlag. Er blieb zurück, holte Atem und besann sich auf sich selbst. Hier begann jeder der beiden Freunde seinen eigenen Weg zu gehen. Hatten sie bisher wie aus einer Kraft gelebt, so hielten sich ihre gesonderten Kräfte nunmehr das Gleichgewicht. Sie hörten auf, eine und dieselbe Straße zu teilen, aber sie bekamen immer mehr das Gefühl, dasselbe Land nach zwei verschiedenen Seiten hin zu erforschen. Das war eine neue, reiche Gemeinsamkeit: denn, daß es ein weites Land sei, wollten sie.

Es zeigt sich immer wieder, daß die künstlerischen Ereignisse sich, weit unter der Oberfläche des momentanen Lebens, in einer gleichsam zeitlosen Tiefe vollziehen. Während Mackensen noch damit beschäftigt war, Studien zu malen, die ihm schwer fielen und ihn bedrückten, waren seine Kräfte tiefinnerlich schon um ein werdendes Bild versammelt, das er dann im Herbst in verhältnismäßig kurzer Zeit heruntermalte. Es war schon fertig in ihm, als er vor die Leinwand trat. Es hatte vielleicht schon im Frühjahr, als Idee, irgendwie in ihm geblüht, inzwischen war der Sommer vergangen und nun, im Herbst, fiel es von ihm ab, reif, schwer, ausgewachsen, in Einklang mit der ganzen Natur und mit allen Bäumen dieses Herbstes. Man kann dieses Bild nicht besser kennzeichnen, als es durch diese Übereinstimmung mit dem Gange des Jahres geschieht. Es gleicht einer nordischen Frucht, einem Herbstapfel mit gesunder, starker, farbiger Schale, dessen Duft schon seinen Geschmack ahnen läßt: eine herbe Saftigkeit und zugleich etwas von jener verhaltenen Süße, wie sie gewisse dunkelrote Rosen bei Einbruch der Nacht ausströmen. So ist dieses Bild, welches, im Besitz der Bremer Kunsthalle, »Der Säugling« heißt; Mackensen hat es öfters auch die Frau auf dem Torfkarren genannt. Diese beiden Namen geben seinen Inhalt: eine Frau, auf dem Torfkarren sitzend, säugt ihr Kind. Das ist alles, das heißt, es ist der Anlaß zu allem, was dieses Bild an Größe, Schlichtheit und Schönheit enthält . . . Hier hat er mit einem Wort gesagt, was er später in längeren Sätzen wiederholt hat.

Hier hätte man fragen können: »Wo ist Mackensen hergekommen?« Wer ist es, der dieses Bild gemalt hat? Erinnern wir uns, daß es ein junger Mann ist aus dem Flecken Greene im Braunschweigischen, sechsundzwanzig Jahre alt, auf dem Lande wohnend, unter Bauern. Bei Fritz August Kaulbach und bei Dietz hat er gearbeitet, aber man merkt, daß er vergessen hat, was die ihm sagen konnten. Und außer ihnen hat ihm kaum jemand etwas gesagt . . .

Und Bilder? Bilder hat er wenige gesehen. Bis zu seinem achtzehnten Jahre keine. Dann eine Handzeichnung von Holbein, später in München manches: Tizian, Dürer, Böcklin und Feuerbach. Vielleicht einmal einige Reproduktionen nach Millet. Aber hindert das zu fragen: »Wo ist Mackensen hergekommen?« Es ist immer dieselbe Frage. Und die Antwort heißt: Aus sich. Aus den rätselhaften Tiefen der Persönlichkeit. Aus Vätern und Müttern, aus vergessenen Schmerzen und Schönheiten, aus vergangenen Zufällen und unvergänglichen Gesetzen.

Man betrachte dieses Bild. Man präge sich diesen ruhigen Kontur ein, den Ausdruck dieses Gesichtes, auf dem die Arbeit verklingt, um der Liebe Platz zu machen, man sehe sich diese Hände an, wie sie sich groß und ruhend über dem Kinde schließen, – man wird mir zugeben, daß das lauter noch ungesagte Dinge sind, die sich hier aussprechen. Und man wird nicht umhin können zu bewundern, wie ruhig und selbstverständlich sie das tun, wie reif, ohne übertriebene Lautheit, ohne Betonung.

»Unsere Augen sehen gesund und frei« – schreibt Mackensen einmal. Und dieses Bild ist voll von diesem gesunden Sehen. Gesundheit ist Gleichgewicht. Und hier, in diesem Bilde, ist Gleichgewicht. Gleichgewicht in der Raumverteilung, in Form und Farbe. Die Farbe ist schwer, nicht ganz frei in der Empfindung, das einzige Zögernde in dem Bilde. Aber diese Vorsichtigkeit trägt nur dazu bei, das still zurückhaltende, abwartende Wesen dieses Werkes zu steigern.

Es ist ein Devotionsbild des Protestantismus. Keine Madonna, eine Mutter; die Mutter eines Menschen, der lächeln wird; die Mutter eines Menschen, der leiden wird; die Mutter eines Menschen, der sterben wird: die Mutter eines Menschen.

Auf den Ausstellungen vom Jahre 1895 hat dieses Bild keine Rolle gespielt. Vielleicht weil es schlecht gehängt worden ist, besonders aber weil gleichzeitig ein ganz großes Bild desselben Künstlers ausgestellt war, das, obwohl es, mit seinen etwa 40 Figuren, nicht an die Größe des Mutterbildes heranreicht, im Leben und in der Entwicklung Mackensens eine wichtige Stelle einnimmt. Es ist jenes Bild, das zu malen er sich entschloß, als er das erste Mal nach Worpswede kam. Damals sah er das Missionsfest in dem benachbarten Schlußdorf, und im Jahre 1887 sah er es wieder. Er schrieb darüber an Otto Modersohn: »Die Leute schon so zu sehen ist famos; nun denke Dir aber diese interessantesten Leute bei einem Missionsfest, tief andächtig, unter freiem Himmel. Heute morgen fuhren wir per Wagen nach einem nahen Dorf, und ich hörte bis 6 Uhr abends vier Prediger. Das heißt, ich skizzierte während dieser Predigten die andächtigen Leute. Ich bin ganz selig in dem Gedanken, später ein Bild davon malen zu können . . .«

Er ahnte damals noch nicht, was es heißen würde, dieses Bild zu malen. Es war keine Seligkeit. Es war ein Kampf.

Gleich nachdem »Der Säugling« beendet war, ging er daran. Die Riesenleinwand stand meistens im Freien, nur im ärgsten Winter auf der Diele eines Bauernhauses. An ein Atelier war nicht zu denken. An die Kirchenmauer gelehnt, stand das Bild, Tag und Nacht. Zeitig früh, im kühlen Morgenschatten malte er. Und der Herbst war da mit seinen Stürmen. Malen hieß frieren. Malen hieß mit dem Winde ringen wie Jakob mit dem Engel des Herrn. Malen hieß nachts aufspringen und stundenlang draußen bei dem Bilde stehen, wenn der Sturm es zu stürzen drohte. Das hieß malen. Wer hat schon so gemalt?

Im nächsten Sommer, als das Bild, um der Modelle willen, in Selsingen, auf der Geest, stand, ging es nicht viel besser. Ungewöhnlich früh setzte der Herbst des Jahres 1893 ein. Und dazu die inneren Kämpfe, die Zweifel und Hoffnungslosigkeiten, die bei einer so kolossalen Aufgabe nicht ausbleiben konnten. Vielleicht, so schien es, hätte das Bild kleiner und zu Hause gemalt werden müssen, mit Studien nach der Natur. Es hatte etwas Entmutigendes, mit dieser Riesenleinwand hinter den Modellen herzuziehen, wie mit einem ungeheuren Menschenkäfig. Und jahrelang im Winde zu stehen und zu frieren.

Mackensen sah sich nach jemandem um, der helfen könnte . . . Eine Weile dachte er sogar daran, nach München zu Uhde zu gehen. Aber schließlich ist er doch allein, ohne Hilfe, fertig geworden. In Berlin, wo er, durch Vermittlung Bokelmanns, ein Atelier in der Akademie erhalten hatte, vollendete er in den folgenden Wintern das große, schwere Bild. Er nannte es »Gottesdienst im Freien«. Und ein »Gottesdienst im Freien« waren diese drei Arbeitsjahre wirklich für ihn gewesen. Er hat sich ihn nicht leicht gemacht, seinen Gottesdienst. Wie ein Knecht hat er seinem Gotte gedient, mit der Frömmigkeit eines Asketen und Kreuzfahrers. Nicht mit Worten, mit der Tat.

Wie sollte man es anders als freudig begrüßen, daß man in dem Bilde Spuren jenes Ringens erkennt, aus dem es entstanden ist? Sollte nur der Sieg ein Denkmal haben und der Kampf keines?

Der »Gottesdienst« war für Mackensen auch der erste Schritt in die größere Öffentlichkeit. Bekannt werden mußte in diesem Falle heißen: berühmt werden; wenigstens für München gilt dies, für Bremen, wo die Bilder zuerst ausgestellt waren, noch nicht. Dort sah sie, mit den Bildern der anderen »Worpsweder«, Herr von Stieler, der Präsident der Münchener Genossenschaft, und er bot den fünf Malern, die jetzt in Worpswede wohnten, einen besonderen Saal im Glaspalast des Jahres 1895 an. Sie kamen, und sie waren das Ereignis der Saison. Mackensen und Modersohn vor allem. Modersohn vielleicht noch mehr. Denn für Mackensen gab es auf den ersten Blick Anklänge; das Publikum, das ja viel gesehen hat, konnte, da es flüchtig zu sehen liebt, an irgendeinen Armeleutemaler denken. Viele erinnerten an Uhde. Modersohn aber konnte man sich, auch bei oberflächlichem Zusehen, nicht erklären . . . Staunend kaufte man seinen »Sturm im Teufelsmoor«. Mackensen aber erhielt, obwohl er noch gar keine Auszeichnung besaß, für den »Gottesdienst im Freien« die große goldene Medaille.

Aber es ist fast belanglos, wie die Öffentlichkeit sich zu diesen stillen, einsamen Arbeitern stellte. Hätte sie sich gesträubt, es wäre auch nicht anders gewesen. Diese Leute wußten ihren Weg und fuhren fort, ihn zu gehen.

Mackensens Weg geht geradeaus auf den Menschen zu, auf den Menschen dieser einsamen schwarzen Erde, auf der er lebte. Wo er in die Natur sah, fand er scharf umrissene Einzeldinge, aber in den Menschen, in diesen stillen nordischen Gestalten, war alles zusammengefaßt, was er suchte. Es gibt Künstler, die, wenn sie Musik hören, plötzlich einen Charakter, eine Szene, eine Stimmung begreifen, die ihnen lange unfaßbar schien: Ein Lied war imstande, die weithin zerstreuten Strahlen zu sammeln, was in der Natur entfernt oder streng getrennt nebeneinanderliegt, zu vereinen, und sie empfangen von ihm, fast vollendet, was ihnen zu schaffen unmöglich schien. Was für diese Künstler die Musik ist, das ist für Mackensen die Figur: der Extrakt der Landschaft. Wo er nur Landschaften gibt, hat man das Gefühl von etwas Verdünntem, Abgeschwächtem, Leerem. In seinen landschaftlichen Zeichnungen drängt sich dies, bei aller Trefflichkeit, ganz besonders auf. Diese Blätter wirken wie Seiten, die mit einer großen, sicheren Handschrift dicht beschrieben sind. Das Bildhafte fehlt, das Starke, Gesammelte, Konzentrierte, diese malerische Expansivkraft, die sofort wieder da ist, wo es sich um eine figürliche Darstellung handelt. Und doch ist Mackensen kein Menschenmaler; er hat keine Überlegenheit über das menschliche Gesicht, und Porträts setzen ihn in Verlegenheit. Wohl konnte er jene Menschen malen, deren Schicksale, nach dem Worte Taines, aus der Beeinflussung der Natur entspringen und nur aus ihr. Kulturmenschen, Leute aus der Stadt sind Heimatlose für ihn, und Gott weiß woher ihre Schicksale stammen. Es fehlt ihm an Fähigkeit und an Freude, das zu erforschen. Sie muten ihn an wie abgeschnittene Blumen, die man aus einem fernen, fremden Lande geschickt bekommt. Sie sagen ihm nichts oder doch nur einen Anfangsbuchstaben, und er hat keine Lust, weiterzuraten; er müßte den Boden sehen, auf dem sie gestanden haben, die Luft, die um sie war, das Licht, das sie erwärmt, und den Regen, der sie verdunkelt hat, um sich für sie interessieren zu können. Und ähnlich wie er vor solchen Blumen nicht als Künstler stünde, sondern einfach als der und der, so ist es auch bei Aufgaben dieser Art das Private, Zufällige, gleichsam das Bürgerliche, das, indem es spricht, den Künstler in ihm stört und kränkt.

Mensch (im banalen Sinne genommen) und Künstler sind ja nie ein und dieselbe Person. Der Künstler ist das Wunderbare, der Mensch das Erklärliche; der Mensch ist in dem Flecken so und so geboren, der den Künstler gar nicht interessiert; der Mensch ist, aus was für Verhältnissen er auch kommen mag, doch immerhin Produkt dieser bestimmten Verhältnisse, selbst dann, wenn er sie widerlegt. Den Künstler aus diesen Verhältnissen heraus ableiten zu wollen, ist falsch, schon deshalb, weil er sich überhaupt aus nichts ableiten läßt. Er ist und bleibt das Wunder, die unbefleckte Empfängnis ins Seelische übertragen; das, wovor alle staunend stehen, am meisten vielleicht er selbst.


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